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Das Wunder des Lebens

von

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Häufchen und Haufen

XXIX. Häufchen und Haufen
 

„Justin… das ist…“
 

Craig starrte über die im ganzen Atelier aufgestellten Leinwände und Fotopanele. Sein Sohn stand in einer Ecke und tauchte eine Ladung eingetrockneter Pinsel in Terpentin. Er trug eine abgetragene Jeans voller Farbspritzer und ein abgelegtes Herrenhemd, das von der Größe her eher nach Brian aussah und das er in Kittel-Manier mit der Knopfleiste auf dem Rücken angezogen hatte. Eigentlich sah er nicht viel anders aus als Craig beim Werkeln. Auch der technische Aspekt überzeugte, die Holzstämme waren sauber verarbeitet, das erkannte man auf den Bildern und am Original, das man vom Fenster aus im Garten aufgetürmt liegen sah. Die Leinwände waren exakt auf die Rahmen genagelt.
 

Aber… was war das…?
 

Die Gemälde… eigentlich konnte man nichts erkennen… aber… er hatte ja eigentlich wenig Ahnung von Kunst, doch über Jennifer hatte er doch im Laufe der Jahre einiges mitbekommen… aber…
 

So etwas hatte er noch nie gesehen.
 

Er konnte es überhaupt nicht einordnen, und er war sich sicher, damit nicht allein zu sein.
 

Dennoch musste man sie anstarren.
 

Sie waren wie ein Blick in eine völlig fremde Schöpfung, in der andere Naturgesetze galten, eine andere Zeit, ein anderes Licht, und sie sprachen wortlos… bloß was…?
 

Er bekam es nicht zu fassen.
 

Und die Gemälde sagten ihm, dass es ihnen egal war, dass sie dennoch da seien, unabhängig von ihm.
 

Einige wirkten heiter, einige verspielt, andere hingegen wütend, fast rasend.
 

Und die Fotos… das war, als sei ein fremdes Universum in feindseliger Absicht in ihre Realität hinein diffundiert und habe alles auf den Kopf gestellt. Es gab keine Grenzen mehr zwischen Mensch und Natur, Tag und Nacht, Leben und Tod…
 

War das Brians Körper, der sich da in Einzelteile zerlegt zwischen den Stämmen wiederfand…?
 

Er starrte wieder seinen Sohn an, der weiterhin seine Pinsel sortierte.
 

Justin, freundlich, manchmal mehr als nur etwas bockig, aber dennoch immer…
 

Justin hatte dies Monolithen geschaffen und diese… kalten Alpträume…?
 

Er stand vor einem kompletten Rätsel.
 

Er riss sich zusammen: „Justin… Ich weiß gar nicht…“
 

„Mmm, ja Papa?“ fragte Justin, mit einem Tuch einen eingeweichten Pinsel ausdrückend.
 

„Ich weiß gar nicht…“
 

„Schon gut, Papa, du musst nichts sagen. Das muss niemand, dazu sind sie auch nicht da.“
 

„Ja… aber… sie sind etwas Besonderes“, schloss Craig, dankbar irgendeine halbwegs passende Bezeichnung gefunden zu haben.
 

„Danke Papa. Wollen wir jetzt die Schaukel aufstellen?“
 

„Ja, das sollten wir“, sagte Craig. Die Schaukel war sicherer Grund. Das hier musste er erst mal sacken lassen.
 

Machten Künstler sowas…?
 

Oder hatte Justin in deutlich größerem Maßstab einen abbekommen, als er je geahnt hatte?
 

Aber wenn ja, schien er damit dennoch durchaus Erfolg zu haben.
 

Ob Brian… das hier… kannte?
 

Natürlich, schalt sich Craig, natürlich kannte er die Bilder.
 

Was dachte er darüber?
 

Was sah er in Justin?
 

Die Idee, dass Brian in Justin das niedliche Blondchen sehen könnte, war spätestens nach diesem Atelierbesuch endgültig gestorben.
 

Was war Justin…?
 

Künstler…?
 

Justin legte die Pinsel zur Seite, schnappte sich das Babyfon, Lilly hielt ihr Nickerchen in diesem dekadenten Babybett, das garantiert auf Brians Mist gewachsen war, und lief vor ihm die Treppe hinab.
 

…………………………………………………………………………………………………………………………………………………………….
 

„Papa! Papa! Schau doch! Ein Hund! Da ist ein Hund! Papa!“
 

„Ich seh‘ ihn, Gus…“
 

In der Tat, er sah ihn. Er hatte heute bei Kinnetic früh Schluss machen können, hatte Gus von der Schule abgeholt, dann hatten sie gemeinsam Besorgungen für die geplante Geburtstagsparty, oder vielmehr –partys, gemacht. Der Hauptteil des Caterings lief über Emmet, aber einiges hatten sie selber zu erledigen.
 

Und nun standen sie drei Meter vor der Haustür, vor der, als würde der Laden ihm gehören, mittig ein ziemlich groß geratener Welpe hockte und ihnen entgegen hechelte. Er war angeleint, doch seine Reichweite war üppig genug bemessen gewesen, dass er das Beet mit den Kletterrosen gründlich um buddeln und ein hübsches Häufchen direkt vor die Eingangstreppe hatte setzen können, um das die Fliegen bereits Thanksgiving feierten.
 

Das musste Hektor sein.
 

„Oh, komm her, Hund! Komm her!“ lockte Gus und streckte die Hände aus.
 

„Achtung, tritt da nicht rein“, warnte Brian. Das schippte Schwiegerpapi gefälligst selber weg.
 

Der Hund setzte sich schwanzwedelnd in Bewegung und beschnupperte erst Gus Hände, dann Brians Hosenbein. Wehe, du pinkelst mich an, sonst bekommt das Wort „Hundewurst“ hier gleich eine ganz neue Bedeutung…
 

„Braver Hund!“ lobte Gus in Imitation Spongebobs Umgang mit seiner Schnecke.
 

Der Kläffer freute sich wie blöde und hopste wie ein Techno-Twink auf Crack zu um Gus herum.
 

„Oh Papa! Schau!“ forderte Gus entzückt.
 

„Äh… ja, das ist wohl Hektor, der Hund von Opa Craig…“
 

„Hallo Hektor! Ich bin Gus! Das da ist mein Papa! Du bist ein toller Hund! Ist er zu Besuch, Papa?“
 

Das da… Er war kein „das da“… „Ja!“ meinte Brian. Ja! Der ist bloß zu Besuch!
 

„Toll Hektor! Du musst uns ganz häufig besuchen kommen!“
 

… und uns den ganzen Garten vollkacken, ergänzte Brian gedanklich. Wenn er Justin richtig verstanden hatte, plante dieser Hund sich in eine Kuh zu verwandeln, zumindest was das Format anging. Dann machte er bestimmt keine „Häufchen“ mehr, sondern große, stinkende Haufen…
 

Hoffentlich gab Craig nicht den Löffel ab und vererbte ihnen dieses Monster-Mondkalb, das die Knochen von Wölfen als Zahnstocher benutzen konnte.
 

Als Kind hatte sich Brian immer einen Hund gewünscht. Aber inzwischen konnte er auch gut ohne leben.
 

Er passierte den Hund und sein stinkendes Werk und schloss die Haustür auf.
 

„Und was ist mit Hektor?“ fragte Gus.
 

„Der sitzt da doch ganz gut, hat ein sonniges Plätzchen und hier steht sogar eine Wasserschale für ihn…“
 

„Also mir wäre voll langweilig!“
 

„Du kannst ja bei ihm bleiben, wenn du willst?“
 

„Darf ich seine Leine nehmen? Ich weiß, wie das geht! Ich gehe immer mit Oma Nathalie und Zilly Gassi!“ stellte Gus eifrig klar.
 

Zilly war Nathalie Petersons altersdebiler, inkontinenter Zwergpudel. Aber größer war Hektor auch – noch – nicht.
 

„Meinetwegen. Aber ihr bleibt im Vorgarten, okay?“ erlaubte Brian.
 

„Wieso nicht nach hinten?“
 

„Weil da Opa Craig und Justin was aufbauen, das du noch nicht sehen darfst. Du kannst nachher hallo sagen.“
 

„Ein Geschenk?“ fragte Gus mit großen Augen.
 

„Vielleicht… du neugierige Nase!“
 

Gus grinste. Aber einstweilen war er mit dem pelzigen Häufchenproduzenten beschäftigt. Brian lehnte die Tür an und ging nach oben, um nach Lilly zu sehen.
 

Lilly lag in ihrem Bettchen und studierte ihr Mobile. Es würde nicht lange dauern, bis sie heulend Signal geben würde. Er schnappte sich den Sender des Babyfons und brüllte hinein, damit die im Garten ihn auch richtig verstanden, egal was sie gerade schraubten: „Ich bin bei Lilly und übernehme ab hier!“ Das „Sir“ verkniff er sich.
 

Er legte seine Tochter wieder trocken, dann begab er sich mit einem Fläschchen bewaffnet mit ihr auf die Terrasse. Justin und Craig schienen fast fertig zu sein, am Rande der Rasenfläche zwischen Stall und Tennisplatz erhob sich eine rustikale, handgezimmerte Holzschaukel. An seine eigenen Versuche, gemeinsam mit Lindz Gus‘ erste Schaukel aus dem Baumarkt zu montieren, mochte er bei diesem Vergleich besser gar nicht denken. Für sowas gab es Justin. Und manchmal auch seinen Alten.
 

Lilly nuckelte immer noch genüsslich, als das Taylor-Bauteam fertig wurde. Zu guter Letzt hatten sie das Konstrukt in eine getönte Plastikplane eingeschlagen, dass Gus neugieriger Blick nichts erahnen konnte.
 

Justin kam verschwitzt zu ihm herüber und gab ihm, wie immer in Gegenwart seines Vaters, einen möglichst lauten Begrüßungskuss. Er trug eines von Brians abgelegten Armani-Hemden falsch herum, was ihn wie aus der Gummizelle entfleucht aussehen ließ.
 

„Hallo Brian.“
 

„Hallo Justin – Craig.“
 

„Hallo.“
 

„Tolle Schaukel.“
 

„Ja, danke.“
 

„Wo ist Gus?“
 

„Nimmt mit dem trojanischen Prinzen zusammen den Vorgarten auseinander.“ Wahrscheinlich war Hektor genauso behaart wie das Original.
 

„Ich hol ihn mal. Bier, Papa?“
 

„Ja, eins kann ich.“
 

„Brian?“
 

„Ach ja, muss ja auch Vorteile geben, wenn man nicht stillt…“
 

„Gleich wieder da.“
 

„Justin hat mir seine Bilder gezeigt…“
 

„Aha.“
 

„Was… was ist das…?“
 

„Kunst…?“
 

„Ich habe ja auch schon so manches gesehen, aber…“
 

„Ich weiß.“
 

„Und…?“
 

„Und… keine Ahnung. Das ist so. Das macht er. Das kann er. Mathematiker ergründen das Rationale. Philosophen manchmal auch. Er macht das Gegenteil. Zu was macht ihn das? Es gibt kein warum.“
 

„Das ist schwer zu begreifen.“
 

„Kann man auch gar nicht. Man kann es nur sehen und irgendwie… fühlen. Aber es ist nichts Sprachliches.“
 

„Ich sehe nur ihn… und dann diese Bilder.“
 

„So geht es den meisten. Auch mir manchmal noch.“
 

Craig schüttelte verhalten den Kopf, wie um seine Gedanken wieder in Ordnung zu ruckeln.
 

„Hallo Opa Craig!“ Gus und Hektor kamen um die Ecke getobt.
 

„Hallo Gus.“
 

„Dein Hund ist toll, Opa Craig!“
 

„Ja… Ich habe ihn ganz neu, er ist noch ganz klein.“
 

„Er ist größer als Oma Nathalies Zilly?“
 

„Das ist ein irischer Wolfshund, Gus, das sind die größten Hunde der Welt.“
 

„Oh…? Echt? Wie groß wird der denn?“
 

„Wie eine Pyramide aus zwanzig Dackeln?“ schlug Brian hilfreich vor. Gus machte riesige Augen.
 

„Was… echt…?“
 

„Nein, Gus… Nicht so groß. Aber wenn er ausgewachsen wäre, könnte er dir wahrscheinlich direkt ins Gesicht sehen.“
 

Gus staunte. „Das ist aber groß!“ meinte er. „Dann musst du aber vor niemandem mehr Angst haben, wenn Hektor auf dich aufpasst!“
 

„Nein, das wohl nicht“, lächelte Craig und zeigte dabei eine gewisse Ähnlichkeit zu Justin.
 

Keine Angst… bis darauf, dass einen das Viehzeug im Schlaf mit einem Happs verschluckt, weil es einen so lieb hat, dachte Brian. Hektor hatte sich vor ihm aufgebaut und versuchte ihn mit Kulleraugen und Schwanzgewedel einzuwickeln. Brian biss die Zähne zusammen und nickte ihm hoheitsvoll zu, ging aber nicht das Risiko ein sich, sich von dem überdimensionierten Fellbrocken die nächste Zecke zu fangen. Eine pro Jahr reichte völlig.
 

Gus hatte derweil die verhüllte Schaukel erspäht. „Was ist das?“ fragte er neugierig und zeigte mit dem Finger darauf.
 

„Oh… das ist eine Überraschung“, antwortete Craig.
 

„Was denn?“ bohrte Gus.
 

„Wenn wir dir das verraten würden, wäre es wohl keine mehr, Gus“, meinte Justin, der mit dem Bier zurück kam.
 

Gus zog ein enttäuschtes Gesicht. „Ja…“, sagte er gedehnt, aber wenig überzeugt.
 

Sie blieben noch eine Weile sitzen, während Gus und Hektor sich gegenseitig ins Halbkoma wetzten. Justin fragte seinen Vater zu irgendwelchen abartigen Handwerks-Techniken aus, Brian ließ die Gedanken schweifen. Die Party… das ganze Haus voller Kinder… oh weh… Gott sei Dank hatten sich Jennifer und Molly als Hilfstruppen angeboten, ansonsten würde er schwarz sehen. Er hatte zwar schon jede Menge Partys geschmissen, aber die waren nur sehr bedingt für Grundschüler geeignet gewesen.
 

Ob sich auch alle brav über die Einladungen freuten?
 

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Jim Stockwell stöhnte innerlich tief auf.
 

Wie war das gewesen… Bolzenschussgerät…?
 

Er starrte auf die kleine Karte, die Jimmy ihm triumphierend überreicht hatte.
 

Lieber Jimmy!
 

Ich lade Dich herzlich zu meiner Geburtstagsfeier am Sonnabend, dem 3. September ein. Komme doch bitte um drei Uhr zu mir nach Hause. Ich freue mich!
 

Dein Gus!
 

Die Karte war in der geschwungenen Handschrift eines Erwachsenen geschrieben, die Jims gutes Gedächtnis für solche Details sofort als Kinneys identifizierte. Nur die Namen waren in einer krakeligen Kinderhandschrift gehalten. Wie er aus erster Hand wusste, waren sie mit dem Schreiben in der Schule noch nicht so weit, dass der Junge den ganzen Text alleine hätte schreiben können.
 

Was blieb ihm?
 

Den Taylor-Kinneys das Ding um die Ohren hauen?
 

Sie hatten ihm vor jedermanns Nase den Weg ins Bürgermeisteramt geebnet, was würden die Leute denken?
 

Jimmy einfach nicht hin lassen?
 

Alle würden schief gucken, ob er etwas gegen Schwule habe und ihn für einen intoleranten Affen halten.
 

Behaupten, dass Jimmy krank sei?
 

Verdächtig, außerdem würde Jimmy garantiert das Gegenteil in der Schule raus posaunen, was ihn wieder dastehen ließ wie einen verlogenen Idioten.
 

„Und, Papa, darf ich hin?!“ wollte Jimmy wissen.
 

Jim schluckte und zwang sich dazu zu lächeln: „Okay, Jimmy…“
 

„Juhu!“ jubelte sein Sohn. Dann fragte er: „Zankst du dich nicht mehr mit Gus‘ Papa?“
 

„Alles gut“, seufzte Jim. „Aber deine Mutter bringt dich und holt dich ab.“
 

Er hatte nun wirklich keine Lust auf ein Glas Früchtepunsch serviert von den Hausherren persönlich.
 

Aber was blieb ihm?
 

Was für ein Haufen Scheiße.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2012-07-18T12:21:37+00:00 18.07.2012 14:21
Du schreibst echt wunderbar!!! Ich bin süüüüchtig!
Gehts denn noch weiter? :(
Von:  brandzess
2012-04-20T20:24:09+00:00 20.04.2012 22:24
Auf die Kinderparty freu ich mich jetzt schon wie blöde! :DDDD
Brian inmitten zahlloser schreiender Kinder, Partyspielen wie: Topfschlagen, Blinde Kuh, Schokolade auspacken oder Verstecken... und genauso vieler neugieriger Eltern die sein Anwesen bestaunen als wäre es Versailles xDDDDDD *lach*
Alleine der Gedanke daran ist göttlich!

Und Craigs Bild von Justin hat sich wohl ein für alle Male geändert! Aber ist verständlich, man sieht diesen jungen, fröhlichen BLondschopf mit den wahnsinnig blauen Augen und dann diese Bilder und denkt sich 'Nie im Leben hat der unschuldige Bursche das da gemacht!!!'^^
Aber jetzt hat er wenigstens verstanden, dass Brian in Justin nicht das junge ("trophäen") Blondchen sieht.

Und Stockwell ist ja sowas von am Arsch *breit grins* er hat recht, egal was er mach um Jimmy davin abzuhalten, er steht scheiße da! *lach* xD Dann wälzt man das unangenehme eben auf die Frau ab, typisch!

Ich bin mal total gespannt und freu mich schon tierisch auf Gus Kindergeburtstag *hehe* :DDDDDDD
ggvlg brandzess ♥


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