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Lichtbringer

Der Fall des Lichkönigs einmal anders...
von

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Der eisige Abgrund

„Was soll das heißen: Sie ist weg?“

Auf dem scharf geschnittenen Gesicht des alten Paladins zeigte sich kaum eine Regung als sein Blick zwischen Muradin Bronzebart und Golofin Gnollhammer wechselte.

„Na, weg. Wie vom Erdboden verschluckt. “ Golofin stemmte seine Fäuste in die Taschen seines Mantels und begegnete Fordrings Blick mit einem Anflug von Trotz. Muradin räusperte sich.

Mit einem unwirschen Knurren zuckte der rothaarige Zwerg seine gedrungenen Schultern.

“Na schön. Sie ist fortgeritten. Nach dem Auftritt, den sich Frau Windläufer geleistet hat auch kein Wunder.”

Fordring runzelte leicht die Stirn. “Wohin ist sie geritten?”

Wieder zuckte der Kundschafter mit den Schultern und wollte gerade etwas erwiedern, als Balinar von Breenans energische Stimme von der Flügeltüre her erklang.

“Das wird uns dieser junge Herr hier genauer erklären können!”

Die Männer wandten sich zu Tirion Fordrings Adjutanten um, der Seyfried am Arm gepackt hielt und recht unsanft in den Saal stieß. Hinter ihnen schlossen die Wachen wieder die Türen.

“Nun, Herr Rotpfad, sagt dem ehrenwerten Tirion Fordring, wohin die Blutelfe geritten ist.”

Fordring sah dem zögerlich näherkommenden sommersprossigen Paladin mit fragend hochgezogener Braue an. Seyfried verzog verdrießlich das Gesicht.

“Sie reitet zur Eiskronenzitadelle.”

Kein Muskel in Fordrings Gesicht verriet seine Gefühlsregung, immer noch lauerte die hochgezogene Braue auf eine weitere Erklärung. Mit gesenktem Kopf fuhr Seyfried fort.

“Ich habe ihr von Bolvar erzählt.”

Jetzt nickte der alte Paladin leicht. “Ihr wusstet, dass diese Information unter keinen Umständen diesen Raum verlassen durfte. Und dennoch habt ihr einer Person davon erzählt, die ihr kaum einen Tag kennt. Stimmt das?”

Es war mehr ein Ausdruck der Neugier denn des Vorwurfs, der auf dem Gesicht des alten Mannes lag. Seyfried nickte verhalten, hob dann aber seinen Kopf und sah Fordring offen an.

“Wenn das Licht in euren Herzen wohnt, dann lasst euer Herz entscheiden wenn der Verstand keine Antwort weiss. Dass sind eure eigenen Worte, Herr. Und nichts anderes habe ich heute getan. Es erschien mir richtig, es ihr zu sagen.”

Für einem Moment schien die Andeutung eines Lächelns über Tirion Fordrings Gesicht zu huschen. Dann aber wurde sein Geischt wieder ernst. “Ja, das sind unbestritten meine Worte. Sie aber in diesem Kontext zu gebrauchen ist recht verwegen von euch, junger Paladin- doch zweifele ich nicht an euren hehren Absichten. Dennoch ändert es nichts an der Tatsache, dass ihr eine militärische Anordnung mißachtet habt. Das wird noch ein Nachspiel für euch haben, Seyfried.”

Wieder nickte Seyfried. “Dessen bin ich mir voll und ganz bewusst.”

Balinar trat einen Schritt vor. “Ich werde Verfolgungseinheiten organisieren und unverzüglich auf dem Weg schicken.”

Fordring schüttelte den Kopf. “Nein, Balinar. Das sorgt für viel zu viel Aufsehen. Holt mir Sardak Dunkelschwinge.”

Jetzt umspielte ein sarkastisches Grinsen Balinars Lippen. “Ich habe erwartet, dass ihr genau das sagen würdet und bereits nach ihm suchen lassen. Sardak Dunkelschwinge ist ebenfalls verschwunden.”

Die beiden Zwerge tauschten Blicke, dann wandte Muradin Bronzebart sich ausgesprochen zufriedenen an Fordring. “Dann sollte sich das Problem bald gelöst haben. Wenn einer das Mädchen aufspüren kann, dann Dunkelschwinge.” Dann wurde der Zwerg wieder ernster.

“Aber was bei den Schöpfern macht dieses Mädchen so wichtig für euch? Woher kennt ihr sie?”

Alle Augenpaare richteten sich nun auf den alten Paladin. Dieser ließ seinen Blick über die fragenden Gesichter gleiten und verharrte einen Moment bei Seyfried.

“Ich möchte beim jetzigen Stand der Dinge gerne vermeiden, dass noch einmal Informationen unberechtiterweiseweise diesen Raum verlassen. Belassen wir es also zunächst dabei, dass ich sie kenne und zu gegebener Zeit darüber sprechen werde.”

Dann wandte sich Fordring an Balinar. “Bringt Seyfried in die Arrestzelle. Ich werde morgen entscheiden, was mit ihm geschieht.”
 

Niamanee war geritten bis es so dunkel war, dass das zottelige Packpferd mit dem dicken Winterpelz keinen Schritt mehr vor den anderen setzen wollte. Zeitweilig hatte sie das Gefühl, dass sie verfolgt wurde – aber seit ihrer Flucht aus Silbermond hatte sie gelernt, wie man Verfolger abschütteln und in die Irre führen konnte. Sie hatte mehrere falsche Fährten gelegt und war in einem ziellos wirkendem Zickzack geritten. Mehrmals hatte sie einige Wildtiere aufgescheucht, aber mögliche Verfolger hatte sie nicht entdecken können. Entweder waren sie besonders gut – oder aber sie hatten bereits ihre Spur verloren.

Aufziehende Wolken hatten es früher dunkel werden lassen als erwartet und sie war noch längst nicht da, wo sie eigentlich sein wollte. Auch wenn sie ihre felverseuchten, glühenden Augen hasste, einen entscheidenen Vorteil brachte diese Veränderung zu früher. Ihre Nachtsicht hatte sich erheblich verbessert. Aber nun bockte das Pony und wollte keinen Schritt mehr weitergehen. Mißmutig sah sie sich um. Hier im Tal zwischen den Bäumen ein offenes Lager aufzuschlagen war viel zu gefährlich. Sie musste die Felsen des Hochplateaus erreichen.

Sie schwang sich aus dem Sattel und mit viel gutem Zureden gelang es ihr, das Pony am Zügel geführt zum Weitergehen zu bewegen. Trotz der aufziehenden Wolken war es hell genug, immer wieder schien der Vollmond durch das knorrige Geäst des winterharten Nadelgehölzes in dem kürzlich erst eine frische Lage Schnee gefallen war. Der Herbst hatte bereits Einzug in Nordend gehalten und Schneefall in den tieferen Lagen des Landes war jetzt nichts ungewöhnliches mehr.

Manchmal hatte sie das Gefühl, daß dunkle Schatten in ihrer unmittelbaren Nähe zwischen den borkigen Stämmen hindurchuschten. Aber letztendlich waren es wohl nur Produkte ihrer Fantasie und keine Seuchenpirscher, wie befürchtet. Bisweilen dachte sie an Seyfried und die anderen in der Feste zurück und stellte sich vor, wie angenehm es jetzt sein musste, am großen Freikamin des ‘hängenden Prinzen’ zu sitzen und Balgins angepriesenen Elch- Eintopf zu verspeisen. Für eine kurze Zeit hatte sie sich dort so wohl wie schon lange nicht mehr gefühlt, aber die Nachricht von Bolvars Tod hatte alles verändert. Der Gedanke an den Paladin wischte die Bilder von warmen Feuerschein und freundlichen Menschen aus ihrem Kopf. Als ihr Seyfried vorhin die Nachricht überbrachte, dass Bolvar offenbar noch lebte, war sie wie euphorisiert gewesen. Das, was sie tun musste, hatte so klar und deutlich vor ihr gelegen. Aber nun, alleine hier draussen in der kalten, unwirtlichen Umgebung, wo jederzeit eine tödliche Gefahr aus der Dunkelheit springen konnte, war die Euphorie verblaßt. Von ihrer anfänglichen Courage und Entschlossenheit war wenig übriggeblieben, gerade mal soviel, daß es ihr gelang, ihre Angst im Zaume zu halten.

So marschierte sie weiter, bis die Wolken am Himmel so dicht aufgezogen waren, dass auch der Vollomond keine Lücke mehr fand und es stockfinster im Wald war. Selbst für sie.

Als der Mond ein letztes Mal hervorlugte, sah sie direkt vor sich die hohen Felsen aufragen.
 

Sie hatte einen Unterschlupf für sich und das Pferd in einer schmalen Felsnische gefunden, ihre Spuren gründlich verwischt und den Eingang von innen dicht mit struppigem Geäst verbarrikadiert. Das Wetter spielte ihr in die Hände, kurz darauf begann es wieder heftig zu schneien und bald hatte der Schnee auf dem Geäst eine geschlossene Fläche gebildet, die sie vollständig vor der Aussenwelt verbarg. Die Nacht verbrachte sie unter Jaelles wolliger Decke, dicht an dem wärmenden Leib des gutmütigen Packpferdes. Diese Bergponys waren darauf trainiert, liegen zu bleiben, bis man ihnen den Befehl gab, sich wieder zu erheben, was gerade in Schneestürmen überlebensnotwendig war. Und es schien auch bestens in schmalen Felsnischen zu funktionieren.
 

Als sie wieder aufwachte, schien dumpfes, graues Licht durch den Schnee vor dem Eingang. Eine erstickte Ruhe lag über allem, nur das leise Schmatzen des friedlich an dem Trensengebiss kauenden Pferdes war zu hören. Vorsichtig schob sie die Äste zu Seite und spähte hinaus. Der Morgensonne war es noch nicht gelungen, durch die bleigrauen Wolken zu dringen, im diesigen, grauen Zwielicht schälten sich nur langsam die Konturen der Umgebung heraus.

In der verschneiten Landschaft war es geradezu gespenstisch still, der Schnee um sie herum wirkte dreckig, ganz als ob von oberhalb der Felsen immer wieder Ruß hinabrieseln würde. Einige tote Bäume ragten wie schwarze, zerbrochene Knochen aus dem verkrusteten Schnee.

Sie zog sich wieder in die Felsnische zurück, nahm den kleinen Wasserschlauch hervor, den sie direkt am Körper getragen hatte, damit das Wasser nicht fror und nahm ein paar kräftige Schlucke. Nach ein paar hastigen Bissen Dörrfleisch schlug sie ihre Kapuze hoch und trat vorsichtig hinaus.

Ihr Blick folgte dem schrägen Anstieg der schroffen, schneebedeckten Felsen oberhalb der Nische. Sie hatte eine ungefähre Ahnung, wo sie sich befand. Das große Modell der Eiskronenzitadelle samt Umgebung stand noch ausgesprochen klar vor ihren Augen. Leise nickend freute sie sich, daß sie weiter gekommen war, als sie gedacht hatte. Direkt oberhalb dieser Felsen mußte sich in unmittelbarer Nähe der als Fleischwerke bezeichnete Zitadellenbereich befinden. Diese Felsen hier hochzuklettern, schien nicht allzu schwierig. Aber nun musste sie äußerst vorsichtig sein.

Ihre Habseligkeiten versteckte sie in der Felsnische, führte das Pferd hinaus und nahm die Seile vom Packsattel. Dann gürtete sie sich ihr Schwert auf den Rücken und gab dem Tier einen Klaps auf das Hinterteil. Recht gemächlich trottete das Pferd von dannen. Sie sah ihm kurz nach – hoffentlich würde das gutmütige Tier seinen Weg alleine und vor allem unbeschadet zurück zu Feste finden. Noch einmal ließ den Blick in die Runde schweifen und begann mit dem Aufstieg.

Die Felsen waren verwittert und kantig, so dass ihre Hände und Füße guten Halt fanden und sie rasch vorankam. Ein schrilles, klagendes Rufen über ihr ließ sie innehalten und nach oben sehen. Für einen Moment zirkelte ein eigenartiges Wesen mit riesigen, ledrigen Schwingen und langen dürren Beinen über den Felsrand, verschwand dann aber wieder. Niamanee presste sich zwischen die Felsen. Gargylen! Nachdem es eine ganze Weile lang ruhig geblieben war, setze sie ihren Aufstieg wieder fort.

Als die Mittagssonne es endlich geschafft hatte, die bleigrauen Schneewolken zu vertreiben, hatte sie die obere Felskante erreicht. Obwohl es hier in der Höhe wieder erheblich kälter war, schwitzte sie. Der Aufstieg war anstrengdener gwesen als erwartet und für eine Weile lehnte sie sich gegen die Felsen um neue Kraft zu schöpfen. Dann spähte sie vorsichtig nach unten. Eine bräunliche Dunstglocke hing über dem gesammten Areal von dem aus bestialischer Gestank ihr entgegenwehte. Zum ersten Mal erblickte sie das Grauen, das sie in Eiskrone erwartete.

Dicht unterhalb ihres Versteckes tat sich ein großer Platz auf, der Boden eine einzige schmierige Fläche aus Blut und Schneematsch. Mehrere riesige, dornenbewehrte Feuerbecken standen rings am Rand, stinkender rußiger Qualm quoll träge in die Höhe. Einige gut gerüstete Skelettwachen patrouillierten zwischen den Feuerbecken auf und ab. In der Mitte des Platzes ragten wie niedrige, geborstene Pylone große Steinquader aus dem Boden, allesamt mit dunkel verkrustetem Schleim überzogen. Und zwischen den Pylonen, scheinbar willkürlich aufgehäuft Berge von Leichen. Ab und zu wankte eine der riesigen, grotesken Monstrositäten zu einem der Leichenstapel, schlug mit einem großen, dornenbewehrten Haken hinein und zog einen der teilweise bis zur Unkenntlichkeit zerfetzten Körper heraus, schleifte ihn hinter sich her und warf ihn dann auf einen der Steinquader. Kurz darauf kamen zwei, drei dürre, menschliche Gestalten in dunklen, zerlumpten Kutten und begannen den Körper mit rostigen Fleischerbeilen auseinanderzuhacken. Die einzelnen Teile warfen sie dann in kleine, hölzerne Loren neben den Steinquadern. Das, was an kleineren Brocken auf dem Stein verblieb flog ins Feuer. Waren die Loren halbwegs voll eilten hektisch springende, vermummte Kreaturen herbei und zogen die Loren in das Innere des Berges, der sich hinter dem offenen Platz erhob. Oberhalb des Berges ragten die dolchartigen Zinnen einer großen Befestigungsanlage hervor.

Die Blutelfe hatte Mühe, sich bei diesem Anblick und diesem Gestank nicht zu übergeben. Fleischwerke. Was für ein passender, widerwärtiger Name.

Vorsichtig spähte sie nach rechts. Etwas weiter unterhalb sah sie die Spitze eines riesigen, schwarzen Domes sich gen Himmel recken. Das musste die schwarze Kathedrale sein!

Und davor, immer wieder hinter Felsformationen verschwindend etwas, dass wie eine schmale Mauer mit hohen, gewölbten Pfeilern aussah. Sie lächelte grimmig. Dort war ihr Ziel! Das mußte das Aquädukt sein, das sie im Kleinen in dem Modell entdeckt hatte. Mit ein bisschen Glück war der Wasserlauf groß genug, dass sie hindurchpasste.

Ausgesprochen vorsichtig, jeden Tritt mit Bedacht setzend, schlich sie sich im Schatten der Felsen um den großen, offen Platz herum. Da trat sie auf etwas Weiches am Boden, rutschte kurz weg, konnte sich aber wieder fangen. Ängstlich sah sie sich um, aber niemand hatte etwas gehört. Es war eine alte, verrottete Decke, auf die sie getreten war, schmutzstarrend und blutbefleckt. Niamanee wusste, dass zumindest niedere Untote weitaus besser riechen als sehen konnten. Widerstrebend nahm sie den stinkenden Stofffetzen auf. Keinen Augenblick zu spät, denn fast im selben Moment schwebte wieder der Schatten einer großen Gargyle am blauen Himmel, das klagende Kreischen fuhr ihr bis ins Mark. Hastig warf sie die Decke über und verharrte geduckt. Die Gargyle drehte noch eine weitere, gemächliche Runde und entfernte sich dann wieder mit ihrem langezogenen Schrei.

Immer wieder stieß Niamanee jetzt auch auf alte, verrostete Rüstungsteile, von den furchterregenden Geißelmetzgern offensichtlich achtlos fortgeworfen. Dazwischen hier und da das eine oder andere verottete Kleidungsstück.

Es war nur eine Idee, aber es konnte funktionieren. Sie hatte einen recht großen, blutstarrenden Gambeson gefunden und schlüpfte angeekelt hinein. Mit zittrigen Händen befestigte Niamanee notdürftig die verbeulten, rostbraunen Plattenteile, die sie zusammengesammelt hatte an ihrem schmalen Körper. Bei dem zerbeulten Helm zögerte sie- es war besser, wenn sie hier draußen in alle Richtung freie Sicht behielt. Sie befestigte ihn an ihrem Gürtel, nahm eine Handvoll matschige Erde auf, zerrieb sie ihn ihren weißen Zottelhaaren, so dass diese in alle Richtungen abstanden und schmierte ihr bleiches Gesicht damit ein. Sie kam sich wie ein unförmiges Faß auf Beinen vor, die viel zu großen Rüstungsteile schränkten sie in ihrer Beweglichkeit unangenehm ein. Dennoch war sie von ihrem Plan überzeugt. Sie hängte sich die stinkende Decke wie einen zerissenen Umhang um und stieg zu dem Aquädukt hinab.

Hier sah es genauso aus, wie sie es vom Modell her in Erinnerung hatte. Unterhalb der Fleischwerke gab es einige Stellen, von denen aus man ohne weiteres auf das Aquädukt springen konnte.

Über dem Mauerwerk dampfte es, je näher sie kam, desto deutlicher hörte sie auch das beständige Glucksen fließenden Wassers. Sie hatte jetzt eine Stelle erreicht, von der aus sie direkt auf das Aquädukt hinab sehen konnte. Sie zögerte keinen Moment und sprang.

Mit einem leisen Aufplatschen landete sie im Wasser und kletterte flink mit beiden Füssen auf die schmalen Mauersimse direkt oberhalb des Wasserflusses. Das lauwarme Wasser hatte ihre dicken Fellstiefel glücklicherweise noch nicht komplett durchdrungen. Nasse Füße in dieser Eiseskälte waren alles andere als erstrebenswert.

In tief geduckter Haltung näherte sie sich mit dem Wasser der riesigen Eiskronenzitadelle. Je

näher sie dem gewaltigen Bauwerk kam, desto nervöser wurde sie.

An der Mauerkrone des riesigen Befestigungsbollwerkes von Corp’rethar endete das Aquädukt und die Wasserrinne führte direkt in eine runde, schwarze Öffnung. Umschlossen von den mächtigen Mauern des Bollwerkes floß das Wasser nun durch ein Rohr direkt unterhalb des Wehrganges entlang. Pechschwarze Finsternis gähnte ihr entgegen. Niamanee zögerte. Sie würde sich blind vorantasten müssen. Aber zumindest würde sie auch von außen niemand sehen können. Hier brach er Sims ab, auf dem sie trockenen Fußes oberhalb des Wassers hätte gehen können. Das Wasser hatte immer noch lauwarme Temperatur und so zog sie kurzentschlossen ihre Stiefel aus, krempelte ihre Hose hoch und sprang barfüßig ins Wasser. Während sie sich gebückt durch das steinerne Rohr vorantastete, nahm sie über sich gelegentlich das Vibrieren der schweren Tritte untoter Torwächterriesen war. Auch wenn sie sicher war, dass niemand sie hier unten hören würde, so wagte sie doch kaum zu atmen.

Hoffentlich war der Einlaß an dem riesigen Bollwerk groß genug, dass sie hindurchschlüpfen konnte.

Er war groß genug. Gerade eben so. Mühsam zwängte sich die schmale Blutelfe hindurch – und wäre beinahe tief in die riesige Zisterne gefallen in die das Wasser im inneren der Zitadelle hinabstürzte. Mit pochendem Herzen blieb sie auf dem schmalen Sims stehen und presste sie sich für einen Moment wieder zurück an die Wand. Dann sah sie sich vorsichtig um. Der Durchlass des Wassers lag direkt unterhalb einer hohen, von bizarr verzierten Säulen getragenen Decke, die wie das Kreuzgewölbe einer Kirche den nach unten führenden Gang überspannte. Schwere, gußeiserne, an langen, massiven Ketten von der Decke hängende Öllampen spendeten kaltes, blaues Licht. Außer dem Rauschen des Wassers war nichts weiter zu hören. Zaghaft beugte sie sich vor und sah nach unten. Der Gang wirkte verlassen.

Hastig schlüpfte Niamanee wieder in ihre Stiefel, nahm ihr Seil von den Schultern und befestigte es an einer der vorstehenden, grotesken Steinfiguren, die aus den oberen Kapital der Säule direkt neben ihr herausragte.

Langsam und so leise es mit den klappernden Rüstungsteilen ging ließ sie sich hinab und stand bald auf dem granitgefliesten Boden des Ganges. Wieder hielt sie inne und lauschte. Es bliebt ruhig. Für einen Moment überlegte sie, welche Richtung sie einschlagen sollte. Nach unten. Irgendetwas in ihr drängte sie, den hinabführenden Weg folgen. Nun stülpte sie sich auch den rostigen, viel zu großen Helm über den Kopf und folgte in schlurfender, geduckter Haltung dem Weg hinab.

Von unten hochhallend hörte sie jetzt Geräusche, das leise metallische Scharren und hohle Klappern verriet deutlich, dass mindestens ein Skelettkrieger im Anmarsch war.

Niamanees Herz schlug bis zum Hals, ihr ganzer Körper war auf das Äußerste angespannt, bereit sofort ihr Schwert greifen zu können. Der Moment der Wahrheit.

Es kostete sie alle Beherrschung so geduckt und schleppend weiterzugehen. Aus den Augenwinkeln sah sie die beiden ihr entgegenkommenden Skelette, sie hielt den Atem an und schlurfte, die beiden Untoten komplett ignorierend, weiter.

Und ebenso ignorierten sie die beiden Skelette. Die beiden klapperten dumpf geradeaus starrend an ihr vorbei nach oben. Ganz leise und langsam atmete die Blutelfe aus und merkte jetzt erst, wie sehr sie die ganze Zeit gezittert hatte. Sie konnte ihren vor Nervosität und Kälte bebenden Körper kaum mehr beruhigen.

Langsam zog sie die verrottende, stinkende Decke noch dichter um sich und folgte dem sich spiralförmig nach unten windenden Gang. Und keine der zum Teil völlig verwesten Untoten, schenkte ihr Beachtung. Dümmlich aus ihren schwarzen Augenhöhlen vor sich hinstarrend wankten sie an ihr vorbei. Je tiefer der Gang führte, desto seltener kam ihr eine dieser widerwärtigen Kreaturen entgegen.

Der Lichkönig schien sich der Uneinnehmbarkeit der Zitaelle sehr sicher zu sein, nirgendwo standen Wachen herum. Es wurde immer stiller und auch immer dunkler. Von der immer niedriger werdenden Decke hingen schon lange keine Öllampen mehr, nur noch vereinzelte Feuerschalen mit blauen Fammen spendeten in großen Abständen wenig Licht.

Der Gang führte weiter in die Tiefe, an einigen Stellen war Wasser zwischen den scharfkantigen Rippenbögen, die den Gang stützen, hindurchgesichert und zu bizarren Eiszapfen gefroren.An anderen Stellen war kein Wasser sondern eine im Dämmerlicht schwach grün leuchtende Masse zu abstrakten Formen an der Decke des Ganges erstarrt. Gefrorener Seuchensud?. Niamanee spürte, wie ihre Angst wieder zunahm. Daran hatte sie überhaupt nicht gedacht. Physische Angriffe und dunkle Magie liessen ihr vielleicht noch eine Chance. Die Seuche nicht. Aber was immer es war, dort oben gefroren über ihr, es schien keine Auswirkungen zu haben. Zuminest noch nicht.

Mit klopfendem Herzen drang sie immer tiefer in das eisige Refugium des Lichkönigs ein.

Und niemand, der sich für sie interessierte oder gar in den Weg stellte. Es ist zu einfach. Sie hatte zwar inbrünstig gehofft sich unbemerkt hier einschleichen zu können, dass es aber so leicht sein würde, irritierte sie jetzt nun doch. Er wird wissen, daß ich hier bin! Er wiegt mich in Sicherheit um zu sehen, wo ich hin will! . Das war die einzige, vernüftige Erklärung, warum niemand sich ihr in den Weg stellte.

Es war sehr naiv von euch zu glauben, ihr hättet unbemerkt zu Illidan vordringen können. . Bolvars Worte von damals gingen ihr nicht aus dem Kopf. Ja, vielleicht war sie naiv. Und es war ohne Frage völlig verrückt, was sie hier tat. Aber es war ebenfalls Bolvar, der gesagt hatte, daß das Licht einen leitet und beschützt und Hoffnung in tiefste Finsternis bringt.

Durch den Glauben entfaltet sich die wahre Macht des Lichts. .

Sie war allen Gefahren zum Trotz durch zwei Welten gereist, um nach Nordend zu kommen. Und kaum einen Tag nach ihrer Ankunft in der Feste kam die Nachricht, das Bolvar Fordragon noch lebt. Das sind keine Zufälle! . Mit schwindendem Zweifel wich auch ihre Furcht. Es war richtig, was sie hier tat.

Zunächst kaum sichtbar, verstärkte sich mit jedem Schritt weiter nach unten das dunstige bläuliche Licht, daß den Gang hinaufschimmerte. Kurz darauf endete ihr Weg.

Vor ihr tat sich ein gewaltiger Dom auf. Ein breiter, diesiger Strahl bläulichen Tageslichts fiel durch eine kreisrunde Öffnung hoch oben auf den riesigen, leicht nach oben gewölbten Boden. Überall in den Boden waren schwere Eisengitter eingelassen. Kerkerzellen! Das mußten Kerkerzellen sein! Ihr Gefühl hatte sie richtig geleitet!

Bevor sich Niamanee weiter orientieren konnte gewahrte sie im Dunst des Tageslichts eine Bewegung an der linken Wand. Hastig sprang sie in das Dunkel des Ganges zurück und sah noch aus den Augenwinkeln, wie sich die massige Gestalt eines untoten Vyrkulriesen aus dem Dunst schälte. Ihr Herz begann wieder zu Pochen. Es gab also doch Wächter! Fieberhaft überlegte sie. Dieser untote Vyrkulkrieger war mindestens anderthalb mal so groß wie sie und jeglicher Kampf würde unweigerlich für Aufmerksamkeit sorgen. Ganz zu schweigen davon, daß der Ausgang eines Kampfes mit dieser Kreatur ausgesprochen ungewiß war.

Ohne sie bemerkt zu haben, zog der Riese gemächlich am Gang vorbei und verschwand wieder im Dunst auf der gegenüberliegenden Seite. Niamanee sah ihm verstohlen nach. Es dauerte eine ganze Weile, bis er seine Runde gemacht hatte und wieder dort auftauchte, wo die Elfe ihn zuerst bemerkt hatte. Erneut verschmolz Niamanee mit den Schatten des Ganges und wartete, bis der Wächter wieder ihrem Blickfeld entschwunden war. Dann schlich sie so leise es ihr möglich war zu dem ersten Eisengitter, das vor ihr lag und verknotete den Rest ihres Seiles an den Streben. Ebenso schnell huschte sie in den Gang zurück. Das Seil lag nun lose auf dem Boden, kaum sichtbar in dem dieseigen Licht. Mit wachsender Spannung hielt Niamanee das andere Ende in ihren Händen und ihre ganze Aufmerksamkeit war auf die Stelle fokussiert, an der der Wächter wieder erscheinen würde. Nach einer gefühlten Ewigkeit tauchte die riesige Gestalt endlich wieder an der linken Seite auf und schlurfte langsam auf sie zu. Niamanee presste sich an die Wand, verlor so den Vyrkulkrieger für eine Weile aus dem Blick, hörte aber das Nähern der schleppenden Schritte. Unmittelbar vor dem Gang tauchte der Riese wieder in ihrem Blickfeld auf und mit einem einzigen, schnellen Ruck zog Niamanee das Seil an. Ein lautes, überrascht klingendes Röhren grollte aus der Kehle des untoten Vyrkul, als in einer Wolke aus Staub zu Boden schepperte. Die Wucht des Aufpralls zog Niamanee aus der Dunkelheit des Ganges und riss ihr das Seil aus den Händen. Aber im nu hatte sie sich wieder gesammelt, zog ihr Schwert und schlug ohne zu Zögern der riesigen Kreatur den Kopf ab. Der Stahl flammte kurz auf, als er mit Leichtigkeit durch die spröden Knochen des Untoten schnitt. Etwas irritiert sah die Elfe dem rollenden Kopf nach – so einfach hatte sie es nicht vorgstellt. An der Wand blieb der halb verweste Schädel liegen und starrte mit milchigen, pupillenlosen Augen zum Tageslicht hinauf, die verfaulten Mundwinkel zu einem grotesken Staunen verzogen.

Schnell besann sich Niamanee wieder, zog sich hastig in die Dunkelheit des Ganges wieder zurück und lauschte. Alles war wieder still. Zumindest für einen Moment. Dann hörte sie die Stimme. Leise, weit entfernt, mehr eine Ahnung denn gesprochene Worte und doch erfüllt von einer Kälte, die bis ins Mark schnitt. Niamanee atmete tief ein. Dann schritt sie aus dem Gang in den Dom und schlich die Wand entlang langsam in die Richtung, aus der sie die Stimme vermeinte, zu hören. Bald war ihr klar, dass die Stimme aus der Mitte herklang. Zögernd verliess sie den schattigen Schutz der Mauer und ging vorsichtig, Schritt vor Schritt setzend in die Mitte des Raumes. Das staubige Tageslicht nahm ihr alsbald die Sicht zur Wand – aber mit etwas Glück war sie in dem Dunst genausowenig für andere zu sehen. Immer wieder lauschte sie. Jetzt vernahm sie auch gelegentlich leises Stöhnen aus der Tiefe unterhalb der eingelassenen Gitter. Ihr Herz schlug schneller, je weiter sie sich der Mitte näherte.

„Ihr werdet euch mir unterwerfen! Erlösung wird euch hier nicht zuteil – und ihr wisst das!“ Die dunkle, bedrohliche Stimme mit dem eigentümlichen Nachhall war jetzt klar und deutlich zu verstehen. Eine Stimme, für immer in ihre Erinnerung gebrannt, seid sie sie in Silbermond zum ersten mal gehört hatte. Die Stimme, die Tod und Verderben über ihr Volk gebracht hatte.

„Niemals!“

Auch diese leise und doch entschlossene Stimme kannte Niamanee nur zu gut. Wie sehr hatte sie sich danach gesehnt, diese Stimme wieder zu hören. Aber hier, im eisigen Abgrund des Bösen erfüllte es sie mit Grauen. So lautlos wie möglich kroch sie auf allen Vieren auf das Eisengitter zu, aus dem die Stimmen drangen und spähte vorsichtig hinab.

Grenzenloses Entsetzen umschloss mit eisigen Krallen ihre Kehle als sie in der Mitte des Raumes hünenhaft groß den Lichkönig in seiner massiven schwarzen Saronitrüstung stehen sah. Es war nicht der angsteinflößende Anblick des Lichkönigs, der ihr Herz zum Stehen brachte. Arthas panzerbewehrte Rechte hielt wie ein Schraubstock das blutverschmierte Gesicht Bolvar Fordragons und zwang ihn so zu ihm aufzuschauen. Aus den Augenschlitzen der bizarren Helmkrone glühte blaues Licht.

Man hatte Fordragon an schweren Ketten mitten im Raum aufgehängt. Tiefe, blutende Wunden zogen sich über seinen ganzen Körper und offenbarten die ganze Grausamkeit der erlittenen Folter. Angesichts der schweren Verletzungen war es nahezu erstaunlich, dass der Paladin noch lebte. Neben Arthas stand leicht gebeugt ein Untoter, dessen Kiefer nur noch von einigen zerfasernden Sehnen gehalten wurde, in einem fleckigen Kittel und einer grünglasigen dicken Brille vor den halbverfaulten Augäpfeln. Seine knochigen Hände krallten sich um einen dornengespickten Eisenhaken, auf dessem rostigem Metall frisches Blut glänzte. An einem recht grob zusammen gezimmerten Gestell aus dunklem, verkrustetem Holz lehnten weitere, eiserne Instrumente, deren Funktion sich Niamanee nicht mal in ihren finstersten Albträumen vorstellen mochte. Blaue Flammen tanzten in zwei Feuerschalen und warfen wogende Schatten an die nahe Wand. Irgendetwas bewegte sich dort.

“Wir können dieses Spielchen noch sehr lange weiterführen.” Arthas glühender Blick blieb für einen Moment auf dem Untoten hängen und wandte sich dann wieder Fordragon zu. “Meister Dolorosus wird sicherlich grosse Freude daran haben, seine Kreativität noch weiter an euch ausleben zu dürfen. Ihr alleine habt es in der Hand, es zu beenden. Unterwerft euch, Bolvar. Erkennt mich als euren wahren König an! Ihr wisst, dass der Zeitpunkt kommen wird, an dem euer Geist bricht, das ist unausweichlich.”

Mit einer Mischung aus Trotz und Verachtung spuckte der Paladin Arthas ins Gesicht.

“Ich werde euch niemals dienen, Ausgeburt der Finsternis! Niemals! Eher sterbe ich!”

Mit einem leisen Lachen wischte der Lichkönig den blutige Speichel von dem dunklen Metall seiner Helmkrone. “Tapfere Worte. So sublim und ergreifend! Aber leider völlig wirkungslos. Die Toten gehören mir doch schon, wo liegt darin der Reiz? Es ist euer Wille, den ich begehre- und bekommen werde. Die Option Tod wird euch nicht gewährt. “

“Das Licht ist stärker als all eure Verderbtheit, Arthas! “

“Das Licht wird euch hier nicht retten, Paladin.”

Tränen schwammen in Niamanees Augen, verschleierten ihren Blick. Und langsam spürte sie unbändige Wut in sich aufsteigen, Wut auf dieses Monster. Am liebsten wäre sie schreiend nach unten gesprungen und hätte diese Bestie mit ihrem Schwert durchbohrt. Aber ein eisernes Gitter und ein Rest verbliebener Ratio hielten sie zurück, wohl wissend, dass sie nicht die geringste Chance gegen Arthas hatte. Sie konnte nur zuschauen.

Da wandte sich der Lichkönig um und das blaue Leuchten seiner Augen glühte direkt in ihre Richtung. Niamanee stockte der Atem. Blitzschnell zuckte sie zurück, kroch ein gutes Stück vom Gittter fort. Er weiß es! Er weiß, dass ich hier oben bin! .

In geduckter Haltung eilte sie weiter zurück zur Wand und zum Gang, sah sich dabei immer wieder panisch um. Aber alles blieb ruhig, der enthauptete Leib des Vyrkul-Wächters lag immer noch dort, wo er gestürzt war. Langsam beruhigten sich ihre flatternden Gedanken. Es war Zufall. Er hatte sie nicht gesehen, sonst wären schon längst jemand gekommen. Niemand wusste, dass sie hier war. Ihr Blick wanderte wieder zurück zu dem Eisengitter und zum ersten Mal fielen ihr die Schlösser an den Rahmen auf. Ihre glühenden Augen blieben auf dem Vyrkul hängen. Lautlos schlich sie zu dem modrigen Körper und begann ihn mit flinken Fingern zu durchsuchen. Beinahe triumphierend zog sie schon nach kurzer Zeit etwas hervor, das wie ein rostiger Schlüsselbolzen ausah. Hastig schob sie das Metallstück in die Schloßöffnung des nächstbesten Gitters – und es passte. Genauso wie beim danebenliegenden Gitter. Mit einem letzter Blick zum Gang und einem letzes Lauschen vergewisserte sie sich, dass die Situation unverändert ruhig war, nahm das Seil und eilte wieder geduckt zu dem Gitter von Bolvars Kerker. Ein gequältes Stöhnen drang an ihr Ohr als sie sich erneut der Kerkerzelle näherte. Sie sah gerade noch, wie der Untote im fleckigen Kittel den Eisenhaken wieder senkte. Der Lichkönig war fort.

Diesmal konnte Niamanee die aufflammende Wut kaum mehr im Zaume halten. Hektisch öffnete sie das Schloss, verknotete das Seil am Gitter und rutschte ohne zu Zögern hinab. Kaum berührten ihre Füsse den Boden der Zelle hatte sie auch schon ihr Schwert in der Hand und griff an. Aber der Untote wirkte keineswegs überrascht, wich dem Angriff erstaunlich behände aus und schnippte dabei mit den Fingern. Sein rottendes Gesicht verzog sich zu einem bleckenden Grinsen, während Bolvar langsam seinen Kopf hob und Niamanee mit fassungslosem Staunen auf seinem gepeinigten Gesicht ansah.

„Hat der Meister also recht gehabt.“ Der Untote kicherte, ein widerliches, fisteliges Glucksen.
 

Aus dem Dunkel der Schatten nahm mit klackenden Geräuschen das Grauen Gestalt an.

Zwei riesengroße, abartige Kreaturen, so groß, dass sie fast an die hohe Gewölbedecke stießen näherten sich der für einen Moment völlig konsternierten Blutelfe mit klappernden, insektoiden Klauen. Ihre Köper waren ein einziges Flickwerk aus Leichenteilen diverser humanoider Rassen, kombiniert mit nerubischen Tentakeln. Aus den Nahtstellen der zusammengesetzten Fleischstücke rann grünliches Sekret über pustelige, leichenblasse Haut. Und trotz trüber Pupillen in den toten Augen starrten diese Abnormitäten die schmale Elfe mit einer Bösartigkeit an, dass sie sich für eine Schrecksekunde nicht rühren konnte.

Der Untote kicherte immer noch während er sich langsam zurückzog. Da kehrte die Wut zurück. Für einen Moment wurden die grün leuchtenden Augen der Blutelfe schmale Schlitze. Sie stieß zornigen Schrei aus und sprang auf die Fleischberge zu, drehte sich mitten im Sprung, duckte sich und schlitzte mit einer einzigen, fließenden Bewegung der rechten Kreatur die Fußsehen auf. Wild röhrend geriet diese ins Schwanken, stürzte und rammte dabei das andere Scheusal. Dieses wurde mit zu Boden gerissen, holte aber im selben Moment seinerseits mit der Klaue aus. Blitzschnell sprang Niamanee zurück. Aber nicht schnell genug, die messerscharfe Spitze der Insektenklaue fuhr über ihren Oberschenkel und schlitze Stoff wie Fleisch. Niamanee stöhnte laut auf, taumlelte zurück und konnte gerade noch einem weiteren Hieb ausweichen. Dennoch gelang es ihr, der sich wieder aufrappelnden Kreatur zuvorzukommen, zielte mit dem Schwert direkt auf das Auge der Monstrosität und stach zu. Infernalisches Brüllen erfüllte die Kammer. Völlig dem Kampfrausch verfallen bemerkte Niamanee weder den Schmerz in ihrem Bein, noch das immer intensiver werdende Leuchten ihrer Klinge. Wieder stolperte sie zurück, holte erneut aus und trennte der ersten Kreatur eine Insektenklaue vom Arm. Es gab ein hässliches, zischendes Geräusch, als die Klinge durch das faule Fleisch fuhr – die Monstrosität winselte nur noch und brach zuckend zusammen. Die zweite Abnormität schwankte immer noch halb blind und brüllend durch den hinteren Bereich des Gewölbes. Das Leuchten des Schwertes hatte jetzt den ganzen Raum erhellt und blendete das Monster zusätzlich. Niamanee nahm das Licht überhaupt nicht wahr, völlig von Sinnen sprang sie hoch, holte erneut aus. Wie ein glühender Kometenschweif fuhr die Klinge tief in den Unterleib der Abscheulichkeit, grelles Licht explodierte für einen Augenblick im Raum und mit einem kurzen, hässlichen Knacken ging ein Ruck durch die Kammer, der noch eine ganze Weile nachvibrierte. Zwei qualmende, verbrannte Fleischberge war alles, was von den Kreaturen übrig geblieben war. In der Wand direkt vor ihr hatte sich ein klaffender Riss aufgetan.
 

Meister Dolorosus kicherte nicht mehr. Niamanee, das leuchtende Schwert in der Hand, drehte sich langsam, mit zornigen, grünleuchtenden Augen zu ihm um. Scheppernd fiel der Eisenhaken zu Boden und schneller als man es bei einer solchen Kreatur vermuten würde, spurtete er los und stürzte zur hinteren Wand. Niamanees Schwert war schneller. Es vibrierte noch eine ganze Weile singend im Stein der Mauer, an die es den Untoten genagelt hatte. Mit leisem Knistern verkohlte das ersterbende Glühen auf der Klinge den immer noch zuckenden Körper. Wie benommen liess Niamanee langsam ihren Arm wieder sinken und starrte zunächst etwas verwirrt auf ihre Hand, dann auf den Aschehaufen an der Wand.

Es war wieder passiert. Aber was immer da auch Besitz von ihr ergriffen hatte war für den Moment nicht wichtig, nur noch Bolvar zählte. Sie wandte sich dem gepeinigten Paladin zu, der sie mit schmerzgezeichnetem Gesicht ungläubig ansah. Niamanee konnte den Anblick seines gemarterten Körpers kaum ertragen, all ihre Wut war wie weggeblasen, nur noch Verzweiflung und Entsetzen waren geblieben. Mit zitternden Händen zog sie die Bolzen aus den Eisenringen und löste die Ketten. Bolvars Körper sackte ihr entgegen, sie konnte das Gewicht seines Körpers kaum abfangen und stemmte sich mit aller ihr verbliebenen Kraft dagegen. Bolvar stöhnte leise auf. Erst jetzt sah sie seine Beine. Diese zerschmetterten Knochen würden den Körper des Paladins nicht mehr tragen können. Dise Erkenntnis schoß wie ein heisses Glühen durch ihr Herz, aber sie versuchte, ihre Bestürzung zu verbergen. So vorsichtig sie konnte legte sie Bolvar auf den Boden und bettete seinen Kopf in ihren Schoß und unterdrückte mühsam die aufsteigenden Tränen. Er sollte sie nicht weinen sehen.

Bolvar stand die Fassungslosigkeit immer noch im Gesicht geschrieben. “Wie …wie ist das möglich? Ich dachte, du wärst tot…”.

Sie schüttelte leicht en Kopf und entgegenete mit erstickter Stimme: “Als ich wieder zu mir kam, lag ich weit von dem zusammengestürtzten Tempel entfernt und meine Wunden waren verheilt. Ihr wart alle fort. Ich glaube, die Naaru haben mich gerettet, bevor sie für immer gegangen sind.”

Bolvars gequälte Gesichtszüge entspannten sich etwas. “Ich habe wieder nicht genug Vertrauen gehabt.”

Mit einem Mal griff er ihre Hand. “Niam, sie haben dir nicht nur das Leben gerettet!” Eine deutliche Erregung schwang jetzt in seiner zitternden Stimme. “Das was da gerade passiert ist, das, was du da gerade gemacht hast – kein Paladin kann so etwas! Ich spüre da etwas in dir, was ich in dieser Form noch nie zuvor gespürt habe…..” seine Stimme brach in einem Husten. “Aber auch der Lichkönig wird es spüren…du musst..du musst fort…”

Es strengte ihn sehr an, zu sprechen. “Vielleicht bist du diejenige, die Fordring schon so lange sucht…vielleicht haben dir die Naaru die Kraft gegeben, den Aschenbringer zu führen um all dies hier zu beenden..du musst fliehen, Niam, sofort, du darfst Arthas nicht in die Hände fallen. Er weiss vermutlich bereits, dass du hier bist…”

“Ich weiss nicht, was da mit mir gerade geschieht,” flüsterte Niamanee. “Aber ich weiss ganz sicher, dass ich dich hier nicht zurücklassen werde.!”

Bolvar schüttelte schwach den Kopf und sein Griff um ihre Hand wurde etwas fester. “Wir wissen beide, dass ich diesen Ort nicht mehr verlasssen werde. Aber du kannst mir helfen. Gib’ mir deinen Dolch.” Seine Stimme zitterte, war kaum zu verstehen.

Entsetzt schüttelte Niamanee ihren Kopf und ein schmerzhaftes Gefühl der Ohnmacht trieb wieder Tränen in ihre Augen. “ Das darf nicht sein..das Licht kann das nicht wollen..es muss doch einen Weg geben, dich zu retten…”

Ein sanftes Lächen legte sich über den Schmerz in seinem Gesicht. “Das hast du bereits. Dich lebend wiederzusehen ist mehr, als ich je erhoffen durfte. Niam, zweifele nicht an dem Licht. Ich dachte, du seist tot und habe mir die Schuld gegeben. Ich habe gezweifelt. Ich hatte keine Hoffnung mehr. Erst hier, im Angesicht der grauenvollen Schatten habe ich zum Licht zurückgefunden. Nun schenkt das Licht mir Erlösung. Nun kann ich in Frieden gehen, denn jetzt weiss ich, dass das Licht uns beistehen wird.“ Er lächelte. Sein blutverkrustetes, eingefallenes Gesicht witkte jetzt völlig entspannt und für einen Moment stand da eine strahlende Klarheit in seinen Augen. Niamanee sah ihn an, sah das Leuchten in seinen Augen. Es war nur ein Augenblick, doch schien es ihr, als sei bereits eine Ewigkeit vergangen, als ihre Hand zögernd und langsam den Dolch aus ihrem Stiefelschaft zog. Sie wusste dass es so sein musste. Der Weg lag klar und hell vor ihr, aber es brach ihr das Herz.

“Hättest du doch nur die Zeit gehabt, mich das Heilen zu lehren!” Niamanees Stimme war nur noch ein tonloser Hauch.

“Es spielt keine Rolle, Niam. Es ist so, wie es ist und es ist gut so.” Er sah sie jetzt völlig ruhig an. “Alles kommt zu einem zurück, Niam. Dein Schicksal ist das Echo deiner Taten, vergiß dies nie.”

Die Elfe schüttelte nur wortlos den Kopf und reichte Bolvar den Griff ihres Dolches. Dieser packte zu, aber der Dolch entglitt seinen zitternden Händen. Langsam nahm die Elfe den Dolch wieder auf, schloss seine Hände um den Griff und hielt sie fest. Der Paladin sah sie ruhig an, Schmerzen schien er nicht mehr zu spüren. Mit Niamanees Hilfe führte er die Spitze des Dolches direkt über sein Herz. Sein Gesicht war jetzt völlig entspannt, eine tiefe Zufriedenheit hatte sich über seine Züge gelegt. Ein letztes Mal sah er sie an, liebevoll, glücklich. Dann schloss er die Augen und spannte seine Muskeln mit einem Ruck an. Niamanee drückte zu. Die scharfe Klinge fuhr direkt in sein Herz. Sein Körper bäumte sich auf, zuckte, ein ersticktes Röcheln entwich seinem Mund, kaum als Worte zu verstehen. Für einen Moment starrte er Niamanee mit aufgerissenen Augen an. “Flieh! Fordring weiss….”

Dann brachen seine Augen und mit einem letzten, tiefen Seufzen schlossen sich seine Lider und der Körper des Paladins lag ruhig. Sein im kurzen Todeskampf verzerrtes Gesicht hatte sich wieder gelöst und wirkte wieder friedlich, beinahe, als würde er schlafen. Nur ein dünnes Blutrinnsal floß unter dem Schaft des Dolches hervor. Immer noch hielt Niamanee Bolvars Hand und heisse Tränen rannen über ihr Gesicht, tropften stumm auf den toten Köper. Die Zeit war stehengeblieben.
 

Ein scharfer, beissender Geruch in ihrer Nase holte sie abrupt in die Wirklichkeit zurück.

Wieviel Zeit nun wirklich vergangen war wusste sie nicht, aber mehr als ein Augenblick konnte es nicht gewesen sein, denn das kleine Blutrinnsal auf Bolvars Brust war nocht nicht viel weiter gelaufen. Irritiert sah sie sich um. Im ersten Moment hielt sie es für eine Einbildung aber schnell wurde ihr klar, das der feine violette Rauchschleier , der aus dem Nichts in der Mitte der Zelle hervorstieg sehr real war- und immer dichter wurde. Panisch fuhr ihr Blick nach oben. Das Seil war fort, das Gitter geschlossen. Ihr Herz hämmerte und ihre Gedanken rasten. Hatte sie bisher den Schmerz der tiefen Wunde im Oberschenkel noch verdrängen können, fing auch dieser jetzt an, unerträglich zu brennen.

Der Rauch wurde immer dichter, der beissende Geruch nahm ihr fast die Luft zum Atmen.

Jetzt fiel ihr Blick auf den Spalt in der Wand- ein Luftzug verwirbelte von dort den sich ausbreitenden violetten Rauch. Niamanee überlegte nicht lange. Der Spalt sah aus, als wäre er groß genug. Hastig öffnete sie die Schnallen an der verbeulten Brustplatte, stieß das rostige Metall in den Raum, humpelte zur Wand und zwängte sich durch den klaffenden Riss. Das letzte, was sie aus ihren Augenwinkeln sah war eine hünenhafte Gestalt, die sich in dem violetten Rauch manifestierte. Dann stürtzte sie in eiskalte Finsternis.
 

“Vorsicht!!!! Die Decke kommt ‘runter!!!” Mit ohrenbetäubenden Donnern krachten die schweren Gesteinsbrocken auf den Boden. Eine beeindruckende Staubwolke plusterte sich auf und zerteilte sich in mehrere Staubwalzen, die rasend schnell in die verschiedenen Gänge schossen. Irgendwo tönte noch das helle Klirren von Glas durch das dumpfe Poltern, vereinzelt purzelten noch einige Steine nach. Dann war Ruhe.

Vorsichtig schielte Mathis unter seinem schützenden Arm hervor. Die Sicht war immer noch staubgetrübt, lichtete sich aber langsam in dem schwachen Licht, das aus einem der hinteren Kellergewölbe drang. Er hustete, tastete nach seiner Grubenlampe und klappte den Metalldeckel hoch. Und einmal mehr zollte er den Zwergeningenieuren, die dieses Ding erfunden und gebaut hatten seinen Respekt- der Docht brannte noch. Er ließ die Metalllade aufschnappen und leuchtete.

“Jemand verletzt?”

Husten und unartikuliertes Gebrummel kam von beiden Seiten. Mathis erhob sich beruhigt und klopfte den Staub von seiner Kleidung. Ernsthaft verletzt war wohl niemand. Aus dem Dunst des linksführenden Ganges schälte sich jetzt eine Gestalt, ebenfalls mit Lampe. Mathis wies auf den immer noch staubenen Geröllhaufen, der direkt vor ihnen lag.

“Wie konnte das denn passieren!”

Mauergeselle Gorben, ein jüngerer Mann, dessen struppige, Haare jetzt wie gepudert aussahen zuckte mit seinen breiten Schultern. “Keine Ahnung, Herr Steinmetz. Krestin und ich haben den Stempel gesetzt und dann ist das verfluchte Ding einfach unten eingebrochen und hat die anderen mitgerissen.”

Von der anderen Seite nährte sich eine dritte Lampe und ihr Träger, ein überraschend großer, schlacksiger Zwerg mit recht kurzem Bart leuchtete in die Höhe. Mathis hob ebenfalls seine Lampe. Über ihnen, in der grob gemauerten Gewölbedecke gähnte ein schwarzes Loch.

Der Zwerg sah Mathis fragend an. “Wird das ein Problem?”

Mathis verzog seinen Mund, leuchtete die Kanten aus und schüttelte dann seinen Kopf. “Nein, Krestin, das war nicht Tragendes. Aber die Tatsache, das er Stempel eingebrochen ist, macht mir Sorgen. Weg mit dem Geröll, ich muss mir das angucken.”

Es war eine schweißtreibende Arbeit. Brocken für Brocken stapelten die Männer das herausgebrochene Geröll in den Gängen, die zu den Arrestzellen führten. Es war Gorben, der nach einer Weile das Schweigen durchbrach. “Habt ihr das eigentlich von Fernried gehört?” Er richtete sich auf und drückte für einen Moment mit plakativen Seufzen sein Kreuz durch. Mathis wischte sich den staubigen Schweiß von der Stirn und schüttelte den Kopf. Krestin zuckte mit den Schulter. “Wer oder was ist Fenried?”

Mathis nahm einen Schluck aus seinem Wasserschlauch. “Fenried ist eines der grössten Landgüter im Norden Lordaerons. Gutsherr Osmuth Walbing war lange Zeit Landvogt der Gegend dort. Und hat das Gut noch verdammt lange gegen die Untoten gehalten, über Jahre. Bis die Angriffe wieder verstärkt zunahmen. Kavalerie aus Sturmwind hat Walbing, seine Familie und seine Leute da gerade noch rechtzeitig herausgeholt, sie konnten nach Sturmwind fliehen. Weil sie da oben lange da ausgehalten haben, sind sie sowas wie Nationalhelden geworden.”

Nicht wirklich interessiert nickte Krestin beiläufig mit dem Kopf. Mathis hingegen wandte sich wieder zu Gorben und zog neugierig die Brauen hoch. “Und?”

“Walbing is’ mit ein paar seiner Männers zurück. Hat wohl gehört, das es oben wieder ruhiger geworden sei. Da haben sie doch tatsächlich seine Felder bewirtschaftet, nichts mehr mit Untoten oder so. Und wer hat seine Felder bewirtschaftet? Irgendwelche Bauern aus Sturmwind, hatten ein paar Soldaten dabei, die aufgepasst ham. Und den Walbing vetreiben wollten, der hat nämlich zurückgefordert, was seins war. Hat der sich aber nich gefallen lassen und is getötet worden.”

“Was?” Mathis sah Gorben ungläubig an. “Wo hast du denn das gehört?”

Gorben wich aus. “Och, ich hab’ so meine Quellen.”

Der Steinmetz begann mit seiner Schaufel auf dem bereits freigeräumten Boden herumzustochern. “Neulich erzählte mir Hagstrodt, dass man das Gestüt seines Bruders westlich vom Lordamere See beschlagnahmt hat- um die Bündnisstruppen aus Sturmwind besser mit Pferden versogen zu können.” Er spuckte aus, als die Schaufel ein Stück tiefer sackte und begann, den festgewalzten Boden aufzubrechen.

“Das gefällt mir alles gar nicht.”

“Was nun- die Sache mit den Truppen aus Sturmwind oder der Boden hier?” Gorben schippte eine weitere Kiepe Geröll in den Seitengang.

Mathis lies seine Schaufel wieder ein paar mal zwischen die Steine unter dem freigelegten Boden stoßen. Dann bückte er sich, nahm eines der kleineren Geröllstücke auf und hielt es vor die Laterne. Winzige, gelbe Sprenkel begannen langsam immer mehr zu glühen. Nachdenklich warf er den Stein auf den nächsten Haufen.

“Beides. Aber im Moment macht mir das hier mehr Kopfzerbrechen. Hier ist nachträglich was verfüllt worden. Macht aber keinen Sinn.”

“Hey, schaut euch das mal an!” jetzt rief Krestin von weiter hinten und hielt seine Laterne an die Wand. “Der Einbruch hat hier eine Öffnung freigelegt!”

“Gorben, hol’ mir mal meine Pläne!” Mit einer ungeduldigen Handbewegung winkte Mathis dem Maurergesellen zu und leuchtete mit seiner Laterne nun ebenfalls in die Öffnung in der Mauer. Mann hatte ganz offensichtlich eine Mauer vor der Mauer gebaut, die nun von dem herabstürzenden Geröll halb eingerissen worden war. In der Mauer dahinter öffnete sich, soweit Mathis es sehen konnte, ein leicht nach unten abfallender Gang, der sich recht früh in der Finsternis verlor. Ein kalter, leicht modriger Luftzug stieg ihnen entgegen.

Gorben kam mit mehreren grossen, aufgerollten Pergamentrollen unter dem Arm zurückgerannt. Mathis sah sie kurz durch, zog eine der Rollen heraus und breitete sie aus. Nachdenklich fuhr er mit dem Finger über die mit brauner Tinte eingezeichneten Gänge, fischte dann einen Zirkel aus seiner Lederumhängetasche und setzte ihn ein, zweimal an.

Dann sah er wieder stirnrunzelnd zu der Öffnung. “Der Gang führt von der Burg weg. Wenn ich nicht völlig falsch liege, führt er zum Burgbrunnen.” Er sah Gorben an. “Nimm dir deine Lampe und kriech’ da mal rein!”

“Da ‘rein? Das ist doch viel zu eng für mich, da kann ich mich doch kaum bewegen!”

Mathis taxierte ihn mißbilligend bückte sich aber dann nach dem Seil, dass auf dem Boden lag und knotete es um seine Taille.

“Muss der alte Mann euch mal wieder zeigen, wie’s geht?” knurrte er unwillig, nahm seine Laterne und stieg in die Öffnung, die groß genug für einen Vyrkul gewesen wäre.

Langsam, auf allen Vieren kroch er voran, die Laterne vor sich haltend. Der Gang war in den nackten Stein getrieben worden und schien sich etwas zu verbreitern. Mathis jedenfalls hatte keine Mühe, sich in dem Tunnel zu bewegen. Mittlerweile hatte er keine Zweifel mehr, dass dies ein alter Fluchttunnel war.

“Alles in Ordnung?” hallte Krestins Stimme ihm nach. Mathis drehte sich um und winkte kurz mit der Laterne. Dann setzte er seinen Weg fort, das gelbe Licht aus den Kellergewölben in seinem Rücken war von der Dunkelheit mittlerweile gänzlich geschluckt worden. Der von vorne kommende, modrige Luftzug wurde stärker und jetzt erkannte er auch den leichten grauen Schimmer, der ihm entgegenfiel. Er schloss die Lade der Lampe. Seine Augen brauchten nicht lange, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Unmittelbar vor ihm fiel schwaches Tagslicht durch einen schmalen Spalt zwischen zwei Steinquadern. Er stellte die Lampe ab, stetzte sich hin und schob einen der Quader mit den Füssen vor. Mit leisem Knacken beugte sich der Steinbrocken über die Kante und stürtzte hinab. Unmittelbar darauf hörte Mathis ein beinahe gläsernes Knirschen und das Aufspritzen von Wasser. Ein feines Grinsen legte sich auf seine Lippen. Er genoss es, wieder einmal recht gehabt zu haben.

Trockenes Wurzelgeflecht hing von oben herab. Vorsichtig schob er es beiseite und steckte langsam seinen Kopf vor, da rutschte plötzlich etwas Dunkles von oben nach und klatschte ihm kalt mitten ins Gesicht. Mit einem leisen, überraschten Aufschrei schnellte Mathis zurück. Hastig nahm er seine Laterne, öffnete die Lichtlade und leuchtete. Direkt vor ihm zwische dem Gestrüpp baumelte eine schlammige, menschliche Hand.
 

Trotz des Schreckens, sich plötzlich im rasenden, freien Fall in ein schwarzes Nichts zu befinden reagierte Niamanee instinktiv. Licht ist in meinem Körper und hüllt mich in eine Woge aus gleißendem Licht...Licht ist in meinem Körper und erschafft eine Barriere aus leuchtendem Licht.... Wie ein kleiner, aufglühender Komet fiel ihr Körper weiter und weiter in die Tiefe bis er schließlich die eisige Decke schwarzen, gefrorenen Wassers durchbrach und untertauchte. Panisch versuchte sie wieder nach oben zu paddeln, konnte sich dabei kaum noch au den Schild konzentrieren, der zwar das Wasser abhielt, sie aber nicht davor schützen konnte, in ihrer schweren Winterkleidung immer weiter nach unten gezogen zu werden. Langsam wurde die Luft knapp, hektisch versuchte sie sich aus dem schweren Gambeson zu schälen um wieder mehr Auftrieb zu bekommen. In dem Moment, in dem das voluminöse Kleidungsstück sich löste, berührten ihre Füße Grund. Mit letzter Kraft stieß sie sich ab und schnellte nach oben, bekam den Kopf wieder über Wasser und schnappte gierig nach Luft. Links von ihr gewahrte sie im eigenartig fluoreszierenden Halbdunkel ein wurzelähnliches Gebilde das unmittelbar neben ihr ins Wasser reichte. Hastig ergriff sie den holzigen Strang und zog sich mühsam ans Land. Schweratmend blieb sie neben der Wurzel liegen während der kaum mehr leuchtende Kokon, der sie umhüllte, endgültig verlosch.

Eine ganze Weile lag sie nur da, keuchend, erschöpft, frierend. Dann hob sie langsam ihren Kopf, setze sich mühsam auf und sah sich um. In dem unwirklichen, grünlichen Dämmerlicht, dessen Quelle merkwürdige, pilzähnliche Gebilde waren, die rings um die pechschwarze, mittlerweile wieder stille Scheibe eines kleinen Teiches standen konnte sie ihren Atem sehen, der zu weißen Wölkchen vor ihrem Mund kondensierte. Diese eigenartigen Pilze und der Teich waren tatsächlich auch das Einzige, was sie in der Finsternis aus machen konnte. Dennoch fühlte sie die gewaltige Größe, die sie umgab. Eine unterirdische Höhle, ein Felsendom tief unterhalb der Zitadelle – der Sturz hatte sehr, sehr lange gedauert. Sie hatte nicht die geringste Vorstellung, wo sie war. Und es war kalt. Bitterkalt.

Der beißende Frost zog langsam ihren Körper hinauf, sie spürte ihre Glieder kaum mehr. Selbst der hämmernde Wundschmerz in ihrem Oberschenkel verblaßte in dem unkontrollierten Zittern, das sich jetzt ihres Körpers bemächtigt hatte.

Verzweifelt schlang sie die Arme um sich. Dem Lichkönig war sie im letzten Moment entkommen aber hier in der Dunkelheit war ihr Weg zu Ende. Sie hatte keine Ahnung, wie sie von hier entkommen sollte. Niemand wußte, wo sie war. Alle Hoffnung, die Bolvar in sie gesetzt hatte waren erstarben nun in diesem eisigen Grab. Die Erinnerung an den Moment, in dem sie den Dolch in Bolvars Brust stieß, trieb ihr wieder die Tränen in die Augen. Er war in dem trügerischen Glauben gestorben, das das Wunder der Naaru ihrer aller Rettung sein würde. Aber nun würde es niemanden mehr retten. Hier, in der eisigen Finsternis würde selbst das Licht sie nicht mehr finden. Resignierend zog sie die Beine dicht an ihren Körper.

Jetzt erst spürte sie den unangenehmen und vor allem brennenden Druck am linken Bein. Irgend etwas saß oben in ihrem hohen Stiefelschaft und drückte nun empfindlich auf ihre Wade. Irritiert griff Niamanee in die breite Stiefelöffnung und fühlte einen dort einen faustgroßen, harten Klumpen. Sie packte zu ¬– und schrie im selben Moment vor Schmerzen auf, als das Ding ihr die Handfläche versengte. Reflexartig schleuderte sie den Brocken von sich fort. Sie konzentrierte sich und ließ einen leichten Lichtschimmer um ihre Hand entstehen. Auf ihrem Handschuh war nichts zu erkennen, keine Brandspuren oder Vergleichbares. Für einen Moment wichen Verzweiflung und Resignation der Neugier. Was beim Licht war das für ein Ding?

Der Klumpen war nicht sehr weit von ihr gelandet, in dem Dämmerlicht sah sie ihn deutlich liegen. Vorsichtig kroch sie näher, begutachtete ihn, aber es war und blieb ein schwarzer Klumpen. Ich atme Licht und schicke es in meine Hände. Ich weise das Licht an, seine schützende Kraft um meine Hände zu legen.... . Als sich der helle Schein um ihre Hände geschlossen hatte, griff sie erneut nach dem Klumpen, hob ihn auf und betrachtete ihn neugierig im silbrigen Licht. Es brannte nicht mehr.

Jetzt erkannte sie auch, was es war. Das, was dort steinhart gefroren in ihren Händen lag und langsam an der Oberfläche zu tauen begann, war ein menschliches Herz.

Dann, von einem Moment auf den anderen wurde ihr Geist fortgerissen in einen Strudel aus Bildern, entsetzlichen Bildern von Tod und Verderben, Bilder, die viel schlimmer waren als alles, was sie bisher erlebt hatte. Eine ungebremste Flut des Grauens wirbelte vor ihren Augen, brennende Städte, schreiende, panische Menschen, torkelnde seuchenzerfressene Untote. Das Bild eines kleinen Menschenmädchens tauchte auf, verschwand wieder im Strudel des Bildersturms. Und immer wieder Untote, schleimige Monstrositäten, zerfetzte Körper, Qualen, Verzweiflung, Angst und Trauer. Für einen Moment durchdrang ein entsetzlicher Schmerz ihre rechte Hand – dann war schlagartig Ruhe. Bis die Stimme zu ihr sprach. Sie war direkt in ihrem Kopf. “Ich weiss, wo du bist.”

Mit Grauen schleuderte sie das Herz von sich und stand hastig auf. Er hatte sie gefunden! Er würde kommen, und sie holen! Hektisch sah sie sich um und erwartete, jeden Augenblick vor sich den violetten Rauch aufsteigen zu sehen. Sie musste fort, irgendwie! Gerade wenige Augenblicke war es her, da hatte sie bereits mit ihrem Leben abgeschlossen und alles, was sie bezüglich des nahenden Todes gespürt hatte war Resignation und Trauer gewesen. Die Aussicht, in die Hände des Lichkönigs zu fallen jedoch hatte sie in schiere Panik versetzt und wieder alle Lebensgeister geweckt. So wollte sie nicht enden!

Es musste einen Ausgang hier geben! Sie holte tief Luft und zwang sich trotz ihres Zitterns zur Konzentration. Dann schloss sie die Augen und hob die Arme. Langsam umhüllte sie ein feiner, silbriger Schleier, der sich immer mehr zu einem gleissenden Leuchten wandelte. Sie öffnete wieder die Augen und wärend der silberhelle Schein ganz langsam wieder verblasste, sah sie sich um. Schräg rechts von ihr hatten unzählige kleine, gelbe Sprenkel den Boden zum Glühen gebracht, wie ein Weg führte das Glühen zu einem gewaltigen Eingang, der sich jetzt deutlich sichtbar in der rechten Seite des Felsendoms auftat. Jetzt wusste sie, wo sie war.

Sie erinnerte sich. Erinnerte sich an die Geschichten, die über Arthas erzählt wurden. Um den Frostthron rechtzeitig vor Illidan zu erreichen und seinem Meister beiszustehen war der erste Todesritter des Lichkönigs damals von dem untoten Neruberkönig Anu’Barak durch die Unterwelt geführt worden. Direkt vor ihr lag der Eingang zum alten, verlassenen Reich der Neruber. Vor ihr lag der Weg aus der Finsternis.

Humpelnd folgte sie den langsam wieder verblassenden Lichtsprenkeln auf dem Boden hinab zu dem gewaltigen Schlund, der sich in dem Felsen öffnete. Wie kunstvolle Säulen erhoben sich massive Felsformationen zu beiden Seiten, eigenartige Sedimentablagerungen, deren Rillen und Linien fremdartige Muster zu bilden schienen. Ein feines Lächeln glitt über ihr Gesicht, als sie begriff. Mit einem wachsenden Gefühl der Ehrfurcht schritt sie zwischen den Säulenreihen hindurch, blieb stehen, hob die Arme und rief erneut das Licht. Vor ihr glühte eine Wunderwelt auf.

In einem ausgedehnten Radius vor ihr schimmerten grünliche Wege, ein Irrgarten gehalten von gespinstähnlichen, bläulich leuchtenden Fasern, die sich netzartig durch eine gewaltige Schlucht schlängelten, aus deren Tiefen sich riesige Gebäude erhoben, deren ihr zugewanden Fronten von denselben fremdartig schimmenrden Mustern überzogen waren wie die Säulenformationen am Eingang. Es waren ohne Zweifel künstlich erschaffenen Gebäude, die aber anders waren, als alles, was sie bisher gesehen hatte. Entfernt an Pyramiden erinnernd, türmten sich verschlungenen Lagen wie versteinertes Wurzelgeflecht, Stockwerk über Stockwerk in einem steilen Winkel bis zur Decke der gigantischen Kaverne. Alles war miteinander verbunden, von jeder Etwage reichten steinernene Flechten zu benachbarten Gebäuden, umhüllt von dem lumineszierenden Gespinst, das sich wie ein kristallines Aderngeflecht durch den ganzen Raum zog. Zwischen den Gebäudekonstrukten wuchsen riesige Pilze, ähnlich denen, die draussen am Teich gestanden hatten, nur um ein vielfaches größer, ihre fächerförmigen Lamellen schimmerten in schwachen, grünlichen Licht. An einigen Stellen hatten ihre breiten Schirme das gläserne Gespinst durchbrochen, kleinere Plize der selben Gattung siedelten in ganzen Kolonien in den Nischen der Gebäuden.

Ungläubig staunend stand Niamanee eine ganze Weile und betrachtete den langsam wieder erlöschenden Zauber der vor langer Zeit untergegangenen, fremdartigen Welt. Irgendwie kam es ihr vor wie das Echo einer längst verschütteten Erinnerung. Sie riss ihre Arme hoch und ließ erneut den Lichtschild um sich herum erstrahlen. Nun durfte sie keine Zeit mehr verlieren. Ohne weiter zu überlegen schritt sie auf einem der wieder erglühten, grünlichen Pfade hinab in das unwirkliche Reich der Neruber, vorbei an den stummen Zeugnissen der Vergangenheit – für einen Moment aufglimmende Erinnerungen an einstige Pracht und Größe. Größe, die er zerstört hatte. Zerstört, wie er auch ihre Welt und ihr Leben zerstört hatte. Er hatte ihr alles genommen, was ihr je wichtig gewesen war. Er hatte so vielen alles genommen. Wenn der Schlächter auf dem Frostthron gefallen ist, wird wieder Frieden einkehren- Frieden in das Land und in unsere Seelen. .

Sie beschleunigte ihren Gang obwohl jeder Schritt mit ihrem verletzten Bein mittlerweile eine Qual war, jedes Auftreten schickte einen brennenden Stich durch den Oberschenkel. Der schwache, aber beständige Blutverlust machte sich langsam bemerkbar. Sie setzte sich umständlich hin, riss einen Stoffstreifen aus ihrem Hemd und schlang ihn um ihren Oberschenkel. Dann zog sie ihn mit aller Kraft fest, wobei sich ihr Gesicht zu einem grimmigen, entschlossenen Lächeln verzog. Ich komme hier heraus, Arthas! Und ich werde kämpfen – ich werde dabei sein, wenn sie dich in den finstersten Winkel der Hölle schicken! .

Weiter führte ihr Weg hinein in den Irrgarten der grünen Pfade, schlängelte sich zwischen bläulich schimmernden Kristallfasern langsam in die Höhe, tauchte dann wieder unter brückenähnlichen Bogenkonstrukten her, die einzelne Gebäude über den Pfad hinweg verbanden. Die Lumineszenz wurde weitergetragen, offenbahrte ihr immer neue architektonische Wunderwerke, deren feine, steinerne Struktur an florale Muster ihrer alten Heimat erinnerte. Dann wieder wirkte die Oberfläche wie ein Konglomerat inneinander verschlungenem Gewürms, in dem schwachen, unwirklichen Licht schienen sich beständig neue Muster zu formen. Zwischen den wurzelähnlichen Streben und entfernt an Wespennester erinnernden Erkern der näherliegenden Gebäude sah sie feines Geflecht, einem aufgeschnittenen Markknochen nicht unähnlich, in dessen Hohlräumen immer wieder ein dunkles Schillern aufblitze, wie hunderte und aberhunderte Facettenaugen in den verschiedensten Grössen, die sie aus dem Steinflor heraus anstarrten. Beinahe glaubte sie, in der Luft das surrende Schwirren von Insektenflügeln zu hören. Abrupt hielt sie inne, lauschte argwöhnisch. Grabesstille umgab sie. Ihre Fantasie spielte ihr ganz offensichtlich Streiche. Dennoch bewegte sie sich jetzt noch lautloser, blieb immer wieder stehen. Aber es schien, als sie sie das einzig Lebendige, was sich in dieser toten Welt bewegte.

Vor ihr, aus der zunehmenden Dunkelheit schälten sich jetzt die Umrisse einer riesigen Pyramide, die wie ein Kokon von der Höhlendecke zu hängen schien. Von allen Seiten führten hängende Pfade in das Gebilde, so auch der ihre. Etwas verunsichert blieb sie stehen und versuchte zu erkennen, ob ein Weg herum führte. Die Linien der glühenden Pfade verblassten langsam, aber ihr ersterbendes Leuchten reichte noch aus, um Niamanee zu bestätigen, das es nur den Weg durch die Spitze der Pyramide gab. Vorsichtig kam sie näher, blieb vor dem hohen, schlitzförmigen Eingang stehen und lauschte ein letztes mal. Das Glühen auf den Pfaden ringsum hatte aufgehört. Entschlossen betrat sie das tiefschwarze Innere der Pyramide.

Es fiel ihr immer schwerer, einen Lichtschild hervorzurufen. Wieder erwartete sie die feinen Muster und Linien zwischen den gelblich leuchtenden Sprenkeln an den Wänden zu sehen, aber diesmal kam das Licht von oben. Wie armdicke Polypenarme ragten verdrehte Kristallstränge wie ein gigantischer, bizarrer Kronleuchter weit von der beeindruckend hohen Decke herab und schienen das Licht ihres Schildes förmlich aufzusaugen, pulsierende, weißliche Lichtkugeln wanderten immer weiter nach oben und brachten das über die ganze Decke ausgebreitete, rötlichorange Aderngeflecht zum Glühen. Die ganzen Wände waren über und über bedeckt mit etwas, das entfernt ausah wie überdimensional große Seepocken aus einem in dem rötlichen Licht dunkel schillernden, glänzenden Material. Viele wirkten in der Mitte wie aufgebrochen, einige Wenige waren noch mit einer matten, das Licht schluckenden Membran verschlossen. Waben! Es sind gigantische Waben! . Erfürchtig aber gleichzeitig auf’s Äussertse beunruhigt ging sie langsam weiter. Neben den pulsierenden Lichtarmen hingen noch weitere Gebilde von der Decke, riesige Beutel aus Gespinst, die an unglaublich dünnen Fäden in unterschiedlichen Höhen dicht an den Wänden baumelten. Beutel, die unverkennbar humanoide Formen umhüllten. Für Elfen oder Menschen allerdings viel zu groß. Kaltes Grauen rann Niamanee den Rücken hinab. Das Reich der Spinnen. Und sie haben Vyrkul an ihre Brut verfüttert. . Sie hatte es jetzt sehr eilig, die Pyramide wieder zu verlassen. Einen Moment musste sie überlegen, dann erkannte sie den Ausgang, der sie weiterführen würde. Hinter ihr erstarb langsam wieder das pulsierende Licht in den Polypenarmen.

Ihr Zeitgefühl war mittlerweile völlig abhanden gekommen, während sie den lumineszierenden Pfaden folgte, die gelegentlich durch riesige runde, mit kristallinen Fasern ausgesponnene Höhlen in schroffen Felswänden führten, die einzelne Kaverne voneinander trennten. Sie hatte keine Ahnung, woher sie die Sicherheit nahm, dass sie auf dem richtigen Weg war. Das Licht leitet mich. .

Wieder stolperte sie ins Dunkel eines Höhlenganges und tastete sich blind an der Wand entlang, bis sich vor ihr die nächste, gewaltige Kaverne auftat. Das schwache Leuchten der Pilze würde nicht reichen, um ihr den weiteren Weg zu zeigen. Erschöpft lehnte sie sich einen Moment an die Wand und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. Ihr verletztes Bein war beinahe taub, sie spürte ihren Fuß bereits nicht mehr. Die Notwendigkeit, immer wieder einen Lichtschild zu schaffen hatte sie bereits deutlich an die Grenzen ihrer sowieso schon angeschlagenen Kraftreserven gebracht. Ein letztes Mal sammelte sie sich, konzerntierte sie sich und hob die bleischweren Arme. Ihr Schild war schwach, aber es reichte aus. Diese Kaverne war deutlich schmaler und die Gebäudekonstrukte zu beiden Seiten glichen eher einer Befestigungsanlage, die in unregelmäßigen Bögen mit kleinen, vorspringenden Erkern die Felsenwände hinaufführte. Nur noch ein Pfad führte hier schimmernd durch die Dunkelheit und endete hoch über ihr wieder in einer größeren Höhlenöffnung. Der Weg nach draussen. Niamanee hatte keinen Zweifel. Und die Gewissheit half ihr, ihre letzten Reserven zu mobilisieren. Ihr verletztes Bein nachziehend, hinkte sie den schmalen Pfad hinauf, musste sich immer wieder an den leuchtenen Streben festhalten. Alle Lumineszenz war bereits erloschen, als sie endlich das Ende des Pfades hoch oben in der Wand erreichte. Eine mächtige, sechseckige Pforte aus einem ihr unbekannten, schillernden Material hatte dereinst die Unterwelt geschützt, nun hingen nur noch die traurigen Überreste geborsten in den Angeln. Dahinter schimmerte rötliches Licht um die Ecke. Ein kalter Luftzug erfüllt mit dem Geruch von Schnee und gefrorener Erde wehte ihr entgegen. Niamanee atmete tief ein. Noch nie hatten Schnee und Erde so gut gerochen! Mühsam kletterte sie durch das zersplitterte Portal, fiel in dahinter angewehten Schnee und kroch auf allen Vieren dem rötlichen Abendlicht entgegen.
 

Fingin Barlov stemmte den letzten Holzstamm auf den Schlitten und stieß dann einen spitzen Pfiff zwischen seinen Zähnen hervor. “Los, Jungs, das wars, lasst uns von hier verschwinden, bevor’s dunkel wird! Verschnürt das Holz und dann ab!” Der blondbärtige, stämmige Holzfäller winkte den vier Männern zu, die noch dabei waren, Geäst von einem weiteren gefällten Baum zu schlagen. “Den holen wir morgen! Wird schon nicht weglaufen.”

Die Männer nickten, setzten ihre Äxte ab und kamen zu dem großen Leiterschlitten. Während zwei von ihnen begangen, die sechs kräftigen Zugponies wieder einzuschirren, zurrten die anderen beiden mit starken Seilen die Ladung fest. Zwischen den Bäumen kamen jetzt noch drei weitere, gerüstete Männer hervor und banden die ebenfalls noch stehenden Reitponys los.

Einer von ihnen steckte seine Armbrust in das Futteral am Sattel und rieb seine Hände. “Hab’ ich Sehnsucht nach einem warmen Essen!” Seine Begleiter nickten bejahend und die Vorstellung einer Schüssel voll mit dampfenden Eintopf ließ auch Barlov den Speichel im Munde zusammenlaufen. Er griff in seine Innentasche, holte seinen kleinen Lederflachmann heraus und nahm einen kräftigen Schluck von Balgins scharfem Rotbeerenbrand. Es würde noch eine ganze Weile dauern, bis sie wieder zurück in der Feste waren, diesmal waren sie weiter als sonst in die Wälder gezogen, da Mathis der Steinmetz bruchfestes Silberfennholz für diese Baugeschichten im Burgkeller brauchte. Er wischte sich über den Mund und fischte dann den merkwürdigen Stein, den er gestern von Mathis bekommen hatte aus seiner Jackentasche und hielt ihn nachdenklich gegen das Licht. Die Bäume warfen bereits endlos lange Schatten im rötlichen Schein der frühabendlichen Wintersonne und der in der Nacht frischgefallene Schnee glitzerte. Es war den ganzen Tag schon ruhig und friedlich gewesen, nicht ein einziger Zwischenfall mit verseuchten Wildtieren oder gar Seuchenpirschern. Barlov beschloss, heute abend noch in er kleinen, provisorischen Kapelle dem Licht eine Kerze zu stiften, da es sie schon seid Tagen so wohlwollend beschützte. Er ließ den Stein wieder in einer Tasche verschwinden und sah sich um. Da gewahrte er eine Bewegung hinten in der Senke vor den verbotenen Höhlen. Heisses Adrenalin schoß in sein Blut, er wusste, dass sie eigentlich gar nicht hier sein durften, dies war erklärtes Sperrgebiet. Aber hier wuchs nun mal das beste Silberfennholz. Hastig glitt er hinter die Stämme auf dem Leiterschlitten und spähte vorsichtig wieder zu den Höhlen. Die Wachen hatten es jetzt offenbar auch bemerkt und spannten leise ihre Armbrüste, während sie den anderen Männern signalisierten, sich hinter den Holzschlitten zurückzuziehen. Langsam in der Deckung der Bäume rückten die Wachen nun vor. Barlov spähte wieder über die Holzstämme. Da, wieder eine Bewegung! Er hörte das leise Geräusch einrastender Armbrustsehnen. Jetzt konnte er die Gestalt sehen, die in ihre Richtung torkelte. Von der Bewegung her war das auf keinen Fall ein Seuchenpirscher, wahrscheinlich nur ein verirrter Untoter. Er spürte wieder Erleichterung aufsteigen und blinzelte erneut in die Richtung der verbotenen Höhlen. Dann stockte er. Das war kein Untoter! Er schnellte aus seiner Deckung hervor. “Halt! Nicht schiessen!”

Aber da löste sich auch schon der erste Schuß.



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