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Dark Night's Kiss

von

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44. Kapitel

Einen dicken Schal um den Hals und fest in eine Strickjacke gewickelt stand Emma an der Terrassentür und blickte in die Nacht hinaus. Der Himmel war fast sternenlos, da der starke Wind Wolkenfetzen darüber scheuchte. Selbst das fahle Licht des Mondes fiel immer nur unterbrochen auf den kleinen Garten.

Ihre Augen wirkten trüb und ihre Wangen blass unter den roten Rändern ihrer Lider.

Sie wusste immer noch nicht, was sie tun sollte. Kathy und Rob waren vor einer Stunde ins Bett gegangen und hatten selbst das erst getan, als Emma versprochen hatte, nicht zu lange hier zu stehen und sich Sorgen zu machen. Allerdings war 'zu lange' ein dehnbarer Begriff.

Ein tiefes Seufzen entrang sich ihrer Brust und Emma blinzelte vollkommen müde und mit den Nerven am Ende. Sie konnte schon gar nicht mehr über die ganze Sache nachdenken. Alles war hin und her gedreht worden, analysiert und so positiv ausgelegt, wie es überhaupt nur möglich war. Und trotzdem ... war da ein Körnchen, das Emmas Magen sich zusammenziehen ließ. Wenn sie nur –

Erschrocken zuckte sie zusammen.

Eiskalte Finger strichen ihr den Nacken entlang und graue Wolken zogen sich in dem kleinen Garten zusammen, der unter Emma lag – still und scheinbar friedlich. Aber ... da war jemand gewesen.

Eine Hand flach gegen die Scheibe gedrückt versuchte Emma mit klopfendem Herzen auch das Stück des Gartens zu sehen, das von der Terrasse aus im Schatten lag.

Schlich da draußen jemand herum?

Ihr Blick zuckte zur Uhr, die schon weit nach Mitternacht anzeigte.

Wer um diese Zeit in fremden Gärten herum –

Diesmal tat sie sogar einen Schritt von der Scheibe zurück. Ihr Puls hämmerte ihr in den Ohren und Emmas Lippen hatten sich zu einem halb erstickten Laut geöffnet.

Da ... war definitiv ... jemand.

 
 

***

 

In dieser Nacht war Cayden zu müde, um noch großartig über irgendetwas nachzudenken. Dennoch ließen seine Gedanken ihn nicht in Ruhe. Dass er so unvorsichtig gewesen war ...

Kurz nach seiner Verhaftung hatte er alle möglichen Proben abgeben müssen und nun war ein weiteres belastendes Beweismittel hinzugekommen. Seine Speichelprobe passte perfekt zu der Probe, die man in der Bisswunde an Vanessas Arm hatte entnehmen können. So hatte es ihm zumindest sein Anwalt noch vor dem Abendessen erklärt. Auch wenn unklar war, wie sein Gebissabdruck dazu passen sollte, da es keine hundertprozentige Übereinstimmung gab. Doch dieses kleine Detail übersahen sie geflissentlich. Hauptsache sie hatte nun einen stichfesteren Beweis für sein Vergehen. Er saß also nicht nur in der Tinte, sondern bis über den Hals so richtig tief in der Scheiße.

Er hätte ihre Wunde versorgen sollen. Auch wenn es nur ein kleiner Biss gewesen war, so hatte es doch nun ausgereicht, um zumindest zu beweisen, dass er sie an diesen Abend blutig gebissen hatte. Etwas, das kein normaler Mensch tat.

Bestimmt verkündeten die Presseleute nun voller Stolz, dass zu seinem Verbrechen auch noch offenbar Geistesgestörtheit hinzukam. Es war zum … Verzweifeln.

Cayden sah keine Lösung mehr. Selbst wenn er Emma als Zeugin angab, war da doch auch immer noch die Stunde, die er nicht bei ihr gewesen war, sondern Jagd auf Blut gemacht hatte.

Vanessa … war sie tatsächlich so grausam, dass sie ihm das alles antat, oder war sie nur eine Marionette in einem sehr viel größeren Spiel?

Wenn er das doch nur wüsste …

Und was war mit Em?

Gott, er vermisste sie und nicht zu wissen, wie es ihr ging, machte ihn rasend. Vor allem, da so gut wie jedes ihn betreffende Detail in der Presse gelandet war. Sie hätte schon am Rande der Welt wohnen müssen, um nichts davon mitzubekommen. Bestimmt kannte sie bereits alle Lügen. Aber glaubte sie ihnen auch?

Was, wenn ja? Wie sollte er ihr bloß klarmachen, dass da jemand ein falsches Spiel mit ihm spielte? Denn, warum Herrgott noch mal, sollte er Vanessa verprügeln? Er hatte keinerlei Grund dazu. Vor allem hatte er sie noch nie geschlagen. Nie, kein einziges Mal. Nicht einmal nur eine Ohrfeige.

Cayden schlug keine Frauen und er würde es nur dann tun, wenn er keine andere Wahl mehr hätte und sein Leben davon abhängen würde. Doch selbst da kam es immer noch auf die Situation an.

Nein, er hatte das nicht getan. Aber es gab niemanden, der ihm glaubte. Selbst bei Em war er sich nicht sicher. Er hatte sie bisher kein einziges Mal sprechen können.

Ob es ihr und dem Baby gut ging?

Unruhig warf sich Cayden auf die andere Seite, verfolgte mit seinem Blick den blassen Mondschein, der durch das vergitterte Fenster hereindrang und kleine Linien auf den Boden zeichnete.

War sie in Sicherheit?

Er hatte es vermieden, ihren Namen zu nennen, aber was wenn bereits jemand hinter ihr her war? Was, wenn das alles hier nur der Anfang war? Selbst wenn nicht, wie … wie sollte er danach wieder normal weitermachen können? Sein Ruf war geschädigt. Schwerwiegend. Daran gab es nichts mehr zu rütteln. Denn an Wunder glaubte er nicht.

Wenn er es doch nur könnte … vielleicht würde er dann für eines beten.

 
 

***

 

Wind war aufgekommen. Er bog die Wedel des hohen Farns in Richtung Rasen und zupfte an den Kübelpflanzen herum. Emma konnte selbst mit weit geöffneten Augen nicht genug erkennen, um sich etwas zu beruhigen. Lediglich ihr blasses Selbst sah sie in der spiegelnden Terrassentür und sie spürte ihr Herz in ihrem Hals schlagen.

Zitternde Finger suchten nach dem Lichtschalter, während Emma sich eigentlich so wenig wie möglich bewegen wollte. Nicht auffallen. Vielleicht ...

Sie erschreckte sich selbst damit, dass sie das Licht ausschaltete und damit plötzlich im Stockdunkeln stand. Der Kühlschrank summte in ihrem Rücken und irgendwo im Flur knackte es leise. Zu leise, als dass es eine Ursache haben könnte, die Emmas Puls derartig in die Höhe treiben sollte.

Trotzdem musste sie sich die Strickjacke enger um den Körper wickeln und verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen, um hinter dem Holzrahmen der Tür ein wenig Sichtschutz zu suchen.

Bloß ... vor was?

Emmas Augen gewöhnten sich – für ihren Geschmack – viel zu langsam an die Dunkelheit. Sie konnte nicht genau –

„Ah!“

Ein Ruck schien durch die Glasscheibe zu gehen, an der eben noch ihre Hand gelegen hatte. Als hätte der Wind oder ... etwas anderes heftig dagegen geschlagen.

Emma war so stark zusammengezuckt, als hätte sich an der glatten Oberfläche geschnitten. Ihr Puls raste so schnell, dass sie das Gefühl hatte, ihre Trommelfelle müssten unter dem Druck nachgeben und sie atmete stoßweise gegen die Hand, die sie sich vor den Mund geschlagen hatte.

Gott. Wer zum ...?

Wieder erschrak sie furchtbar, als sie von draußen jetzt seltsame Geräusche hörte. Es war ... Irgendwie klang es ein bisschen so, als würden sich zwei Katzen ordentlich die Meinung geigen, aber da war irgendetwas ... falsch. Knurren und Fauchen, aber ...

 

Verdammter Vollidiot!

Mit einem Fauchen, das er wirklich nicht unterdrücken konnte, trieb er den anderen gegen die Wand. Sie bluteten beide aus nebensächlichen Schürfwunden.

Aber das war nicht das Problem. Der Kerl war einfach zu blöd, zu jung oder zu arrogant, um zu erkennen, dass es Zeit war, Leine zu ziehen. Im schlimmsten Fall war er alles auf einmal.

„Verzieh dich.“

Seine Stimme fraß sich in Form eines dunklen Knurrens auf sein Gegenüber zu. Etwas, das selbst das dümmste Tier verstanden hätte. Aber nein, diese Dumpfbacke zog vorerst nur ein wenig den Schwanz ein.

„Du hast mir nichts zu sagen. Du hast selbst kein Anrecht auf sie.“

Das Zittern in den Worten machte klar, dass der Kleine das Wort 'Anrecht' nur dank jemand anderem benutzte. Es war ihm aufgedrückt worden. Was die Sache allerdings nicht weniger Besorgnis erregend machte. Eher im Gegenteil.

„Richtig.“

Der Jungspund wollte noch ausweichen, fing sich allerdings nur einen Schlag auf die Nase ein, bevor er von Adams Unterarm unter dem Kinn gegen einen Pfosten der höher gelegenen Terrasse gerammt wurde. Wut stand in Adams frostig blauen Augen und er konnte das schmerzende Zerren in seinem Inneren nur zu deutlich spüren. Es war egal, ob es der richtige Zeitpunkt dafür war. Es fühlte sich nur teuflisch gut an, dieses Brennen an jemandem auszuleben.

„Derjenige, der auch nur entfernt so etwas wie ein Anrecht auf sie hat, wird dir wesentlich härter in den Arsch treten als ich. Ich werde dir einfach nur die Fänge rausreißen und sie dir in die gegenüberliegende Körperöffnung stopfen, wenn du nicht Leine ziehst. Verstanden?“

Schon allein für die Aktion mit dem Fenster hatte es der Mistkerl verdient. Scheiße, wollte er sie alle an den Pfahl liefern? Wenn die Hexe auf diese Weise heraus bekam, dass es Vampire in ihrer Nähe gab, konnten sie sich alle zusammen eine neue Insel suchen. Wenn sie schnell genug waren und die Hexe ihnen allen nicht vorher die Haut über die Ohren zog, wohl gemerkt.

 

In eine kauernde Position auf den Boden gesunken lauschte Emma in die Dunkelheit.

Der Wind fegte immer noch über die Terrasse. Aber die ... Tiere waren still geworden. Unheimlich still. Es hatte nicht so geklungen, als wäre einer als Sieger und der andere als Verlierer aus dem Streit hervorgegangen. Es war so, als ... wären sie einfach verschwunden.

Die Finsternis begann auf Emma einzudrücken. Sie schlang sich um sie, fing an, so stark um ihren Kopf zu wirbeln, dass ihr schwindelig wurde. Sie fühlte sich ... so allein.

„Bitte ...“

Emma schlang die Arme um ihren Bauch und zog die Beine so an, dass sie ihre Stirn auf ihren Knien ablegen konnte.

„Du ... darfst das einfach nicht getan haben ...“
 

 

***

 

Am nächsten Morgen war es amtlich. Mehr oder weniger. Cayden hatte kaum sein Frühstück angerührt und darüber nachgedacht, dass er es nicht mehr sehr lange hier aushalten würde, ohne deutlich seine Nerven zu verlieren, da bekam er auch schon Besuch von seinem Anwalt, der ihm die ziemlich vernichtende Botschaft brachte, dass die Polizei nun genug Beweise zu haben glaubte, um Cayden vor Gericht zu zerren.

Cayden nahm die Nachricht ruhig auf. Allerdings nicht, weil er sich so gut beherrschte, oder es ihn nicht weiter kümmerte, sondern weil er langsam wirklich zu begreifen begann, wie ernst es war.

Es war nicht so, als hätte er das nicht schon vorher gewusst, aber irgendein Teil von ihm hatte es immer noch nicht richtig glauben können. Als Fletcher ihm jedoch den Gerichtstermin nannte, fiel eine Mauer in ihm zusammen und seine Hände zitterten ebenso sehr zu, wie Caydens Herz wie wild verrückt schlug.

Er kam vor Gericht.

Für etwas, das er nicht getan hatte.

Alle Beweise sprachen gegen ihn.

Warum nur?

Cayden hörte gar nicht richtig zu, als sein Anwalt ihm die nächste Vorgehensweise erklärte und verkündigte, wie alles ablaufen würde. Er drängte ihn auch noch einmal dazu, sein Alibi preiszugeben, doch Cayden reagierte mit Nichtachtung. So lange, bis man ihn wieder in seine Zelle sperrte und er wieder alleine war.

Erst als ihm fast schwarz vor Augen wurde, bemerkte er, dass er die ganze Zeit kaum noch geatmet hatte und schnappte nach Luft.

Bilder von Horrorszenarien huschten vor seinen Augen vorbei.

Wie er so lange hinter Gitter verbringen musste, bis man nicht mehr übersehen konnte, dass etwas nicht mit ihm stimmte. Wie sein Durst ihn nach einer Weile überwältigte, so dass er Mitgefangene angriff. Wie er in der Psychiatrie landete. Wie er von dort aus von irgendwelchen geheimen Regierungsmitgliedern abgeholt und für immer für Forschungszwecke weggesperrt wurde.

Doch das war nichts, absolut nichts zu dem Gedanken, Emma nie wieder zu sehen …

Cayden war schon aufgesprungen und beim Fenster, ehe er überhaupt weiter nachgedacht hatte. Seine Hände lagen darauf, bereit dazu, es einfach herauszureißen, doch er besann sich noch einmal.

Nein, noch war die Verhandlung nicht gelaufen. Noch war Vanessa nicht aufgewacht, um entweder zu bestätigen, was alle behaupteten, oder ihn – so unwahrscheinlich das nach all den Dingen auch war – zu entlasten. Es war also noch nichts entschieden.

Er konnte immer noch verschwinden. Er musste nur … abwarten. So schwer es ihm auch fiel. Abwarten war jetzt das Wichtigste.

Die Frage war nur, wie lange er das noch konnte.

 
 

***

 

Der Himmel war passend trüb, als Emma an der Bibliothek aus dem Bus stieg und sich mit hochgezogenen Schultern auf den Weg zu dem Gebäude einen Block weiter machte. Das Hauptquartier der Polizei in Wellington war grau und trist. Daran konnten auch die farbigen Elemente nichts ändern, die irgendwann in den letzten Jahren hinzugefügt worden waren.

Emma sah an dem Gebäude hoch, ließ sich für ein paar Sekunden kleine Regentropfen auf das Gesicht nieseln und stieg dann die paar Stufen zum Haupteingang hoch. Die Tür war schwer und der Empfang dahinter auffällig unordentlich. Sofort stieg in Emma so etwas wie Protest und Unterstellung hoch. Wer sich so präsentierte, konnte doch keine ordentlichen Ermittlungen führen.

„Guten Morgen. Ich soll mich hier anmelden. Zu einer Befragung.“

Ihre Stimme klang in der leeren Halle nach und ließ Emma frösteln. Eigentlich mochte sie Polizisten. Die Institution an sich war ihr immer nur positiv in Gedanken gewesen. Aber jetzt ... Wie schnell sich so etwas doch ändern konnte.

Sie musste ihren Ausweis vorlegen, bekam ihn zurück und verharrte dann wartend für ein paar Minuten in der kalten Halle, bevor sie von einem Beamten abgeholt wurde. Die Gänge, entlang denen sie dem Mann folgte, waren ebenfalls grau und unordentlich. Allerdings auf eine andere Art und Weise, wie es der Empfang gewesen war. Hier schien alles zu brummen und zu wuseln. In den kleinen Büros klingelten verschiedene Telefone, Männer und Frauen liefen an Emma vorbei und Aktenberge wurden auf kleinen Wägelchen durch das Gebäude gerollt.

„Bitte, Miss Barnes.“

Sie wurde in einen Raum geführt, der Emma irgendwie an ein Sprechzimmer erinnerte. Es sollte vermutlich ein Büro sein, denn es standen Aktenordner in Regalen und Papier auf dem großen Schreibtisch, aber irgendwie wirkte es trotzdem steril.

Der junge Polizist setzte sich ihr gegenüber hinter das große Möbel und schob an der Maus des PCs herum, um den Bildschirm zum Leben zu erwecken.

„Lassen Sie uns gleich anfangen. Ihre persönlichen Daten auf dem Ausweis stimmen noch?

Name: Emma Lynn Barnes.

Familienstand: ledig

Geburtstag: –“

„Ja, es stimmt alles.“

Der Polizist sah ihr ausdruckslos ins Gesicht und tippte dann die Daten von ihrem Ausweis in den Computer. Ein kleines Fenster ploppte auf, von dem Emma nicht sehen konnte, was es beinhaltete. Ihren Strafzettel für falsch parken von vor vier Jahren?

„Sie sind Angestellte bei der C&C Corporation. Welche Aufgabe erfüllen Sie dort?“

Emma machte schon nach den ersten drei Wörtern dicht. Was sollte sie hier eigentlich? Wenn diese Leute wollten, dass sie Cayden auch noch belastete, dann würde sie sofort aufstehen und gehen. Sie konnten sie ja nicht dazu zwingen, etwas zu sagen. Wie war die Polizei überhaupt darauf gekommen, sie zu befragen? Hatte ... Cayden irgendetwas gesagt? War es vielleicht wichtig für ihn, dass sie hier war?

„Ich bin eine von Mr. Calmaros persönlichen Assistentinnen.“

„Seine Sekretärin.“

Eine kleine Pause.

„Ja. Seine Sekretärin.“

„Sie sind also die meiste Zeit im Büro, wenn auch Ihr Chef im Büro ist?“

„Richtig.“

Der junge Mann sah ihr in die Augen und wartete. Emma blickte zurück.

„Können Sie das weiter ausführen?“

„In wiefern?“

Er konnte froh sein, dass sie überhaupt etwas sagte. Bei dieser einschüchternden Atmosphäre und der Tatsache, dass sie nicht wusste, ob sie hier war, um Cayden zu be- oder ihn zu entlasten.

„Bleiben Sie immer so lange im Büro, bis ihr Chef Schluss macht und nach Hause geht? Sind sie schon im Büro, wenn er zur Arbeit kommt?“

„Meistens ja. Und ich komme vor ihm ins Büro. Wenn er anfängt, müssen einige Dinge schon auf seinem Schreibtisch liegen.“

„Dann waren sie auch am Donnerstag im Büro, bis ihr Chef gegangen ist?“

„Nein.“

Ein Zucken der Augenbraue bei dem Polizisten.

„Nein?“

„Mr. Calmaro war am Donnerstag nicht im Büro. Er war krank. Ein paar Tage schon. Eine Grippe und Fieber.“

„Er war nicht im Büro an diesem Tag? Überhaupt nicht?“

„Überhaupt nicht.“

Wieder schob er hektisch die Maus hin und her, klickte ein paar Sachen an und wandte sich dann in seinem Drehstuhl so, dass er an einen Stift herankam.

„Gut, dann können Sie eigentlich schon wieder gehen. Das war alles.“

„Aber ich kann Ihnen sagen, wo er ab 23 Uhr war.“

Emmas Stimme schien vom Klopfen ihres Herzens zu beben. Angst durchflutete ihren Körper, auch wenn das vollkommen irrational und fehl am Platze schien. Sie brauchte ... keine Angst zu haben. Sie sagte doch nur die Wahrheit.

Aber was ... wenn Cayden nicht wollte, dass sie das tat?

„Das ist interessant. Und woher wissen Sie, wo Mr. Calmaro ab 23 Uhr war? Erzählen Sie mal.“

Und Emma ... erzählte.

 
 

***

 

„Also Mr. Calmaro. Sie können froh sein, dass wenigstens ein Mensch bereit ist, sein Schweigen zu Ihren Gunsten zu brechen. Ich nehme an, bei der Dame handelt es sich laut ihrer Aussage um Ihre Geliebte. Sagt Ihnen der Name Emma Barnes etwas? Zumindest nehme ich stark an, dass sie diejenige welche ist, die Sie bisher für sich behalten wollten.“

Cayden verbarg den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht, der Bände sprach. Zum einen bedeutete er, dass er ganz genau wusste, wer hinter diesem Namen steckte und dass er keinesfalls froh darüber war, diejenige welche nun mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Verhandlungen mit hineinziehen zu müssen.

„Woher wissen Sie das?“, wollte er schließlich wissen, nachdem seine erste Überraschung etwas abgeklungen war.

„Die Beamten haben einige Ihrer Mitarbeiter zur Befragung vorgeladen und dort gab Miss Barnes von selbst an, dass Sie im Zeitraum von 23 Uhr bis in den Morgenstunden bei ihr gewesen waren. Sie können wirklich von Glück reden, dass wenigstens sie ihren Mund aufgemacht hat. Das grenzt die ganzen Ermittlungen ein. Weshalb ich Sie fragen möchte, was Sie in den restlichen zwei Stunden getan haben, die von dem Zeitpunkt reicht, an dem der Fahrservice Ihre Frau vor der Tür abgesetzt hat und Sie anschließend zu Miss Barnes fuhren?“

Cayden unterdrückte einen Fluch.

Ach, Em …

„Ich habe Ihnen UND der Polizei bereits gesagt, was ich in diesem Zeitraum getan habe. Zuerst habe ich auf meine Frau gewartet. Danach habe ich ihr verkündet, dass ich sie verlassen werde und die Scheidung will. Das hat sie nicht gut aufgenommen und es eskalierte in einem Wortstreit. Sie hat geschrien und ich bin schließlich gegangen, da ich mir das nicht länger mit anhören wollte. Punkt.“

Fletcher – der wohl zum hundertsten Mal Caydens Worte auf einem Block notierte – sah nicht einmal hoch.

„Wie lange vermuten Sie, hat dieser Streit gedauert?“

Cayden dachte nach, weil er es selbst nicht genau sagen konnte.

„Ich denke, seit der Ankunft meiner Frau bis zu dem Zeitpunkt, als ich sie verlassen habe, sind ungefähr eine halbe Stunde vergangen. Wenn überhaupt.“

„Und was haben Sie danach getan, da Sie nicht sofort zu Miss Barnes gingen?“

Fast hätte Cayden geknurrt. Diese Fragerei nervte ihn nicht nur enorm, dass er sich dabei auch noch ständig wiederholen musste, war wohl das Schlimmste.

„Ich war spazieren und das in der Nähe der Docks. Also weit weg von meiner Frau. Hat man denn inzwischen herausfinden können, ob etwas gestohlen wurde?“

Nun sah Fletcher doch hoch.

„Nein. Es waren – wie Sie wissen – sehr wertvolle Gegenstände im Haus, Schmuck im Tresor, teure Uhren und Ohrringe in den Schubladen. Aber nichts davon wurde gestohlen, weshalb die Polizei auch nicht annimmt, dass es ein oder mehrere Einbrecher gewesen sein könnten. Zudem waren nur das Wohnzimmer und ein Teil der Eingangshalle zerstört. Alle anderen Räume waren unversehrt. Sie haben keine Ahnung, ob das irgendetwas bedeutet?“

Cayden schüttelte den Kopf.

„Nein, und wenn ich es wüsste, hätte ich es Ihnen bereits gesagt.“ Mehr oder weniger. Das kam auf die Situation an.

„Gut. Dann bleibt uns jetzt nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass der Zeitpunkt des Angriffs nach 23 Uhr stattgefunden hat, oder Ihre Frau Sie entlastet. Ansonsten wird es nicht allzu gut aussehen, mit all den belastenden Beweisen.“

Ja, da machte sich Cayden keine Illusionen mehr. Es sah ganz und gar nicht gut aus.

 
 

***

 

Eine Stunde, nachdem sein Anwalt ihn verlassen hatte, tauchte er auch schon wieder bei Cayden auf, mit einem wohl noch nie da gewesenen Lächeln im Gesicht.

Cayden traute diesem Lächeln nicht, dennoch begann sofort sein Herz schneller zu schlagen und er konnte es kaum erwarten, bis sie in dem Raum ankamen, wo sie sich in Ruhe unterhalten konnten.

„Also, welchen Grund gibt es zum Lächeln?“, wollte Cayden immer noch trübsinnig und ohne Hoffnung wissen.

Sein Anwalt knallte seine Aktentasche auf den Tisch, ohne sie allerdings wie üblich zu öffnen und pflanzte sich auf den Stuhl Cayden gegenüber.

„Etwas Wunderbares, Mr. Calmaro. Soeben habe ich einen Anruf erhalten. Ihre Frau ist vor ungefähr einer Stunde aufgewacht und auch bereits ansprechbar. Sie kann sich zwar nicht in allen Einzelheiten an den Angriff erinnern, kann aber auf alle Fälle alle Anschuldigungen Ihnen gegenüber abweisen. Sie sagt, sie kenne den Angreifer nicht und vermute, es wäre ein Einbrecher gewesen. Auf jeden Fall schien sie entsetzt zu sein, als sie hörte, dass Sie als Tatverdächtiger in Untersuchungshaft sitzen. Die Polizei hat zusammen mit einem Psychologen noch einmal eine ausführliche Befragung mit ihr durchgeführt und laut Aussage Ihrer Frau schließlich Ihre Freilassung bewilligt. Sie können sofort raus.“

Cayden starrte seinen Anwalt nur ausdruckslos an. Sein Innerstes war wie … eingefroren oder das Gesagte wollte einfach nicht ganz bei ihm ankommen.

„Was ist mit den Beweisen? Die Beschuldigungen meiner Haushälterin und des Visagisten meiner Frau?“

„Die Polizei hat Mrs. Calmaro auch darüber befragt und sie hat weder bestätigt noch die Anschuldigungen abgewiesen. Sie meinte nur, sie liebe Sie und sei nur deshalb immer noch ungehalten wegen Ihrer Entscheidung, sie zu verlassen. Mehr wolle sie dazu nicht sagen und dadurch sind der Polizei die Hände gebunden. Wenn Ihre Frau Sie nicht wegen Misshandlung anzeigt, dann kann niemand etwas dagegen tun.“

„Zumal ich sie nie misshandelt habe!“

„Wie dem auch sei, Sie sind frei und können gehen. Sobald Sie noch ein paar letzte Formulare unterschrieben haben.“

Das klang wirklich gut und befreiend. Warum fühlte Cayden sich dann nicht so?

 
 

***

 

Es war tatsächlich schön, sich wieder frei bewegen zu können, dennoch schien ein Teil von ihm immer noch hinter Gitter zu sitzen. Caydens Brustkorb fühlte sich beklemmt und kalt an, während er seine wenigen Sachen vom Gefängnisaufenthalt fest in der Hand hielt und in den rotverfärbten Himmel blickte.

Er tat es eine ganze Weile, obwohl ihn Leute auf dem Bürgersteig beim Vorbeigehen anstarrten und heimlich mit dem Finger auf ihn zeigten und tuschelten. Doch zu seinem Glück schien seine Entlassung noch nicht bis zur Presse durchgedrungen zu sein.

Als der Himmel schließlich tiefblau zu werden begann, machte sich Cayden auf den Weg. Man hatte ihm sein Handy wieder gegeben, und obwohl er mehrmals den Gedanken hegte, Emma anzurufen, musste er nun eine Weile mit sich alleine sein.

Er war immer noch durcheinander, wusste nicht, was er als Nächstes tun oder wohin er gehen sollte. In sein Penthouse wollte er nicht. Allein der Gedanke, dorthin zu gehen, bereitete ihm Unbehagen. Zum einen, weil er sich zuerst den Augen des Portiers stellen müsste und dann war noch die Tatsache, dass Emma nicht dort war, aber so viele Erinnerungen an sie. Nein, selbst dort wäre er nicht alleine, deshalb ging er einfach in irgendeine Richtung ohne Ziel los.

Caydens Weg führte ihn in einen der Parks, wo er sich abseits der erleuchteten Wege bewegte und die frische Luft immer wieder tief einatmete. Er hatte sich sogar die Schuhe und Socken ausgezogen, um das Gefühl des kühlen Grases auf seinen Fußsohlen zu spüren und sich so wieder langsam zu erden.

Als er sich sicher war, dass niemand in der Nähe war, sprang er auf einen der Bäume und ließ sich auf einen dicken Ast nieder, sodass seine Füße in der Luft baumelten.

Durch die Baumkrone hindurch konnte er den klaren Sternenhimmel sehen und musste unwillkürlich daran denken, dass wenigstens sie sich in seinem fast zweitausendjährigen Dasein nicht verändert hatten. Das war das Einzige, das sich wohl wirklich nie änderte. Alles andere konnte man so unfassbar schnell verlieren.

Er könnte Emma verlieren.

Vielleicht hatte er sie schon verloren ...

 

Er verhielt sich für menschliche Verhältnisse leise. Aber eben doch so laut, dass ihn jeder Vampir ohne Probleme hätte hören können. Das Gras bog sich unter seinen Schuhen und man hörte es leise rascheln. Wie ein Hauch im Wind.

Den Blick geradeaus gerichtet lief Adam durch den dunklen Park direkt auf einen der dicken Bäume zu, die etwas weiter entfernt von den hohen Farnen allein standen. Es sah zielstrebig aus, wie er durchs kalte Gras lief, aber doch irgendwie so, als hätte er nichts weiter vor, als spazieren zu gehen.

Unter einem der Bäume blieb er stehen. Seine Nackenhaare stellten sich auf, als er sich herumdrehte – die Deckung vollkommen aufgab – und sich schließlich lässig mit dem Rücken gegen den dicken Stamm des Baumes lehnte. Eine Position, die klar machte, dass er nicht auf einen Angriff aus war. Immerhin war er es, der offen angegriffen werden konnte. Ohne, dass er seinen möglichen Gegner hätte rechtzeitig sehen können.

Aber Adam war nun einmal der Meinung, dass sie weder Gegner noch Feinde waren. Eher waren sie sich in mehr als einem Punkt ähnlich. Selbst wenn der andere das nicht wusste und vielleicht nie verstehen würde. Adam war es eigentlich gleich. Wenn man es recht bedachte, war es sogar besser so.

„Nett hier.“

Er klang ruhig und die Worte hörten sich wirklich ein bisschen so an, als würde er an einer Bar in einem gemütlichen Pub stehen und nicht mitten in der Nacht in einem menschenleeren Park.

„Perfekter Blick auf den Sternenhimmel. Abgelegen ... Einsam.“

Eine Pause entstand, die sein unsichtbarer Gesprächspartner wohl nicht zu brechen gedachte. Adam nahm es ihm nicht übel. Wäre er in seiner Situation, hätte er sich unter Umständen auch zurückgezogen. Allerdings ...

„Ich kenne eine nette kleine Bar, etwas außerhalb von Wellington. Kaum Städter dort. Kaum jemand, der viel Zeitung liest.“

Schweigen.

„Das Bier ist auch ganz okay.“

 

Cayden überlegte kurz, dann sprang er von seinem Ast, direkt vor Adam und sah ihm in die Augen.

„Das hat mich dann überzeugt, wie?“

Er wartete nicht direkt auf eine Antwort, sondern rieb sich stattdessen den Nacken und sah sich im Park um.

„Ich war schon lange nicht mehr in einem Pub. Lass uns gehen.“

Was auch immer gerade sein Innerstes aufwühlte, nichts konnte dazu beitragen, noch mehr Unruhe in ihm zu stiften. Was machte es da schon aus, mit einem ihm fremden Vampir in ein Pub auf ein Bier zu gehen? Das war schon eher beruhigend. Schließlich wusste er ohnehin nicht, was er als Nächstes tun sollte. Da war es besser, die Führung einmal jemand anderem zu überlassen.

Cayden verließ den Platz unter dem Baum und warf sein Zeug in die nächste Mülltonne, ehe er Adam noch einmal ansah.

„Laufen oder Fahren?“

Eigentlich hätte er nichts dagegen, sich einmal anständig die Beine zu vertreten, aber da Cayden gerade beschlossen hatte, die Führung einem anderen zu überlassen, mischte er sich da nicht ein.

 

Anstatt eine verbale Antwort zu geben, zog Adam etwas aus seiner Hosentasche. Kurz ließ er den Schlüssel vor Caydens Gesicht baumeln und drückte dann auf das kleine Knöpfchen. Sofort war als Reaktion das typische Piepen und das Leuchten von Blinkern an einem der nahe geparkten Autos zu erkennen.

„Es ist ziemlich weit außerhalb“, meinte er nur zur Erklärung und ließ Cayden auf der Beifahrerseite einsteigen. Der Wagen ging zwar als Sportmodell durch, aber Adam hatte darauf geachtet, dass er auch genug Beinfreiheit und sogar einen Rücksitz bot. Immerhin wusste man nie, wie schnell man aufbrechen und doch einiges an Habseligkeiten mit sich führen musste.

Ziemlich schnell ließen sie die Stadt hinter sich, fuhren am Stadion vorbei, die Bahnstrecke entlang und bogen dann von der Küstenstraße ins Landesinnere. Um diese Uhrzeit begegneten ihnen noch einige Autos, aber zu späterer Stunde würde es hier fast unheimlich still werden. Etwas, das Adam zu schätzen wusste.

Über einen kleinen Schotterweg erreichten sie ein Farmgelände, auf dem ein niedriges, aber ordentliches Haus im Dunkeln stand. Hier parkte Adam den Wagen, schloss ihn ab und zeigte dann mit einem Kopfnicken zu einer kleinen Ansammlung von Lichtern, die etwas den Hügel hinunter an einem Flusslauf lagen.

„Zur Ortschaft können wir laufen.“

 
 

***

 

Ein Vorteil, den man hatte, wenn man ein Vampir und nicht ganz dumm war, war der, dass immer genug Geld zur Verfügung stand. Was bei ihrem Metabolismus auch durchaus nötig war, schließlich kippten Adam und er ein Bier nach dem anderen, und sofern es ihn selbst anging, spürte er noch absolut gar nichts. Sie redeten nicht einmal viel. Cayden starrte stattdessen die meiste Zeit nur auf einen imaginären Punkt und gab ein paar Laute von sich, wenn Adam ein Thema auf den Tisch zu bringen versuchte.

Die meiste Zeit hörte Cayden gar nicht zu. Er war mit seinen Gedanken ganz wo anders. Doch schließlich kam irgendwann der Punkt, an dem er nicht einmal irgendeinen Laut von sich gab, sondern nur noch vor sich hin starrte, bis er die vollbusige Kellnerin schließlich heran in ihre leicht abgeschiedene Ecke winkte und zwei doppelte Jack Daniels bestellte.

Erst als diese wieder zurückkam und er die beiden Jacks hinunter gekippt hatte, wandte er sich an Adam.

„Weißt du eigentlich, wie das ist, wenn man so lange wie ich alles absolut unter Kontrolle hatte? Jeder Tag birgt keine Überraschungen mehr, alles wird zur Routine, und obwohl manchmal Langeweile aufkommt, ist es doch nicht übel und dann plötzlich von einem Moment auf den anderen ändert sich alles. Man kennt sich selbst nicht mehr. Man kennt die Leute um sich herum nicht mehr. Alles entgleitet einem …“

Cayden knurrte frustriert und winkte erneut nach der Kellnerin. Es war besser vom Bier runter und auf etwas Härteres umzusteigen, wenn er auch nur irgendwie ein gelösteres Gefühl verspüren wollte.

 

Adam registrierte Caydens Umschwung auf härteren Alkohol mit Gleichgültigkeit. Erstens konnte der andere tun, was er wollte und zweitens musste er eine ganze Flasche von diesem Fusel hinunter kippen, um auch nur pelzige Zehen zu bekommen.

Was Adam allerdings mit größerem Interesse beobachtete, war die Tatsache, dass der Alkohol – wie wenig er auch körperlich bewirken mochte – scheinbar Caydens Zunge etwas löste. Oder war es einfach die Last, die zu schwer wurde? Adam hatte den anderen Vampir schließlich nicht ohne Grund in diese gottverlassene Bar geschleppt. Es gab etwas zu bereden. Oder zumindest hatte Cayden etwas loszuwerden, wenn er darunter nicht einknicken wollte.

Adams blaue Augen blickten versonnen unter den schwarzen Wimpern hervor.

„Ich kenne das Gefühl.“

Was der Wahrheit entsprach. Vielleicht hatte er nie alles so gut unter Kontrolle gehabt, wie sein Gegenüber. Er konnte sich nicht erinnern. Aber das war ja der Punkt. Daran, sich selbst nicht mehr zu erkennen, nichts mehr zu kennen und sich halt- und ziellos zu fühlen – das kannte er nur zu gut.

„Was willst du jetzt tun?“

Viele Möglichkeiten gab es nicht: Gehen oder Bleiben.

Bloß hing an beiden Varianten so viel mehr.

Adam bestellt noch zwei Whiskey.

 

„Ich weiß es nicht genau“, gab Cayden zu und ließ einen Rest von der goldenen Flüssigkeit in seinem Schnapsglas hin und her schwappen, dabei sah er sich eher desinteressiert in der Bar um.

„Das mit der Firma bekomme ich irgendwie hin. Ruf hin oder her, das ist nicht das Problem.“

Er wollte ohnehin nicht mehr zu lang von früh bis spät arbeiten, und selbst wenn er die Firma verlor, es war ihm egal. Nur um die vielen Mitarbeiter nicht. Die waren ihm ganz und gar nicht egal.

Doch das Schlimmste war die Sache mit Emma.

„Sei ehrlich. Glaubst du, ich hätte meine Frau verprügelt und meine gesamte Wohnzimmereinrichtung dazu, obwohl ich mich an dem Tag von ihr getrennt habe?“

Es klang immer noch so unrealistisch, dass sich Cayden ernsthaft fragte, wie man überhaupt nur auf diese stumpfsinnige Idee kommen konnte.

Gut, spätestens morgen früh würde jeder erfahren, dass Vanessa ihn entlastet hatte, das dürfte das Schlimmste beheben. Dennoch, das Misstrauen war geschürt worden.

 
 

***

 

Und eine weitere Meldung aus Wellington. Heute ist Cayden Calmaro aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Vor ein paar Tagen war der bekannte Firmenchef unter dem Verdacht verhaftet worden, seine Frau misshandelt zu haben. Vanessa Calmaro wurde von einer Angestellten in ihrem Haus aufgefunden und musste sofort in ärztliche Behandlung übergeben werden. Bis heute lag sie auf der Intensivstation und war nicht ansprechbar. Da sich ihr Zustand jedoch besserte, war sie in der Lage, ihren Ehemann zu entlasten. Laut Aussage von Mr. Calmaros Anwalt werden alle Anklagen gegen den Musikmogul fallen gelassen. Seine Frau will keine Anzeige gegen ihn erstatten. Stattdessen laufen nun Ermittlungen gegen Unbekannt.

 

Emma schaltete das Radio aus und setzte sich mit ihrer Tasse Tee an den Küchentisch. Vor ihr lag ihr Handy auf der Tischplatte. Regungslos und stumm.

Schon seit einer Stunde wusste die Öffentlichkeit, dass Cayden entlassen worden war. Also musste es sogar noch länger her sein, dass er aus dem Gefängnis gekommen war.

Warum hatte er sich noch nicht gemeldet?

Emma nippte an ihrem Tee und drückte auf eine Taste an dem kleinen Telefon. Nein, am Akku lag es nicht. Empfang hatte sie auch.

Was er wohl machte?

Und ... wollte sie überhaupt, dass er sich meldete?

 
 

***

 

Sein Mund verzog sich leicht, als ihm die brennende Flüssigkeit den Rachen hinunter rann. Was die Menschen an diesem Zeug fanden, verstand er immer nur ansatzweise, wenn er es in sehr seltenen Momenten schaffte, sich auf dem Niveau eines Schwipses zu trinken. Was nicht oft vorkam.

„Ich habe keine Ahnung, was du getan hast. Ich kenne dich nicht.“

Adams Blick hielt dem von Cayden stand.

„Und dass ich glaube, dass du nicht so dumm wärst, so etwas zu tun, weil es aufgrund von ... Gemeinsamkeiten zwischen dir und mir viel gefährlicher wäre, als es scheint, hilft dir nicht.“

Er nahm noch einen Schluck von dem Whiskey.

„Immerhin bin nicht ich es, von dem du eigentlich wissen willst, was er über dich urteilt.“

 

Cayden schenkte Adam einen kurzen Seitenblick.

Eigentlich hatte der andere recht und er selbst wusste nichts über den blauäugigen Vampir. Rein gar nichts. Dennoch, obwohl er sich äußerst selten so fühlte, war er ganz froh, einmal einen Artgenossen in der Nähe zu haben, dem er keine zahnärztliche Behandlung angedeihen lassen musste.

Was wiederum die Frage aufwarf, warum Adam eigentlich hier war. Immer noch auf der Suche nach Antworten?

Eine Weile schwieg er. Ließ das Gesagte auf sich wirken und hing seinen eigenen Gedanken nach, während er die Kellnerin am Ende dazu brachte, ihm gleich die ganze Flasche Jack Daniels hier zu lassen. Das ersparte ihr Fußweg und ihm eine Durststrecke.

„Ich gebe dir Recht“, meinte er schließlich.

„Sofern ich den Mut aufbringe, den Tisch hier zu verlassen, sollte ich mich tatsächlich um das Wesentliche kümmern, aber bis dahin, erzähl mir, wie du so über die Runden kommst. Wo beschaffst du dir deine Nahrung?“

Cayden fragte das mehr so, als wolle er das Thema wechseln und als würde es ihn nicht brennend interessieren. Aber tatsächlich tat es das irgendwie. Er war es einfach nicht mehr gewohnt, zu jagen.

 

Um das Wesentliche kümmern.

Adam musterte den anderen Vampir unauffällig von der Seite. Ein bitterer Geschmack breitete sich auf seiner Zunge aus, der ihn schal an etwas erinnerte, das er gern gegen so manche Fetzen seiner Vergangenheit eingetauscht hätte. Da wurden sie alle so alt, sammelten so lange Lebenserfahrung ... und trotzdem waren sie so sehr in sich selbst gefangen, dass sie das Wesentliche in eine Ecke drängten. Aus ihrem Kopf und ihren Gefühlen. So weit von sich, dass es so leicht für einen anderen war ...

Seine Fänge kratzten über den Rand des Glases, als er einen weiteren großen Schluck Alkohol in sich hinein kippte. Vergangenheit. Schon lange vorbei. Zu Asche zerfallen und in alle Winde verstreut.

Trotzdem brannte es noch. Auf seinen Lippen. In seinem Inneren ...

„Im Supermarkt.“

Adams Blick sank auf die Tischplatte und er wartete kurz ab, bis seine Fangzähne sich so weit zurückgezogen hatten, dass er sein Gegenüber nicht aus Versehen aggressiv stimmte. Es war sein Schmerz, nicht der eines anderen. Auch wenn er den gleichen Fehler zu machen drohte.

„Im Internet. Heutzutage gibt es ganze Untergrundgruppen, die so sein wollen, wie wir. Sie bieten sich untereinander an. Vollkommen harmlos eigentlich, aber eine Gelegenheit, wenn du mich fragst. So, wie die drauf sind, fällt einer von uns gar nicht auf. Wir sind sogar weniger seltsam drauf als so mancher Mensch.

Ansonsten ... Finstere Ecken, dreckige Hälse ... das Übliche.“

Oder man hatte ein Scheißglück und fand jemanden, der es einem freiwillig gab. Und sogar mehr dazu, als man sich je zu wünschen wagte.

 

„Im Internet? Tatsächlich?“

Auf diese neue Botschaft musste Cayden noch ein großes Glas hinunter würgen, ehe er auch nur irgendetwas darauf sagen konnte.

„Wieso komme ich mir dabei noch älter vor? Was ist aus den guten alten Zeiten geworden, wo man noch in Bordellen der einen oder anderen etwas abzapfen konnte? Zumindest, wenn man Lust auf mehr als nur einmal beißen hatte.“

Was er momentan sicherlich nicht hatte. Zumindest nicht mit einer Wildfremden. In seinem jetzigen Lebensabschnitt gab es nur Emma.

Emma …

Immer wieder nur Emma …

Cayden wollte fluchen oder zumindest die halb geleerte Flasche quer durch den Raum schleudern, doch alles was er tat, war mit dem Rücken an der Wand zu sitzen und ausdruckslos auf seine Finger mit dem Glas zu starren, während seine Augen voller Emotionen waren, die er nicht hinauslassen konnte. Nicht einmal jetzt. Nicht einmal hier.

Er wollte irgendjemandem den Hals dafür umdrehen, dass er sich so fühlte.

„Warum bist du eigentlich hier, Adam? Wir kennen uns nicht. Wir schulden uns nichts und ganz ehrlich, ich bin auch nicht der freundschaftliche Typ. Also, warum bist du hier?“

 

„Das funktioniert auch jetzt noch, wenn du das vorziehst. Allerdings ...“ Er warf Cayden einen verschwörerischen Blick zu. „... sind weder die Etablissements, noch die Damen mit dem zu vergleichen, was du als 'gute alte Zeiten' bezeichnest.“ Nicht mehr, seit das Schönheitsideal von gesund kurvig zu knochig umgeschwenkt hatte.

Adam war jedes Mal halb am Verzweifeln, wenn er diese Hungerhaken durch die Straßen laufen sah. Nichts, an dem man sich festhalten konnte, nichts, worin man seine Fänge versenken wollte. Es gab nur noch wenige, die –

Sofort wurde Adam aufmerksam, als Cayden die wohl unausweichliche Frage nach den Beweggründen für dieses Treffen ansprach. Seine Nackenmuskeln spannten sich an und in seinem Kopf ratterten die Ausreden herunter, die er sich für diesen Fall zurechtgelegt hatte.

Reines Interesse.

Sympathie einem seiner Art gegenüber.

Langeweile.

Seine Suche nach seiner eigenen Vergangenheit.

Aber das alles ... wäre mehr oder weniger gelogen. Selbst wenn er alles miteinander verband, wäre es noch nicht ganz das, was ihn wirklich zu diesem anderen Vampir zog.

Er zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung.“

 

Das half ihm auch nicht weiter. Weder was seine Frage anging, noch bei seinen anderen Problemen, und der Alkohol trug auch nicht gerade dazu bei. Eher wurde er langsam gereizt davon, was keine sehr gute Mischung mit seinen restlichen Gefühlen war.

Cayden schob endlich die Flasche von sich. Er hatte genug getrunken, zumal das Zeug ohnehin nicht half, Probleme zu lindern oder gar zu beheben.

„Ich weiß, das ist sicher eine seltsame Frage, aber so von Artgenosse zu Artgenosse – kann ich heute bei dir übernachten? Ich meine, ich kann mir auch selbst einen Unterschlupf suchen, aber ich weiß nicht, ob ich dann nicht irgendjemandem, der Ärger macht, die Knochen breche.“

Es war schlimm, sich so aufgeladen und gewaltbereit zu fühlen. Doch zumal kam es auch bei Cayden vor, seinen Frust in einem anständigen Kampf abbauen zu wollen. Aber sicherlich nicht an einer wehrlosen Frau.

Allein der Gedanke daran regte ihn noch mehr auf.

„Ich denke, ich habe genug für heute.“

Cayden winkte die Kellnerin heran, um zu bezahlen und noch ordentlich Trinkgeld zu geben, damit wenigstens eine Person glücklich schlafen konnte.

 
 

***

 

Er schloss die Haustür auf und suchte nach dem Lichtschalter. Sofort wurde der große Raum im Erdgeschoss von warmem Licht erfüllt. Direkt rechts neben dem Eingang stand ein Ledersofa, an dem vorbei man auf einen großen Holztisch zuging. Daneben war direkt die Küchenecke mit dem Sitz- und Arbeitstresen, der diesen Bereich vom Rest des quadratischen Raumes trennte.

Alles war aufgeräumt und sauber. Einmal von dem wenigen Geschirr in der Spüle abgesehen und einem Buch über die Geschichte Neuseelands, das aufgeklappt, verkehrt herum auf dem Sofa ruhte.

„Da hinten geht’s zum Badezimmer.“

Er zeigte rechts auf eine Tür und öffnete diejenige zu seiner Linken, die den Blick auf ein kleines, ordentliches Zimmer freigab. Möbliert mit einem Doppelbett, einem Kleiderschrank und einer hellen Kommode, sah der Raum einladend, aber wenig persönlich aus.

„Fühl dich wie zu Hause. Im Badschrank ist eine unbenutzte Zahnbürste. Telefon ist neben der Couch.“

Er wünschte Cayden keine gute Nacht, weil er sehr gut einschätzen konnte, wie wenig das zutreffen würde. Stattdessen wandte er sich zu der Wendeltreppe, die auf die Galerie hinaufführte, und setzte seinen Fuß auf die erste Stufe.

„Ich schlafe ziemlich tief für ... einen von uns. Und ... Geräusche kannst du getrost ignorieren.“

 

Cayden sah sich unauffällig in dem Raum um und begann erst jetzt so langsam die Müdigkeit in seinen Knochen und seinem Herzen zu spüren. Weshalb er nicht viel auf Adams Worte sagte.

„Danke. Ich werde trotzdem leise sein.“

In dem einen Danke lag mehr Dankbarkeit, als er schon seit Ewigkeiten einem anderen Vampir hatte zuteilwerden lassen. Normalerweise ging er ihnen aus dem Weg oder hatte keinen Grund dankbar zu sein, aber mit Adam ging es ihm seltsamerweise anders. Eigentlich … war es fast tröstlich, jemanden wie ihn zu haben. Jemanden, bei dem man nichts erklären oder sich verstellen musste. Ja, Cayden hatte wirklich allen Grund, dem anderen dankbar zu sein.

Für eine Weile zog sich Cayden in das Zimmer zurück, das Adam ihm angeboten hatte und versuchte nachzudenken, oder besser gesagt, nicht nachzudenken. Was auch immer. Er konnte ohnehin nicht verhindern, dass seine Gedanken ein Eigenleben entwickelten und sich nach einer Weile nur noch um Emma kreisten.

Er vermisste sie wahnsinnig und zugleich hatte er panische Angst, ihr wieder gegenüberzutreten und dabei ihre Ablehnung zu erfahren. Vielleicht lehnte sie ihn nicht ab. Das wäre gut möglich nach den heutigen Nachrichten. Aber was, wenn doch? Was, wenn dieser ganze Mist ihr Vertrauen in ihn erschüttert hatte?

Cayden wusste nicht, was er denken sollte, also stand er schließlich noch einmal auf, um sich die Zähne zu putzen, sich etwas das Gesicht zu waschen und dann nur noch in Unterwäsche unter die Bettdecke zu kriechen.

Sein Handy hielt er dabei fest in der Hand, mit Emmas Nummer auf dem Display.

Wie lange Cayden den Bildschirm immer wieder aktivierte, wenn dieser das Licht abschaltete, wusste er nicht, aber es war ein sehr langes Hin und Her, bis er schließlich den Mut aufbrachte, um wenigstens eine Nachricht zu tippen: Em, es tut mir leid, dass ich mich erst jetzt melde. Ich brauchte etwas Zeit für mich alleine. Willst du dich morgen mit mir treffen? Ich möchte gerne mit dir reden, will das aber nicht am Telefon tun. Ich hoffe, es geht euch beiden gut. In aufrichtiger Liebe Cayden

 

„Wo bist du?“

Nur eine der vielen Fragen, die Emma gern an Cayden gestellt hätte. Zusammen mit „Geht es dir gut?“.

Warum er allein sein wollte und nicht gleich mit ihr redete, wollte Emmas Verstand als etwas akzeptieren, was er selbst entscheiden musste. Sie steckte nicht in seiner Situation und konnte sich noch nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie es sich anfühlen musste. Andererseits brannte ihr Herz bei jedem Schlag, wenn sie daran dachte, was das heißen könnte. Sie hätte bestimmt als Erstes zu ihm gewollt. In Sicherheit. Zu einem Menschen, der ihr Halt geben würde.

War sie das für Cayden denn nicht?

Und die andere Frage: Glaubte sie denn selbst, dass sie das für ihn sein könnte? Nach alldem, was sie in den vergangenen Tagen gehört, gelesen und gesehen hatte? War das Versprechen von Liebe so viel stärker als ihr Verstand, der sie davor warnte, sich jemandem anzuvertrauen, der sich auch nur möglicherweise derartig gewalttätig an Frauen vergriff?

Ihre Finger zitterten, als sie die SMS in ihr Handy tippte und sie abschickte. Anschließend schaltete sie das Telefon sofort ab, legte es auf ihren Nachttisch und drehte sich auf die andere Seite. In ihre Decke vergraben schloss Emma die Augen.

War sie vielleicht wirklich einfach zu dumm?

Reden klingt gut. 13 Uhr. In dem kleinen Restaurant, wenn dir das recht ist.



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