Bis zum Ende
Blass, fast gräulich war seine Haut, die sich über Knochen und vernachlässigte Muskeln spannten.
Sein ganzer Körper war haarlos. Nicht mal die kleinsten Härchen waren zu entdecken. Und so dürr. Er sah aus, wie ein Skelett, der jeden Moment zusammenbrechen könnte. Wie ein Skelett, einem lebenden, gesunden Menschen ähnelte er kaum. Sein Gesicht verstärkte diese Erscheinung. Sein Gesicht mit den schlitzförmigen Nasenlöchern, so ähnlich der einer Schlange. Die Augen, wenn geöffnet, leuchteten ein finsteres, blutiges Rot, und der lippenlose Mund, aus dem die dunkelsten Flüche entwichen...
Er war eine unheimliche Erscheinung. Ein mächtiges Wesen. Zweiundsiebzig Jahre waren nicht viel in der magischen Welt, doch er sah aus wie der Tod selbst. So still, wie er auf dem schwarzen Bettlaken lag. Wäre da nicht das sanfte Auf und Absenken der Brust, so hätte man meinen können, der dunkelste aller Zauberer sei tot. Endlich gestorben. Nach all den Jahren der Grausamkeiten, wäre jedes Lebewesen bei diesen Gedanken erfreut gewesen. Nur war er nicht, wie jedes dieser Lebewesen. Er liebte diesen Mann, der keinem normalen Menschen ähnelte. Er wünschte ihm nicht den Tod, obwohl dieses tödliche Wesen schon so vieles von ihm genommen hatte. So vieles. Fast alles.
Harry strich sanft über die nackte Brust des Dunklen Lords. Seine Finger fuhren die Erhebungen der Rippen nach bis sie über das langsam pochende Herz weilten. Es erstaunte ihn immer wieder, zu fühlen, dass das dunkle Monster neben ihm, noch ein Herz besaß. Nach all den Jahren, in der es sich zerrissen und neu zusammen gefügt hatte, um die Unsterblichkeit zu erfahren. Harry legte sein Kopf auf jene Brust und lauschte gespannt.
Der Körper unter ihm bewegte sich und eine lange, knochige Hand strich durch sein wildes Haar. Er sah auf und seine grünen Augen begegneten die roten Schlitze des dunklen Zauberers. Sie sahen sich wortlos an, beide in ihrer eigenen Gedankenwelt gefangen und doch immer wissend, was der andere dachte, denn Harry besaß einen Seelenanteil von Voldemort. Ein Horkrux und Harry war die schützende Hülle.
„Sei mein“, flüsterte der Dunkle Lord. Ein leises Zischeln verbarg sich in seinem Ton. Harry sah ihn verwundert an. Sie wussten beide, dass er, der Hoffnungsträger der magischen Welt, niemals seine Freunde verraten würde. Die letzten Überlebenden, die ihm noch nicht genommen wurden.
„Sei mein und du wirst leben“, setzte der Dunkle Lord fort. Seine linke Hand strich unbewusst eine Strähne aus Harrys Gesicht und entblößte die Narbe, die Verbindung des Horkruxes mit Voldemort. „Deine Freunde auch.“
Harry schloss die Augen, sich dem forschenden Blick seines Bettpartners bewusst. Bettpartner. Wie das schon klang. Er, Harry Potter, hatte mit einem Mann das Bett geteilt. Einem, der in der Seele zweiundsiebzig Jahre alt war, dessen Hülle nun seit drei Jahren bestand, aber äußerlich einer Leiche glich. Ein Mann, der das Monster Voldemort erschuf. Und hier lag er, in Gedanken versunken, als hätte er eine schwere Entscheidung zu fällen. Dabei hatte er seine Entscheidung schon längst gefällt. Dennoch kamen ihm Ideen. Kleine 'Was wäre wenn's. Er öffnete die Augen.
„Du kennst meine Antwort“, sagte Harry schließlich und begegnete die roten Augen Voldemorts erneut mit seinen eigenen. Und wieder einmal herrschte Stille.
„Dann werden wir uns gegenüber stehen“, zischte der Dunkle Lord sanft in der Sprache der Schlangen. „Wie es vorherbestimmt wurde.“
Harry lächelte traurig und doch fühlte er sich seltsam leicht. Als hätte man ihm eine unbekannte Last genommen.
„Bis zum Ende. Zusammen...“