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Fiducia

D18
von

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E 'bello vederti, amore mio

Das Kinn mit einem Arm abgestützt saß Hibari Kyōya in der Boeing 747 nach Rom und sah durch das Fenster zu seiner Rechten auf eine makellose weiße Wolkendecke, über die der Flieger hinweg zog.

Er seufzte genervt. Dass er jetzt hier saß, war eine notwendige Ausnahme gewesen. In der Regel reiste er nicht ins Ausland, geschweige denn, dass er überhaupt seine Heimatstadt Namimori verließ. Und wenn es schon soweit kam, nutzte er immer einen privaten Flieger. Er hasste Passagierflugzeuge. Er reiste zwar First Class, bester Service und bester Komfort, doch alles was er brauchte und wollte war bloß ein wenig Ruhe und Stille, doch genau das bekam er hier nicht. Vorne, hinten, sowie links von ihm: Menschen, die redeten, husteten oder nach irgendwelchen Sachen kramten – es war ihm egal was sie taten, Tatsache war, sie produzierten Lärm. Die Zeit des Fluges mit einem Nickerchen überbrücken zu wollen, war in diesem Umfeld schier unmöglich. Kyōya hätte dem Abschaum am liebsten soweit die Fresse poliert, dass er still wurde, doch mehrere tausend Meter über dem Erdboden für Aufsehen zu sorgen, wollte er möglichst vermeiden, wo dies doch auch der Grund dafür war, wieso er sich auf dieses Reiseniveau hinabgelassen hatte.

Die Famiglia wusste nicht, wie weit die Augen und Ohren der Organisation reichten, um die sich sein Auftrag drehte – der Grund für seine Reise nach Rom. Dazu kam, dass sein Name in der Mafia nicht gerade sehr unbekannt war. Nicht umsonst assoziierte man ihn mit dem stärksten Ringwächter der Vongola. So wenig Aufsehen wie möglich war besser für den Erfolg seines Auftrages und unter den vielen gewöhnlichen Geschäftsleuten und reichen Reisenden würde er nicht auffallen, soweit man in der Menge nicht direkt nach seinem Gesicht suchen sollte, was allerdings, so war er sich sicher, nicht der Fall sein würde. Keiner außer ihm und Sawada Tsunayoshi wusste von seinem Aufenthalt in Rom – bis jetzt.

Seine Gedanken wanderten zu dem tollpatschigsten Boss auf Erden und er fragte sich, ob dieser sich wohl gerade im Hauptquartier seiner Famiglia in Rom aufhielt oder wegen geschäftlichen Angelegenheiten unterwegs war. Obwohl dies im Grunde genommen gar keine Rolle spielte: so wie er den Älteren kannte, würde dieser augenblicklich zurückkehren, wenn er von seiner Ankunft erfuhr. Beinahe über einen Monat war es her seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten.

Erschöpft wand Kyōya den Blick von den Wolken ab, zog die Abdeckung herunter und ließ sich tief zurück in seinen Sitz sinken. Langsam schloss er die Augen, während er vergeblich versuchte die Laute, die aus der Umgebung auf ihn eindröhnten, auszublenden. Irgendwo weiter vorne vernahm er das Rollen des Servierwagens und die dazugehörige Stimme der Stewardess, die den Passagieren auf deren Wunsch hin Snacks und Champagner reichte. Hinter ihm das Rascheln einer Zeitung, die umgeblättert wurde, doch zwischen all diese Geräuschen mischte sich auch eine ihm nur allzu gut bekannte und beruhigende Melodie: Die Hymne der Namimori Mittelschule. Sein Handy klingelte – von wegen beruhigend, am Ende war es nur ein weiterer Störfaktor.

Er schlug die Augen wieder auf und holte besagtes aus seiner Jackettasche. Der Display leuchtete auf und zeigte den Namen des Anrufers an – den Namen jener Person, an die er vorhin noch gedacht hatte: Dino. Er nahm ab und traf im gleichen Moment den Blick der Stewardess, die sich darauf mit einem Lächeln bei dem Passagier, den sie gerade bedient hatte, entschuldigte und auf ihn zukam. Er ignorierte sie und sprach in den Hörer: »Ja?«

»Hey, Kyō-chan, wie geht´s? Was machst du gerade?« Kyōyas Augenbrauen zuckten genervt, als er das Suffix hörte, mit dem Dino ihn ansprach. Er hasste es so genannt zu werden und dieser wusste dies nur allzu gut, gerade deshalb benutzte er es nur am Telefon, wenn er sicher sein konnte, dass Kyōya weit genug von ihm entfernt war, um ihm nicht mithilfe seiner Tonfas nochmals zu verdeutlichen, wie abgeneigt er von dieser Verniedlichung war. Dino machte sich des Öfteren einen Spaß daraus.

»Kamikorosu«, entgegnete er nur kühl, während am anderen Ende der Leitung Dinos gut gelauntes Lachen zu hören war.

»Ganz so wie immer also. Hör mal ich dachte mir…«

»Entschuldigen Sie.«

»Einen Moment, Dino.« Er nahm den Hörer beiseite und musterte die Stewardess, die ihn angesprochen hatte, herablassend. Sie war sonnengebräunt, hatte langes schwarzes Haar, unverkennbar eine Italienerin. Er schätzte sie auf nicht älter als sich selbst. Ein wenig erschrocken von seinem feindseligen Blick, den sie sich nicht aufgrund ihres Verhaltens erklären konnte, wich diese vor ihm zurück, sprach jedoch unberührt weiter und versuchte sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen: »Ich muss Sie bitten aufzulegen. Während des Fluges müssen alle elektrischen Geräte ausgesch…«, doch Kyōya hörte ihr nicht mehr zu und wurde stattdessen von Dino abgelenkt, der so laut in den Hörer quasselte, dass er ihn, obwohl er sein Handy vom Ohr weghielt, noch deutlich hören konnte.

»Kyō-chan? Ist das eine Frauenstimme? … Du gehst doch nicht etwa fremd?!«

Die Stewardess sah ihn verwirrt an, während Kyōya mit jedem weiteren Wort Dinos allmählich der Kragen zu platzen schien. Letzendlich fauchte er ein »Kamikorosu«, das sowohl an ihn auch als an die Stewardess gerichtet war. Eingeschüchert ließ sie von ihm ab und ging zurück zu ihrem Servierwagen, einsehend, dass er eher zu dem Typ von Passagier gehörte, dem man besser nicht weiter widersprach, wenn man seinen Job behalten wollte.

Kyōya nahm das Handy wieder zur Hand.

»Idiot«, sagte er genervt, doch der andere lachte nur.

»Du verstehst wirklich keinen Spaß. Mh, hab ich das richtig verstanden? Du sitzt im Flieger? Wohin? - «

Gezielt drückte der Gefragte auf die rote Taste, ließ das Handy wieder in seine Jackettasche gleiten und lehnte sich in das Polster zurück.

Dass er auf dem Weg zu Dino war, sollte für diesen dann doch vorerst noch eine Überraschung bleiben.

◊ ◊ ◊

Die Füße mit den schwarzen Lackschuhen hatte er feierabendlich auf seinem Schreibtisch übereinandergelegt - dabei konnte von Feierabend eigentlich noch gar nicht die Rede sein, wenn überhaupt dann eher von einer kleinen Verschnaufpause. Der letzte Stapel an geschäftlichem Papierkram wartete noch darauf von ihm durchgearbeitet zu werden, auch wenn er sich wünschte diesen einfach gänzlich ignorieren zu können.

Durch das Fenster seines Büros sah er hinüber zu den entfernten Umrissen der Hauptstadt, während er mit Kyōya telefonierte.

»… Du sitzt im Flieger? Wohin? - « Freizeichen.

Deprimiert stellte er fest, dass sein Gesprächspartner ohne Vorwarnung aufgelegt hatte, doch nur wenige Sekunden später zeichnete sich wieder ein fröhliches Lächeln auf seinen Lippen ab. Er kannte den Jüngeren und dass dieser seiner Frage auf diese Art und Weise ausgewichen war, konnte nur eines bedeuten: Kyōya war auf dem Weg nach Italien. Egal, wie sehr er ihn auch verärgert haben mochte, deswegen hätte er nicht aufgelegt und jedes andere Ziel hätte er ihm ohne große Umschweife genannt.

Und das, wo er ihm gerade mittteilen wollte, dass er plante, sich die nächsten Tage ein wenig freie Zeit zu gönnen und diese bei ihm in Japan zu verbringen. Er musste grinsen. Zwei Seelen, ein Gedanke, obwohl man dies nicht ganz so behaupten konnte. Ihm war bewusst, dass sehr viel mehr nötig war, um den Jüngeren aus seinem geliebten Namimori zu locken. Angelegenheiten der Vongola, um die sich nur der Wolkenwächter mit seiner Bestimmung, die Famiglia aus der Ferne von einem unabhängigen Standpunkt aus zu beschützen, kümmern konnte.

Dino wählte die Taste, die ihn mit Romario im unteren Stockwerk verband. Bereits nach nur wenigen Sekunden wurde der Hörer unten abgenommen.

»Boss?«

»Oi, Romario. Könntest du mir einen Gefallen tun? Ich brauche jemanden, der für mich zum Flughafen fährt. Ich würde gern noch den restlichen Papierkram so schnell wie möglich erledigen. Könntest du das übernehmen?«

»Natürlich. Wen soll ich von dort abholen?« Romario schien ein wenig irritiert - kein Wunder, schließlich erwartete die Cavallone Famiglia heute keine Gäste mehr.

»Kyōya kommt zu Besuch«, verkündete Dino gut gelaunt. Deutliche Verwunderung war daraufhin in Romarios Stimme zu vernehmen, doch gleichzeitig teilte er die Freude seines Bosses, schließlich wusste er, wie selten dieser den Jüngeren sah: »Gut, ich werde den Wagen holen.«

»Danke Romario.« Mit diesen Worten legte Dino den Hörer wieder an seinen ursprünglichen Platz und lehnte sich zurück. Mit einem Seufzer sah er auf den vor ihm liegenden Papierstapel. Arbeit musste sein, das ließ sich nicht ändern, auch wenn er sich gerade jetzt am liebsten davor drücken würde, um Kyōya persönlich abholen zu können. Nichtsdestotrotz musste er darauf verzichten, um noch rechtzeitig fertig zu werden.

Gedankenverloren warf er erneut einen Blick durch das Fenster. Erst jetzt, wo er kurz davor war ihn wieder zu sehen, wurde ihm immer deutlicher bewusst, wie sehr er sich nach Kyouyas Nähe sehnte - wie sehr er ihn doch vermisste. Die letzten stressigen und arbeitsreichen Tage hatten ihn von diesem Gedanken abgelenkt, aber nun machte sich ein warmes und zugleich schmerzhaftes Gefühl in seiner Brust breit, wie eine Flamme, die mit dem Gedanken an ein Wiedersehen ins Lodern gekommen war, mit der Zeit, in der der andere immer mehr die Entfernung zwischen ihnen überbrückte, an Stärke gewann und schließlich, so wusste er, seinen ganzen Körper in Brand stecken würde, sobald Kyouya endlich wieder in Fleisch und Blut vor ihm stehen würde - nach über 2 Monaten. Eine unendlich lange Zeit, so kam es ihm vor.

Die Entfernung, die zwischen ihnen lag, war schon immer ein Problem gewesen, mit dem sie hatten leben müssen. 9700.000km lagen zwischen ihnen – zwischen Rom und Namimori. Ein ganzer Kontinent. Und gerade deswegen konnte er es kaum erwarten, Kyōya endlich wieder zu sehen. Jede Minute die verging machte ihn nervöser.

Er sah auf die Uhr und fragte sich, ob Romario wohl noch rechtzeitig am Flughafen ankommen würde, um Kyōya abzufangen, bevor dieser ein Taxi nehmen konnte. Roms Straßen waren für gewöhnlich überfüllt – und so auch heute. Die Metropole war ein Labyrinth aus alten Straßen, die sich zwischen den zahlreichen Gebäuden, Kirchen, Brunnen und Ruinen schlängelten, erfüllt vom alltäglichen römischen Gewimmel: Mopedfahrer, Touristenbusse, Taxis, unendliche Schlangen an Fahrzeugen, die in alle Richtungen unterwegs waren und den Verkehr nur schleppend vorankommen ließen.

Von seinem Büro aus hatte Dino einen guten Blick auf das entfernte Treiben, lag sein Anwesen zum Glück eher in einer ruhigeren Gegend etwas abseits des Stadtzentrums, von wo aus sich ihm die beste Aussicht auf jenes bot. Im Vordergrund erstreckte sich das Ufer des Tibers, der sich in beträchtlichen Schleifen durch die Stadt wand und im Hintergrund strahlte die Marmorfassade des Petersdoms wie Feuer im Licht der späten Nachmittagssonne.

◊ ◊ ◊

Am westlichen Rand der Stadt kam Die Boeing auf dem nach Leonardo Da Vinci benannten Aeroporto di Roma zum stehen.

Kyoya folgte der ausgestiegenen Menschentraube Richtung Kofferausgabe, nahm sein Gepäck entgegen und verließ den menschengefüllten Flughafen. Draußen angekommen nahm er einen erleichternden Atemzug und genoss kurz die mediterrane italienische Luft, sowie die warmen abendlichen Sonnenstrahlen auf seiner Haut, ehe er nach einem Taxi winkte.

Den anstrengendsten Teil seines Auftrages hatte er hiermit überstanden: Die über 10 Stunden lange Anreise in Gegenwart von nervtötenden Mitreisenden. Im Vergleich hierzu war es in den Augen des Wolkenwächters ein reines Vergnügen einem Haufen korrupter Mafiosi die Kehle durchzubeißen.

Ja, er musste zugeben, er freute sich sogar darauf diesen Abschaum mit seinen Tonfas zu bearbeiten, nicht etwa weil es ihm um die Vongola und die Sicherheit der Famiglia ging, sondern aus dem bloßen egoistischen Grund heraus, dass er Kämpfen wollte – er wollte dem Mafiagesindel da draußen demonstrieren, dass sie auch weiterhin Respekt vor dem stärksten Wächter der Vongola haben sollten und zugleich hoffte er inständig, dass diesmal unter seinen Gegnern eine Person dabei sein mochte, die kämpferisches Geschick besaß und sein Blut wenigstens ansatzweise in Wallungen bringen würde.

Das Taxi fuhr vor und Kyoya stieg in den weißen Wagen ein. Während der Taxifahrer seinen Koffer verstaute, ließ er den Blick über den Parkplatz schweifen und entdeckte dabei eine nur allzu bekannte Person, die hastigen Schrittes auf sein Taxi zugerannt kam. Augenblicklich wies er den korpulenten Taxifahrer an, sein Gepäck stehen zu lassen - er hätte es sich anders überlegt - und stieg wieder aus dem Taxi – zur großen Erleichterung Romarios, der ein wenig erschöpft von seinem Sprint vor ihm stehen blieb.

Dino konnte man nichts vormachen, schoss es ihm widerwillig durch den Kopf und gleichzeitig fragte er sich, wieso der Bronco nicht selbst aufgetaucht war, um ihm abzuholen, sondern stattdessen seine Rechte Hand geschickt hatte.

Romario hatte inzwischen seinen Atem wieder gefunden: „ Benvenuta, Hibari-san. Dino-san schickt mich, um euch abzuholen“, sagte er und setzte noch ein wenig enttäuscht hinzu: „Ist Kusakabe gar nicht bei euch?“ Sicherlich hatte Romario sich bereits darauf gefreut mit seinem alten Freund nach langer Zeit wieder einen heben zu können.

Kyoya erklärte knapp, dass er allein im Auftrag der Famiglia gekommen war und folgte Romario währenddessen zu Dinos schwarzem, in der Abendsonne teuer glänzendem Alfa Romeo. Sie stiegen ein und machten sich auf den Weg zum östlichen Rand der Stadt.

Auch wenn Kyoya der Überzeugung gewesen war, den schlimmsten Part bereits hinter sich gelassen zu haben – der Verkehr im Stadtzentrum machte ihm einen Strich durch die Rechnung.

Es war später Nachmittag und neben dem allgemeinen Verkehr bestehend aus Touristenbussen und Taxen, setzte nun auch der Berufsverkehr wieder ein. Kurz vorm Ziel gerieten sie in einen Stau.

„Kamikorosu!“, schnaubte er verächtlich. Romario hätte gerne angesichts der Situation einige zuversichtliche Worte geäußert, doch wusste er, dass es sich schlimmstenfalls sogar um Stunden handeln konnte, bis sie das Cavallone Anwesen erreichen würden.

Nach einer Viertelstunde, in der sich die Fahrzeugschlange vor ihnen nicht bewegt hatte, platze dem Wolkenwächter der Kragen vor Ungeduld: „Ich gehe zu Fuß weiter“, erklärte er, seine Tonfas bereits gezückt, und bevor Romario überhaupt die Gelegenheit dazu gehabt hätte, irgendwelche besorgten Einwände zu äußern, war dieser bereits ausgestiegen, hatte die Autotür hinter sich zugeknallt und war losgerannt.

Romario konnte nur hoffen, dass es nicht in keiner Katastrophe resultierte, wenn man einen gereizten Vongola Wolkenwächter auf den nervenzermürbenden römischen Verkehr losließ.



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