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Einsteins Goldfisch oder: Vom Kamel, das durch ein Nadelöhr ging

von

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Gehirn im Tank oder: Was für ein seltsamer, surrealer Moment

 

 

 

Max suchte den Haken noch immer, als sie schon längst im Foyer des Kinos in der Schlange an der Kasse standen. Aber er war tatsächlich hier direkt neben ihm. Nicht der Haken, Julius! Total relaxt, wie Max ihn noch nie erlebt hatte, kramte er gerade nach seinem Geldbeutel. Er war gestern abend nach Hause gefahren, wie sonst auch an seinen freien Wochenenden, und vor einer viertel Stunde hatte er vor dem Kino auf Max gewartet, ganz so, wie sie es einen Tag zuvor abgemacht hatten. War das zu glauben?

Bis zu dem Zeitpunkt, als er aus der Straßenbahn gesprungen und um die Straßenecke gebogen war, hinter der das Kino lag, hatte Max das dumpfe Gefühl begleitet, dass das alles nicht wahr sein konnte. Dass er sich keinen Film anschauen würde, sondern selbst in irgendeiner virtuellen Realität weit weg von hier vor sich hinträumte.

Doch dann hatte er Julius gesehen, der, die Hände in der Jackentasche, vor dem Kino in der Kälte stand und auf den nassglänzenden Bürgersteig vor sich blickte.

Beinahe wäre Max auf einer vereisten Schneematschfläche ausgerutscht, so abrupt war er stehengeblieben. Nur mit Mühe hatte er sein galoppierendes Herz beruhigen können. Mit zittrigen Händen hatte er dagestanden und wäre am liebsten wieder umgekehrt, um diesen Moment erneut zu erleben. Nur um ganz sicher zu sein.

Die Leuchtreklame des Kinos hatte Julius' eine Körperhälfte in bunte Schimmer getaucht, die ihn an Einstein erinnerten, wenn er in seinem beleuchteten Aquarium umher schwamm und das Licht der Neonröhre schillernde Flecken auf seine Schuppen warf. Vielleicht war das aber auch nur der Schnee gewesen, der in Max Augen fiel und dort schmolz, während er Julius anstarrte. Ja, nur der Schnee. Sonst nichts...

Möglichst gefasst war Max auf Julius zugegangen, der prompt den Kopf gehoben und ihm ein wirklich ehrliches Lächeln zugeworfen hatte. Selbst jetzt wusste er noch jede Einzelheit davon. Wie sich Julius' Augen verengt hatten als das Lächeln dort ankam – nicht so, wie die Male davor, als er mit geweiteten Augen wie ein erschrockenes Kaninchen vor der Schlange vor Max gestanden hatte, wenn der ihn mal wieder mit irgendeinem Unsinn kompromittierte.

 

Julius war ganz froh, als endlich das Licht im Kinosaal ausging und die ersten Werbefilme über die Leinwand dröhnten. Max hatte ihn kaum aus den Augen gelassen. Er ahnte wohl, dass da irgendwas nicht wie sonst war.

Max nahm einen Schluck seiner Limo und beobachtete gleichzeitig Julius aus den Augenwinkeln, möglichst ohne Julius in Verlegenheit zu bringen. Er wusste ja, wohin das führte...

Gerade nahm Julius die zerknüllte Eintrittskarte aus seiner Hosentasche und hielt sie ein wenig schräg zur Leinwand hin, so dass etwas von dem schwummrigen Licht darauf fiel. Die Augen zusammenkneifend versuchte er den Text zu entziffern, was ihm nicht gelang, da in diesem Moment die Leinwand dunkel wurde.

Max verschluckte sich fast an seiner Limo. Er beugte sich zu Julius hinüber und half ihm gnädigerweise auf die Sprünge, welchen Film sie sich hier anschauten. Julius bedankte sich knapp, bevor er wieder tat, als sei alles wie immer. Er schaffte es immerhin, Max' breites Grinsen zu ignorieren.

Nach dem ersten Drittel des Films beugte sich Julius endlich zu Max hinüber, der sich das erleichterte Aufseufzen gerade so verkneifen konnte. So langsam hatte ihn Julius mit seiner unterdrückten Nervosität angesteckt. Er hatte schon damit begonnen, den Strohhalm seiner Limo in eine möglichst kleine Spirale zu drehen.

"Du hattest recht", war das erste, was Julius zu Max sagte, der fast schon mit der Frage gerechnet hatte, ob er noch was zu trinken haben möchte.

"Womit?", hakte Max verblüfft nach. Trotz des Geschreis aus den Lautsprechern, hörte Max Julius leise seufzen.

"Mit allem", war dann die Antwort. "Die ganze Zeit hattest du recht", fügte Julius nach einer weiteren Atempause hinzu. Seine Blicken gingen nachdenklich zur Leinwand hin, auf der Indiana Jones den scheinbar zweimillionsten Abhang hinunter fiel.

Geduldig wartete Max, welche Erklärung ihm Julius gleich liefern würde. Es musste was wichtiges sein, wenn er damit gewartet hatte, bis sie von der Gruppe weg waren. Daran, dass das hier ein normales Date sein sollte, hatte Max die ganze Zeit nicht geglaubt. Ganz kurz dachte er daran, dass er vielleicht auch gar nicht wissen wollte, was Julius ihm zu sagen hatte. Er schluckte die Zweifel hinunter und wartete darauf, dass Julius endlich weiter sprach.

 

Julius sah sich schnell um und beugte sich dann wieder zu Max hinüber. "Ich habe dich ständig analysiert und-" Auf der Leinwand flog irgendetwas in die Luft. "Und ich hab mich selbst die ganze Zeit über analysiert - jeden Schritt in Frage gestellt und korrigiert. Und selbst wenn da überhaupt nichts war, habe ich es getan, aus Angst, dass da jemand irgendwas sehen konnte, was ich nicht wollte."

Max nickte mit offenem Mund. Für Julius war das ein riesiges Geständnis und für Max ein gewaltiger Dämpfer, den er erst mal kurz verdauen musste. Angst hatte er Julius ja nicht machen wollen.

"Hast du ja auch nicht", war Julius' Antwort auf Max' unbewusst laut ausgesprochene Erklärung. "Ich habe mir wohl selbst am meisten Angst gemacht."

Er wollte Julius' zögerliches Lächeln erwidern, aber seine Mundwinkel wollten ihm einfach nicht gehorchen.

Wie eine Sturmflut schlug die Lautstärke des Films in Dolby-Surround über ihnen zusammen. Grollend kündigte sich irgendein Spektakel an. Bevor es sie erreichte, öffnete Julius endlich wieder den Mund. Max hing förmlich an seinen Lippen. Kein einziges Wort wollte er verpassen.

"Du hast dich auch nicht zum Deppen gemacht."

Da war es. In 3D, ohne Stuntman, ohne Special Effects.

Indiana Jones schwang sich behende über den nächsten Abgrund und landete sicher auf der anderen Seite.

"Das hat mir nur gezeigt, dass ich mich selbst zum Deppen mache."

Der geknickte Strohhalm rutschte aus Max' Hand und verschwand irgendwo im Dunkeln unter seinem Sessel, als sich Julius noch ein Stück weiter zu ihm hinüber beugte. Als sich ihre Schultern berührten, war das wie ein Peitschenschlag, den der Held des Tages gerade auf der Leinwand einen nach dem anderen an seine Gegner austeilte.

Julius' kühle Hand legte sich auf Max' in Flammen stehende Wange und zähmte so ein wenig das darunter liegende Lodern. Er war heilfroh, dass er schon saß, sonst hätte ihn Julius' sachter Kuss ganz sicher von den Füßen gehauen. Dabei war er so vorsichtig. Sein Mund presste sich so sanft auf Max', als hätte er Angst, dass dieser gleich wie eine Seifenblase platzte.

Max fühlte, wie ihm der Magen in die Knie sank und sich der nun leer gewordene Fleck mit glühender Lava zu füllen begann. Er traute sich kaum, sich zu bewegen. So musste sich Julius gefühlt haben, dachte Max perplex. Damals, als er ihn im Flur das erste Mal geküsst hatte. Und jetzt war er selbst in dieser Position.

"Gehen wir?", haute Julius auch schon den nächsten Knaller raus. "Oder bin ich der Einzige, der nicht mehr weiß, um was es in dem Film überhaupt geht?" Er lächelte Max so treuherzig an, dass Max wusste, wenn er jetzt aufstand, würde er auf der Stelle in sich zusammenfallen und mit einem leisen Puff einfach so verschwinden. Zum Glück war Julius da. Er hielt Max' Hand sicher in seiner und zog ihn im Aufstehen kurzerhand mit sich hoch.

So vorsichtig wie möglich schlängelten sie sich an fremden Beinen vorbei zum Mittelgang und huschten leise durch den dicken Samtvorhang aus dem Kinosaal hinaus. Indiana Jones rief ihnen auf ihrer Flucht noch etwas gutgemeintes nach, was sie allerdings schon nicht mehr hören konnten.

 

Auch draußen ließ Julius seine Hand nicht los. Zusammen schlenderten sie den Gehweg entlang, ohne irgendein wirkliches Ziel zu haben. Max konnte es kaum fassen. Es war also tatsächlich ein Date gewesen, mit allem, was dazugehörte. Mitsamt schweigendem nebeneinander Hergehen und ineinander verschlungener Finger.

Max protestierte noch nicht einmal, als Julius ihn zur Straßenbahn brachte. Er war kein bisschen enttäuscht, immerhin hatte er mehr bekommen, als er gedacht hatte.

"Wir sehen uns."

Max' Knie wurden augenblicklich weich. Er nickte und wusste insgeheim, dass er womöglich wie ein Trottel dabei aussehen musste. Und es war ihm so egal, wie ihm nur selten etwas egal gewesen war.

 

Mitsamt seinen Klamotten fällt Max auf sein Bett. Er würde nie mehr wieder einschlafen können, denkt er aufgekratzt – und schläft noch während dieses Gedankens ein.

 

ABBLENDE

 

 

Ninas Stimme zerrte an einer Stelle in Max' Unterbewusstsein, wo er bitte schön nicht gestört werden wollte. Vergeblich. Was zur Hölle war hier passiert?

"Haltet doch mal eure Klappen!", fuhr Max seine Sitznachbarn an.

"Ich bitte um Ruhe", kam ihm Nina diplomatischer, aber nicht weniger nachdrücklich zur Hilfe.

"Stimmt das?", hörte Max eine zitternde Stimme das aussprechen, was ihm, seit Nina sie heute morgen alle ins große Wohnzimmer gerufen hatte, durch den Kopf ging. Er nahm noch nicht einmal wahr, dass er selbst diese Frage gestellt hatte, deren Antwort er eigentlich überhaupt nicht hören wollte.

Nina nickte und versuchte erneut, die aufkommende Unruhe unter der Gruppe zu beschwichtigen. "Bitte, lasst mich doch erst einmal aussprechen. Fragen könnt ihr am Schluss stellen."

"Was ist denn passiert?", fragte jemand. "Hatte er einen Unfall? Geht es ihm gut?"

"Nein, nein", Nina hob die Hände, "Julius geht es gut. Aber er hat gekündigt."

"Aber-aber wann denn? Und warum?", piepste eines der jüngeren Kinder dazwischen.

"Am Freitag schon", gab Nina zu und man sah ihr an, dass sie sich unwohl fühlte.

Max schwieg wie betäubt. Sein Mund fühlte sich taub an und seine Zunge lag schwer wie Blei in seinem Mund. Er wusste die Antworten auf die ganzen Wie's und Warum's, die nun aufkamen. Er hatte es sich denken können, dass da was im Busch war. Nein, falsch, er hätte es sich denken müssen. Anscheinend war er der letzte gewesen, der Julius nach seiner Kündigung gesehen hatte. Er war noch zu ihm gekommen und hatte ihm zur bestandenen Prüfung gratuliert und war dann hoch in sein Zimmer gegangen und hatte seinen Rucksack für sein freies Wochenende gepackt.

Julius war hier weggegangen, wie er hier angekommen war. Ohne großes Theater.

Ihm fiel das erste Wochenende ein, das sie mit Julius hier verbracht hatten. Das Lagerfeuer im Garten, die Folienkartoffel und das Salz, das er ihm angeboten hatte. War das nicht der lächerlichste Augenblick, um das erste Mal von jemandem so eingenommen zu sein, dass man nie mehr wieder eine Folienkartoffel von jemand anderem annehmen wollte? Was für ein seltsamer, surrealer Moment, um sich zu verlieben, oder?

 

 

Letzer Akt, Szene Eins:

 

AUFBLENDE:

 

JULIUS' EHEMALIGES ZIMMER – SONNTAG MITTAG

 

Max' Blicke schweifen durch das leergeräumte Zimmer. Die Bettwäsche ist abgezogen. Bettdecke und Kissen liegen sorgfältig zusammengelegt am Fußende des Bettes. Der Nachtschrank ist leer.

Max hat alles abgesucht. Doch Julius hat keine Spur seiner Existenz hier hinterlassen. Nicht einmal den verschwundenen gelben Notizzettel mit dem aufgemalten Max-Fisch und dem Julius-Fisch.

Was auch immer Julius' Plan gewesen war, er hat das erreicht, was er dafür gebraucht hat. Max war drei Tage lang still gewesen.

Bewegungslos bleibt Max im Türrahmen stehen und schaut zurück ins Zimmer.

 

ABBLENDE



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  MaiRaike
2017-08-08T09:13:32+00:00 08.08.2017 11:13
Oh, die Fanfic gibt es ja noch!
In echt würde ich Julius vermutlich beiseite nehmen und mit ihm ein eindringliches Gespräch über das ausnutzen von Schutzbefohlenen, die mit ihren Gefühlen nicht umgehen und diese nicht einschätzen können führen (ganz ehrlich, so wirkt es auch). Aber das ist nur eine Geschichte und da sage ich "Awh wie süüüß!".
(Warum kommt er nicht auf die Idee das Julius gekündigt haben könnte um mit ihm zusammensein zu können ohne dafür ein Gerichtsverfahren an den Hals zu bekommen und vermutlich seinen Beruf nie wieder ausüben zu können??? Bisschen dusselig ist er ja schon..)


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