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Wikingerblut

MIU-Trilogie 1
von

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Wahrheitsfinder

El Silbador hob gelangweilt sein Mobiltelefon ans Ohr. Eigentlich wurde es genutzt wie ein Funkgerät; das BfV hatte ein eigenes Netz, genau wie die Gewerkschaft der Polizei, über welches Gespräche nichts kosteten. »Elsi hier.«

»Ich bin’s«, sagte Sugar Ray, im Grunde unnötig, da er von allen noch nicht wieder eingetroffenen Teams der Einzige mit einer Kommunikationsmöglichkeit war. »Gib mir mal Bock. Bitte.«

»Du willst ernsthaft lieber mit Bock reden statt mit mir? Na, wie du willst.« Elsi stand gehorsam auf und begab sich durch den trostlosen Kellergang zum kleinen Behandlungszimmer des Arztes, der sich dort immerzu mit irgendetwas beschäftigte. Im Moment war er dabei, den schwarzen Nagellack auf seinen Fingernägeln zu erneuern. Er ging dabei mit einer Akribie davor, um die ihn so manche Frau beneidet hätte – aber Bock arbeitete nun mal viel mit seinen Fingern. Wie viel, das wollte Elsi manchmal gar nicht wissen.

Er händigte dem Arzt das Handy aus und wartete geduldig darauf, es zurückzubekommen.

»Oh, hallo, mein Lieber!«, sagte Dr. Saltz in das Telefon, während er mit der freien Hand vergeblich versuchte, das Nagellackfläschchen wieder zuzuschrauben. »Was gibt’s?« Er gab auf, schob das Fläschchen beiseite und lauschte stattdessen interessiert. El Silbador sah, wie sich sein unbeschwerter Ausdruck jäh wandelte. »Verdammt, dann hol doch einen Arzt! … Wie? … Oh. Verstehe. Armer Kerl. … Ja, ich seh mir das an. Halt die Stellung.« Bock beendete die Verbindung und reichte Elsi das Handy zurück. »Hat er’s dir erzählt? Er hat einen sterbenden Drogenjunkie gefunden … goldener Schuss, nimmt er an … mit einer ganz frischen Bisswunde am Hals.«

»Welcher Vampir ist denn so dämlich?«, schnaubte Elsi, der wusste, was das bedeutete.

»Das will ich auch gerne wissen. Ich fahre hin. Sollten sich in der Zwischenzeit irgendwelche medizinischen Notfälle ereignen: Du hast ja eine Ersthelferausbildung.«

»Ich? Hallo? Wir sind in einem Krankenhaus

»Ah. stimmt. Das vergesse ich hier unten immer.« Bock packte seine kleine Tasche mit allem, was er für brauchbar hielt, meldete sich bei Buschfeldt ab und verließ die Klinik.

Elsi kehrte kopfschüttelnd auf seinen Posten zurück.
 

»Bock, wo jehst’n hin?«, fragte Van Lange verwundert, der dem Arzt zusammen mit Flex im Eingangsbereich der nunmehr unbelebten Klinik entgegen kam.

»Außeneinsatz. Wollt ihr mich eskortieren?« Bock klimperte mit den Wimpern, was unfassbar dumm aussah.

Basti und Marco tauschten einen zögernden Blick. »Wir kommen zwar gerade von draußen … aber gefunden haben wir nichts, also …«

»Joa, ick denke, wir machen dit ma, wa?«

Gesagt, getan.

Zu dritt fuhren sie mit dem Dark Knight zur Carolabrücke, einer der vielen Elbbrücken, wo am matschigen Ufer des Flusses Sugar Ray im Gras kniete, nur schwach beschienen und kaum auszumachen. Zu seinen Füßen lag ein regloser Körper in abgetragener Kleidung, fahl und mit weit geöffneten, starren Augen. Sofort kniete Bock sich zu dem jungen Mann und prüfte ihn auf Lebenszeichen.

»Der ist sauber tot«, stellte er fest.

»Dachte, der hätte noch gezuckt«, sagte Silvio mit regloser Miene.

»Das kann sein, aber das passiert, wenn das Hirn abstirbt und die letzten elektrischen Impulse der Nerven sich entladen.« Vorsichtig löste der Arzt den festgezogenen Gürtel vom linken Oberarm des Toten. »Ich nehme mal an, die Überdosis war Absicht. Wer sonst würde sich hier draußen einen Schuss setzen?«

»Ein einsamer Tod mit Blick auf das Elbufer?«, spekulierte Marco, doch in seiner Stimme klang ein Frösteln mit. Von dieser Seite des Flusses aus bot die bunt erleuchtete Seevorstadt jenseits des schimmernden Wassers tatsächlich einen einnehmenden Anblick.

»Bringt et wat, wenn wir die Vampirspucke vom Register checken lassen?«, fragte Basti und deutete auf die frischen, jetzt bläulich verfärbten Einstichstellen.

»Absolut nicht«, antwortete Bock, »denn wer hier gespeist hat, ist tot.«

»’nen Fixer zu beißen, überlebt man nicht«, fügte Sugar Ray bedeutsam hinzu.

Bock nickte. »Ich hab das selbst mal gesehen, vor fast zwei Jahren. Der Vampir, den wir suchten, hatte einen Heroinabhängigen gebissen. Nur zehn Minuten nach dem Saugen starb er, kotzend und krampfend. Kein schöner Tod.«

Flex ließ seinen Blick das Elbufer hinunter schweifen. Es war zu dunkel, als dass er etwas Auffälliges hätte erkennen können. »Muss ein Baby gewesen sein«, sinnierte er. »Sollen wir suchen?«

»Ja, macht das, er kann nicht weit gekommen sein.« Bock ergriff die weißen Hände der Leiche und zog sie ein Stück weit vom Wasser weg.
 

Schon drei Minuten später hatte Sebastian den Vampir gefunden; er lag einige Meter flussabwärts halb im Wasser. Einer äußeren Einschätzung nach war er mindestens siebzig Jahre alt, sein verbliebenes Haar stand ihm in einem wirren, grauen Kranz um den runzligen Kopf.

Sugar Ray sagte unerwartet mitleidig: »Wenn man so alt noch verwandelt wird, ist es sicher schwierig. Also, sich noch an so ein anderes Leben zu gewöhnen.«

»Ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass man in dem Alter eine Transformation überhaupt überlebt«, gab Bock zu. »Schließlich muss der Körper enorme Belastungen aushalten.« Er bückte sich nach dem vermeintlichen Leichnam und zog ihn an der Schulter aus der Elbe.

Jäh ging ein Ruck durch den Mann, seine Arme pflügten durch die Luft, sodass Bock beiseite springen musste, und ein Schwall schwarz verfärbten Blutes brach aus ihm hervor. Hustend und zuckend lag er da, offenbar noch nicht bereit zu sterben, und schwarzer Schaum sammelte sich auf seinen Lippen und rann über sein Kinn.

»Oh Gott«, ließ sich leise Flex vernehmen.

»Schnell! Meine Tasche!« Der Arzt streckte fordernd die Hand aus, und Basti beeilte sich, ihm das Begehrte zu reichen.

Bock fand eine Spritze, entpackte sie und zog sie mit einer gelblichen Flüssigkeit auf, die er dem Vampir nicht gerade behutsam in die Gesäßbacke injizierte. Das Husten wurde lauter und abgehackter, und der Alte bäumte sich auf und spuckte noch mehr halbverdautes Blut aus; dann beruhigte er sich endlich und starrte mit dämmrigem Blick zu seinen Findern auf.

»Jesus Christus«, krächzte er, »diese Schmerzen …«

»Von Menschen mit Heroin im Blut sollte man die Finger lassen«, warnte ihn Sugar Ray.

»Ick gloobe, die Lektion bringt dem nüscht mehr.«

»Da hat Basti Recht«, murmelte Bock. »Wir können das Unvermeidliche nur rauszögern.«

Keuchend stemmte der Alte den Oberkörper hoch. »Ich wollte nicht … Ich wollte doch nie … Ich dachte, es wäre ein Schlaganfall gewesen … Erklären Sie mir das, Doktor! Ich hab wochenlang in der Uniklinik gelegen … Meiner Frau haben sie schon gesagt, ich würde es nicht überleben …«

Marco begriff und sagte leise zu den anderen: »Sie haben die Transformation nicht erkannt und als Krankheit in der Klinik überwacht, deshalb lebt er noch … Aber wer hat das mit ihm gemacht? Und wozu?«

»Ich weiß nicht, was mit mir los ist«, ächzte der alte Mann, und seine Augen schienen sich in verschiedene Richtungen bewegen zu wollen. »Ich war aus der Klinik raus … aber es ging mir immer schlechter, Doktor, alles hat verrückt gespielt, meine Haut, meine Augen, ich konnte nichts mehr essen … Was ist es wirklich? AIDS? Blutkrebs? Ich … ich weiß nicht, wieso ich …« Sein wässriger Blick wanderte zu der dunklen Pfütze in direkter Nähe.

Basti beugte sich so nahe zu dem Mann, wie er es sich zumuten wollte, und befragte ihn eindringlich: »Wer hatse denn zu dem jemacht, watse jetzt sind? Könnse dit sagen?«

Sugar Ray rollte die Augen; wie sollte man auf so eine Frage antworten, wenn man nicht einmal begriff, wie einem geschah? »Sie müssen uns sagen«, begann er seinerseits behutsamer, »mit wem Sie Kontakt hatten, bevor das alles passiert ist. ’s muss ’nen Vorfall gegeben haben …«

»Richtig, diese Art von Krankheit kommt nicht aus dem Nichts«, bekräftigte Bock, den Faden dankbar aufnehmend. »Sie müssen mindestens etwas getrunken haben, das Ihnen nicht bekommen ist …«

Der Graue sah ihn traurig an. Schon wurde er wieder schwächer, seine Augen trübe, und elendig röchelnd antwortete er: »Ich war bei diesen Leuten … Ich hab eine Enkelin, und ich weiß nicht, was mit dem Kind los ist … Sie sagte, diese Leute …«

»Wo?«, drängte Lange.

»In der Albertstadt … bei der Offiziersschule … in der Marienallee … Eine – eine Baugrube, mitten auf der Straße … Seit Wochen wird da kein Handschlag gemacht …« Wieder brach der bemitleidenswerte Sterbende in gequältes Husten aus.

Bock streichelte ihm die Schulter. »Wir werden rausfinden, wie das alles passiert ist.«

Als er die Hand wieder wegziehen wollte, umklammerte der Alte sie mit der ganzen brachialen Kraft eines Todgeweihten. »Doktor … Helfen Sie mir!« Er röchelte noch heftiger, seine Augen quollen fast aus ihren Höhlen – dann, ganz plötzlich, erschlaffte der Körper und fiel leblos ins nasse Gras zurück.

Die vier MIU-Leute starrten sekundenlang betroffen auf den Leichnam. Dann streckte Bock die Hand aus und schloss dem Mann die starren Augen.

»Hm«, sagte Silvio so teilnahmsvoll wie möglich. »Polizei?«
 

Es war schon spät, als Eric und Micha in der Nähe des Coschützer Rathauses auf den kleinen Rest von Fírinne trafen. Offensichtlich hatte das irische Pendant der MIU nur ausgewählte Leute mit nach Deutschland gebracht: Um den Tisch herum saßen außer den vier Ankömmlingen nur zehn weitere Männer und Frauen. Micha konnte nicht jeden von ihnen klar einer der Kategorien ›Mensch‹ und ›Vampir‹ zuteilen; nicht nur, dass auch Fírinne Tarnvorrichtungen wie etwa gefärbte Linsen gebrauchten, nein, sie schienen auch noch eine Art Parfümierung entwickelt zu haben, die den Eigengeruch des Individuums verwischte. Auf diese Weise waren Vampire auch für andere Vampire schwer von Menschen zu unterscheiden.

Allerdings war Micha ganz froh, wenigstens ein von damals bekanntes Gesicht zu entdecken: Raymond ›Rea‹ Garvey, den Sänger von Reamonn, mit dem er sich bei der ersten Zusammenarbeit von MIU und Fírinne im Januar 2005 gut verstanden hatte. So gut sogar, dass Garvey bei einer musikalischen Produktion In Extremos mitgewirkt hatte, und zwar bei dem Stück Liam; er hatte es nicht nur von seiner Mutter in – halbgares, wie Micha viel später erfahren hatte – Gälisch übersetzen lassen, sondern sich auch gesanglich beteiligt und im Nachhinein zusammen mit Micha ein wenig Unterricht genommen in dieser schwierigen Sprache, in der sich sowohl Fírinne als auch Fiacail Fhola bevorzugt verständigten. Das war unproblematisch gewesen, da Garvey zu diesem Zeitpunkt in Berlin gewohnt hatte. Nun wohnte er woanders, Micha hatte vergessen, wo, aber immer noch in Deutschland, und als eine Art Außenstelle von Fírinne musste er bei einem Einsatz wie diesem natürlich seinen Teil beitragen.

Sie begrüßten sich warm; fairerweise stellte Micha auch Eric und Rea einander vor, die sich damals nicht begegnet waren, weil sie getrennte Einsätze betreut hatten. »Er sagt«, raunte Micha Garvey ins Ohr, sobald Eric sich zu jemand anderem umgewandt hatte, »dass in Liam dreißig Fehler sind!«

Der Ire hob etwas verlegen die Achseln und antwortete in seinem noch nicht ganz fehlerfreien Deutsch: »Sorry, a Mhícheáil, aber die Sprachlernsystem in Irland ist furchtbar. Meine Mutter wurde noch von diese Christliche Brüder unterrichtet, die die Kinder mit die Gälischbücher misshandelt haben, kannst du sagen … Und außerdem, s und f klingen durch die Telefon total gleich …«

Als Mary McAleese freundlich um Ruhe bat, wurde ihr sofort alle Aufmerksamkeit zuteil. Die amtierende Präsidentin Irlands erklärte den Anwesenden kurz, was das Anliegen von Fírinne und der MIU war, und verwies auf den erfolgreichen Schlag gegen die Vampirterroristen vor mehr als einem halben Jahrzehnt. Sofort im Anschluss fragte sie Eric nach Lámh Dé, und dieser musste einräumen, dass Paul Frais – falls er es denn war, der auch diesmal die Fäden zog – einen Weg gefunden hatte, sich dem Einfluss des Vexecutors zu erwehren und ihn gefangen zu nehmen. Daraufhin machten die Fírinne-Leute lange Gesichter.

Micha, der während Erics Ausführungen auf die schneeweiße Tischfläche gestarrt hatte, fühlte jäh einen scharfen Schmerz durch seinen Bauch zucken. Begleitet wurde dieser von einem höchst unangenehmen, ziehenden Gefühl, das sich rasch in den letzten Winkel seines Körpers ausbreitete. Scheiße, dachte er und versuchte, sich ein wenig bequemer hinzusetzen, um seinen im Blutdurst rebellierenden Magen zu entlasten. Das hat mir gerade noch gefehlt.

Mary McAleese zählte auf, was sie bereits über Fiacail Fhola wussten, und Eric steuerte die Erkenntnisse der MIU bei. Keiner der beiden Kooperationspartner wurde dadurch viel schlauer, doch immerhin kristallisierte sich heraus, dass Fiacail Fhola diesmal einen offenbar weit größeren Plan verfolgten als zuletzt: Sie ließen verstümmelte Menschenleichen mit grässlichen Fleischwunden am Hals herumliegen, als wollten sie die Öffentlichkeit vor Vampiren das Fürchten lehren; auch schienen sie mit den vielen Toten, die scheinbar ohne Ursache beim Musikhören starben, etwas zu tun zu haben. Kurz kam die Diskussion auf, was mit solchen Taten bezweckt werden sollte, aber es war schnell klar, dass die Antwort mit so wenigen Hinweisen nicht gefunden werden konnte.

Die ganze Zeit über versuchte Micha, sich gerade zu halten und nicht ganz so schlecht auszusehen, wie er sich fühlte. Glücklicherweise achtete niemand auf ihn. Als die Präsidentin nach einer knappen Stunde der Besprechung eine Pause ankündigte und darum bat, Kaffee und Tee aufzusetzen, wandte Micha sich verstohlen an Rea Garvey.

»Eigentlich würde ich nie danach fragen, weil ich viel zu stolz bin«, sagte er und war froh, dass der Ire ihm aufmerksam zuhörte, »aber ich muss es jetzt leider doch machen. Habt ihr Blut?«

»Oh.« Rea sah ihn mitleidig an. »No, a Mhícheáil, wir haben unsere Vorräte in die belgische Botschaft versteckt. Warum hast du nichts gesagt, als wir losgegangen sind? Tut mir Leid, ehrlich.« Er klopfte Micha auf die Schulter. »Wir werden jetzt bald zu eine Schluss kommen. Hältst du noch ein bisschen durch, mein Freund?«

»Ja, na klar«, gab Micha zurück und tat so, als wäre es nicht so wild. »Aber es hätte ja sein können.«

»Ich hab gedacht, du hättest welches dabei. Sieht jedenfalls so aus«, sagte Garvey und zeigte auf Michas Jackentasche, aus welcher der Hals der Metflasche ragte.

Micha hatte das Gewicht an seiner Seite zuletzt völlig ignoriert. Erst jetzt bemerkte er, dass er mit dem Getränk wahrscheinlich wie ein Alkoholiker aussah. Vielleicht hatte deswegen keiner mit ihm geredet. Er zog das Wikingerblut hervor und sagte: »Das ist nicht das Zeug, das wir sonst trinken. Ich trau dem nicht.«

»Darf ich mal ansehen?«, fragte Rea und nahm auf Michas Schulterzucken hin die Flasche in die Hand, um den leidig wieder hinein gepfropften Korken zu ziehen und den Inhalt zu beschnuppern. »Das riecht aber lecker. Viel besser als die, was wir aus Irland mitgebracht haben. Du willst das nicht trinken? Sure? Ich koste auch gerne für dich.« Er grinste ihn an.

Micha lächelte schwach zurück. »Weißt du was, du kannst es haben. Ich hol mir … was anderes.«

»Ist im Moment nicht clever, auf offene Straße jemanden zu beißen, meine ich. Nicht nach diese offene Hetzkampagne gegen uns Vampire, die Fío angezettelt haben.« Fío war die Abkürzung, die Fírinne für Fiacail Fhola gebrauchten.

»Ich werd aufpassen«, versprach Micha und schluckte den Hungerschmerz tapfer hinunter. »Aber mal was anderes: Kann ich meinen Chef anrufen?«

»Oh, ja, sure«, antwortete Garvey, der noch immer ganz verzückt an dem Wikingerblut roch. »Komm mit ins Büro.«
 

Klaus Buschfeldt bebte vor Zorn.

»Was fällt denen eigentlich ein?«, donnerte er, nachdem er das Gespräch beendet hatte. Der furchtbar nervige Signalton hatte schon den ersten Schritt gemacht, um ihn in Rage zu versetzen, und dann auch noch so eine Nachricht: Fírinne hatten sich in die Sache eingemischt und sich nicht einmal mit dem BfV, der innerhalb der Bundesrepublik Deutschland klar zuständig war, in Verbindung gesetzt. Drei seiner Agenten aufzulesen entsprach nicht Buschfeldts Vorstellungen von Kooperation, sondern fast schon Heimlichtuerei. Sicher würde auch Fr. Dr. Kircher sich nicht freuen, wenn er ihr das meldete.

Immerhin, dachte er, war Eric dabei; der würde schon dafür sorgen, dass Fírinne der MIU nicht die Zügel aus der Hand rissen. Allerdings wäre es ihm bedeutend lieber gewesen, die irische Präsidentin und ihr Gefolge aus zahmen Vampiren hätten ihn, Buschfeldt, zuerst einmal angerufen und anschließend zur Besprechung aufgesucht. Die wollten doch etwas, verdammt!

Zu allem Überfluss kam jetzt auch noch dieser Berliner mit dem primitiven Dialekt herein. »Boss? Wir haben rausjefunden, wo dit Versteck ist. Werden uns dit jetzt vornehmen.«

Das klang wie eine Anordnung, und da Buschfeldt diese nicht abgesegnet hatte, war es eine Frechheit. »Vergiss es, Lange! Wo wart ihr überhaupt den ganzen Tag? Es ist schon mitten in der Nacht! Die Vampire werden aktiv sein! Und überhaupt, verdammt, Fírinne sind in der Stadt und ich brauche meine Vampirjäger einsatzbereit. Heißt im Klartext: Du gehst nirgendwohin, und Flex schon mal gar nicht!« Sebastian sah ganz gekränkt aus, als hätte er nicht erwartet, so zurechtgewiesen zu werden, deshalb fügte der Direktor noch hinzu: »Ich hab euch viel zu lange viel zu viel durchgehen lassen. Damit ist jetzt Schluss!«

»Kann et sein, datse da gerade wat an mir auslassen, wofür ick nüscht kann?«, entgegnete Lange beleidigt.

»Selbst wenn es so wäre, dann wär es nicht dein Bier. Und jetzt hau ab.« Dieses ekelhafte Grau der Wände und das gänzliche Fehlen von Tageslicht machten Buschfeldt schon die ganzen letzten Tage missgestimmt. Außerdem war es Zeit, ins Bett zu gehen.

Van Lange warf seinem Vorgesetzten einen mehr als übellaunigen Blick zu, bevor er wortlos ging und die Tür deutlich zu laut hinter sich zumachte.

»Kommt endlich damit klar, dass ihr mit mir nicht machen könnt, was ihr wollt«, knurrte Buschfeldt ihm hinterher.
 

»Also lässt Chefchen uns nicht gehen«, fasste Falk die Ergebnisse des Gesprächs zusammen, das ihm und den anderen soeben geschildert worden war.

»Streng jenommen stimmt dit nicht«, relativierte Basti sofort. »Er hat jesagt, ›Du jehst nirgendwohin, und Flex schon mal jar nicht‹ … Dit bedeutet in meiner Auffassung, dass die anderen jehen können.«

»Er wird uns nur einen Strick daraus drehen, wenn wir es so auslegen.« Lasterbalk rieb sich müde die Stirn. Auf einen Konflikt mit dem Chef hatte er keine Lust; im Moment gab es genug andere Probleme.

»Aber er hat es tatsächlich nicht explizit verboten«, wandte Asp spitzfindig ein. »Er kann sich also nicht darauf berufen, egal wie er argumentiert.«

»Ich bin dafür, dass wir einfach abhauen, und zwar jetzt gleich«, grollte Ingo Hampf. »Ich hab gute Lust, so viele von diesen Kackbratzen zu pfählen wie möglich!«

»Na fein.« Falk sah in die Runde. »Ich bin dabei. Wer noch?«

»Also schön, ich bin dabei, wenn wir uns unterwegs was zu essen holen«, sagte Lasterbalk einsichtig und fügte hinzu: »Ich weiß ja net, wie’s euch geht, aber mir setzen anderthalb Tage ohne Hyperborea schon irgendwie zu.«

»Da bin ich voll und ganz deiner Meinung«, nickte Falk. »Noch wer?«

»Ich komm mit«, erklärte Asp.

»Und ick muss wohl hier bleiben«, seufzte Sebastian und fügte sich in sein Schicksal.
 

Da Buschfeldt sich brütend in sein Reich zurückgezogen hatte, war es nicht schwierig, ohne sein Wissen die Basis zu verlassen. Amboss brauchten sie nicht, da sie den Weg kannten, und die Anwesenheit des Hundes würde den Direktor erst sehr spät darauf schließen lassen, dass sich jemand auf einem unautorisierten Einsatz befand. Alle Übrigen würden Unwissenheit heucheln; gegen die Obrigkeit hielt man immer zusammen.

Leise durchquerten Falk, Lasterbalk, Asp und Ingo die Klinik, wobei ihre Schritte in der fast geräuschfreien Atmosphäre aus desinfizierter Luft und leisem Maschinensummen hohl widerhallten. Das Nachtschichtpersonal erkannte sie und ließ sie anstandslos passieren. Offensichtlich wusste über die geheimdienstlichen Untermieter jeder bescheid.

Mit dem Dark Knight verließen sie das Parkhaus und schließlich das Klinikgelände. Allzu weit würde der Weg nicht sein.

Falk, der den Astra fuhr, war nervös und musste seine feuchten Hände mehrfach an der Hose abwischen, um das Lenkrad richtig festhalten zu können. Er hatte Angst zu erfahren, was Fiacail Fhola mit Alea gemacht hatten. Die zweite große Frage, die sie alle beschäftigt hatte – nämlich die nach dem Verbleib von Eric, Micha und Fritz – hatte sich nach Michas Anruf ja geklärt; somit blieb Alea als einziges großes Fragezeichen auf dem Papier, das Problem schlechthin, denn ohne ihn und seine Begabung war einer so gewieften und gut strukturierten Übermacht wie Eff Eff im Traum nicht beizukommen.

Lasterbalk, der neben Falk saß, hoffte ebenfalls inständig, dass Alea noch unversehrt war. Die Aussicht darauf war allerdings gering. Je früher wir uns die Deppen krallen, desto besser.

Unterwegs versuchten sie, an einem Spätverkauf an Hyperborea heranzukommen. Falk stieg mit den Worten »Eine Flasche wird ja erst mal reichen« allein aus, während die anderen im Auto warteten. Als er zurückkam, waren die anderen nicht weniger verwundert als er.

»Was is’n das bitte?«, fragte Ingo. »Sollt ihr statt Blut jetzt Met saufen?«

»Wikingerblut kann ich auf dem MPS jedes Wochenende in der Drachenschenke haben«, beschwerte sich Lasterbalk. »Wussten die etwa net, was du von ihnen willst?«

»Doch, doch.« Falk betrachtete die Flasche ratlos. »Die haben gesagt, das wäre der Nachfolger von Hyperborea. Also, sie haben es ganz ausdrücklich so gesagt, es ersetzt wohl Hyperborea, ernsthaft. Wieso, das wussten sie auch nicht. Keine Ahnung, was ich davon halten soll.«

Sie untersuchten den Inhalt der Flasche und befanden, dass er ihrer gewohnten Fertignahrung nicht nur ähnlich sah, sondern darüber hinaus einen ziemlich appetitlichen Eindruck machte.

»Nun habt euch doch nicht so und trinkt das Zeug, damit wir weiter können«, forderte Ingo die Vampire ungeduldig auf. »Zum Rummäkeln ist jetzt keine Zeit, Mann.«

»Du hast Recht«, lenkte Falk ein, entkorkte die Flasche mit den Zähnen und nahm einen tiefen Zug.

Ermutigt folgten die anderen beiden seinem Beispiel. Ein Viertelliter verdünnten Blutes machte zwar keinen von ihnen satt, gab aber erst mal wieder Kraft zum Denken und Arbeiten.

»Los, gib Stoff!«, rief Lasterbalk in Falks Ohr, während er die leere Flasche über die Schulter hinter sich warf, wo Asp sie auffing und zwischen sich und Ingo legte.

»Bin schon dabei.«

Mit quietschenden Reifen setzte sich der Dark Knight wieder in Bewegung, geradewegs Richtung Albertstadt.



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