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Exitium

von

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Prolog

~Prolog~
 

Die Nacht hatte schon lange ihren schwarz-blauen Schleier über die Wüstenstadt Morroc gelegt und die karge Landschaft lag trostlos und tot im kalten Mondlicht.

Ein reges Nachtleben suchte man hier vergebens. Nur ab und zu sah man eine vermummte Gestalt zwischen den einfachen Hütten entlang schleichen. Zwielichtige Typen gab es in dieser Gegend zu genüge. Eher seltene Gäste hingegen waren Gottesfürchtige. Doch ein einsamer High Priest hatte sich zu seinem Verhängnis in diese gottlose Einöde verirrt. Seine Motive unbekannt, doch ihn schien nichts Gutes zu erwarten.

Sein Atem ging schnell, als er sich im Eilschritt seinen Weg durch die schlecht gepflasterten Straßen der Wüstenstadt bahnte. Immer wieder warf er einen hastigen Blick hinter sich, die Augen voll Panik weit aufgerissen. Doch zu sehen war nichts – nur die Dunkelheit der Nacht.

Planlos und gehetzt floh der Gottesdiener vor der unsichtbaren Bedrohung, von seinen Füßen blind getragen. Das Laufen auf dem feinen Sand bereitete ihm jedoch sichtliche Probleme. Immer wieder verlor er das Gleichgewicht und seine Beine brachen unter ihm weg. Seine Hände gruben sich in den dreckigen Sand, als er sich bereits deutlich geschwächt wieder auf die Beine hievte.

Der Priester war schmutzig, verschwitzt und erschöpft. Doch er durfte seiner Schwäche nicht nachgeben. Nein. Er musste weiter, immer weiter. Eine andere Chance hatte er nicht.

Ein Haus nach dem anderen ließ er ungeachtet hinter sich. Einfach vorwärts, immer vorwärts. Wohin – egal! Hauptsache weiter und weiter.

Wie lange war er jetzt schon wie ein Tier auf der Flucht? Er wusste es nicht und es war ihm auch egal. Das Phantom, welches ihn jagte, würde keine Gnade kennen, egal wie lange er sich auch quälen würde. Die Aussichtslosigkeit seiner Lage wurde ihm mit jedem Schritt seiner schmerzenden Füße mehr und mehr bewusst.

‚Gib auf‘, kam es ihm immer wieder in den Sinn.

‚Gib dich geschlagen! ‘

‚Geh‘ endlich in die Knie!‘

Ja. Es war vorbei. Er resignierte vor dem unvermeidlichen Schicksal.

Kraftlos sank der High Priest in sich zusammen. Auf allen Vieren, keuchend, sich der grausamen Tatsache bewusst, dass sein junges Leben hier und jetzt ein jähes Ende finden würde. Kalter Angstschweiß stand ihm in Perlen auf der Stirn, sodass sein schneeweißes, vom Sand verdrecktes Haar strähnig darauf kleben blieb. Innerhalb von Sekunden schien jegliche Kraft aus seinem Körper gewichen zu sein. Die Lider wurden ihm schwer und mit verschleiertem Blick wandte er sich um, um zum ersten und letzten Mal das Antlitz seines erbarmungslosen Peinigers zu erblicken.

Es war ein schauderhaftes Schauspiel. Wie aus den Schatten selbst geboren, baute sich eine schwarze Gestalt unmittelbar hinter dem Priester auf. Kaum einer war solch einer Bestie je begegnet und hatte überlebt, um über sie zu berichten, dennoch kannte jeder in Rune Midgard diese Uniform.

Assassine Cross.

Das Gesicht des Mörders war bis zur Hälfte von einem zerschlissenen Tuch bedeckt, das keinerlei Regungen in selbigem erkennen ließ. So rot, als sei es im Blut der bisherigen Opfer des Assassines getränkt worden. Nur das kaum sichtbare, gleichmäßige Heben und Senken seines Brustkorbes verriet seine völlige Ruhe. Dass sich zu seinen Füßen ein Mensch in Todesangst wandt, rührte den routinierten Killer in keiner Weise. Verächtlich blickte er mit seinen rubinroten Augen auf den am Boden knienden High Priest herab.

„Bitte…“, erhob der Priester mit letzter Kraft zitternd seine Stimme, „bitte, hab‘ Gnade…“

Verzweifelt suchte er auch nur einen Funken Mitleid im stechenden Blick des Assassines, doch er fand nur Gleichgültigkeit. Sein ganzer Körper blieb regungslos. Nur eine kurz aufgekommene Brise brachte sein langes schwarzes Haar zum Wehen. Majestätisch und bedrohlich thronte der Mörder über dem Geistlichen, aus dessen Gesicht jede Farbe gewichen war.

So sehr der Assassine auch das Leid seiner Opfer genoss, so hatte er doch keine Zeit sich noch länger in Genugtuung zu baden. Der Priester war auf seiner Flucht doch unerwartet ausdauernd gewesen und so hatte ihr kleines Katz und Maus Spiel mehr Zeit als geplant verschlungen. Bald würde die Sonne wieder über Morroc brennen und ihn seiner Deckung berauben.

„Wie wär’s mit einem letzten Stoßgebet, du Narr Gottes?“ Die tiefe Stimme des Assassines klang voller Hohn in den Ohren des Priesters. Doch er tat nicht der gleichen. Er wollte nur noch, dass es vorbei war. Wieso quälte er ihn so? Diese bangen Minuten zogen sich voller Grausamkeit ewig hin. Der Assassine ließ ein missgünstiges Schnauben vernehmen, als der Priester seiner spöttischen Aufforderung nicht nachkam.

„Wie du meinst…“ Ohne ein weiteres Wort zückte er sein Katar. Die perfekt geschliffenen Klingen glänzten unheilvoll im letzten Schein des Mondes.

Dann ging alles ganz schnell.

Ein peitschendes Geräusch, als sein Katar durch die Luft schnitt; ein berstender Knochen – Stille.

Der Angriff des Assassines war schnell, präzise und absolut tödlich. Weder die zusammengekauerte Leiche des Priesters, noch seine blutüberströmte Waffe lösten im Mörder Ekel oder gar Reue aus.

Es war sein Job. Ein Job, den er zutiefst hasste und den er trotzdem bis zur Perfektion beherrschte.

Ein grausames Schicksal.

Er selbst hatte sich schon vor Jahren mit diesem Fluch abgefunden. Jeder neue Mord stellte nur einen weiteren erfüllten Auftrag für ihn dar. Doch heute war es damit noch nicht getan.

Er beugte sich zu dem leblosen Körper herab und beäugte noch einmal sein Werk. Eindringlich musterte der Assassine das fein verzierte Hohepriestergewand und lies seine Hand über den Stoff gleiten. Selbst durch das robuste Leder seiner Handschuhe spürte er, wie weich und geschmeidig die Robe war. Doch er hatte für diese Kleidung nichts als ein abschätziges Lachen übrig. Die Kirche predigt Bescheidenheit, stattet aber gleichzeitig ihre Vertreter mit derart wertvollen Stoffen aus. In den Augen des Assassine Cross verdiente solche Falschheit nichts anderes als den Tod.

Wortlos nahm er das Priestergewand schließlich an sich. Zwar war es unbeschädigt doch über und über mit Blut, Sand und Dreck. Doch daran störte er sich nur wenig.

Nachdem er hatte was er wollte, wandte er sich vom kalten Körper des Priesters ab. Er blinzelte kurz gen Sonne, welche sich bereits ihren Weg am Horizont bahnte und die Nacht zum Weichen zwang.

Die Sonne verhieß für ihn nur selten etwas Gutes. Er musste fort, und zwar schnell.

Fast tonlos formten seine Lippen ein Wort und nahezu zeitgleich verschwand der Assassine wieder in den Schatten und entzog sich jedem menschlichem Blick.

Zurück blieb nur sein grausiges Werk.

Kapitel I

Ab hier werden einige kleinere und größere Änderungen im Vergleich zum Doujinshi auftreten. Dinge, die ich dort einfach vergessen oder nicht deutlich genug heraus gearbeitet hatte.

Wünsche viel Spaß beim Lesen^^
 

~ Kapitel I ~
 

Noch bevor die Sonne richtig am Himmel stand und den neuen Morgen einläutete, war der Assassine Cross in das Hauptgebäude der Gilde zurückgekehrt.

Das im Herzen der Sograt Desert gelegene Gebäude ragte majestätisch in die Höhe. Schon zahllose Kämpfer und junge Assassine Anwärter haben im unendlichen Sandmeer den Tod gefunden. Selbst wer die zahlreichen mordlustigen Monster abwimmeln kann, verliert nicht selten die Orientierung oder auch den Verstand unter der brennenden Sonne Morrocs. Für den heimkehrenden Profikiller stellte dies jedoch schon seit Jahren kein Problem mehr dar. Soweit er sich zurückerinnern kann, lebte er schon immer in den sandigen Weiten und kannte diese wie seine Westentasche. Überraschungen gab es hier für ihn keine mehr.

Leichten Schrittes erklomm er die zahlreichen Stufen zum Eingang des Gildengebäudes. Aus allen Ecken funkelten ihn kampfbereite Monster an. Zwar waren sie selbst in ihrer Aggressivität nicht so dumm sich auf einen Kampf mit dem Assassinen einzulassen, doch der Geruch des Blutes an seiner Waffe und dem Priestergewand muss sie angelockt haben. Doch der Assassine verschwendete keinen Blick an sie.

Auf einem kleinen Plateau vor dem Eingang fixierte ein Wachposten den Ankommenden. Blitzschnell griff er nach einem kleinen Dolch, jede Sekunde bereit zuzustechen. Beim Anblick seines Verbündeten ließ er jedoch ebenso schnell wieder davon ab. Die beiden nickten sich wortlos zu und die Wache schien wieder einen Ort irgendwo in der Ferne zu fixieren.

Die Wände des Hauptgebäudes waren kalt und leer. Die fensterlosen Gänge, von denen einer wie der andere aussah, wurden nur durch einige Fackeln in ein schauriges orange-rotes Licht gehüllt. Ein Laie hätte sich schon nach kurzem hoffnungslos verlaufen, doch der Assassine bahnte sich mühelos seinen Weg durch die identischen Flure.

„Haseo!“

Blitzschnell fuhr der Assassine Cross herum, als er seinen Namen hörte, sodass sein langes schwarzes Haar, welches straff zusammengebunden war, gegen seine Wange schlug. Er kannte diese Stimme und ihr Klang ließ ihn erahnen, dass ihm gleich eine Standpauke drohte, die sich gewaschen hat. Nur wenige Meter von ihm entfernt stand eine junge Frau. In ihrem Gesicht spiegelte sich Ärger und Besorgnis gleichzeitig wider. „Du bist spät!“ Haseo erwiderte nichts. Er sah die Rothaarige nur stumm an, als sie noch einige Schritte auf ihn zu kam und nun unmittelbar vor ihm stand. Ihre großen blauen Augen musterten Haseo von oben bis unten und schienen ihn für unversehrt zu befinden. Ihre Lippen formten ein erleichtertes Lächeln.

Was auch immer Haseo ihr bedeutete, es muss viel gewesen sein.

Doch er schien diese Gefühle nicht zu teilen. Haseos Gesicht blieb regungslos, wie immer.

„Hier.“ Völlig selbstverständlich streckte Haseo der Frau die Robe des High Priest entgegen. Erst jetzt bemerke sie, dass die Robe völlig verdreckt war und ihr eben noch so freundliches Gesicht verzog sich zu einer ungläubigen Grimasse. „Wie zum Henker soll ich das bis morgen rauskriegen?! Wie soll ich das überhaupt rauskriegen?!“ Ihre laute, aufgebrachte Stimme hallte an den leeren Wänden des Gangs wider. Haseo ließ dieser Ausbruch jedoch wie gewohnt kalt. Wenn er Gefühle hatte, verstand er es ausgesprochen gut diese zu verstecken. „Das ist nicht mein Problem.“, erwiderte er nur kalt und drehte ihr den Rücken zu.

Er wollte gerade gehen, als er unsanft zum Bleiben gezwungen wurde. Die nun sichtlich verärgerte Frau hatte das verschlissene Tuch um seinen Hals zu greifen bekommen und schnitt ihm so nicht nur den Weg sondern auch die Luft ab. Reflexartig stieß Haseo seinem vermeintlichen Angreifer unsanft den Ellenbogen in den Magen, um sich zu befreien. Die junge Frau riss die Augen auf und rang nach Luft, als sie einige Schritte nach hinten taumelte. Für einen kurzen Moment wurde ihr schwarz vor Augen. Als sie wieder klar sehen konnte blickte sie genau in Haseos wütendes Gesicht. Erst jetzt wurde ihr bewusst wie fatal ihr Handeln gewesen war. Sie kannte seine Grausamkeit zu genüge und nun hatte sie den Zorn des ruchlosen Mörders auf sich gezogen. Entschuldigungen würden nichts nützen und so konnte sie nur ängstlich der Dinge harren, die da kommen mögen.

Mit ungeheurer Geschwindigkeit ergriff Haseo ihren Arm, schleuderte sie gegen die Wand und nagelte sie dort fest. Sein Griff war brutal und erbarmungslos und sie spürte, wie sich das Blut in ihrem Arm staute. Sie hatte Angst, er würde ihn brechen. Die Schmerzen die sie im Arm und Magen hatte waren kaum zu ertragen, dennoch wagte sie es nicht auch nur einen Ton von sich zu geben. Angestrengt presste sie die Lippen zusammen und hoffte, dass seine Wut bald abklingen und er von ihr ablassen würde. Doch Haseo würde solche Dreistigkeit einer Rangniederen nicht ungestraft hinnehmen.

„Rika…“ Haseos Stimme klang bedrohlich und ließ Rika vor Angst erzittern. Fast schon panisch kniff sie die Augen zusammen und versuchte einfach auszuharren, was ihr nicht gerade leicht fiel, als sie Haseos Wange an ihrer spürte. Nur der Stoff seines Schals trennte sie noch. Ein unangenehmer Schauer durchfuhr Rikas Körper, als Haseo direkt neben ihrem Ohr wieder die Stimme erhob: „Vergiss niemals deine Stellung und mit wem du es zu tun hast…“

Er ließ Rika los und entfernte sich einen Schritt von ihr. Im Gegenzug sah er ihr jetzt mit einem mörderischen Blick genau in die Augen.

„Merk es dir…oder leb mit den Konsequenzen!“

Ohne ein weiteres Wort drehte er ihr den Rücken zu und verschwand in einem Seitengang. Rikas Beine waren wie aus Gummi und boten ihr keinerlei Halt mehr. Völlig kraftlos sank sie an der Wand zu Boden. Sie vergrub das Gesicht in ihren Händen, nicht wissend, ob sie weinen oder lachen soll, schließlich war sie erstaunlich glimpflich davon gekommen. Außer einem rot-blauen Abdruck am Arm hatte sie keinen wirklichen Schaden genommen. Doch ihre Nerven hatten gelitten.

Sie kannte Haseo schon ihr Leben lang und er war schon immer etwas schwierig und ein Einzelgänger gewesen, aber dass er ein derartiger Misanthrop geworden ist, wird sie niemals begreifen können.

Vielleicht wollte sie es auch einfach nicht begreifen. Sie wollte nur den Haseo wieder haben, den sie von früher kannte – vor diesem Vorfall.

Je mehr sie darüber nachdachte desto näher kam sie den Tränen. Sie hatte sich geschworen stark zu sein, für Haseo, für sich selbst, doch sie wusste nicht, wie lange sie diese Scharade noch durchstehen würde. Weinen konnte Rika nur heimlich doch diese Chancen nutzte sie in letzter immer öfter. All ihr Schmerz, ihre Trauer und Verluste brachen aus ihr heraus. Wie das leibhaftige Elend kauerte sie am Boden, das Gesicht hinter beiden Händen verborgen. Der Strom ihrer Tränen schien nicht abreißen zu wollen. Es war ihr egal, dass sie mitten in einem Flur saß, wo sie jeder hätte sehen können. Es war ihr auch egal, wenn sie jemand gesehen hätte. Sie konnte nicht mehr vorgeben etwas zu sein, was sie nicht ist. Zu lange schon hat sie sich selbst verleugnet.

Es musste sich etwas ändern.

Sie musste etwas ändern.

Seufzend doch mit einem neuen Entschluss wischte sich Rika die Tränen aus dem Gesicht und raffte sich auf. Sie würde Haseo wieder zu dem machen, der er war und nicht, was diese Gilde aus ihm gemacht hat. Sie musste nur noch ein bisschen länger durchhalten. Noch ein bisschen länger ihre Fassade aufrecht erhalten.

Dann wird alles wieder gut!

Dann wird alles wieder gut…?
 

„Das ist so demütigend…“

Haseos schlechte Laune am nächsten Tag war im gesamten Gildengebäude zu spüren und schien wie Smog in der Luft zu hängen. „Ach was, ich find’s süß!“, scherzte Rika, die pedantisch an Haseo herum zupfte und versuchte seiner Verkleidung den letzten Schliff zu verpassen.

Haseo hatte einen enorm wichtigen Auftrag von der Gilde erhalten. Heute würde in der Prontera Chivalry eine Versammlung der Knight Gilde und derer Verbündeten abgehalten werden. Es heißt, sie planen einen nahezu apokalyptischen Schlag gegen die Assassine und Rogue Gilden. Zwar handelt es sich bei diesen Aussagen nur um Gerüchte, dennoch darf die Gilde eine derart große Bedrohung nicht unbeachtet lassen. Von der Rogue Gilde war keine Hilfe zu erwarten, da diese die Assassinen von je her fürchteten und mieden. Sie mussten also alleine damit fertig werden und dafür brauchten sie Informationen. So viele und so detailliert wie möglich.

Dass Haseo dafür auserkoren wurde überraschte niemanden. Selbst innerhalb der Gilde hatte er den Ruf besonders rational, routiniert und gefühlskalt zu sein. Egal also, was für Grausamkeiten er während der Versammlung wohlmöglich hören würde, er würde sich nie zu einer unüberlegten von Emotionen gelenkten Tat verleiten lassen. Doch dafür musste er auch seine Mörderkluft gegen die seidige Priesterrobe eintauschen, was ihm sichtliches Unbehagen bereitete. Wie durch ein Wunder war es Rika gelungen die Robe wieder in schönstem Weiß erstrahlen zu lassen. Doch die dunklen Ringe unter ihren Augen verrieten, dass es wohl eher harte Arbeit und eine durchwachte Nacht waren.

„So, fertig!“

Rika positionierte sich einige Schritte vor Haseo, um ihr Werk in voller Pracht bewundern zu können. Haseo versuchte währenddessen krampfhaft seine Scham zu verbergen und wich ihrem Blick vehement aus. Der Anblick, der sich hier bot, war ungewohnt, nahezu verwirrend, und doch so faszinierend. Der geschmeidige weiße Stoff umspielte fließend Haseos schlanken Körper. Seine schmale Taille, seine langen Beine; plötzlich schien er so zerbrechlich zu sein. So sanft und friedlich. Es war wohl doch wahr, dass Kleider Leute machen.

Er war kaum wieder zu erkennen. Seine ganze Ausstrahlung hatte sich verändert. All die Wut und Aggressionen, die er sonst regelrecht versprühte, schienen versiegt zu sein. Sein langes Haar, welches er heute auf Rikas Empfehlung hin offen trug, verschleierte sein Gesicht und ließ nur ab und zu einen verstohlenen, schüchternen Blick durchscheinen. Es muss eine Ewigkeit her gewesen sein, dass Rika solch humane Emotionen in Haseo finden konnte. Es war, als ob der Haseo, den sie einst kannte, für einen kurzen Moment wieder an die Oberfläche gedrungen war. Sie hatte nie aufgehört an das Gute in ihm zu glauben. Vielleicht würde dieser Tag endlich die Wende in seinen Leben bringen, auf die sie schon so lange hoffte und wartete. Rika bat inständig dafür.

„Bist du fertig…?“, fragte Haseo vorsichtig. Der nervöse Unterton in seiner Stimme ließ deutlich vermerken, dass er eigentlich kein ‚Ja‘ hören wollte. Haseo wusste, dass dieser Auftrag mit keinem seiner bisherigen vergleichbar war und das ungute Gefühl, das wie ein Stein in seinem Magen lag, verstärkte sich zunehmend. Das Schicksal aller Assassinen könnte von seinem heuten Erfolg oder auch Misserfolg abhängen. Fehler waren inakzeptabel. Die Last, die auf Haseos Schultern ruhte, war kaum zu ertragen, doch die Gilde setzte großes Vertrauen in ihn und war sich sicher, wenn er es nicht schafft, dann keiner. Haseo war sich dessen nur zu gut bewusst. Sein Blick fiel nun stumpf und leer auf den Boden und schien trüb und ohne Glanz zu sein.

„Haseo…“ Rika hasste es ihn so zu sehen. Behutsam legte sie ihm eine Hand auf die Schulter und sah ihm tief in die Augen. „Du schaffst das. Alle hier glauben an dich.“, sie hielt kurz inne und legte ihre andere Hand auf ihr Herz, „Ich glaube an dich!“ Ihre Lippen formten ein verständnisvolles Lächeln, dass selbst Haseo nicht entging. Ein Teil seiner Last schien von ihm abzufallen oder wenigstens leichter zu werden. Auch er war nur ein Mensch. Auch er brauchte in schweren Zeiten mentalen Beistand, so ungerne er sich das auch eingestand. Haseo seufzte laut und ging einige Schritte auf und ab.

„Ich muss los…oder?“ Rika nickte tonlos. Haseo ließ erneut einen Seufzer vernehmen und fuhr sich durchs Haar. Seine Füße schienen keinen weiteren Schritt mehr machen zu wollen doch er wusste, dass er keine Wahl hatte. Nahezu mechanisch näherte er sich dem Ausgang des dunklen Gebäudes. Die gleißende Wüstensonne blendete ihn, als er hinaus trat.

„Haseo!“ Rikas Stimme klang aufgeregt. Haseo drehte sich zu ihr um und warf ihr einen fragenden Blick zu. Ihr Mund war leicht geöffnet, so, als wollte sie etwas sagen doch schließlich schloss sie ihn wortlos wieder und schüttelte nur kurz den Kopf. „Es ist nichts, entschuldige…“ Haseo warf ihr einen verwirrten Blick zu doch hakte nicht weiter nach.

Schnellen Schrittes ließ er die Gilde hinter sich. Rika blickte ihm noch lange nach, bis er schließlich außer Sichtweite war. „Haseo…pass auf dich auf, bitte…“
 

Der Weg nach Morroc war schnell und problemlos zurückgelegt. Wenn es einen Weg gab, den Haseo in uns auswendig kannte, dann diesen. Im Stadtzentrum wechselten einige Zeny den Besitzer und die freundliche Kafra Angestellte öffnete Haseo ein Portal nach Prontera. Als sich das Portal tosend vor ihm öffnete kam Haseo noch ein letztes Mal der Gedanke einfach umzukehren. Doch er hatte eine Mission. Aufgeben war keine Option, das würde sein Stolz ihm niemals erlauben. Mit festem Blick trat er in das Portal und wusste, es gab kein Zurück.

Kaum in Prontera angekommen bereute Haseo seine Entscheidung schon wieder. Das Portal transportiere ihn direkt auf eine von Händlern übersäte Straße. Die Merchants und alles was aus ihnen werden konnte reihte sich Schulter an Schulter an und auf der Straße. Dazwischen tummelten sich allerhand Käufer, Abenteurer und Reisende jeder Klasse. Für die meisten Menschen wahrscheinlich ein wahres Spektakel für den menschenscheuen Haseo die reinste Hölle und er begann sich zu fragen, ob das wohl die Strafe für seine bisherigen Verfehlungen war. Doch er war sich sicher, dass selbst er solch eine Folter nicht verdient hatte.

Seine Laune sank auf einen neuen Tiefstwert, als er sich mit Händen und Füßen durch die Mengen kämpfte, ungeachtet all jener, die missmutig raunten, als er sie unsanft aus seinem Weg schob. Doch es war ihm völlig egal. Er wollte nur einfach hier weg, irgendwohin wo er wenigstens ein bisschen Raum zum Durchatmen und Neuorientieren hatte. Es schien aussichtslos. Weit und breit waren nur Menschen, Menschen und nochmals Menschen zu sehen. Haseo war sich jetzt sicher zu wissen, wie sich Sardinen in der Dose fühlen.

‚Das ist doch alles Scheiße…‘ Einen positiven Gedanken konnte Haseo jetzt unmöglich fassen. Erst recht, da eine Gruppe Händler hinter ihm plötzlich in Aufruhr geriet und aufgebracht durcheinander rief. Bis zum Äußersten gereizt drehte sich Haseo wie in Zeitlupe zu den Störenfrieden um, um ihnen die Leviten zu lesen, als er plötzlich realisierte, was da auf ihn zu kam. Die Menschenmenge vor seinen Augen spaltete sich zu beiden Seiten, als ein scheinbar wildgewordenes Peco Peco durch die Masse stürzte. Der völlig hilflose Lord Knight auf dem Rücken des Tieres schien keinerlei Kontrolle über den Laufvogel zu haben und taumelte schwankend hin und her. Während die Menschen ringsherum fluchtartig das Weite suchten blieb Haseo wie angewurzelt stehen. Seine Füße wollten sich keinen Millimeter bewegen.

Unaufhaltsam stürmte das Peco auf ihn zu. Immer näher und näher. Reflexartig verschränkte Haseo die Arme vor dem Gesicht, um den bevorstehenden Schaden wenigstens zu minimieren. Die Sekunden bis zum Zusammenstoß zogen sich zäh dahin. Haseo rechnete jeden Augenblick damit, seinen Herzschlag in jeder Faser seines Körpers spürend. Das Unaufhaltsame erwartend hielt er den Atem an.

Dann die Kollision – blieb aus.

Es dauerte einige Momente bis Haseo realisierte was eben passiert, oder eben nicht passiert war. Erst das laute Gemurmel der umher Stehenden holte ihn in das Hier und Jetzt zurück. Vorsichtig senkte er seine Arme und öffnete die Augen. Erschrocken wich er einige Schritte zurück. Der große orangefarbene Laufvogel war nur wenige Zentimeter vor ihm zum Stehen gekommen. Der Reiter war durch das abrupte Bremsen beinahe vorne über gefallen, konnte sich jedoch noch im Sattel halten. Er wirkte benommen, aber wohlauf. Der Lord Knight schüttelte kurz den Kopf und warf dann sein langes dunkelblaues Haar in den Nacken. Ob es von dem wenig angenehmen Ritt so zerwühlt oder dies der Normalzustand war, würde wohl vorerst ungeklärt bleiben. Haseo war das jedoch auch herzlichst egal.

In ihm tobte eine seltsame Mischung aus Wut und Erleichterung. Er wollte gerade seinem Ärger Luft machen und zu wüsten Beschimpfungen ansetzen, als ihm der Lord Knight zuvor kam: „Hey, das tut mir wirklich leid! Ist bei dir alles in Ordnung?“ Obwohl seine Stimme gehetzt klang, barg sie eine ungeahnte Wärme und Aufrichtigkeit, ähnlich einem Kind, dass einfach sagt was es denkt. Ungläubig musste Haseo feststellen, wie sich seine Wut von selbst verflüchtigte. Er verstand es selbst nicht. Irgendetwas an diesem Mann brachte seinen Verstand in Aufruhr und ließ dennoch seine Seele zur Ruhe kommen. Die Begegnung mit dem Fremden fühlte sich so vertraut an, dass es schon fast unheimlich war. So verwirrt konnte Haseo nichts anderes tun, als den Lord Knight unentwegt anzustarren.

Er wollte sich erinnern. Er fühlte, dass da etwas war. Eine Verbindung, eine gemeinsame Vergangenheit. Doch seine Erinnerungen blieben schwarz. Schon seit Jahren. Egal wie sehr Haseo es auch versuchte, nichts aus seiner Vergangenheit wollte sich ihm offenbaren. Auch nicht warum ihn dieser Mann so vollkommen vereinnahmte. Eben jenes Objekt der Begierde kletterte derweil ein ziemlich unbeholfen von seinem Reittier. Obwohl er ein wenig anmutiges Bild darbot, konnte Haseo den Blick nicht abwenden.

„Ist dir wirklich nichts passiert?“, erkundigte sich der Lord Knight erneut, als er unmittelbar vor Haseo stand. Der Knight war kaum größer als Haseo und somit auf Augenhöhe. Seine hellgrünen Augen blickten besorgt zwischen dem langen Pony hindurch und Haseo erwischte sich selbst dabei, wie er bei diesem Anblick kurz schwach wurde. Einfach alles an diesem Mann bewegte etwas in ihm und dafür hasste Haseo den Fremden schon jetzt.

Er hasste ihn dafür, dass er ihn in aller Öffentlichkeit so bloß gestellt hatte.

Er hasste ihn dafür, dass er sich um ihn kümmerte wie um ein kleines Kind.

Und vor allem hasste er ihn dafür, dass er all diese Gefühle in ihm auslöste, die er nicht verstehen oder auch nur zuordnen konnte.

Angestrengt wandte Haseo den Blick auf den Boden in der Hoffnung sein Gegenüber würde von all dem was in ihm vorging nichts mitbekommen. So stark er auch auf dem Schlachtfeld war, so unbeholfen und verletzlich war Haseo letzen Endes bei zwischenmenschlichen Kontakten. Der Lord Knight jedoch schien genau da seine Stärken zu haben. „Tut dir irgendetwas weh? Du guckst so gequält.“ Obwohl der Lord Knight älter als Haseo zu sein schien, klang seine Stimme selbst in solch einer Situation jung und versprühte jugendliche Leichtigkeit. Haseo hatte für all das nur ein müdes Lächeln übrig. Ja, er quälte sich, doch er verstand es selbst nicht, was ihm solches Leid bereitete.

„Nicht gerade gesprächig, was?“, verunsichert legte der Fremde den Kopf schief. Sein Verhalten erinnerte an einen Hund, der seinen Kopf nach links und rechts neigte, wenn er versuchte etwas zu verstehen. Doch Haseo blieb stumm.

Der Lord Knight verzog das Gesicht zu einer nachdenklichen Grimasse, als ob das Überlegen ihm Schmerzen bereiten würde. Haseo war fest davon überzeugt, dass es auch tatsächlich so war. Völlig unerwartet schlug der Fremde seine rechte Faust in die linke Handfläche, als ob ihm ein Geistesblitz gekommen wäre, was Haseo unwillkürlich zusammen zucken ließ. Sein nachdenkliches Gesicht wurde zu einem breiten Lächeln. „Du kriegst eine kleine Entschädigung von mir, ok?“ Haseo wusste nicht, was er darunter verstehen sollte. Die beste Entschädigung wäre gewesen, wenn der Fremde einfach wieder genauso plötzlich aus seinem Leben verschwinden würde, wie er gekommen war. Doch Haseo war sich leider ziemlich sicher, dass es sich um etwas anderes handelte.

Der Lord Knight zwinkerte ihm neckisch zu, als er ihm die Hände auf die Schultern legte und Haseo mit sanfter Gewalt zu sich heran zog. Wie vom Schlag getroffen realisierte Haseo, was der andere vor hatte, doch wirklich glauben konnte er es nicht. Je näher ihm der Lord Knight kam, desto größer wurde Haseos Bedürfnis ihn gewaltsam von seinem Vorhaben abzuhalten. Zwei Männer, einer davon auch noch er selbst, vor den Augen dutzender Schaulustiger, das konnte er nicht zulassen.

Geistesgegenwärtig stieß Haseo den Knight brutal von sich und musste sich beherrschen, nicht noch weiter auf den taumelnden Mann loszugehen. Wut breitete sich wie Gift in seinem ganzen Körper aus und verdunkelte seine Gedanken.

„Was fällt dir ein, du elender…!“ Doch Haseo konnte seinen Satz nicht mehr beenden, als er ein leises Lachen von seinem Opfer vernahm. „Du kannst ja doch reden!“, freute sich der Lord Knight breit grinsend. Haseo traute seinen Augen und Ohren nicht. Dieser Kerl schien durch und durch eine unerschütterliche Frohnatur zu sein. Ein weiterer Fakt, der Haseo einfach nur zuwider war. Dieser Mann schien alles zu vereinen, was Haseo in Rage versetzte, und doch empfand er keine Abneigung gegen ihn, was Haseo innerlich toben ließ vor Wut. Seine Mauer, die er so mühsam all die Jahre aufgebaut hat, begann mit einem Schlag zu bröckeln.

Das konnte er nicht zulassen.

Mit vor Wut funkelnden Augen nahm Haseo sein Gegenüber scharf ins Visier. Das Lächeln das Lord Knights erstarb schlagartig und er musste schwer schlucken. „Wage es nie wieder, mir auch nur noch einmal unter die Augen zu treten! Wenn doch…gnade dir Gott!“ Haseos aggressiver Ton schnitt wie eine Klinge durch die Luft und ließ alles um sich herum vor Kälte erstarren. Für einen kurzen Moment schien vollkommene Stille um Haseo und den Lord Knight zu herrschen. Schnaubend drehte Haseo ihm den Rücken zu und stürzte davon.

Sein Eilschritt brachte die leichte Priesterrobe zum Wehen aus deren Tasche ein Briefumschlag fiel. Auf dem Papier prangte das Wappen der Prontera Chivalry. Der Lord Knight erkannte dieses Zeichen sofort. Ohne zu zögern hob er den Umschlag auf und versuchte Haseo zur Rückkehr zu bewegen. „Warte doch! Hey! Das hier wirst du brauchen, wenn du zu der Versammlung willst!“ Haseo erstarrte auf der Stelle. Dass er eine Mission hatte, war ihm über all diesen Trubel völlig entfallen. Das war ihm noch nie passiert. Noch nie zuvor hatte er sein Ziel aus den Augen verloren. Haseo verstand nicht, was um Himmelswillen mit ihm los war und er war zutiefst erschüttert. Dass seine ungewollte neue Bekanntschaft sich bereits wieder den Weg zu ihm gebahnt hatte, entging ihm völlig.

„Du bist doch auch auf dem Weg zu der Versammlung heute, nicht wahr?“ Haseo war viel zu betroffen über seine eigene Verfehlung, als dass er wirklich realisierte, was er gerade tat und so bejahte er diese Frage mit einem stummen Nicken. Diese Antwort brachte dem Lord Knight prompt sein sonniges Lächeln wieder und Haseo begann langsam wieder in die Realität zurück zu kehren und ahnte voll Schrecken, welche Frage als nächstes folgen würde. „Klasse, ich wollte auch gerade dorthin. Wollen wir nicht zusammen gehen?“ Die heitere Stimme des Lord Knights ließ Haseo schauern. Dass er ihm vor wenigen Augenblicken noch gedroht hatte, schien der Ritter vergessen oder verdrängt zu haben. Ob es nun Naivität oder einfach Dummheit war, vermochte Haseo nicht zu sagen. Er wollte schon zu einem harschen >Nein! < ansetzen, doch etwas ließ ihn zögern. Zwar hatte der tollpatschige Lord Knight bis jetzt nur Chaos verursacht, doch vielleicht war auch er es, der Haseos Mission doch noch zu Erfolg verhelfen konnte. Mit einem Mitglied der Chivalry an seiner Seite war die Wahrscheinlichkeit, dass seine Scharade auffällt wesentlich geringer. Außerdem musste sich Haseo widerwillig eingestehen, dass er die Orientierung in dieser ihm ohnehin nahezu unbekannten Stadt verloren hatte. Dieser ungeschickte Kerl könnte ihm also noch durchaus von Nutzen sein.

Haseo seufzte schwer, als er kleinlaut die Antwort gab, vor der es ihm graute: „Ok…“ Mit einem Mal strahlte der Lord Knight über das ganze Gesicht und schien vor Freude platzen zu wollen, was Haseo fast schon beängstigend fand.

Mit einem breiten Grinsen überreichte ihm der Lord Knight seine Einladung und nahm die Zügel seines Peco Pecos, welches bis jetzt brav und geduldig gewartet hatte. Immer noch seufzend wollte sich Haseo allmählich auf den Weg machen, als er plötzlich merkte, dass jemand von hinten seine rechte Hand ergriff. Als er herumfuhr lächelte ihn der Lord Knight, sich keiner Schuld bewusst, an. „Ist nur eine kleine Sicherheitsmaßnahme damit du mir nicht gleich wieder wegrennst.“ Obwohl gewitzelt konnte Haseo einen deutlichen ernsten Unterton heraushören. Dennoch fand er es mehr als entwürdigend und wollte sich losreißen, doch der Griff des anderen war unerwartet stark und duldete so leicht kein Entkommen. Scheinbar war er doch nicht der idiotische Kindskopf für den Haseo ihn bis jetzt gehalten hatte. Unter dieser Fassade schien ein durchaus erwachsener, rational denkender Mann zu schlummer, der dass, was er wollte, nicht so einfach gehen ließ.

>Er will mich? <

Erschrocken von seinen eigenen Ideen verwarf Haseo diesen Gedanken so schnell wieder wie er gekommen war. Es war völlig absurd, dass dieser Fremde irgendetwas in Haseo sah. Haseo fand es allgemein abwegig, dass ihn jemand mögen oder auch nur sympathisch finden könnte. Wer keine Liebe gibt, wird auch keine zurück bekommen, das wusste er nur zu gut und hatte gelernt sich damit abzufinden.

In seinem Kopf schwirrten tausend Gedanken und Haseo wurde müde vom vielen Nachdenken über Dinge, die ihm noch nie zuvor in den Sinn gekommen waren. Kraft- und widerstandlos ließ er schließlich seine Hand sinken und nahm es hin, dass dieser Fremde sie hielt. Ein Fremder, ja, doch wieso verflog dieses vertraute Gefühl einfach nicht? Besagtem Fremden schien Haseos aufgewühltes Wesen nicht entgangen zu sein und er legte fragend die Stirn in Falten, Allerdings konnte er diesen Zustand nicht allzu lange durchhalten und kehrte schnell zu seinem gewohnt freundlichen Lächeln zurück.

„Hmm, du hast mir bis jetzt nicht mal deinen Namen verraten.“ Haseo empfand dies als Hohn, schließlich war bis jetzt weder der richtige Zeitpunkt gewesen, noch hatte er ihn gefragt. Doch aus irgendeinem Grund konnte Haseo dem naiven Lord Knight einfach nicht wirklich böse sein und so erwiderte er kurz: „Haseo…“ Der Lord Knight stockte und er sah Haseo mit großen Augen an.

„Was hast du denn?“ Der Ritter lächelte beklommen bei dieser Frage. Er schluckte schwer: „Ich hatte mal einen Freund…der auch so hieß.“ Seine Augen füllten sich mit Traurigkeit. Sogleich es Haseo für gewöhnlich widerstrebte sich in das Leben anderer einzumischen, so hatte dies doch sein Interesse geweckt. Kann es sein, dass es wirklich eine Verbindung zwischen ihnen gibt? Haseos Erinnerungen mögen vernebelt sein, doch vielleicht erinnerte sich der Fremde. Haseo war sich sicher, dass dieses Gefühl, diese Vertrautheit, kein Zufall war. Er musste es einfach wissen, er musste nachhaken.

„Was ist mit ihm passiert?“ Der Lord Knight schien geahnt zu haben, dass diese Frage unausweichlich gewesen war und so kam seine Antwort zwar schnell, aber voller Trauer: „Er ist tot…glaube ich zumindest.“ Haseo musste stutzen. „Du…glaubst?“ Der Knight nickte. „Ich war erst seit kurzem Knight, als sein Dorf angegriffen wurde…ich konnte ihm nicht helfen…sie haben ihn einfach verschleppt.“ Die Emotionen in seiner Stimme waren überwältigend. Haseo spürte, dass ihm dieser Junge unglaublich viel bedeutet haben musste. Und aus irgendeinem Grund fühlte er sich ihm plötzlich noch näher. Unwissentlich umschloss Haseos Hand nun auch die des Lord Knights. Dieser sah ein wenig überrascht nach unten, doch lächelte dann wieder sanft. Auch er schien diese besondere Bindung zwischen ihnen zu spüren und für einen kurzen Moment schienen ihre Herzen im Gleichklang zu schlagen.

„Doch sag mal Haseo, mein Name interessiert dich wohl gar nicht.“ Es war offensichtlich, dass er das

Thema wechseln wollte. Zwar schwirrten in Haseos Kopf noch unendlich viele Fragen, doch er merkte, dass dies nicht der richtige Augenblick war und so fragte auch er den anderen nach seinem Namen. Der Knight schien erleichtert zu sein, dass Haseo nicht weiter auf seine schmerzlichen Erinnerungen einging und seine Laune stieg sichtlich.

„Zey“, sagte er mit einem Lächeln, „mein Name ist Zey.“

>Zey<

Haseo musste stutzen. Ihm war, als ob er diesen Namen kannte. Doch vielleicht spielte sein Verstand ihm auch nur einen Streich, weil er so händeringend nach Anhaltspunkten zu seiner Vergangenheit suchte. Was tatsächlich der Wirklichkeit entsprach konnte er nicht mit Gewissheit sagen, doch er war sich sicher, dass er diesen Namen so oder so jetzt nie wieder vergessen konnte oder wollte. So etwas hatte er noch nie empfunden doch es schien als würde sein Verstand ihm ohnehin nicht mehr gehorchen.

>Zey<

Doch je öfter sich Haseo diesen Namen wieder ins Gedächtnis rief, desto sicherer war er sich, dass er ihm noch viel Ärger bereiten würde.

Kapitel II

~ Kapitel II ~
 

Zey hatte Haseos Hand schon vor dem Erreichen der Chivalry wieder freigegeben. Die Blicke, die die Leute auf der Straße den Beiden zugeworfen hatten, bereiteten Haseo sichtliches Unbehagen und so hatte er ihn widerwillig losgelassen. Doch seine neugierigen Blicke konnte Zey nicht verbergen. Immer wieder lugte er verstohlen zu Haseo herüber und musterte ihn durchdringend.

>Kann es wirklich sein…?<

Zey hatte die Hoffnung nie aufgegeben, doch wirklich glauben, konnte er nicht mehr daran. Doch Haseo war seinem Freund so ähnlich. Einfach alles, sein Aussehen, seine ganze Art, ja selbst sein Alter schienen perfekt zu passen. Konnte es so etwas geben? Hatte er, nein, sie beide, eine zweite Chance bekommen? Zey wusste es nicht, doch er wollte es mit allen Mitteln herausfinden. Sollte Fortuna ihm tatsächlich solch ein Geschenk gemacht haben, würde Zey es mit beiden Händen packen und nie wieder gehen lassen.

Er lächelte glücklich.

Haseo kam dabei unwillkürlich der Gedanke, ob dieser Kerl denn niemals des Lächelns überdrüssig wurde. Doch noch viel mehr musste sich Haseo über sich selbst wundern. Ohne dass es ihm bewusst war, beherrschte Zey seit ihrem kleinen Unfall vollkommen seine Gedanken. Solang er sich zurück erinnern konnte, was leider nicht all zu weit war, hatte Haseo noch nie so viel über eine Person nachgedacht. Doch Gegensätze ziehen sich ja bekanntermaßen an. Wenn man es so betrachtete, grenzte es an ein Wunder, dass die beiden nicht aneinander kleben blieben.

Was wohl gerade in Zeys Kopf vorging? Doch als Haseo den dauergrinsenden Lord Knight so betrachtete überkam ihn die Vermutung, dass im Kopf seines Gegenübers wohl meistens gähnende Leere herrschte, oder er sich einfach viel einfältiger gab, als er tatsächlich war. So oder so fand Haseo beide Varianten nicht gerade ansprechend.

“Haseo!”

Wie auf frischer Tat ertappt, erstarrte Haseo augenblicklich auf der Stelle. Doch Zeys Ansprache hatte weniger verfängliche Hintergründe.

“Wir sind da.”, sagte Zey strahlend.

Es brauchte einen Moment bis Haseo sich aus seinen Gedanken losreißen und in die Realität zurückkehren konnte. Erst, als sich das Gebäude der Prontera Chivalry vor ihm auftat, wurde ihm einmal mehr wieder bewusst was der eigentliche Grund für seine Anwesenheit hier war.
 

Die Chivalry war unerwartet klein. Scheinbar hatten nur besonders fähige Mitglieder der alliierten Gilden eine Einladung zu dieser Versammlung erhalten. Der High Priest, den Haseo ins Jenseits befördert hatte, schien ein hohes Tier gewesen zu sein. Doch gleichzeitig konnte Haseo nicht fassen, dass dieser kauzige Lord Knight neben ihm zur Elite gehören sollte.

>Midgard geht vor die Hunde…<, dachte er sich im Stillen.

Des Weiteren stellte er leicht verwundert fest, dass die Kontrolle der Einladungen einem Duo überlassen wurde, welches er in keiner Weise mit der Chivalry in Verbindung bringen konnte. Die Gypsy und der Clown neben ihr sahen nicht sehr angsteinflößend aus, doch wohl jeder in Rune Midgard wusste, dass man sie besser nicht unterschätzen sollte. Dennoch blieb der genaue Grund dieser Konstellation ein Rätsel für Haseo und wie gewohnt war es ihm auch herzlichste egal. Er wollte nur seine Mission so gut wie es jetzt noch ging zu Ende bringen.

Zey hingegen schien all dies kein Kopfzerbrechen zu bereiten. Unbekümmert zückte er seine Einladung und ging lächelnd auf die beiden zu. Spätestens jetzt war sich Haseo todsicher, dass Zeys Hirn nicht für komplexe Denkvorgänge geschaffen war. Dennoch folgte er ihm mit wenig Abstand zog ebenfalls die Einladung aus seiner Tasche. Ihr Auftreten schien die beiden Türsteher aus ihren Tagträumen zu reißen.

“Hui, Arbeit!”, trällerte die blonde Gypsy, als sich Zey und Haseo ihnen näherten. Der Clown hingegen blieb stumm und betrachtete die beiden Ankommenden nur lustlos. Das Aufeinandertreffen dieser beiden ungleichen Paare wirkte beinahe absurd, stellte jedoch eine gewisse Komik dar. Ohne Aufforderung und kommentarlos streckte Haseo der Gypsy fast schon provokant seine Einladung entgegen. Verblüfft von seinem abrupten Handeln blinzelte sie ihn leicht verwirrt an, nahm dann jedoch ebenfalls wortlos den Brief entgegen und erwiderte Haseos unfreundliche Art mit einem übertrieben Lächeln. Der Umschlag wurde laut raschelnd geöffnet und die Gypsy begann angestrengt zu lesen.

Ihr aufgesetztes Getue nervte Haseo zum Äußersten. Der regungslose Clown, der hier scheinbar nur zu Dekorationszwecken aufgestellt wurde, sagte ihm da schon mehr zu. Zey hingegen verfolgte jede Bewegung und Reaktion der Gypsy aufgeregt wie ein kleines Kind. Haseos Blick verharrte unweigerlich auf Zey. Seine wunderschönen, klar definierten Gesichtszüge, das lange Haar, das genauso chaotisch war wie seine ganze Persönlichkeit und diese tiefgrünen Augen, die vor Spannung erwartungsvoll glitzerten. Haseo war, als würde ihn ein wohliger Schauer überkommen.

Der unschöne Klang von reißendem Papier ließ Haseo jäh herumfahren und das seltsam schöne Gefühl war wie weggeblasen. Auch Zeys Augen weiteten sich überrascht. Ungläubig standen die beiden nur da und mussten zusehen, wie die Gypsy ihre Einladungen zu Konfetti verarbeitete. Hase konnte nicht fassen, dass sein falsches Spiel doch aufgeflogen sein sollte. Doch er durfte sich jetzt bloß nichts anmerken lassen. Es musste eine Erklärung dafür geben, welche er auch prompt bekam.

“Ihr seid zu spät!”

Augenblicklich warf Haseo einen Blick auf die Kirchturmuhr hinter sich. Drei Minuten nach Sechs. Er verzog das Gesicht. Wegen drei Minuten wollte man ihnen den Eintritt verwehren?

Wütend wandte er sich wieder der Gypsy zu. “Willst du uns verarschen?!”, fauchte er sie an doch die Zigeunerin verzog keine Mine. Nun mischte sich auch der Clown ein und schien beweisen zu wollen, dass er doch einen Zweck erfüllte. “Wir haben strikte Vorgaben. Ausnahmen werden nicht geduldet!” Weißglühende Wut brannte in Haseo. Für gewöhnlich hätte er sich so etwas nie bieten lassen, doch seine Verkleidung zwang ihn zur Untätigkeit. Der Einzige auf er jetzt noch hoffen konnte war Zey, und so wandte er sich hilfesuchend zu seinem Begleiter um.

“Hast du denn gar nichts dazu zu sagen?!”

Haseo versuchte ruhig zu klingen, um Zey nicht zu verschrecken, doch er bezweifelte, dass ihm das gelang. Zey senkte währenddessen den Blick und schien in sich zu gehen.

“Nunja…”

Die anderen Drei verstummten schlagartig und erwarteten gespannt sein Kommentar.

“Da kann man nichts machen, denke ich. Ist wohl dumm gelaufen.”

Die Gypsy lächelte zufrieden und triumphierend. Haseo hingegen konnte nicht fassen, dass ihm dieser Kindskopf von Lord Knight in den Rücken fiel. Er sah rot und spürte, wie irgendwo in seinem Kopf eine Sicherung durchbrannte.

“Du mieser, elender…”

In Haseos Augen loderte nackte Wut und Zey schien zu spüren, dass sie gegen ihn gerichtet war, denn er wich einige Schritte zurück.

Priestergewand hin oder her, für Haseo hatte es keine Bedeutung mehr, ob seine Tarnung aufflog, die Mission war ohnehin schon unwiderruflich gescheitert. Noch nie hatte er versagt und diese Niederlage heute würde er auf keinen Fall akzeptieren. Der Stolz eines Assassinen war sein höchstes Gut. Jahrelang hatte man ihm das eingebläut. Sein Stolz war alles, was er noch hatte, diese Erkenntnis hatte sich schon vor langem in sein Hirn gebrannt. Und wer seinen Stolz kränkte, musste bitter dafür büßen. Das Trio, das Haseo entgeistert anstarrte, konnte wahrlich von Glück reden, dass er auf Grund seines Kostüms kein Katar bei sich trug. Anderenfalls hätte diese Situation ein unschönes Ende genommen.

Egal, welche unbekannten Regungen Zey auch in ihm geweckt hatte, Haseo hätte nicht gezögert auch ihn mit seiner Klinge zu durchbohren, wenn er damit seinen angekratzten Stolz wieder flicken könnte. Haseo widerte sich selbst an. Er war ein Monster, eine Bestie. Für einen Moment hatte ihm Zey tatsächlich das Gefühl gegeben ganz normal zu sein, doch die widerwärtige Realität ließ sich nicht leugnen.

Zey war währenddessen immer weiter zurück gewichen doch Haseo folgte ihm auf Schritt und Tritt.

“Ich… versage… nie!”

Zeys Augen weiteten sich, als habe er plötzlich eine Erkenntnis bekommen. Erst jetzt schien er zu verstehen, was Haseo so in Rage versetzte. “Haseo, das ist doch nicht so schlimm”, versuchte er ihn zu beschwichtigen, “Davon geht die Welt doch nicht unter!” Von allem, was Zey hätte sagen können, gehörte dies für Haseo definitiv zu den schlimmsten Möglichkeiten. Haseos einziger Lebenssinn bestand darin perfekt zu funktionieren. Krankhafter Ehrgeiz und der Zwang zur Perfektion war alles, was ihn antrieb und er hatte diese Einstellung nie in Frage gestellt - bis zu diesem Moment.

Dass es tatsächlich Menschen gab, für die eine Niederlage nichts Negatives darstellte, konnte Haseos Gehirn einfach nicht greifen. Vor allem dass Zey einer von ihnen war. Obwohl er einst durch sein Versagen einen Menschen verloren hatte, der ihm unendlich viel zu bedeuten schien, konnte er noch immer über eine Niederlage lachen. War es denn wirklich so banal immer erfolgreich zu sein? Mit einem Mal fühlte sich Haseo unbeschreiblich leer. Alles woran er sich all die Jahre so krampfhaft geklammert hatte wurde durch eine unbedachte Bemerkung ins Schwanken gebracht. Doch was ihn wirklich aus der Bahn warf war die Tatsache, dass Zey es ausgesprochen hatte. Jeden anderen hätte er wohl ungehört abgewimmelt doch Zey brachte ihn zum Nachdenken. Haseo spürte keine Wut mehr, keinen Hass, nur noch diese grausame Angst, dass seine Ideale all die Zeit über falsch gewesen waren.

“Haseo…?”

Haseo war sich sicher, dass er jetzt auf keinen Fall zu einem normalen Gespräch fähig war und so tat er, was er für das einzig Richtige hielt.

“Verschwinde…”, seine Stimme war leise, fast schon mechanisch. Zey sah ihn verwirrt an. Haseo holte mehrmals tief Luft und fokussierte Zey schließlich durchdringend.

“Verschwinde aus meinem Leben!” Seine Stimme zitterte.

“Ich wünschte, ich wäre dir nie begegnet! Du bist das Letzte!”

Zey erstarrte bei Haseos Worten. Alle positiven Gefühle schienen von ihm abzufallen. Haseo nutzte diesen Moment der Paralyse, um im Eiltempo an Zey vorbei zu hasten.

Er wollte weg.

Nein.

Er musste weg!

Haseo wusste, dass alles was er gerade gesagt hatte, gelogen war. Doch es war das Beste so. Zey würde ihn bald vergessen und sie beide könnten ihr gewohntes Leben weiterführen. Ja. Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Ihre Begegnung stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Es sollte einfach nicht sein. Das Schicksal wollte sie scheitern sehen und Haseo war sich ohnehin sicher, dass es ihm niemals vergönnt sein würde, glücklich zu werden. Sein ganzes Leben war aufgebaut auf Enttäuschungen, Leid und Schmerz. Wieso hätte es jetzt anders sein sollen? Nur weil er dieses Kostüm trug konnte er doch nicht aus seiner Haut. Haseo fand seine Naivität so lächerlich und erbärmlich, dass er sich dafür am liebsten selbst eine verpasst hätte.
 

Allmählich wurden seine Schritte langsamer bis er schließlich zum Stehen kam. Haseo fand sich in einer abgeschiedenen Seitenstraße wieder. Welch Ironie. Jeder seiner Wege schien in die Einsamkeit zu führen. Hier war er nun, allein - nur er und seine Gedanken. Was hatte er sich bloß dabei gedacht Zey so nah an sich heran zu lassen? Haseo wusste, dass es falsch war. Er wusste, dass es nichts als Ärger bringen würde und doch war es ihm unmöglich ihm zu widerstehen. Doch scheinbar wollte Haseo es ja nicht anders. Vielleicht wollte er immer wieder fallen, nur um sich selbst und allen anderen zu beweisen, dass er allein wieder auf die Beine kam.

>Ich bin so erbärmlich…<

Dieser Selbsthass quälte ihn schon seit langem, doch heute erreichte er ungeahnte Höhen. Kraftlos lehnte sich Haseo gegen die Hauswand neben ihm. Die Kühle des Steins drang durch sein Haar an seinen Kopf und gab ihm eine gewisse Ruhe. Er schloss die Augen, um in sich zu gehen. Zey schien ihm tatsächlich nicht gefolgt zu sein. Eigentlich hätte es ihn freuen sollen, schließlich war das doch sein Ziel. Oder etwa nicht? Doch wieso fühlte sich Haseo dann so leer? Das Gefühl, als ob ihm etwas enorm wichtiges genommen wurde, stimmte ihn melancholisch. Er kannte dieses Gefühl. Vor acht Jahren hatte schon einmal dieses grausame Nichts von ihm Besitz ergriffen. Damals konnte er nichts tun, weil sich nicht erinnern konnte was überhaupt passiert war, und heute kann er nichts tun, weil sein Verstand es ihm verbietet.

>Ich bin verdammt…<

Haseo war sich sicher, dass nur einem Verfluchten so viel Leid widerfahren konnte. Doch vielleicht war es auch die gerechte Strafe für sein verfehltes Leben. Im Endeffekt lief es jedoch auf das Selbe hinaus. Vielleicht hatte sich Zey auch deswegen so in Haseos Herz gebrannt. Er sah in ihm nicht den brutalen Mörder, der er doch war. Bei Zey konnte er jemand anderes sein - seinem verfluchten Leben zumindest für einen Moment entfliehen. Doch es war nur eine Illusion. Zey war weg und mit ihm der schöne Traum, aus seinem Leben ausbrechen zu können.

Haseo seufzte schwer und schlug die Augen wieder auf. Er hatte keine Kraft mehr noch länger Träumen nach zu jagen.

Aus und vorbei.

Doch neue Probleme warteten schon darauf irgendwie gelöst zu werden. Wie sollte er es bloß seinem Gildenmeister erklären, dass er versagt hatte. Niemand in der Gilde hatte an ihm gezweifelt, was die Sache nicht gerade einfacher machte. Haseos Hirn lief auf Hochtouren, doch er konnte einfach keinen klaren Gedanken. Mit einem erneuten Seufzer beschloss er schließlich sich während des Rückwegs noch einmal Gedanken darüber zu machen. Mit gesenktem Blick trat er langsam aus der Gasse heraus. Erst jetzt bemerkte er, dass jemand an der Wand lehnte. Wurde er etwa die ganze Zeit über beobachtet? Er wollte nicht, doch sein Blick wanderte unwillkürlich zu der gepanzerten Gestalt.

Er erstarrte.

Der Mann lächelte Haseo an.

“Ich sagte doch, dass ich dich nicht so einfach gehen lasse!”

Als ob nichts gewesen wäre lehnte Zey lässig an der Mauer und lächelte zufrieden vor sich hin. Haseo war sprachlos. Wieso war er ihm gefolgt? Und wie hatte er ihn bloß gefunden? Haseo wusste selbst nicht wo er war. Was in Zeys Kopf vorging blieb ihm nach wie vor ein Rätsel.

“Wow, so überrascht mich zu sehen?” Zey schien einfach nichts verschrecken zu können. Ein seltsames Gefühl von Freude und gleichzeitig Unsicherheit machte sich in Haseo breit.

“Wieso…?” Mehr brachte er nicht hervor. Die Überwältigung war stärker. Doch Zey reichte das schon vollkommen. Mit vorsichtigen Schritten ging er auf Haseo zu. Sein Blick war warm und gütig und Haseo fühlte sich plötzlich wieder viel wohler. Leugnen war zwecklos. Zey erfüllte ihn zweifellos mit Freude und anderen Gefühlen, die er selbst nicht zuordnen konnte.

“Du willst also wissen wieso? Tja, wieso habe ich wohl noch dir gesucht?”

Zey tat, als wisse er die Antwort selber nicht und legte demonstrativ den Kopf schief. Dieses Verhalten hatte Haseo jetzt schon öfter bei ihm beobachtet doch er fand es jedes Mal aufs Neue wieder niedlich. Zugeben würde er dies jedoch nie können.

“Keine Idee?”

Zeys Lächeln bekam einen verschmitzten Ausdruck.

“Dabei ist es sooo~ offensichtlich!”

Haseo konnte jedoch keinen Grund finden warum irgendjemand freiwillig zu ihm zurück kehren sollte.

“Klär’ mich auf.” Haseos Stimme klang zu seiner eignen Überraschung ungewohnt interessiert. Zeys Grinsen wurde breiter und er kam Haseo ganz nah. Haseo spürte, dass diese Nähe nicht rechtens war, aber es störte ihn nicht.

War er Zey schon so verfallen?

Doch spätestens jetzt wäre er es, als Zey ganz sanft die Stimme erhob: ”Ich mag dich halt einfach!”

Zwar hörte Haseo was Zey sagte, doch begreifen konnte er es nicht. Zey nickte währenddessen wie ein Besessener mit dem Kopf, da er bereits zu fürchten schien, dass Haseo ihm keinen Glauben schenken würde. Sein Gesicht war nicht in der Lage eine Regung zu zeigen, aber in Haseo tobte aufrichtige Freude. Er wusste nicht, wann er das letzte Mal so empfunden hatte oder ob er überhaupt jemals so empfunden hatte. Doch seine Freude wurde prompt getrübt, als ihm wieder schmerzlich bewusst wurde, wer und was er war. Ein Assassine Cross und ein Lord Knight. Sie waren Feinde - oder sollten es sein. Eine Beziehung, welcher Art auch immer, würde ihr beider Verderben bedeuten.

Haseo war es herzlich egal, was mit ihm geschah, doch Zey wollte er das nicht antun. So sehr er es auch wollte, aber er konnte nicht noch länger mit ihm zusammen sein.

Zey schnaubte.

“Maaan, du denkst zu viel! Red’ lieber mit mir.”

Zey klang wie ein schmollendes Kind, das etwas wollte, was es nicht bekam.

“Entschuldige…”

Diese Antwort schien Zey gar nicht zu gefallen. Er gab ein zischendes Geräusch von sich und rollte mit den Augen.

“Jetzt entschuldige dich nicht auch noch. Werd’ einfach locker!”

Leichter gesagt, als getan. Haseo konnte sein kühles, nüchternes Wesen nicht einfach so ablegen.

“Ah, ich hab eine Idee!”, sagte Zey plötzlich mit kindlicher Freude.

“Wie wär’s, wenn wir einfach zusammen was trinken gehen oder so und ein bisschen reden? Das lockert dich bestimmt auf!”

Zey lächelte.

Doch bei Haseo traf dieser Vorschlag nicht gerade auf Begeisterung. Weder war er dem Alkohol zugeneigt, noch mochte er enge, muffige Kneipen. Zögernd suchte er noch einer Ausrede.

“Einfach so, nach allem was passiert ist?”

Haseo hoffte, Zey würde seine schlechte Entschuldigung nicht durchschauen, doch so dumm schien selbst Zey nicht zu sein.

“Gerade weil alles ein wenig chaotisch war!”

‘Ein wenig’ war definitiv untertrieben.

“Und außerdem, vergiss das doch einfach alles. Schau noch vorne!”

Ohne es auch nur zu ahnen war Zey ins nächste Fettnäpfchen getreten. Haseos Mine verfinsterte sich schlagartig.

Vergessen.

Er hatte schon zu vieles vergessen. In seinem Gedächtnis klaffte eine Lücke, die er nicht überwinden konnte, genauso wenig wie den damit verbundenen Schmerz. Doch Zey wusste von alle dem nichts und sollte es auch gar nicht wissen.

Haseos Stimme klang aufgewühlt, als er zu einer Antwort ansetzte.

“Verlange von mir nie wieder etwas zu vergessen… dann komme ich mit…”

Auch wenn Zey Haseos Verhalten nicht wirklich verstand genügte ihm diese Antwort vollkommen.

“Versprochen!”, erwiderte er mit einem sonnigen Lächeln und gab Haseo einen Wink ihm zu folgen.
 

Der Abend war bereits vorangeschritten, als die beiden die Kneipe betraten und an einem kleinen Tisch in einer abgelegenen Ecke platz nahmen.

“Ist doch gemütlich hier.”, sagte Zey vergnügt.

Haseo hatte dafür nur ein missmutiges Grummeln übrig. Mit den schaurigen, unterirdischen Kneipen in Morroc hatte diese nichts gemein. Statt finsterer Gestalten, die zwielichtige Geschäfte abwickelnden, fand man hier ausgelassene Menschengruppen jeder Art. Obwohl dies für fast jeden normal war fand Haseo es mehr als befremdlich. Während Haseo die Umgebung beäugte war eine Kellnerin an ihren Tisch gekommen und nahm ihre Bestellung auf. Zey bestellte gezielt, doch Haseo hatte noch gar keinen Blick in die Karte geworfen und bestellte so einfach das erstbeste, was ihm ins Auge fiel. Die Kellnerin notierte kurz und verschwand dann wieder. Endlich allein begann Zey zu stochern.

“So, na dann erzähl mal was von dir. Ich bin neugierig!”

Haseo zögerte lange.

Zey hatte ihm gesagt, dass er ihn mag, ohne wirklich etwas über ihn zu wissen. Er würde ihn hassen, wenn er wüsste, dass er ein Spion und Mörder war.

“Zey…”

Haseos Stimme klang verunsichert, was Zey aufhorchen ließ.

“Wieso bist du eigentlich so nett zu mir… du kennst mich doch gar nicht…”

Im selben Moment in dem er es ausgesprochen hatte, bereute Haseo es auch schon wieder. Er war gerade drauf und dran den einzigen Menschen, der ihn mochte, von sich zu stoßen.

“Ja, du hast recht. Ich kenne dich kaum.”

Obwohl Haseo dieses Thema selbst angeschnitten hatte, versetzte es ihm nun doch einen Stich es noch mal aus Zeys Mund zu hören. Er konnte seine Enttäuschung nur schwer verbergen.

“Aber - bitte lach’ jetzt nicht, ok? - Irgendwie hab’ ich das Gefühl, dich schon ewig zu kennen. Ich weiß es klingt verrückt, aber du bist wie er!”

Zey schien sich seiner Worte zu schämen. Sein Lächeln wirkte gequält und aufgesetzt.

>Er?<

>Er!<

Sprach Zey etwa von seinem vermeintlich toten Freund? Haseos mangelnde Erinnerungen erlaubten ihm keine Antwort auf diese Vermutung. Doch irgendwo tief in seinem Inneren flackerte ein Hoffnungsschimmer auf. Sollten sie sich tatsächlich schon begegnet sein würde das all diese ungekannten Gefühle erklären. Diese unerklärliche Bindung, die er zu Zey verspürte. Es schien alles plötzlich einen Sinn zu machen. Und doch, Haseo war nicht mehr derselbe, der er vor acht Jahren gewesen war. Wie sollte man eine so lange verlorene Freundschaft wieder aufleben lassen? Wenn es denn überhaupt so gewesen war.

Haseo seufzte schwer und vergrub das Gesicht in den Händen.

Er klammerte sich an Hirngespinste. Solche Zufälle konnte es im Leben gar nicht geben und vor allem nicht für ihn. So ähnlich er diesem Jungen auch zu sein schien, er konnte unmöglich der Selbe sein.

Zey schien Haseos Anblick gar nicht zu gefallen. Seine Gesichtszüge wirkten ernst und erwachsen. Zey war eindeutig ein viel tiefgründigerer Mensch, als man es anfangs vermutet hätte.

“Hey…”

Da war er wieder, dieser warme Ton in seiner Stimme, der aus den tiefsten Gründen seines Herzens zu dringen schien. Gleichzeitig ergriff Zey ganz sanft Haseos Hand und zog sie zu sich. Irgendwie bedauerte Haseo, dass auch Zeys Hände, wie eigentlich sein ganzer Körper, schwer gepanzert waren. Das Metall auf seiner Haut fühlte sich dennoch nicht kalt an. Es war, als würde Zey eine alles vereinnahmende Wärme ausstrahlen.

“Es tut mir leid, dass ich dich so verwirrt hab’ mit dieser ganzen Sache. Auch wenn uns nichts derartiges verbinden sollte, muss ich ganz ehrlich sagen, dass ich dich wirklich mag, Haseo! Du bist irgendwie… besonders!”

Mit dem Ende dieses Satzes küsste Zey vorsichtig Haseos Handrücken.

>Uah…<

Haseo überkam ein wohliger Schauer. Zwar berührten Zeys Lippen ihn kaum, doch diese zärtliche Berührung durchzog seinen Körper wie ein Blitz.

Nur Augenblicke später ließ Zey Haseos Hand los und beugte sich stattdessen über den Tisch zu ihm herüber. Mit seiner Linken fuhr er Haseo über die Wange und sein seidiges Haar, während er sich mit der Rechten abstützte. Haseo wusste gar nicht wie ihm geschah. Sein Puls schnellte in die Höhe, als Zeys Nasenspitze seine berührte. Sein warmer Atem, der sein Gesicht sanft streichelte, ließ Haseo schier den Verstand verlieren. Obwohl er keinerlei Erfahrung in solchen Dingen hatte, legte Haseo instinktiv den Kopf leicht schief. Irgendetwas in ihm schrie förmlich nach Zeys Lippen doch sein noch verbliebener Verstand hinderte ihn daran fordernder zu werden. Zey schien ihn jedoch absichtlich hinhalten zu wollen. Er fuhr mit seiner Hand zärtlich über Haseos Ohr, Hals und Nacken während er seinen Kopf immer wieder leicht schwanken ließ, sodass seine Nasenspitze immer und immer wieder über Haseos Gesicht strich. Haseo hatte die Augen fest geschlossen und nahm so jede selbst jede kleinste Berührung noch intensiver wahr. Seine leicht geöffneten Lippen bebten.

Zey war diesem Anblick sichtlich zugetan und sein Verlangen wuchs. Er fasste Haseo am Hinterkopf und zog ihn noch näher zu sich heran.

So nah. Nur Millimeter schienen sie noch zu trennen.

>Nun mach doch endlich…<
 

“Rrrrrrriiiiiiing!!!”

Haseo riss die Augen auf und wich zurück. Ein penetranter Klingelton erfüllte den Raum und zerstörte jedes romantische Gefühl. Zey fuhr genervt herum und zückte hastig sein Handy während sich Haseo seufzend auf den Stuhl plumpsen ließ. Das Herz schlug ihm noch immer bis zum Hals.

Zey hingegen schien durch die eben erhaltene Nachricht in Bedrängnis geraten zu sein. Er erhob sich ruckartig.

“Wir müssen sofort zu mir!”

Zey ließ Haseo keine Zeit zu widersprechen, denn er hatte bereits seinen Arm ergriffen und zog ihn mit sanfter Gewalt zum Ausgang. Er bestellte noch hastig ihre Getränke ab und eilte nach draußen. So verdutzt Haseo auch war, hatte er dennoch keine Lust sich wie ein Kind in der Gegend herum schleifen zu lassen. Stur drückte er ohne Vorwarnung die Knie durch und verharrte auf der Stelle.

“Kannst du mir mal erklären was dieses ganze Theater soll?!”

Haseos Unzufriedenheit war ihm mehr als deutlich ins Gesicht geschrieben, doch selbst das schien Zey nicht erweichen zu können.

“Ich erklär dir alles danach, ok?”

Zey zog Haseo weiter und setzte seine Schritte eilig fort.

“Er hasst es zu warten!”

Schon wieder ‘er’, nur diesmal war sich Haseo sicher, dass es sich nicht um Zeys alten Freund handeln konnte. Sein Magen verkrampfte sich beim Gedanken an einen anderen Mann an Zeys Seite. Unbewusst ergriff er Zeys Hand und umklammerte sie fest. Er hatte Zey viel zu nah an sich heran gelassen, um ihn jetzt einfach so einem anderen zu überlassen. Ja, es war egoistisch, doch Haseo hatte schon immer ein besitzergreifendes Wesen. Zey sollte ihm gehören. Mit Haut und Haar.

Er könnte die Antwort auf so viele von Haseos Fragen sein.

Das Licht am Ende des Tunnels nach dem er sich schon seit Jahren gesehnt hat.

Haseo hatte schon zu viele Verluste erleiden müssen, doch heute nicht.

Nein.

Nur ein Gedanke beflügelte ihn jetzt noch:
 

>Sei mein!<

Kapitel III

~ Kapitel III ~
 

Zeys Wohnung war in diesem Eiltempo in nur wenigen Minuten erreicht. Die hohen Häuser mit mehreren Parteien waren schlicht und schmucklos, doch zum Leben reichte es vollkommen. Entweder verdiente man als ranghohes Mitglied der Chivalry viel schlechter, als man denken mochte, oder Zey wusste seine Zeny einfach anderweitig zu investieren. Außerdem sollte man sich ja bekanntlich nicht von Äußerlichkeiten täuschen lassen. Vielleicht verbargen diese kalten Mauern ein einladendes Heim. Doch Haseo würde dies wohl nie erfahren. Es war ausgeschlossen, dass er Zey nach diesem Tag jemals wieder sah. Bei dieser traurigen Erkenntnis verstärkte er den Druck auf Zeys Hand erneut. Er wollte die letzten Momente dieser Geborgenheit und Wärme noch einmal intensiver spüren.

Verwundert über Haseos plötzliche Anhänglichkeit warf Zey einen Blick zurück. Haseos Blick ging leer gen Boden, tief in Gedanken versunken.

“Hey…” Zey zog ihn sanft zu sich heran. “Ich klär’ das nur kurz und dann gehör’ ich wieder voll und ganz dir, ok?” Er lächelte warm doch Haseo nickte nur ohne aufzuschauen.
 

Die Straße war schlecht beleuchtet und die Sonne dem Mond gewichen. Nur schemenhaft konnte man die Gestalt erkennen, die ungeduldig vor den Häuserreihen auf und ab ging. Der rot glühende Punkt einer brennenden Zigarette schien wie ein Irrlicht in der Luft zu schweben, ging dann jedoch zu Boden und erlosch.

“Rye~!” Zey riss sich von Haseos Griff los und stürmte freudig auf besagten Rye zu. Dieser gab eine wahrlich imposante Erscheinung ab. Der großgewachsene Paladin überragte Zey um einiges und ließ den Lord Knight, der ihm gerade um den Hals fiel, fast wie ein Kind aussehen.

Tonlos schob er Zey von sich und zündete sich eine neue Zigarette an.

“Du hast mich warten lassen.” Ryes Stimme war tief und kalt und hallte gespenstisch in der dunklen, verlassenen Straße wider. Er nahm einen Zug und blies Zey provokativ den Rauch mitten ins Gesicht bevor er weiter sprach: “Doch wohl nicht etwa wegen dem da!” Mit einem Mal durchbohrte Ryes Blick Haseo. Seine hellblauen Augen schienen selbst das Dunkel zu durchdringen und sein markantes Gesicht verstärkte diesen Eindruck noch. Erst jetzt bemerkte Haseo, dass Ryes rechte Gesichtshälfte von tiefen Narben zerfurcht war. Über Jahre vom Leben gezeichnet hatte er sich wahrscheinlich diese harte Schale angeeignet. Plötzlich fühlte sich Haseo, als würde er in einen Spiegel blicken. Ein Spiegel, der ihm plötzlich gefährlich nah kam.

“Und wer bist du?”, raunte Rye Haseo unfreundlich entgegen. Dieser schnalzte missmutig mit der Zunge während Rye ihn von oben bis unten musterte. Seine Augen verengten sich. “Ich behalte dich im Auge!” Dann kehrte Rye Haseo den Rücken ohne Antwort auf seine Frage erhalten zu haben und ging zu Zey zurück, der das ganze eher peinlich berührt beobachtet hatte.

“Bitte, lass’ ihn in Ruhe. Haseo ist wirklich…”, Zeys Stimme wurde leiser, “…wirklich wichtig für mich.” Rye hob eine Augenbraue doch seine Stimme blieb kalt: “Das hast du über alle Typen gesagt, die du in den letzten Jahren so abgeschleppt hast.” In Zeys Gesicht macht es sich Empörung breit. “Nein! Er ist anders!” Als er bemerkte wie laut er das ausgerufen hatte, warf Zey einen hastigen Blick zu Haseo doch dieser entgegnete nur mit einem verwirrten Gesichtsausdruck. Zey lächelte ihn an und winkte ab, bevor er sich wieder Rye zu wandte. “Das ist nicht der richtige Ort, um so was zu diskutieren”, flüsterte er Rye zu. Dieser schob Zey erneut von sich. “Das ist auch gut so, denn ich will das alles gar nicht hören!”

“Verdammt, sei doch nicht so laut!”, ermahnte ihn Zey und versuchte Rye in eine kleine Gasse zu schubsen, in der sie etwas ungestörter reden konnten.

“Was ist eigentlich dein Problem, Rye?” Zey verstand seinen Freund nicht. Sollte er sich nicht eigentlich für ihn freuen? “Mein Problem ist, dass du dich immer wieder mit irgendwelchen Typen einlässt, die dir am Ende ohnehin nur weh tun!” Zey rollte mit den Augen: “Oh ja, du bist nur so außer dir, weil du dir Sorgen um mich machst?!” Mit einem Schlag veränderte sich Ryes Ausdruck völlig. Er kam noch einen Schritt auf Zey zu und fuhr ihm dann vorsichtig durchs Haar. Seine Stimme war nicht mehr rau, nicht mehr kalt, nur noch besorgt: “Was ist so falsch daran, das beschützen zu wollen, was man liebt…?”

“Rye…” Für einen kurzen Moment fühlte es sich an wie damals, als Rye ihn jeden Tag so zärtlich berührte. Doch die schönen Erinnerungen währten nicht lange. All das war längst Geschichte. Rye ließ schnell von ihm ab und zog wortlos einige Bögen gefaltetes Papier aus einer seiner Gürteltaschen und drückte sie Zey in die Hand. “Deswegen war ich eigentlich hier.” Zey entfaltete die Zettel und stellte ziemlich schnell fest, dass es sich um Ryes Mitschriften von der heutigen Versammlung handelte. Seine Handschrift war sauber und schnörkellos. Wenn es um die Arbeit ging war Rye so sorgfältig und bedacht. Leider färbten diese Eigenschaften nicht auf seine sozialen Kompetenzen ab.

“Ich bin dann weg…” Bei diesen Worten musste Zey aufschrecken. “Du gehst einfach so?!” Rye senkte den Kopf. “Ich hab nichts mehr zu sagen.” Zey suchte noch nach Worten, doch Rye hatte ihm schon den Rücken zugewandt und hob tonlos die Hand zum Abschied bevor er Zey allein in der kleinen Strasse zurück ließ.

Die Geschichte schien sich immer wieder zu wiederholen. Immer wieder verließ Rye ihn so eiskalt. Heute, sowie vor sechs Jahren. Und immer blieb Zey allein zurück.
 

Haseo lehnte an einer Hauswand nahe der Gasse, in die Zey und Rey verschwunden waren. Er musste zugeben, er hatte versucht einige Sätze aufzuschnappen, doch sein Plan ging nicht auf. Umso mehr war er verwundert, dass Rye allein zurückkam. Sie tauschten einige argwöhnische Blicke, als Rye sich plötzlich über ihn stützte und ihm tief in die Augen sah. Haseo wusste nicht, wie er den plötzlich Stimmungswandel in Ryes Gesicht deuten sollte. Die Augenbrauen waren zusammengezogen und sein Blick war auf einmal so traurig, dass selbst Haseo schlucken musste. Ryes Stimme war sehr leise und zitterte ein wenig, als er zu sprechen begann: “Zey… er scheint ziemlich viel von dir zu halten…”, Rye seufzte schwer, “mach, ihn einfach glücklich… ja?” Haseo war gleichermaßen perplex und verunsichert. Der Rye der nun vor ihm stand schien nichts mehr mit dem gemein zu haben, der ihn vorhin noch mit seinen Blicken durchbohrt hatte.

>Was soll ich tun?!< In Haseos Kopf herrschte ein Gedankenwirrwarr. “Ich…”, verunsichert legte er den Kopf zur Seite. Er konnte Rye nicht in die Augen sehen. Was hätte er ihm auch sagen sollen? Haseo konnte nicht mal sich selbst glücklich machen, wie sollte er das also für andere tun?

Rye seufzte erneut. Er schien zu verstehen und ließ von Haseo ab. “Wie auch immer”, er schien zu seiner alten Form zurück zu finden, “ich behalte dich im Auge. Denk dran!” Mit diesen letzten Worten wandte er sich endgültig zum Gehen und entfernte sich mit schnellen, großen Schritten.
 

>Was zum Henker war das?!<

Das eben Geschehene erschien Haseo so realitätsfremd, dass sein Hirn es nur schwer begreifen konnte. Aber eins stand für ihn nun endgültig fest - Zey war ein Masochist. Anders konnte sich Haseo dessen Affinität für solch unsympathische Leute nicht erklären.

Apropos Zey - wo war Zey?

Er war bis jetzt nicht wieder zurück gekommen. Irgendetwas musste zwischen ihm und Rye vorgefallen sein, da war sich Haseo sicher. Eilig bog er in die Seitenstraße ein, in der Zey noch sein musste. Doch Haseo konnte nicht glauben, dass das Häufchen Elend, welches er dort fand, tatsächlich Zey sein sollte. Sein Kopf und seine Schultern hingen kraftlos nach unten. “Zey…?”, fragte Haseo vorsichtig und streckte eine Hand nach ihm aus. Zey hob langsam den Kopf und sah ihn mit leeren Augen an. Dass Rye ihn so verletzten konnte zeigte, welch ungeheuer enge Bindung die beiden zu einander hatten, auch wenn es schwer fiel das zu glauben. Haseo wusste nicht, was zwischen den beiden vorgefallen war, aber er wusste, dass Zey jetzt Beistand brauchte. Mit noch immer ausgestreckter Hand ging er langsam auf Zey zu.

“Zey… ich bin… bei dir…!”

Diese vier kleinen Worte schienen einzuschlagen wie eine Bombe. Zeys Augen weiteten sich und er schien aus seiner Lethargie zu erwachen. Erst jetzt konnte er wirklich realisieren, dass Haseo vor ihm stand. Ein schwaches Lächeln spiegelte sich auf seinen Lippen wider. “Ja… ja, das bist du!” Er ergriff Haseos Hand und zog ihn sanft zu sich. Haseo wehrte sich nicht und ließ sich mitreißen, als der Lord Knight beide Arme um ihn schlang und ihn fest an sich drückte. Haseo zögerte erst, doch legte dann auch seine Hände auf den Rücken des anderen.

“Danke…”, flüsterte Zey leise und Haseo spürte, wie sein Herz einen Sprung machte. Diese Wärme, diese Geborgenheit hatte er nie gekannt und doch kam ihm all dies so vertraut vor.

“Du warst immer bei mir, all die Jahre… ich habe nie aufgehört an dich zu denken, Haseo.” Plötzlich war Haseo, als hätte er einen Stein verschluckt. Zey schien keinen Zweifel mehr daran zu haben, dass es sich bei seinem verschollenem Freund und dem Haseo, den er gerade in den Armen hielt, um die selbe Person handelte. Auch Haseo wollte dies gern glauben, doch die Realität würde sie eher früher als später wieder auseinanderreißen. Vielleicht war es besser, wenn keiner von beiden die Wahrheit je erfahren würde.

Vorsichtig schob er Zey von sich. Dieser blickte ein wenig enttäuscht drein, machte jedoch keine Anstalten Haseo erneut in die Arme zu schließen. Einen Moment lang sahen sich beide nur schweigend in die Augen, bis Zey schließlich wieder das Wort ergriff.

“Kommst du mit zu mir?”

Haseo wich einen Schritt zurück. Dies war wohl die älteste Frage, um jemanden abzuschleppen, die er kannte. Doch Zey lächelte nur neckisch und wedelte mit den Papieren in seiner Hand. “Dann könntest du dir das hier gleich abschreiben. Dürfte dich sicher interessieren!” Haseo stutzte, doch seine Neugier war geweckt. “Was ist das?”

“Das, mein Freund, sind Ryes Mitschriften von der Versammlung, die wir heute leider versäumt haben.” Und ob ihn das interessierte! Das war Haseos Chance seinen bereits gescheitert geglaubten Auftrag doch noch zu erfüllen. Und außerdem würde es ihm einige wertvolle Zeit mit Zey bescheren. Doch letzteres konnte er sich natürlich nur schwer eingestehen. Doch das Glück schien ihm heute auf seltsame Art und Weise hold zu sein.

“Und, kommst du?” fragte Zey noch einmal und Haseo nickte hastig, als ob er befürchtete, sonst diese Gelegenheit zu verpassen.
 

Zey strahlte übers ganze Gesicht, als sie das Treppenhaus erklommen und letztlich im obersten Geschoss Halt machten. “So, das ist also mein kleines Reich”, sagte Zey während er den Schlüssel im Schloss drehte und langsam die Tür öffnete. “Aber erwarte nicht zu viel!” Haseo nickte bestätigend und trat nach Zey ein.

Die Wohnung war klein, aber ausreichend für einen allein. Für einen Jungegesellenhaushalt war es recht ordentlich. Nur hier und da lagen einige Papiere, Schreibutensilien und Kleinkram verteilt. Wesentlich ordentlicher hingegen war Zeys beträchtliches Waffen- und Rüstungsarsenal. Die einzelnen Gegenstände waren fein säuberlich in Halterungen aufgereiht und schienen sorgsam gepflegt zu werden. Auch wenn man es ihm nicht unbedingt ansah, schien ihm seine Profession enorm wichtig zu sein.

“Setz dich doch!”, sagte Zey und bot Haseo einen Stuhl an, welcher sich dankend setzte. “Willst du was trinken?”

“Nein danke”, Haseos Stimme wurde leiser, “mich interessieren viel mehr… diese Mitschriften.” Haseo hatte keine Zeit zu verlieren. Er wusste, je länger er sich mit Zey aufhielt, desto mehr würde er in seinen Bann gezogen. Zey lächelte schwach. “Verstehe.” Auch er nahm sich einen Stuhl und setzte sich Haseo gegenüber. “Doch… würdest du mir vorher einige Fragen beantworten?” Das Lächeln war aus Zeys Gesicht verschwunden und er wirkte äußerst ernst. Haseo war unwohl.

>Hat er mich etwa durchschaut?<

War das der Grund, weshalb er Haseo hier her gebracht hatte? Hier hatte er zahlreiche Waffen, um im Ernstfall leichtes Spiel zu haben. Haseo hätte kaum eine Chance. War all dies ein abgekartetes Spiel und Zey hatte ihn schon längst enttarnt? War alles geplant gewesen? Haseo war bis zum Äußersten gespannt.

“Sag mir… wieso tust du so, als ob wir uns nicht kennen würden?”

Haseo blinzelte ungläubig. Er hatte alles erwartet, aber nicht das. “Was…?” Zey musste an sich halten, um nicht lauter zu werden. “Alles was wir hatten, wie kannst du nur so tun, als ob es nie passiert wäre?!” Haseo wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Die Wahrheit würde Zey wahrscheinlich kaum hinnehmen oder glauben.

>Alles was wir hatten…?< Diese Worte rissen ein Loch in Haseos ohnehin schon verletzte Seele und er wünschte sich mehr als je zuvor, dass er sich erinnern könnte.

“Auch wenn wir acht lange Jahre getrennt waren, du bist es doch! Du bist doch mein Haseo! Ich weiß es einfach!”

Acht Jahre. Haseos Augen wurden weit. Vor acht Jahren war er schwer verletzt und ohne jegliche Erinnerung an sein bisheriges Leben in der Assassine Gilde aufgewacht. Zeitlich würde alles so perfekt passen, doch noch weigerte sich Haseos Hirn, all dies als Tatsache hinzunehmen. Doch konnte alles nur ein einfacher Zufall sein? Zey ergriff Haseos Schultern und zog ihn erneut zu sich. “Ich weiß, dass du diesen schrecklichen Vorfall bestimmt verdrängen willst doch… bitte erinnere dich an mich… an uns!” Zey drückte ihn fest an sich. Haseo wollte ja, er wollte sich erinnern, doch er konnte nicht.

>Dieser Vorfall… meine Verletzungen?< Wie hätte Zey davon wissen sollen?

“Wieso glaubst du, … dass ich der Richtige bin…?”, fragte Haseo mit monotoner Stimme. Doch dies veranlasste Zey nur dazu, ihn noch fester an sich zu drücken. “Ich weiß es einfach! Ich kann es fühlen!” Haseo konnte nicht glauben, dass es so etwas geben sollte. Konnten zwei Menschen tatsächlich eine derart starke Bindung aufbauen? Und wenn ja, wieso konnte er sich dann nicht daran erinnern? War ihre Beziehung, oder was auch immer sie damals gehabt zu haben schienen, so einseitig gewesen?

“Haseo…”, Zeys Stimme klang so warm und sanft in Haseos Ohren, “auch wenn du dich jetzt nicht erinnern kannst, ich weiß, dass die Erinnerungen irgendwo tief in dir schlummern.” Zey lockerte seinen Griff und sah Haseo tief in die Augen. “Und zusammen werden wir sie alle wieder zum Leben erwecken!”

>Zusammen…< Ein warmes Gefühl machte sich bei diesem Gedanken in Haseo breit.

“Doch sag mir, wie konntest du den Assassinen entkommen, nachdem sie dich verschleppt hatten?”

Plötzlich wich all die Wärme aus Haseos Körper und hinterließ nur eisige Kälte.

>Verschleppt…?!< Er wusste nicht, wieso er damals bei den Assassinen aufgewacht war, doch Haseo hatte es nie angezweifelt. Er hielt es für seine Bestimmung, das verfluchte Leben eines Mörders zu führen.

Es war alles eine Lüge. Alles, woran er glaubte.

Haseos geistesabwesender Blick machte Zey besorgt und er schien zu ahnen, dass er mehr als nur einen wunden Punkt getroffen hatte.

“Du… bist ihnen doch entkommen… oder? Du bist keiner von denen!” Haseo konnte Zey nicht in die Augen sehen, denn er wusste, dass all seine Befürchtungen wahr waren.

“Haseo, sag doch etwas!” Doch was sollte er ihm sagen? Betroffen wich Haseo Zeys suchendem Blicken aus. Er spürte, wie Zeys Hände von seinen Schultern glitten. Kraftlos sackte er auf seinem Stuhl zusammen.

Die Stille war unerträglich.

Haseo wusste, dass er weg musste doch seine Beine wollten sich keinen Zentimeter bewegen. Verunsichert sah er zu Zey herüber und ihm stockte der Atem.

Zey lächelte.

>Was zum…?!< Haseo verstand die Welt nicht mehr. Was war bloß mit diesem Kerl los? Sollte er ihn nicht lieber verhaften oder gleich ganz unschädlich machen? Doch stattdessen lächelte Zey. Haseo war sich sicher, dass der Schock zu groß gewesen war und er nun endgültig den Verstand verloren hatte.

“Haseo…”

Haseo erstarrte. Was auch immer jetzt kommen würde konnte nichts Gutes sein und er war bereit sich mit allem zu verteidigen, was er hatte.

“Assassine also… dann…”, Haseo hielt den Atem an, “kann ich dich meinen Freunden wohl nicht so bald vorstellen!”

Haseos Gesichtszüge entgleisten ungläubig und er wusste nicht, ob Zey naiv oder einfach nur dumm war. Doch Zey schien genau so eine Reaktion erwartet zu haben, denn er drückte Haseo wieder an sich.

“Weißt du, es ist mir völlig egal was du bist. Wichtig ist doch nur wer du bist! Und du bist mein Haseo!”, sagte Zey und hauchte Haseo einen Kuss auf die Stirn.

Haseo war verwirrt und doch überglücklich. Doch die Realität ließ sich nicht aus seinem Kopf verbannen.

>Das ist nicht gut… das ist gar nicht gut!<

Er schob Zey von sich.

“Du bringst dich in Schwierigkeiten…”

Doch Zey zuckte nur mit den Schultern. “Wenn ich in deinen Armen zu grunde gehen kann, sterbe ich wenigstens als glücklicher Mann!” Haseo sprang auf. “Du weißt doch nicht, was du da sagst!” Er konnte nicht glauben, dass Zey für ihn so leichtfertig mit seinem Leben umsprang. Haseo konnte nicht zulassen, dass er noch ein weiteres Leben zerstörte. Egal, was in der Vergangenheit zwischen ihnen gewesen war, er war nicht mehr der selbe Mensch und würde es auch nie mehr sein.“Du musst mich vergessen…” Haseo wandte sich der Tür zu. Seine Stimme wurde leise. “Ich bedeute nichts als Ärger…” Zey erwiderte nichts. War er sp bestürzt? So verletzt? Doch besser er verletzte ihn jetzt, als dass sie beide erst ewig litten.

Haseo hielt noch lange inne, doch Zey rührte sich weiterhin nicht. Langsam öffnete er die Tür. “Such nicht nach mir…”, sagte Haseo noch und verschwand. Sein Herz war schwer, doch es gab keinen anderen Weg. Er würde diesen Tag vergessen, auch wenn es ihn schmerzte. Er würde alles vergessen und in die Lüge, die er Leben nannte, zurückkehren.

Erst als Zey die Tür hinter sich schließen hörte wandte er sich um. Er lächelte. "Ich werde nicht nicht noch einmal verlieren, Haseo!”
 

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Hallo meine lieben Leser,
 

entschuldigt, dass dieses Kapitel so lange gedauert hat, aber die Arbeit hält mich fest im Griff.

Gastronomie + Touristenattraktion + Sommerferien = DIE HÖLLE
 

An dieser Stelle wäre übrigens das 1. Kapi im Doujin zu Ende gewesen, ihr dürft euch jetzt also auf brandneue Geschehnisse gefasst machen^^

Kapitel IV

~ Kapitel IV ~
 

Es war bereits tiefste Nacht, als Haseo zur Gilde zurückkehrte. Für gewöhnlich begann für ihn mit der Dunkelheit der Tag, doch heute war er einfach nur müde. Doch zu vieles ging ihm durch den Kopf, als dass er auch nur Schlaf hätte denken können.

Bei den Assassinen herrschte noch reges Treiben und seine Rückkehr schien schon mit Ungeduld erwartet worden zu sein. Kaum hatte Haseo das Hauptquartier betreten, schallte ihm eine vertraute Stimme entgegen.

“Haseo!”, rief Rika freudig und eilte schnellen Schrittes auf ihn zu. Während seiner Abwesenheit fiel es ihr immer schwer konzentriert zu bleiben, doch jetzt fiel ihr ein riesiger Stein vom Herzen.

“Keiner dachte, dass es so lange dauern würde.”, ihre Stimme wurde leiser, “Ich habe mir Sorgen gemacht…” Ein trauriges Lächeln spiegelte sich auf Rikas Gesicht wider. Haseo wusste nicht, was er ihr sagen sollte. Er konnte ihr unmöglich beichten, dass er sich von einem Lord Knight, einem Feind, um den Finger hat wickeln lassen.

>Zey…<

Schon wieder drohten seine Gedanken in hoffnungslose Träumereien abzudriften, doch er musste sich beherrschen. Es war vorbei. Für immer. Sie würden sich nie wiedersehen. Die Wahrheit schmerzte doch Haseo musste stark bleiben, seine Arbeit hatte bereits zu sehr unter seiner Schwäche gelitten.

“Haseo… ist in Prontera etwas vorgefallen?”

Haseo erschrak. Er hasste es, dass Rika über die unbarmherzige Gabe zu verfügen schien, direkt in seine Gedanken sehen zu können. Er konnte nicht anders, als den Blick abzuwenden. Haseo wusste nicht was schwerer wog, die Schande seine Mission nicht erfüllt zu haben, oder die Scham über sein verantwortungsloses Verhalten. Zumindest letzteres sollte niemals auch nur ein einziger Mensch erfahren, nur für seinen Misserfolg würde er die Konsequenzen tragen müssen.

Erwartungsvoll und neugierig beäugten ihn die vorbeiziehenden Assassinen. Haseo versuchte nüchtern zu klingen, als er das unvermeidliche aussprach:” Es verlief suboptimal…” Für einen Moment herrschte Totenstille und alle Umstehenden schienen erstarrt zu sein.

“Morgen werde ich dem Meister ausführlich Bericht erstatten.” Haseo wusste, dass er alle enttäuscht hatte, doch es war ihm egal. Er konnte nichts mehr ungeschehen machen oder ändern. Sollten die anderen doch denken was sie wollten. Haseos Gedanken waren viel zu konfus und sein Körper viel zu erschöpft, als dass er sich jetzt damit hätte auseinander setzen können. Wortlos nahm er seine Schritte wieder auf und ließ die Gaffer zurück.

“Haseo, warte!”, rief ihm Rika noch nach, doch Haseo bedeutete ihr mit einem Wink kein weiteres Wort zu verlieren. Er wollte nur noch ins Bett.
 

Kaum in seinem Zimmer angekommen entledigte sich Haseo der Priesterrobe und warf sie achtlos zu Boden. Eine große Last schien von seinen Schultern zu fallen und er hatte das Gefühl endlich wieder frei durchatmen zu können. Dies war sein erster Schritt zurück in ein für ihn normales Leben. Schnell war auch der Rest der erdrückenden Verkleidung abgelegt und Haseo fühlte sich schon wieder ein wenig besser.

Lediglich mit Unterhose bekleidet warf er sich auf das schmale Bett und vergrub das Gesicht im Kissen. Die Nächte in der Wüste wurden unerwartet kalt doch der kühle Wind, der durchs Fenster fiel, fühlte sich unbeschreiblich gut auf seiner Haut an. Doch Haseos Gedanken wollten einfach keine Ruhe finden. Seufzend drehte er sich um und starrte gedankenverloren die schwarze Decke an, als ein stechender Schmerz seinen Rücken durchzuckte. Haseo krümmte sich unter den unerwarteten Schmerzen doch sie ließen schon bald nach. Diese alte Wunde bereitete ihm nur noch selten Probleme doch jetzt pochte die Narbe, die sich quer über seinen Rücken erstreckte, unangenehm. Ein Sturm schien aufzukommen. Ironisch, wie Haseo fand. Schon damals, vor acht Jahren, bedeutete diese Verletzung für ihn das größte Unheil. Sie kostete ihn die Erinnerungen und beinahe das Leben. Er weiß nicht mehr, wie es passierte, doch von einer Minute zur anderen hatte sich sein ganzes Leben verändert und diese Narbe würde als ewiges Mahnmal auf seinem Rücken prangen.

>Ich weiß, dass du diesen schrecklichen Vorfall bestimmt verdrängen willst doch… bitte erinnere dich an mich… an uns!<

Plötzlich hallten Zeys Worte in Haseos Kopf wider.

“Ich will mich ja erinnern…”, flüsterte Haseo mit kraftloser Stimme. Er konnte nicht länger leugnen, dass er Zey Glauben schenkte und die brennende Sehnsucht ihn wiederzusehen flammte erneut in ihm auf.

“Zey…”

Inmitten der Dunkelheit konnte er ihn plötzlich so klar vor sich sehen, dass er zum Greifen nah schien. Verlangend streckte Haseo dem Trugbild beide Hände entgegen, hoffend, nur noch ein einziges Mal seine Wärme spüren zu können doch es blieb nichts außer der grausamen Leere, die seit jeher sein Herz beherrschte. Er war schon so lange allein doch in diesem Moment fühlte er sich zum ersten Mal einsam und er wusste, dass dies eine lange, durchwachte Nacht werden würde.
 

Es war noch früher Morgen doch Zey war schon lange auf den Beinen. An Schlaf war letzte Nacht nicht zu denken gewesen und so gab es nichts, was ihn im Bett gehalten hätte. Der Entschluss, den er gestern gefasst hatte, gewährte keinen Schlaf. Er würde Haseo finden und nie wieder gehen lassen - koste es was es wolle! Er würde ihn kein zweites Mal verlieren. Auch wenn seine Gedanken rastlos rasten, musste Zey einen kühlen Kopf bewahren. Sein Verlangen nach Haseo war unbändig, doch sein Vorhaben war mehr als nur riskant. Er würde sich tief in Feindesgebiet begeben müssen doch um Haseo zu finden, war ihm kein Preis zu hoch. Allein der Gedanke ihn wieder in die Arme schließen zu können, ließ alle Zweifel und Ängste schwinden. All die alten Erinnerungen drängten wieder an die Oberfläche. Ihre erste Begegnung, die ersten schüchternen Blicke und Annäherungsversuche - der erste Kuss. Die Unbeschwertheit, die sie damals genossen, würde nie wiederkehren, doch Zey war sich sicher, dass am Ende des steinigen Weges, der vor ihnen lag, das Glück auf sie wartete. Sie würden die vergangene Zeit nicht wiederbringen können doch vielleicht hielt die Zukunft noch größeres für sie bereit.

Noch frohen Mutes legte Zey seine Rüstung an doch eben das verursachte ein ungutes Gefühl in ihm. Er wusste nicht, ob seine Profession die Assassinen, denen er wohlmöglich begegnete, abschrecken oder viel mehr zum Angriff reizen würde. Sollte er sich bewaffnen? Oder könnte dies als Provokation gedeutet werden? Schließlich entschloss sich Zey dagegen. Die Assassinen waren klug genug, sich nicht in unnötige Kämpfe verwickeln zu lassen. Und so lange Zey sich nicht verdächtig verhielt, wurde er unbewaffnet wohl kaum als Bedrohung eingestuft. Dennoch war das Risiko groß, doch er war fest entschlossen, es einzugehen.

Schnellen Schrittes eilte Zey zur Tür. Er wollte keine Zeit verlieren und je länger er hier verweilte, desto eher kehrte die Vernunft zu ihm zurück. Zey wollte gerade die Tür öffnen, als an eben diese geklopft wurde.

Besuch? Wieso ausgerechnet jetzt?

Zey verharrte auf der Stelle in der Hoffnung der Störenfried würde einfach aufgeben und abziehen. Doch es klopfte erneut.

>Ich bin nicht da, geh doch endlich!<, dachte Zey entnervt. Doch der Besucher ließ nicht locker.

“Zey, mach die verdammte Tür auf!” Diese tiefe durchdringende Stimme konnte nur einem gehören. Sofort riss Zey die Tür auf und starrte in Ryes tiefblaue Augen.

“Da bist du ja!”, raunte Rye, doch Zey war zu perplex um etwas zu erwidern. Was wollte Rye hier? Es war ja nicht das erste Mal, dass er ohne Ankündigung vor seiner Tür stand, doch in diesem Moment war es mehr als unpassend.

“Willst du mich nicht rein bitten?”, fragte Rye ungeduldig. Zey nickte nur und gab den Weg frei. Erst als er die Tür hinter sich schloss fand er wieder zu seinen Worten zurück.

“Was verschafft mir denn die Ehre?” Zey versuchte betont ruhig und gelassen zu klingen, doch Ryes Blick verriet, dass es nicht sonderlich gut zu funktionieren schien.

“Ich wollte dich warnen!”, sagte Rye ernst, während er auf Zeys Bett platz nahm, “Und wie’s aussieht bin ich gerade noch rechtzeitig gekommen.” Zey war verwirrt.

“Warnen? Wovor denn?” Zey war unwohl, obwohl es völlig unmöglich war, dass Rye irgendetwas über Haseos wahre Identität wusste. Doch er hatte ihn so eindringlich gemustert, dass es nicht auszuschließen war.

“Dieser High Priest von gestern…”, und mit einem Mal schienen Zeys schlimmste Befürchtungen wahr zu werden, “Mit ihm stimmte irgendwas nicht!” Hastig brachte Zey ein künstliches Lachen hervor. Er durfte Haseo nicht auffliegen lassen.

“Das… das hast du dir bestimmt nur eingebildet.”, versuchte Zey abzulenken doch Ryes Blick wurde ernster.

“Du kannst ihm nicht trauen!” Diese Worte trafen Zey schwer. Einerseits, weil er nie an Haseos Aufrichtigkeit zweifeln würde und andererseits, weil sie dennoch wahr sein könnten. Ihr Wiedersehen nach so vielen Jahren baute auf einer Lüge auf. Zey wollte diese Gedanken nicht zulassen. Haseo mochte Assassine sein doch Zey wusste, dass er kein schlechter Mensch war. Was wusste Rye schon? Er kannte Haseo nicht. Er hatte doch keine Ahnung, was er da von sich gab.

“Zey, bitte, was auch immer du vorhast - lass es sein!” Ryes Stimme wurde zunehmend eindringlicher, doch Zey würdigte ihn keines Blickes. Es war ihm egal was Rye sagte, er würde Haseo suchen und finden.

“Zey… sieh mich an!” Doch er konnte nicht. Er wollte nicht. Zey hätte die vorwurfsvollen Blicke nicht ertragen. Rye wusste das auch und schien nur einen Ausweg zu sehen. Aus heiterem Himmel ergriff er plötzlich Zeys Arm und zog ihn zu sich heran, sodass er kaum eine andere Wahl hatte, als ihn endlich anzusehen. Eine Frage brannte wie Feuer in Rye. Er musste es einfach wissen, weshalb Zey den Fremden so in Schutz nahm.

“Zey, wie nah hast du ihn schon an dich heran gelassen?” Auch wenn es Rye vor der Antwort graute, konnte er sich nicht zurück halten. Er wusste, dass es wahrscheinlich seine Schuld war, dass Zey in den letzten Jahren wenig Wert auf die Wahl seiner Partner legte, doch Rye konnte nicht einfach tatenlos zusehen, wie er sich so leichtfertig in Gefahr begab. Und dieser Priester war auf jeden Fall gefährlich.

“Selbst wenn du mit ihm geschlafen hast, ist es noch nicht zu spät, das alles zu beenden!”

Das war zu viel! Plötzlich sah Zey nur noch rot und Wut machte sich in ihm breit. Ja, sein Lebensstil war von Zeit zu Zeit ziemlich freigiebig, doch war das alles, was Rye noch in ihm sah? Doch auch Haseo degradierte er damit gleichzeitig auf diese Stufe. Zey wusste nicht, was ihn davon mehr verletzte. Er wollte sich von Rye losreißen doch dieser hielt seinen Arm umklammert wie ein Schraubstock.

“Lass mich los…”, sagte Zey leise doch seine Stimme bebte hörbar vor Wut.

“Ich kann nicht zulassen, dass du solch einen Fehler begehst! Und außerdem, wenn du nichts zu verbergen hast, dann sag es mir!”

“Was geht dich das an!”, brach es laut aus Zey heraus. Er fixierte Rye mit loderndem Blick. “Das alles kann dir doch völlig egal sein!”, schrie Zey ihn an und gleichzeitig machte sich solch eine Trauer auf seinem Gesicht breit, dass es Rye schmerzte. “So wie es dir damals egal war… Wo war dein Mitgefühl, als du mich eiskalt ohne ein Wort zu sagen verlassen hast?!” Wieso musste Zey die alten Wunden wieder aufreißen? Rye stand die Bestürzung ins Gesicht geschrieben doch er versuchte die Fassung zu bewahren.

“Du hättest es nicht verstanden, selbst wenn ich es dir erklärt hätte…”, versuchte Rye noch zu erklären doch Zey wollte es nicht hören.

“Für dich war ich doch immer nur ein dummer Junge! Und als ich dir mit Leib und Seele verfallen war, hast du mich fallen gelassen!”

“Das ist nicht wahr!”, auch Rye konnte jetzt nicht mehr an sich halten, “Du warst alles für mich… Ich hätte dich nie gehen lassen, wenn ich nur eine Wahl gehabt hätte!” Zey verstand nicht, was Rye da von sich gab. Von wegen keine Wahl - wer hätte ihn schon zu so etwas zwingen können?

“Du bist wochenlang verschwunden gewesen und als du plötzlich aus heiterem Himmel wieder vor meiner Tür standest hast du mich keines Blickes gewürdigt! Du warst völlig verändert! Sag mir, wenn das nicht dein eigener Wille war, wessen dann?” Rye wandte den Blick ab. Er konnte Zey die Wahrheit nicht sagen, zu unvorhersehbar waren die Folgen.

“Es spielt keine Rolle mehr… “ Er wusste nicht, was er Zey sonst sagen konnte. Rye hatte gehofft, das ganze Unglück irgendwann vergessen zu können, doch selbst nach fünf Jahren reichten die Wunden noch zu tief. Große Gefühle ziehen meist noch größere Schmerzen nach sich, das mussten sie beide lernen. Rye wusste, dass nichts sein Handeln wieder gut machen konnte, doch Zey hatte es verdient, dass er aufrichtig zu ihm war.

“Zey, ich wollte dich nie verletzen. Weder damals noch heute!” Rye lockerte seinen Griff um Zeys Arm und ergriff stattdessen seine Hand. “Auch wenn du mir nicht mehr glauben oder vertrauen kannst, bist du noch immer der wichtigste Mensch in meinem Leben.” Zögernd und scheu sah Zey Rye an. Er war sich nicht sicher, was er davon halten sollte.

“Wieso… sagst du mir das jetzt?” Zey war sich selbst nicht im Klaren darüber, welche Antwort er sich erhoffte, doch er musste es wissen. Sekunden verstrichen wie Stunden, bevor Rye sich zu einer Antwort durchringen konnte. Seine Stimme klang aufgewühlt.

“Weil…”, er hielt einen Moment inne und suchte Zeys Blick, “Weil ich dich noch immer l…” Rye unterbrach seinen Satz. Zey würde seine Gefühle nicht erwidern, selbst wenn er ihm dieses Geständnis machte. Außer einer Abfuhr und Mitleid würde Rye nichts ernten und er entschied sich, dass es besser sei, es nicht auszusprechen. Er würde den Schmerz weiterhin alleine tragen und tief in seinem Herzen begraben. Zey stutzte.

“ ’Noch immer’ was?” Mit dieser halbvollendeten Antwort würde er sich nicht zufrieden geben. Währenddessen suchte Rye verzweifelt nach einer Alternative.

“Noch immer l… lästigerweise beschützen will…” Kaum ausgesprochen wünschte Rye auch schon, er könne es wieder rückgängig machen. Zwar war die Aussage im Grunde nicht falsch, doch für diese Formulierung hätte er sich am liebsten selbst geohrfeigt. Auch Zey war sichtlich verdutzt über diese Antwort. Er war sich sicher, dass dies nicht das war, was Rye eigentlich sagen wollte - zumindest hoffte er es. Doch was blieb ihm anderes übrig, als es hinzunehmen? Rye würde es nicht revidieren.

“Ich weiß nicht, ob ich mich darüber ärgern oder freuen soll.”, sagte Zey mit unsicherer Stimme. Auch Rye wusste es nicht, aber er war froh, dass Zey es nicht hinterfragte.

“Ich sollte besser gehen.” Rye ließ Zeys Hand los und drängte sich an ihm vorbei ohne ihn noch mal anzusehen.

“Rye, warte!” Diesmal war es Zey der Rye nicht gehen ließ. Er hielt seinen Arm. Nicht fest, aber bestimmt. “Egal was passiert”, Zey holte tief Luft, “wir bleiben Freunde, richtig?” Rye war gerührt von so viel kindlicher Naivität. Mit einem sanften Lächeln fuhr er Zey durchs Haar. In Momenten wie diesen hatte Rye das Gefühl Zey noch mehr zu lieben als zuvor und es schmerzte ihn. Ein bittersüßer Dolch mitten durch sein Herz.

“Wir bleiben Freunde, auch wenn ganz Midgard zu Grunde gehen sollte.” Zey lächelte glücklich bei diesen Worten.

“Versprochen?”, fragte er dennoch nach Bestätigung suchend.

“Versprochen!”, erwiderte Rye sofort. Er würde Zey nie falschen Hoffnungen machen. Rye war ein schwieriger, aber zutiefst aufrichtiger Mensch. Und das wusste auch Zey. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen ließ er von Rye ab.

“Ich melde mich bald wieder bei dir, ok?” Rye bedeutete ihm mit einem Wink, dass er zustimmte und verließ die Wohnung. Für einen Moment hielt er inne und überlegte, ob er Zey hier abfangen sollte, wenn er heraus gestürmt kam. Doch Rye war sich sicher, dass auch eine weitere Auseinandersetzung Zey nicht umstimmen konnte.

>Pass auf dich auf… bitte<
 

Zey beobachtete durchs Fenster wie Rye sich entfernte. Einen Augenblick lang hatte er geglaubt er würde ihm bestimmt hinter der Tür auflauern, um ihn erneut von seinem Vorhaben abzubringen, doch da schien er sich geirrt zu haben. Beschämt über sein eigenes Misstrauen senkte Zey den Blick. Insgeheim war er wahnsinnig froh jemanden zu haben, der sich so um ihn sorgte. So fühlte es sich fast schon hinterhältig an, Ryes Vertrauen bei Seite zu schieben und wider aller Warnungen nach Haseo zu suchen. Zey wusste, dass es Irrsinn war, doch er konnte nicht von ihm ablassen. Man sagt, die erste Liebe sei zum Scheitern verurteilt - Zey wollte das Gegenteil beweisen. Es war viel Zeit vergangen. Damals waren sie beide fast noch Kinder doch heute waren sie gestandene Männer. Es würde funktionieren. Zey wollte, dass es funktioniert. Er glaubte fest an Haseo, an sie beide.

Er warf erneute einen Blick aus dem Fenster, um sich zu versichern, doch Rye war nicht mehr zu erspähen. Er müsste inzwischen weit genug entfernt sein, um Zeys Spur nicht verfolgen zu können. Diese ganze Heimlichtuerei ließ sein Vorhaben verboten erscheinen und wahrscheinlich war es das auch, doch gerade das verursachte bei Zey ein aufgeregtes Kribbeln im Bauch.

Beschwingt machte er sich auf den Weg. Zielstrebig steuerte Zey durch die belebten Straßen Pronteras, direkt auf eine nette Kafra- Angestellte zu.

“Guten Morgen!”, grüßte sie ihn freundlich, “Wie kann ich Ihnen behilflich sein?” Zey grüßte zurück und verlangte einen Warp nach Morroc. Gegen ein kleines Entgelt kam die Kafra seiner Bitte gerne nach und öffnete das Portal. Zey zögerte einige Sekunden. Ein letzter Anflug von Zweifeln doch schließlich trat er mit wild schlagendem Herzen in die surrende Lichtsäule.
 

Zey hatte die Augen geschlossen. Als er sie wieder öffnete fand er sich in einer völlig veränderten Umgebung wieder. Die Gegend war karg und trostlos mit einigen wenigen schlichten Behausungen. Die Luft roch nach Sand und Verderben. Vereinzelt boten dubiose Händler ihre ebenso dubiosen Waren feil und die orange-rote Sonne brannte erbarmungslos am Himmel. Wie lange war es her, dass Zey zuletzt einen Fuß in diese gottverdammte Einöde gesetzt hatte? Vier Jahre, er war sich sicher. Wie hätte er es auch vergessenen können? Er hatte Morroc seit jenem Tag gemieden. Doch jetzt legte ihm seine Vergangenheit mit grausamer Unbarmherzigkeit blutgetränkte Ketten an. Wie man es auch drehte und wendete, Morroc war in Zeys Augen der furchtbarste Ort auf der ganzen Welt. All seine Verfehlungen und verdrängten Erinnerungen schienen hier zusammen zu laufen. Hier im Schoß der Mörder und Diebe gebar und mit trauriger Gewissheit musste sich Zey eingestehen, dass auch er hierher gehörte. Egal, wie vehement er es auch zu leugnen versuchte, seine Wurzeln würden ihn einholen - immer wieder.

Kapitel V

~ Kapitel V ~
 

Mühevoll quälte sich Haseo aus dem Bett. Die Müdigkeit schien ihn doch für ein, zwei Stunden übermannt zu haben und er wünschte sich, es wäre nicht so gewesen. Keinen Schlaf konnte er besser ertragen, als nur kurzen. Träge schlurfte Haseo durch den Raum zu einer kleinen Kommode und entnahm ihr Kleidung. Gleichzeitig betrachtete er sein Haar, welches wild in alle Richtungen abstand, in einem kleinen Spiegel. Er sah ausgelaugt aus. Dies wunderte Haseo jedoch nicht im geringsten nach dem gestrigen Tag. Er konnte sich nicht entsinnen jemals ein solches Chaos durchlaufen zu haben. Doch der schwerste Gang sollte ihm noch bevor stehen.

Lustlos versuchte er sein langes Haar zu bändigen und band es im Nacken zu einem lockeren Zopf, sodass einzelne Strähnen wieder heraus fielen und sich an sein Gesicht schmiegten. Ein derart unordentliches Auftreten sah dem sonst so peniblen Assassinen selbst am frühen Morgen nicht ähnlich. Dessen war er sich bewusst. Doch wenn seine Verfehlungen des gestrigen Tages erst einmal publik werden, würde er ohnehin zum Gespräch der ganzen Gilde werden. Auf einen Fehltritt mehr oder weniger kam es jetzt auch nicht mehr an. Sein makelloses Image würde angekratzt bleiben.

Missmutig betrachtete Haseo seine Reflektion im Spiegel und erschrak. Er blickte in seine eigenen tiefroten Augen und fühlte - nichts. Keinen Hass, keine Abscheu, keinen Ekel über seine Existenz. Lediglich leere Gleichgültigkeit. Ob dies als Steigerung seines Selbstwertgefühls einzustufen war vermochte Haseo nicht zu sagen. Es war das erste mal seit Jahren, dass er sein Abbild, ohne den Wunsch es zu zerstören, betrachten konnte. Wie war es möglich, dass diese eine gestrige Begegnung ihn so verändert hatte? Oder hatte er sich gar nicht verändert sondern nur einen längst verloren geglaubten Teil seiner Persönlichkeit wieder gefunden? Doch egal was es war, Haseo verstand es nicht.

Seufzend neigte er den Kopf von links nach rechts und ließ sein Genick knacken. Es hatte keinen Sinn sich darüber noch länger den Kopf zu zerbrechen. Haseo atmete einige Male tief ein und aus und versuchte einen kühlen Verstand zu bewahren. Er musste sich jetzt eine plausible Erklärung für sein Scheitern zurechtlegen. Doch wie er es auch drehte und wendete, es würde unangenehme Konsequenzen haben.
 

Mit gesenktem Haupt ging Haseo durch die leeren Flure des Gebäudes. Nur ab und zu kreuzte ein anderer Assassine seinen Weg, doch Haseo sah nie auf. Er wollte keinen Blickkontakt, am liebsten überhaupt keinen Kontakt zu niemandem. Er fühlte sich wie ein Verurteilter auf dem Weg zur Exekution. Ihm war klar, dass seine Strafe weniger drastisch ausfallen würde, doch als Assassine seinem Stolz beraubt zu werden kommt dem Tod schon sehr nahe.

Vor den Türen, die Haseo noch von seinem Gildenmeister trennten, hielt er inne und ging noch einmal in sich bevor er klopfte. Das leise “Herein”, das folgte, ließ sein Herz schier einen Schlag lang aussetzen und mit einem flauen Gefühl im Magen trat Haseo ein.

Sein Meister, ein eher unscheinbarer Typ, saß hinter einem schweren Tisch aus Holz. Vor ihm mehrere Stapel Papier, ordentlich sortiert. Vermutlich Anfragen für Aufträge durch Dritte, sie verrichteten meistens solche Arbeiten. Ein weiteres Mal wurde Haseo die Banalität seiner Existenz bewusst. Er, sowie alle anderen Assassinen, waren Werkzeuge. Perfekt funktionierende Marionetten, gesteuert durch die Hände fremder Menschen. Zu absolutem Gehorsam und Disziplin erzogen, konnte Individualität nicht geduldet werden. Mangelhafte Exemplare mussten eliminiert werden.

Haseo musste schlucken, als er auf seinen Befehlshaber zuging.

“Verzeiht die Störung, Meister”, Haseo verneigte sich kurz vor ihm, “Sie wissen sicher bereits, weshalb ich sie aufsuche.”

“Um mir von deinem Scheitern zu berichten.”, erwiderte der braunhaarige Mann prompt und ohne zu Haseo aufzusehen. “Solche Nachrichten verbreiten sich wie ein Lauffeuer.”

Haseo sah betroffen zu Boden.

“Ich bin enttäuscht.” Ja, das war es, was Haseo erwartet hatte. “Ich hatte Großes von dir erwartet, doch wie man sieht…” der Gildenmeister legte die Papiere beiseite und sah Haseo an, “… bist auch du nichts als reine Zeitverschwendung!” Diese Worte trafen Haseo wie ein Dolch, dessen rostige Klinge infektiöse Wunden in sein Fleisch riss. All die Jahre hatte er der Gilde hervorragende Dienste geleistet doch letztlich würde man ihn nur an diesem einen Fehltritt messen. Es hätte ihm so klar sein müssen. Wer nicht funktionierte, war wertlos. Er war wertlos.

“Ich befürchte, ich werde dir in naher Zukunft keine Missionen anvertrauen können.”, sagte sein Meister nüchtern und versank erneut in die Schriftstücke, die sich vor ihm auftürmten, als ob nichts geschehen wäre. Die vernichtenden Worte, die er Haseo noch kurz zuvor entgegengeschleudert hatte, schienen ihn in keiner Weise zu grämen. Nur ein weiterer Beweis dafür, dass nicht einmal ihr Meister sie als Menschen zu sehen schien. Es war ihm egal, ob das Individuum vor ihm an seinen Worten verzweifelte.

“Geh’ jetzt!” Mit einem Wink seiner Hand bedeutete er Haseo den Raum zu verlassen und Haseo tat, wie ihm geheißen.

“Bitte entschuldigen Sie die…”

“Spar dir den Atem!”

Angespannt presste Haseo die Lippen aufeinander. Jedes weitere Wort schien fatal zu sein und so verneigte er sich erneut und verließ stumm das Zimmer.

Als die Tür ins Schloss fiel seufzte der Gildenmeister hörbar.

“Findest du, es ziemt sich, die Gespräche anderer zu belauschen?”

Ein leises Lachen ertönte aus dem scheinbar leeren Raum.

“Er war schließlich mein Schüler”, ertönte eine Männerstimme, “Seine Verfehlungen sind auch meine.” Allmählich nahmen die Schatten Gestalt an und gaben einen zwar jungen, aber offensichtlich vom Leben gezeichneten, Mann preis. Er war wie Haseo Assassine Cross. Das weiße Haar fiel ihm tief ins Gesicht, doch darunter konnte man deutlich seine gelben Raubtieraugen leuchten sehen. Sein plötzliches Erscheinen ließ den Meister jedoch kalt. Vermutlich gewöhnte man sich mit der Zeit an diese Fähigkeiten.

“Was willst du?”, fragte der Meister den Eindringling forsch, “Ich glaube nicht, dass du nach so langer Zeit wieder kommst, nur um deinen ehemaligen Schüler in Schutz zu nehmen.”

Der Fremde lachte erneut. “Sie tun mir Unrecht. Was ist so falsch daran seinem wertvollen Schützling unter die Arme greifen zu wollen?” Der Assassine lächelte unschuldig doch der Meister durchschaute seine Scharade.

“Was führst du wirklich im Schilde, Kagami? Dich wird wohl kaum die reine Sehnsucht nach ihm hierher geführt haben?”

Kagamis Lächeln wandelte sich zu einem hämischen Grinsen und seine Augen weiteten sich.

“Haseo scheint während meiner Abwesenheit ganz schön abgebaut zu haben.”

Der Gildenmeister horchte bei Kagamis Worten auf.

“Ich dachte, ich sollte ihm vielleicht mal wieder etwas ’Training’ zukommen lassen.”

Mit noch immer weit aufgerissenen Augen starrte Kagami seinen Meister an und erwartete dessen Reaktion. Doch er zögerte.

“Seht doch nur, was für ein Mann aus ihm geworden ist unter meiner Führung! Dieser prächtige Körper dieses einst so schmächtigen Jungen. Ein weiteres Mal wird zu aller Nutzen sein!”

Er wusste nicht, was es war, doch Kagami hatte eine gespenstische Art an sich, die selbst seinen eigenen Gildenmeister schauern ließ. Kagamis sogenannte Trainingsmethoden waren moralisch mehr als nur fragwürdig, doch sein Erfolg ließ kaum einen Zweifel zu. Haseo war ein zu wichtiges Mitglied der Gilde, als dass er ihn einfach so fallen lassen konnte. Trotz der erfolglosen Mission musste er sich eingestehen, dass Haseos Fähigkeiten noch immer außergewöhnlich waren.

Der Gildenmeister ließ sich lange Zeit bevor er Kagami eine Antwort gab. Doch am Ende sah er sich gezwungen, seinem Wunsch nachzugeben.

“Du hast freie Hand…”

Als müsse er seine Erregung unterdrücken, biss sich Kagami auf die Unterlippe und lächelte. Im selben Moment fürchtete sein Meister, eine Bestie, die lange geschlafen hatte, wieder erweckt zu haben. Doch vielleicht war es genau das, was Haseo brauchte. Zumindest versuchte er sich dies einzureden und sein Gewissen zu beruhigen.

“Sie werden es nicht bereuen!”, sagte Kagami mit freudig erregter Stimme und verschwand ohne eine Reaktion abzuwarten wieder in den Schatten.

Der Meister der Assassinen seufzte erneut und fuhr sich durch die Haare. Für einen Moment schien er in Gedanken versunken zu sein doch dann schüttelte er den Kopf, als wolle er sich selbst von seinen Zweifeln befreien und widmete sich wieder seiner Arbeit.
 

Mit hängenden Schultern schlurfte Haseo seinem Zimmer entgegen, sich fragend, ob dieser Tag noch schlimmer werden konnte. Obwohl er aus Erfahrung wusste, dass diese Frage vollkommen überflüssig war, denn nach unten schien es keine Grenze zu geben. Auch wenn er seinem Leben nie irgendeine Art von Bedeutung zugewiesen hatte, fühlte sich Haseo im Moment noch wertloser als bisher. Ein Assassine der keine Aufträge bekam war lediglich Platz- und Zeitverschwendung. Sein Meister hatte Recht.

Kaum angekommen verschloss er die Tür hinter sich und ließ sich voll bekleidet aufs Bett fallen. Er war müde. Mit dem Kopf im Kissen schloss Haseo die Augen. Ja, es wäre das Beste, wenn er diesen furchtbaren Tag einfach verschlafen könnte. Er wollte nichts mehr hören oder sehen, an nichts mehr denken. Er wollte sich nur noch dem süßen Nichts hingeben und in tiefen traumlosen Schlaf fallen.

Schon bald spürte Haseo wie ihm die Sinne schwanden und ihn eine angenehme Dunkelheit umgab. Vielleicht sollte ihm tatsächlich dieser eine Wunsch gewährt werden.
 

Das Bild war verschwommen, als würde er durch einen Schleier blicken. Er war am Boden und sein Rücken pulsierte vor Schmerzen. Unter ihm Sand. Sand und Blut. So entsetzlich viel Blut, dessen penetranter Gestank die Übelkeit in ihm aufstiegen ließ.

Er wollte aufstehen, wegrennen, doch sein Körper verweigerte ihm den Dienst. Kraftlos ließ er seine vernebelten Augen von links nach rechts wandern und wünschte sich sofort, er hätte es nicht getan. Nur eine Armlänge entfernt lag ein rothaariges Mädchen. Sie war Archer. Ihre großen blauen Augen waren weit aufgerissen und ohne jeden Glanz. Aus einer Wunde rann Blut und färbte ihr hellblaues Gewand dunkelrot. Der Junge am Boden wusste nicht was schlimmer war, der abartige Gestank oder das offensichtlich tote Mädchen vor seinen Augen. Doch er hätte keine Kraft gehabt sich zu übergeben, selbst wenn er es gewollt hätte. Er wandte den Blick ab, mehr konnte er nicht tun.

Immer wieder drohte er ohnmächtig zu werden doch er zwang sich bei Bewusstsein zu bleiben. Würde er jetzt die Augen schließen wäre alles vorbei. Er wollte nicht, dass sein junges Leben so endete. Doch was hatte er schon für Chancen? Allein im Dreck mit einer klaffenden Wunde. Es wäre so viel einfacher aufzugeben. Sein Leiden endlich zu beenden. Hoffnung gab es ohnehin keine mehr.

Gib auf!

Ja.

Es ist vorbei.

Der Junge spürte, wie seine Lider immer schwerer wurden. Nur noch wenige Augenblicke voll Qualen, dann würde es vorbei sein. Nur noch ein Bisschen.

“Ha… o…!”

Plötzlich schien ein neuer Funken Lebenswille in ihm aufgeflammt zu sein. Mit neuer Kraft öffnete er die Augen und sah, wie sich jemand näherte.

Er war zu kraftlos, um den Kopf zu haben und so sah er nur die gepanzerten Stiefel seines Retters. Ein Knight?

“Ha… seo!”

Da war es wieder. Diese vertraute Stimme, die aus der Ferne seinen Namen zu rufen schien, obwohl er doch so nah war. Er war wirklich gekommen, um ihn zu retten. Er war hier.

Haseo spürte, wie etwas fest auf seinen Rücken gepresst wurde, bevor ihn sein Retter vorsichtig zu sich heranzog und seinen Kopf auf seinem Schoß bettete.

“Bleib bei mir! Es wird alles gut!”, sagte der junge Knight mit mühsam ruhiger Stimme, doch seine grünen Augen verrieten den Horror, der in ihm herrschte. Sein halblanges weißes Haar fiel wirr, doch das kannte Haseo nicht anders von ihm, und klebte strähnig im Angstschweiß auf seiner Stirn. Seine zitternden Hände hatte er unter Haseos Kinn und auf seine Wange gelegt, während er seine Worte immer und immer wieder wiederholte.

Haseo fühlte Erleichterung, wenn nicht sogar Glück. An seiner Seite würde er in Frieden sterben können. Er hätte ihm so gerne alles gesagt. Wie glücklich er war, in diesem Moment nicht allein zu sein, und wie sehr er ihn dafür und für so viel anderes liebte. Doch ihm blieb keine Zeit mehr. Er würde gehen ohne es jemals ausgesprochen zu haben und sein Herz füllte sich ein letztes Mal mit Trauer, als es dunkel um ihn wurde.
 

Wie vom Schlag getroffen saß Haseo kerzengerade und schweißgebadet im Bett. Sein Atem ging schnell und flach und sein Herz raste mit besorgniserregender Geschwindigkeit. Es dauerte einen Moment bevor er wieder realisieren konnte wo er sich befand. Unter Stöhnen ließ er sich zurück ins Kissen fallen. Wie lange war es jetzt her, dass ihn dieser Traum das letzte Mal heimgesucht hatte? Zu lange, als dass sich Haseo daran erinnern konnte.

Allmählich normalisierte sich seine Atmung und sein Herzschlag wieder, als sich eine unvermeidliche Frage aufdrängte. Wieso war dieser Traum plötzlich zurückgekehrt? Obwohl es viel weniger ein Traum, als viel mehr eine Erinnerung war. Die einzige, die immer wieder schwach in Haseos Unterbewusstsein aufkeimte und ihm nicht nur den Schlaf, sondern auch den Verstand raubte.

Es begann und endete immer an der selben Stelle. Und immer wieder wurde Haseo mit den selben konfusen Emotionen und Eindrücken zurückgelassen. Der Gestank des Bluts, das tote Mädchen und der Knight, den er so innig zu lieben schien und an dessen Namen er sich dennoch nicht erinnern konnte.

Erneut schloss Haseo die Augen, um seine Gedanken zu sammeln. Irgendetwas war dieses Mal anders. Es fühlte sich anders an. Doch was?

So sehr es ihm auch davor graute, so musste sich Haseo doch jedes Detail noch einmal in Erinnerung rufen. Er ging alle Einzelheiten durch, doch nichts geschah. Er wollte schon aufgeben, es als einmaliges Phänomen abschreiben, als er sich auf den jungen Knight besann. Diese Augen. Dieses strahlende Grün, Haseo war sich sicher, es erst kürzlich gesehen zu haben. Und er wusste auch wo. Sofort manifestierte sich ein neues Bild vor seinem inneren Auge.

“Zey…?”

Sie hatten zweifellos die selbe Ausstrahlung und weckten die selben Gefühle in Haseo. Seit diesem Vorfall mussten mindestens acht Jahre vergangen sein, es war also nicht weiter verwunderlich, dass Zey in dieser Zeit zum Lord Knight aufgestiegen war. Außerdem deckte es sich mit Zeys Geschichte. Einzig seine Haarfarbe passte nicht. Haseo hatte sich über solche Oberflächlichkeiten nie Gedanken gemacht, doch er wusste, dass es in Großstädten wie Prontera durchaus üblich war Haarfarbe und Frisur nach Lust und Laune zu ändern.

Verzweifelt vergrub Haseo sein Gesicht in den Händen. Wieso musste er diesen Traum haben? Wieso musste sich plötzlich alles zu einem Bild zusammenfügen? Er hatte sich doch geschworen Zey für immer zu vergessen. Nicht mehr an ihn zu denken und ihn erst recht nicht wiederzusehen. Doch all seine Vorsätze brachen in sich zusammen wie ein Kartenhaus im Wind. Wie hätte Haseo jetzt einfach aufgeben können? Er war sich sicher, nachdem er dieses erste Puzzleteil gefunden hatte, würde es für ihn kein Zurück mehr geben. Er wollte es wissen. Er wollte alles wissen!

Den Respekt seines Meisters hatte er ohnehin schon verloren. Jetzt ein Verbot mehr oder weniger zu brechen würde keinen Unterschied machen. Er wusste es bereits vor acht Jahren und Haseo weiß es auch heute wieder - in Zeys Armen würde er glücklich sterben können. Sollte dies also der Preis für ein, wenn auch nur kurzes, Leben in Klarheit sein, so würde er es bereitwillig akzeptieren.

Schnell entledigte er sich seiner verschwitzten Kleidung und zog neue an. Haseo würde nicht länger warten. Missionen hatte er in nächster Zeit sowieso keine zu erwarten, was sich plötzlich als durchaus hilfreich erwies. Vielleicht begann sein Leben sich dank Zey tatsächlich zum Besseren zu wenden. Er würde ihm dafür danken müssen. Auch dass er sich gestern in Zeys Wohnung einladen ließ bereute Haseo nun in keiner Weise mehr. All dies würde ihm nun zu Gute kommen. Zum ersten Mal in seinem Leben würde sich Haseo gegen die Gilde auflehnen und er musste zugeben, dass es einen gewissen Reiz auf ihn ausübte. Verbotene Früchte schmeckten bekanntlich immer am süßesten.

Ohne große Umschweife verließ Haseo sein kleines Zimmer und bahnte sich zielstrebig seinen Weg zum Ausgang. Während seine Füße ihn wie von selbst zu tragen schienen verfiel er unwillkürlich in Gedanken.

Nach seinen Erinnerungsfetzen und Zeys Erzählungen zu schließen waren sie damals so etwas wie ein Paar. Bei dieser Vorstellung musste Haseo kurz innehalten. Mit seinen nunmehr dreiundzwanzig Jahren hatte er noch nie eine Beziehung geführt, was bei seiner Profession nur wenig verwunderlich war. Dennoch fiel es ihm schwer zu glauben, dass er bereits acht Jahre zuvor, mit fünfzehn, eine intakte Beziehung gehabt haben soll. Sie waren damals beide jung. Vielleicht war ‘alles was sie hatten’, wie Zey es nannte, nur jugendliche Neugier. Doch was genau hatten sie? Wie weit waren sie tatsächlich gegangen?

Haseo spürte wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Obwohl er ein erwachsener Mann war, hatte er nie wirklich über dieses Thema nachgedacht oder sich gar selbstbefriedigt. Die Vorstellung, dass er bereits in so jungen Jahren so lüstern gewesen sein konnte, war ihm peinlich. Doch damals war seine Welt noch in Ordnung. Damals ahnte Haseo noch nicht, welches Leid ihm nur knapp ein Jahr später durch einen anderen Mann zugefügt werden sollte. Doch damals ahnte er so vieles noch nicht. Die schmerzlichen Erinnerungen raubten ihm den Atem. Der Gedanke an die Berührungen dieses Mannes jagten Haseo Schauer über den Rücken. Doch bei Zey war es anders. Egal wie unerwartet Zey ihn auch berührt hatte, Haseo hat es nie als unangenehm empfunden. Ganz im Gegenteil. Zwar war es nicht so, dass es unanständige Gedanken in ihm auslöste, doch die Sehnsucht nach nur einer weiteren Berührung war stark. Haseo war sich noch nicht sicher, doch er glaubte, dass er sich Zey irgendwann öffnen konnte. Sie waren bereits durch ein inniges Band miteinander verbunden, das keiner von ihnen leugnen konnte. Haseo wollte daran anknüpfen und es noch vertiefen.

Nach seinem eher unfreiwilligen Stopp nahm er seine Schritte wieder auf. Zum Glück kreuzten nur wenige Assassinen seinen Weg und auch von Rika war weit und breit keine Spur. Eines ihrer Kreuzverhöre hätte Haseo jetzt gerade noch gefehlt. Er war noch nie gut darin sich glaubwürdige Ausreden einfallen zu lassen und so stand ihm die Erleichterung förmlich ins Gesicht geschrieben.

Nur noch wenige Meter bis er die verschlungenen Wege des Gildengebäudes endlich hinter sich gelassen hatte. Er konnte den brennenden Wüstensand schon förmlich riechen, als Haseo eine Stimme hinter sich vernahm.

“Wohin des Weges?”, tönte eine Männerstimme.

Augenblicklich erstarrte Haseo. Diese Stimme! Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, dass er sie nicht mehr gehört hatte, doch es bestand kein Zweifel. Der Mann, von dem er gehofft hatte, ihn nie wieder sehen zu müssen, war zurück.

“Kagami…”



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von:  Nesthzeru
2011-09-27T19:05:20+00:00 27.09.2011 21:05
amg D'AWWWWWWWWWWWWWWWW QAQ <333
Das war niedlich... und ergreifend QAQ während der Szene mit Rye und Zey hat mir mein Winamp "Life after you" von Chris Daughtry gespielt... mein Gott, das hat gepasst. Ich hab richtig dieses zusammenziehende Gefühl in der Brust gespürt, das man hat, wenn einen etwas berührt. HNNNNNGH, ich mag deinen Schreibstil einfach <3 Und ich will wissen, was da so alles in der Vergangenheit passiert ist... vor allem aber mag ich deine Charaktere. Hat damals mit Haseo angefangen, Zey kam bald dazu, aber mit dieser Geschichte und spätestens diesem Kapitel gehört Rye definitiv mit nach ganz vorne! Er tut mir voll Leid QAQ Ich hoffe, er findet auch noch sein Glück, irgendwie QuQ ♥
Von:  Nesthzeru
2011-08-22T18:21:33+00:00 22.08.2011 20:21
HNNNNNNNNNNNNNNNNNNNGH QAQ
Die beiden sind so niedlich, aber HNNNNNNGH, soooo traurig Q____Q <333 //FANGIRLIE
Das gibt noch Ärger, das gibt noch Ärger... ach, ich mag solche Geschichten, das Ganze dann noch mit RO (und noch dazu Assassin Cross)... perfekt <3

Und es macht nichts, lass dir Zeit \o/ Besser als einfach nur was hinzuschludern und dann unzufrieden damit zu sein~ Ich kann mir vorstellen, dass deine Arbeitswelt der Horror war, mir war "Kaufhaus auf Fehmarn" ja schon anstrengend genug x'D
Von:  Nesthzeru
2011-06-28T22:06:31+00:00 29.06.2011 00:06
...oh, und ich würde zu gerne mal ein Bild von Haseo mit den offenen Haaren sehen *A* <33
Von:  Nesthzeru
2011-06-28T22:03:54+00:00 29.06.2011 00:03
So... hat ja lange genug gedauert, aber nun bin ich endlich mal dazu gekommen, auch die FF-Version zu lesen \o/

Ich muss sagen, ich mag deinen Schreibstil. Teilweise hakt es etwas mit den Zeiten - ich bin mehrfach über Präsens aka Gegenwartsform gestolpert, aber das tut meinem Spaß am Lesen keinen Abbruch~
Haseo und Zey sind einfach putzig, ich mag die beiden :3 Und ich finde es schön, etwas mehr zu sehen, was in Haseos Kopf vorgeht. Also, ich finde den Douji schon gut so, wie er ist, aber als Fanfiction ist das dann doch nochmal was Anderes <3

Ich freue mich schon auf's nächste Kapitel :D


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