Zum Inhalt der Seite

Ein ungewöhnlicher Mitbewohner

von
Koautor:  Caracola

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

32. Kapitel

Patrick hatte Adrians stumme Tränen erst nach einer Weile bemerkt. Er sah einfach völlig fertig aus und solange Emily nicht aufwachte, würde sich das wahrscheinlich auch nicht ändern. Am liebsten hätte Patrick seinem Freund über den Rücken gestreichelt, aber diesmal gab er dem Bedürfnis nicht nach. Hier ging es nicht darum Adrian zu trösten, sondern ihn auf seine Art mit der Situation fertig werden zu lassen. Immerhin war er so weit, dass er sich Emily näherte und ihre Hand nahm. Er hatte sogar so viel mehr getan, indem er diese psychisch labile Frau hinter Gitter gebracht hatte, die Schuld daran war, dass Emily hier im Krankenhaus lag.

Leise stand Patrick auf und ging zur Tür, um die beiden allein zu lassen. Seine Beteuerung, dass er nicht weit weggehen würde, hörte Adrian bestimmt gar nicht.
 

Diesmal war es anders. Sie hatte schlafen wollen, aber irgendetwas zwang sie dazu, aufzuwachen.

Emily war sich sicher, dass jemand sich neben ihr bewegte. Ziemlich nah an ihrem Arm. Außerdem war da eine Hand, die ihre hielt.

Als sie die Augen aufschlug, brannte ihr das Licht auf der Netzhaut, obwohl es gar nicht wirklich hell in dem Raum war und es war so anstrengend, dass sie sie eigentlich gleich wieder schließen wollte. Doch sie tat es nicht.

Sogar noch mehr Anstrengung erforderte es ihren Kopf zu drehen, um endlich zu sehen, wessen Hand sie da umschlungen hielt.

Als sie ihn sah, fing sie sofort an zu lächeln und drückte seine Hand noch etwas fester.

„A…ian.“ Sie brachte sie keinen Ton heraus, aber das war ihr egal. Sie war überglücklich ihn zu sehen. Auch wenn sie im nächsten Moment erschrocken war, wie blass und abgekämpft er aussah. Außerdem hatte er geweint. Seine Augen sahen völlig verquollen aus und waren gerötet.

Es kam Emily so vor, als wäre sie so weit von ihm entfernt gewesen, wie noch nie zuvor. Die Tränen, die sich in die Freiheit kämpften, konnten wohl am besten ihr überquellendes Herz zum Ausdruck bringen. Er sollte da nicht nur herum stehen. Er sollte nicht so traurig auf sie hinunter sehen.

„Kommst … du … mir?“ Fast hätte man das als Flüstern durchgehen lassen können. Emily war es egal, ob die Krankenhausvorschriften irgendetwas darüber sagten. Adrian sah so müde aus, als hätte er mindestens zehn Tage nicht geschlafen. Er musste sich hinlegen und sie wollte ihn in den Armen halten.

Ihre Hand war verdammt pelzig und schwer, aber irgendwie schaffte sie es, ihn ein wenig an sich heran zu ziehen. Er würde sie ein kleines Stück zur Seite schieben müssen und die Kabel waren sicher auch im Weg, aber Emily hätte sie sofort alle abgerissen, wenn sie Adrian dafür bei sich spüren konnte.

„…müde aus…“ Ihr selbst fielen schon wieder die Augen zu, aber sie versuchte ihn so lange in ihrem Blickfeld zu behalten, wie sie konnte. Seine Hand würde sie sowieso nie wieder loslassen.
 

Sie war wieder da. Sie war wieder bei ihm. So recht konnte er es noch nicht fassen.

Erst als Tränen ihre Wange hinab strömten und sie etwas zu sagen versuchte, stand er leicht schwankend auf, um sich über sie zu beugen, ihr zärtlich die Tränen von den Wangen zu wischen und ihr einen Kuss auf die Stirn zu geben. Mehr wagte er im Augenblick nicht, da sie so zerbrechlich aussah, wie er sich fühlte.

Als sie auch noch wollte, dass er zu ihr ins Krankenhausbett kam, da er vermutlich wie die Müdigkeit selbst aussah, schüttelte er leicht den Kopf. Schob den Sessel aber weiter ihr Bett nach oben, damit er seinen Oberkörper direkt neben ihrem Kopf ablegen konnte. Seine Hand hielt noch immer die ihre, während seine andere sanft und zärtlich über ihren Kopf streichelte. Emily hatte wenigstens versucht zu sprechen, auch wenn es ihr kaum gelang, Adrian brachte nicht einmal ein einziges Wort heraus. Dachte er zumindest, bis er seine Stirn an ihre Wange lehnte und in neue Tränen ausbrach, während er ihr mit bebenden Lippen zuflüsterte: „Ich liebe dich, Emily … Ich liebe dich so sehr … Geh nicht … Bitte verlass mich nie wieder … Ich … ertrage es … nicht noch einmal…“
 

Emily hatte seine Worte gehört, konnte ihren Ohren aber zunächst gar keinen Glauben schenken. Was Adrian ihr da sagte, schien wie eine Flutwelle auf sie einzustürzen. Ihn verlassen? Wieder? Aber sie hatte doch gar nicht… Was war denn nur…?

Es war alles so verwirrend, dass ihr Kopf anfing zu schmerzen, wogegen nur Adrians Hand ein wenig half, die ihr sanft durchs Haar streichelte.

„Sei … nicht traurig… Ich werd … nicht weggehen…“ Ihre Stimmbänder schienen nur aneinander vorbei zu kratzen, was höllisch wehtat und bewirkte, dass sie wieder ein wenig husten musste.

Unter dem Brennen, das sich in ihrer Lunge ausbreitete, stöhnte sie leise auf und hielt sich mit der freien Hand die Brust über der Decke, bis sich ihre Atmung wieder beruhigt hatte.

Aber selbst die Tatsache, dass es gleich wieder schmerzen würde, hielt sie nicht davon ab, Adrian mit der freien Hand über den Nacken und dann das Kinn hinunter zu streicheln. Leicht hob sie sein Kinn an, damit er ihre Lippen sehen konnte. Er sollte verstehen, was sie sagte, wenn er sie schon nicht hören konnte.

„Ich liebe dich auch."
 

***
 

Vor drei Tagen war Emily aus dem Krankenhaus entlassen worden. Und sie langweilte sich derart, dass sie bald die Wände hochgehen würde. Es war Wochenende und Adrian war entweder beim Arbeiten oder Emily zwang ihn, sich auszuruhen. Das endete jetzt schon seit drei Tagen so, dass sie den ganzen Tag im Bett oder auf der Couch herum lagen, DVDs guckten oder wenn Adrian nicht da war, las Emily in dicken Schmökern herum. Sie hatte sogar die Fütterung der Fische übernommen, allerdings hatte sie gestern gesehen, dass Adrian mit Argusaugen kontrolliert hatte, ob auch noch kein Fisch mit dem Bauch nach oben schwamm.

Eigentlich ging es ihr ganz gut. Sie hätte noch ein wenig im Krankenhaus bleiben können, aber dann wäre sie vermutlich an Langeweile gestorben, auch wenn sie jeden Tag Besuch bekam. Sie hatte einfach in ihre vier Wände zurückkehren wollen und die Ärzte hatten ihr bestätigt, dass das auch in Ordnung sei. Sie sollte nur zu große Anstrengungen vermeiden und sich ausruhen.

Für Emily hätte das normalerweise so viel bedeutet wie: Gehen sie keine Langstrecken laufen oder Tiefseetauchen, aber Adrian war da anderer Meinung und kettete sie mehr oder weniger in der Wohnung fest. Gestern hatte sie ihn mehr oder weniger aus der Wohnung und zur Arbeit gejagt, damit er ihre schlechte Laune nicht ausbaden musste.

Schmunzelnd sah sie zu den Fischen hinüber und klappte das Buch zu, das sie auf ihren Knien balancierte. Er war ja so süß, wenn er sich so um sie kümmerte. Aber Emily fühlte sich nicht schlecht. Sie musste nicht bemuttert werden, das hatte man im Krankenhaus viel zu lange getan.

Wie sollte das nur in den beiden folgenden Wochen werden, die sie noch von der Arbeit krank geschrieben war? Sie durfte raus gehen und Spaziergänge unternehmen, aber zu viel sollte sie auch nicht tun, damit niemand aus dem Museum sie sah, wenn sie doch eigentlich das Bett hüten sollte.

Also würde sie wieder mit Adrian ausschlafen und dann weiter sehen. Zu einem Spaziergang konnte sie ihn sicherlich überreden. Und wenn sie ehrlich war, genoss sie es auch sehr, in so nah bei sich und ständig um sich zu haben. Im Krankenhaus waren sie sich nie wirklich nahe gewesen, obwohl er sie täglich besucht hatte. Am liebsten hätte sie sich jederzeit an ihn geschmiegt, nur um seine Wärme zu spüren, auf die sie so lange hatte verzichten müssen. Aber Adrian behandelte sie wie ein rohes Ei. Als könnte sie unter seinem Arm zerbrechen, wenn er sie nachts an sich zog. Irgendwie musste sie ihm klar machen, dass es nicht so war.

Gegen Mitternacht, als der zweite Thriller im Fernsehen vorbei war, ging sie unter die Dusche und ins Bett. Eigentlich war sie nicht sonderlich müde, weil sie den ganzen Tag nichts gemacht hatte, also versuchte sie auf Adrian zu warten. Um zwei Uhr war sie doch eingeschlafen.
 

Das Wochenende nach Emilys Unfall hatte Adrian sich krankgeschrieben. Er wäre auch ganz und gar nicht dazu in der Lage gewesen, seine Schicht zu überstehen. Bestimmt wäre er schon nach einer Stunde zusammen gebrochen oder hätte sich so ungelenk bewegt, dass sich alle gefragt hätten, was dieser Nichtskönner da auf der Bühne überhaupt zu tun hatte.

Adrian war die Pause ganz recht, denn auch wenn er es nie zeigte, so erholte er sich nur sehr langsam, von den Anstrengungen der ersten Tage, während er sich so gut er konnte, um Emily kümmerte. Überhaupt könnte man schon meinen, er wäre regelrecht von ihr besessen.

Wenn er in ihrer Nähe war, wollte er ständig irgendetwas für sie tun, sie umsorgen, sie pflegen, ihr gesellschaftleisten und ihr total auf die Nerven gehen, auch wenn Letzteres eher unbeabsichtigt war.

War er jedoch einmal nicht bei ihr, kreisten ständige seine Gedanken um sie. Ob sie alles hatte, was sie brauchte? Wie es ihr wohl ging? Würde sich ihr Zustand vielleicht doch mit einem Mal verschlechtern, statt zu verbessern? Was wenn irgendetwas nicht mit ihren Werten stimmte?

Doch am Schlimmsten war da die Angst um sie. Sie fraß ihn jede Nacht auf, wenn sie ihn schließlich nach Hause schickte, damit er sich ausruhen konnte. Aber sie wusste nicht, dass er selbst dann nicht sehr gut schlief und immer wieder von Alpträumen geplagt wurde. Er hatte so schreckliche Angst, sie zu verlieren, dass es ihn fast schon wahnsinnig machte.

War es denn nicht immer so? Ging es einmal so richtig bergauf, kam dann nicht auch schon die Abwärtsspirale? Bedeutete das dann nicht, dass er im Augenblick seines größten Glücks wieder alles verlieren würde?

Dabei wusste Adrian sehr wohl, dass Alex nicht mehr auftauchen würde. Sie saß in der Psychiatrischen fest und würde dort auch für sehr lange Zeit nicht mehr heraus kommen. Dann aber fragte er sich, ob es ihr nicht doch irgendwie gelang, zu entkommen, nur um ihr Werk zu beenden.

Adrian wusste selbst, dass diese ganzen Gedanken, Sorgen und Ängste Großteils absolut unberechtigt waren, dennoch konnte er sich nur sehr langsam wieder entspannen und die Sorgen einmal ruhen lassen. Er wusste einfach nicht, wie er dagegen angehen konnte, außer einfach jeden Tag aufs Neue zu erleben, wie die Welt in Ordnung war und das es nichts gab, was er fürchten müsste. Doch schon einmal war sein Weltbild in seinen Grundfesten erschüttert worden. Wie sollte er das jemals vergessen?

Wenigstens gab ihm Emily Halt. Solange er bei ihr war, waren seine Ängste gemildert, da er wenigstens dabei sein würde, sollte etwas passieren. Vielleicht würde er dann in der Lage sein, etwas zu unternehmen. Doch die Zeiten ohne sie waren umso härter. Aber auch damit würde er irgendwann klar kommen. Bis die Routine des Alltags ihn wieder hatte, konnte es noch etwas dauern, aber die Schienen dafür waren gelegt. Es würde wieder alles gut werden. Dennoch, mit einem hatte er immer noch Recht. Sollte Emily ihn jemals verlassen, auf welche Weise auch immer, er würde es nicht verkraften. Sie war zu seinem Leben geworden. Auch wenn er ihr diese Bürde niemals so deutlich auferlegen würde.

Selbst das Tanzen war für ihn keine Therapie mehr, hielt es ihn doch davon ab, bei Emily zu sein. Dennoch gab er den Job nicht auf, denn es war eine solide Instanz in seinem Leben, die er brauchte, um sich im Alltag neu zurecht zu finden. Umso erleichtert war er dafür jedes Mal, wenn er endlich Heim kam, sich unter die Dusche stellte und dann zu Emily ins Bett kroch.

Inzwischen hatte sich so etwas wie ein festes Muster entwickelt. An den Wochenenden, wo er arbeiten musste, wartete sie in seinem Bett. Wenn er aber unter der Woche zuhause war, schliefen sie in dem von Emily. So kam keines der Betten zu kurz und es machte auf seine Weise Spaß. Auch wenn Adrian deutlich spürte, das Tag X kommen würde und zwar sehr bald.

Mit Tag X meinte er den Augenblick, an dem Emily sich dazu bereit erklärte, wieder fit genug zu sein, um ihm näher zu kommen, als nur Umarmungen und Küsse.

Sie hatten noch nie miteinander geschlafen und für Adrian war diese Tatsache nun noch weiter entfernt als bisher. Sein Verstand sagte ihm, dass sie bald vollkommen gesund sein würde und selbst jetzt schon kleine Anstrengungen verkraften konnte, aber sein Geist sperrte sich gegen dieses Wissen. Jedes Mal wenn er daran dachte, schob sich dieses Bild vor seine Gedanken, wie sie zerbrechlich und bleich in den Laken des Krankenhausbettes lag, von Kabel, Schläuchen und Monitoren eingekeilt.

Auch das hatte er Emily bisher verschwiegen, aber lange konnte er es nicht mehr verheimlichen. Nicht wenn Tag X gekommen war.
 

Es war Montagmorgen, als er sich zu Emily ins Bett legte, sie in seine Arme zog und versuchte, seine endlosen Gedanken endlich wieder zum Schweigen zu bringen. Sie war vielleicht müde genug, um kurz darauf wieder einzuschlafen, er jedoch brauchte nun immer sehr lange dafür. Da er dabei aber meistens die Augen schloss, fiel es nicht so sehr auf. Auch wenn Adrian es nicht zugeben wollte, Alex hatte auf ihre Weise bekommen, was sie wollte. Nichts war mehr so, wie es vorher war. Es schien sogar noch komplizierter geworden zu sein.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück