Zum Inhalt der Seite

Vulkado

Im Auge des Sturms
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Das erste Date

Hallo ihr Lieben!

Ich hatte eigentlich gehofft, dass dieses Kapitel nicht so lange dauern würde, aber ich habe im Moment Lust auf alles gleichzeitig und am Ende tue ich gar nichts davon. Einen Abschnitt dieses Kapitels dürfte manchen schon aus Heldenzeit bekannt vorkommen ;) Das Kapitel ist für meine Katja <3 Ich hoffe, ihr habt Spaß beim Lesen!

Liebe Grüße,

Ur

___________________________
 

Eine recht merkwürdige Erkenntnis, die ich in den letzten Monaten gesammelt habe, ist, dass Schule weniger anstrengend wird, wenn man sich anstrengt. Wenn ich meine Hausaufgaben erledige und mich mündlich beteilige und früh genug anfange für Arbeiten zu lernen, dann muss ich nicht dauernd darüber verzweifeln, dass ich mein Abi womöglich ruinieren könnte. Ich sitze nicht nervös im Unterricht, weil ein Lehrer mich aufrufen könnte, wenn ich meine Hausaufgaben nicht erledigt habe, ich stehe nicht permanent unter Druck, Klausuren zu verhauen, wenn ich mich anständig vorbereite. Natürlich ist es in meiner neuen Umgebung viel leichter, fleißig zu sein, als in der verkommenen Wohnung des Erzeugers. Vor lauter Angst konnte man sich kaum auf Hausaufgaben konzentrieren. Tatsächlich haben mich mittlerweile drei Lehrer darauf angesprochen, dass sie sehr positiv überrascht von meinen ansteigenden Leistungen sind und sich gewünscht hätten, dass ich früher schon so regelmäßig mitgearbeitet hätte. Ich erkläre ihnen lieber nicht, dass ich manchmal vor Schmerzen kaum sitzen konnte, was Hausaufgaben ein wenig nichtig gemacht hat.
 

Die Träume sind viel weniger geworden. Früher waren sie beinahe jede Nacht da, aber jetzt schlafe ich die meisten Nächte ziemlich gut. Meine Therapeutin hat sich sehr darüber gefreut, als ich ihr davon erzählt habe. Neben der Sache mit der Schule und dem Schlafen merke ich an den Treffen mit Frau Doktor Ehrmann am allermeisten, wie sehr ich mich verändere, jetzt, da das Leben um mich her nicht mehr ein einziger Scherbenhaufen ist. Ich spreche leichter über die Dinge, die mich im Dunkeln noch beschäftigen, die regelmäßig am Rand meines Bewusstseins lauern und darauf warten, dass ich mich entspanne und meine Verteidigung außer Acht lasse.
 

Die Alpträume sind nachts weniger geworden, aber tagsüber sind sie selbstverständlich immer noch da. Seit ich viel darüber spreche, geht es mir mit ihnen allerdings besser. Sie verlieren ein wenig an Schwärze und Bedrohlichkeit. Und am besten geht es mir mit ihnen, wenn ich in Gesellschaft bin. Alleinsein liegt mir wirklich nicht. Ganz, ganz selten kommt es vor, dass ich einen einsamen Spaziergang unternehme, aber selbst dann habe ich meistens die Hunde dabei. Wenn die Stille zu laut wird, dann fluten Zweifel und Finsternis meine Gedanken und ich verfalle zurück in meinen zerstörerischen Selbsthass, der mir zuflüstert, dass ich nichts wert bin, dass ich nicht hierher gehöre, dass ich gehen sollte, dass es doch alles keinen Sinn ergibt, dass diese Leute sich um mich kümmern, weil ich ein hoffnungsloser Fall bin.
 

Aber da ich nun in einem Haushalt mit sehr vielen Bewohnern lebe und außerdem noch Training und Anjo, Lilli und hin und wieder sogar Felix und Leon zur Gesellschaft habe, kommt es eigentlich kaum vor, dass ich niemanden um mich habe. Seit das Abi näher rückt, sehe ich Anjo und Lilli sogar noch häufiger außerhalb der Schule, da wir gemeinsam unsere Unterlagen sortieren, Notizen anfertigen und darüber fluchen, dass Abivorbereitungen anstrengend sind. Selbst Anjo flucht manchmal darüber, was aus seinem Mund wirklich sehr komisch klingt.
 

Treffen mit Anjo allein sind trotz ihrer steigenden Häufigkeit immer noch merkwürdig, weil ich es einfach mein Leben lang nicht gewöhnt war, ›normale‹ Freunde zu haben. Wenn ich mich mit Leuten getroffen habe, dann um abends einen zu trinken. Man hat sich nicht über Gott und die Welt unterhalten, sondern blöde Witze gerissen und über Leute gelästert und Kommentare über heiße Bräute gerissen, die sich in der Nähe aufgehalten haben. Treffen mit Anjo und Lilli sind auf irgendeine Art und Weise, die ich nicht so recht in Worte fassen kann, noch merkwürdiger. Ich konnte es schon schwer akzeptieren, dass es einen Menschen auf diesem Erdball gibt, der bereit ist, sich für mich einzusetzen, mir Dinge zu verzeihen, die ich mir selbst nicht verzeihen kann, und der für mich da ist, wenn ich jemanden brauche. Anjo ist ein kleines – oder vielleicht auch ein riesiges – Wunder für mich. Und ich komme mit der Tatsache nicht so richtig klar, dass dieses Wunder Wiederholungspotential hat.
 

Leon, Felix, Christians Familie, Christian selbst, seit neustem auch Gabriel… sie alle sind nett zu mir und mögen mich. Sie helfen mir. Und Lilli… Lilli sieht mich nie mitleidig an, oder besonders aufmerksam, als hätte sie Angst, ich könnte gleich einen Wutanfall haben. Sie betrachtet mich nicht wie ein Projekt, wie jemandem, dem man Hilfe zuteilwerden lassen muss. Nicht, dass ich mich über die anderen jemals beschweren würde. Aber Lilli behandelt mich wie einen total normalen Menschen. Wahrscheinlich kennt sie nicht mal die Hälfte der Geschichte, was mich dazu bringt, ihr gegenüber etwas gelassener zu sein. Ich beobachte Lilli und Anjo gern, wenn sie beieinander sind, weil sie so ein komisches Pärchen abgeben. Anjo ist so still und lieb und hat eine gewisse Weltfriedensaura. Lilli hingegen ist ein gut gelaunter Wirbelsturm mit großer Klappe, klar definierten Meinungen und einem Musikgeschmack, der meine Ohren bluten lässt. Das weiß sie, deswegen verschont sie mich mit ihrer Musik, wenn ich mit Anjo bei ihr zu Besuch bin.
 

Heute unterhalten sich die beiden über irgendeine Kunstaustellung, die sie gern besuchen wollen. Ich lehne mit dem Rücken an Lillis Bett und betrachte ihre mittlerweile nur noch blassgrünen Haare – »Ich hatte einfach ewig keine Lust mehr, nachzufärben« – und Anjos konzentrierten Blick mit der leicht gerunzelten Stirn, während er ihr zuhört. Lilli gestikuliert viel, während Anjo nur ab und an zaghafte Handbewegungen macht. In diesem Moment stelle ich zum ersten Mal erstaunt fest, dass ich gewissermaßen Teil eines Trios bin. Ein bisschen so wie in Harry Potter, wovon Jana und Franzi und Eileen mir regelmäßig erzählen und was ich bestimmt irgendwann mal lesen werde, allein schon, weil es bei Familie Sandvoss zur Familientradition gehört und ich der einzige Depp bin, der keine Ahnung hat. Selbst die Oma hat die Bücher gelesen.
 

Ein Trio. Sowas hat es in meinem Leben noch nicht wirklich gegeben. Es gibt den Einen, oder das Paar. Oder die Gruppe. Jana und ich. Der Erzeuger. Anjo, der Eine, ich und die Jungs aus der Schule als Gruppe. Christian und Anjo. Sina und Christian. Aber jetzt gibt es auch Lilli, Benni und Anjo. Sie haben schon Kekse gebacken, für Englisch gelernt, gegen homophobe Trottel gekämpft und sich Weihnachtsgeschenke gemacht.

»Na, was beobachtest du uns so aufmerksam?«, will Lilli verschmitzt wissen und ihre blauen Augen ruhen auf mir. Ich räuspere mich ein wenig verlegen und rutsche nervös auf dem Teppichboden herum.

»Ich denke darüber nach, dass wir ein Trio sind«, gebe ich peinlich berührt zurück. Anjo lächelt sein die-Welt-ist-ein-schöner-Ort-und-du-trägst-dazu-bei-dass-sie-schön-ist-Lächeln, das mich jedes Mal unsicher macht und aus der Bahn wirft, weil ich automatisch denke, dass ich es nicht verdiene.

»Blitzmerker«, sagt Lilli amüsiert und trinkt einen großen Schluck aus ihrer Teetasse, die neben ihr auf dem Boden steht. Ich warte die ganze Zeit darauf, dass Lilli sie mit ihren ausladenden Gesten umschmeißt.

»Ich hab letztens nachgedacht«, meint Anjo und wir wenden uns ihm zu. Seine Wangen werden ein wenig rot. Auch, wenn ich rein platonische Gefühle für ihn habe, kann ich nicht umhin, ihn entzückend zu finden. Er ist wie ein Babyhund.

»Wenn Lilli und ich hier an der Kunsthochschule angenommen werden… wäre es dann nicht nett, in eine WG zu ziehen?«
 

Ich blinzele verwirrt.

»Naja, ergibt Sinn, dass ihr dann zusammenzieht«, sage ich und nicke. Lilli gluckst heiter und Anjo seufzt.

»Nein, nein. Ich meine, wir Drei. Du willst doch auch hier bleiben, bei Jana. Oder nicht?«, erwidert er und beobachtet ganz genau, wie ich reagiere. Wahrscheinlich sehe ich aus, als hätte ich einen Geist gesehen. Lilli lacht und leert ihre Teetasse, was ihren Teppich wahrscheinlich vor Pfützen bewahrt.
 

»Ich auch?«, antworte ich und klinge selbst in meinen eigenen Ohren total stumpf. Immer, wenn sowas passiert, bin ich total schwer von Begriff, weil diese Dinge einfach keinen Sinn in meinem Kopf ergeben. Wer würde schon freiwillig mit mir zusammen wohnen wollen? Ich ganz sicher nicht.

»Siehst du hier sonst noch jemanden?«, stichelt Lilli und klingt dabei besonders liebevoll. Die Vorstellung, nach dem Abi einen Job zu haben und mit Lilli und Anjo zusammen zu wohnen, klingt so utopisch, dass mein Gehirn wirklich große Probleme damit hat, sie zu verarbeiten. Noch vor ein paar Monaten war ich sicher, dass ich meinen Alten irgendwann umlegen und im Knast landen und somit mein Leben komplett ruinieren würde.
 

»Ich bin sicher ein schrecklicher Mitbewohner«, sage ich, ohne wirklich darüber nachzudenken. Lilli schüttelt den Kopf.

»Sag das nicht. Ich bin die schlimmste. Ich bin das wandelnde Chaos und höre meine Musik gern laut«, warnt sie uns vor und lacht erneut bei meinem Gesichtsausdruck, der sich automatisch in meine Züge schleicht, als ich an ihre Musik denke.

»Solange du dein Chaos auf dein Zimmer beschränkst…«, meint Anjo schmunzelnd.

Ich versuche mir auszumalen, wie ich morgens verschlafen meine Zimmertür öffne und von Lillis schrecklicher Musik und einem zerstruwwelten Anjo, der bereits Tee gekocht hat, begrüßt werde. Es ist eine der besten Zukunftsaussichten, die mein Gehirn sich jemals ausgemalt hat.
 

»Ich würd auch das kleinste Zimmer nehmen«, höre ich mich sagen und auf Anjos und Lillis Gesicht breitet sich ein Strahlen aus, als wäre meine Bemerkung eine Zusage. Natürlich haben wir keine Ahnung, ob Lilli und Anjo an der Kunsthochschule angenommen werden, ob ich eine Ausbildung finde und ob es irgendwo eine passende Wohnung für uns gibt. Das hält uns allerdings trotzdem nicht davon ab, den Rest des Nachmittags mit WG-Planungen zu verbringen, auch wenn es mir einen Stich versetzt, wenn ich daran denke, dass ich dann nicht mehr mit Jana zusammen unter einem Dach wohne. Aber trotzdem, denke ich mir, während Lilli erklärt, dass sie unbedingt eine Spülmaschine haben will, eine bessere Aussicht auf die Zeit nach dem Abi gibt es eigentlich nicht.

Tatsächlich bin ich in den folgenden Tagen nach diesem Treffen so gut gelaunt, dass Tim mich misstrauisch fragt, ob ich Sex hatte. Mir steigt sofort die Hitze ins Gesicht, meine Gedanken huschen automatisch hin zu Gabriel und ich stammele verneinend vor mich hin, bis Tim mir brüllend vor Lachen auf den Rücken haut und mir versichert, dass er nur einen Witz gemacht hat. Ich sacke in mich zusammen und atme erleichtert aus. Sex steht in weiter Ferne, soviel ist klar. Die paar wenigen SMS, die ich mit Gabriel austausche – weil ich einfach zu unsicher bin, um ihm immer zu schreiben, wenn ich möchte –, lassen zwar auf weiter anwachsende Zuneigung schließen, aber von Sex kann keine Rede sein. Nicht, dass ich es mir nicht schon mal vorgestellt hätte. Allein unter der Dusche. Aber ich habe wirklich genug andere Dinge zu tun. Abivorbereitungen, Therapie, Training, die nahenden Gerichtsverhandlungen, die – wie man mich behutsam vorwarnte – recht lang dauern könnten…
 

Neben all den Dingen, die mir ansonsten an mir auffallen, muss ich feststellen, dass ich tatsächlich mehr Muskeln und eine bessere Ausdauer bekommen habe. Meine Gelenkigkeit lässt allerdings immer noch zu wünschen übrig.

»Steif wie ein Brett«, sagt Gabriel beim dritten Januar-Training und schüttelt den Kopf darüber, dass ich immer noch nicht mit meinen Fingern an meine Turnschuhspitzen komme. Ich würde ihn gern auf meine gewachsenen Bizepsmuskeln aufmerksam machen, allerdings käme ich mir dann vor wie der letzte Armleuchter. Hier, Gabriel, bewundere meine minimal größer gewordenen Muskeln, ach, du hast zehnmal so viele wie ich? Nein danke.

»Vielleicht breche ich einfach irgendwann in der Mitte durch«, keuche ich angestrengt und richte mich wieder auf, bevor mein Rückgrat wirklich noch beschließt, dass es die Mühen leid ist.
 

»Bitte nicht«, sagt Gabriel mit sanfter Stimme und trotz meiner ohnehin schon erhöhten Körpertemperatur wird mir noch ein wenig heißer. Wir stehen ziemlich nah beieinander und ich kann aus nächster Nähe bewundern, wie das Licht der Halle auf seinen schwarzen Haaren glänzt.

»Ok«, gebe ich mit etwas heiserer Stimme zurück und räuspere mich verlegen. Der Moment scheint sich ewig lang hinzuziehen, bis…

»Hey, ihr Faulpelze! Flirten könnt ihr später!«

Christian mustert uns mit einem diebischen Vergnügen in den Augen und ich möchte wirklich gern zu ihm gehen und an ihm diesen neuen Tritt ausprobieren, den er uns kürzlich beigebracht hat.
 

Gabriel scheint zwar ebenfalls ein wenig verlegen angesichts des Rüffels, allerdings stört ihn die Formulierung mit dem Flirten offenbar keineswegs. Er grinst mich ein wenig schuldbewusst an und tritt einen Schritt von mir zurück, was ich zugegebenermaßen sehr bedauere.

»Du hast nicht zufällig nach dem Training noch Zeit?«, erkundigt sich Gabriel bei mir, während wir abwechselnd den Boxsack mit Tritten malträtieren. Er schwingt leicht hin und her, bei Gabriels Tritten mehr als bei meinen. Ich denke an noch unsortierte Politikunterlagen und ausstehende Englischhausaufgaben. Aber manchmal muss man den Fleiß vielleicht auch Fleiß sein lassen.

»Zufällig schon«, sage ich und verfehle vor lauter Nervosität beinahe den Boxsack. Gabriel grinst zufrieden.

»Super.«
 

Anschließend scheint Gabriel mit besonders viel Enthusiasmus alles zu tun, was Christian uns aufträgt. Uns ist am Anfang der Stunde wieder aufgefallen, dass Gero nicht besser aussieht, aber es ist einfach zu absurd, ihn danach zu fragen. Ich glaube, er ist viel dünner geworden, seit wir angefangen haben. Christian scheint seine verstärkte Aufmerksamkeit nun auf ihn zu richten und von uns abzuwenden. Vielleicht hat er gemerkt, dass ich mich mittlerweile tatsächlich besser im Griff habe und nicht mehr jedes Mal berserkerartige Ausbrüche bekomme. Wer weiß, ob die zurückkommen, wenn ich den Erzeuger im Gerichtssaal wiedersehen muss.
 

»Magst du Waffeln?«, fragt Gabriel, als wir uns nach dem Duschen umziehen. Ich habe es geschafft, mich im Duschraum nicht komplett zum Horst zu machen und bin voller Bewunderung für mich selbst. Wer weiß, vielleicht hat das häufigere Masturbieren tatsächlich geholfen.

»Ich glaub schon. Die Dinger mit Puderzucker, in Herzform?«, erkundige ich mich grübelnd und fange Gabriels Blick auf. Er betrachtet mich mit einer Mischung aus Unglauben und… so etwas wie Entzücken?

»Ja. Die Herzen mit Puderzucker«, antwortet er und strahlt mich an. Mein Magen rutscht mir in die Kniekehle und ich habe ein sehr kitschiges Bild vor mir, auf dem Gabriel Puderzucker an der Wange hat und wir uns ein Stück Herzwaffel teilen. Lieber Gott, mach, dass mein Gehirn aufhört peinlich zu sein. Amen.
 

Erst im Nachhinein fällt mir auf, dass Gabriel es womöglich irritierend findet, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich weiß, was Waffeln sind. Ich hab tatsächlich noch nie welche gegessen. Gabriel scheint sich an meiner Weltfremdheit nicht zu stören und erzählt mir auf dem Weg in die Stadt davon, dass sein sonst sehr gelassener Bruder im Angesicht der baldigen Vaterschaft tatsächlich ein wenig nervös wirkt.

»Er meditiert noch mehr als sonst. Ich finde die Vorstellung recht witzig, dass er im Kreissaal in Ohnmacht fällt«, sagt Gabriel gut gelaunt und deutet auf ein kleines Café neben einem thailändischen Imbiss und die warme Luft, die mir entgegenschlägt, als wir den Laden betreten, kribbelt ein bisschen auf meinem kalten Gesicht. Die Luft draußen riecht nach Schnee und ich stelle mir vor, wie der große Garten der Familie Sandvoss voller Schneemänner steht, sobald genug von dem weißen Zeug gefallen ist.
 

»Und, wie geht’s dir?«, erkundigt sich Gabriel und angelt nach einer Karte. Er studiert sie sorgfältig und ich beobachte, wie seine Augen sich von einer Seite zur anderen bewegen.

»Ziemlich gut tatsächlich. Ich hab letztens mit zwei Freunden darüber gesprochen, dass es cool wäre, nach dem Abi zusammen zu ziehen, falls es klappt, dass wir alle hier in der Stadt bleiben«, erkläre ich und nehme mir ebenfalls eine Karte. Wer hätte gedacht, dass es Waffeln in so vielen Ausführungen gibt. Mit Eis, mit Obst, mit Schokosoße... Ich bin ein wenig überfordert und entscheide mich für die mit Schokosoße.

»Wäre ja super, wenn ihr es schafft alle in derselben Stadt zu bleiben. Das kann ich mir mit meinen besten Freunden leider abschminken«, gibt Gabriel zurück und lächelt dem Kellner zu, der auf unseren Tisch zusteuert.
 

»Was darf ich euch bringen?«, fragt er freundlich und ich überlege, ob Gabriel den Kerl wohl attraktiv findet. Was für Männer findet er wohl gut? Ich vergesse vor lauter Gegrübele darüber, auf was für Typen Gabriel stehen könnte, dass ich eigentlich bestellen sollte, und es entsteht eine verwirrte Stille zwischen mir und dem Kellner, als er mich fragend ansieht und ich einen Augenblick überhaupt keine Ahnung habe, was er eigentlich von mir will.

»Äh... ich hätt gern Waffeln mit Schokosoße«, schaffe ich schließlich zu sagen und hoffe, dass mein Gesicht nicht so erhitzt aussieht, wie es sich anfühlt.

»Auch ein Getränk?«, will der Kellner wissen und ich stelle fest, dass ich ihn nicht besonders gut aussehend finde. Hm.

»Nein, danke«, gebe ich zurück, bevor ich mir klar gemacht habe, dass ich eigentlich durstig bin. Höfliches Ablehnen von Dingen ist eine automatische Reaktion, die mir bei Christians Familie schon so manche hochgezogene Augenbraue eingebracht hat. Vor allem Tim und Eileen sind gnadenlos und erkennen mittlerweile beinahe immer, wenn ich eigentlich Dinge will, es aber für einen Wimpernschlag vergesse und erstmal nein sage.
 

Ich seufze resigniert über mich selbst.

»Na, wolltest du doch was trinken?«¸ fragt Gabriel amüsiert und ich nicke.

»Das passiert mir dauernd. Leute fragen, ob ich was will, und bevor ich überhaupt drüber nachgedacht hab, ob ich irgendwas will, hab ich schon nein gesagt«, erkläre ich peinlich berührt. Gabriel mustert mich interessiert und ich stelle unnötig penibel die Karte zurück in ihren Halter.

»Ich tippe drauf, dass du es nicht gewöhnt bist, Sachen zu wollen«, entgegnet er und ich kaue auf meiner Unterlippe herum, ehe ich mit den Schultern zucke.

»Vermutlich. Weiß nicht. Aber ich hab schon festgestellt, dass man einiges lernen kann, egal wie verkorkst man ist. Vielleicht schaff ich das ja auch noch.«

»Ich bin recht zuversichtlich«, meint Gabriel. Ich blinzele verwirrt.

»Wieso?«, will ich wissen. Ich fühle mich ja schon irgendwie geschmeichelt, aber Gabriel kennt mich ja eigentlich noch nicht besonders gut.
 

»Ich trainiere jetzt schon einige Zeit mit dir und hab noch keinen gesehen, der so hart an sich arbeitet, wie du. Ganz zu schweigen davon, dass ich am Rande mitbekommen hab, dass du dich von einem mobbenden Schwulenhasser zu einem anständigen Kerl entwickelt hast«, erläutert Gabriel und mein Herz beginnt irgendwo in der Gegend meines Adamsapfels zu schlagen. Atmen ist manchmal wirklich schwieriger, als man denkt. Gabriel lächelt und ich möchte viele dankende Dinge sagen, allerdings bleibt mir jedes Wort im Hals stecken. Als der Kellner mit unserer Bestellung auftaucht, hole ich tief Luft, und wage einen kommunikativen Hechtsprung.

»Ich hätt gern noch eine Cola«, sage ich. In meinen Ohren klingt meine Stimme etwas heiser, aber der Kellner und Gabriel scheinen sich nicht daran zu stören. Er stellt meine Waffeln mit Schokosoße vor mir ab, notiert sich meine Bestellung und verschwindet wieder. Kleine Schritte. Es wird schon irgendwie.
 

»Wieso kannst du es dir abschminken, mit deinen beiden besten Freunden in einer Stadt zu landen?«, frage ich, um von mir abzulenken, und nehme meine Gabel, um ein Stück Waffel abzutrennen und zu probieren. Nach zweimal kauen ist mir klar, dass ich dringend öfter Waffeln mit Schokosoße essen sollte.

»Erik wird nach Hamburg an die Stage School gehen und Tessa wird sehr wahrscheinlich mitgehen und zusehen, dass sie dort eine Ausbildung als Maskenbildnerin anfangen kann. Wenn sie in Hamburg nichts findet, geht sie vermutlich in irgendein Nest in Süddeutschland, um da auf eine entsprechende Schule zu gehen. Sie wollen jedenfalls beide zum Musical. Und ich will später mit in der Kampfsportschule meines Bruders arbeiten«, erzählt er und macht sich mit leuchtenden Augen über seine Waffel mit Mango und Vanilleeis her.
 

»Deine Freunde haben ja sehr ausgefallene Berufswünsche«, sage ich perplex und denke an Lilli und Anjo, die beide auf die Kunsthochschule gehen wollen. Ich bete inständig, dass Gabriel mich nicht fragt, was ich nach der Schule machen will, weil ich weder Ahnung noch Kapazitäten habe, um mir darüber Gedanken zu machen.

»Das stimmt wohl. Aber sie wissen das beide auch schon ziemlich lange und arbeiten richtig hart darauf hin. Das ist unter anderem der Grund dafür, dass ich die beiden so selten sehe. Vor allem Erik. Er leitet einen Kinderchor, tanzt ein paar Mal die Woche und ist noch Mitglied in einer Jugendgruppe, die Musicals aufführt. Da mal ein paar freie Stunden zu erwischen, ist ziemlich selten.«
 

Ich sehe zu, wie ein Stück Mango in Gabriels Mund verschwindet. Seine Freunde scheinen beide vom seltenen Schlag der Leute zu sein, die wissen, wo sie mit ihrem Leben hinwollen. Es ist ziemlich gruselig.

Wir sprechen noch ein wenig länger über unsere kreativen Freunde – ich glaube, Gabriel findet meinen Stolz angesichts von Anjos und Lillis Fähigkeiten ziemlich niedlich – und über unsere Silvesterfeiern. Ich trinke zufrieden meine Cola und vergesse sogar meine Anspannung darüber, dass ich mit Gabriel allein bin und er mich womöglich irgendwann blöd finden könnte, wenn er mich nur näher kennenlernt. Und dann...

»Fühlt sich fast ein bisschen wie ein Date an«, sagt Gabriel munter und nimmt seinen letzten Schluck O-Saft. Ich höre für einen Moment lang auf zu atmen und starre ihn über den Tisch hinweg an, während mir in sehr rasantem Tempo Hitze in die Wangen steigt. Woher weiß Gabriel überhaupt, dass ich auf Männer stehe? Hat er gemerkt, dass ich ihn die ganze Zeit angeiere? Ist das hier ein Date? Oh Gott, ich falle sicherlich gleich tot vom Stuhl.
 

Gabriel gluckst heiter.

»Keine Sorge, ich werde dich nicht zu einem Date zwingen. Ich weiß ja nicht mal, ob du an Männern interessiert bist«, meint er. Mein überhitztes Gehirn hält es für eine gute Idee meiner Zunge Signale zu senden und sie sagen zu lassen:

»Doch. Also... Männer sind... äh... ich...«

Wow. Das muss der Gipfel der Peinlichkeit sein. Gabriel mustert mich gespannt und wartet darauf, dass nicht nur unverständliche Wortbrocken aus meinem Mund fallen wie Münzen aus einem Casinospielautomaten.
 

»Ich stehe mit großer Wahrscheinlichkeit nicht auf Frauen...«, schaffe ich es schließlich zu sagen und möchte nur allzu gern meinen Kopf auf die Tischplatte hauen.

»Das heißt, du fändest ein Date nicht komplett abwegig?«, hakt Gabriel nach. Ich glaube, ich verdampfe gleich. Es fühlt sich an, als wäre die Temperatur hier drin spontan um zehn Grad gestiegen.

»Nein«, krächze ich. Auf Gabriels hübschem Gesicht breitet sich ein Strahlen aus.

»Großartig. Dann haben wir grad offiziell unser erstes Date!«

Mein Herz explodiert jeden Moment, ich weiß es einfach. Wie genau ist das passiert? Und wie kommt es, dass ich nicht direkt aus Höflichkeit abgelehnt habe? Gabriels Augen haften an mir wie Scheinwerfer. Ich fasse es nicht. Ich habe das erste Date meines Lebens.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (17)
[1] [2]
/ 2

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  dead_rabbit
2013-08-19T09:34:16+00:00 19.08.2013 11:34
Arrrgh ich hab grad dieses Kapitel nochmal gelesen und hab gegen Ende ständig auf irgendwelche Tasten gedrückt damit ein neuer Tab aufgeht und ich nicht weiterlesen muss weil ich vor peinlichkeit und süssheit und argh fast sterbe.
Von:  Wanda_Maximoff
2013-06-30T12:50:25+00:00 30.06.2013 14:50
Herrlich, dass sich erst hinterher herausstellt, dass es ein Date ist. ^^
Von:  peggy17
2013-06-18T16:57:02+00:00 18.06.2013 18:57
Da hat Benni ja wirklich Glück, dass sich das so entwickelt hat. Er wäre wahrscheinlich vor Aufregung umgefallen, wenn Gabriel ihn nach einem Date gefragt hätte - oder noch schlimmer, wenn er selbst beschlossen hätte, Gabriel zu fragen :)
Von:  V-Lynn
2013-06-17T13:16:21+00:00 17.06.2013 15:16
wunderbar:)

Von:  Amnesias
2013-06-13T23:12:13+00:00 14.06.2013 01:12
*seufz* Dieses Kapitel war so schön. Und ich habe mir wieder mal in jedem Satz und jeder Zeile gedacht, wie real, authentisch und WIRKLICH sich das liest - wie sich deine Geschichten lesen. Ich weiß, ich schreibe jedes mal das Gleiche, aber jedes Mal wenn ich ein neues Kapitel lese, habe ich dieses ungeduldige, kribbelnde, zappelnde Gefühl 'Ah, endlich erfahre ich noch mehr von diesen Menschen'
Es ist wie neue Freunde kennen zu lernen und immer ein wenig mehr von ihrem Leben zu erfahren. ^^ (Das man dabei noch so eine süße Beziehung ungestraft mitverfolgen kann, macht die Sache nochmal ein ganzes Stück besser! xD)
Deine Geschichte ist mit einen der wenigen Gründe, dass ich noch ab und zu auf dieser Seite vorbeischaue. ^^
Zu diesem Kapitel kann ich nur sagen, dass deine Kommischreiber die Begeisterung dafür in meinen Augen ziemlich gut rübergebracht haben - ich stimme ihnen in jedem Punkt überein.
Bitte, hör nie auf zu schreiben. :D

Von:  Inu_Julia
2013-06-10T11:49:35+00:00 10.06.2013 13:49
Ich liebe dich und ich liebe diese Geschichte. Ich liebe Benni und Gabriel und alle anderen. Nichts kann mir heute noch das fette Grinsen von den Lippen wischen :D
Ich will auch ein Date mit Gabriel <3 Ich würde auch sofort tot vom Stuhl fallen :D Ich bin SOOOOOOOO aufgeregt :D

Wieder einmal ein Kommentar mit sehr viel sinnvollen Inhalt... aber egal! :D
Von:  Armaterasu
2013-06-09T22:29:04+00:00 10.06.2013 00:29
Gestern habe ich es leider nicht mehr geschafft zu kommentieren, das möchte ich nun heute nachholen.

Zu allererst finde ich es immer wieder bemerkenswert, wie du die Kapitel fortschreibst, in jedem Kapitel geht die Story voran, aber dennoch langsam genug, dass man sich alles so wunderbar vorstellen kann, dass man das irgendwie bewusst miterlebt, weil du dir dennoch Zeit mit den Charakteren nimmst, auch wenn ich sehr gern mal ein Kapitel aus Gabriels Sicht lesen würde beziehungsweise über seinen Standpunkt bezüglich Benni, wie er über ihn denkt. Aber wenn man dies nicht weiß, fiebert man dem Ganzen nur noch mehr entegen und das hat auch seinen Reiz ;) Desweiteren finde ich es wirklich sehr bemerkenswert, dass man dir die längere Pause zwischend en Kapiteln (drei Monate und zwei Monate) gar nicht anmerkt, zumindest wenn man die Kapitel nach einander noch einmal liest, bemerkt man nicht, dass da einige Zeit zwischen dem Schreiben der Kapitel gelegen hat und das finde ich sehr gut. Respekt! :)

So, nun aber zu dem Kapitel:
Bei dem Titel hatte sich schon ein Lächeln auf meinen Lippen ausgebreitet, weil ich es kaum erwarten konnte, wie denn das erste Date zwischend den beiden nun wird. Und dann ging das Kapitel ganz anders los, als ich erwartet habe und ich saß auf heißen Kohlen, weil ich so unendlich neugierig auf das Date war *lach* Nichtsdestotrotz ist dir der Anfang des Kapitels sehr gut gelungen, vor allem weil du noch einmal aufzeigst, wie sehr sich Bennis Leben doch schon in eine positive Richtung gewandelt hat. Vor allem die Szene in Lillis Zimmer, das Gespräch über die gemeinsame WG finde ich unheimlich toll, vor allem weil Benni merkt, dass er wirklich zu dieser Truppe dazu gehört, dass er ein Teil des Trios ist. Ich mag Freundschaftsfluff unheimlich gern ♥ Ich finde es auch schön, wie du immer wieder die Familienmitglieder von Christian mit einbeziehst und wenn es nur ein lockerer Spruch von Tim ist, der einfach mal so scherzt, ob Benni Sex gehabt hatte, nur weil er so glücklich ist. Mir war es immer schwer gefallen, mit mehreren Charakteren umzugehen und diese alle irgendwie zu handlen, aber bei dir liest es sich sowas von leicht, so als ob du wirklich keine Mühe hast, mit den ganzen Charakteren. Allerdings tut sich bei mir auch eine Frage auf: Was ist mit Gero passiert? Und damit wären wir jetzt auch schon beim Training angekommen.

Die Festellung von Benni, dass er vielleicht einfach in der Mitte durchbrechen würde, weil er noch immer steif wie ein Brett war, fand ich einfach nur amüsant (liegt aber daran, dass ich dieses Gefühl zu gut kenne). Jedoch war Gabriels Kommentar darauf einfach nur zuckersüß! Ich liebe solchen Fluff und Zucker *O* Und Gabriel ist mir unheimlich sympatisch, weil er solche Dinge ziemlich direkt sagt (genau wie Chris: "Flirten könnt ihr später!").
Das gemeinsame Waffelessen war unheimlich niedlich, vor allem weil Benni nach und nach auftaut und sogar ein normales Gespräch mit Gabriel führen kann ohne sich ständig zu verhaspeln und peinlich berührt zu sein. Bis natürlich Gabriel selbst dem ganzen das kleine Sahnehäupchen aufsetzt, was mich unheimlich quieken ließ, indem er einfach mal eben so festgestellt hat, dass es sich wie ein Date anfühlt. Das war so toll, vor allem Bennis Reaktion danach ♥ das Gestottere und das ist dann so eine Stelle, wo ich unbedingt wissen will, ob Gabriel vermutet/weiß, dass Benni ihn angeiert, dass er sich mehr erhofft, dass er de Gedanken von Benni vielleicht erahnen kann. Aber wie gesagt, so machst du es für den Leser spannender ;) Und nachdem Benni gestanden hat, dass Frauen wohl nicht so wirklich etwas für ihn sind, beschließt Gabriel einfach mal, dass sie ihr erstes Date haben. Zuckersüß!

Hach, ich freu mich unheimlich auf das nächste Kapitel!

Liebe Grüße aus Bayern

amy~


Von:  SessyFuchs
2013-06-09T21:24:40+00:00 09.06.2013 23:24
Ich liebe, liebe, liebe, liebe (etc.) dieses Kapitel *-* besonders das Ende!
Ich wüsste zu gerne, was Gabriel denkt, denn Benni ist soooo niedlich
Von:  Youna
2013-06-09T20:15:15+00:00 09.06.2013 22:15
Uh ich hab mich so über das neue Kapitel gefreut! Ich liebe deine Geschichten einfach total, weil sie so wunderbar aufeinander aufbauen, dass man gar nicht aufhören kann!

und jetzt mein super-geistreicher Kommentar zum Kapitel ansich:
Oh Gott er ist so süß!
Wie man einfach so sehr mit Benni mitfiebert und ich muss mir immer Gabriel bildlich vorstellen, wie er da sitz und wahrscheinlich eh schon weiß, dass Benni ihm vollkommen verfallen ist :)

Und ich liebe diese Szenen, wo Christian am Sticheln ist! Wie gut ich sowas kenne... Freunde lieben es, einem da irgendwie auf verkorkste Art und Weise einen Tritt in den Hintern zu verpassen... und das passt einfach so gut zu Christian.

Alles liebe, Svea ♥
Von:  Aschra
2013-06-09T18:46:31+00:00 09.06.2013 20:46
Gott Benni ist so niedlich, auch wenn er mir irgendwie mit seiner Atemnot und dem Rumgestotter leid tut!


Zurück