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Retinnio

Klingend
von

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Nächtlicher Besuch

Auch wenn er beileibe kein Angsthase war, fand er das leerstehende Gasthaus in Addition zu einem merkwürdigen, unbekannten, eventuell gewalttätigem Etwas außerhalb besagten Gasthauses doch sehr beunruhigend.

Der Fakt, dass seine Begleitperson – nicht zu verwechseln mit der Bezeichnung 'Begleitschutz', was ja die eigentliche Intention gewesen war – ein erfahrener und durchaus fähiger Bee war, trug nicht unbedingt zur Linderung des Beunruhigungsgefühles bei.

Zumal besagter Bee gerade schlief.

Was jeder noch so unfähige Quacksalber ihm verschrieben hätte.

Er hatte ja schon furchtbar ausgesehen, als er in Herrn Moritz' Büro getreten war und die Reise hatte ihm alles andere als gut getan.

Thunderland ertappte sich selber dabei, wie er den schlafenden Lloyd mit leichter Besorgnis musterte. Der Leiter des Bienenstocks ließ seine Leute mal wieder im Akkord schuften. Und anschließend wurde sich gewundert, weshalb plötzlich die halbe Belegschaft den Krankenflügel, der unglücklicherweise unter anderem Thunderland unterstand, belagerte. Jedes kleine Kind hätte den werten Herren Vorsitzenden attestieren können, dass Stress und hohe Belastung das Immunsystem immens schwächten und anfällig für jegliche Art von Infektionen machte.

Typisch für solche hohen Leute, die weniger die Leute dafür mehr die Zahlen der gelieferten Briefe sahen. Sie mussten ja auch nicht dafür sorgen, dass die ganzen Kranken gepflegt wurden und irgendwelche Medikamente in Massenproduktionen hergestellt wurden.

In dem Moment hörte er, wie unten Holz auf Holz krachte.

Sofort war er hellwach. Das unmissverständliche, dumpfe Geräusch von Füßen, die die Treppe hinaufstiegen, übertönte sogar das schiefe Heulen des Windes.

„Lloyd!“, zischte er und rüttelte an seinem schlafenden Kollegen.

„Nngh... lass mich...“ Unwirsch drehte der Bee sich auf die Seite.

Die Schritte erreichten den oberen Absatz der Treppe.

„Lloyd! Verdammt noch mal!“ Thunderland packte den Halbschlafenden am Schlafittchen und zog ihn hoch.

„Da. Ist. Jemand. Im. Flur.“ Lloyd blinzelte kurz, dann schien das, was Thunderland ihm da so leise wie möglich zu wisperte, zu ihm durchzusickern.

Thunderland ließ ihn los und der Bee schnappte sich sein Shindan-juu und die Brille vom Nachttisch.

Der Arzt zog seine eigene Pistole von dem Hüftgurt und beide lauschten angestrengt, bemüht kein Geräusch zu machen, in die erdrückende Stille.

Und nur Stille antwortete ihnen.

Thunderland wurde langsam ungeduldig. Hatte er sich die Schritte nur eingebildet? Da ertönte ein Knarzen, dieses Mal direkt vor ihrer Tür.

Er tauschte kurz Blicke mit Lloyd. Dieser bewegte stumm die Lippen. Tür. Thunderland nickte und schlich sich zum einzigen Ausgang aus dem Zimmer, vorsichtig, um nicht wohlmöglich auf knarzende Bretter zu treten. Er drückte sich an die Wand links von der Tür.

Beide warteten.

Die Tür flog auf und schlug mit einem Krachen gegen die rechte Wand.

Blitzschnell folgte der aufspringenden Tür ein dunkler, menschenförmiger Schatten, doch darauf war Thunderland vorbereitet gewesen.

Mit einem flinken Griff bekam er den Eindringling an der Schulter zu fassen und schmiss ihn zu Boden. Largo schnellte nach vorne und packte die beiden wild um sich schlagenden Arme während Thunderland die entsicherte Pistole auf seinen Kopf richtete.

„Nicht schießen!“, rief eine erheblich gedämpfte Stimme. Was vermutlich daran lag, dass Thunderland den Sprecher gerade mit dem Gesicht zuerst in die Dielen drückte.

„Solange du keine Faxen machst, passiert dir schon nichts“, knurrte Thunderland.

Daraufhin wurde es still und der Arzt nahm sich Zeit, ihren 'Fang' zu begutachten.

Von der Rückseite und der Stimme her sah der Eindringling auf alle Fälle schon einmal sehr menschlich aus, was aber nicht unbedingt Anlass zur Beruhigung war.

Gekleidet war der hoffentlich-Mensch in einen den Witterungen entsprechenden Mantel und eine einfache Hose in Kombination mit einem Paar Schneestiefeln.

Largo hatte ihm derweil die Waffe aus der linken Hand gewendet und betrachtete sie nun mit mildem Interesse.

Es war eine kunstvoll verzierte Pistole mit einem Griff aus Mahagoniholz. Auch wenn Thunderland sich nicht sehr mit Waffen auskannte, man sah dem Gegenstand auf den ersten Blick an, dass der Käufer dafür einige Beutel Münzen auf dem Tresen hinterlassen hatte. Trotz allem hatte der Zahn der Zeit wohl doch schon etwas an ihr genagt und Schrammen und Flecken auf Holz und Metall hinterlassen.

„Hallo?“, fragte die Stimme von unten. „Wenn ihr nichts mit mir macht, könntet ihr mich dann bitte loslassen? Der Fußboden ist sehr unbequem...“

„Wer bist du?“, fragte Largo frei heraus.

Ein gedämpftes Stöhnen. „Mein Name ist Musica Canor, falls ihr es unbedingt wissen wollt.“

„Und weshalb schleichst du hier um das Haus herum und greifst uns an?“

„Ich habe niemanden angegriffen!“, kam es empört von unten. „Ihr seid es doch, die meinen, unschuldige Leute auf den Boden zu pressen! Ich habe nur nach einem warmen Bett in dieser Herberge gesucht.“

Largo und Thunderland tauschten ratlose Blicke.
 

„Und wegen deinem Job als Bee und seinem als Arzt müsst ihr also zum Briefe liefern und Leute heilen nach Heban?“

Sie saßen an einem der Tische in der Wirtschaft, Largo und Thunderland an der einen und Musica mit seinem Gepäckhaufen an der anderen Seite.

Die beiden Männer aus dem Beehive nickten.

Geräuschvoll schlürfte Musica seinen Löffel Ekelsuppe leer.

„Das Zeug ist echt lecker, wisst ihr das?“

„Äh, ja...“ Largo behagte dieser Typ überhaupt nicht.

Das lag nicht an seinem recht umgänglichen Wesen oder dem leichten Lächeln, das irgendwie ständig an seinen Lippen klebte. Nicht an dem jugendlichen Gesicht mit den unschuldig dreinblickenden, rehbraunen Augen, umrahmt von schmutzigem blonden Haar, das lang genug war, dass der daraus geflochtene Zopf mehr als schulterlang war. Oder dass er ihnen im Auszug gegen etwas zu essen den 'Überfall' im Schlafzimmer bereitwillig verziehen hatte.

Es lag viel mehr daran, dass er es schaffte, drei Konserven zu leeren, ohne sich dabei zu übergeben.

Und zu allem Überfluss schien ihm die Brühe auch noch zu schmecken.

Der konnte ja nur böse sein.

„Also, genug von uns“, sagte Thunderland, der bisher weitestgehend das Gespräch geführt hatte. „Was ist mit dir?“

Musica wischte sich gesättigt mit der linken Hand die Suppenreste von dem Mundwinkel.

„Da gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen... Ich bin ein Musiker aus einer kleinen Stadt im Westen von Yuusari...“

„Musiker? Was spielst du?“, fragte Largo.

Musicas Augen leuchteten auf. „Violine. Hier, ich zeige sie euch.“

Mit einer Handbewegung wurden die leeren Dosen beiseite geschoben und er hievte einen länglichen Kasten auf den Tisch.

Mit einer Hand fummelte er an seinem Hals herum, dann zog er eine unscheinbare Kette hervor, die Schnur ein Lederband und als Anhänger ein kleiner, goldener Schlüssel.

Er klippte den Anhänger ab und steckte den Schlüssel in ein Schloss, das man an dem Kasten angebracht hatte.

Ein Klicken, und das Schloss war offen.

Vorsichtig hob Musica den Kofferdeckel an und drehte den Koffer so herum, dass Thunderland und Lloyd den Inhalt sehen konnten.

„Darf ich vorstellen, das ist Phienna!“

Eingebetet in dunklem Tuch, lag eine aus dunklem Holz gefertigte Violine.

Largo kannte sich nicht sonderlich mit Instrumenten aus, insofern erschien das Instrument ihm wie jede andere Geige, die er gesehen hatte. Deren Zahl er an einer Hand abzählen konnte.

Er zog eine Augenbraue hoch. „Du hast der Geige einen Namen gegeben?“

Leicht zärtlich strich Musica über das blank polierte Holz. „Nicht direkt. Die Geige gehörte früher meiner Mutter, aber nachdem sie sich bei der Arbeit zwei Finger der linken Hand gebrochen hat, konnte sie nicht mehr spielen und hat Phienna an mich weitervererbt. Sie war es auch, die mich das Spielen gelehrt hat.“

„Und was treibt dich dann hier in diese Gegend?“

Musica grinste vergnügt. „Ich bin auch auf dem Weg nach Heban, genau wie ihr.“

„Ist das nicht etwas gefährlich, allein zu reisen?“

Der Violonist zuckt mit den Schultern. „Bisher wurde ich noch nicht umgebracht.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  genek
2011-12-28T12:05:12+00:00 28.12.2011 13:05
[Ich weiß, ich habe versprochen, sofort zu kommentieren, wenn ich wieder zu Hause bin, aber es ist dann halb vier geworden und ich bin beinahe auf der Tastatur eingeschlafen. Also habe ich gleich nach dem Aufwachen angefangen. Jaah, zwölf ist bei mir Aufstehzeit. Ich liebe meine Ferien. Wie dem auch sei, hier der vier Kapitel umspannende SQUEEEE-Kommentar (of doom!):]

Die Inhaltsangabe ist ja schon mal sehr vielversprechend. Ich liebe die beiden Charaktere sowieso, und kann mir sehr gut vorstellen, was für ein (dis-)funktionales Team sie bilden würden! Überhaupt liebe ich ja solche Teams Wider Willen. Ist der Titel eigentlich auf Latein?
Kapitel eins fand ich ja schon mal zum Brüllen, als mit Herrn Moritz der unfähige und unflexible Beamtenarchetyp vorkam, der sich keinen Deut um die Forderungen seiner Klientel schert und auf Durchzug schaltet bzw. abhaut, wenn ein Veto zu erwarten ist :'D Sehr nah am wirklichen Leben. Und natürlich Thunderlands Reaktion auf dieses Verhalten, so herrlich selbstironisch und du-kannst-mich-mal-mäßig („Da die Hälfte der einen 'Belegschaft' krank ist, und die andere lieber freiwillig das gesamte Archiv der Lost Letters abbaut, als mit mir zu reisen, ist die Auswahl vermutlich wahnsinnig groß.“ -> Der arme Kerl, keiner will mit ihm arbeiten... und wenn die Leute stattdessen lieber stupide Archivierungsarbeiten durchführen, ist das echt harsch!)
Die sich schon im ersten Kapitel entwickelnde Dynamik zwischen den beiden unfreiwilligen Teamkameraden gefällt mir auch sehr gut, weil sie beide so kompetent (?) und bossy rüberkommen. Thunderlands Reaktion auf das rhetorische "Stört's dich wenn ich rauche?" zum Beispiel. Sehr edel :D
Das mit den mutierten Influenzaviren ist schön logisch erklärt, so dass es auch der Leser versteht. Thunderland freut sich sicher schon aufs Sezieren, haah. Und dadurch, dass auch Problematiken wie die ignorante, egozentrische Hauptstadt-Politik gestreift werden, wirkt das Ganze Set-up auch sehr authentisch.
Und Lloyd hat aber auch gar kein Glück - gestresst, übermüdet, durchgefroren, und dann noch jemanden als Partner, vor dem das gesamte Kollegium Angst hat :'D
Kapitel zwei hat im Übrigen sehr schöne Beschreibungen und Vergleiche (insgesamt ist der Schreibstil toll und flüssig zu lesen, aber hier zu Beginn fiel es mir halt besonders auf). Man spürt die frostige Kälte und sieht die trostlose Landschaft schon richtig.
Lloyds Beobachtungen über Thunderland sind sehr tollig, weil er sich eben nicht sofort abschrecken lässt von dem ganzen Zeug, das man sich so erzählt. Und das Thunderland wiederum ihm einen Mantel leit, fand ich ja absolut herzerwärmend ♥ (Umso mehr, weil es nicht ohne Gezicke und ich-helfe-dir-nicht-aus-Nettigkeit-Palaver über die Bühne geht. Überhaupt ist der gewitzte Wortwechsel zwischen den Beiden episch.)
Und noch mehr Schnee, frostig, frostig. (Haha, das Zitat. I see what you did there :'D)
Die Beschreibungen sind übrigens sehr ausgewogen, man kann sich alles gut vorstellen. Aber hey, die zwei sind echt Genies: Ein leeres Haus, in dem aber Licht brennt und ein Feuer im Kamin brennt - das schreit doch nach Horrorfilmen und Fallen! D'uh! Aber sie sind wohl zu abgebrüht, haah.
Das mit der schrecklichen Dosensuppe ist natürlich ein netter Insider mit der Serie. Thunderland ist Badass, selbst, wenn er Soßen ext. (Ich könnte hier die ganze Szene zitieren, weil sie glorreich von Anfang bis Ende war, aber nur mal exemplarisch mein Lieblingssatz: Der erste Schluck war grauenvoll, der zweite ebenfalls und nach dem dritten gab er auf zu hoffen, dass seine Geschmacksknospen irgendwann ihr leidvolles Dasein aufgeben würden, damit er dieses Aroma nicht mehr ertragen musste. ♥)
Und natürlich noch langsam aufbauende Spannung, wer oder was Lloyd da wohl erwischt hat (und womöglich auch den Rest der Herbergsbewohner).
Und Kapitel drei, Thunderland macht sich Sorgen um Lloyd ~ Aber natürlich nur auf rein professioneller Ebene, und nicht, weil er ihn mag. Versteht sich ja von selbst. Ich frage mich ja schon bei der Serie, wie kampfkompetetent der gute Doktor eigentlich ist. Er sieht irgendwie relativ wehrhaft aus, finde ich. Insofern finde ich es toll, dass er hier auch sehr kompetent ist, ganz zu schweigen vom gelungenen Teamwork, obwohl sich die Zwei noch nicht länger kennen.
Schöner Satz: Von der Rückseite und der Stimme her sah der Eindringling auf alle Fälle schon einmal sehr menschlich aus, was aber nicht unbedingt Anlass zur Beruhigung war. -> Ganz Recht, unter Umständen ist es noch sehr viel bedrohlicher, wenn es ein Mensch ist.
Und dann Auftritt OC, dessen Name sich ja ganz fabelhaft ins Universum einfügt.
[„Ihr seid es doch, die meinen, unschuldige Leute auf den Boden zu pressen!" Hier müsste es eher "auf den Boden pressen zu müssen" sein, btw.]
Mysteriös ist er jedenfalls, der gute Musica. Mit einer so teuren Waffe unterwegs, und das nur als fahrender Musikant? Hm. Aber er ist eigentlich zu offensichtlich verdächtig, als dass er verdächtig wäre. Er ist jedenfalls pragmatisch :'D

Summa summarum: Ich liebe die Fanfic. Wirklich. Ich bin tierisch gespannt, was nun hinter dem Ganzen steckt, wie da wer und auf welche Weise verwickelt ist, und natürlich freue ich mich sehr auf weitere glorreiche Teamarbeit von Doktor und Bee.
Danke, du!
Yours sincerely, genek.


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