Zum Inhalt der Seite

Frühlingsgefühle

Rote Blumen sind die schönsten
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Spätes Erblühen

›Sprachlosigkeit‹ war nicht ansatzweise ausdrucksstark genug, um das Gefühl zu beschreiben, das der Frühling (und auch seine Brüder) bei Shizuos Flucht aus Izayas Wohnung empfunden hatte. Dass die beiden gewiss nicht dazu übergehen würden, nach all den Jahren voller Verachtung und Blutdurst plötzlich seinen Erwartungen zu entsprechen, war ihm klar gewesen.

Aber dass es dermaßen in diese Richtung ausarten würde, hatte nicht einmal er für möglich gehalten.
 

Seit ihrer Begegnung war knapp eine Woche vergangen, Shizuo aber war es viel länger vorgekommen. Jede Stunde, Minute, Sekunde, einfach jeder Moment, in dem er sich nicht ablenken konnte und so zwangsläufig über das Geschehene nachdenken musste, streckte sich, dehnte sich furchtbar weit aus und drohte ihn beizeiten zu verschlingen.

Er war unkonzentriert, wenngleich es auch für manche so schien, als wäre er ausgeglichener. Auf seinen Streifzügen mit Tom kam es weniger häufig vor, dass er gewalttätig wurde und nach einem Wurfgeschoss griff. Dafür funkelte er ihre Klienten öfter an, drohte ihnen mehr, als dass er wirklich etwas unternahm.

Tom begrüßte die Veränderung, machte sie doch seine Arbeit ein wenig angenehmer und weniger schädlich für seinen (und Shizuos ohnehin angeknacksten) Ruf. Für seinen Partner aber waren diese Tagen wie ein endloser Gang durch die Hölle, die regiert wurden von Schlafmangel, Appetitlosigkeit und Apathie. Er war sogar soweit gegangen ein altes Fotoalbum aus seiner Schulzeit hervorzukramen, um mit einem Foto von Izaya (natürlich nicht nur von ihm allein, das wäre ja noch schöner) zu üben, über was er bei ihrem nächsten Treffen mit ihm reden wollte.

Gesetzt den Fall, dass sie sich wieder trafen. Bisher hatte Shizuo keinerlei Lust verspürt, Izaya wieder zu sehen, geschweige denn, ihn quer durch Ikebukuro zu jagen. Da war keine Mordlust mehr, keine abgrundtiefe Verachtung, ja nicht einmal mehr Hass. Selbst seine Wut war verschwunden, und an die Stelle all dieser Gefühle war Unsicherheit getreten.

Dafür konnte er jedoch nicht Izaya, sondern nur sich selbst verantwortlich machen.

Und irgendwann fand Shizuo sich dann in der Seitengasse wieder, in der alles seinen Anfang genommen hatte. Anfangs hatte er dies für keine gute Idee gehalten, aber nachdem er sich eingehend mit Celty beraten hatte, war es ihr gelungen, ihn doch noch davon zu überzeugen. Sie hatte etwas gesagt von ›Konfrontation‹ und ›Quelle bislang ungekannter Gefühle‹, was zwar alles sehr überzeugend geklungen hatte, sich aber nun, da er sich tatsächlich an der besagten ›Quelle‹ befand, wie der letzte Humbug anhörte.

Als ob sich etwas an seiner Verwirrtheit ändern würde, nur, weil er wieder hierher kam.

Etwas weiter hinter ihm, am Anfang der Gasse, versuchte Izaya mit allen Mitteln, ein verräterisches Lachen zu unterdrücken. Die letzten Tage hatten einmal mehr unter Beweis gestellt, was für ein großartiger Stalker er doch war. Weder Shizuo, noch Celty, noch irgendjemand anderes hatte bemerkt, wie er dem jungen Mann gefolgt war. Wäre sein Ego nicht ohnehin schon immens, hätte sich das spätestens jetzt eingestellt.

Relativ früh hatte er gemerkt, welche Richtung Shizuo eingeschlagen hatte, und ein kleiner Teil von ihm freute sich wahnsinnig darüber. Es war auch dieser Teil, der dafür sorgte, dass er wie ein verliebtes Schulmädchen kicherte und ein hohes ›Aww, wie süß; er kommt hierher, um nachzudenken‹ murmelte.
 

Derweil warteten die vier Jahreszeiten gespannt auf das, was noch passieren würde. Auch der Sommer, Herbst und Winter kannten die beiden mittlerweile ganz gut – der Herbst war sogar schon so weit gegangen zu behaupten, dass die beiden vor seinen gefärbten Baumkronen ein zauberhaftes Pärchen abgeben würden – und bestanden darauf zu wissen, was sich als nächstes zwischen den beiden abspielen würde.

Keiner wusste, was Izaya geplant hatte. Doch selbst der Winter hoffte, dass keiner der beiden unbedacht handeln und alles ruinieren würde.
 

Tief in Gedanken versunken stand Shizuo vor der Wand, an der er vor fast einer Woche gelehnt hatte. Die Hände, tief in seinen Hosentaschen versunken, spielten abwesend mit Feuerzeug und Zigarettenschachtel, aber nachdem er schon eine vor Betreten der Gasse geraucht hatte, wollte er nicht schon wieder zum Nikotin greifen.

Wäre er damals stärker gewesen, wäre es alles nicht so weit gekommen. Dann hätte Izaya ihn nicht mit zu sich nach Hause genommen, hätte er nicht in dessen Bett schlafen müssen, wären bestimmte Geheimnisse nicht ans Licht gekommen. Sie hätten weitermachen können wie bisher – zwei Fronten, die sich hassten, die immer wieder aufeinander treffen mussten, wie Wellen ans Ufer schwappen mussten.

Jetzt stand er hier, allein, den Blick hinter den Gläsern seiner Brille starr auf die blutbefleckte Wand gerichtet. Früher hätte ihn das nicht weiter gestört, weder die Tatsache, dass er sein eigenes Blut sah, noch, dass er allein war. Mittlerweile jedoch, und die Schuld dafür trug Izaya, hatte er stets das Gefühl, etwas würde sich hinter seinem Rücken abspielen.

Man hatte ihm einen Teil seiner Sicherheit genommen. Natürlich wusste er immer noch um seine Stärke, hatte bei weitem keine Angst. Und doch begegnete er seinem Umfeld im Alltag mit noch mehr Misstrauen als zuvor.

Was, genauer betrachtet, eine unglaubliche Ironie aufwies.

Er war derjenige, den die intelligenten Bewohner Ikebukuros mieden. Sie alle sollten ihm mit Misstrauen gegenüber stehen, und nicht umgekehrt. Bedächtig nahm er seine Brille ab und verstaute sie in seiner Weste, musste leise auflachen.

»Du hast wirklich eine Menge Blut verloren. Darüber sollte man nicht lachen.«

Sein Herz setzte mindestens drei Schläge aus. Hastig wirbelte er herum, musste mit eigenen Augen sehen, was seine Ohren ihm verrieten. Obwohl alles in ihm schrie, dass hinter ihm nur eine einzige Person stehen konnte, hoffte er darauf, einen Bewohner Ikebukuro zu sehen, der Izayas Stimme lediglich perfekt nachahmen konnte.

Natürlich war dem nicht so.

Sowie er sich dem Neuankömmling vollkommen zugedreht hatte, schloss er kurz die Augen, verfluchte alle höheren Instanzen, die ihm auf die Schnelle einfielen. Vor ihm stand kein geringerer als Orihara Izaya, nur anstatt des üblichen Grinsens trug er ein wehmütiges Lächeln, welches Shizuo mehr irritierte, als er zugeben würde.

»Sei froh, dass du das überlebt hast, Shizuo.«

Irgendwas an der Art, wie Izaya vor ihm stand – die Arme vor der Brust verschränkt, die Augenbrauen zusammengezogen, der Blick um einiges unsicherer als sonst – machte ihm Angst. Nicht, weil von ihm eine Bedrohung ausging, sondern weil ein derartiges Verhalten schrecklich falsch an ihm wirkte, einfach unpassend.

Er musste zugeben, sich Sorgen um ihn zu machen. Sorgen um Izaya, um sein Wohlergehen und darum, dass die letzten Tage an ihm genauso Spuren hinterlassen hatten. Allein daran ließ sich erkennen, wie sehr Shizuos Denkweise sich verändert hatte.

Ebenso beunruhigte ihn, dass Izaya ihn bei seinem richtigen Namen genannt hatte. Eigentlich nicht mehr als eine alltägliche Banalität, doch aus seinem Mund klang er so viel anders als bei den anderen. Tom sprach seinen Namen meist begleitet von einem Seufzer aus, mit einem tadelnden Unterton, wenn er mal wieder zu weit gegangen war. Simon klang immer freundlich, aufmunternd, und sprach mit einer einladenden Wärme. Kasukas Stimme war stets ruhig, ein wenig sorgenvoll.

Izayas Ton hingegen war facettenreicher als ein fein geschliffener Diamant.

War seine Stimme sonst immer voller Selbstbewusstsein, voll Arroganz und Überheblichkeit, demonstrierte er den Menschen um sich herum sonst immer, wie überlegen er ihnen doch war, wie viel mehr er wusste, so schwang momentan nur Erleichterung in ihr mit. Erleichterung, ehrliche Dankbarkeit, der klägliche Versuch, ihre momentane Situation nicht peinlicher werden zu lassen, als sie eh schon war, und Unsicherheit. Schwere, bedrückende Unsicherheit, die ihn kleiner und schmaler machte, als er war.

Schlimm genug, dass Shizuo nicht das geringste Verlangen verspürte, auf ihn loszugehen, jetzt wo er sich so schutzlos vor ihn stellte. Darüber hinaus tat Izaya ihm leid; etwas, das er niemals für möglich gehalten hatte.

Wahrscheinlich ließ er deswegen zu, dass sein von nun an wohl ehemaliger Erzfeind einige Schritte auf ihn zuging. Ließ zu, dass dieser erstaunt näher kam, als er keinerlei Feindseligkeit bemerkte. Und Shizuo ließ auch zu, dass Izaya wenige Zentimeter vor ihm stehen blieb, seine schmalen Hände auf seine breiten Schultern legte und den Kopf gegen seine Brust lehnte.

Um sie herum war es still geworden, eine willkommene Ruhe, die sie beide brauchten, bis:

»Wieso hast du mich gerettet?«

Eine Frage, die ihn niemals losgelassen hatte, denn er wollte nicht glauben, dass er damals in Izayas Wohnung die richtige Antwort erhalten hatte. Der Angesprochene jedenfalls ließ sich viel Zeit, schien nicht genug Mut aufzubringen – oder kannte die Antwort vielleicht selbst nicht, wollte sie nicht wahrhaben.

Vorsichtig glitten seine Hände tiefer, bis sie links und rechts neben seinem Kopf auf Shizuos Brust ruhten, die sich mit jeder Sekunde ein wenig schneller hob und senkte. Dann begann er zu lachen, wehmütig und kaum vernehmbar.

»Das sagte ich doch bereits«, seine Finger krallten sich in Shizuos Hemd, »damit ich weiterhin Spaß mit dir haben kann...«

›Weil ich dich liebe, Idiot.‹

Weitere Augenblicke verstrichen in absoluter Stille, während Shizuo abwog, ob ihn diese Antwort zufrieden stellte oder nicht. Die ungewohnte Nähe brachte ihn aus dem Konzept, erschwerte sein Denken, verhinderte einen zusammenhängenden Gedankenfluss.

Was er jedoch wusste, war, dass er diese Nähe, jede Sekunde davon, genoss.

Vielleicht war es nicht nötig, mit Worten zu antworten. Darin war Shizuo eh nie gut gewesen, wählte er doch meist die falschen Worte in seiner Unfähigkeit, Gedanken und Gefühle auszudrücken. Zögernd, beinahe ängstlich, hob er seine rechte Hand, ließ sie einige Momente unschlüssig über Izayas Kopf verweilen, bis er sie schließlich auf denselben legte und ihn leicht gegen sich drückte.

Leise kichernd sah Izaya auf. »Immer noch kein Meister der Worte, hmm?« Neckend piekste er Shizuo in die Wange, worauf dieser nur lächelte. Er war froh, dass der andere verstand. Dass er wohl der einzige war, der sein Handeln schon immer hatte verstehen und nachvollziehen können. Eigentlich selbstverständlich, wenn man sich über so viele Jahre hinweg intensiv mit einer Person befasste, die Gefühle mit allen erdenklichen Mitteln aus ihr herauskitzelte. Auch Shizuo konnte Izayas Handeln verstehen, wenn er sich denn Mühe gab und versuchte, darüber nachzudenken, anstatt blindlings loszurennen.

Deswegen störte es ihn nicht, als Izaya mit einer Hand die Konturen seines Gesichts nachzog, sich unsicher auf die Zehenspitzen stellte; als er sich seinen Lippen langsam, ganz langsam mit den eigenen näherte und quälend lange Sekunden so verweilte; denn Shizuo verstand.

Bewies es dem anderen dadurch, dass er den letzten Schritt wagte, über all seine Schatten und Bedenken hinweg sprang und Izaya küsste.

Die beiden waren schrecklich unbeholfen, verunsichert und vorsichtig. Wie sollte es nach Jahren voller Hass und Gewalt auch anders sein? Leicht benebelt von der neuen Erfahrung wagte Izaya, in den Kuss hineinzugrinsen und die Augen kurz zu öffnen. Shizuo hielt seine fest geschlossen, wirkte ziemlich angestrengt und darauf bedacht, bloß nichts falsch zu machen.

Für beide war der Moment viel zu schnell verflogen, als sie den Kuss lösten. Shizuos Blick war leicht glasig, während Izaya lediglich ein breites, zufriedenes Grinsen auf den Lippen trug und seinen Kopf wieder auf Shizuos Brust legte.

Auf einmal packte dieser Izaya am Arm und zog ihn eilig hinter sich her, vermied dabei allerdings jeglichen Augenkontakt. Der andere folgte widerstandslos, wenngleich er die Stirn in Falten legte und ein verwirrtes ›Was ist?‹ murmelte.

Shizuo wiederum schienen seine Gründe ziemlich peinlich zu sein; er räusperte sich und verlangsamte seine Schritte. »In dieser gammeligen Straße ist es irgendwie nicht...«, auf der Suche nach dem richtigen Wort haderte er mit sich selbst, ehe er schließlich ergeben seufzte, »nicht romantisch.«

Hätte er Shizuo in diesem Moment nicht auf verquere Art und Weise ziemlich niedlich gefunden (und irgendwas musste in seinem Kopf schrecklich falsch laufen, wenn er Ikebukuros Dämon als ›niedlich‹ bezeichnete), hätte Izaya wohl gelacht.

Stattdessen befreite er sich aus Shizuos Griff – sehr zu dessen Unmut –, nahm ihn aber in der gleichen Bewegung bei der Hand und drückte diese sanft. Während Shizuos Wangen sich minimal rot färbten, lachte Izaya nur kurz, übernahm die Führung und schleifte Shizuo fröhlich hinter sich her.

»Du hältst es ja auch für romantisch, mich mit Getränkeautomaten, Mülleimern und Plastikelefanten zu bewerfen.«



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (6)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Agust_D
2014-04-13T10:02:31+00:00 13.04.2014 12:02
So niedlich die beiden ^3^
Von:  Hikaru-Chan
2012-07-14T11:37:42+00:00 14.07.2012 13:37
Herrlich, einfach nur herrlich! Ich bin dabei die Kapitel nochmals zu lesen, da es gestern schon ziemlich spät war und muss feststellen, dass es mir wirklich gefällt und ich nicht im halb wachem Zustand vor dem Pc gesessen und mir mein Gefallen an der FF nur so eingebildet hab *haha*
Jedenfalls kann ich nur wieder betonen wie gut du die Charaktere getroffen hast und mich das sehr positiv überrascht hat :)
Ich find die FF einfach super :D

lg
Hikaru

Von:  ShizuKokonose
2011-08-08T12:02:47+00:00 08.08.2011 14:02
Das ist echt süß gewesen!
Habs schon längst durchgelesen, aber vergessen Kommi zu geben xD]
Echt zu niedlich
Herrgoott ich liebe die 2 hahaxD!
Tolle FF!! *___*
Von:  Umimugi
2011-08-06T21:36:19+00:00 06.08.2011 23:36
Ahw, das Ende ist wirklich total süß und knuddelig!
Aber gehts vielleicht noch weiter? Irgendwie, ich meine, die beiden müssen sich doch erst noch richtig aneinander raufen, oder? *lach*

Ich LIEBE es, wenn du Izayas Art udn Weise beschreibst,w ie er so vorsichtig und alles ist und dann so unsicher...und dann eben, dass er keine Feindseligkeit von Shizou ausgehen merkt und alles, das ist wundervoll beschrieben. Ebenso der Satz "Weil ich dich liebe, Idiot", den er sich denkt, aber nicht aussprechen kann :D
Auch die nonverbale Art und Weise zwischen den Beiden ist wunderbar.

Ich mag deinen Schreibstil sehr sehr gerne!
Mach weiter so! X3

Grüße Mugi
Von: abgemeldet
2011-07-31T23:07:39+00:00 01.08.2011 01:07
:3
supertolles ende
die beiden gehören einfach zusammen
danke fürs schreiben, vielleicht liest man sich ja mal wieder

grüße misu-ichigo
Von:  Bloody_princess
2011-07-29T17:57:48+00:00 29.07.2011 19:57
Das Ende ist sowas von süß! <3
Echt ne tolle Geschichte! ♥


Zurück