Eins
„Du hast dir in Hose gepisst, du Schisser!“ lachte Lowell, als sie zusammen mit Horace und dessen Frau Meredith das verwunschene Herrenhaus verließen. „Das ist Schweiß!“ verteidigte sich Yurick, dem inzwischen die Röte ins Gesicht gestiegen war.
Er war immerhin 3 Mal von diesem Skelett durch den Spiegel verschleppt und in einen Sarg gebettet worden. Lowell war das nicht passiert. Außerdem mochte er Spuckgeschichten eh nicht besonders. Und dann musste Lowell ihn auch noch damit aufziehen, dass er sich in die Hose gemacht hatte.
„Ja klar, Schweiß.“ antwortete der Blonde mit Ironie in der Stimme. „Weißt du Yurick, wenn du mir erzählt hättest, dass es etwas anderes ist, hätte ich es dir vielleicht noch geglaubt. Wobei ich mir dann Sorgen um deine Psyche machen müsste, angesichts dessen, dass du bei den Skeletten und Geistern einen hochbekommen hast… Aber so oft wie du jemanden abschleppst bin ich mir ziemlich sicher, dass bei dir alles nicht mehr so funktioniert wie es soll.“ spottet Lowell weiter. Natürlich meinte er das alles nicht so ernst, doch Yurick war das alles mehr als nur peinlich. Vor allem, weil die anderen dabei waren.
„Hört doch mal auf zu streiten. Yurick ist nun mal nicht so ein Weiberheld wie du.“ mischte sich Dagran mit ein. Es war nicht das erste mal, dass Lowell sich so über andere lustig machte. Auch Dagran selbst war schon Opfer von Lowell’s Spott geworden. Doch er lies das nicht so an sich heran wie Yurick. Außerdem hatte er dem blonden Frauenheld danach ordentlich den Kopf gewaschen, sodass er bis heute nicht mehr gewagt hatte, etwas über ihn zu sagen. Wenn Syrenne und Lowell sich stritten, schritt er nie ein. Wozu auch? Die beiden hatten es nötig, ständig zu streiten oder in Auseinandersetzungen zu geraten. Wenn man es sich mal recht überlegte, waren die beiden schon fast wie ein altes Ehepaar. Wobei, dann hätten sie sich wahrscheinlich schon längst gegenseitig die Köpfe eingeschlagen.
Yurick senkte den Blick und sagte nichts mehr, bis sie in der Taverne angekommen waren. Auch Lowell hielt sein Mundwerk solange und fing erst wieder an zu reden, als Dagran außer Sichtweite war. Er wollte nicht noch einmal so eine Standpauke bekommen, wie das letzte Mal. Wenn es ja nur bei der Standpauke geblieben wäre…
Sein erster Gang ging zu Ariela, der Wirtin, wo er sich ein Bier bestellte. Danach glitt sein Blick suchend durch die Taverne, doch er fand nicht, wonach er suchte. Gestern hatte er sich noch mit einer hübschen Blondine verabredet, doch diese hielt es scheinbar nicht für nötig, zu ihm zu kommen. Brummend setzte er sich zu Syrenne, die bereits ihren ersten Bierkrug geleert hatte. „Was ziehst du denn für ein Gesicht? Wurdest du sitzen gelassen?“ fragte sie grinsend und sah kurz in den Bierkrug, in dem schon fast nichts mehr drin war. Lowell’s Brummen zu schließen, hieß das wohl ‚ja‘. Sofort fing sie an zu kichern. „Du bist wohl doch nicht bei allen Weibern so beliebt, wie du immer denkst.“ sagte sie schmunzelnd und sah auf, als Dagran an den Tisch trat. So wie es aussah, wollte er sich Lowell nochmal zur Brust nehmen. Es war immerhin nicht das erste mal, dass er Yurick so geärgert hatte. Doch was Dagran dann sagte, überraschte sowohl Syrenne, als auch Lowell. „Du solltest dich bei Yurick entschuldigen.“ sagte er nur und ging zurück zu Zael und Mirania, die sich angeregt über Jirall und den Tod von General Asthar unterhielten.
Lowells Blick glitt zu Syrenne und ihr Blick musste mindestens genauso dämlich sein, wie sein Eigener. „Was war das denn?“ fragte Lowell verwirrt. Als Antwort zuckte Syrenne nur mit den Achseln. „Tu lieber, was er sagt. Du weißt, wie er werden kann.“ riet sie ihm und setzte den Bierkrug wieder an die Lippen. Lowell seufzte. Er wusste ja, dass Syrenne recht hatte. Er stand auf und ging die knarrenden Stufen nach oben und betrat ihr Zimmer. Wenn Yurick nicht unten war, saß er meistens oben. Doch auch dort war er nicht. Der Blondschopf ging wieder nach unten, hatte sofort Dagrans Blick auf sich und schuldabweisend die Arme. „Hey, sieh mich nicht so an. Oben ist er nicht.“ verteidigte sich Lowell sofort, ohne dass Dagran auch nur ein Wort gesagt hatte. Mit einer Kopfbewegung deutet er Lowell an, dass sich Yurick wohl draußen befinden musste. //Und warum sagt er mir nicht gleich wo er ist?// dachte sich der Blonde und kam sich bereits jetzt verarscht vor. Aber was sollte er tun? Mit Dagran wollte er sich kein zweites Mal anlegen. Also ging er nach draußen und suchte dort nach Yurick. Diesen fand er am Anbau der Taverne, in dem sich die Toiletten und Gemeinschaftsbäder befanden. Yurick saß mit dem Rücken zu Lowell gewandt in einer der hölzernen Wannen. Die Haare, die bis zum Nacken reichten, bewegten sich in sanften Bewegungen im Wasser. Das Wasser bedeckte seinen nackten Körper bis zum Hals. Yurick griff blind nach hinten und zog einen Wasserkübel zu sich. Diesen kippte er sich über den Kopf und stand dann auf. Er drehte sich um, hatte den Blick weiterhin gesenkt, stieg aus der Wanne und nahm sich das Handtuch, mit welchem er sich abzutrocknen begann. Er hob den Blick und sah dann schließlich Lowell, der ihn immer noch wie gebannt anstarrte. Yurick legte das Tuch weg und begann sich wieder anzuziehen. Lowell hatte er bis jetzt gekonnt ignoriert.
Lowell löste sich langsam aus der Starre, musterte ihn aber von unten bis oben. Erst als er in Yuricks Augen blickte sah er, was sich hinter der Augenklappe verbarg. Aber was war das? Scheinbar irgendeine Art Mal. „Was ist mit deinem Auge?“ fragte er dann zögerlich. Moment… Hatte er gerade zögerlich etwas gefragt? Er und zögerlich? Wenn er Glück hatte, hatte Yurick das nicht bemerkt.
„Das geht dich nichts an.“ antwortete dieser kühl und band sich die Augenklappe wieder um. „Wenn du mit einer deiner Weiber baden gehen willst, kannst du das jetzt ungestört tun.“ fügte er noch hinzu, ging aus dem Bad und zog sich die Schuhe wieder an. Dass Lowell ihm folgte hörte er an den schweren Schritten auf dem Holz. „Ich wollte mich entschuldigen.“ hörte er den Blonden hinter sich sagen.
Yurick blieb stehen und drehte sich um. „Du und dich entschuldigen? Seit wann machst du denn sowas?“ fragte er und verschränkte die Arme von der Brust. Das klang aus seinem Mund wirklich albern. So etwas tat er doch sonst nie. Und wenn doch, dann meinte er es nicht ernst oder er lies gleich danach wieder einen Spruch los. Doch langsam dämmerte er es dem jungen Mann, mit dem silbernen Haar. „Dagran hat dich geschickt, hab ich recht?“ fragte er dann.
Lowell sah Yurick überrascht an, grinste dann aber verlegen und nickte. „Aber im Ernst. Tut mir echt Leid, was ich da zu dir gesagt hab.“ sagte er dann nochmals und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Sich zu entschuldigen war einfach nicht seine Art.
„Ich weiß wie du es meinst.“ antwortete Yurick kühl und ging ohne ein weiteres Wort in die Taverne.
Lowell sah Yurick verwirrt nach, folgte ihm dann aber und ging gleich zu Dagran um ihm zu berichten, dass er sich entschuldigt hatte. Zum Glück glaubte er es ihm auch. Lowell ging zurück zu Syrenne, die inzwischen schon angetrunken war und setzte sich. „Hast du mein Bier ausgetrunken?“ fragte er dann mit hochgezogener Augenbraue. „Ja… Has’n Broblem damid!?“ fragte sie lallend und mit lauter Stimme. Lowell wusste, dass es keinen Sinn hatte sich jetzt mit ihr anzulegen. Würde er es doch tun, würde es wahrscheinlich in einer Schlägerei enden. Murrend ging er zu Ariela und bestellt sich noch ein Bier. Er setzte sich an den Tresen und trank dort sein Bier. Seine Gedanken schweiften dabei zu Yurick und dessen Auge. Er wollte nach wie vor wissen, was es damit auf sich hatte. Doch so wie er Yurick kannte, verlor dieser auch nicht ein Wort darüber. Allgemein war er ziemlich still und in sich gekehrt. Insgeheim fragte sich oft, warum er so war. Lag es vielleicht an seiner Vergangenheit? Wenn er so recht darüber nachdachte, hatte Yurick fast noch nie etwas über sich oder seine Vergangenheit erzählt. Und wenn er weiter so nachdachte… Seit wann dachte er eigentlich so viel nach? Das sah ihm absolut nicht ähnlich.
Er trank das Bier aus, stellte den Krug ab und hörte plötzlich einen Schrei von oben. Das war ganz eindeutig Yurick. „Yurick!?“ schrie bereits Zael und rannte nach oben. Die anderen folgte ihm sofort und als Zael die Tür zu ihrem Zimmer aufriss, war dort niemand. Doch das Fenster war weit aufgerissen. Zael eilte zum Fenster, sah nach draußen und sah ein paar Reptiden, die mit Yurick auf den Schultern die Straße entlang rannten. Yurick allerdings hing wie leblos über den Schultern eines Reptiden.
Ohne lange nachzudenken sprang Zael aus dem Fenster und den Reptiden hinterher. Doch diese hatten einfach einen viel zu großen Vorsprung, sodass Zael und die anderen, die ihm gefolgt waren, nicht einholen konnten.
Lowell sah etwas Schwarzes am Boden liegen und hob es auf. Es war Yuricks Augenklappe. Was wollten die Reptiden und warum hatten sie es ausgerechnet auf Yurick abgesehen?
