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Worthalten

Ein Geburtstagsdrama in fünf Akten
von

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Drei Tage

Hallo!
 

Wie gehabt am Anfang die Antworten auf euren Kommentare:
 

@ Lukras: Schön zu hören, dass dir die FF gefällt. ^^ Ja, Jian ist mein eigener Charakter. Ich hoffe mal, das schreckt dich jetzt nicht ab.
 

@ JSK5017: Es freut mich, zu hören, dass das Kapitel neugieriger gemacht hat. Genau das war meine Absicht. Im dritten Kapitel erfährt man nun was vorgefallen ist und warum Seto so schlecht auf Jian zu sprechen ist. Viel Spaß damit!
 

@ Onlyknow3: Mokuba ist schon knuffig, aber auf seine Art und Weise hat er es faustdick hinter den Ohren. Das vergisst Seto dann und wann schon einmal. Ich hoffe, das dritte Kapitel kann deine Neugier ein wenig befriedigen.
 

Ich wünschen alle viel Spaß beim Lesen und würde mich über Rückmeldungen sehr freuen! ^.^
 

LG Zyra
 

---
 

3. Akt: Drei Tage
 

„Seto?“, fragte Mokuba leise, aber beharrlich. „Wo warst du?“
 

„Ich habe keine Ahnung“, antwortete er und plötzlich war der Phantomscherz in Schulter, Bauch und Bein wieder da. Seine Stimme war ein ähnliches Wispern, wie die von Mokuba.
 

„Was hat er getan?“, fragte der ein wenig ängstlich.
 

Ja, was hatte er getan? Kaiba wusste es nicht. Jedenfalls nicht das, was er von ihm erwartet hatte. Er konnte nicht genau sagen, in welche Richtung Mokuba dachte, auf dem exakten Weg war er jedoch noch nicht. Dennoch erstaunte es ihn immer wieder, wie gut der jüngere inzwischen Zusammenhänge erfassen konnte. Er hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass er begreifen würde, dass die drei Tage Ausschlaggebend gewesen waren.
 

„Seto?“, sagte er wieder. Die warme Wange veränderte etwas ihre Position an Kaibas Schulter.
 

„Nicht jetzt“, entgegnete er und es klang viel zu sehr nach einer Bitte als nach einem Befehl. Er schloss kurz die Augen, drängte Erinnerungen und Schmerzen zurück.
 

„Okay“, murmelte Mokuba und nahm seinen Controller wieder zur Hand. Vielleicht hatte der fehlende herrische Ton seine Wirkung nicht verfehlt. Auf jeden Fall ließ er das Thema auf sich beruhen. Fürs erste zumindest.
 

Sie spielten das Spiel zur Hälfte durch und erstellten danach eine detaillierte Fehlerliste. Kaiba hätte gern noch ein wenig gearbeitet, aber er wusste, dass er dadurch nur Ärger mit Mokuba hinaufbeschwören würde. Das Spiel zu testen, war die einzige Produktivität, die der jüngere ihm heute zugestand.
 

Zu Mittag aßen sie relativ zeitig. Schließlich hatte Mokuba sein Fußballspiel. Nachdem er gegangen war, saß Kaiba noch ein Weilchen im Speisesaal und tippte sich nachdenklich nur die verschiedenen Menüs des Handys. Es wäre tatsächlich ein Jammer, wenn er das Gerät nicht in Betrieb nehmen könnte.
 

Kaiba seufzte lautlos. Es gab eine ganz einfach Möglichkeit herauszufinden, ob er mit seiner Vermutung der Überwachung richtig lag. Er sollte sich endlich einen Ruck geben. Um das Treffen kam er so oder so nicht herum. Da konnte er es ebenso gut früher als später hinter sich bringen. Es konnte nur Vorteile haben, den Treffpunkt zu bestimmen.
 

Entschlossen machte er sich auf den Weg in sein Zimmer, um sich fürs Trainieren umzuziehen. Dort warf er das Handy aufs Bett, sein Hemd und seine Hose folgten. Kurz entschlossen griff er nach eher figurbetonten Kleidern. Den Gedanken dahinter konnte er nicht ganz fassen, und er wollte es auch gar nicht. Es würde wahrscheinlich nahe einer Gefühlsduselei enden.
 

Kaiba stieg die Treppen in den Keller hinab und sobald er die Tür zum Fitnessraum öffnete, wusste er, dass der andere dort wartete. Die Luft war nicht so abgestanden, wie sonst, wenn man den Raum nach Tagen betrat. Außerdem meinte er irrationaler Weise, dass ihm ganz leicht das bekannte Aftershave in die Nase stieg.
 

„Hallo, Jian“, sagte er sarkastisch, ohne den Raum nach ihm abzusuchen, und ging auf den Kühlschrank in der Ecke zu. „Was für eine Überraschung.“
 

Während er mit Zufriedenheit feststellte, dass der Kühlschrank vollständig bestückt war, hörte er das Klicken der Tür, als sie geschlossen wurde.
 

Ich wusste es, dachte er, aber richtiges Triumphgefühl wollte nicht in ihm aufkommen. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn er sich geirrt hätte und Jian nicht da gewesen wäre.
 

Kaum dass er eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank gezogen hatte, schlangen sich bereits zwei starke Arme um ihn. Jian drückte ihn an seine Brust und warmer Atem streifte seinen Nacken. Die Gänsehaut, die der Luftzug auslöste, versuchte Kaiba zu ignorieren und hoffte inständig, dass der andere diese Regung nicht bemerken würde.
 

„Hallo, Seto“, murmelte Jian in sein Ohr. „Was hat mich verraten?“
 

„Reine Logik“, erwiderte er kalt. „Du bist nicht so unberechenbar, wie du annimmst.“
 

„Ach ja?“ Jian blieb unbeeindruckt. Kurz vergrub er sein Gesicht in Kaibas Haaren, dann küsste er seinen Hals. Kaiba verwünschte die Reaktion seines Körpers und schaffte es nur mit Mühe sein Gefallen zu verbergen. Wenn schon so eine verhältnismäßig kleine Geste, einen solchen Gefühlssturm auslösen konnte, sah er besser schleunigst zu, Abstand zwischen sie zu bringen.
 

„Ich bitte dich“, sagte er spöttisch, während er sich mit einer verärgerten Bewegung aus der Umarmung befreite. „Du kommst mit einer versprochenen Torte, gehst aber wieder ohne mich auch nur gesehen zu haben, und schenkst mir ein Handy. Da steht die Wahrscheinlichkeit, dass das Gerät verwanzt ist bei 99 zu 1.“
 

„Ich mag deine Kombinationsgabe“, entgegnete Jian und über seine sonst so kühle Miene huschte ein leichtes Lächeln. „Dich zu überlisten, macht gleich doppelt Spaß!“
 

Ehe Kaiba sich versah, hatte ihn Jian an den Kühlschrank gepresst und drückte ihm einen Kuss auf. Vor Überraschung fiel ihm die Wasserflasche aus der Hand und rollte polternd über den Boden davon. Automatisch senkten sich seine Lider und die warmen, schmalen Lippen riefen etliche Gefühle und Erinnerungen in ihm wach, die er in den letzten Monaten sorgsam weggesperrt hatte.
 

Im ersten Moment war er zu überrumpelt, um mehr tun zu können, als den Kuss zu genießen. Er hatte Jians Küsse tatsächlich vermisst. Gerade als er versucht war, seine Hände in den langen, schwarzen Haaren zu vergraben, die wie so oft hochgesteckt waren, und den Kuss ebenso leidenschaftlich zu erwidern, fiel ihm wieder ein, warum er diese Lippen in den letzten Monaten nicht gespürt hatte.
 

Wütend auf sich selbst und ganz besonders auf Jian, schaffte er es tatsächlich, seine Hände gegen dessen Schultern zu stoßen und ihn ein Stück von sich weg zu drücken. Die braunen Augen blickte ihn halb verklärt, halb verärgert an.
 

„Lass das!“, knurrte Kaiba mit all der Aggression, die er aufbringen konnte. Er selbst war zwar auch ein wenig verzückt, aber die Tatsache, dass sich Jian so deutlich über seine Aufforderung, ihn in Ruhe zu lassen, hinwegsetzte, glich das problemlos aus.
 

„Warum sollte ich?!“, erwiderte Jian gelassen und strich mit einem Finger federleicht an Kaibas Kieferknochen entlang. Allein diese Geste jagte ihm einen warmen Schauer über den Rücken. „Ich hab doch schließlich versprochen, dich an deinem Geburtstag zu verwöhnen.“
 

Er beugte sich wieder zu Kaiba vor, doch dieses Mal war der schnell genug. Er hob seine Hand, drückte den Zeigefinger gegen Jians Stirn und hielt ihn auf Abstand.
 

„Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass inzwischen deine Abwesenheit das ist, was ich unter ‚verwöhnen‘ verstehe?!“, sagte Kaiba verächtlich und kämpfte dabei gegen seine eigenen Gefühle, die deutlich für „Anwesenheit“ votierten.
 

Zum ersten Mal, seit er Jian gesagt hatte, dass er den Kontakt abbrechen würde, sah er so etwas wie Verletzung in dessen Zügen. Jian zog sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und seufzte tief.
 

„Wie ich sehe, scheinst du tatsächlich nicht sehr viel Wert darauf zu legen, dass ich mein Versprechen einlöse“, sagte er schließlich, aber er erweckte nicht den Eindruck, sich dadurch aufhalten zu lassen.
 

„Sag bloß, du hast das bereits begriffen?“, entgegnete er sarkastisch. Langsam beschlich ihn das ungute Gefühl, sich auf eine „Aussprache“ einlassen zu müssen, um eine Möglichkeit zu haben, den anderen loszuwerden.
 

„Sei nicht so zickig und lass uns in Ruhe reden.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, packte Jian ihn an den Ellenbogen und bugsierte ihn zu den Hantelbänken hinüber. Dass der Kerl auch immer alles bestimmen musste.
 

„Ich bin nicht zickig, sondern wütend!“, wehrte er energisch ab und versuchte umgehend aufzustehen, aber Jians Hände schnellten zu seinen Schultern und hielten ihn in der sitzenden Position.
 

„Sag mir endlich, was dich zu diesem debilen Generalstreik veranlasst hat!“, verlangte er, während er sich auf einer nebenstehenden Hantelbank niederließ. Seine Hände umschlossen Kaibas, als wollte er sicher gehen, dass der nicht einfach verschwand.
 

„Generalstreik?“, echote Kaiba kalt und rang innerlich um Ruhe. „Ehrlich, hast du dir überhaupt einmal die Zeit genommen, fünf Minuten darüber nachzudenken, was Ende August passiert ist?“
 

„Ich grübele ständig darüber … und über dich“, erwiderte er ernst. „In einer Häufigkeit und einem Umfang, die für meine Geschäfte nicht gut sein können. Dieser Streik …“
 

„Es ist kein Streik“, schnitt Kaiba ihm das Wort ab. Diese Unterhaltung begann schon jetzt seine kaum vorhandene Geduld zu strapazieren. „Ein Streik ist temporärer Natur. Ich habe den Kontakt endgültig abgebrochen. Ich verlange nichts von dir, abgesehen davon mich in Ruhe zu lassen.“
 

„Okay. Gut“, sagte Jian knapp und Kaiba stöhnte innerlich auf, als er dessen beinahe geschäftsmäßige Miene bemerkte. „Du willst keinen Umgang mit mir. Das heißt aber nicht, dass ich das akzeptieren muss. Und das werde ich nicht, solange ich keine plausible Erklärung bekommen habe.“
 

Kaiba presste die Zähne aufeinander. Er hatte es kommen sehen. Zu gerne hätte er Jian gesagt, in dem Fall sähen sie sich eben vor Gericht, und ihm mit einer Unterlassungsklage gedroht. Aber dergleichen war in keiner Weise zweckmäßig – es wäre richtiggehend kontraproduktiv. Es ging nicht um den Kontakt als solchen, vielmehr waren die Konsequenzen von Jians Gefühlen für ihn das Problem.
 

„Du wirst mich nicht los, bevor wir das geklärt haben, Seto“, sagte Jian erstaunlich sanft. Er beugte sich vor und schien ihn küssen zu wollen. Kaiba zog die Notbremse, in dem er sich zurücklehnte. Auf eine etwaige positive Reaktion seines Körpers wollte er es nicht ankommen lassen. „Wo wir schon beim Klären sind“, seufzte sein Gegenüber. „Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir heute noch Sex haben werden?“
 

„Es geht nicht um Sex“, erwiderte Kaiba kühl. Er konnte nicht glauben, dass der andere das tatsächlich gefragt hatte. Es klang, als ob es hier nur um einen kleinen Streit ging, als dessen Konsequenz er sich weigerte, mit Jian zu schlafen – was er auch nie getan hatte.
 

„Natürlich nicht“, sagte Jian ernst und es klang durchaus ehrlich. „Aber du weißt, ich hasse Abstinenz. Eineinhalb Monate keinen Sex zu haben und zu wissen, wann ich dich wiedersehe, ist eine Sache. Über diese Zeitspanne keinen Sex zu haben und es nicht zu wissen, ist eine vollkommen andere.“
 

„Vielleicht solltest du überlegen, für Sex zu bezahlen“, antwortete er zynisch. „Da kannst du die Termine machen, wie es in deinen Kalender passt.“
 

Kaiba konnte nicht sagen, woher diese heftige Reaktion kam. Eigentlich ging es vordergründig um einen anderen Gegenstand. Dennoch war es dieser Moment, in dem er feststellte und sich eingestand, dass Jians Verhalten ihn verletzte. Für ihn war es nicht nur Sex gewesen. Diese Tatsache akzeptierte er bereits länger. Dass Jian den Sex gerade in den Mittelpunkt rückte, traf ihn vielleicht deshalb so sehr.
 

„Seto, so war das nicht gemeint“, murmelte der beschwichtigend. „Es geht nur darum, dass ich gerne einschätzen würde, womit ich rechnen muss. Also, besteht die Chance, dass wir heute noch Sex haben werden und unsere … zwischenmenschliche Interaktion wieder ähnliche Ausmaße annimmt wie zuvor?“
 

Seine Mundwinkel zuckten, als er ein anderes Wort für „Beziehung“ suchte und wählte. Aber wahrscheinlich sollte Kaiba es ihm zu Gute halten, dass er überhaupt soweit auf ihn einging, dass er einen anderen Terminus nutzte. Für Jian war das alles andere als selbstverständlich. Und zumindest spielte nun nicht mehr nur der Sex eine Rolle.
 

„In der Theorie ja, aber in der Praxis stehst du dir wahrscheinlich selbst im Weg“, hörte Kaiba sich sagen, bevor er überhaupt einen Entschluss gefasst hatte, wie er mit dieser Frage umgehen wollte. Er hatte tatsächlich einfach die Wahrheit gesagt. Wie ungewöhnlich in Bezug auf dieses Thema.
 

Es stimmte. Nicht zu diesen Konditionen und ohne weiteres, aber es bestand die Möglichkeit, dass sie annähernd dort weitermachen konnten, wo sie Ende August aufgehört hatte. Kaiba wusste zwar nicht warum, aber es stimmte. Warum sein Körper dem nicht abgeneigt war, konnte er nachvollziehen, aber das sein Verstand zum selben Ergebnis kam …
 

Kaiba erwartete von Jian Veränderungen, aber im Grunde konnte er sich vorstellen, dass sie sich wieder näher kamen. Er schloss kurz die Augen, als ihm klar wurde, dass er sich wünschte, dass es für alles eine Erklärung gab – eine mit der er leben könnte. Er hatte genossen, wie es gewesen war, und er wollte es zurück. Dennoch war er nicht in der Lage, über das hinwegzusehen, was geschehen war. Es erschien unklug sich nochmals darauf einzulassen und wohlmöglich den Fehler wieder zu begehen.
 

„Okay, das ist eine Antwort, die ich akzeptieren kann“, entgegnete Jian, runzelte jedoch nachdenklich die Stirn, „auch, wenn ich sie nicht vollständig verstehe.“
 

Er beugte sich abermals zu Kaiba hinüber und dieses Mal war der nicht schnell genug. Ehe er reagieren konnte, streiften Jians Lippen seine eigenen. Es war nur ein flüchtiger, hauchzarter Kuss, aber Kaiba funkelte sein Gegenüber dennoch eiskalt an.
 

„Meine Güte, Seto. Was habe ich getan, das eine solche Reaktion von dir verdient?“, fragte Jian seufzend. Damit waren sie endgültig beim Thema angekommen.
 

„Es geht vielmehr um das, was du nicht getan hast!“ Die Antwort kam ohne größere Umstände über Kaibas Lippen. Er hatte nicht erwartet, dass es so einfach sein würde, darüber zu sprechen.
 

Er hasste die passive Rolle, in die Jian ihn in diesem Gespräch immer wieder zwang. Allerdings musste er wohl oder übel einsehen, dass seine einzige Möglichkeit, den anderen langfristig auf Abstand zu halten, in einer Aussprache bestand. Und es tat erstaunlich gut, ihn mit seinem Fehlverhalten zu konfrontieren.
 

„Was ich nicht getan habe?“, echote Jian. Seine kühle Miene veränderte sich nur geringfügig, aber Kaiba kannte ihn gut genug, um die leichte Verwirrung zu bemerken. Einen Moment lang schwieg er nachdenklich. „Was hätte ich denn tun sollen?“
 

Normalerweise war Kaiba ein äußerst direkter Mensch. Er hasste es lange um den heißen Brei herumzureden und kam lieber gleich auf den Punkt. Doch sobald es um Gefühle ging, wurde er wortkarg oder umständlich. Er wollte nicht über das reden, was ihn bewegte. Niemandem gegenüber wollte er eine Schwäche eingestehen.
 

Anderseits ging es momentan nur indirekt um ihn. Es waren Jians Fehler. Außerdem … im Leben bekam man nie etwas kostenlos. Alles hatte seinen Preis. Wenn er also einen Schritt vorankommen wollte, musste er wohl etwas investieren.
 

„Du behauptest, mich zu lieben, aber …“, setzte er schließlich an. Jian hatte geduldig gewartet – etwas, das er schon immer an ihm geschätzt hatte – nun unterbrach er ihn jedoch.
 

„Ich meine es auch so“, erwiderte er eindringlich.
 

„Für mich ist es erst einmal nur eine Behauptung, die ich entweder verifizieren oder falsifizieren kann. Und nach meinem derzeitigen Wissenstand, tendiere ich dazu, dir nicht zu glauben“, sagte Kaiba.
 

Zu keinem Zeitpunkt hatte er für sich in Anspruch genommen, zu wissen, was genau Liebe war. Aber man konnte sagen, was man wollte, er liebte seinen Bruder und hatte dadurch doch zumindest eine Vorstellung, was Liebe nicht war.
 

„Und du kommst zu dieser Annahme, weil …?“, fragte Jian und Kaiba konnte tatsächlich abermals ein wenig Verletzung in seinen Augen erkennen.
 

„… du mich zu keiner Zeit auf das Risiko aufmerksam gemacht hast und ich ganze drei Tage lang in einem dunklen Kellerloch gesessen habe“, führte er den Satz emotionslos zu Ende. Allerdings kam in ihm der irrationale Drang auf, auf Jian loszugehen und ihm richtig wehzutun. Etwas, das normalerweise wirklich nicht seine Art war, aber … verdammt … er war drei scheißverdammte Tage misshandelt worden und es hatte zwei gottverdammte Tage gedauerte, bis der Mistkerl überhaupt reagiert hatte. Die Stellen an Schulter, Bauch und Bein, an denen man ihn geschnitten hatte, schmerzten abermals, obwohl sie gut verheilten.
 

Kaiba presste Zähne und Lippen fest aufeinander und versuchte seine Gefühle niederzukämpfen. Die Blöße, die Kontrolle zu verlieren und dem anderen eine – mehrere – zu scheuern, würde er sich gewiss nicht geben.
 

„Seto?“, sagte Jian leise. Augenscheinlich hatte er dennoch bemerkt, dass Kaiba innerlich mit sich rang. Zumal der sich auch nicht vollständig unter Kontrolle hatte, seine Schultern bebten leicht.
 

„Komm ja nicht näher!“, knurrte er und Jian tat tatsächlich wie geheißen. Er hielt immer noch Kaibas Hände, aber er kam glücklicherweise nicht auf die Idee, zu meinen, beruhigend mit den Fingern über sie streichen zu müssen. Das hätte ihm gerade noch gefehlt.
 

„Ich bedauere, dass es zwischen uns zu einem Missverständnis gekommen ist“, sagte Jian, als Kaiba sich wieder unter Kontrolle hatte. „Ich bin davon ausgegangen, dass du dir des Risikos bewusst bist, weil du deine Sicherheitsvorkehrungen erhöht hast.“
 

„Missverständnis?“, wiederholte er und die mühsam zurückgedrängten Gefühle regten sich abermals. „Jian, du hast dir immer die größte Mühe gegeben, mich über deine Geschäfte im Dunkeln zu lassen. Wie soll ich die Gefahr definieren können?! Du stehst in dem Ruf unsaubere Geschäfte zu machen, deshalb habe ich Vorkehrungen getroffen. Aber mit dem Abschaum zu rechnen, das …“
 

Kaiba brach ab und schüttelte den Kopf. Ein Teil von ihm konnte immer noch nicht glauben, dass er dieses Gespräch tatsächlich führte. Dass er diese evidenten Tatsachen wirklich aussprechen musste. Er fühlte sich nicht wohl dabei. Einerseits wollte er nicht darüber reden, anderseits dachte er so realistisch, dass er erkannte, dass er es tun musste. Es war ein innerer Kampf.
 

„Damit konnte niemand rechnen“, gestand Jian ein und blickte ihm eindringlich in die Augen. „Auch meine Sicherheitsmaßnahmen hätten dafür vermutlich nicht ausgereicht.“
 

„Vielleicht hätte das etwas geändert, wenn du vorher mit mir darüber gesprochen hättest“, erwiderte Kaiba distanziert. Vielleicht wäre er in dem Fall damit klar gekommen, entführt worden zu sein, um Jian zu erpressen. Aber so … „Es klingt nicht gerade nach Liebe, sich nicht um die Sicherheit desjenigen zu bemühen, dem man …“
 

„Seto“, murmelte Jian und rieb sich seufzend die Nasenwurzel. Seine Antwort ließ ein wenig auf sich warten. Es schien gerade so, als ob er mit sich rang. „Ich gebe das wirklich nicht gerne zu“, sagte er schließlich, „aber ich habe mich verschätzt. Ich dachte, es wäre eine Sache nur zwischen uns und nichts davon wäre nach außen gedrungen. Das war wahrscheinlich ein wenig … blauäugig.“
 

„Das war in der Tat naiv“, antwortete Kaiba, aber es war immerhin ein Eingeständnis. Ein kleiner Anfang. „Es erklärt aber immer noch nicht die drei Tage.“
 

Einen Augenblick schien Jian nicht zu begreifen, worauf er hinaus wollte. „Ich habe mich umgehend, um deine Freilassung gekümmert …“
 

„Umgehend?“, echote Kaiba und konnte nicht verhindern, dass ein wenig Unglaube und Empörung in seiner Stimme mitschwang. „Zwei Tage sind eine merkwürdige Vorstellung von ‚umgehend‘!“
 

„… als ich davon erfahren habe“, vollendete er seinen Satz und schloss die Augen. Er wirkte etwas gequält. „Es tut mir leid, Seto. Ich habe erst später erfahren, dass du es warst. Man hatte mich nur am Rande über eine Erpressung für ‚irgendeinen angeblichen Geliebten‘ informiert.“
 

Es fehlte nicht viel und Kaiba hätte ihn mit offenem Mund angestarrt. Er musste an sich halten, um nicht vollkommen irrational zu reagieren. Ob nun mit einem Wutausbruch oder einer Lachattacke. Wie beim bisherigen Gespräch besann er sich auf seine kühle, geschäftliche Art.
 

„Das soll ich dir glauben?“, fragte er und klang trotz seines Vorsatzes etwas verächtlich. „Es hat dir nicht zu denken gegeben, dass du mich zweitagelang nicht erreichen konntest, als du von einer Erpressung wusstest? Ich bitte dich.“
 

„Es waren nur drei Anrufe“, wehrte Jian ab und wurde energischer. „Das erste Mal habe ich gedacht, du säßest wohl im Flugzeug. Beim zweiten habe ich einfach angenommen, du hättest dein Handy noch nicht wieder eingeschaltet und am nächsten Tag … Gott, Seto. Es gibt tausende Erklärungen dafür, warum man jemanden nicht erreichen kann. Meetings, in denen man nicht gestört werden will, Funklöcher, leere Akkus, was weiß ich.“ Er seufzte abermals und wurde ruhiger. „Ich werde ständig erpresst. Ich habe den Zusammenhang wirklich nicht gesehen. Ich bin davon ausgegangen, dass niemand von unserer Verbindung wusste. Es tut mir leid!“
 

„Das klingt nicht nach dir“, antwortete Kaiba und wusste selbst nicht genau, ob er sich auf die Erklärung bezog oder darauf, dass Jian nun schon zum zweiten Mal innerhalb von wenigen Minuten, die Worte „Es tu mir leid!“ in den Mund genommen hatte und dabei auch noch ehrlich wirkte.
 

„Ich weiß“, bestätigte er. „Ich muss gestehen, dass ich es mir leicht gemacht habe. Ich wollte nicht, dass sich irgendetwas an unserer Beziehung ändert und ich habe befürchtet, dass es so kommen würde, wenn ich dich auf die Gefahren aufmerksam mache. Also habe ich mich bemüht, es unter Verschluss zu halten. Das war … unklug.“
 

Kaiba hob eine Augenbraue. Das war mehr, als er jemals erwartet hatte, als Entschuldigung zu hören. Im Grund hatte er nur mit Rechtfertigungen gerechnet. Aber das Jian sogar den Fehler bei sich erkannte.
 

„Hör zu“, fuhr Jian fort, als Kaiba nicht sofort reagierte. „Nichts lag mir ferner, als dich zu verletzten oder zuzulassen, dass du verletzt wirst. Ich habe kurzsichtig gehandelt und die Konsequenzen bedauere ich. Ich hätte dir das alles gerne erspart, besonders die Fahrlässigkeit in meinem Unternehmen, die zu der Verlängerung von zweieinhalb Tagen geführt hat.“
 

Zweieinhalb? Aber das bedeutete ja, dass Jian ihn innerhalb von sechs Stunden befreit hatte. So gesehen, warf es ein ganz neues Licht auf die Angelegenheit.
 

„Du hast sofort bezahlt“, schlussfolgerte er und konnte den leicht überraschten Unterton nicht unterdrücken. Betrachtete man die Konsequenzen machte es die ganze Sache nicht besser. Eher im Gegenteil. Das schnelle Bezahlen zeigte nur zu deutlich, dass er Jian etwas bedeutete. Obwohl sich das auf seine Sicherheitslage nicht gerade positiv ausdrückte, fühlte er sich aufgrund dieser Informationslage ein bisschen weniger von Jian verraten. Er hielt in seinen Überlegungen inne, überdachte den Gedanken nochmals skeptisch und musste sich eingestehen, dass er tatsächlich so fühlte. Hintergangen und verletzt.
 

„War das jetzt auch wieder falsch?“, erwiderte Jian fast schon gereizt. „Ehrlich, Seto, manchmal verstehe ich dich wirklich nicht …“ Er hielt inne und wenig später huschte Verständnis über seine Züge. „Du hast den Kontakt abgebrochen, um aus der Schusslinie zu kommen.“
 

„Unter anderem“, gestand Kaiba ein. Er gab das vor sich selbst nicht gerne zu, aber das fehlende Bemühen um seine Sicherheit und die lange Reaktionszeit hatten einen beträchtlicheren Einfluss auf seine Entscheidung gehabt.
 

„Ich verstehe“, sagte Jian und wirkte nachdenklich. Kaiba hatte den Eindruck, dass er durchaus verstanden hatte, was zu dem Kontaktabbruch geführt hatte. Jian rieb sich kurz die Schläfen und drückte danach sanft Kaibas Hände. „Also gut. Was müsste geschehen … was müsste ich ändern, damit du wieder … zu mir zurückkommst?“
 

Mit der Frage hatte Kaiba ganz und gar nicht gerechnet.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2011-12-15T14:18:59+00:00 15.12.2011 15:18
Sorry, dass ich erst jetzt wieder dazu komme, dir einen Kommi zu hinterlassen, obwohl ich das zweite Kapitel schon vor einer Weile gelesen habe.
Na, dann bekommst du jetzt also einen Kommi für Kapitel 2+3 zusammen.

Wie gesagt, die Story gefällt mir. Deinen Schreibstil mag ich sowieso und die Spannung, die du mit dem ersten Kapitel aufgebaut hast, konnest du bislang auch sehr gut halten.

Der Dialog zwischen Mokuba und Seto gefiel mir in Kapitel 2 ungemein. Genauso stelle ich mir die Zwei bei einem solch heikelen Gespräch vor. Seto triffst du mit seinen Aussagen wirklich perfekt, aber auch Mokuba ist dir wirklich gut gelungen. <3

Und nein, ich vermisse Joey nicht. Ich finde es sogar einmal herrlich erfrischend einen neuen Chara in Kaiba´s Leben zu haben. Wu Jian entwickelt sich tatsächlich zu einem vielversprechenden Charakter, der gut zu Kaiba passt.

Sätze wie z. B. "„Reine Logik“, erwiderte er kalt. „Du bist nicht so unberechenbar, wie du annimmst." oder "„Ich mag deine Kombinationsgabe“, entgegnete Jian und über seine sonst so kühle Miene huschte ein leichtes Lächeln. „Dich zu überlisten, macht gleich doppelt Spaß!“ sind einfach toll und verheißen ein anregendes Katz-und-Maus-Spiel.

Ich bin wirklich gespannt wie es weiter geht.

LG Lili
Von:  Onlyknow3
2011-12-01T17:12:32+00:00 01.12.2011 18:12
Schönes Kapitel,bin gespannt wie Seto antwortet.Ja ja selbst ein Seto Kaiba ist vor Gefühlen nicht sicher,ob er sich überreden läßt sich auf Jian noch mal einzulassen bleibt leider bis zum nächsten Kapitel offen.
Weiter so freu mich wenn das nächste Kapitel kommt.

LG
Onlyknow3


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