...in love with Ivan
In den frühen 50er Jahre - USA
Alfred rückte sich die Krawatte zurecht und schluckte noch einmal ungewollt. Der Richter gab ihm mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass er nun aufs Podium steigen sollte.
Langsam, fast schon bedächtig, setzte er einen Fuß vor den anderen, während er auf die kurze Treppe zu schritt.
Nochmals fragte er sich warum das ganze Affentheater aufgeführt wurde.
Bevor er die erste Treppenstufe nahm, schloss er für einen kurzen Moment die Augen.
Warum hatte sich sein Land in diese politische Hysterie hineinreiten lassen?
Hatten sie nicht einst mit sowjetischer Macht den zweiten Weltkrieg gewonnen?
In der grauen Dunkelheit, welche hinter seinen Augenliedern herrschte, sah er vor seinem geistigen Auge wieder dieses naive Lächeln. Er lächelte leicht als er die blauen Augen wieder öffnete.
Sein Fuß berührte die zweite Stufe.
Was würde passieren wenn sie es herausfanden?
Würden sie ihn verurteilen, wie die armen Seelen vor ihm, die diese Treppen haben hinaufsteigen müssen?
Er sah den Skandal schon vor sich, frisch gedruckt und groß publiziert auf der ersten Seite der zahlreichen Klatschblätter. Sie würden zwar aller Wahrscheinlichkeit nach nicht seine wahre Natur aufdecken, denn schließlich denn schließlich war diese ein Staatsgeheimnis, doch würden sie mit Sicherheit einen Weg finden seinen Namen durch den Dreck zu ziehen .
Als er die dritte Stufe nahm, spürte er wieder den Schauer über seinen Rücken ziehen, welchen er immer verspürte, wenn er an die vergangenen Nächte dachte.
Der Atem, welcher ihn hinter seinem Ohr kitzelte, die Hände, rau wie Schmirgelpapier, welche über seine Haut glitten, die tiefe Stimme, welche ihm gewisse Worte zu raunte…
Alles Eindrücke, deren Erinnerungen er tief in sich aufgesogen hatte.
Er ließ die vierte Stufe hinter sich und fragte sich, wie lange diese Hexenjagd wohl noch andauern sollte.
Wie viele noch wegen ihrer Gesinnung oder auch nur aufgrund des Verdachtes, sie könnten der falschen Ideologie folgen, verhaftet werden sollten?
Wiederum war es nicht nur die Angst vor dem Gefängnis, im schlimmsten Fall die Furcht vor der Todesstrafe, welche den Delinquenten bedrohten.
Rufmord und Berufsverbot gehörten ebenfalls zum Strafrepertoire der Richter.
Auf der fünften Stufe angekommen hatte er das Bedürfnis laut aufzulachen, was er Angesicht der Situation jedoch nicht tat.
Was wollten sie ihm, im Falle der Aufdeckung seines kleinen privaten Geheimnisses, antuen?
Seinen Ruf zu schädigen, wäre ein Eigentor.
Ein Berufsverbot über ihn verhängen, wäre einfach lächerlich.
Ihn ins Kittchen stecken?
Zwar nicht so sinnlos wie die beiden zuvor genannten Optionen, aber dennoch schmachvoll der Nation gegenüber, welche er repräsentierte.
Was die Todesstrafe anging, wäre sie, rechtlich gesehen, zwar wahrscheinlicher, aber aufgrund seiner Natur nicht nur sinnbefreit, (er würde wiederkommen,) sondern würde für ihn einzig und allein unnötigen Schmerz bedeuten.
Solange es die Vereinigten Staaten gab, würde er bestehen, und der Schatten des Todes hätte für ihn nicht die gleiche Wirkung wie für gewöhnliche Lebewesen.
Federleicht überwand er auch die sechste Stufe.
Dabei war er im doppelten Sinne verdächtigt. Er hatte, nein, er pflegte noch immer einen intensiven Kontakt mit einem Kommunisten und dies in einem Kontext, welcher nur als weiterer Grund angesehen würde, ihn in einen Konflikt mit dem Gesetz zu stürzen.
Wie viele Männer waren, aufgrund des Verdachtes der Homosexualität, verfolgt worden oder gleich mit der Sympathie zum kommunistischen System abgestempelt worden?
Als würde das eine gleich automatisch mit dem anderen zusammenhängen.
Der Blonde schnaubte kaum merklich.
Wie lachhaft…
Angelangt auf der siebten Stufe blieb er nur für ein paar Sekunden stehen und sah nach links ins Publikum.
Ivan hatte weder versucht ihn zu dem System, welches den Aschblonden nun definierte, zu bekehren, noch kam ihm seine homosexuelle Beziehung zu diesen Russen wie eine abscheuliche Tat gegen den Staat vor.
Sie verbrachten die knapp bemessene Zeit, welche ihnen zu zweit blieb, mit anderem als Politik.
Dieses schmutzige Geschäft erfüllte sowieso die restliche Zeit ihres Daseins, da mussten sie es nicht in ihre gemeinsame Freizeit einschleppen.
Er wusste, dass der Besitzt eines Privatlebens für ihn ein beinahe unerschwinglicher Luxus war, doch vertrat er die Meinung, dass es ihm zustand.
Dann sollten sich gefälligst auch diese Affen raus halten und lieber im Leben anderer Leute herumschnüffeln.
Seines Präsidenten zum Beispiel, oder seiner Senatoren…
Mit festen Schritten ging er aufs Pult zu und positionierte sich so, dass jeder einen guten Blick auf ihn hatte.
Der Richter nickte ihm aufmunternd zu.
Alfred lächelte sanft zurück.
Er wusste, welchen Eindruck er auf Amerikaner machte. Immer wenn ihm ein Bürger seiner Nation gegenüber stand, wurde dieser parteiisch, ob er wollte oder nicht. Es lag einfach in der Natur der Landesrepräsentanten. Eine amüsante Erinnerung an längst vergangene Zeiten drängte sich in seine Gedanken.
Wie Arthur in seiner Kindheit ganz locker und entspannt auf der Anklagebank gesessen und dem englischen Richter überzeugend dargelegt hatte, dass er nie ein Angehöriger des Piratentums gewesen war.
Am Ende hatte sich die britische Nation mit einer ausschweifenden Bewegung, wobei sein beeindruckender Federhut gut zur Geltung gekommen war, vom Tribunal verabschiedet und sich auf den Weg zu seinem Dreimaster gemacht, um als freier Mann weiter andere, jeder beliebigen Nation angehörige Schiffe zu überfallen und zu plündern.
Wieder hatte der Blonde das Bedürfnis spöttisch aufzulachen.
Er wusste, dass er die Geschworenen für sich eingenommen hatte, wenn er jetzt nicht noch eine total sinnlose Aktion schob; Wie zum Beispiel in einem pinken Ballettröckchen Walzer mit einer Quietschente tanzen oder „God save the Queen“ auf Französisch trällern.
Wenn er im Rahmen des Vernünftigen blieb, konnte er diesen Leuten alles erzählen.
Der Richter erhob seine Stimme und kam gleich zur Sache. Alfred konnte es deutlich spüren, wie unangenehm dem Mann es war, ihn anzuklagen.
Ein Schutzfaktor, der jedes Mal automatisch einsetzte, wenn eine Nation von seinen eigenen Leuten angeklagt wurde. Das innere Grinsen der Vereinigten Staaten wurde breiter.
„Alfred F. Jones. Do you have any relationship with the personification of the USSR, Ivan Braginsky?”
Keine lange Anklage. Keine lange Erklärung, warum er hier stand.
Keine Aufforderung zum Schwur, als hätte er es nicht nötig...
Er hob die linke Hand und platzierte die Rechte hinter seinem Rücken.
“I am not …“, begann er mit überzeugten Stimme. „…nor have I ever been in love with the personification of the USSR, also known as Ivan Braginsky.”
Der Zeigefinger und Mittelfinger seiner rechten Hand kreuzten sich, während seiner Aussage.
Ach zum Teufel mit McCarthy und seiner anti-kommunistischen, wie auch anti-homosexuellen Politik.
Sollten sie sich doch alle zum Teufel scheren mit ihren Ammenmärchen.
Er wusste genau, wer heute Abend in aller Heimlichkeit auf ihn wartete, und freute sich schon drauf, nach langer Zeit endlich wieder in diesen faszinierenden, violetten Augen zu versinken….