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Die Jagd nach der Muse

Alljährliches Heile-Welt-Special
von

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Künstlerdasein

Das Feuerzeug klickt, und in der Dunkelheit ringsum springen Funken, ehe die kleine Flamme aufblitzt. Flackernd beleutet sie die hohle Hand, die das tragbare Feuer schützt, und die Zigarette, die sie gleich darauf entfacht.

Ein Zug. Zwei Züge, nur gepafft.

Die glühende Spitze glimmt einmal heftiger, ehe sie wieder nur vor sich hin schwärt. Rauchschwaden steigen in die kalte Luft, verschwimmen beinahe sofort im Dunst, der über der Stadt hängt und alle Lichter dämpft. Er nimmt einen tieferne Zug seiner Zigarette und fühlt gleich, wie es hinten in seinem Hals zu kratzen beginnt. Die Sucht lässt viel ertragen, denkt er und lehnt sich leicht nacht vorne, an das wackelige Geländer des Balkons. Er fröstelt leicht, so, nur im grünen Unterhemd und langen Sporthosen. Er trägt nie Pantoffeln oder Socken, seit ihm die Waschmaschine alle entweder rosa wieder ausgespuckt oder verschluckt hat. Der Rauch, der zwischen seinen Lippen hervorkommt, verteilt sich diffus in den Nebelschwaden. Sein dunkler Blick wandert über die Stadt - alles scheint seltsam unwirklich - und bald starrt er in den Himmel, wie immer auf der Suche nach Sternen, die sich doch nicht zeigen. Stattdessen blinken vor seinen Augen andere Lichter - die der STadt, die sich wie ein riesiger Moloch nach allen Seiten hin ausstreckt.

Vor kurzen hat die Uhr von Sacre Coeur oben am Hügel begonnen, Mitternacht zu schlagen, und nicht nur sie: überall in der Stadt findet der Klang Antwort. Es ist, als vibrierte ganz Paris unter dem Dröhnen der Glocken, als zittere alles vor der einen, seligen Nacht.

Er schmunzelt schief, spöttisch. Auf was für Ideen er nur kommt, bloß, weil ein Gottesdienst beginnt. Zumindest glaubt er, das zu wissen. Er geht nicht zur Kirche, noch nicht einmal an seligen Nächten. Lieber beobachtet er das Monster von Stadt, von dem er nur einen kleinen Teil überblicken kann, obwohl er mitten auf dem Mont Martre wohnt. Trotz des Zigarettenrauchs dringt noch immer der Duft von Zimtplätzchen zu ihm durch. Seine Nachbarin hat den Tag über welche gebacken, und wohl zum Abkühlen auf den Balkon gestellt.

Er verzieht das Gesicht. Jetzt verpesten sie sein Umfeld. Igitt.

Und dann, ganz urplötzlich, senkt sich der Mantel der Stille über diese Stadt, die niemals schläft, die eigensinnig gegen alles, was auch nur im Ansatz der Stille zuträglich sein könnte, verschlingt.

Nur heute kehrt Ruhe ein, in dieser einen Nacht. Er fährt sich durch die dunklen, widerspenstigen Locken, seufzt leise. Seine Zigarette ist zur Hälfte aufgeraucht. Und das Päckchen leer, muss er sogleich feststellen. Mist.

Dabei wollte er doch nichts Anderes als seinen Weihnachtsabend rauchend auf dem Balkon zu verbringen.

Weihnachten?

Das feiert er schon lange nicht mehr. Und trotzdem kann er den Blick nicht von den vielen hell erleuchteten Fenstern abwenden.

Gucklöcher in eine andere Welt, denkt er und lehnt sich etwas weiter nach vorne. Überall scheint es fröhlich heraus - eine Packung Heile Welt zum Mitnehmen, bitte, denkt er zynisch und schmunzelt über die Idylle im Fenster gegenüber. Gestern noch hat das Paar sich gefetzt, dass die Teller durch die Gegend geflogen sind. Überall leuchtet es. Nur in der Wohnung hinter ihm ist es dunkel.

Er nimmt einen Zug von seiner Zigarette, noch einen weiteren. Der Rauch scheint seine Atemluft mit sich zu nehmen, doch er bemerkt nichts davon. Für ihn macht es keinen Sinn, dieses kleine Laientheater alljährlich zu wiederholen, nur weil für einen Teil der Welt der Erlöser geboren wurde - schon wieder.Lieber verzichtet er da völlig auf den ganzen Quatsch.
 

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Er brummelt vor sich hin, massiert sich angestrengt die Schläfen, und dreht sich nicht um, als er das Schloss knacken hört. Entweder sind es Einbrecher, die lästigen Nachbarskinder oder Madeleine. Alle drei keine gute Aussicht. In der Wohnung hinter ihm wird Licht eingeschaltet, und die Nervenstrapaze entpuppt sich als Madeleine. Nur sie trägt Stöckelschuhe mit mörderischen Absätzen, die auf dem Boden klicken.

Er ist sich nicht so recht sicher, ob er nicht lieber die Einbrecher gehabt hätte.

"Henrý?", ihre helle Stimme klingt zunächst fragend, dann wird es kurz still. Bestimmt bestaunt sie seine übliche Unordnung - das entsteht nun einmal, wenn er auf die Jagd nach der Muse geht, und doch nicht weiterkommt. Er hat es - wieder -nicht geschafft zu malen. Die Blockade hat ihn in ihrem handfesten Griff. Oder er hat die Musen nicht gut genug bestechen können. Geradewegs, als griffen sie nach seinem Pinsel, wenn er gerade Farbe auf die Leinwand auftragen will, und blockierten jede Bewegung in die Richtung.

"Henrý?", wieder ein Ruf, der unbeantwortet bleiben wird. Er schlingt die Arme um sich, als ihm plötzlich seine eigene Gänsehaut auffällt, und reibt einige Male mit eisig kalten Händen über die Oberarme, ehe ihm klar wird, dass dies wirklich nichts bringt. Er haucht in seine kalten Hände, schiebt sich den inzwischen bedenklich geschrumpften, filterlosen Tabakstängel zwischen die Lippen. Irgendwie erinnert ihn das alles gerade an den letzten Joint, den er geraucht hat - irgendwann, in Amsterdam, als er geglaubt hat, der neue Rembrandt zu werden.

"Henrý", Madeleine gibt nicht auf, ihre Stimme klingt nun heller als zuvor - wahrscheinlich steht sie bereits hinter ihm, in der offenen Balkontür. Sie ist einfach zu penetrant, stellt Henrý fest, und schüttelt bloß den Kopf.

"Ich.. - Die Tür war offen. Und du hast dich seit Tagen nicht mehr gemeldet", Madeleine muss das auf sich gemünzt haben. Sie entschuldigt sich - zumindest ihrem Tonfall nach. Henrý brummelt bloß, zieht ein letztes Mal an der Zigarette, ehe er sie einfach von sich schnippt. Sie ist nur mehr ein Stummelchen. Noch bevor er auf dem Bürgersteig drei Stockwerke unter ihnen aufkommt, wird der Überrest der Zigarette vollkommen verglommen sein.

Madeleine scheint unentschlossen - anders als sonst. Wenn sie Modell steht ist sie entschlossen. Wenn sie sich treffen, ebenso. Ihr dunkler, französischer Akzent lässt seinen Namen immer vibrierend durch seinen Körper jagen - es ist einfach anders.

Ein ungewisses Schmunzeln zieht sich über sein Gesicht, aber das kann sie natürlich nicht sehen. Er hat sich nämlich noch immer nicht umgedreht.

So bekommt er also ihre schwache Seite zu sehen. Die schüchterne Madeleine. Einfach dadurch, dass er so tut, als wäre er alleine auf der Welt.
 

Scheinbar hat diese andere Madeleine jedoch nicht lange die Oberhand, denn bald spürt er sie an seine Seite treten. Ihre dunkle Stimme scheint über die Stadt hinweg fortgetragen zu werden. Oder aber, er hat einfach einen an der Waffel. "Wie ruhig es ist"

Und nun muss er doch hinsehen. Ihre Stimme ist eine Droge - dunkel, melodisch, reizvoll. Könnte er sie malen, wäre er schon lange einer der Großen. Seine Augen blitzen nachdenklich. Die Muse etwa?

Madeleine lehnt den Kopf leicht in den Nacken, und das flachsblonde Haar glänzt im Widerschein seiner flackernden Wohnzimmerbeleuchtung. Sie schließt kurz die Augen, atmet tief durch, ehe sie gen Stadtmitte blickt. Der Eifelturm ist von weitem erkennbar. Er sieht ihn sich nur nicht mehr an. "Die Aussicht ist wirklich.. überragend!", sie lacht einmal hell auf, "In dem stinkigen, dunklen Wohnzimmer fällt das nicht einmal auf!" - "Wohnküche", verbessert er automatisch. Er hat keine große Wohnung. Mehr als seine zwei Zimmer hier kann er sich nicht leisten. Madeleine zuckt bloß mit den Schultern, und ihre honigbraunen Augen funkeln ihm zu. Sie ist in ihren Stöckelschuhen, wenn er sich etwas an das Geländer lehnt, mit Henrý auf Augenhöhe. Er verdreht seine grauen Augen bloß, und blickt kurz hinüber zum Nachbarpaar von Gegenüber. Er kennt sie nicht. Sie kennen ihn nicht. Er beobachtet sie nur manchmal. Und gerade läuft drüben noch immer das Heile-Welt-Weihnachtsspecial.

"Was machst du überhaupt immer hier draußen?", beschwert Madeleine sich und schlingt die Arme um sich. Wahrscheinlich macht sein Anblick es ihr auch nicht leichter, sich warme Gedanken zu machen.

Er musste aussehen wie eine Leiche im Permafrostboden.. oder so ähnlich.
 

"Ich gucke Fernsehen", seine eigene Stimme klingt ihm fremd, bemerkt Henrý. Er hat sich wohl echt schon länger nicht mehr ins Volk gemischt. Sein Arm weist ausgestreckt zum Weihnachts-Special von gegenüber. Madeleine lehnt sich nach vorne, kneift die Augen zusammen, bis sie das Fenster des Paares entdeckt hat. "Und was ist daran so interessant?", fragt sie, nachdem sie sich ihm zugewandt hat, und eine Augenbraue grazil in die Höhe hebt. Wie schafft sie das so grazil?, fragt sich Henrý insgeheim. Er zuckt mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Warum siehst du dir Telenovelas an?", erwidert der Dunkelhaarige schmunzelnd.

Wie auf Knopfdruck verdreht Madeleine die Augen und zupft an seinem Hosenbund.

So kann nur sie es - so vollkommen ohne Hintergedanken, dass ihm ein heißkalter Schauer über den Rücken läuft. "Lass uns reingehen. Du bist ja schon vollkommen durchgefroren!", wechselt sie das Thema.

Die Französinnen zielen normalerweise immer auf dieses Verdorbene unter der Oberfläche. Bei Madeleine ist es umgekehrt - sie sieht vielleicht manchmal, im rechten Licht, aus wie eine Verführerin, hat aber eigentlich keine Hintergedanken.

Darum ist sie sein Lieblingsmodell. Sie hat ihn noch nicht vollkommen angeödet. Und, dass sie ihn am Abend vor dem 25. Dezember besuchen kommt und ihm auf seinem eiskalten Balkon Gesellschaft, spricht wohl auch für sie.

Henrý schmunzelt und verdreht die Augen über sich selbst, ehe er ihr in die Wohnung hinein nachfolgt, in der es nur wenig wärmer ist. Madeleine fröstelt und zieht ihren Mantel etwas enger um sich, dreht sich zu ihm um. Sie schreitet die angefangenen Leinwände ab, die sich an einer Wand aufreihen, um zu trocknen, mustert einen jeden der Ansätze interessiert und mit wirklich offenen Augen.
 

Henrý lässt bloß einen abfälligen Laut hören. "Sieh sie dir nicht an", will er, doch Madeleine ignoriert ihn vollkommen. Sie ist an Künstler und ihre seltsamen Attitüden gewohnt. Henrý kommt schnellen Schrittes hinter sie, will sie packen, und doch schafft er es irgendwie nicht. Ärgerlich gunzt er. "Sie sind schlecht"

Madeleine dreht sich zu ihm um, blickt aufmüpfig in die Höhe, dass ihre Stupsnase noch etwas mehr zur Geltung kommt. "Das bestimmst nicht du", erwidert sie, "Immerhin habe ich für sie alle Modell gesessen!"

Wie kann sie das wissen? Er hat ihr seine Skizzen von ihr niemals gezeigt, zumindest nicht die letzten. Außerdem hat er sie schon länger nicht mehr zu sich bestellen können. Nur wegen der Muse, die ihn vernachlässigt.

"Vielleicht hat sie sich ja im Stock geirrt und der Zahnarzt im Obergeschoss wird zum Aktfotografen", erwidert Madeleine lakonisch, und ein spöttisches Grinsen zieht sich über ihr Gesicht. Henrý hat noch nicht einmal mitbekommen, dass er laut gedacht hat.

Er grunzt nur - scheinbar seine liebste Art der Kommunikation, zumindest im Moment - und fährt sich durchs Haar. "Sie will mich nicht mehr!", klagt er, und seine grauen Augen blicken Madeleine anklagend an, als sei sie der Grund für das Ausbleiben der Göttin. Diese verdreht nur die Augen und macht einen Schritt auf ihn zu. "Ihr Künstler mit euren verdammten, empfindlichen Seelen", sie klingt spöttisch, aber irgendwie auch verbittert, "Dabei könnt ihr euch wirklich alles erlauben!"
 

Und trotz der Kälte in der Wohnung beginnt sie sich, auszuziehen. Madeleine ist eigentlich kein Aktmodell - zumindest nicht mehr. Sie sagt, sie will ihre Fettreserven nicht mehr jedem vorzeigen. Dabei ist sie wunderbar - zumindest in Henrýs Augen. Der Dunkelhaarige schluckt, und kann den Blick nicht von ihr nehmen, bis sie in Unterhemd, Strümpfen und Höschen vor ihm steht, die Arme in die Hüften gestemmt. Ihre Forderung ist einfach. Keine Plätzchen, kein kitschiger Kerzenschein, keine Schein-Heile-Welt.

"Mal mich"
 

Scheiß auf die Musen, denkt Henrý noch, bevor sein Denken sich auf die Göttin vor ihm konzentriert und nichts Anderes mehr wahrnimmt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  PenAmour
2012-02-01T23:06:28+00:00 02.02.2012 00:06
o_O Ich hab erst gar nicht mitbekommen, dass die Geschichte online ist und dann hatte ich kaum Zeit - meine Güte, Verzeihung.

Aber nun zur Geschichte. :)
Der Anfang ist schön, kraftvoll und sehr nah an der Zigarette. Ich mag solche Momentaufnahmen - gerade wenn sie klangvoll und vor allem bildhaft beschrieben werden. Also meine volle Aufmerksamkeit von Wort Eins an. (Pluspunkt vom Ex-Raucher für die passende Beschreibung des Rauchens selbst xD.)

Der Handlungsort: Paris. Lustigerweise hatte ich diesen Schauort ebenfalls für meine Wichtelei ausgewählt - eine inspirierende Stadt.^^
Besonders positiv finde ich auch, dass du die Realität mit einbeziehst - sprich den Eifelturm oder Sacre Coeur, das sind so Details, die es noch lebendiger machen.

Und was ist mit der Situation selbst? Sie hat etwas willkürliches, so etwas gefällt mir. Die Charaktere bleiben etwas auf Abstand - weil er sich in der Rolle gefällt.

Danke also mit etwas Verspätung.
Bis dahin
PenAmour


Von:  Sencha
2012-01-27T19:55:17+00:00 27.01.2012 20:55
Ziemlich gut-interessante Metaphern und eine schlichte, unverschnörkelte Sprache. Gefällt mir. ^^
Ein paar Rechtschreibfehler sind halt auch drin, was nicht so schlimm ist. Aber auf der ersten Seite stört's halt schon ein bisschen.
Ich hätte die Handlung nicht so vorausgesehen, ich dachte es hätte mehr mit seinen Nachbarn zutun.
Aber ich find toll wie du die Figuren gestaltet hast. Henrýs Zynismus und Egozentrik kommt ziemlich gut heraus, eben so wie seine "Beziehung" zu dem Modell. Madeleine hat tatsächlich etwas Anziehendes und Kluges, das ist ziemlich gut. Mach also weiter so ^v^


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