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Vulkado

Im Auge des Sturms
von

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Die normalen Weihnachtsvorbereitungen

Für Steffi, weil Felix und Leon praktisch schon verheiratet sind.

Für Sanja, weil ich mir die Idee mit dem Himmel von ihr geborgt habe.

Für My, die so fleißig korrigiert und Sina lieb hat, auch wenn sie nur in einem winzigen Nebensatz erwähnt wird.

Viel Spaß beim Lesen ihr Lieben!

___________________________
 

Es würde mich nicht wundern, wenn bald alle in meinem neuen Umfeld Banner mit sich herumtrügen, auf denen steht ›Wir retten Bennis Abi!‹. Offensichtlich stehe nicht nur ich selbst unter Strom, als meine ersten Vorklausuren näher rücken – auch alle um mich herum scheinen merklich nervös zu werden. Sie versuchen es zu verbergen, aber meine Antennen sind zu fein, als dass ich es nicht merken würde. Einerseits finde ich es sehr nett, dass alle sich solche Gedanken machen. Andererseits steigt dadurch auch der Druck, alles gut hinzubekommen, um die anderen nicht zu enttäuschen. Vor allem Geschichte, was ich nur noch mit mündlicher Beteiligung retten kann, und Chemie, worin ich mindestens sieben Punkte schreiben muss, türmen sich vor mir auf und sehen von ganz unten beinahe unbesiegbar aus. Aber die Nachhilfe mit Felix läuft gut und ich habe eigentlich keinerlei Freizeit mehr zwischen all dem Schulkram, dem Training mit Christian und den Therapiesitzungen.
 

»Du solltest dich nicht so hart rannehmen, Alter. Machst du eigentlich noch was anderes als arbeiten, essen und schlafen?«, erkundigt sich Leon, als ich bei Felix auf dem Wohnzimmerboden sitze und in der Periodentabelle fiebrig nach etwas suche. Felix werkelt gerade in der Küche rum, um Abendessen zu machen.

»Zwischendurch trinke ich einen Schluck«, gebe ich nuschelnd zurück. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Leon den Kopf schüttelt.

»Ich war nie so engagiert. Mir ging die Schule immer irgendwie am Arsch vorbei«, sagt er und kratzt sich im Nacken. Ich muss grinsen. Wenn Felix im Zimmer wäre, würde er wieder über Leons nicht eingenommene Vorbildfunktion schimpfen.
 

»Bald hab ich’s ja hoffentlich mir. Grad weil ich aus dem Schuppen endlich raus will, ackere ich so. Ich meine… wenn ich nicht zum Abi zugelassen werd, muss ich noch ein Jahr länger. Und ich will endlich Kohle verdienen«, gebe ich zurück und notiere mir einige Dinge am Rand des Übungszettels. Felix hat mir Aufgaben geschrieben, die ich löse, während er sich um das Essen kümmert. Leon lümmelt auf dem Sofa herum und schlürft zwischendurch geräuschvoll an einer Colaflasche.

»Hör auf zu schlürfen«, kommt es entnervt aus der Küche und Leon zieht automatisch den Kopf ein. Ich muss grinsen.

»Erziehung ist eine schwierige Aufgabe«, seufzt Felix theatralisch, als er mit einer großen Schüssel Nudelsalat ins Wohnzimmer kommt und Leon einen resignierten Blick zuwirft.
 

»Was Hänschen nicht lernt…«, sagt Leon und zuckt mit den Schultern.

»Du kannst schlürfen, so viel du willst. Ich bin ja nicht deine Mutter. Aber wenn ich in Hörweite bin, sollst du es lassen. Das Geräusch macht mich wahnsinnig. Also, wenn du nicht willst, dass ich dir irgendwann mal so eine Flasche über dem Kopf ausleere…«

Felix bricht den Satz ab und sieht seinen Freund bedeutungsschwanger von oben herab an.

»Während ich Bennis Aufgaben kontrolliere, kannst du den Tisch decken«, sagt er dann und lässt sich mit einer fließenden Bewegung im Schneidersitz auf dem Stück Sofa nieder, das Leon nicht mit seiner Lümmelei in Anspruch nimmt.
 

Leon zieht in meine Richtung eine Grimasse und erhebt sich.

»Glaub nicht, dass ich das nicht gesehen hab«, murmelt Felix, den Blick auf mein Blatt gerichtet. Leon flüchtet aus dem Wohnzimmer und ich betrachte hungrig die Schüssel mit dem Salat. Es ist cool bei Felix und Leon. Als ich ankam, war Leon noch nicht da und ich hab Felix gefragt, ob er schon mit seinem Freund über das Zusammenziehen geredet hat. Erstaunlicherweise hat Felix mir verlegen gestanden, dass er sich noch nicht getraut hat. Wer hätte gedacht, dass Felix auch so eine Seite hat?

»Bei Nummer zwei musst du noch mal drüber schauen, die anderen sind alle richtig«, meint Felix zufrieden, als er mir den Zettel zurückgibt. Ich seufze erleichtert und Leon kommt mit drei Tellern und Besteck zurück.
 

»Wie läuft’s denn eigentlich beim Training?«, will Leon wissen, während Felix uns allen Nudelsalat auf die Teller häuft und sich schließlich mit seiner Portion aufs Sofa setzt. Leon lässt sich neben ihn fallen, greift nach seinem Salat und sieht mich fragend an. Ich sitze am liebsten auf Felix‘ Fußboden. Keine Ahnung, wann ich eine Vorliebe fürs Sitzen auf Böden entwickelt hab, aber auch auf dem Dachboden im Hause Sandvoss hocke ich meistens auf den Dielen.

»Äh… ganz gut. Abgesehen davon, dass ich noch nicht rausgefunden hab, wie ich meinen Berserkermodus ausschalte. Und dass mein Trainingspartner mich immer noch hasst«, antworte ich zwischen zwei Bissen.
 

Es stimmt. Auch bei den letzten beiden Treffen bin ich beim Aufwärmen an den Boxsäcken völlig abgedreht und hab erst gemerkt, was ich da eigentlich tue, als Christian mir – wie schon beim ersten Mal – die Hand auf die Schulter gelegt hat. In der zweiten Stunde hab ich ihm dafür aus Versehen einen Schlag in die Seite verpasst. Er hat allerdings nicht mit der Wimper gezuckt und mich fünf Runden laufen lassen, als wäre nichts weiter gewesen. Und Gabriel spricht immer noch nur das Nötigste mit mir. Es ist schwierig, weil ich mich jedes Mal dabei ertappe, wie ich ihn beeindruckend, interessant und wahnsinnig scharf finde. Aber jeder meiner Versuche, ein halbwegs vernünftiges Gespräch mit ihm anzufangen, ist bisher gescheitert.
 

Manchmal kommt es mir so vor, als würde Christian uns mit einem amüsierten Funkeln in den Augen beobachten, aber vielleicht bin ich auch einfach nur paranoid.

»Aber wieso hasst er dich?«, fragt Felix verwirrt und sieht mich durch seine hellbraunen Stirnfransen so perplex an, als könnte er es tatsächlich nicht begreifen, wie irgendein Mensch auf diesem Erdball mich hassen kann. Das bringt mich dazu, amüsiert zu schnauben.

»Darf ich dich an ein Konzert erinnern, auf dem ihr mir wegen Anjo gedroht habt?«, sage ich schmunzelnd. Felix verdreht die Augen und macht mit der Hand, in der er seine Gabel hält, eine wegwerfende Bewegung. Leon beäugt ihn misstrauisch von der Seite und rutscht ein Stück von der fuchtelnden Gabel weg.
 

»Das war, weil du Anjo fertig gemacht hast. Aber der Knirps hat dir verziehen, also haben wir das auch«, erklärt Felix, als wäre das glasklar.

»Naja, Gabriel weiß nicht, dass Anjo mir verziehen hat. Er hält mich für einen schwulenhassenden Schläger«, informiere ich Felix. Der grinst sehr breit.

»Oh ja. Vor lauter Hass isst du mit deinem natürlichen Fressfeind gemeinsam Nudelsalat. Vielleicht solltest du ihm einfach mal sagen, dass die Sache passé und Anjo jetzt dein bester Kumpel ist«, schlägt Felix vor.

Ich schiebe mir eine Gabel Nudelsalat in den Mund und zögere durch das Kauen die Antwort hinaus, die mir auf der Zunge liegt. Ich versuche, es so lässig wie möglich klingen zu lassen.

»Wenn ich ihm das sage und er mich dann immer noch scheiße findet… also… ich meine, es ist irgendwie weniger blöd, wenn er einen anständigen Grund hat und mich nicht einfach nur für einen unsympathischen Saftsack hält.«
 

Felix zieht leicht die Brauen zusammen und mustert mich. Manchmal vergesse ich, dass ich nicht der einzige Mensch bin, der andere gut lesen kann. Tatsächlich bin ich von solchen Leuten umgeben. Die Einzigen, die so richtig immun gegen die Schwingungen anderer sind, sind Leon, Eileen und Tim. Wobei ich mir bei den letzten beiden nicht sicher bin, ob sie Dinge nicht vielleicht merken, aber sich dazu entschließen, sie nicht anzusprechen. Bei Leon weiß ich, dass er einfach unempfänglich für solche Sachen ist und sogar mit seinen eigenen Gefühlen herzlichen wenig anfangen kann. Aber Felix… Felix ist womöglich der Schlimmste von allen. Und gerade mustert er mich mit seinem gruseligen Röntgenblick.

»Du kannst ihn schon irgendwie gut leiden, oder?«, will er wissen. Ich räuspere mich und spüre, wie mir Hitze ins Gesicht steigt.
 

Benni, denk jetzt nicht dran, wie er nackt unter der Dusche aussieht, oder wie seine Rückenmuskeln sich unter seinem Shirt abzeichnen, oder wie raubtierhaft er sich bewegt, oder wie seine Augen blitzen, wenn er…

»Äh«, sage ich nicht besonders geistreich. Felix grinst und Leon hebt die Brauen.

»Sieht aus, als wärst du total scharf auf den Kerl«, stellt er fest. Ich würde Leon für dieses Meisterwerk des Menschenlesens gratulieren, wenn ich mir nicht sicher wäre, dass mein Gesicht knallrot und womöglich ziemlich schmachtend aussieht.

Ein Geräusch, das sich anhört wie eine Mischung aus Würgen und Husten entrinnt mir und ich schiebe mir hastig mehr Nudelsalat in den Mund.
 

»Oho, sieht er so gut aus? Sieht er besser aus als Chris?«, will Felix interessiert wissen. Leon wirft ihm bei der Erwähnung von Christian gepaart mit gutem Aussehen einen sehr ungnädigen Blick zu. Ich schlucke und sehe die beiden abwechselnd und etwas panisch an.

»Ähm… also… ja? Ich finde schon? Keine Ahnung. Ich… sieht Christian gut aus?«

Leon lacht ziemlich gehässig, was ihm einen Schlag mit dem Ellbogen einbringt.

»Wenn man auf Adonistypen mit einer Prise Arroganz in der Aura und Bindungsängsten steht, dann sieht Chris sehr gut aus«, informiert Felix mich und fuchtelt schon wieder mit seiner Gabel herum. Ich bin wirklich froh, dass ich gerade nicht neben ihm sitze. Leon hält sich immer noch empört die Seite und starrt Felix an, als wollte er von ihm hören, dass er viel besser aussieht als Christian. Ich sehe mich jedenfalls nicht in der Lage dazu, Christians Aussehen zu beurteilen. Er ist mein Trainer und irgendwie mein Ex-Rivale und Anjos Freund… ich hab das Gefühl, ich sollte ihn wirklich nicht gutaussehend finden.
 

»Er ist kleiner und schmaler. Aber ich glaub, er könnte Christian aufs Kreuz legen, wenn er wollte«, sage ich, um von dem Thema ›Christians gutes Aussehen‹ abzulenken. Es funktioniert, denn Leon sieht plötzlich sehr interessiert aus.

»Tatsächlich? Das hört sich vielversprechend und sympathisch an! Du solltest dich unbedingt mit ihm anfreunden«, sagt er und Felix blickt ihn an, als wollte er Leon einerseits gern mit seiner Gabel erstechen und andererseits sehr fest drücken. Außerdem zucken seine Mundwinkel.

»Er hat schwarze Haare und ganz dunkle Augen und… naja… alles in allem sieht er aus wie ein Panther in Menschenform«, erkläre ich etwas umständlich. Der Vergleich kommt mir panne vor, als ich ihn laut ausgesprochen habe, aber Felix pfeift durch die Zähne.

»Ich höre Bewunderung«, flötet er gut gelaunt und ich grummele leise, ehe ich mich schweigend wieder meinem Salat zuwende. Ich bin wirklich nicht bereit dazu, mit Felix und Leon darüber zu reden, dass mir jedes Mal bei Gabriels Anblick heiß wird.
 

*
 

Mir war eigentlich schon in der ersten Stunde klar, dass die reibungslose Ruhe in unserer Trainingsgruppe nicht ewig anhalten wird. Vor allem, weil Karol sehr darauf bedacht ist, Christian bei jeder Gelegenheit angeekelt anzuschauen, was Ismail und Gero in ihren Ansichten anstachelt. Die ganze Schwule-sind-eklig-und-ich-lass-mich-nicht-von-einer-Schwuchtel-rumkommandieren-Gewitterwolke entlädt sich beim vierten Treffen, als Christian Karol zwanzig Liegestütze aufbrummt, weil der Paul ein Weichei und ein Muttersöhnchen genannt hat. Wir sind mit dem Aufwärmen bereits fertig und wollten eigentlich das erste Mal mit den Beinen am Boxsack trainieren. Wie schon die letzten Male hat Gabriel nicht wirklich mit mir gesprochen und ich habe meine kläglichen Gesprächsversuche aufgegeben.
 

Gabriel und ich stehen etwas abseits, weswegen ich nicht genau mitbekomme, wie es zu dem Knall kommt, aber in einem Augenblick steht Gabriel noch neben mir, dann ist er plötzlich verschwunden und ich sehe ihm verwirrt hinterher. Alles geht wahnsinnig schnell.

Gero, Karol und Ismail haben offensichtlich beschlossen, dass Christian wegen seiner Homosexualität und seiner Strenge eine Abreibung verdient. Weil einer allein ihn ohnehin kaum kratzen könnte – was wir alle sehr genau wissen – gehen sie zu dritt auf ihn los.
 

Christian tut überhaupt nichts. Er steht einfach nur da und schaut den Dreien mit hochgezogenen Augenbrauen entgegen. Allerdings kommen sie nicht dazu, auch nur eine Fingerspitze an Christian zu legen, weil Gabriel mit einem beinahe unmenschlichen Tempo drei gezielte Tritte und einen Ellbogen verteilt, woraufhin die Drei stöhnend zu Boden gehen. Gabriels Bewegungen sind nicht nur unheimlich schnell, sondern auch verteufelt elegant. Er sieht aus wie ein Künstler, wenn er sich bewegt. Zum ersten Mal verstehe ich wirklich, was er gemeint hat, als er mir bei unserer ersten Stunde gedroht hat. Ja, man sollte wirklich aufpassen, was man sagt. Ich starre ihn an, als hätte ich in meinem Leben noch nie was Schöneres gesehen, und dumpf wird mir klar, dass es in meinem Leben tatsächlich nur wenige Dinge gibt, die damit mithalten können.
 

Alle Augen sind jetzt auf Gabriel gerichtet, der wütend aussieht und immer noch eine deutlich defensive Haltung einnimmt. Keiner der Jungs sagt ein Wort und man hört nur das Keuchen und schmerzerfüllte Stöhnen von den drei Angreifern. Es ist ein bisschen, als hätte man gerade einen Jet-Li-Filmausschnitt gesehen.

Christian ist der Erste, in den wieder Bewegung kommt. Er verschränkt die Arme vor der Brust und mustert zunächst die drei Übeltäter und dann Gabriels Hinterkopf.

»Zehn Runden für euch vier«, sagt er vollkommen gelassen. Gabriel schnellt herum und sieht Christian einen Augenblick lang verständnislos und zornig an.

»Ich hab dir gesagt, kein Kampfsport in dieser Halle, den ihr nicht von mir beigebracht bekommt«, erinnert Christian ihn. Einen Wimpernschlag starren die beiden sich an, dann lässt Gabriel seine in Abwehr erhobenen Arme sinken und nickt. Er ist der Erste, der losläuft.
 

Mir fällt sofort auf, dass sich die Stimmung in der Halle geändert hat. Die Tatsache, dass Christian sich dermaßen streng an seine eigenen Regeln hält und auch Gabriel bestraft, obwohl der ihm nur helfen wollte, bringt die anderen offenbar dazu, ihn mit anderen Augen zu betrachten. Selbst Karol sieht ungläubig und überrascht aus, als er sich vom Boden aufrappelt und als letzter los joggt. Den Rest der Stunde höre ich kein Klagen mehr, sehe keine angeekelten Blicke in Christians Richtung und auch wenn der Vergleich vielleicht ein bisschen dämlich ist, kommt es mir so vor, als hätten die Jungs Christian jetzt zum ersten Mal offiziell als Alphamännchen akzeptiert. Zwar fliehen sie alle nach der Stunde, ohne zu duschen, aber diesmal hört man tatsächlich von dem ein oder anderen ein gemurmeltes »Tschau«.
 

Ich bin wirklich sehr beeindruckt und einen Moment lang vergesse ich, dass Gabriel mich hasst, und drehe mich zu ihm um, um ihm zu sagen, dass ich sein Eingreifen vorhin ziemlich cool fand. Allerdings beschließt meine Zunge, dass Reden überbewertet wird, als meine Augen ihr signalisieren, dass Gabriel nur eine Boxershorts trägt und sich gerade die Haare mit einem Handtuch trocknet. Wenn dieser Bastard nur nicht so verdammt gut aussehen würde. Dann wäre er zwar immer noch beeindruckend und interessant, aber man müsste ihn nicht die ganze Zeit dümmlich anstarren, als hätte man noch nie einen fast nackten Mann gesehen. Zu meinem größten Entsetzen merke ich, dass Christian mich mit dem breitesten Grinsen, das ich bei ihm jemals gesehen habe, beobachtet und anzüglich mit den Augenbrauen wackelt. Sein Trainer-Selbst hat er abgelegt, als die anderen die Umkleide verlassen haben, und nun ist er wieder nur Christian. Er trägt bereits eine Jeans, seine braunen Haare sind immer noch nass und hängen ihm fransig in die Stirn. Ich muss an die Unterhaltung mit Felix und Leon denken. Felix findet Christian unheimlich gutaussehend. Adonis, hat er gesagt. Klar, Christian könnte Unterwäschemodel werden. Aber mein Typ ist er eindeutig nicht. Ich werfe ihm einen halb panischen, halb wütenden Blick zu und er gluckst leise vor sich hin, während er sich einen dicken Kapuzenpullover über den Kopf zieht und in seine Sneakers schlüpft.
 

»Grüß Anjo von mir, wenn ihr euch trefft«, sagt Christian noch, bevor er seine Tasche über die Schulter wirft und sich in Richtung Tür bewegt.

»Mach ich. Und du Sina. Sag ihr, dass ich mir das Gestell für ihren Betthimmel nächste Woche nach der Chemieklausur anschau«, gebe ich zurück und versuche so ruhig wie möglich zu sprechen und nicht daran zu denken, dass Christian mich gerade bei meinem schamlosen Gegeiere ertappt hat.

»Cool«, antwortet Christian, klopft Gabriel zum Abschied auf die Schulter und verlässt die Umkleide.
 

Sina hat sich ein paar Stangen für ihr Bett gekauft, mit denen sie einen Himmel bauen will. Allerdings hat sie keine Ahnung, wie sie es am besten anstellen soll und ihren Worten nach zu urteilen ist Christian handwerklich in etwa so begabt wie der Hund ihrer Schwester. Und der läuft dauernd gegen Glasscheiben. Ich bin froh, dass ich mal was Nützliches für andere machen kann, statt immer nur allen Umstände zu bereiten. Während ich über die beste Möglichkeit, einen Betthimmel zu gestalten, nachdenke, wird mir nur langsam klar, dass ich mit Gabriel allein bin. Er packt gerade in aller Ruhe seinen Kram und zieht sich an. Einen Augenblick lang suche ich hektisch nach etwas, das ich sagen könnte, aber dann erinnere ich mich wieder daran, dass Gabriel sich sowieso nicht mit mir unterhalten will. Unweigerlich erinnere ich mich an die unzähligen Male mit Anjo in der Schulumkleide, in denen ich ihn schikaniert habe. Seufzend lasse ich die Schultern hängen und ziehe meine Jacke an.

»Tschüss«, murmele ich und verlasse schleunigst die Umkleide, bevor ich mich noch mehr zum Deppen mache.
 

Ich treffe mich mit Anjo an einem im Winter stillgelegten Springbrunnen mitten in der Innenstadt. In meinem Portemonnaie befinden sich fünfzig Euro, die – obwohl ich selbstredend nicht wirklich spüre, dass sie da sind – sich anfühlen, als würden sie drei Tonnen wiegen. Das ist das Taschengeld, das ich von Johannes und Brigitte bekommen hab und dann hat mir Margarete vorgestern auch noch einen Zehner zugesteckt, als ich Lydias Puppenhaus repariert hab, das von Sir Mauncelot an einer Stelle ziemlich demoliert wurde und die Kleine sehr unglücklich gemacht hat.

»Aber das war doch selbstverstä–«, hab ich versucht zu stammeln.

»Keine Widerrede, junger Mann. Kauf dir eine Tüte Mandeln oder einen anständigen Schal!«

Mit diesen Worten ist sie dann in die Küche verschwunden, um Apfelkuchen zu backen, der übrigens wahnsinnig gut geschmeckt hat.
 

»Hast du schon Ideen für irgendwelche Geschenke?«, fragt Anjo, der einen flauschigen Schal und eine Mütze trägt, um sich vor dem ekligen Schneeregen zu schützen, der vor einigen Minuten eingesetzt hat. Ich schüttele den Kopf und schiebe meine Hände in die Hosentasche. Eigentlich brauche ich wirklich einen Schal, aber ich will das Taschengeld nicht für mich ausgeben, sondern für Weihnachtsgeschenke. Ich konnte noch nie großartig Geschenke kaufen, geschweige denn, dass ich Leute gehabt hätte, für die ich irgendwas hätte kaufen wollen. Außer Jana.

»Für Jana werd ich wohl ein neues Notenheft besorgen. Sie hat die Beatles für sich entdeckt und jetzt will ich mal sehen, ob’s da irgendwas für gibt«, gebe ich zurück.

»Sie freut sich bestimmt. Mir musst du übrigens nichts kaufen«, erklärt Anjo prompt. Ich hab ihm anvertraut, dass ich mir unheimlich schlecht vorkomme, weil ich jetzt auch noch Taschengeld kriege. Er konnte das gut nachvollziehen. Mir ist da zum ersten Mal wirklich klar geworden, dass er ja mal in einer ähnlichen Lage wie ich gesteckt hat. Er ist bei Christian und Sina untergekommen, als ihm sein Vater zu viel wurde. Natürlich hätte er auch zu seiner Mutter gekonnt, aber er hat auch umsonst bei den beiden gewohnt, bis seine Mutter angefangen hat, die Miete für ihn zu zahlen. Ihm war das genauso unangenehm wie mir meine Situation jetzt. Deswegen hat er all die Hausarbeit erledigt, um seinen Teil zur Wohngemeinschaft beizutragen. Nicht mal das kann ich. Es ist zum Haare raufen.
 

»Ich werd für Lilli Muffinförmchen und ein Backbuch besorgen, sie hat kürzlich ihre Liebe fürs Backen entdeckt. Wenn du willst, können wir das zusammen schenken«, schlägt Anjo vor und ich nicke dankbar. Ich wollte gern was für Lilli besorgen, irgendwas Kleines – ich meine, immerhin hat sie sich zwei Finger für mich verstaucht –, aber mir wäre beim besten Willen nichts eingefallen. Ich kenne sie noch nicht gut genug, als dass ich was Anständiges hätte aussuchen können.

»Für meine Ma will ich ein Survival-Paket zusammen stellen. Sie will mit Daniel eine Rucksacktour durch Indien machen. Ein Buch mit der Geschichte Indiens hab ich ihr schon besorgt.«

Ich beneide Anjo für seine Ideen und mache in meinem Kopf eine Liste von Leuten, denen ich was schenken will. Jana, Anjo, Lilli, Felix und Leon, Christians ganzer Familie… Christian will ich eigentlich nichts schenken. Das wäre komisch. Andererseits hat er so viel für mich gemacht, dass es sicher total undankbar wäre, ihm nichts zu schenken.
 

Als könnte Anjo meine Gedanken lesen, dreht er sich zu mir um und sagt:

»Chris sagt übrigens, du sollst gefälligst keinen Cent für ihn ausgeben, er wird dir auch nichts schenken und dir eine reinhauen, wenn du ihm was besorgst.«

Ich blinzele, dann muss ich grinsen.

»Ok. Cool.«

Anjo lächelt mich an.

»Er würde dir nicht wirklich eine reinhauen«, versichert er mir. »Er will nur nicht, dass du Geld für ihn ausgibst. Das gilt übrigens auch für Sina. Sie sagt, ihr Betthimmel ist als Weihnachtsgeschenk völlig in Ordnung.«

Ich nicke. Hoffentlich kriege ich diesen Betthimmel anständig hin.
 

Wir schlendern durch den Weihnachtstrubel in der Innenstadt und empören uns darüber, wie teuer Weihnachtskarten sind, woraufhin ich ein Pack mit zehn Karten für vier Euro kaufe und Anjo beschließt, alle seine Karten selber zu malen und dafür eine Nachtschicht am nächsten Wochenende einzulegen. Wir besorgen die Sachen für Anjos Mutter und für Lilli zuerst, ich finde ein dünnes und recht günstiges Notenheft mit Liedern von den Beatles für Jana und ein älteres Album der Wise Guys für fünf Euro, das Tim noch nicht hat. Das weiß ich zufällig, weil er mir alle seine Alben zum Anhören aufgezwungen hat. Alles in allem könnte es mit den Weihnachtsgeschenken schlimmer laufen, denke ich mir, während Anjo und ich uns eine Tüte Schmalzkuchen auf dem Weihnachtsmarkt teilen. In dem Getümmel all dieser Leute, die genau wie ich für Menschen in ihrer Nähe Geschenke kaufen und gebratene Mandeln essen und Glühwein trinken, fühle ich mich beinahe so, als wäre ich ganz normal.



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Kommentare zu diesem Kapitel (19)
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Von:  Armaterasu
2013-02-13T16:48:14+00:00 13.02.2013 17:48
Abivorbereitungen... bei mir sah es damals nicht viel anders aus. Schule, essen, lernen, etwas trinken, lernen, schlafen... ich kann benni verstehen, weil auch ich wollte nicht noch ein jahr hinten dran hängen. ^^''
Das Zusammenleben von Felix und Leon zu lesen, ist wirklich immer wieder amüsant *tihi* ich mag die beiden nach wie vor zusammen, gerade weil leon jetzt auch mit benni warm geworden ist oder eher benni mit ihm. immerhin hatte leon sofort hinter bennis fassade geschaut, weil er eben auch einmal so eine phase gehabt hatte, wenn auch nicht so krass wie benni, aber auch er hatte probleme damit gehabt, sich in einen mann zu verlieben bzw es sich einzugestehen, dass er sich in einen verliebt hatte. und ich mag es, wenn menschen nicht nachtragend sind, gerade weil ich weiß, wie schlimm es manchmal sein kann. ich bin ein nachtragender mensch in vielen dingen, obwohl ich es gar nicht sein will ^^''

Gabriel. Er gefällt mir :) Alleine schon wie benni bei felix und leon über ihn redet, aber auch wie er christian verteidigt, ohne dass er überhaupt eine verteidigung gebraucht hätte. aber auch, dass er ohne etwas zu sagen seine strafe annimmt, als christian ihn dazu verdonnert. und da ich auch schon die nächsten kapitel gelesen habe, weiß ich, dass ich ihn noch viel toller finden werde ^^'' und christian weiß natürlich wieder mehr als benni selbst. hach, ich mag diese story, hab ich das schon mal erwähnt?

Wenn ich jetzt so lese, wie anjo und benni weihnachtsgeschenke einkaufen, dann freue ich mcih auf weihnachten und nehme mir auch jedes jahr immer wieder vor, dass ich das auch alles mehr genießen möchte, dass ich meine wohnung auch mehr shcmücken möchte, dass ich plätzchen backen möchte (wobei ich partout nicht backen kann) und mcih eben auch mit einer freundin zum weihnahctsgeschenkekauf treffen möchte. aber wenn dann weihnachten vor der tür steht, ist mir der rummel auf arbeit immer viel zu viel, sodass ich überhaupt keine lust mehr auf weihnachten habe und ich bestelle alle geschenke im internet (zumindest fast alle), backe keine plätzchen und schmücke auch die wohnung nicht. stattdessen bin ich froh, wenn der ganze rummel wieder vorbei ist. und ich befürchte, dass sich das dieses jahr auch nicht ändern wird ^^''
aber es ist schön zu lesen, wie benni sich an diesem nachmittag wie ein ganz normaler junge fühlt und auch, wie er die zeit mit anjo genießt.
im allgemeinen finde ich es bei jedem kapitel schön zu lesen, wie du auf details achtest und auch, wie du auf deine charaktere eingehst, wie du ihnen immer wieder leben einhauchst und sie beschreibst, sodass wir leser sie besser kennen lernen können. großen respekt!
Von: abgemeldet
2012-10-12T08:26:41+00:00 12.10.2012 10:26
Wow...
ich bin gespannt wann Benni und Gabriel mal richtig ins Gespräch kommen und wie es dann mit den beiden weiter geht. Die Duschszene war ja schon ziemlich zum schmunzeln. Naja ich bin einfach gespannt wie es weiter geht und hab auch sonst nichts zu meckern weil du einfach einen tollen schreibstil hast und man sich in deine geschichten schnell rein liest und auch gar nicht genug davon bekommen kann.
Von:  Inu_Julia
2012-10-08T16:38:14+00:00 08.10.2012 18:38
Erst einmal: Christian <3 Ich liebe ihn immer noch einfach viiiiel zu sehr hahahahaha :'D Und bei dem gedanken an ihn in der Umkleide wird mir auch ganz heiß xD Da muss ich an die Szene aus Kryptonit denken, in der Anjo unter der Dusche tausend Tode gestorben ist :'D
Aber... Gabriel ist acuh einfach nur interessant :D Und ich LIIIIEEEBE es wie Benni auf ihn reagiert harhar xD Und dass Felix, Leon und Christian so genial darauf reagieren :'D
Ich finds schade, dass er bis jetzt noch nicht sonderlich viele Auftritte hatte, aber der Fokus liegt im Moment ja auch eher auf Benni und sein neues Leben :)
Ich freue mich auf jeden Fall schon darauf mehr von den beiden zu lesen <3

Von:  dead_rabbit
2012-10-08T12:36:34+00:00 08.10.2012 14:36
So, heute ist das morgen von gestern und ich habe von vorn angefangen <3

Schmalzkuchen? Nie gehört aber das klingt irgendwie eklig…
Aaah ich bin ein wenig beleidigt weil Gabriel so beherrscht ist. Naja, war nicht anders zu erwarten bei einem Kampfsportler, aber trotzdem, er fragt nicht mal nach oder so - 3 -
Er muss furchterregend sein, wenn seine Sicherungen durchbrennen. Mir ist das ein einziges Mal passiert, ich erinnere mich kaum. Es ist erschreckend das bei anderen zu sehen, insbesondere bei Leuten, denen man nahe steht. Sie sind kaum widerzuerkennen, man sieht es, wenn das Hirn abschaltet. Rot sehen. Hmm… kein Wunder ist es still geworden, als Benni in der Trainingshalle durchgedreht ist. Ob sich Gabriel gefragt hat wie er selbst damals ausgesehen hat? Er muss wahnsinnig erschrocken sein, als er vor diesem Kerl aufgewacht ist und gesehen hat was er angerichtet hatte. Wie wohl sein Freund reagiert hat? Ich würde echt gerne mehr darüber hören. Das Wissen, dass er jemanden hätte umbringen können quält ihn wahrscheinlich sehr. Aber ich bin mir sicher, dass er irgendwo in sich auch eine Stimme hört, die ihm sagt, dass dieser Typ es verdient habe.
Fuuuuh…
ich geh nochmal das Kapitel aus Krypto lesen, in dem Gabriel vorkommt höhö
P.S. Jana hat ihren Bruder nie so gesehen oder? Denn er hat sich ja immer wahnsinnig zusammengerissen, um sie nicht durch zurückschlagen zu gefährden... Den Berserker hat er anderswo hervorgeholt...
Von:  Larii
2012-10-08T02:27:25+00:00 08.10.2012 04:27
Gabriel!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Von:  Amnesias
2012-10-07T21:03:14+00:00 07.10.2012 23:03
Awww, ich freue mich jedes Mal so sehr, wenn du ein neues Kapitel reinstellst!
Ich liebe Benni! ♥ Jedes mal wenn ich ein neues Kapitel lese, überkommt mich eine übergroße Sehnsucht. Ich sehne mich so danach diese Geschichte 'hautnah' zu erleben, eine Freundin von Benni und Anjo und Chris zu sein und einfach diese Menschen wirklich zu kennen. Es ist immer so ein bittersüßes Gefühl, wenn man nach dem Lesen aus dieser Welt auftauchen muss und in die Realität zurück findet. Und man ist für eine Weile immer noch in Gedanken bei ihnen. ^^
Bitte, hör niemals auf zu schreiben.
Von:  Danni
2012-10-07T16:57:41+00:00 07.10.2012 18:57
Mal wieder hat es allein der erste Satz des Kapitels geschafft, mir ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Wenn es schon so anfängt, weiß man doch sofort, dass auch der Rest einfach nur toll werden wird. Selbstverständlich wurde ich nicht enttäuscht und genau das ist eingetreten.

Die Szene bei Felix und Leon war klasse. Ich liebe es, wie die beiden miteinander umgehen. Und ich hätte es Leon wohl gleichgetan und wäre ein Stück von Felix weggerückt, nachdem er mit seiner Gabel anfing zu fuchteln.
Ich liebe die Kontinuität, die du in deine Geschichten einbringst - wie Geschehnisse ab und zu wiederaufgegriffen werden.

Wie viele schon sagten, wären bei der Szene beim Training ein paar mehr Zeilen noch wünschenswert gewesen, um die Ernsthaftigkeit der Situation besser rüberzubringen, aber alles in allem war auch die Szene sehr gut.
Bennis Bewunderung für Gabriel kommt auch rüber, wie es ihm die Zunge... bindet, als er merkt, dass Gabriel halbnackt in der Umkleide ist und er gern... wir wissen alle, was er gern würde xD

Als Letztes möchte ich noch das Himmelbettdings... erwähnen bzw. eher Sinas Bemerkung bezüglich Chris. Ich lag am Boden vor Lachen (nicht wörtlich, aber wäre ich nicht allein hier, wäre ich wohl schief angeguckt worden). Chris als gegen Glasscheiben laufender Hund hat irgendwie was xD

Jaaa... schönen Restsonntag noch :D
Danni
Von:  Ciriney
2012-10-07T16:44:16+00:00 07.10.2012 18:44
Hey, wow, das war ja schnell! Ich bin begeistert!!! :)) Ein schönes Kapitel, auch, weil jetzt wieder die seltsame Beziehung Benni-Chris genauer herauskommt. Für meinen Geschmack geht es mit Benni-Gabriel zu langsam voran xD Aber es ist ja auch logisch. Und besser. Und überhaupt.

...bei dem Hund, der andauernd gegen Glasscheiben rennt, musste ich an meinen denken. Traurig, irgendwie...xD

Liebe Grüße und danke für das neue Kapitel!

Ciriney
Von:  Myrin
2012-10-07T16:31:20+00:00 07.10.2012 18:31
Uuuuuh, danke für die Widmung, Liebes! <3
Und ja, domestic Feleon und auch nur ein winziges bisschen Sina, was will man mehr? :D
Von: abgemeldet
2012-10-07T14:36:32+00:00 07.10.2012 16:36
oh!! das ging ja suuuper schnell :) hat mir den tag wirklich gerettet!! ich mag benni immer mehr! er ist so herzallerliebst! ich hoffe die geschichte mit gabriel entwickelt sich mal, besonders für benni (der denkt ja an nichts anderes mehr xD). und ich bin mir sicher, dass er für alle geschenke findet... soo unkreativ finde ich ihn nicht :) wuhuuu ich freu mich aufs nächste kapitel, wie immer! :)
LG


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