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Memori3s

von

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Flügel stutzen

Nach einer Nacht im Krankenbett fühlte sich Ares viel besser und soweit erholt, dass die Ärzte ihm erlaubten, das Zimmer zu verlassen, wenn er versprach, sich nicht zu überanstrengen. Der Verband wurde am nächsten Tag abgenommen. Zur Verwunderung aller hatte sich Ares bei seinem Sturz keine Platzwunde zugezogen, was ihm selbst am meisten erstaunte- sein Kopf hatte sich angefühlt, als würde er auseinander brechen, wäre der dicke Verband nicht da gewesen, um alles zusammenzuhalten. Als er sich einmal im Spiegel betrachtete, entdeckte er, dass man ihm eine Ziffernfolge in den Nacken tätowiert hatte- zur Identifikation, so wurde es ihm erklärt; jedes Mitglied habe eine solche Tätowierung.

Am merkwürdigsten waren allerdings die Verbrennungen an seinen Schläfen. Die Ärzte beruhigten ihn und sagten, dass sie nichts zu bedeuten hätten und eine Folge der Behandlungen seien. Ares war am Anfang noch misstrauisch gewesen, schob dieses jedoch schnell wieder beiseite und verschwendete keine weiteren Gedanken an die Verbrennungen. Er konnte in seinen Erinnerungen partout keinen Anhaltspunkt auf sie finden und da er nichts von Medizin verstand und die Begründung der Ärzte- auch wenn sie mehr als oberflächlich hingestellt worden war- plausibel klang, hakte er es schlichtweg ab. Sie taten nicht weiter weh, wenn man sie nicht direkt berührte, oder störten in irgendeiner Hinsicht- warum sollte er sich also dann den Kopf über sie zerbrechen?

Drei Tage nachdem er wieder aufgewacht war, kam Zeus in das Zimmer, das ihm nach seiner Entlassung zugeteilt worden war, und führte ihn durch Olymps unterirdische Stadt.

Es waren zwar nur Gänge, die sich endlos und verwirrend aneinanderreihten, allerdings gab es so viele verschiedene Räume und Einrichtungen, dass man hier bequem Untertage hätte leben können. Zeus zeigte ihm die restliche Krankenstation, die Gänge, auf denen sich die Zimmer und kleinen Wohnungen der Mitglieder befanden, Fitnessräume, den Gemeinschaftssaal, und langsam wurde Ares bewusst, dass dieses, im Vergleich hierzu, kleine Parkhaus nur die Spitze eines riesigen unterirdischen Komplexes war, dessen Ausmaße niemandem, der oben über die Straßen ging, bewusst war.

Der Rundgang endete in einer weiteren Halle, in dem sich eine recht ansehnliche Schar von trainierenden Männern aufhielt. Sie standen in kleinen Gruppen zusammen, manche Schwerter in den Händen haltend, andere standen sich in Kampfpositionen gegenüber und warfen sich auf verschiedenste Weisen zu Boden.

Kurz versuchte Ares einen Überblick über das Geschehen zu bekommen, bis ihm Zeus eine Hand zwischen die Schulterblätter legte und ihn mit sanfter Gewalt durch den Raum lotste. Er steuerte auf einen Mann zu, der abseits der anderen stand und ein schwarzes Schwert langsam und konzentriert durch die Luft schwang. Das Licht brach sich zu Ares` Verwunderung rötlich auf dem schwarzen Metall der Klinge und fasziniert verfolgte er das Schauspiel, das sich ihm bot.

„Herk.“, rief Zeus dem Mann von weitem zu, der sein Training sofort unterbrach und sich zu den Herannahenden umdrehte. Er trug eine dunkle Sporthose und ein schwarzes Shirt, dessen Ärmel er ganz hochgekrempelt hatte, sodass seine breiten Schultern noch stärker hervortraten. Seine dunklen Haare waren auf wenige Millimeter herunter geschnitten worden und das Gesicht des Mannes schien von Wetter und Kämpfen gezeichnet und verhärtet zu sein. Er nickte Zeus kurz zu, was dieser ebenso knapp erwiderte. Ares schien er gar nicht zu beachten.

„Herk, hättest du eine Minute?“

Der Angesprochene zuckte mit den Schultern und legte das schwarze Schwert zur Seite. „Sicher.“

„Das ist Ares.“, fuhr Zeus weiter fort und deutete mit der Rechten auf den Jüngeren und zum ersten Mal schaute auch der Andere zu ihm, als habe er erst jetzt gemerkt, dass Zeus nicht alleine gekommen war. „Er wird dein neuer Schüler sein.“, fügte Zeus hinzu, dann drehte er sich zu Ares um. „Herakles ist einer der Besten hier, also stell dich gut an. Er wird dir alles beibringen, was er weiß.“

Ares nickte zögernd. Der Blick dieses Herakles- oder Herk- war unangenehm kühl und abweisend, dass es schon beinahe unerträglich war, ihn auf sich selbst gerichtet zu spüren. Ohne weitere Anweisungen oder nähere Bekanntmachungen verabschiedete sich Zeus und verließ die Halle wieder. Ares hatte ihm noch kurz hinterher geschaut, dann lag sein Augenmerk wieder auf seinem…Lehrer…oder Ausbilder, je nachdem, wie militärisch seine Lehrzeit unter Herk ausfallen würde- und nach seinem Blick zu urteilen, hätte Ares es kein Stück gewundert, wenn er diesen Mann mit ‚Leutnant‘ hätte ansprechen müssen.

Herakles, schoss es ihm wieder durch den Kopf. Der Held der griechischen Mythologie schlechthin, der mit einer Intelligenz und Listigkeit gesegnet war, die selbst die Götter dumm aussehen ließ und stärker als hundert Männer gewesen war- die Statur dafür hatte diese Version hier allemal…

Nachdenklich runzelte Ares die Stirn und musterte seinen Gegenüber, dass dieser mürrisch eine dunkle Augenbraue hochzog.

„Hab ich was im Gesicht?“, brummte Herakles und verschränkte die Arme vor der Brust, sodass sich die Muskeln seiner Oberarme spannten und er noch breiter wirkte. Ares beeilte sich den Kopf zu schütteln und ging zur Sicherheit einen unauffälligen Schritt nach hinten.

„Nein, ich-“, begann er unsicher und versuchte es mit einem beschwichtigenden Lächeln. „Ich habe mich nur gerade gefragt, ob wir uns schon mal begegnet sind…“

Die letzten Worte hatte er unbewusst so betont, dass es wie eine vorsichtige Frage klang, die Herks Braue noch höher wandern ließ. Herk verengte kurz misstrauisch die Augen, dann nickte er jedoch.

„Mehrmals. Ich habe dich vor ein paar Tagen zu Zeus gebracht, als du hier bei uns angefangen hast-“ Er legte eine kurze Pause ein, in der sich ein breites Grinsen auf seine wettergegerbten Gesichtszüge stahl. „und ich hab dich gefunden, nachdem du deinen Freiflug vom Parkdeck genossen hast.“

Augenblicklich wurde Ares warm im Gesicht und er beeilte sich, den Blick abzuwenden. Herk lachte kurz und hart auf und schüttelte den Kopf, dann verschwand der Ausdruck aus seinem Gesicht wieder und im nächsten Moment sah er genauso grimmig wie vorher aus.

„Komm mit.“, sagte er knapp und bei ihm klagen diese harmlosen Worte wie ein energischer Befehl, den Ares widerstandslos befolgte.

Herakles führte ihn in eine andere Ecke, in der große Bodenmatten ausgelegt waren. Zwei Männer kämpften gerade auf diesen, doch als sie den breitschultrigen Mann näher kommen sahen, hörten sie augenblicklich auf und räumten freiwillig das Feld.

Herakles stellte sich in die Mitte einer der Matte und bedeutete Ares, es ihm gleich zu tun.

„Kannst du dich verteidigen?“, brummte Herk, kaum dass der Jüngere bei ihm angekommen war. Dieser blinzelte verwundert und hob die Schultern.

„…ich glaube schon.“, mutmaßte er. Kaum hatte er seine Vermutung geäußert, war der Mann blitzschnell an ihn herangetreten, packte den Jungen an den Schultern und warf ihn zu Boden, als wöge er nicht mehr als ein Stück Papier- alles in allem, hatte das Manöver keine zwei Sekunden gedauert…

Erschrocken holte Ares Luft und unterdrückte nur schwer ein gequältes Stöhnen. Der Sturz war nicht besonders schmerzhaft gewesen, doch Herks Griff glaubte er immer noch an seinen Schultern pulsieren zu spüren. Der Leutnant stand über ihm und beäugte ihn wie einen Käfer, der hilflos auf dem Rücken lag.

„Regel Nummer Eins: Glauben tust du in der Kirche und dieser Ort hier ist weder heilig, noch ein Exil für Schwächlinge.“, erklärte Herakles nüchtern und bot Ares eine Hand an, um wieder auf die Beine zu kommen. „Hier gibt es zwei Fraktionen:“, fuhr der Mann weiter fort und verschränkte wieder die Arme vor der Brust. „Die, die denken und die, die handeln. Die, die denken, liegen in Schützengräben oder auf Hochhausdächern und zerbrechen sich minutenlang darüber den Kopf, wie sie ihrer Zielperson am elegantesten den Schädel wegblasen und danach ihren eigenen Hintern in Sicherheit bringen können- ich persönlich halte nicht viel von diesen Feiglingen und wenn du vorhast, ein Scharfschütze zu werden, bist du bei mir an der falschen Adresse.“ Er schwieg für ein paar Augenblicke, in denen er Ares abschätzend musterte, dann fügte er schulterzuckend hinzu: „Da es allerdings Zeus war, der dich zu mir geschickt hat, geh ich mal davon aus, dass er dir nicht zutraut, zu denken- bleibt also für dich nur die Fraktion der Handelnden.“

Ares war sich nicht sicher, ob sein Gegenüber diesen Kommentar tatsächlich als Beleidigung gemeint hatte, allerdings empfand er ihn als solche und gerade, als er Luft für einen Einwand holen wollte, sprach Herk- den Jüngeren gekonnt übergehend- weiter.

„Wir stehen unserem Feind direkt gegenüber, wir verkriechen uns nicht und wir erledigen unseren Job nicht aus sicherer Entfernung heraus. Die, die handeln, haben keine Zeit über ihr Vorgehen nachzudenken, sie tun es! Du wirst lernen müssen, instinktiv richtig zu handeln- töten können die meisten; überleben tun nur die wenigsten.“

Er ging ein paar Schritte rückwärts und nahm eine Haltung ein, die Ares stark an eine Kampfposition aus einem Karatefilm erinnerte. „Also merk dir eines: du glaubst nicht, du denkst nicht, du weißt- Regel Nummer Zwei! Ich frage dich noch mal: weißt du, wie du dich verteidigen kannst?“

Es kam Ares ein wenig lächerlich vor, wie dieser Muskelprotz dort mit nach oben gedrehten Handflächen stand und eine miserable Bruce Lee- Imitation ablieferte. Ares hatte diese Filme immer sehr gerne gesehen und konnte den ein oder anderen Kniff sogar selbst anwenden- der Leutnant mochte vielleicht mit diesem faszinierenden Schwert ganz gut umgehen können, aber das hieß ja noch lange nicht, dass er auch das hier gut beherrschte. Der Sturz von gerade bewies noch gar nichts, da hatte ihn dieser Typ nur in einem unfairen Moment überrumpelt. Ares begann zu grinsen, tat es Herakles gleich und nahm dieselbe Position wie er ein.

„Ja, ich weiß, wie ich mich verteidigen kann.“, antwortete er betont und winkte den Mann herausfordernd zu sich- dass dies eine eher schlechte Idee gewesen war, bekam Ares wenige Sekunden später zu spüren. Er hielt diesmal länger durch, keine Frage; um genau zu sein, vier Sekunden und zwei beinahe sanfte Schläge von Herks Linken, dann jedoch setzte der Mann mit atemberaubender Geschwindigkeit einen Fußtritt nach und wieder fand sich Ares auf der harten Matte wieder. Diesmal fiel ihm das Atmen schwerer, da Herk seine Rechte präzise auf seinen Brustkorb runter drückte.

„Regel Nummer Drei:“, knurrte Herakles düster und beugte sich zu ihm hinunter. „Ich hasse Lügner, also gewöhn dir das schnell ab.“ Eine Sekunde lang starrten sie sich in die Augen, dann stand der Mann auf und verließ den Ring der Matte ohne ein weiteres Wort.

Das Gesicht verziehend, richtete sich Ares wieder auf und hielt sich die schmerzende Stelle, gegen die sein Herz wild von innen hämmerte. Atem- und fassungslos sah er seinem Lehrer hinterher.

Ares hörte ein Lachen in seinem Rücken und schnell schaute er über die Schulter zu der Geräuschquelle. Ein dunkelhaariger Mann mit großen Kopfhörern stand in einigen Metern Entfernung am Rand einer anderen Matte und schaute belustigt zu Ares herüber. Sein leises Lachen war pures Salz in seiner frischen Wunde gewesen und wütend starrte Ares zu dem jungen Mann zurück. Dieser musterte ihn noch einen Moment lang, dann schüttelte er grinsend den Kopf, setzte die Kopfhörer auf und wandte sich von ihm ab. Er hörte den Dunkelhaarigen noch kurz etwas summen, das sich stark nach dem Refrain von Pretty fly anhörte, dann war er schon außer Hörweite.

Ares wurde heiß im Gesicht und zähneknirschend kam er wieder auf die Beine.

Dämlicher Affe, dachte er grimmig und sah dem Unbekannten wütend nach.
 

Die Tage der nächsten Wochen liefen in der Regel immer gleich ab.

Früh und zeitig aufstehen, anziehen, müde Knochen zum bescheidenen Frühstück schleppen und den leeren und grummelnden Magen zum Schweigen bringen.

Danach eine Runde Prügel von Herk einstecken- Ares hatte am Anfang noch versucht, diese Prozedur Training zu nennen, doch das, was der Leutnant mit ihm anstellte, wollte beim besten Willen und selbst mit zugekniffenen Augen nicht unter diese Definition fallen. Er hatte sich Herks Regeln zu Herzen genommen und nach kurzer Zeit aufgehört, zu beteuern, dass er sich verteidigen könne- nach der zehnten Widerlegung dieser Behauptung und einer aufgeplatzten Unterlippe, musste auch Ares einsehen, dass er doch ein wenig dick aufgetragen hatte…

Nichtsdestoweniger machte er Fortschritte- kleine, aber beständige und nach zwei Wochen Training schaffte es Ares, eine ganze Minute lang gegen seinen Lehrer im Ring zu bestehen, ehe er wieder mit einem ihm unbekannten Griff auf dem Mattenboden landete.

Mittags hatte er eine Stunde Pause, in der er sich meistens nach oben auf eines der Außendecks des Parkhauses stahl, um seine immer noch zahlreichen Wunden zu lecken und in Ruhe eine Zigarette zu rauchen- seit er hier angefangen hatte, war sein Zigarettenkonsum sehr schnell zusammengeschrumpft, allerdings gönnte er sich diese eine weiterhin mit Genuss. Ares war nicht der einzige, der hier oben Zuflucht suchte und so traf er sich schon bald mit zwei oder drei Mitgliedern regelmäßig auf dem Dach, um mit ihnen zu reden- vorzugsweise wurde über die höheren Tiere und Lehrer bei Olymp gelästert, Missionen besprochen oder man fand irgendein anderes Tratsch-Thema, wobei es bei den meisten um die leichten Mädchen aus der Umgebung ging.

Nachmittags drückte Herakles ihm ein Holzschwert in die Hand und schlug dann auf ihn ein- was nicht weniger schmerzhaft oder fairer war, als mit bloßen Händen zu Boden gerungen zu werden, aber Ares fand an dieser Art zu kämpfen größeren Gefallen, als gar keine Waffe gegen den Leutnant zu haben. Ab und zu entdeckte Ares auch den Unbekannten mit den Kopfhörern in der Trainingshalle und jedes Mal, wenn sich ihre Blicke trafen- trotziges Eisblau und amüsiertes Grasgrün- war es wie ein zusätzlicher Schlag ins Gesicht, der Ares` Wut schürte und ihn innerlich zum Berserker mutieren ließ- wie gut, dass er diese überschäumende Energie gewissenhaft an seinem Lehrer auslassen konnte; der darauf folgende reale Schlag war dann sogar noch hilfreich, um wieder klar denken zu können.

Abends fiel er dann wie ein Stein in sein Bett und schlief sofort ein- nur um am nächsten Tag denselben Wahnsinn durchzumachen: aufstehen, essen, Prügel, Zigarettenpause, lästern, Prügel, ärgern, Prügel, schlafen…

Dann, einen Nachmittag, nachdem Herk ihm beim Training mit dem Holzschwert so stark gegen die Arme geschlagen hatte, dass Ares das Schwert zitternd aus den verkrampften Händen gerutscht war und Herk seinem Schüler mit einem genervten Schnauben zehn Minuten Pause eingeräumt hatte, saß er am Rand einer Matte und sah konzentriert zu der gegenüberliegenden Ecke der Halle, in der dieser provokante Typ mit den Kopfhörern- dessen Name Ares immer noch nicht wusste- mit einem Schwert rumfuchtelte, was drei weitere Mitglieder mit staunenden Augen innig und aufmerksam verfolgten. Ares hatte ihn schon öfters beobachtet und dieser lechzende Fanklub, der an seinen Bewegungen wie zäher Schleim zu kleben schien und ihn vergötterte, war immer in seiner Nähe. Angewidert rümpfte Ares die Nase und verschränkte die Arme. So toll war dieser Lackaffe nun auch wieder nicht…

„Was ist los, Ares? Du siehst aus, als hättest du etwas Schlechtes gegessen…“, hörte er jemanden neben ihm auf einmal sagen und grummelnd sah Ares zu demjenigen hoch.

Hermes grinste und setzte sich neben Ares auf den Boden. Der junge Mann gehörte zu den Mitgliedern, mit denen er sich manchmal auf dem Dach traf und sich über irgendeinen unwichtigen Kram unterhielt. Hermes war ein paar Jahre älter als Ares, über einen Kopf kleiner und im Gegensatz zu den ganzen anderen Kriegern hier im Raum eher schmächtig und zierlich gebaut, sodass er schon allein deshalb wie ein Specht unter Raben auffiel- seine blau gefärbten Haare, die unter seiner schwarzen Wollmütze hervorleuchteten, taten ihr übriges. Ares sah ihn nicht oft hier, da er- um Herks Worte zu gebrauchen- zu der Fraktion gehörte, „der man zutraute, zu denken“ und somit den halben Tag in der außerhalb gelegenen Schießhalle zubrachte.

Mürrisch zuckte Ares mit den Schultern und sah weiterhin in die Ferne. Herakles hatte die Halle vor ein paar Minuten verlassen, um kurz mit Zeus zu reden. Sein Schwert lehnte neben Ares an der Wand und der Leutnant hatte ihm eingebläut, gut auf die Klinge aufzupassen- als ob es hier jemand wagen würde, Herks Schwert auch nur anzufassen oder gar zu stehlen, dachte Ares und musste innerlich lachen.

„So wie du aussiehst, hast du wieder ordentlich einstecken müssen, hm?“, feixte Hermes weiter, als er immer noch keine Antwort erhielt. Normalerweise konnte er den Jüngeren damit immer aus der Reserve locken, wenn er auf sein Training anspielte, doch diesmal blieb auch dabei jede Reaktion aus, sodass Hermes stirnrunzelnd Ares` Blickrichtung einschlug und verwundert die Brauen hob. „Sag bloß, du hast wegen Orpheus eine so brillante Laune…?“, mutmaßte er überrascht und tatsächlich legte Ares nun selbst die Stirn in Falten und sah zu seinem Nebenmann.

„Wer?“

Hermes deutete auf den Mann mit den Kopfhörern. „Orpheus?“, fragte er genauso ungläubig zurück und schüttelte lachend den Kopf. „Moment, wusstest du etwa seinen Namen noch gar nicht?“

„Kann mir ja schlecht den Namen von jedem Idioten hier merken.“, gab Ares schulterzuckend zurück, woraufhin Hermes noch ungläubiger guckte.

„Tja, diesen Idioten solltest du dir aber lieber merken- den kennt sogar bei uns jeder. Zurzeit ist Orpheus der beste Schwertkämpfer, den Olymp hat- er soll, Gerüchten zufolge, sogar besser als Herakles und Zeus sein.“ Wieder sah Hermes zu dem Mann rüber, den er als Orpheus vorgestellt hatte, Ehrfurcht und eine tiefe Bewunderung in seinen Augen. Ares dagegen verdrehte seine nur genervt und stand auf.

„Du solltest nicht so viel auf Gerüchte geben, Hermes.“, erwiderte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Auch Hermes stand auf und klopfte sich den Staub von der schwarzen Jeans.

„Glaub mir, Ares, der steht meilenweit über dir…“, begann er.

Orpheus hatte sich in der Zwischenzeit jemandem aus seinem Fanklub gekrallt und kämpfte nun gegen diesen. Nach wenigen Schlägen hatte er seinen Gegner entwaffnet und anerkennend begannen die anderen, die um die beiden herumstanden, zu murmeln und beipflichtend zu nicken. Orpheus bot seinem Gegenüber die Hand und grinste so breit, dass es bei Ares selbst aus dieser Entfernung einen Würgereiz auslöste. Hermes sah ebenfalls zu den Umstehenden und lächelte. „Weißt du, er ist für viele ein Vorbild und- hey… hey, was hast du vor?!“

Ares hatte sich in Bewegung gesetzt und ging geradewegs durch die Halle und als Hermes erkannte, was er in seiner Rechten hielt, stockte ihm vor Entsetzen der Atem.

„Bist du wahnsinnig?“, rief er mit aufgerissenen Augen und rannte hinter Ares her. „Das ist Herks Schwert! Verdammt, mach keinen Scheiß, Ares!“ Als er ihn eingeholt hatte, versuchte Hermes ihn am Arm zurückzuhalten, doch der Blonde ließ sich nicht aufhalten und ging immer weiter auf Orpheus zu, den Blick starr auf sein Ziel gerichtet. „Ares, bit-“

„Hey, Minnesänger!“

Als hätte jemand an der Lautstärke gedreht, wurde es auf einmal leise in der Halle und Hermes fiel alle Farbe aus dem Gesicht. Ares stand am anderen Ende der Matte, auf der Orpheus gerade noch trainiert hatte und sah mit wütend verengten Augen zu diesem herüber. Der Angesprochene drehte sich zu Ares um und hob verwundert die Brauen. Währenddessen startete Hermes einen letzten Versuch, seinen Freund aus der Gefahrenzone zu bringen- ein unmögliches und absurdes Unterfangen, wenn man den Größen- und Dickkopfunterschied beachtete; Hermes hätte auch genauso gut versuchen können, einen ausgewachsenen Bullen von einer saftigen Weide herunterzuziehen.

„Ares, lass den Mist und komm!“, zischte der Kleinere durch aufeinander gebissene Zähne und warf entschuldigende Blicke zu Orpheus, der sich das theaterreife Spektakel mit hochgezogener Braue anschaute. Sekundenlang war nur Hermes` flehende Stimme zu hören, dann sah Orpheus zu Ares.

„Du bist Herks neuer Schüler.“, stellte er lächelnd fest, was Ares` Zorn noch weiter anfachte. „Was willst du von mir?“

Nun legte sich auch auf Ares` Züge ein Grinsen. „Man erzählt sich, dass du hier der Beste seist…“

Hermes gab seine Bemühungen, Ares wegzuzerren, auf und starrte ihn, Böses ahnend, aus geweiteten Augen an. Orpheus` Braue war derweil wieder tiefer gerutscht und bildete nun mit der anderen zusammen eine tiefe Falte auf seiner Stirn. Ares zuckte auf die stumme Frage hin mit den Schultern und deutete mit den Daumen auf sich selbst. „Tja, ich weiß, dass ich besser bin.“

Seiner Gesichtsfarbe folgte nun auch Hermes` Kinnlade den Weg nach unten und wäre vermutlich geräuschvoll zu Boden gefallen, hätte sie es gekonnt. Es wurde noch stiller und alle Blicke ruhten auf Ares, der ein siegessicheres Grinsen zur Schau stellte. Orpheus` Gesichtszüge entspannten sich und er sah seinem Kontrahenten neutral in die glühenden Augen, bis er fassungslos mit dem Kopf schüttelte und sich schweigend wieder zum Gehen umdrehte.

Hermes wollte schon erleichtert ausatmen und einen erneuten Fluchtversuch wagen, als Ares plötzlich die schwarze Klinge geräuschvoll aus der Schwertscheide zog und auf Orpheus richtete, dass dieser in seiner Bewegung gefror.

„Bleib gefälligst stehen, wenn ich mit dir rede, Sackgesicht.“, knurrte Ares wütend.

Das einzige Geräusch, was man daraufhin hörte, war Hermes` Hand, die lautstark gegen seine eigene Stirn klatschte. Langsam drehte sich Orpheus wieder zu Ares um und sah verändert auf die Klinge herab, die zwischen den Männern auf Brusthöhe in der Luft ruhte und in dem grellen Neonlicht rötlich schimmerte, dann fixierten Orpheus` grüne Augen Ares und ein unglaublicher Zorn lag in ihnen.

„Dir ist schon klar, dass Herakles dich dafür umbringen wird, dass du sein Schwert gezogen hast, oder?“ Trotz der sichtlichen Wut in seinen Augen, war Orpheus` Stimme weiterhin neutral, als rede er über das Wetter. Ares` Mundwinkel wanderten weiter nach oben.

„Dann muss ich mich halt damit beeilen, dir eins aufs Maul zu geben, bevor Herk zurückkommt…“

Die umstehenden Männer hielten gemeinschaftlich die Luft an. Ein paar Mitglieder schüttelten fassungslos die Köpfe, einige machten Anstalten, in das Geschehen einzugreifen, wurden jedoch von anderen zurückgehalten, die selber breit grinsten und mit sichtlichem Interesse dem heran rollenden Streit entgegenfieberten. Wieder vergingen Sekunden, in denen sich die beiden Kontrahenten stumm ansahen, doch dann verpuffte der Zorn aus Orpheus` Augen und er begann zu lächeln.

„Du willst also gegen mich kämpfen?“ Er hob die Schultern und drehte die Handflächen nach oben. „Von mir aus.“

Nun begann das Murmeln und Ares grinste triumphierend. Mit einer kurzen Handbewegung scheuchte Orpheus die anderen Anwesenden von der Matte, legte sein Schwert weg und stellte sich in vier Metern Entfernung Ares gegenüber.

Er winkte ihm auffordernd zu. „Dann greif an.“

„Du bist unbewaffnet.“

„Das ist nicht weiter schlimm.“, entgegnete Orpheus schulterzuckend und setzte sich die Kopfhörer auf, aus denen laute Musik drang, die Ares selbst von seiner Position aus hörte. Wütend verengte er die Augen. Wollte ihn dieser Typ verarschen?

„Es wäre gesünder für dich, mich ernster zu nehmen!“, rief er Orpheus zu, doch dieser reagierte gar nicht darauf, was Ares noch mehr zum kochen brachte.

Keinen Augenblick zögernd riss er das Schwert hoch und stürmte auf Orpheus zu. Kurz bevor er ihn erreicht hatte, veränderte Orpheus blitzschnell seine Position, wich dem ersten Schwertstreich aus, schlug den folgenden mit der bloßen Hand zur Seite und brachte Ares mit einer Kombination aus Fußtritt und Handschlag zu Fall. Dieser konnte seinen Sturz noch in letzter Sekunde abfangen, war aber gezwungen, auf Abstand zu gehen. Zähneknirschend sah er zu seinem Kontrahenten, doch es war schon zu spät.

Mit zwei Schritten war Orpheus bei ihm, schlug mit der Faust gegen seine Brust, sodass Ares die Luft aus der Lunge getrieben wurde und griff mit der anderen Hand nach dem Griff von Herakles` Schwert. Ares krümmte sich leicht und versuchte mit weit aufgerissen Augen nach Sauerstoff zu schnappen, doch Orpheus ließ ihm dazu keine Zeit- blitzschnell trat er mit dem Schienbein gegen Ares` ungeschützte Flanke, sodass dieser zur Seite wegknickte und nun völlig den Halt verlor. Ungebremst schlug Ares auf dem Boden auf und sein Körper schmerzte so sehr, dass es Orpheus mühelos gelang, ihm das schwarze Schwert aus den kraftlosen Händen zu reißen. Allerdings dachte Ares noch lange nicht ans aufgeben! Knurrend wollte er sich wieder aufrichten, als sich auf einmal Orpheus` Hand um seinen Hals schloss und ihn so zurück auf die Matte zwang.

Ares wagte nicht zu atmen. Er hätte dank dem Aufprall und dem Griff sowieso keine Luft bekommen und so starrte er nun mit geweiteten Augen in die von Orpheus, die einen halben Meter direkt über ihm ruhten. Der unheimliche Zorn war wieder zurückgekehrt. Er hatte die Kopfhörer abgenommen, sodass die Musik jetzt lauter zu hören war und Ares neben dem Rauschen in seinen Ohren nun auch schnelle Bässe und schrille Gitarrenriffs vernahm.

„Ich habe nichts gegen eine gesunde Portion Selbstvertrauen…“, raunte Orpheus beherrscht, dennoch erhöhte sich der Druck auf Ares` Hals vielsagend. „Aber was ich auf den Tod nicht ausstehen kann, sind Menschen wie du, die ihre Grenzen nicht kennen. Du bist besser als ich? Ja, was Frechheit und Respektlosigkeit angeht, vielleicht- aber du bist noch Jahrzehnte davon entfernt, mich in einem Kampf zu schlagen!“ Er kam noch ein Stückchen näher und Ares sah in dem dunklen Grün seiner Iris den Zorn Wellen schlagen, der sich mit jedem Wort weiter in seiner Stimme entfaltete.

„Du bist arrogant und eingebildet und wenn du meinst, damit weiterhin durchkommen zu können, dann bist du schneller tot, als du dein verdammtes Maul aufreißen kannst- ‚know your place‘ heißt es hier! Ich bin mir sicher, dass Herk dir das schon gesagt hat, also halte dich daran.“ Trotzig presste Ares die Lippen aufeinander. Er konnte Orpheus von Sekunde zu Sekunde weniger leiden…

„Geh mir in Zukunft aus dem Weg und komm nie wieder auf die Idee, mich herauszufordern.“, fuhr Orpheus weiter fort, dann lockerte er seinen Griff und stand auf. Ares holte zweimal tief Luft, rappelte er sich wieder auf und ballte wütend die Fäuste.

„Ich werde besser sein als du, das schwöre ich dir!“, zischte er und sah zu Orpheus hoch, der sich in der Zwischenzeit nach der Schwertscheide gebückt hatte und die schwarze Klinge wieder in diese vorsichtig zurückschob. Sein Blick, den er Ares nun entgegenwarf, war noch viel schlimmer, als jede Ohrfeige oder jedes herablassende Lachen.

„Lerne erst einmal den Unterschied zwischen einem Schwert und einem Baseballschläger -mit deiner Vorführung gerade hast du Herakles aufs äußerste blamiert und beleidigt…“

Orpheus ging auf Hermes zu, der inmitten der anderen Schaulustigen gestanden hatte und drückte ihm Herks Schwert mit Nachdruck in die Hand. Ohne sich noch einmal umzusehen verließ Orpheus dann die Halle, in die Herakles in diesem Moment zurückkehrte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Thuja
2013-02-07T18:59:51+00:00 07.02.2013 19:59
„Regel Nummer Eins: Glauben tust du in der Kirche und dieser Ort hier ist weder heilig, noch ein Exil für Schwächlinge.“
Was für ein geiler Spruch ist das denn???!!!!!!!!
Hammer.
Denn fand ich unglaublich super

Mal wieder ist das Kapitel überirisch gut!!!!
Für so geniale Formulierungen bräuchtest du eigentlich einen Waffenschein.
Nein, mal ehrlich. Du überzeugst immer aufs Neue
Es gab noch kein Kapitel, wo ich nicht dachte: ich liebe die Geschichte!

Herk.
Mein erster Gedanke zu ihm war: hart aber herzlich
Sicher ist er ein gnadenloser Ausbilder (und jetzt würde Ares bestimmt beipflichtend nicken), aber irgendwie hat er auch so etwas an sich, dass mir sagt, er hat einen guten Kern.
Und Fakt ist: ein weiterer eindrucksvoller Charakter ist dieser Herk

Ares, Ares, Ares….
*über ihn den Kopf schüttel*
Diese Aktion am Ende war richtig typisch für ihn ^___^.
Dafür musste er auch eine heftige Niederlage einstecken. Na, wenn das mal nicht seinen Ehrgeiz noch mehr angefacht hat O_o




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