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Hell called Home

von

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Vertrauen

Als wir die Schule verließen, hatte es zu allem Überfluss auch noch angefangen zu regnen. Aryn fluchte ununterbrochen, während sie mit mir zur Bushaltestelle hastete.

An manchen Tagen weint sogar der Himmel...

Ich wandte mich zu ihr um und fragte: "Kann ich heute mit zu dir kommen?"

"Natürlich...ich schwöre dir, sobald ich das Geld zusammenhabe, renn ich direkt zum Händler und beschaff mir den Pick-Up. Verdammtes Wetter!", knurrte sie missmutig und flüchtete unter das Vordach der Haltestelle, die leer war. Früher war ich erleichtert gewesen, außerhalb der Stadt zu wohnen und somit in eine ganz andere Richtung fahren zu müssen, als die anderen Schüler der Schule, auch wenn das hieß 20 Minuten in der Kälte stehen zu müssen.

Das war vor der Eiszeit.

Allerdings waren Aryn und ich heute nicht die Einzigen.

Ich bemerkte Alexander erst, als Aryn aufhörte, zu fluchen und ihm einen überraschten Blick zuwarf, zusammen mit den Worten: "Du...hast du ein Bordell oder warum kannst du dir eine eigene Wohnung in dem Bonzen-Teil der Stadt leisten?"

Alexander lächelte schief, seine Augen funkelten amüsiert. Regen und Kälte schienen ihm nichts auszumachen, denn er stand mit offener Jacke neben mir, währenddessen meine Freundin auf meiner anderen Seite ihr Sakko enger um sich schlang und wohl die Wahl ihrer Kleidung verfluchte.

"Und was ist mit dir?", erwiderte er und setzte sich auf die kalten Metallbank. Aryn lachte und schlang die Arme um mich, ihre Wange gegen meine gedrückt, als sie witzelte: "Klar. Jinx gehört zu meinen Miezen."

"Dann kannst du mir sie ja mal für heute Abend ausleihen?"

Ich starrte ihn an. Sah ihn an und musterte ihn, schätzte ihn ein.

"Tut mir leid, für heute gehört sie mir", antwortete Aryn und ließ mich los. Ich wandte den Blick ab.

Gar nicht gut

Irgendetwas an ihm irritierte mich, weil er anders war. Anders als alle anderen und dennoch wie sie. Verwirrung und Frustration, Wut und regelrechte Angst stieg in mir hoch, ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen. Ich ballt meine Hand zur Faust, spürte den Schmerz, als sich meine Fingernägel tief in die Haut gruben. Durchatmen. Augen schließen. Die Dunkelheit ließ Aryns Stimme neben mir verblassen, selbst die Musik. Ein Ziehen, ein Sog immer tiefer und tiefer...

Vergangenheit

Blut an meinen Händen, Tränen in meinen Augen, Salz auf meiner Wange, das brannte, Chaos, überall, ein Orkan, in meinem Kopf, in meiner Seele. Feuer und Eis, Qual und Schmerz. Zu groß für einen einzigen, zu groß für ein Herz. Ketten, die rissen, Flammen, die alles verbrannten, bis zum Grund. Asche. Schutt und Asche. Und Eis, das diesen Moment für ewig festhielt.

Nein.

"Jinx?"

Sie holte mich wieder zurück. Ich schlug die Augen auf und fand sie vor dem Bus stehend vor, Alexander, der mir einen letzten Blick zuwarf, ehe er in den Reihen der Fahrgäste verschwand. Mein Herzschlag beruhigte sich. Ich ging zur Aryn und stieg gemeinsam mit ihr ein, setzte mich an einen freien Platz und blickte zum Fenster hinaus, schweigend wie immer und doch ganz anders. Das Geräusch des Feuerzeug und der vertraute Geruch nach Rauch brachte mich dazu, mich erneut zu Aryn umzudrehen, obwohl der Anblick einer Zigarette an ihr schon lange nichts Neues mehr war. Die orange-rote Flamme spiegelte sich in ihren Augen wider, ehe sie genauso schnell erlosch, wie sie aufgeflammt war.

Feuer zerstört.
 

Im Gegensatz zu mir hatte Aryn ein relativ gutes Verhältnis mit ihren Eltern. Wenn die Noten stimmten, sahen sie über das Treiben ihrer Tochter hinweg und ließen ihr so alle Freiheiten, die sie auch überaus gerne ausnutzte.

Mit einem lauten "Bin wieder da!" ging sie die Treppe hoch, zu ihrem Zimmer, ich folgte ihr schweigend. Aus der Küche kam eine gedämpfte Antwort, die jedoch von ihr ohne besonderes Interesse ignoriert wurde. Meine Freundin legte ihre Sachen ab, während ich die Tür ihres Zimmers schloss und meinen Rucksack neben den ihren warf, ehe ich mich in den weichen Sessel fallen ließ. Metal dröhnte aus der Anlage, die Aryn eingeschaltet hatte, währenddessen sie am Schreibtisch saß und die Aufgaben der Schule schnell erledigte. Schweigend sah ich ihr eine Weile zu.

"Alexander scheint ein Auge auf dich geworfen zu haben."

Sie drehte sich zu mir um, nachdem sie ihren Ordner in das kleine Regal neben dem Schreibtisch gestellt hatte, wo sich auch Schulbücher und Hefte türmten. Ich zuckte mit den Schultern, was sie seufzen ließ. Doch ihre Stimme hatte einen lächelnden Unterton, als sie sagte: "Dachte ich mir. Wie lang ist es jetzt her? Sieben Jahre?"

Ich beobachtete das Treiben der Vögel vor ihrem Fenster. Das goldene Laub der Bäume, die kleinen, braunen Vögel, die fast darin drohten, zu ertrinken. Es musste nicht immer Wasser sein. Es musste nicht immer Greifbar sein.

Denn unsere Alpträume sind die wahren Mörder.

Leise, schleichend, unbemerkt.

In hoher Dosierung tödlich.

"Dreizehn Jahre, sieben Monate und drei Tage", antwortete ich automatisch. Jeder Tag fühlte sich an wie ein Countdown, mit jedem Tag war ich ihr näher. Und ich wünschte mir, die Zeit würde schneller an mir vorbeifliegen. Aryn seufzte abermal und stand auf, um die Musik leiser zu stellen. Dabei redete sie weiter: "Ich kann damit umgehen, wenn du mir nicht jeden Tag voller Sympathie um den Hals fällst, weil ich deine beste Freundin bin und ich dich kenne. Aber Lyn? Sie ist deine feste Freundin und auch wenn sie das Schicksal, mit dir zusammen zu sein, obwohl du sie nicht liebst, freiwillig gewählt hat und du ihr nie etwas vorgemacht hast, ist es nicht fair."

"Keine Sorge, ich werd' die Beziehung mit ihr beenden."

Aryn drehte sich zu mir um und murmelte leise: "Um sie mach ich mir keine Sorgen, sondern um dich. Wann hast du das letzte Mal aufrichtig geliebt? Wann hast du überhaupt das letzte Mal Gefühle gezeigt?"

Ich schwieg. Ich konnte nicht reden. Und normalerweise verstand Aryn das und machte einen Bogen um diese Themen in meinem Leben. Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen. Sie kannte meine Antwort. Langsam kam sie auf mich zu und beugte sich hinab, um mich kurz zu küssen. Als sie mir so nahe war und ich ihre warmen Lippen auf meinen spürte, konnte ich ihre Augen feucht schimmern sehen, ehe sie sie schloss und flüsterte: "Dachte ich mir."

Feuer kann man nicht trauen...
 

"Jinra also."

Bei dem Klang der Stimme zuckte ich zusammen. Ich schloss die Augen und drehte mich bewusst nicht zu ihm um. Das konnte nicht wahr sein. Alexander lehnte sich gegen die Fensterbank neben mir und lächelte schief. Ich sah ihn kurz an und zwang mich dann, meinen Blick wieder abzuwenden. Meine Stimme klang nicht so abweisend, wie ich gewollt hatte, dazu zitterte sie zu sehr, als ich erwiderte: "Jinx, Jinx, Alexander."

Ich fluchte innerlich.

"Alec."

Ich starrte aus dem Fenster, verwirrt und wütend. Auf ihn, doch am meisten auf mich. Ich konnte nicht, ich hatte gelernt. Und einen hohen Preis gezahlt. Draußen war es genauso launisch, wie es in mir aussah. Schneidender Wind, mal Regen, mal Hagel.

Wann hast du überhaupt das letzte Mal Gefühle gezeigt?

Damals, bei Aryn. Doch auch sie konnte die Kälte nicht vertreiben, nicht die Alpträume, nicht das Blut und das Röcheln, das mich bis heute verfolgte. Sie sah mich als Letzte, sah meinen Herbst und meinen Niedergang, sah mich verlieren. Ich verkrampfte mich. Was war nur los mit mir? Wieso jetzt? Wieso er? Meine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, mein Kopf war gefüllt mit Chaos. Ich musste raus.

Kälte.

Sonst schmilzt das Eis.

Alexander wurde ernst.

"Jinx?"

Niemand durfte diese Frage stellen. Niemand.

Ruckartig drehte ich mich zu ihm herum, funkelte ihn wütend an, meine Antwort war harsch und bebte vor Emotionen. Mir stiegen Tränen in die Augen, angesichts diesen Verlust an Schutz und Kontrolle. Alexander war von meinem Gefühlsausbruch nicht überrascht, er lächelte nur traurig und ließ ohne Gegenwehr zu, dass ich ihn von mir wegstieß.

"Lass. Mich. In. Ruhe."

Genauso schnell, wie sie gekommen waren, verebbte die Wut jedoch wieder, als mir bewusst wurde, was ich tat. Als hätte ich keine Kraft mehr für Gefühle, keine Kraft mehr für das Leben. Ich hielt mitten in der Bewegung inne, den Kopf gesenkt, und starrte auf meine Hände, unfähig, mich zu bewegen. Alexander reagierte vorerst auch nicht, blieb einfach so vor mir stehen, ehe er schließlich die Hand hob.

Rote Tränen, silberne Tränen

Mein Blick hing an seinem Handgelenk fest. Deswegen trug er also immer ein Lederarmband. Und obwohl ich ganz genau wusste, was das bedeutete, sperrte mein Kopf sich dagegen, es war einfach zu viel. Ich konnte nicht mehr. Ich wollte nicht mehr, es war beängstigend, ich war beängstigend. Diese Gefühle, diese Gedanken, sie sollten nicht sein. Sie sollten weit, weit weg sein.

Ich riss mich los und rannte aus dem Kursraum, ungeachtet der Schüler, ungeachtet des Lehrers, der mir entgegenkam, ungeachtet von Alexander, der noch immer im Raum stand und sein Handgelenk umklammerte. Raus, einfach raus. Kälte. Ruhe. Eis.

Eis.

Glas.

Erdbeben bringen Glas zum Splittern.

Mein Atem beruhigte und meine Sich klärte sich. Ich war an der alten, verlassenen Fabrik angekommen, die von Efeu und Graffiti bedeckt war, hässlich und grau. Ein beliebter Treffpunkt einiger Hopper, doch das Geheimnis ihres Inneren kannte kaum jemand. Ich schlüpfte durch den Vorhang aus Efeu und schob die hohle Betonwand ein Stück zur Seite. In der Fabrik war es dunkel, doch ich fand meinen Weg auch so. Über Kisten, zerfallene Maschinen, Unkraut und Tierkadaver, in die oberste Etage. Das Glasdach war längst nicht mehr zu sehen, Efeu und andere Ranken verdeckten es vollständig, sodass der Raum in angenehmes Zwielicht getaucht war. Ich setzte mich auf die morschen Kistenstapel am Rande des großen "Sees".

Aryn fand mich.

Ich saß noch immer auf den Kisten und starrte teilnahmslos auf das brackige Wasser, ohne wirklich etwas zu sehen. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich schon hier war, als ich leise Schritte hörte und den Rauch roch. Es war mir egal. Ich drehte mich nicht zu ihr um, schweigend blieb ich an Ort und Stelle. Sie setzte sich neben mich und blickte ebenfalls auf die Wasseroberfläche. Erst als sie ihre Zigarette zu Ende geraucht hatte und sie sie ins Wasser schnippte, brach Aryn das Schweigen.

"Du hast also gesehen, dass Alexander nicht so ist, wie sein Schein. Und?"

"Und er ist immer noch keine Frau", erwiderte ich tonlos und nahm einen kleinen Kieselstein, den ich einen Moment in der Hand wog, ehe ich ihn über das Wasser flitschen ließ. Aryn folgte meinem Beispiel und übertrumpfte mich um zwei Sprünge. Ich setzte nach, doch der Stein versank schnell, zurück blieben nur die Kreise auf der Oberfläche des dreckigen Wassers, die jedoch ebenfalls schnell verschwanden. Zurück blieb nichts.

Vergänglich

"Vielleicht ist es genau das."

Sie gab es ebenfalls auf und seufzte. Aber als sie mich ansah, umspielte ein Lächeln ihre Lippen, während sie neckend sagte: "Manchmal ist es echt schwer, dich zu mögen."

"Ich bitte niemanden darum."

"Und wenn ich dich bitte? Wenn Alexander dich bittet?", fragte Aryn ernst und bekam jedoch nur ein Schulterzucken als Antwort.

Feuer kann man eben nicht vertrauen...



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