Die Donnerbrüder
Kagome war sehr aufgeregt, als sie scheinbar harmlos über die Wiese schlenderte. Sie wusste zwar Inu Yasha hinter sich, im Wald , und ihr war auch klar, dass sich die beiden Jäger von der anderen Seite an das Haus heranpirschen würden, aber diese Zwei hatten keine Deckung außer der Ablenkung durch sie. Und alles, was sie von den beiden Dämonen, die hier hausten, gehört hatte, war nichts, was sie beruhigen konnte. Sie musste sich vor Augen halten, dass in dem Haus ein verzweifelter kleiner Fuchs war, ein entführtes Kind, um sich zusammenzunehmen. Solch ein Abenteuer kannte sie nur aus Büchern.
Sie war bemerkt worden, das wusste sie. Der Energie der Dämonen vor ihr war angestiegen. Sie hatte so etwas nur sehr selten gespürt, aber das musste es sein. Miroku hatte ja schon gemeint, dass sie spirituelle Fähigkeiten besaß, nun ja, in ihrer Ausbildung als Priesterin hatte es bessere Schülerinnen in dieser Hinsicht gegeben, Kikyou und Kaede, zum Beispiel.
Tatsächlich trat ein junger Mann aus dem Haus, einen Stab in der Hand. Sie starrte ihn überrascht an. Er sah nicht schlecht aus, fand sie, und seine Kleidung war recht vornehm – aber solche Stäbe besaßen eigentlich nur Mönche. War er einer? Nein, das war doch ein Dämon?
„Ein Mensch, noch dazu ein Mädchen! Na, das wird meinen kleinen Bruder aber freuen.“
Kleiner Bruder? War das die Kinderstimme gewesen, die sie gehört hatten? Hatten sie sich geirrt und es war gar kein Fuchs entführt worden? Sie war erstarrt stehengeblieben. Näher heran durfte sie wohl nicht, um nicht zu weit von Inu Yasha weg zu sein, der ja hinter einem Baum versteckt war.
„He, Manten, guck mal, wer uns hier auf dem Präsentierteller begegnet.“
Ein zweiter Dämon trat aus dem Haus, wesentlich hässlicher als der Ältere, dachte Kagome. Aber, was sie so erschreckte, war die Tatsache, dass er ein Fuchsfell um die Hüfte gebunden hatte – und ein Fuchskind am Schwanz mit sich trug. Der Kleine schien zu weinen. War das etwa das Fell seiner Mutter oder seines Vaters? Sie spürte, wie ihr heiß vor Zorn wurde.
„Ein Mädchen, tatsächlich, Hiten. Und guck nur, wie viele Haare sie hat.“
Kagome griff sich unwillkürlich an ihren schwarzen Schopf. Ja, der jüngere der Donnerbrüder hatte praktisch keine mehr, aber wieso interessierten ihn ihre?
„Du wirst gut schmecken,“ verkündete Hiten. „Und mein kleiner Bruder kann deine Haare sicher gut brauchen.“
„Träum weiter!“ fauchte sie prompt, zumal sie erleichtert bemerkte, dass sich Sango und Miroku schon auf der anderen Hausseite befanden. Sie würden gleich diesen Manten überfallen können, um den kleinen Fuchs zu retten. Alles, was sie noch tun musste, war, zu verhindern, dass die Donnerbrüder in diese Richtung sahen. Was trieb eigentlich Inu Yasha?
In der nächsten Sekunde bekam sie die Frage beantwortet. Hiten hob seinen Stab und starrte hinter sie. Fast im gleichen Moment landete der Halbdämon neben ihr.
„Hier wird niemand gefressen!“ Inu Yasha hatte Tessaiga gezogen, willens, die Dämonenbrüder von Sango und Miroku abzulenken, und natürlich vor allem von Kagome.
Hiten sah ihn spöttisch an: „Verhebst du dich nicht etwas an diesem großen Schwert?“
„Lass das mal meine Sorge sein, Blödmann. - Kagome, geh zur Seite.“ Zu seiner Verwunderung gehorchte die Priesterschülerin, die er bislang nicht unbedingt als folgsam erlebt hatte.
„Oh, dein Schätzchen? Wie ungewöhnlich. Ein Dämon und ein Menschenmädchen. - Nein, du bist ja gar kein Dämon, nur was Halbes und nichts Ganzes. Na, das hier wird schnell vorbei sein und dann werde ich mir die Kleine schmecken lassen.“
„Man, so viele Irrtümer in einem Satz!“ Inu Yasha warf nur einen Blick zum Haus, wo Sango sich bereit machte, ihren Bumerang zu werfen, ehe er sich dem Älteren der Donnerbrüder zu wandte. Der hob seinen Stab. Also war das eine Waffe. Nur, welche? Verteidigung oder Angriff? Einen solchen Kampf hatte er nie zuvor bestritten – nun, eigentlich gar keinen, außer der Übung mit Sango.
Im nächsten Augenblick erfuhr er es schmerzhaft. Aus dem Stab schossen Blitze auf ihn zu, die trotz seines an sich feuerfesten Gewandes Brandwunden verursachten. Er taumelte etwas zurück.
„Das ist mein Blitzstab!“ Hiten hatte erfreut bemerkt, dass diese halbe Portion anscheinend keine Ahnung von einem Schwertkampf unter Dämonen hatte, geschweige denn seine Blitze abwehren konnte. Schon jetzt zeigten sich auf dessen roten Gewand schwarze Brandflecken. Erstaunlich genug, dass der noch stehen konnte. Da konnte er mit ihm noch etwas spielen, ehe er sich die Kleine schnappte. Das würde für ihn sicher ebenso amüsant sein wie für seinen kleinen Bruder.
Vor dem Haus sah Manten mit einem gewissen Lächeln dem Kampf seines älteren Bruders zu. Keiner hatte eine Chance gegen diesen und seinen Blitzstab, das war ihm klar, und so schwenkte er den kleinen Fuchs an seinem Schwanz, um ihn, ohne auf dessen Wehklagen zu achten, unter den Arm zu klemmen. „Hör schon auf, es ist gleich vorbei. Und dann ist zuerst dieses schwarzhaarige Mädchen dran, dann erst du. So viele schöne Haare....“
Im nächsten Moment traf ihn etwas schmerzhaft am Kopf. Er taumelte seitwärts und fing sich nur mühsam ab, dabei das Fuchskind fallen lassend.
„Mist,“ murmelte Sango, die ihren Bumerang geworfen hatte. Der Kerl hatte einen stabileren Kopf, als sie angenommen hatte. Das war nur gestreift gewesen. Der kleine Fuchs sah sich ängstlich, ja, panisch, um und rannte dann einfach los, auf Kagome zu. Hoffentlich würde die ihn einfangen, dachte die Dämonenjägerin noch, ehe sie bemerkte, dass Manten sie entdeckt hatte. Sie musste wieder zu ihrem Bumerang und das schnell, war er doch die einzige Fernwaffe, die sie besaß. Ihr Schwert würde bedeuten, nah zu ihm heran zu müssen. Was hatte der Dämon denn eigentlich? Er hielt sich den Kopf, aber nicht, als ob er schwer verletzt wäre...
Da schrie, eher grollte, er: „Meine Haare! Du hast meine letzten Haare ausgerissen! Dafür werde ich mir deine nehmen!“
Das klang nicht gut, dachte Sango. Wo blieb eigentlich Miroku? Der hatte sich um das Haus schleichen sollen, um dann Manten von hinten anzugreifen. Trotz aller lästigen Eigenschaften war er ein wirklich zuverlässiger Kampfpartner.
Inu Yasha hatte gesehen, dass Sangos Angriff den kleinen Fuchs befreit hatte, und war etwas erleichtert, dass der zu ihm und der abseits stehenden Kagome rannte. Das wäre schon mal geschafft. Jetzt musste er nur noch mit diesem Idioten hier fertig werden, der ihm mit seinen Blitzen schon einige recht schmerzhafte Verletzungen zugefügt hatte. Für die beiden Dämonenjäger sollte es doch eigentlich kein Problem sein, diesen Manten zu erledigen, den zumindest in die Flucht zu schlagen.
Er hatte nicht mit der Fähigkeit des zweiten Donnerbruders gerechnet.
Der starrte wütend um sich herum, ehe eine helle Kugel aus seiner Hand auf den fliehenden Fuchsdämon geschleudert wurde. Der und auch Kagome stürzten zum Erschrecken des Halbdämons zu Boden und blieben regungslos liegen.
„Verdammt!“ knurrte er.
Hiten warf einen Blick seitwärts: „He, Manten!“ schrie er, ohne sich umzudrehen: „Wieso lässt du denn den Kleinen hier frei herumlaufen?“
„Ich will das andere Mädchen haben, großer Bruder,“ gab der zurück und rannte zu Sango, die ihr Schwert zog. Wo steckte nur ihr Partner?
Inu Yasha sah sich etwas nervös um. Kagome und Shippou schienen ohnmächtig, dieser dämliche Manten hatte Sango soeben das Schwert aus der Hand geschlagen und sie gegen die Hauswand befördert. Auch die Jägerin war zumindest halb bewusstlos.
„He, ich bin dein Gegner, du halbe Portion!“ Hiten schien amüsiert: „Gleich mit zwei Mädchen hier aufzutauchen war ein echt nettes Geschenk für uns!“
„Keh!“ Besorgt erkannte der Halbdämon im Rücken seines Widersachers, dass sich der jüngere der Donnerbrüder über Sango gebückt hatte und auf dem besten Weg war, die zu erwürgen. Aber da kam ja endlich Miroku...
Er musste jetzt selbst zusehen, dass er mit diesem Hiten fertig wurde und dann den Jägern helfen. Trotz aller Fähigkeiten, die sie haben mochten – sie konnten Wurmdämonen erledigen, aber nicht Dämonen einer so hohen Klasse wie die Donnerbrüder. Sie waren schließlich Menschen. Da musste schon er ran, allein um Kagome und den kleinen Fuchs zu schützen, die sich zu regen begannen. So lief er mit erhobener Klinge auf den älteren der Dämonenbrüder zu, der den Schlag mit seinem quer gehaltenen Stab abfing.
Miroku bog um die Ecke und betrachtete die Lage mit gewissem Erschrecken. Inu Yasha kämpfte gegen einen Dämon und machte keine sonderlich gute Figur, ja, schien verletzt zu sein. Kagome und das Fuchskind waren bewusstlos – und der andere Bruder war gerade dabei, Sango zu erwürgen. Seine Partnerin versuchte, die Hände von ihrer Kehle zu entfernen, aber hatte gegen einen Dämon keine Chance. Warum dachte sie nicht an das Gift, das sie bei sich hatte? Panik? So kannte er sie gar nicht. Oder half es nichts? Aber jetzt war erst einmal wichtiger ihr Luft zu verschaffen. Ohne weiter nachzudenken ging der Mönch näher und ließ seinen Stab mit aller Kraft auf Mantens Kopf niedersausen.
Der gab sein Opfer tatsächlich frei und fuhr herum: „Noch einer!“ knurrte er.
Sango holte tief Atem, für einen Moment unfähig sich zu rühren, ehe ihr hartes Training sie aufstehen ließ, noch keuchend, aber bereits wieder ihr Schwert in der Hand. Manten schlug Miroku so hart, dass der Mönch nur noch gegen die Hauswand flog. Mit einem Knurren, zufrieden, den Störenfried beseitigt zu haben, wandte er sich wieder seinem Opfer zu, als er erkennen musste, dass sie ihm ihre Klinge in die Brust stieß.
Er brach zusammen.
„Gib schon auf, Bastard!“ sagte Hiten derweil, der von den Geschehnissen in seinem Rücken nichts mitbekommen hatte, da ihn Inu Yasha permanent zur Ablenkung attackiert hatte.
„Wieso? Die Hälfte von euch Brüdern ist schon mal erledigt!“
„Wa...“ Hiten jagte eine Welle an Blitzen auf seinen Gegner, ehe er sich umdrehte: „Manten! Ihr habt meinen kleinen Bruder umgebracht!“
Er wollte auf Sango und Miroku zulaufen, als ihm der Halbdämon in den Weg sprang: „Hiergeblieben. Ich bin dein Gegner.“
„Keiner von euch kommt hier lebend davon,“ knirschte der Dämon: „Mein kleiner Bruder....dafür werdet ihr alle teuer bezahlen.“ Mit einem weiten Sprung kam er auf seinen Widersacher zu und holte mit dem Stab aus.
Mehr instinktiv packte Inu Yasha Tessaiga mit beiden Händen um den Angriff abzuwehren. Funken stoben, als der Blitzstab auf das Metall traf, aber der Halbdämon gab nicht nach, hielt Kraft gegen Kraft. Das hing hier jetzt von ihm ab. Immerhin hatten die beiden ihren Part schon mal gut erledigt. Er konnte sich doch nicht von Menschen hintenansetzen lassen. Kagome richtete sich auch wieder auf, den kleinen Fuchs im Arm, Sango und Miroku kamen herangelaufen, schienen aber unsicher, ob sie ihm helfen sollten. Bloß nicht!
Das wäre ihm dann doch zu peinlich. Immerhin besaß er doch jetzt ein richtiges Dämonenschwert! Mit einer gewaltigen Anstrengung stieß er Hiten von sich.
Der taumelte nur kurz zurück, ehe er sich in die Luft erhob.
„He, was...“ brachte Inu Yasha noch hervor, ehe er erkannte, dass der vor Wut rasende Dämon erneut seinen Blitzstab hob. Und er wusste in diesem Moment, wohin der Angriff gehen sollte: auf seine Gefährten und das kleine Fuchskind. Wie sollte er das abwenden? Tessaiga war zwar kein rostiges altes Schwert, aber eben nur ein Schwert...
Er sah den Schatten, noch ehe er begriff, dass Sango erneut ihren riesigen Bumerang geworfen hatte, gezielt auf Hitens Füße. Der verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Im nächsten Augenblick war der Halbdämon über ihm und schlug mit aller Kraft zu. Der Donnerbruder fing den Angriff mit dem quer gehaltenen Stab ab.
Funken sprühten, als erneut die Kraft eine vollblütigen Dämons gegen Inu Yashas stand. Aber dieser hatte einen Vorteil: Hiten lag nun auf dem Boden, er stand über ihm und so konnte er weitaus mehr Druck einsetzen.
Unter der massiven Krafteinwirkung brach sogar der Blitzstab.
Inu Yasha fiel fast vornüber, aber da traf Tessaiga auch schon Hiten.
Für die Zuschauer sah es so aus, als ob dieser sich in Funken auflöste.
Keuchend drehte sich der Halbdämon um: „Alles klar?“
„Ja, danke,“ sagte Kagome höflich, die den kleinen Fuchs noch immer im Arm hielt: „Bei dir auch?“
„Äh, ja.“ Das Fuchskind sprang zu Boden und richtete sich zu seiner vollen Größe auf: „Ich bin Shippou. Und ihr seid die komischsten Leute, die hier je durch unseren Wald liefen. Mönch, Priesterin, was auch immer du bist und....naja, du bist ja bloß ein halber Dämon.“
„Na, für die Donnerbrüder hat es wohl gereicht,“ knurrte Inu Yasha prompt, der sein Schwert wegschob und möglichst unauffällig seine Verletzungen überprüfte: „So was von vorlaut.“
Shippou hatte unterdessen erneut das Fell um die Hüfte des toten Manten gesehen und wurde merklich bedrückter: „Können wir...das da mitnehmen? Das ist von meinem Papa. Sie haben ihn...“
Kagome bückte sich und strich tröstend über die Fuchsohren: „Wir haben ihn gefunden. Ja. Bringen wir es ihm und dann begraben wir ihn, in Ordnung?“ Sie ging mit dem Fuchsjungen hinüber, während Sango ihren Bumerang aufsammelte und Miroku wachsam die Gegend betrachtete.
Inu Yasha sah zu der Jägerin: „Ich hätte vorher nie gedacht, dass eine Menschenfrau so ein Ding so locker herumwerfen kann.“
„Jahrelange Übung. Und so schwer ist er auch nicht.“ Sie schwang ihn sich über die Schulter: „Er sieht massiver aus als er ist. Er besteht aus Dämonenknochen.“
„Hm.“
„Nein, sicher von keinem Hundedämon. Wir jagen doch nur diese einfachen, du weißt schon...“ beruhigte sie prompt: „Dann gehen wir und beerdigen Shippous Vater. Und dann nehmen wir ihn erst einmal mit. Der Kleine kann unmöglich hier allein zurückbleiben. In diesem Bergwäldern wird ihn jeder Dämon, der ihn trifft, umbringen.“
Kagome und Shippou,, die mit dem Fell zurückkamen, hatten es gehört.
„Oh, ich kann schon was,“ sagte der kleine Fuchs: „Fuchsfeuer und einige andere Attacken.“
„Aber du willst hier kaum allein bleiben, oder? Wo ist denn deine Mutter?“ erkundigte sich die Priesterschülerin.
„Sie ist tot, schon vor einigen Jahren. Die hier...“ Er deutete auf die Überreste der Donnerbrüder: „...sagten, sie hätten sie umgebracht, aber...aber das haben sie bestimmt nur gesagt, um mich zu ärgern, oder?“
„Ich weiß es nicht, Shippou,“ gab Kagome bedrückt zu „Hör zu. Wir wollen in die Hauptstadt des Reiches. Vielleicht finden wir auf dem Weg andere Füchse, bei denen du dann bleiben kannst. Oder in der Hauptstadt gibt es ein Waisenhaus für Dämonen oder sonst etwas. Komm nur erst einmal mit uns.“
Shippou warf einen sichtlich zweifelnden Blick auf Inu Yasha, der empört aufschnaufte: „Naja, dann habt ihr wenigstens mehr dämonischen Schutz. Der da ist ja nur ein halber Dämon, ich bin ein richtiger.“
„Halt bloß die Klappe, Kleiner. Dir gehört wohl mal der Hintern versohlt!“
„Inu Yasha!“ sagte Kagome empört: „Er hat gerade seinen Vater verloren!“
„Das ist kein Grund auf mir herumzuhacken.“ Beleidigt drehte sich der Halbdämon weg und ging. Die anderen folgten ihm mit leisem Lächeln. Wie konnte er sich nur von so einem kleinen Kind so ärgern lassen, ja, dessen Worte für ernst nehmen?
Hakudoshi, der momentane Regent von Teien, ließ sein weißes Pferd anhalten. Dessen brennende Hufe verrieten nur zu deutlich, dass es sich um kein sterbliches Wesen handelte. Die ausgesandten Später kehrten zurück und er konnte ihnen schon ansehen, dass sie wieder nichts brachten. Verdammt. Das gab es doch gar nicht. Das Ungeheuer aus dem Todeswald war ausgebrochen und hatte keinerlei Spuren hinterlassen? War es so schlau? Direkt an dem Wald hatten Vaters Krieger ein derart Durcheinander an Spuren hinterlassen, dass selbst Hundedämonen die Spur nicht mehr finden konnten, zumal es zwischenzeitlich geregnet hatte. Alles, was man gefunden hatte, waren am Waldrand Fußabdrücke – fast wie von einem Menschen und doch mit Krallen und anderen Zeichnungen. Keiner hatte damit etwas anfangen können, aber das musste die Spur des Ungeheuers sein.
Keine Morde in den umliegenden Dörfern, keine zerrissenen Tiere. Entweder dieses Ungeheuer war nach den drei Menschen noch so gesättigt oder aber verflixt vorsichtig. Gleich. Er musste es finden. Fürst Naraku hatte angedeutet, dass das eine Prüfung für ihn sein sollte, und wenn er künftig über Teien regieren wollte, musste er dieses Wesen im Triumphzug nach Shuto bringen und seinem Vater ausliefern. Vorher brauchte er dort gar nicht mehr zu erscheinen. Akago, sein ach so lieber Zwillingsbruder, wartete sicher nur auf einen Fehler seinerseits. Sie hatten sich noch nie vertragen, dazu waren sie sich zu ähnlich, beide zu ehrgeizig in Vaters Nachfolge. Und Akago würde Vater jeden seiner Fehler genüsslich auflisten – das konnte ihm im Zweifel den Kopf kosten.
„Hakudoshi-sama...“ sagte einer der Späher.
„Hast du etwas über das Ungeheuer?“
„Ich habe eine Idee.“
Es sprach für die Nervosität des nominierten Erben der Provinz, dass er nur sagte: „Ich höre.“ Gewöhnlich hätte er jeden einen Kopf kürzer gemacht, der ihn einfach so anzusprechen wagte.
„Da niemand weiß, wie das Ungeheuer aussieht oder auch, wie intelligent es ist – wäre es nicht möglich, dass es sich in einsame Gebiete flüchten will, wo weder Menschen noch Dämonen leben? Das Bergland im Nordwesten, an der Grenze zu Tonoo wäre gut dafür. Oder auch die Sumpfgebiete am Takayama.“
Hakudoshi dachte kurz nach. Wenn das Ungeheuer einigermaßen intelligent war, würde es in der Tat die Wesen meiden, die es eingesperrt hatten, also Dämonen. Menschen dagegen würde es als Nahrung benötigen. Doch, der Idiot hatte recht. Berge oder Sümpfe würden einen gutes Versteck abgeben, von wo aus Dörfer überfallen könnte. Und da gab es einige am Rande des Großen Sumpfes. Direkt im Nordwesten lebten keine Menschen. „Gut. Ihr geht nach Nordwesten und sucht dort im Bergland. Dort leben fast keine Menschen und wenig Dämonen, womöglich findet ihr dort die Spur wieder. Dann geht ihr weiter in Richtung auf die Sümpfe. Wenn das Ungeheuer dort ist, treibt ihr es vorwärts. Ich selbst werde mit sieben Kriegern zum Takayama und den Sümpfen dort gehen, euch dann entgegen. Im besten Fall haben wir das Monster zwischen uns. Ich denke nicht, dass es Teien verlässt. Es kennt sich nicht aus und wird eine gewisse Nähe zu Shuto bewahren wollen.“ Sollte es Teien jedoch verlassen und in den benachbarten Bezirken Massaker anrichten....oh nein, soweit wollte er nicht denken. Vater würde ihn sicher fallenlassen und scheinbar zerknirscht sich an den Kaiser wenden, um dessen Hilfe bei der Jagd bitten. Nein, das würde schon nicht passieren. Er drehte sich um: „Bankotsu, ihr kommt mit mir.“
Der Shogun war mehr als überrascht, als die Tür seines Arbeitszimmers ohne jede Vorankündigung aufgerissen wurde. Es konnte nur eine Person geben, die kam – und Vater hatte seine Räume seit Jahren nicht mehr verlassen. Aber er verneigte sich hastig vor dem eintretenden Mikado.
Auf dessen Wink wurden sie allein gelassen und er setzte sich. „Du hast Recht, Sesshoumaru.“
„Ja?“ Sein Sohn richtete sich etwas überrascht auf.
„Wenn schon Gerüchte über meinen Tod umlaufen ist es ein Fehler, sich weiter in Trauer zu vergraben.“
In Trauer? Das war das erste Mal, dass sein Vater den Grund erwähnte, warum er sich so schlagartig zurückgezogen hatte. „So werdet Ihr wieder Politik betreiben, verehrter Vater?“
„Sagen wir, ich werde in der öffentlichen Wahrnehmung öfter erscheinen. Und, du hast bislang die Arbeit recht gut hinbekommen. So will ich mich um das kümmern, das man gern vergisst. Die Provinzfürsten.“
„Keiner gab Anlass zur Sorge.“
„Sicher. Aber ich vermute, das wäre nur zu dämonisch oder menschlich, dass sie zuhause einiges treiben, was sie hier verschweigen. Und es wäre nur gut, sie fester an uns, dich, zu binden.“
Sesshoumaru hatte durchaus die Zusage seines Vaters gehört, ihm weiterhin die Zügel der Macht zu lassen: „Natürlich. Ihr seid der Inu no Taishou, der Mikado. Und ich bin Euer loyaler Sohn.“
„Bis auf einen Punkt.“
„Ihr habt meine Mutter lebendig begraben. Nicht, dass ich etwas dagegen sagen möchte...“
„Findest du nicht, dass lebendig begraben ein etwas harter Ausdruck ist? Wenn ich mir allein ihre Schneiderrechnungen der letzten Monate ansehe? Sie lebt, in allen Annehmlichkeiten, wenn auch abseits.“
„Nicht am Hofe, ja, nicht einmal in einer Stadt.“
„Du weißt, warum.“
Der Shogun wusste es in der Tat. Sie hatte versucht, ihn bereits vorzeitig auf den Thron setzen zu können, als Vater mit einem Kriegszug gegen die Nordinsel beschäftigt gewesen war. Er selbst war damals noch zu klein gewesen, aber natürlich hatte man ihm die Gerüchte erzählt, sie habe versucht den Kaiser umzubringen. Ihm gegenüber hatte sie das geleugnet, aber Vater hatte sie verständlicherweise verbannt. Immerhin nicht töten lassen, obwohl er das Recht dazu gehabt hätte. Anscheinend hatte er an der Mordtheorie doch einige Zweifel gehabt. Nun, sie lebte in einem Schloss, umgeben von Dienern und alles, was ihr verboten war, war Kontaktaufnahme mit jemandem in der Hauptstadt. Selbst mit ihm, auch, wenn er alle zehn Jahre einmal das Bedürfnis verspürte, sie zu sehen. Vater erlaubte ihm diese Besuche auch – aber inzwischen wusste er, dass sie immer wieder versuchte, über ihn zurückzukehren. Sie bot sich ihm für die Zukunft als Beraterin an. Klug war sie, ohne Zweifel, aber solange Vater lebte würde daraus sicher nichts werden. War das der Zwischenfall gewesen, auf den der Kaiser angespielt hatte: aus Trauer habe er sich zurückgezogen?
„Wie Ihr wünscht,“ sagte er jedoch nur. Sollte sich Vater um die Provinzfürsten kümmern – die wären zwar kaum begeistert, würden danach aber sicher spuren.
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Im nächsten Teil betrachten wir Fürst Naraku und seine Pläne, während Hakudoshi dem Ungeheuer des Todeswaldes nachjagt...