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Poison

von

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Prolog

Es ist ein recht kalter Winter im Jahre 1864, Kyoto, Japan.

Schnee fällt zu dieser mitternächtlichen Stunde.
 

Ein ziemlich durchgefrorener Kommandant der Ishin-Shishi eilt schnellen Schrittes durch die Straßen der Dämonenstadt, ein leise zitterndes Bündel in den Armen haltend, eingehüllt in ein großes Tuch, unter dem ein paar Strähnen roten Haares hervorschauen. Katsura Kogoro ist es, der seinen Top- Assassinen im Arm und ein schlechtes Gewissen beißend im Hinterkopf hat.

~Wie konnte ich das nur zulassen...~, denkt sich der Kommandant und beißt die Zähne zusammen, hält gar einen Moment an, um seinen Griff zu verstärken, als der Junge sich leise stöhnend windet und offensichtliche Schmerzen hat. ~... ich hätte es verhindern müssen!~ Erst, als aus dem Stöhnen wieder ein halbwegs normales Atmen wird -wenn man verkrampft und hektisch atmen als normal zählen kann- eilt Katsura weiter.  Sein Ziel ist die Klinik eines Heilers, der dem Choshu-Clan schon sehr lange treue Dienste geleistet hat. Gleich um die Ecke müsste sie sein, es sind die Worte, die der Kommandant sich wie ein Mantra immer wieder vorspricht in dieser eiseskalten Nacht.
 

Nach nunmehr zahlreichen dieser Ecken bleibt Katsura schließlich vor der Tür der Klinik stehen, selbst nach Luft japsend, denn in dieser Nacht hatte er bereits wahre Höchstleistungen vollbracht:

Unentdeckt das Hauptversteck zu verlassen -in der Regel wären ihm sonst mindestens zwanzig Männer gefolgt und soviel Aufsehen konnte und wollte er nicht riskieren-, dabei den zu gleichen Teilen bewunderten und verhassten Hitokiri hinausschmuggeln, dreimal den Shinsengumi ausweichen und dabei den doppelten Weg über Umwege laufen. Und jetzt die Kraft finden, anzuklopfen.

Um eine Hand freizukriegen, verlagert er das Bündel etwas auf den linken Arm, schluckt ein schmerzhaftes Zischen runter -ausgerechnet an dem Arm hatte er sich gestern böse gestoßen, seitdem verunstaltet ein dicker, blauer Fleck seinen Oberarm- und klopft mit der Rechten an die halb-eingeschneite Tür. Einmal, zweimal. Warten. Schritte. Eine sich quietschend öffnende Tür. Scharfe Blicke auf Seiten des Doktors in Richtung Katsura, verunsicherte von diesem an den Rotschopf, dann ein bittender zwischen Katsura und dem Arzt.
 

"Kommt rein." Die Worte des Mediziners.

Einen Fehler wiedergutmachen...

"Er hat hohes Fieber und der Puls ist unregelmäßig. Was immer er sich da eingefangen hat, hätte ihn umbringen können, wäre er selbst gelaufen", spricht Genta Hiromiko, denn so ist der Name des Heilers. Gerade kommt er aus dem Nebenzimmer, in das er seinen neusten Patienten eigenhändig verfrachtet und mit einem kalten Lappen auf der Stirn auf einen Futon gelegt hat. Nun sitzt er Katsura gegenüber, beide auf je einem Sitzkissen, zwischen ihnen ein Tisch mit einer Kanne Tee und Trinkschalen für jeden von ihnen. Er krault sich beim Sprechen den weißen Kinnbart und grinst, als nurmehr Schweigen auf Katsuras Seite die Antwort ist.
 

"Soso, hast mit deiner Ikumasu also heimlich 'nen Bengel aufgezogen und als Soldaten getarnt, was?"
 

"Bitte, Genta, er ist nicht mein Sohn."
 

"Oh? Und warum sollte ich ihn dann kostenlos behandeln?"
 

"Weil die Ishin-Shishi dir ein geregeltes Einkommen sichern und dich vor dem

Shogunat beschützen."
 

"Oh. Richtig."
 

"Wird er wieder?"
 

"Heh, dafür, dass er nicht dein Sohn ist, machst du dir gewaltig Sorgen,

Katsura!"
 

"GENTA!"
 

"Keine Bange. Der Kleine ist nicht totzukriegen. Aber sag... die Feinde sind doch nicht an du-weißt-schon-was gekommen?"
 

"Nein. ES ist noch da, wo es hingehört."
 

"Erzähl mir, was passiert ist. Beim der letzten Halbjahresuntersuchung wirkte der Kleine bis auf ein paar Narben fast beunruhigend gesund."
 

"Der Clan ist sich uneins über ihn. Er kennt sehr viele Geheimnisse und einige der Mitglieder ließen sich nicht davon abbringen, dass er uns betrügen wird, sobald er kann. Sie halten ihn für einen Dämon.."
 

"Verstehe. Du als Clanoberhaupt musst Kompromisse eingehen und Frieden schaffen. Und das ging nur, indem man sich der Wurzel des Übels entledigt, nicht wahr?"
 

"Wir wissen immernoch nicht, wer es war... Irgendjemand hat auf meinen Attentäter ein Attentat ausgeübt! Aber du weißt, dass ich niemals so etwas tun würde!"
 

"Richtig. Und er hat nichts gemerkt? Ungewöhnlich für jemanden, der sonst einen Floh in einer fünzig Fuß unter der Erde begrabenen Kiste husten hören kann..."
 

"Wir hielten es zunächst für eine Lebensmittelvergiftung. Himura hatte an dem Abend keine Aufträge und ich dachte mir nichts dabei. Von den anderen ganz zu schweigen..."
 

"Und dann?"
 

"Am nächsten Morgen kam dann eine junge Bedienstete von Okami in mein Zimmer gestürmt und erzählte, sie habe Himura nach mehrfachem Anklopfen reglos am Boden liegend in seinem Raum vorgefunden. Ich bin natürlich hin, aber da war er schon wieder auf den Beinen."
 

"Zäher Bursche!"
 

"Ja... Aber seitdem schien er nicht mehr ganz bei sich zu sein und ich habe es vermieden, ihn für Aufträge heranzuziehen. Unser Neuling muss sich ohnehin noch beweisen, also habe ich Shishio Makoto damit beauftragt, um kein Risiko einzugehen. Gestern Abend habe ich zufällig beobachtet, wie Himura fast vor eine Wand gelaufen wäre. Irgendwas stimmt nicht."
 

"Was du nicht sagst... Bei so hohem Fieber könnte ich auch nicht mehr gerade gehen! Warum hast du ihn nicht früher zu mir geschickt?"
 

"Du weißt, wie starrköpfig er ist.. ich habe mehrmals angeregt, er solle sich untersuchen lassen, aber er meinte immer, es sei alles in Ordnung. Vorhin bestellte ich ihn zu mir, um ihn zur Rede zu stellen, aber mitten im Gespräch wurde er kreidebleich und dann ohnmächtig. Da hab ich ihn mir geschnappt und hierhergebracht und nun sitze ich hier... Weißt du, ich hätte ihn niemals den Teufeln Kyotos zum Fraß vorwerfen dürfen. Das Hiten-Mitsurugi Schwert ist nicht dazu da, eine alte Era einzureißen. Letzten Monat erst ist das mit Tomoe passiert. Vielleicht braucht die Seele dieses Jungen eine Pause.."
 

"Du bist ein Narr. Dieser Junge ist besessen davon, die Welt verbessern zu wollen. Hast du selbst gesagt. Er wird sich nächstes Mal noch weniger anmerken lassen, würde sich eher die Zunge abbeißen, als zuzugeben, dass er eine 'Pause' braucht."
 

"Ich weiß. Aber dieser Starrsinn hält ihn am Leben."
 

"Ich nehme mal an, du musst zurück?"
 

"Ja. Bleibe ich noch länger weg, fällt meine Abwesenheit auf."
 

"Pass auf dich auf. Die Nasen der Mibu-Hunde sind in letzter Zeit sehr scharf geworden."
 

"Danke. Ich komme in ein paar Tagen vorbei und sehe nach dem Rechten."
 

"Viel Glück."
 

Mit diesen Worten erhebt sich Katsura Kogoro, der nach diesem Gespräch nicht minder gewissensgeplagt ist, und geht, äußerlich standesgemäß erhobenen Hauptes aber innerlich mehr als geknickt, hinaus, in die nunmehr stürmisch verschneite Nacht, in der man kaum die Hand vor Augen sehen kann und jede Faser des Körpers versucht, durch Zittern und Zähneklappern Wärme zu erzeugen.

"Na dann mal los..", ermutigt er sich selbst und läuft wehenden Umhangs in die Richtung, in der er zu wissen glaubt, dass dort die Herberge seines Clans ist.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

"Himura-kun..."
 

~Nein.. ich will nicht..~
 

"Aufwachen, Himura-kun.."
 

~Lass mich schlafen.. ich bin so müde..~
 

"Kenshin."
 

~Meister..?~
 

"Los, steh endlich auf oder ich lass dich einsargen!"
 

Endlich schlägt der rothaarige Hitokiri zögerlich und gegen das gefühlt grelle Licht blinzelnd die Augen auf, mehr als irritiert, als er weder die Berghütte seines Meisters, noch die gewohnte Decke seines Zimmers im Gasthof erblickt und der beißende Geruch von Desinfektionsmitteln seine Sinne kurzfristig wanken lässt. Etwas zu schnell setzt er sich auf und greift sich an den protestierend pochenden Schädel. Ein leises Zischen seinerseits untermalt das Ganze.
 

"Hm, nicht gut. Siehst du doppelt? Komische Farben? Ist dir schwindlig?"
 

Himuras schweigender Blick bleibt hierauf die einzige Antwort.
 

~Wo bin ich..? Es kommt mir bekannt vor.. aber..~
 

"Hm. Desorientierter Blick, träger Pupillenreflex. Und.." - hierbei fasst er dem Jungen an die Stirn - ".. deine Temperatur ist immernoch zu hoch."
 

"Verzeiht.. wer seid Ihr?", ergreift der Rotschopf schließlich das Wort und versucht sich noch vergeblich zu widersetzen, als der Alte ihn wieder auf den Futon drückt.
 

"Shh shh shh, für Fragen haben wir später Zeit. Ruh dich noch etwas aus."
 

"Sagt, wo sind wir hier..?"
 

"Was habe ich gerade gesagt? Schlaf jetzt. Wenn du das nächste Mal wach wirst, können wir reden."
 

Himura seufzt leise und gibt sich geschlagen. Wenn er ohnehin weiterschlafen soll, wieso wurde er dann überhaupt geweckt..? Ein komischer Verein hier.. Wo auch immer 'hier' ist.. Noch ehe er einschläft, sind da drei Worte in seinem Kopf, die ihn in die Finsternis begleiten; "Verzeih mir, Himura.."
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Der nächste Morgen.
 

Ein recht gut ausgeruhter Hitokiri erwacht aus dem erholsamen Schlaf mit einem herzhaften Gähnen -wenngleich auch hinter vorgehaltener Hand und beim Strecken mit knackenden Gelenken- und schaut sich um. Der Groschen will einfach nicht fallen.
 

~Das hier ist nicht das Kohagiya.. Der Alte gibt mir keine Antwort, vielleicht weiß Katsura-san ja, warum ich hier bin.. ich muss zurück. Jetzt.~
 

Doch zu seiner Zerknirschtheit muss er feststellen, dass seine Beine steif wie Bretter sind und sich nur schwer bewegen lassen. Seufzend lässt er also dieses Unterfangen bleiben und schaut sich weiter um. Ein fast unangenehm sauberer Raum umgibt ihn, dazu spärliche Möbelierung -in dem kleinen Raum steht links von ihm an der papiernen Wand ein kleines Schränkchen und unter ihm der Futon-, dann dieses Gefühl von zwanghafter Ruhe, so als ob der ganze Raum nur dazu da ist, alle, die darin sind, unter Kontrolle zu halten. "... ein Krankenhaus..?", schlussfolgert er flüsternd, auch wenn all das überhaupt keinen Sinn zu machen und die Stille ihm dennoch zuzustimmen scheint. Misstrauisch beäugt er die Tür. Es ist nicht so, als hätte er je Angst vor Krankenhäusern entwickelt, gewiss nicht, wie oft hatte man ihn in seiner Anfangsphase bei den Ishin-Shishi noch in solchen zusammenflicken müssen, wenn er die Shinsengumi maßlos unterschätzt hatte und mehr tot als lebendig aus diesen Auseinandersetzungen hervorging. Nein, vor Krankenhäusern hat Himura keine Angst. Aber diese Ungewissheit... ~Was habe ich bloß gestern gemacht..?~
 

Eine Stimme mit den Worten "Willkommen zurück, Battousai." lässt den viel zu mageren Jugendlichen zusammenfahren und erschrocken in die Richtung schauen, aus der sie kommt. Schnell entspannt er sich wieder, es ist Manako Hishuichi, der Nachfolger Iizukas, der Mann, der die Leichen aus den Straßen Kyotos verschwinden lässt und der jetzt gerade an den Türrahmen gelehnt steht.
 

"Du weißt gar nicht, was du Katsura zu verdanken hast.."
 

Auf den verwirrten Blick des Rothaarigen hin schnaubt Manako nur knurrend und tritt ungefragt näher.
 

"Er hat dir dein Leben gerettet, Baka!"
 

".. was?"
 

"Im Hauptquartier ist die Hölle los wegen dir. Die einen wollen dich am Liebsten in Handschellen und als Hundefutter sehen, die anderen fangen sogar handfesten Streit an, um dich gegen die Anschuldigungen zu verteidigen!"
 

"... was?"
 

"... was was??"
 

"Welche Anschuldigungen..?"
 

"Man hält dich für einen Verräter und Lügner, die denken, dass du heimlich abgehauen und zum Feind übergelaufen wärst!"
 

"... warum sollte ich das tun..?"
 

"Keine Ahnung, wie die darauf kommen. Verdammte Idioten. Aber Katsura ist der größte von allen, hält dicht wie eine Miesmuschel. Ich bin der Einzige, dem er Bescheid gegeben hat. Meinem Vorgänger sei dank... Er will wohl verhindern, dass deine Feinde dahinterkommen, wo es leichte Beute gibt."
 

"... leichte Beute?"
 

Manako versucht bei diesen drohend geflüsterten Worten und dem beinahe eiskalten Blick in den Augen seines Gegenübers nicht zu arg zusammenzuzucken, spricht dann aber ungerührt weiter:
 

"Hah, in dem Zustand, in dem du warst, hätte man dir ein glühendes Eisen über die Rippen ziehen können und du hättest nichts gemerkt!"
 

"..."
 

"Und überhaupt, was willst du ohne Schwert denn machen?"
 

Erst jetzt wird Himura bewusst, dass er nichtmal weiß, wo er seine Waffe zuletzt gesehen hat. Als auffällig unauffälliges Umsehen diesen Umstand nicht ändert, seufzt er nur und fragt ergeben "Wo ist..?".
 

Manako grinst nur und zieht etwas unter seinem braunen Gi hervor.

"Dachte schon, du fragst nie. Ganz schön schwer, das Ding.. und gut versteckt war's auch.", spricht er und wirft seinem Gegenüber das in dunkelroten Stoff verhüllte Schwert zu, welches von seinem Besitzer gerade noch so gefangen wird.

"Du bist echt nicht ganz wach, nä?", stellt Manako ob des seltsamen Anblicks fest, dass ausgerechnet Battousai Himura, bekannt für seine Schnelligkeit, Mühe hat, einen Anfängerwurf wie diesen zu fangen. Ein weiterer, scharfer Blick lässt ihn verteidigend die Hände heben.
 

"Ich sag nur, wie's ist, Himura!"
 

"... sonst noch was?"
 

"Ich soll dir noch sagen, dass du besser noch ein Weilchen hier bleibst. Nicht nur wegen deiner Gesundheit. Die Miburo haben nichts Besseres zu tun, als unsere Verstecke eins nach dem anderen auszuheben."
 

"... und ich würde euch beim Fliehen aufhalten, nicht wahr?"

Manako erbleicht, nickt aber über den Scharfsinn des Hitokiris. "So ist es leider."
 

".. verstehe. ... sag.. wo bin ich hier eigentlich?"
 

"Du erkennst es nicht?"
 

"Würde ich sonst fragen?"
 

"Genta Hiromiko. Behandelnder Arzt der Patrioten. Dies ist seine Klinik."
 

"... Hiromiko..?"
 

"Ist was?"
 

"Nein.. schon gut.." ~Tomoe hat immer von ihm geschwärmt..~
 

"Naja. Dann geh ich mal. Siehst blass aus. Schlaf noch ein Weilchen."
 

"Hm. Bis dann."
 

Eine angedeutete Verbeugung bei verschmitztem Grinsen ist darauf die Antwort und Manako geht wieder seiner Wege. Als es wieder ganz still im Raum ist, wendet Himura sich seiner lang vermissten Waffe zu. Eine 90cm lange Klinge mit tödlicher Schärfe, geschmiedet vom größten Schmied Kyotos, Shakku Arai. Ein Schwert, das schon mehr Tode gesehen und verursacht hat, als jedes andere auf der Welt. Das Schwert eines Attentäters. Schweigend zieht Himura es sacht aus seiner Hülle, einer mit schwarzer Mantahaut ummantelten Saya, die vordere Hälfte von schwarz gefärbtem Wildleder umwickelt. Der Griff fühlt sich etwas rau an, kein Wunder, auch hier wurde Leder verwendet. Spielend leicht gleitet die Kohlestahlklinge hinaus, sogar ohne auch nur ansatzweise Geräusche zu machen. Als das Schwert ganz gezogen ist, hält sein Besitzer es auf Augenhöhe und betrachtet die feine Musterung, die an der Schneide entlanglaufend ein elegantes Zackenmuster bildet. Wer es weiß, sieht sogar die zart-blassen Rottöne, unverwischbare Reste vergangener Greueltaten. Und doch ist das Schwert nie stumpf geworden, eine gute Klinge halt.

Himura ist so tief in seine Gedanken versunken, dass er nicht bemerkt, wie hinter ihm die Tür aufgeht und Genta eintritt. Als der das gezogene Kunstwerk sieht, schreckt er zunächst zurück, was letztlich die Aufmerksamkeit seines Patienten weckt, welcher, gleich einem Tier, blitzschnell wendet und in Sekundenbruchteilen hinter Genta steht, die Klinge an dessen Kehle gepresst und einen Arm hinter dem Rücken verschränkt. Keinen Atemzug wagt der Alte, schluckt nur trocken und wartet still ab. Für schier endlos lange Sekunden fühlt er seinen Puls, hört das zwanghaft unterdrückte, hastige Atmen seines Patienten hinter sich, spürt das leichte Zittern der Klinge an seiner Haut. Doch dann sinkt endlich die Erkenntnis in das Bewusstsein des Hitokiris und er lässt sogleich los, weicht etwas zurück, bis er den Türrahmen im Rücken hat. Besorgte Blicke von Seiten des Mediziners mustern ihn.
 

"Ich sehe, es geht dir schon besser, Junge."
 

"... nein... Ihr habt mich nur erschreckt. Das ist alles."
 

"Erschreckt? Nun, das tut mir leid. Ich wollte nur nach dir sehen."
 

"... ..."
 

"Willst du dich nicht setzen? Dann kann ich besser sehen, ob deine Genesung Fortschritte macht."
 

Himura nickt und schleppt sich zu dem Futon, lässt sich dort zu Genta gewandt auf die Knie sinken und schaut ihn unberührt an, schweigt dabei. Der Alte macht sich also ans Werk, prüft die Reflexe - ~Eigentlich überflüssig~, wie Genta überlegt, ~nach dieser Reaktion..~-, schaut dem Hitokiri genau in die Augen, -~Dieses gelbe Flackern ist bestimmt für seinen Ruf verantwortlich..~- und untersucht sogar die Beweglichkeit der Muskeln in den Armen, da er weiß, dass lange Bettlägerigkeit oft Steife zur Folge hat. Schließlich lächelt er beruhigend. "Du kannst schon bald hier weg."

Erneut nickt der Rothaarige, wendet sich ab und will es sich gerade wieder bequem machen, da ist da plötzlich dieses stechende Gefühl in seinem Rücken und

ein eiskaltes Gefühl, das sich von dort auszubreiten beginnt.
 

"Kch..!"

"Das ist nur zu unserer Sicherheit, Hitokiri.. Damit du weniger Widerstand leistest.."

"... ihr seid..!"
 

Das sollten die letzten Worte für die nächsten Stunden sein, denn tiefschwarze Dunkelheit umfängt den Jungen bedeutend schneller, als ihm lieb ist und löscht jegliche Sinneswahrnehmung aus. Das Letzte, was er noch spürt, ist der Futon auf dem er aufschlägt.

Mit den Wölfen erwachen

~ Eine Woche später, vor Hiromiko's Klinik ~
 

"Ich möchte gern den Burschen abholen. Wo ist er? Ist er reisefähig?"
 

Es ist Katsura, der vor der Tür der Praxis steht, nur eine halb geöffnete Tür zwischen ihm und dem Alten. Der lächelt ein halb zahnloses Lächeln und erwidert:
 

"Er ist heute Morgen gegangen."
 

"Bitte was?!"
 

"Ja. Dein feiner Herr Sohn..."
 

"... ER IST NICHT MEIN SOHN!!"
 

"... hat sich aus dem Staub gemacht."
 

"Das würde er nie tun, Genta! Wo ist Himura?!"
 

"Hab ich doch gesagt.. er.. eh, hey!"
 

Letzteres wurde durch Katsuras knurrend begleitete Bewegung ausgelöst, mit der er die Tür aufdrückt und den Heiler geradezu auf Seite schiebt. Ohne zu zögern rast er an ihm vorbei und in den Raum, wo er besagten Rotschopf vermutet. Was er sieht? Nichts. Das Zimmer ist leer. Außer einem zusammengefalteten Futon, keine Spur! Ungläubig tritt er weiter in den Raum hinein, mustert alles genauestens, so als hielte er es für einen schlechten Scherz oder einen Traum. Pustekuchen. Nirgends eine Spur von dem, den er sucht. Ärgerlich wendet er sich um und schaut Genta, der in der Tür stehengeblieben ist, funkensprühend an.

"Ich frage nochmal. Wo. Ist. Er?!"

"Soll ich dich zu ihm bringen?"

"ICH BITTE DARUM, GENTA!"
 

Ein Schnipsen des Alten ist die Antwort und binnen Sekunden füllt sich der Raum mit wie aus dem Nichts hereinstürmenden, in blau-weiße Kleider gehüllten Mannen mit Schwertern. Katsura jedoch bleibt -sehr zum Verblüffen der Mibu-Wölfe- außergewöhnlich gelassen, so als habe er fast damit gerechnet.

"Du WARST also der Verräter", spricht der Choshu-Anführer mit einer Seelenruhe, als wären die Soldaten zum Teetrinken gekommen, zu Genta. Dessen Grinsen hat sich derweil verflüchtigt und ist einem zähneknirschenden Knurren gewichen.

"Die Situation hat sich geändert. Wenn ich kooperiere, garantiert man mir Straffreiheit. Sonst droht mir Enthauptung, weil ich dir geholfen habe", spricht er, weicht dabei dem Blick Katsuras aus. Eine weise Entscheidung. Denn in den Augen des Kommandanten ist ein gefährliches Glitzern, wenngleich der Rest seiner Miene kühl bleibt. Mordlust? Vielleicht. Enttäuschung, Wut, Hass? Keinesfalls.
 

~Ich hätte es wissen müssen... es ist meine Schuld... Ikumatsu, heute Abend komme ich wohl nicht zu dir..~, sind seine Gedanken, als man ihm die Hände hinter dem Rücken zusammenbindet und ihn nach draußen führt.
 

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"Ihr habt ihn also in Gewahrsam genommen?"

"Ja, Hijikata-sama! Ihn und seinen Bluthund."

"Ausgezeichnet. Nehmt euch einen Tag frei. Die Ishin-Shishi werden erstmal die Füße stillhalten müssen. Wenn Kondo zurück ist, werden Battousai und sein Anführer ihm zu Ehren enthauptet. Verstanden?"

"Ja, Sir!"

"Abtreten!"

Der Mann mit dem langen Pferdeschwanzzopf, den eiskalten, fast gelben Augen und der obligatorisch blau-weißen Tracht lächelt düster, als er seinem Gefolgsmann hinterherschaut. Das war ein mehr als erfolgreicher Plan gewesen. Mit Katsura Kogoro und Himura Battousai aus der Bahn würde es ein Kinderspiel werden, ein für allemal für Ruhe in Kyoto zu sorgen! Die Rebellen würden ohne Anführer rumlaufen wie ein Haufen enthaupteter Hühner und was den Attentäter angeht.. Für den hatte der Vize-Kommandant ganz besondere Pläne. Wieviele seiner Männer waren diesem Dämonen schon zum Opfer gefallen.. es wird allmählich Zeit, ihren Seelen Tribut zu zollen und Battousai zu ihnen zu schicken, und sei es in handlichen Stückchen..

Hijikata selbst bemerkt es nicht, doch seine Augen funkeln bestialisch bei der Vorstellung, seine geliebte Folterkammer wieder in Betrieb zu nehmen.. Kondo, sein Vorgesetzter, würde in frühestens einer Woche hier auftauchen. Genug Zeit also, sich ein wenig Spaß zu gönnen und den Bluthund der Patrioten das Fürchten zu lehren. Es ist einfach, jemanden zu Tode zu quälen, aber eine wahre Kunst, denjenigen derart leiden zu lassen, dass er sich das Ende der Qualen herbeisehnt. Doch Hijikata ist ein wahrer Meister darin. Und ein geborener Sadist... fies grinsend erhebt er sich und macht sich auf den Weg zum Kerker, um die Beute unter die Lupe zu nehmen.
 

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Als Himura zu sich kommt, glaubt er zunächst, er sei erblindet oder man habe ihm die Augen verbunden. Es ist pechschwarz um ihn herum, der Boden ist steinhart und eiskalt und die Luft riecht feucht. Eine leichte Bewegung hallt einen ganzen Moment lang raschelnd nach und ein leises Fiepsen verkündet die Anwesenheit eines Nagers. Entgegen des Verlangens nach Konversation schweigt er jedoch zunächst, analysiert erstmal, ob er allein ist. Als ihm klar wird, dass dies nicht der Fall ist -leise Atemgeräusche, ein gelegentliches Rascheln von irgendwo im Raum und die Silhuette, die nur die Augen eines nachtliebenden Hitokiri wahrnehmen kann, dort in der Ecke, vielleicht zwei Meter entfernt, sprechen dagegen- setzt er sich vorsichtig auf, doch dabei entfährt ihm ein kaum hörbares Zischen zwischen zusammengebissenen Zähnen. Seine Gliedmaßen testend, fällt ihm auf, dass zwar seine Hände gebunden sind, er seine Beine aber noch frei bewegen kann. Immerhin ein Pluspunkt!
 

"Himura? Bist du das?"
 

Gerade, als er ein paar Gehversuche anstellen will, spricht die Silhuette zu ihm, sodass er zunächst zusammenzuckt, dann die Stimme erkennt und, verborgen von der Dunkelheit, vor Schreck bleich wird. Ungläubig fragt er daher in den Raum:

"Katsura-san?!"

"Shhhh, ja! Nicht so laut, sonst hört man uns!"

"Was tut Ihr hier?!"

"Keine Zeit für Erklärungen, wir müssen schnellstmöglich hier raus!"
 

-Ein gedämpftes KLONG und ein Fluch hinter vorgehaltener Hand spricht schon sehr dafür, dass gerade jemand versucht hat, in dieser totalitären Dunkelheit durch ein Gitter zu laufen, das für menschliche Maßstäbe zu eng ist, und dass derjenige sich soeben eine fette Beule zugezogen hat.-
 

"... verd-..."

"Alles in Ordnung, Himura?"

Ein leises Grummeln ist die Antwort, dann ein "Ja.." und weiteres Fluchen.

"Gut. Hör zu, wir sind im Hauptquartier der Shinsengumi. Man hat uns im untersten Verließ eingesperrt und draußen sind mindestens vier Wachen. Kannst du laufen?"

~Abgesehen von den Gitterstäben, mit denen ich so freundliche Bekanntschaft gemacht habe..~

".. ja."

"Sehr gut. Den Ersten, der reinkommt, überwältigen wir und klauen ihm die Schlüssel. Das ist nicht ehrenhaft, bringt uns aber vielleicht hier raus. Verstanden?"

"Ja."

"Perfekt. Wir nutzen den Überraschungsmoment, indem wir uns schlafen stellen."

"..."

"Himura?"

"... verstanden."

"Hast du einen besseren Plan?"

"... nein. Aber unsere Chancen sind verdammt gering, wenn wir die zehn Divisionen gegen uns haben.. Choshu braucht Euch. Wenn es gefährlich wird, halte ich die Feinde auf und Ihr lauft so schnell Ihr könnt."

"... Himura. So bewunderswert ich deinen Mut auch finde, aber ich kann nicht zulassen, dass du hier Selbstmord begehst. Still jetzt!"
 

Wie auf Kommando stellen sich beide schlafend, als die Tür zum Verließ sich unter quietschenden und ächzenden Tönen öffnet und drei Männer hineinkommen. Vorneweg Hijikata. Hinter ihm zwei Gefolgsleute, von denen der erste eine Fackel trägt und der letzte die Tür hinter sich wieder schließt. Der Vize-Kommandant beugt sich halb runter, mustert den wie unbewegt liegenden Rotschopf mit zwei Teilen Abscheu und einem Teil sadistischer Neugierde, ehe sein Blick zu dessen Chef wandert, welcher nur kühl zurückblickt.
 

"Katsura Kogoro, du hast uns sogar noch weniger Ärger gemacht, als dein Schoßhund hier! Schämst du dich?"

"Einem räudigen Wolf muss ich nicht antworten."

"Oho, die bissige Art also? Das bringt dir allerdings nichts. Ich allein entscheide, ob ihr hier rauskommt oder nicht. Ein Bisschen mehr bedachte Wortwahl also, wenn ich bitten darf!"

"Seit wann nehmen die Wölfe von Mibu Geiseln?"

"Einem Esel bin ich keine Rechenschaft schuldig."

"..."

"Bringt den anderen in mein Zimmer. Ihr wisst, welches. Der Esel hier soll sehen, was mit denen passiert, die mir nicht genug Respekt zollen."
 

Der, der die Fackel bisher hielt, stellt diese an einen Halter nahe des Ausgangs und schließt die Tür zur Zelle auf. Zähnefletschendes Quietschen der Schaniere zerreißt die bisher so ruhige Luft in ihre Einzelteile und lässt die Anwesenden unwillkürlich zucken, auch wenn keiner es sich einzugestehen vermag. Bedächtige Schritte nähern sich dem noch immer bewegungslosen Hitokiri, misstrauische Hände packen seine Schultern und ziehen ihn auf die Beine. Ein folgenschwerer Fehler, denn just, als er senkrecht steht, reißt der vermeintlich Wehrlose sich los, prescht durch die offene Zelltür raus und wirft sich mit voller Geschwindigkeit gegen den Shinsengumi Leitwolf, der mit soviel Widerstand weder gerechnet noch sich auf den Aufprall vorbereitet hatte, der ihm kurzfristig die Luft zum Atmen nimmt und sowohl ihn als auch den, der ihn rammte, zu Boden wirft. Im Gegensatz zu Hijikata rappelt Himura sich allerdings schnell wieder auf -eine akrobatische Meisterleistung bei verbundenen Händen!- und scannt in Windeseile die Lage. Die beiden konsternierten Untergebenen hocken noch in der Ecke und scheinen nicht zu wissen, was da eben passiert ist -offenbar können die beiden nicht besonders gut im Dunkeln sehen, wie der Hitokiri äußerst scharfsinnig schlussfolgert- während Hijikata sich langsam wieder aufzusammeln beginnt. Doch noch bevor er wieder senkrecht steht, hat ihm sein Gefangener eins der beiden Schwerter entwendet und durch die Gitter an Katsura gereicht, welcher im Umkehrschluss Himuras Fesseln aufschneidet und die Klinge zurückreicht. All dies geschieht so schnell, dass der Vize-Kommandant der Shinsengumi gar nicht so schnell schauen kann, wie sein eigenes Schwert gegen ihn gerichtet wird.

"Du hast verloren, Hund. Lass uns gehen, dann schenk ich dir das Leben", spricht die düstere Stimme Battousais und die Spitze der Klinge rückt bedrohlich an den Hals ihres Besitzers. Ein schweres Schlucken wäre wohl nicht angebracht...

"Ah.. in Ordnung, verstanden! Ihr habt gewonnen! Geht!", gibt Hijikata sogar sofort Kleinbei. Ein misstrauischer Blick von Seitens Himura, ein den Fackelschein widerspiegelndes, unsicheres Grinsen seines Gegenübers, dann senkt ersterer das Schwert. "Klug von Euch.", spricht er noch, wendet sich um und geht Richtung Kerkertür. Katsura erhebt sich gerade, will ihm folgen, da sieht er Hijikata sich bewegen, hält er inne, ruft eine Warnung.
 

Aber zu spät.
 

Himura spürt es wohl noch eine halbe Sekunde vorher, versucht den Angriff noch abzuwehren. Doch zu spät. Fast wie im Zeitlupentempo fühlt er, wie sich das scharfe Ende eines Wakizashis -Hijikatas nämlich- durch sein Kreuz bohrt und dabei Fleisch wie Blutgefäße mit gleicher Leichtigkeit durchtrennt. Als es ganz unzeremoniell herausgerissen wird, hört er es mehr als dass er es spürt, wie Lebenskraft in Form von roten Strömen aus der Wunde spritzt, den Boden benetzt und ihn dumpf aber herzlich auf selbigem aufschlagen lässt.
 

Wie aus der Ferne hört er noch Katsura seinen Namen rufen, aber er ist sich nichtmal sicher, ihn wirklich gehört zu haben. Alle Sinneseindrücke verschwimmen zu einem einheitlichen Brei, der sich langsam trübt, bevor die Lichter ausgehen.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Hijikata schaut mit einer Mischung aus Schock, Missfallen und Unglauben auf den gefallenen Hitokiri. ~Das war fast zu einfach...~ Ein Blick rüber zu Katsura, welcher, von den aus ihrer Starre erwachten Soldaten festgehalten, versucht, sich windend aus deren Griff zu befreien und dabei immer wieder das selbe Wort ruft.

~Kenshin... Wenn du überlebst, mache ich mir diese Information zu Nutzen~ Mit diesem Gedanken packt Hijikata den Reglosen am Kragen, schleift ihn bis zur Zelltür, wirft den Hitokiri in die Zelle in die Ecke, die am weitesten von der Tür weg ist und verlässt dann den Kerker, gefolgt von den zwei Mannen, welche Katsura derweil loslassen und die Zelle wieder fest verschließen, ehe sie ihrem Vorgesetzten folgen.
 

Als die Kerkertür zugeht, wird es abermals dunkel.

Dem Wind davonlaufen

Tiefe Dunkelheit umgibt ihn. Nicht die Art von Dunkelheit, die ihn sonst jede Nacht versteckt und geschützt hat, sondern diese Art, die kalt und eisig ist. Selbst, als er die Augen öffnet -glaubt, sie zu öffnen- sieht er nichts außer seiner eigenen Gestalt auf einem unsichtbaren Boden liegen. Als er sich abtastet, ist da keine Wunde, nur dieses unerträgliche Gefühl von Leere im Kopf.
 

"Anata.."
 

Es ist diese Stimme, die ihn sich geschockt und ruckartig umdrehen und in das Antlitz von jemandem sehen lässt, der Himuras Herz sich schmerzhaft in der Brust zusammenziehen lässt.

"Tomoe.."
 

Da steht sie, eingehüllt in ein weißes Gewand, die Hände artig vor dem Körper zusammen, den Kopf zum Gruß gesenkt, ehe sie aufschaut, ihn mit diesen pechschwarzen Augen geradezu vorwurfsvoll anblickt.

"Anata.. was tust du hier? Dies ist die Grenze zum Jenseits. Du solltest nicht hier sein!"

"Und du? Du bist schon seit.."

"Ich warte hier auf jemand anderes. Bitte geh zurück, man braucht dich noch!"

"... niemand braucht mich."

"Red nicht so! Hörst du nicht die vielen Menschen, die sich nach Frieden sehnen?"

Und tatsächlich; in diesem Moment stürmen plötzlich unzählige laute Stimmen auf den geplagten Hitokiri ein. Verzweifelte Stimmen, alte Stimmen, junge Stimmen, Stimmen von Kriegern und Bürgern, von Frauen und Männern, alle vermischt zu einem lauten Getöse. Und leise, fast wie von weit weg, hört er auch seinen Kommandanten rufen. Als alles letztendlich -endlich!- verstummt, meldet Tomoe sich abermals zu Wort.

"Verstehst du? Die Welt braucht dich. Geh zurück und hilf ihr." Während sie dies sagt, ziert ein leises Lächeln ihr bleiches Gesicht, wandelt sich jedoch in ein beinahe bereuendes. "Das wird jetzt vielleicht etwas wehtun..."
 

Noch ehe Himura ganz verarbeitet hat, was Tomoe da gerade gesagt hat, durchbohrt ein heißer Schmerz seine Körpermitte und er reißt -diesmal wirklich- die Augen nach Luft schnappend auf, sitzt prompt kerzengerade, sackt aber sofort wieder auf die Seite zurück, hechelt den Schwindel weg. Zunächst erkennt er, dass er nicht tot ist, und stuft dies erstmal als gut ein. Erst danach bemerkt er, dass jemand neben ihm sitzt. Die Ki desjenigen verrät starke Verunsicherung, ja fast sogar Angst. Doch keine Todesangst oder Angst vor eigenen Wunden, sondern die Art von Angst, die man um jemand anderes hat. Es ist Katsura.

"Schön, dass du dich entschlossen hast, wieder unter den Lebenden zu weilen, Himura..", kommt von diesem, halb im Scherz, halb Ernst. "Bleib liegen, sonst kommt die Blutung nicht zum Stehen.."

Himura gehorcht. Nicht, dass er eine Wahl hätte! Zerschlagen fühlt er sich, schwächer als ihm lieb ist und er hört wie durch Watte. Einzig ein dumpfes Rauschen pocht in seinen Ohren einen gleichmäßigen Puls. Ein einlullendes Schlaflied, das seine Wirkung nicht verfehlt.
 

Katsura seufzt leise und betrachtet die ruhig daliegende Silhuette des Jungen. Die gefühlten Stunden hatten seine Augen für die Dunkelheit geschärft und ließen ihn klarer sehen, wenn vermutlich auch nicht so gut wie sein Zellgenosse. Seine Arme fühlen sich steif an und an seine Händen sind klebrig und riechen nach Blut. Die ganze Zeit über hatte er kräftig Druck auf die Stelle im Rücken seines Hitokiris ausgeübt, wo zuvor dieser räudige Wolf seinen Fangzahn reingestoßen hatte, und hinterher seinen Gi ausgezogen und fest um Himuras Taille gebunden. Nun steht die Blutung zwar, aber ihm ist kalt. Doch das zuzugeben würde ihm nichts nützen, also bewahrt er alle Ruhe und blickt von dem schlafenden Jungen zur Wand.
 

Die Stille ist es schließlich, die auch den Patriotenanführer ins Land der Träume schickt. Nach Hause... "Ikumatsu..", flüstert er, kurz bevor er einschläft.

Das Erste, das beide nach einer langen Weile absoluter Stille hören, ist das ohrenbetäubende Knarren der Kerkertür. Dann leise Trippelschritte auf dem harten Boden vor der Zelle. Die Silhuette vor den Gittern wirkt schmächtig und klein wie die eines Kindes. Und als die Person zu sprechen beginnt, wird klar, sie nicht älter sein kann.

"Wegen euch machen die Alten so einen Aufwasch? Ein Kind und ein alter Mann, wer von euch ist der 'Battousai'?", fragt die Stimme eines vielleicht 11-Jährigen in den Raum, erhält keine Antwort. Nur ein gutmütiges Schnauben von Katsura und ein misstrauischer Blick von Himura, der sich in dem Moment aufsetzt. Sogleich fährt das Kind fort.

"Du? Ich hatte mir den Dämon der Ishin-Shishi anders vorgestellt. Wirkst fast wie ein Mädchen.", spricht das Kind und nähert sich der Zelltür, steckt etwas ins Schloss, welches erst knarrt und die Tür dann aufspringen lässt.

"Ich will mit dir kämpfen und Papa beweisen, dass er sich umsonst aufregt. Aber wenn du mich tötest, schneidet Papa dir die Arme ab."

"... du weißt nicht, was du da redest, Kleiner. Wie sollen wir kämpfen? Ich bin unbewaffnet.", kommt die heisere Antwort Himuras, welche offenbar nachhaltig von seinem Gegenüber bedacht wird, denn dessen Worte folgen spät und schleppend.

"Na schön. Dann... hole ich Waffen. ... Wartet hier."
 

Die Zelltür fällt wieder zu, die Silhuette verschwindet aus dem Kerker und es wird nach dem lauten Ins-Schloss-Fallen der Kerkertür wieder dunkel. Als die Stille zurückgekehrt ist, meldet sich Katsura nun endlich zu Wort, klingt dabei fast belustigt, so, als müsse er ein unpässliches Kichern mit Mühe unterdrücken.

"Was war das denn?"

"Ein lebensmüdes Wölfchen..."

"Wirst du den Jungen töten..?"

"Katsura-san..."

"Ich weiß..."
 

Nicht lange währt diese Ruhe. Wie der Kleine es geschafft hat, zwei Bokken an den Wachen vorbei in den Kerker zu schmuggeln wird vermutlich für immer sein Geheimnis bleiben. Als er zurückkehrt, sind ihm jedenfalls Erstaunen und fast sowas wie Ansehen sicher. Stattdessen empfängt ihn nur Schweigen, als er den Kerker still und heimlich wieder betritt.
 

"Hallo?"
 

Die Luft will ihm einfach nicht antworten und so wird der junge Wolf etwas forscher. "Ich weiß, dass du da bist, Battousai! Ich habe Bokken mitgebracht! Kämpfe gegen mich!"

Es ist dieser Moment, in dem der Knirps merkt, dass irgendetwas nicht stimmt. Hektisch dreht er sich um und wäre fast vor Schreck auf seinen vier Buchstaben gelandet, als ihm ein Paar goldfarbener Augen aus dem Dunkel entgegenblitzt. Doch der Schreck währt nicht lange. Noch merkt er die Handkante in seinem Nacken, da gehen schon die Lichter aus.
 

Katsura, der das Ganze zwar ruhig aber auch teils voll Mitleid für den überrumpelten Jungen beobachtet hatte -soweit man in dieser Finsternis von 'beobachten' sprechen kann- tritt hinter Himura aus der Zelle.

"Manchmal machst du mir Angst, Himura..."

"Warum..?"

"Du hast das Schloss ohne Probleme geknackt"
 

"Was ist dabei...?"

"Diese Dinger sind eigentlich nicht dafür vorgesehen, geknackt zu werden"

"Sollten wir nicht lieber fliehen, statt über unwichtiges zu sprechen?"

"Ja, du hast ganz Recht. Geh bitte vor."

"Wa..?"

"Du erkennst Gefahren weit bevor sie uns treffen."

"Aber.."

"Das ist keine Anregung sondern ein Befehl."

"Hai.."

Eigentlich hatte Katsura nicht so einen barschen Ton anschlagen wollen. Aber um die Sturheit dieses Jungen wissend, sieht er eine Notwendigkeit darin. ~Womöglich bleibt er sonst zurück, damit ich fliehen kann..~, beendet er seinen Gedankengang und folgt dem Rotschopf aus dem Kerker.
 

Entgegen den Erwartungen des Hitokiris stehen allerdings vor dem Kerker keine Wachen, was jedoch erklärt, wie der Knirps zuvor überhaupt hatte reinkommen können! Selbst als er seine Sinne weit ausstreckt, kann er keine versteckten Wachposten entdecken. Eine Falle?

"Katsura-san... wenn es gefährlich wird, halte ich sie auf und Ihr bringt Euch in Sicherheit.", spricht er, als er den Konflikt nicht zu lösen vermag. Der Angesprochene nickt stillschweigend, als Himura sich halb zu ihm umdreht. Er hatte es sich gedacht, hält eine Diskussion jetzt aber für unklug und fügt sich. All das hatte der Rothaarige aus dieser einfachen Bewegung lesen können und gibt sich damit zufrieden. Für's Erste. Er wendet sich wieder um und folgt, dicht an die Wand gepresst, selbiger. Katsura tut es ihm gleich und so pirschen beide voran.

Jede Kurve wird misstrauisch umrundet, immer bereit, in eine der Abteilungen zu laufen oder von einem Wachposten entdeckt und lautstark gemeldet zu werden. Doch die wenigen, denen sie begegnen, sind kaum lang genug wach, um Laut zu geben. Ein gezielter Handkantenschlag ins Genick befördert sie schnell ins Reich der Träume und so gelangen die Flüchtenden bald in Sichtweite des Ausgangs.

Draußen ist es bereits dunkel und niemand scheint mehr wach zu sein, vielleicht ein Grund für den geringen Betrieb. Eine günstige Gelegenheit, welche genutzt wird. Der Hitokiri und sein Kommandant huschen ungesehen nach draußen...
 

"Wo willst du denn hin, Battousai?", erklingt so plötzlich jemandes Stimme aus dem Schatten der großen Außenmauer heraus, dass Himura reflexartig -und vielleicht sogar etwas erschrocken- zurückspringt und Katsura dabei fast umreißt. Fast. Ein wolfsgelbes Paar Augen funkelt aus den Schatten hervor und tritt als Saito Hajime hervor. Ein großgewachsener Kerl mit Schlitzaugen, einem zähnebleckenden Grinsen und in voller blauweißer Uniform tritt auf seine Gegenüber zu.

"Also?"

"..."

"Keine Antwort, Battousai?"

"... ..."

"Es hängt von mir ab, ob ihr weiterkommt oder nicht."

"... ... Du würdest uns doch nichtmal rauslassen, wenn wir dich bezahlen würden.."

"Du kannst einen Hund mit Futter zähmen..."- Hierbei tritt er einen Schritt vorwärts. - "... oder einen Menschen mit Geld..." - Wieder ein Schritt - "... aber niemand kann einen Wolf von Mibu zähmen!"

Der letzte Satz wird nur von dem Klirren seines gezogen werdenden Schwertes begleitet, als er er zum Gatotsu ansetzt, dem Stoß des Fangs, seiner Lieblingstechnik, deren Spitze stets auf den Gegner zielt. Himura schweigt nur, oft hat er schon mit Saito gekämpft und weiß um die zerstörerische Kraft von dessen Attacken. Kaum auf diese Distanz hörbar flüstert er Katsura zu "... es war schön, der Sache gedient zu haben. Habt Dank" und stürmt dann mit einem Kampfschrei auf den Lippen auf den Mibuwolf zu. Katsura, kreidebleich, weiß zunächst nicht, was er tun soll. Dann jedoch gewinnt er seine Fassung wieder und er weiß, was zu tun ist. Und er läuft.



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von:  KaoruKenshin
2013-01-14T22:09:24+00:00 14.01.2013 23:09
ich bin sehr gespannt wie es weiter geht ^______^
bisher klingt es sehr gut^^
Von:  MajinMina
2011-12-04T21:00:38+00:00 04.12.2011 22:00
aha, der Arzt war also doch ein Überläufer, tss...
Mir gefällt, dass duch Hijikata auftreten lässt und nicht die üblichen Verdächtigen der Shinsengumi (Saito, Okita)
Die Szene in dem Kerker war amüsant. Aber erst wirkt es so, als ob beide in einem Raum liegen, dann aber ist Himura doch in einer anderen Zelle... vielleicht am Anfang dieser Szene dies nochmal klarer formulieren.
Wie Hijikata Himura herausfordert und den Dialog dazu fand ich sehr gut.

Insgesamt gefällt mir dein Schreibstil sehr gut, vor allem die humorvollen und bissigen Kommentare, die du den Erzähler immer einfügen lässt. Die Dialoge vor allem lassen die Charaktere richtig lebendig werden und sind sehr unterhaltsam zu lesen.

KLeine Kritik noch am Schluss: Katsura Kogoro und nicht Kazura (das japanische Z wird wie im Deutschen das weiche S gesprochen)

Lg^^ super FF! Bin schon gespannt, wie es weitergeht... sehr selbstlos von Katsura, sich für seinen Hitokiri zu opfern... war es das schlechte Gewissen? Oder hofft er so, noch gerettet zu werden?

Von:  MajinMina
2011-12-04T20:42:33+00:00 04.12.2011 21:42
schönes, rundes kapitel
Der Dialog zwischen dem Arzt und Katsura am Anfang ("Ist er dein Sohn?") war wirklich witzig und sprachlich sehr gut formuliert.
Interessanter Plot, Katsura quasi als Retter seines eigenen Hitokiri auftreten zu lassen. Mir gefällt auch Himura, wie er durch das Gift verwirrt ist, vor allem dann im Gespräch mit Manako, als ihm auffällt, dass er sein Schwert ja gar nicht bei sich trägt. Toll fand ich das "auffällig unauffällige Umsehen" ^^
Vom Charakter her hat mich dieser Manako auch etwas an Izuka erinnert, die respektlose Art, mit der er mit Kenshin spricht...

Sehr schön die Szene, in der Kenshin sein Schwert begutachtet. Man merkt, dass du dich mit Schwertern dieser Art selbst beschäftigt hast, es ist sehr einfühlsa und mit Fachwissen geschrieben, und sehr gut ist der Übergang zwischen diesem intimen Nachsinnen und dem plötzlichen Aufsprung, als der Arzt Himura aufschreckt

an die ~ gedankenstriche hab ich mich auch gewöhnt^^

Am Rande noch, was mich verwirrt hat: Du schreibst im Prolog vom Winter 1864 - meinst du damit den Winter am Ende des Jahres? Ich hab immer so gerechnet, dass Kenshin im frühen Frühling 1465 zu den Ishin zurückkehrt (?)... vielleicht noch einen Monat dazuschreiben? Dann wäre das eindeutiger, denn am Anfang habe ich gedacht, die Geschichte beginnt, als es Tomoe noch gar nicht gab...

Von:  MajinMina
2011-12-04T20:18:25+00:00 04.12.2011 21:18
Huhu^^ Juhu, eine neue Keshin-Fic!! *freu*

So, zum Prolog: Erstmal erfüllt er alle Kriterien, die ein Prolog haben sollte: Gleich mitten ins Geschehen rein, spannend, aber eindeutig, und auch humorvoll geschrieben.
Ein bisschen verwirrend fand ich die Kennzeichnung der Gedanken durch "~", und das alles mit Erzählung und Autorkommentar in einem einzigen Absatz... vielleicht wäre es da besser, einfach mehr Absätze zu machen.

So, jetzt werde ich gespannt weiterlesen...^^
LG, Mina


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