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Kaizoku no Baroque

II. Der salzige Wind der See
von

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Omoide - Einsamkeit violetter Blumen

Lied: http://www.youtube.com/watch?v=_F_PY3qe1k0
 

~ ~ ~
 

Während sie sich langsam in Bewegung setzten, blieb Miki vorn in der Gruppe stehen. Sie waren schon ein Stück voran gekommen und bisher hatte der große Kerl nicht ganz verarbeitet, was hier eigentlich passierte. Er hatte es sehr wohl gehört und gesehen und etwas in seinem Inneren begann lauter um seine Vorsicht zu betteln, versuchte ihn zu ermutigen zu handeln, aber er reagierte gar nicht. Scheinbar ging es den anderen ganz ähnlich. Zumindest Iroko, die sich ähnlich apathisch verhielt wie sein Boss. Sie, als auch Crocodile gingen einfach weiter, ließen sich von seiner Starre gar nicht ablenken. Er wusste ja selbst nicht einmal warum er eigentlich plötzlich stehen geblieben war. Er sah nichts Ungewöhnliches, hörte nur diese leise, wirklich schöne Musik. Er fühlte sich nicht verängstigt, nicht einmal mehr wirklich verwirrt. Er war kein neugieriger Typ und er hatte sich schon mit dieser Sache abgefunden, wartete eigentlich nur noch auf seinen Einsatz. Er würde es spüren, ganz sicher. Er hatte ein Talent dafür. Doch warum beschlich ihn nur langsam das Gefühl, dass er seinen Part verpassen könnte? Dass er schon längst dabei war, das er etwas Offensichtliches übersehen hatte. Laut ein und ausatmend schloss er die plötzlich müden Augen. Erst als er sie öffnete fiel ihm zum ersten Mal auf, was hier wirklich komisch war. Nicht der Nebel, nicht die Musik, nicht das Verhalten der anderen. Er selbst war es, der falsch spielte.

Er sah an sich herab und streckte dann die rechte Hand in sein Haar. »Hmmmmmm?«

Was machte er falsch? Und warum beschlich ihn das Gefühl diesen Fehler schon einmal gemacht zu haben? Als er das Bellen hörte fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er hatte einfach das Schiff verlassen und Lasso völlig vergessen. Oh, das war nicht das Problem, nicht wahr? Lasso war ein schlauer Hund und nicht leicht unter zu kriegen. Er würde brav auf sein Herrchen warten, er würde alles für sein Herrchen tun, sogar sterben. Da lag der Fehler. Das war das Problem, das Miki übersehen hatte. Wieder erklang das Bellen, lauter diesmal, als würde es näher kommen. Das war aber nicht Lassos Bellen. Miki hätte es unter hunderten wiedererkannt. Und die Einsicht brachte ihm Tränen in die Augen. Den gleichen Fehler wieder begangen? Wie damals? Als sein geliebter Hund Nishka sich für sein Herrschen geopfert hatte. Damals, als ein paar Jungs Miki den Schädel zertrümmert hatten. Damals...? Und warum hörte er dann jetzt das Bellen?
 

Während Miki das Bellen hörte, hörte Uma das Lachen. Und kaum in ihren Ohren angekommen, wurde ihr Schritt schneller, als wollte sie davor weglaufen. Uma war nicht dumm, nur etwas übermütig. Wie Paula und vermutlich auch die anderen, hatte sie erkannt, was hier passierte. Zumindest hatte sie eine Vorstellung davon, dass auch sie etwas erleben sollte, was aus ihre eine wandelnde Mumie machen würde. Etwas aus ihrer Vergangenheit, das ihr ins Gesicht lachen wollte, an ihrer Kraft reißen und sie untergehen lassen wollte. Aber nicht mit Inugashi Uma! Sie hatte diese Scheiße satt! Sie wusste ganz genau, was ihr den Tag versauen wollte. Wusste genau welche schmerzhafte, tote Erinnerung ihr da ein Bein zu stellen gedachte. Aber verfickte Scheiße noch mal! Sie hatte damit abgeschlossen! Sie war längst über den Verlust hinweg und sollte der Teufel sie holen, sie würde hier nicht stehen bleiben und diesen bekloppten Geistern diese Genugtuung verpassen. Eher riss sie sich ein oder zwei Beine aus!

Das Lachen wurde lauter, prägnanter. Oh ja, sie wusste, wer da lachte. Und je tiefer sich diese Einsicht in ihr Fleisch fraß, desto schneller wurde ihr Schritt. So schnell, dass sie ziemlich bald an Miki vorbei lief. Beide erkannten sich gar nicht, konnten sich gar nicht sehen, blickten direkt aneinander vorbei. Und kaum hatte Uma ihn eingeholt, kaum war sie an ihm vorbei wurden die Geräusche so laut, dass beide zusammen zuckten. Uma blieb stehen und legte die Hände auf die Ohren. »Schnauze! Seid still, gottverdammt!«
 

Beinahe hätte man den Eindruck gewinnen können, Miki hatte ihren Schrei gehört, aber es war nicht mehr das Bellen, dass ihn aufhorchen ließ. Es war der Schemen, der ihm entgegen lief. Genauso weiß wie die Frau der Weide, aber auf vier Beinen und mit hängender Zunge. Wieder kläffte es und Miki konnte sich gar nicht davon abhalten einen Schritt zurück zu machen.
 

Umas Keuchen wurde schlimmer, aber das Lachen hatte sich eingestellt. Mit einem Mal war es sogar mucksmäuschenstill. Sie hörte nicht einmal ihr eigenes rapides Atmen. Hastig schaute sie sich um. Nicht gut. Das war nicht gut. Sie hätte schon längst den Boss oder zumindest Miki sehen müssen. Hatte doch Robin sicherlich schon längst eingeholt, so wie sie gerast war. Aber niemand war da. Sie runzelte die Stirn heftig und fuhr fast aus ihrer Haut, als sie die kühle Hand auf ihrem Arm spürte und bald hätte sie die Ohnmacht erreicht, als eine ähnliche Empfindung auf ihren anderen Arm traf. Hände, Kinderhände.
 

»Nishka?« flüsterte Miki. Es bemerkte gar nicht, dass es ohne Zeitverzögerung geschah, ohne seine Schwäche, die Worte nur langsam aussprechen zu können. Doch es war gar nicht seine eigene Stimme. Nicht seine reale zumindest. Er sah den geisterhaften Schatten nicht, der sich neben ihm gebildet hatte und kaum an seine Schultern reichte. Die Stimme war viel weicher, höher, als seine eigene, fast kindlich. Nishka! Komm her Mädchen.

Die Gestalt wurde deutlicher und wieder und wieder rief er nach ihr, bildete sein Mund die Worte, die der durchsichtige Geist neben ihm aussprach. So als könnte er ihm in die Seele blicken. Der Hund kam näher und bellte fröhlich, sprang Miki in die Arme und schlabberte ihm die Wange ab. Es fiel Miki gar nicht auf, dass Nishka seine Wangen gar nicht hätte erreichen können. Nicht heute, aber damals. Sie leckte ihm glücklich die Tränen aus dem Gesicht. ...Ni..shka...
 

Heftig zuckte Uma zurück und wirbelte herum, ehe das Lachen wieder einsetzte. Diesmal jedoch sah sie dabei in die lachenden Augen ihrer Kinder. Maaami! kam es im Chor. Das gleiche Gesicht, die gleichen langen, rötlichen Haare, zu Zöpfen gebunden, ganz ähnlich wie Iroko. Eine hatte blaue Augen, die andere grüne. Der einzige Unterschied zwischen den Inugashi-Zwillingen. Umas, tote Kinder. Beide, Uma und Miki, kaum zehn Meter voneinander entfernt, traten zwei Schritte zurück. Beinahe wären sie aneinander gestoßen.

»AHHH! Aufhören!« kreischte es mit einmal, dass Miki stutzig, den Hund aber noch immer streichelnd, aufsah. War da was gewesen?

Uma wischte sich vehement die Tränen aus den Augen und setzte sich die Brille resolut wieder auf die Nase. »Geht weg! Ihr seid tot!«

Das Lachen schlug plötzlich in ein Weinen um. Fast blau glitzerten die Tränen auf den weißen Mädchenwangen. Eine von ihnen kam näher. Aber Mami. Willst du uns schon wieder verlassen?
 

Den Kopf wieder sinkend, starrte Miki ungläubig auf seine Hündin und konnte das Rätsel nicht lösen. Sie sollte doch nicht hier sein. Nicht hier, auf diesen Insel. Er war kein sehr gläubiger Mensch, aber er hatte nicht gewollt, dass Nishka als Geist weiter existierte. Das war doch wirklich merkwürdig und es tat weh.

NISHKA! Hierher, Mädchen! Schlimmer ging es immer. Als Miki dieses Mal aufsah, trafen seine Tränen den Kragen deines Hemdes. NISHKA! Jetzt komm endlich! Miki wartet schon auf dich!

Er konnte es nicht sagen, aber er spürte wie sich plötzlich der Schatten neben ihm sich vor seine Augen schälte und zu rufen begann. Ich bin schon hier, Papa!
 

Uma ging in die Knie und riss an ihren Haaren herum, versuchte krampfhaft die Stimmen, das Weinen, das Lachen und die kalten Finger auf ihren Schultern auszublenden. Beinahe wippte sie vor und zurück und kreischte. »GEHT WEG! Ihr seid doch tot! Ich habe euch sterben sehen! Ja, das habe ich! Langsam und qualvoll!«

Willst du es nicht wieder gut machen, Mami?

Ja, komm zu uns. Wir können hier wieder zusammen sein, so wie früher.

Liest du uns was vor, Mami?

Au ja, ließ uns was vor.

Hänsel und Gretel.

Nein, lieber Rapunzel!
 

Ein großer Mann, mit unheimlich breiten Schultern näherte sich nun Miki und seiner dreißig Jahre jüngeren Form. Langes, blondes Haar, das im Nacken zusammen gebunden war, stahlblaue Augen. Wie sein Sohn trug Lewis einen Bauch mit sich, aber eigentlich wirkte er eher muskulös, als schwerfällig. Eher geschmeidig als fett. Das Grinsen war breit, die Augen leuchteten fast. Dann komm mein Junge. Das Training fängt gleich an. Du willst mich doch stolz machen, oder? Du musst den Jungs unbedingt deinen Schwung zeigen.

Er kam auf den Jungen zu und drehte ihm das Baseballcappy wieder richtig herum, klopfte ihm dann auf die Schulter. Na komm Miki. Er streichelte den Hund. Und du Nishka, ich hab dir doch gesagt, du musst auf Miki aufpassen.

Noch kläffte es glücklich, aber schnell schlug es in ein Jaulen über. Panisch ballten sich Mikis Fäuste und seine Stirn legte sich in böse Falten. Neben dem Jaulen erklang ein Schreien, Schläge, dann ein Krachen. Miki musste nicht sehen, um zu wissen was passierte. Er erinnerte sich noch sehr gut daran. Das vermutlich einschneidenste Erlebnis seines Lebens. Die Jungs aus seinem Baseballclub, eifersüchtig auf ihn und vor allem auf seinen Vater verprügelten ihn, traten ihm den Kopf ein, bis er irgendwann nachgegeben hatte. Aber der Schmerz war damals nur kurz gewesen. Er erinnerte sich gar nicht mehr daran, nur an das Bild, das letzte was er als normaler Mensch zu Gesicht bekam. Nishka jaulte erneut und schnappte in einem letzten Aufbegehren nach ihrem Peiniger. Einem der Jungen, der immer wieder mit einem Baseballschläger auf den nun wehrlosen Hund einschlug. Unter das Jaulen mischte sich nur noch das Lachen.
 

Beiden, Uma und Miki wurde mit einem Mal speiübel. Doch während Miki sich dem verwehren konnte, übergab Uma sich auf den Boden. Sie konnte das Zittern nicht mehr abstellen. Beinahe zog sich ihr Blickfeld völlig zusammen, drehte sich alles um sie herum, bis sie fast schwarz sah. Dieser Schmerz, dieser uralte Schmerz, der sie zerfressen hatte, war urplötzlich wieder in ihr. Sie hatte es doch verarbeitet, nie vergessen, aber sie weinte sich nicht mehr in den Schlaf, sie hasste sich nicht mehr, hatte das Leben wieder zu schätzen gelernt. Aber all das war plötzlich nicht mehr sichtbar.

Paula schmiss sich mit einem mal auf Uma und umarmte sie heftig, schniefte und streichelte sie. »Nicht du auch noch... bitte.... Uma...«
 

Heftig zog es an ihrem Bewusstsein. Doch als sie aufsah, sah sie nur ihre Kinder, vor sich gekniet mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Mami, wein doch nicht. Wir sind doch bei dir. Wir werden immer bei dir sein. Geh nicht mehr weg, ja?
 

Miki ging nun ebenfalls in die Knie, als sein Bild sich zu drehen begann. Das Jaulen erstarb, das Lachen brach in sich zusammen. Aufgebracht richtete er seine Augen auf ein völlig neues Bild. Er sah sich selbst vor einem Grabstein stehen. Es war nicht Nishkas Grab, nein, es war das seines Vaters. Eine ganze Menge Leute standen um ihn herum, manche mit traurigen Gesichtern, aber um einige mehr, die ihn belächelten und tuschelten.

Jetzt, ohne seinen Vater geht´s bergab. Der Junge kann doch alleine gar nichts. Er ist völlig zurück geblieben, kann kaum sprechen. Hast du ihn mal laufen sehen? Da bin ich zehnmal um den Platz gegangen und er hat sich nicht mal in Bewegung gesetzt.

Und was machen wir jetzt mit ihm? Ohne seinen Vater muss sich doch jemand um ihn kümmern.

Was weiß ich? Der Junge ist war sogar zu blöd seinem Vater Lebewohl zu sagen. Ich war mit ihm im Krankenhaus als Lewis so krank geworden ist. Hat nichts gesagt, nicht mal gezuckt, als Lewis ihm seine Hand hingestreckt hat. Sehr traurig alles, aber echt mal. Ich will nichts mit dem zu tun haben.

Wütend ging Miki auf die Menge zu und wollte nach diesen Gestalten greifen, aber er glitt einfach nur durch sie hindurch, konnte sie nicht packen. Außer sich vor Wut drehte er sich fast im Kreis, ehe erneut das Kläffen einsetzte und das Lachen seines Vaters ertönte.

Wir sind hier Miki! Jetzt komm schon!
 

Und tatsächlich, da waren sie, rannten auf die Burg zu. Und Miki folgte ihnen, ließ den einsamen, langsamen Jungen allein am Grab zurück.

Auch Umas Kinder richteten sich schließlich wieder auf und traten ein paar Meter zurück, winkten ihr zu. Komm schon Mami. Komm mit.

»Aber... ihr seid doch tot...«

Vorsichtig richtete sie sich auf, ignorierte Paula dabei vollkommen und langsam ging sie ihnen nach.

Einen ganzen, langen Moment geschah gar nichts. Nur die Musik ertönte noch leise in der Luft und umgarnte sie, wickelte sie in ihr Netz, dass sie nicht mehr entkommen konnten. Paula saß noch immer auf dem Boden und starrte Miki und Uma nach, sah aus dem Augenwinkel wie auch ihr Boss und Gal auf die schwarze Burg vor ihnen zu taumelten. Ein Augenblick, der ihr ewig vorkam, nicht enden zu wollen schien. Sie war stocksteif und spürte einen kalten Hauch in ihrem Nacken, der sie frösteln ließ. Eine Gänsehaut plagte sie und schüttelte ihren Körper durch. Sie hielt den Atem an. Und dann kam er – der Schrei, der ihre gesamte Angst mit einem Schwall nach draußen entließ und den Verbliebenen einen kalten Schauer den Rücken herunter rieseln ließ. Sie schrie so laut und so voller Furcht, dass es ihr eigenes Blut fast zu Eis gefrieren ließ. Ihr Kopf schlug herum, die Hände auf die Ohren gepresst, die Stimme so laut, dass die Melodie für einen Moment verstummte.

» Neeeeein! Ich will nicht! Ich will das nicht! Macht, dass es aufhört! Was soll das? Warum geschieht das? Wer tut so etwas?«
 

»Paula...« Jazz beugte sich zu ihr und legte eine Hand an ihre Schulter, doch sie wand sich weiter und krümmte sich wie unter Schmerzen zusammen.

»Nein, lass mich! Ich will das nicht! Geh weg! Hör auf! Aufhören!«

»Paula, beruhige dich.« Sein Miene wurde nun härter, ernster als er versuchte zu ihr vorzudringen, doch er erreichte sie nicht mehr. Sie hörte bereits die Melodie in ihrem Kopf. Lauter als je zuvor. Als würde ihr Körper unter der dem Lärm eines Vulkanausbruchs erbeben, so laut, dass es sie fast taub machte. So allgegenwärtig, dass sie glaubte gleich durchzudrehen.

Auch Iroko, die noch immer gedankenversunken neben Jazz stand, hörte die Musik erneut und sah die Gestalten, die nun in der Luft erblühten. Auf der linken Seite ein großer, muskulöser Mann, Glatze und eisigkalter Blick. Jazz, nur etwas jünger. Er blickte dem echten jazz direkt entgegen, als würde er ihn mit einem Schwert durchbohren wollen. Nichts regte sich an ihm, als wäre er erstarrt. Auf der anderen Seite war eine alte Frau zu sehen. Sie schwebte auf Paula zu, blickte zu ihr hinab, strafte sie mit erhobenem Zeigefinger und schrie ihr laut entgegen, dass Paula heftig zusammenzuckte.

PAULA! Du kleines Miststück! Du miese kleine Göre! Was erlaubst du dir! Hast du keinen Respekt? Ich bin deine Großmutter! Habe ich das etwa verdient!
 

Sie hörten sie weiter brüllen, mit der Hand ausholen und nach ihr schlagen. Wag es dir nicht noch einmal, sonst prügel ich dich windel weich! Hörst du?! Du Mistgöre! Deine Mutter hat dich nicht richtig erzogen! Diese Schlampe ist auf den falschen Weg gekommen! Säuferin! Junkie! Hure! Und du kleines Miststück bist genau wie sie! Geh mir aus den Augen! Geh mir aus den Augen, du Schlampe!
 

Ein Geist löste sich aus Paulas Körper, ihr eigener, vielleicht siebzehn Jahre alt. Begann zu rennen, die Wangen voller Tränen, schluchzend, gebrochen. Sie rannte und rannte, verschwand und brach aus einer anderen Stelle wieder frei, rannte wieder und verschwand. Dann erschien eine neue Stelle. Sie stand im Regen vor einem großen, älteren Mann. Hager, Schnauzbart, karge Gesichtszüge. Er musterte sie.

Na... du willst bei uns arbeiten?

Sie nickte verhalten. ...Ich brauche das Geld... ich lebe allein mit meiner Großmutter. Und das Café das wir haben bringt nicht genug Einnahmen. Ich arbeite den ganzen Tag allein. Aber... ich habe seit Tagen nichts richtiges mehr zu essen gehabt...

Der Mann verschränkte die Arme und murmelte. Mich interessiert deine Lebensgeschichte nicht. Hm ...dürres Mädel. Viel zu dürr. Kannst du tanzen?

Wieder nickte sie unsicher. Ja, kann ich. Und etwas singen.

Der Mann nickte und griff ihr an die Hüften, an den Hintern , an die Brüste. Körbchengröße?

...B..., stotterte sie.

Nah... wir sehen was sich machen lässt.

Die junge Paula verbeugte sich tief. Vielen, vielen Dank.

Dann hörten sie wieder das Schimpfen ihrer Großmutter, aber dieses Mal von weiter weg, formlos. PAULA! Wo bleibt mein Tee! Und ich hab Hunger! Hast du wieder nicht genug Geld eingebracht?! Du bist unfähig, komplett unfähig! Wärst du hübscher, würdest du den Lader besser füllen können! Unfähig, hässliches Ding du! Wo bleibt mein Tee! PAULA!

Das letzte schrie sie immer lauter und lauter, bis die echte Paula sich die Ohren zuhalten musste. PAULA! DU DRECKSSTÜCK! PAULA!
 

Paulas weißer Schemen sah sich nun panisch um und rannte wieder. Weitere Stimmen waren zu hören.

Da ist sie! fangt sie!

Lacroix Paula ist angeklagt! Fangt sie!

Gehen wir zu ihr nach Hause!

FANGT SIE, fangt sie!

Die junge Paula rannte nun in ein schemenhaftes Haus hinein, und wieder erschien ihre Großmutter vor ihr. In einem Sessel, mit einer Decke auf dem Schoß. Paula war vollkommen außer Atem, schrie sie panisch an. Großmutter!

Diese jedoch blieb nur einen kurzen Moment ruhig, ehe sie abwertend zischte. Dass du dich noch her traust, du kleines Gör...

Großmutter! Die Polizei kommt hier her! Du musst dich in Sicherheit bringen!

Nun keifte sie sie wieder an. Na was meinst du denn, wer sie geholt hat! Du bist eine Schande! Eine Schande für unsere Familie! Hure! Prostituierte! Miststück! Verkaufst deinen Körper! Mieses Drecksstück! Hoffentlich sperren sie dich ein!

Die junge Paula wich einen Schritt zurück und Tränen kamen in ihre Augen. A-aber... Großmutter...

Sie brüllte lauter. Fahr zur Hölle, PAULA! Miststück! Hure! Schlampe!
 

Sowohl die junge als auch die echte Paula schluchzten nun immer lauter. Dann drehte sich ihr Schemen um und rannte los, rannte davon und wischte sich immer wieder die Tränen aus dem Gesicht. Auf ihrem Weg durch das Haus stolperte sie über einen Hocker, einen Tisch und einen Sessel, knallte dadurch gegen eine Kommode und warf so einen Kerzenständer mit brennenden Kerzen um. Sofort fing der alte Sessel neben ihr Feuer und kokelte ihre Haare an. Sie schrie auf und versuchte sie zu löschen, schaffte es und kroch davon, drehte sich wieder um und starrte auf das Feuer das nun ausbrach und immer höher schlug. Einen ganzen ewigen Moment saß sie einfach nur da und sah ins Feuer. Dann ertönte die Stimme ihrer Großmutter wieder

PAULA! Was machst du da! Verwüstest du unser Haus?

Hastig zuckte sie zusammen und rappelte sich auf, war hin und hergerissen. Aus dem Hintergrund hörte man ganz leise noch Männerstimmen. Auf zu ihrem Haus! Wir fangen sie dort ein!

Das Feuer schlug nun wilder um sich, hatte sie fast eingekreist und die ersten Balken flogen von der Decke. PAULA! Du miese Schlampe!

Atemlos raffte sich wieder auf, schien ihre letzten Kraftreserven in ihre Beine zu stecken, um davon zu rennen. Ihre Stimme klang gefährlich, tief und voller Verachtung. Ich hasse dich... ich hasse dich!

PAULA! Aber ihr Geist rannte einfach weiter, immer weiter. Ließ alles hinter sich, dass das Szenario langsam verblasste. Nur ihre Großmutter schrie noch immer, dass ihr die Ohren dröhnten. FANGT sie! Sie hat versucht mich umzubringen! Sie flieht! Fangt sie! Fangt die Schlampe.

Ich hasse dich Großmutter! schrie sie noch lauter, verzweifelter.
 

Dann verschwand das Bild und man sah Paula nur noch rennen. Sie rannte auf den Schemen des jungen Jazz zu, der sich noch immer nicht regte. Dann, als sie allmählich näher kam, stolperte sie, tippelte sie nur noch, kam langsam näher, sah ihn an, erregte auch seinen Blick. Er zögerte, ehe auch er seinen Augen zu ihr wandte. Ihr junges Selbst schniefte und schluchzte, die Augen von all den Tränen geschwollen und schwammig geworden. Doch er nahm ihre Hand, half ihr auf und wandte der Crew den Rücken zu, lief mit ihr davon, dass sie nur wenige Momente später im Dunkel verschwanden. Das war das Einzige, das er tat.

Für einen kurzen Moment war es still, selbst die Melodie war nur noch leise zu vernehmen. Keine Geister mehr, nur die grau-violette Ödnis der Insel. Dann jedoch, als nur noch Paulas Wimmern die Luft erfüllte, regte sich die Luft wieder.
 

Paula... Liebling...

Eine Frau erschien vor ihr, die gleichen welligen Haare wie sie, nur länger und zu einem Zopf gebunden, der ihr über die Brust reichte. Sie war kleiner als sie und etwas fülliger. Die Haut ungepflegt, unter den Augen Ringe, die Lippen aufgerissen, der Blick müde, zerstört.

Tut mir leid, dass Mami... nicht für dich da war gestern Nacht. Ich hatte zu tun, weißt du...

Hattest du nicht! kam es trotzig wie von einem Kind, eine körperlose Stimme, die die Frau erstrecken ließ. Du warst den ganzen Abend zu hause und hast getrunken! Du lügst doch nur wieder! Warum tust du das? Warum kannst du nicht bei mir sein! Wieso kannst du nicht so sein wie all die anderen Mütter! Maria ist gestern mit ihrer Mutter und Picknicken gegangen! Sie sind Fahrrad gefahren und haben viel Spaß gehabt! Das hat sie mir erzählt... Ein Schluchzen ertönte. Sie hatten ganz viel Spaß...

Das Gesicht der Frau wurde ernster, ehe ihr Tränen kamen. Marias Mutter wurde aber nicht von ihrem Mann wegen einer anderen verlassen und hat seine Tochter allein zurückgelassen, als wolle er sie nicht mehr.

Nein! Das Mädchen presste sich die Hände auf die Ohren und schüttelte den Kopf. Das stimmt nicht! Papa hat mich noch lieb! Er will mich noch! Das weiß ich!

Werd erwachsen Paula! schrie ihre Mutter, ehe sie aufstand und ihr einen wütenden Blick entgegen schleuderte. Dein Vater ist ein Arschloch, der sich nicht mehr für uns interessiert!

DU interessiert dich doch auch nicht mehr für mich! Sie weinte heftiger, sank in die Knie und ließ den Tränen freien Lauf. Du interessierst dich doch nur noch für deinen Suff und das Zeug, was du dir da reinziehst jeden Abend... Du willst mich doch gar nicht mehr! Genauso wie Oma! Warum sagst du es nicht einfach! Sag, dass ich gehen soll! Sag, dass du mich nicht willst!

Erschrocken wich ihre Mutter ein Stück zurück, ehe sie vor ihr in die Knie sank und Paula, die wieder mit dem kleinen Kind verschmolzen war, in die Arme nahm. Tut mir leid, Paula... Tut mir so leid... Natürlich will ich dich... Natürlich hab ich dich lieb... Es tut mir leid, ja? Morgen höre ich auf. Ich schwöre es dir...

Das sagst du jedes Mal...

Dieses Mal meine ich es ernst...

Nein... nein.... neinneineineineineinein... Die Stimme des kleinen Mädchens vermischte sich mit Paulas echter Stimme. Sie weinte bitterlich, wand sich wie unter Schmerzen und japse nach Luft.

Keine Sorge, Paula... Der Geist streichelte ihren Kopf. Ihre Mutter sah nun anders aus. Viel frischer, lebendiger, jünger fast. Ein strahlendes Lächeln, so schön wie die Morgensonne, war auf ihrem Gesicht und ihre Augen funkelten richtig. Alles ist gut, hörst du? Ich habs dir doch versprochen. Hörst du? Ich hab dich lieb. Ich hab dich wirklich sehr lieb. Es tut mir so leid, was alles passiert ist. Was du wegen mir durchmachen musstest. Aber jetzt ist alles wieder in Ordnung. Ich bin für dich da. Wir holen alles nach, was wir verloren haben. Okay? Lass uns picknicken gehen. Ich hab Sandwiches gemacht und Melone geschnitten. Komm, mein Engelchen. Lass uns gehen…

Sie schluchzte immer heftiger, aber es war als könnte sie die Geisterhand tatsächlich bewegen aufzustehen und voran zu stolpern. Dennoch fiel sie erneut und landete im Dreck, dass sich ihre Mutter zu ihr herunterbeugen musste und ihr die Hände auf den Rücken legte. Keine Sorge, mein Engel. Ich bin jetzt für dich da. Und dort hinten wartet jemand ganz besonderes auf dich. Du wirst dich freuen. Er hat versprochen, dass dieser Nachmittag nur uns gehört. Also komm, steh auf mein Schatz, sonst wird das Essen schlecht...

Die Wangen voller Tränen taumelte sie voran, ließ sich von der Geisterhand führen, schien keinen Willen mehr zu besitzen sich zu wehren.
 

Iroko sah sich die Szene bis zum Ende an, sagte schließlich kein einziges Wort, stand einfach noch weiter an diesem Platz und schien gar nicht wirklich anwesend zu sein. Sie reagierte in keinster Weise auf das Gesehene, blinzelte nicht einmal. Dasselbe galt für Jazz. Dann jedoch setzte er sich in Bewegung und lief ihr hinterher. Es war Iroko nicht möglich zu bestimmen, ob auch er in eine solche Trance verfallen war, wie die anderen, oder ob er noch immer der alte, stumme Jazz war, den sie kannte. Sein Schritt war langsam, hetzte nicht und wirkte ganz ruhig. Er steuerte, wie auch die anderen, genau auf die Burg zu.

Scheinbar riss sie das aus ihrer Apathie und sie sah sich etwas irritiert um. Alle waren sie fort, auf dem Weg zu dieser Burg. Nur sie stand noch hier und war wie in Gedanken gefangen. Missmutig seufzte sie und begann sich endlich zu bewegen. Sie hatte keine Zeit mehr.
 

Robin folgte Crocodile noch immer voller Wut und Entschlossenheit diesen Zauber zu beenden, hielt dicht Schritt an Schritt mit ihm mit und ließ nicht zu, dass ihr auch nur die kleinste Kleinigkeit der Umgebung entging. Endlich hatten sie die Burg erreicht. Sie war eine einzige Ruine. Kein Stuhl mehr, kein Tisch, keine Möbel, keine Krüge oder Truhen. Nichts außer eingefallenem Stein. Keine Pflanzen. Nur Stein und das dämmrige violett-graue Licht, das durch die Fenster hindurch fiel. Sie lief durch eine eingestürzte Eingangshalle danach durch einen großen Hof, in dessen Mitte ein riesiger Baum stand, dessen faltenübersähter Stamm durch die Decke gebrochen war. Doch Crocodile blieb nicht stehen, er steuerte noch immer apathisch voran, die eingestürzten Gänge entlang, das Treppenhaus hinauf, dem hie und da Steine fehlten. Sie hörte seine Schritte wie ein gespenstisches Echo durch die Burg schallen. Doch nicht nur er war zu hören, die anderen schienen ebenfalls aufgeholt zu haben. Sie hörte ihr Atem durch die kaum noch zu erfassenden Schwingungen der Melodie.

Endlich erreichte Crocodile einen Punkt, an dem er stehen blieb. Der letzte Raum, ein monumentaler Saal, angelegt wie ein Pentagon, dessen schwarz verkohlte Säulen sich in die meterhohe Decke streckten, als hätten sie im Todeskampf gehofft gerettet zu werden. In der gigantischen Halle des Turms fanden sich kaum Fenster, nur weiter oben drang etwas trübes Licht hinein. Das Treppenhaus, das einst in die obersten Kammern des Turms führte, war komplett zusammengestürzt. Und überall wuchsen Blumen. Sie waren noch viel zahlreicher, allgegenwärtiger als draußen. Man konnte sie an jedem Ort hier sehen, auf den Fensterbänken, zwischen den Säulen, zu ihren Füßen, selbst an der Decke, die einige Löcher hatte.

Die Melodie war hier ganz leise, nur ein Rauschen, kaum noch wahrnehmbar. Robin fröstelte es. Dieser Raum machte deutlich, was sie bereits zuvor spüren konnte, formulierte den Gedanken aus, den sie stets geahnt hatte. Das hier war das Ende. Der letzte Gang. Vor dem Tod, vor dem Vergessen, vor der Ruhe. Langsam, nur ganz langsam schwoll das Lied wieder an und rauschte um ihre Köpfe wie ein Bach. Dann ertönte wieder die tiefe Stimme, ganz nah, als wäre er mit ihnen in einem Raum. Die anderen waren inzwischen ebenfalls angekommen, versammelten sich neben ihr und Crocodile. Jeder von ihnen außer Robin und Iroko hatten die Augen geschlossen und wiegten sich willenlos in der Musik, als würden sie mit ihr tanzen. Sie hörten die tiefe, angenehme Stimme und verstanden die Bedeutung, als würde ihnen jemand die Worte direkt ins Herz flüstern.
 

Aus der Brust und aus dem Herzen... da quillt und schwillt... bricht heran... bricht heraus... beginnt zu fließen, strömen, reißen... ein Fluss so sanft wie Wellen... fließt hinab, versiegt und trocknet... wird zu Staub, wird zu Asche... wird zu Luft, wird zur Seele... wird zum Traum. Ein schöner Traum, ein böser Traum. Ein Traum... ein Traum…
 

Die beiden Frauen sahen, wie neben ihnen erneut Geister entstanden und auf die Crew zu schwebten. Crocodiles Mutter liebkoste ihn, küsste sein Gesicht, streichelte ihn zärtlich und flüsterte immer wieder etwas in seine Ohren hinein. Ähnlich ging es auch Paula, deren Mutter und Vater sie eng umarmten und ihren Kopf tätschelten. In Jazz Armen lag Paula Schatten, die sich an ihn schmiegte und an Umas Händen klammerten ihre Zwillinge, während Miki seinem Vater und seinem verstorbenen Hund gegenüberstand und ihre glücklichen Gesichter bewunderte. Nur Gal hockte auf dem Boden und umklammerte sich selbst, während sein eigener Geist ihm Mut zuflüsterte. Doch sie alle sagten stets das gleiche, das wie ein Murmeln allgegenwärtig in der Luft hing.
 

Bitte bleib bei mir. Geh nicht fort… Bitte bleib hier…
 

Flüchtig warf Robin Iroko einen winzigen Blick zu, um sich zu vergewissern, dass sie und das Mädchen wirklich die einzigen Übriggebliebenen waren, die Einzigen, die nicht gefangen in diesem Albtraum waren. Mehr als alles andere spürte Robin die Angst in sich aufschäumen. Angst vor diesen Geistern, der Stimme, vor dem Verhalten der anderen und davor selbst als nichts anderes als ein Geist übrig zu bleiben, ewig dazu verdammt auf Erden zu wandeln ohne zu spüren, ohne wirklich jemals zu sterben, ohne ein Ende der Qual. Es war Robins größter und schlimmster Albtraum und der Gedanke, dass es ihnen allen bevor stehen könnte, brachte sie fast in die Knie. Doch sie würde nicht aufgeben, sie würde kämpfen, bis sie umfiel. Mutig setzte sie einen Fuß nach vorn. »Was willst du von uns?!« Ihre Stimme zitterte.
 

Nichts geschah, nichts regte sich. Sekundenlang, Momente lang. Und als sie die Angst, die Furcht die in diesem Raum allgegenwärtig war, fast erdrückte, veränderte sich etwas. Zunächst war es nur ein Gefühl, das immer stärker wurde. Sie fühlte sich schrecklich schwer. Als würde sie unter Wasser gedrückt. Als würde jemand auf ihren Kopf einschlagen. Angst und Verzweiflung, Panik. Doch dann schwächte es wieder ab und sie blickte instinktiv nach oben, über ihren Kopf.

Die Musik war endgültig verstummt, doch die Ruhe hielt nicht lange an. Plötzlich sprang eine Stimme an ihre Ohren, dunkel und tief, unendlich traurig. Es war die Stimme, die gesungen hatte. Sie erkannte sie sofort. Dort hing ein formloses, weißes Bündel in der Luft, das roséfarben pulsierte. Langsam glitt es hinab in ihre Mitte und

formte sich um, bekam die Umrisse eines Mannes. Mittelgroß, schulterlange blond-weiße Haare, eine große Nase und dunkle Augen. Sein Alter war nicht zu definieren. Er wirkte jung und gleichsam alt, die Haut gegerbt, die Haare fahl, das Gesicht ausgelaugt und zerstört. An seinem Körper, der nur knapp bis zu seinen Hüften zu sehen war, trug er eine Uniform, die nicht aus diesem Jahrhundert zu stammen schien. Sie wirkte wie eine Mischung aus Soldat und Offizier, zwischen Pirat und Edelmann. Doch das auffälligste an ihm waren seine unendlich traurigen Augen.

Er musterte sie und Iroko, sehr intensiv, ohne jedoch auch nur ein Wort zu sagen.

Robin zog scharf den Atem nach, hatte beinahe vergessen wie das war zu atmen, aber vermutlich war sie damit nicht die Einzige im Raum. Der Anblick machte ihr wirklich Angst, aber gleichsam auch betrübt, als könnte sie nachempfinden, warum er so traurig daher blickte. Dabei hatte sie keine Ahnung. Zumindest wenn es mehr war, als das Dasein eines Geistes. Noch immer wütend machte sie einen weiteren Schritt in seine Richtung. »Hör damit auf! Hör endlich auf sie zu quälen!«

Es schien als reagiere er gar nicht, ehe er endlich unendlich langsam den Kopf schüttelte. »Noch ist nicht die Zeit dafür.« Kam es so langsam wie die Sterne in der Nacht über den Himmel zogen.

»Was?« Wütend wollte sie aufschreien, ehe Iroko sie plötzlich am Arm packte und nur den Kopf schüttelte. Robin starrte sie an, als verstände sie nicht, schaute erneut auf und versuchte ihre Stimme kühl zu halten. »Was soll das? Was willst du von uns?«

Wieder dauerte es einen ganzen Moment, ehe er weitersprach. Und selbst als er es tat, kam er nur langsam voran, als würde er sich absichtlich Zeit nehmen. Als hätte er alle Zeit der Welt. »Ich möchte mit euch sprechen.«

»Dann solltest du dich beeilen, wir haben nicht ewig Zeit.« Kam es wirklich kaltschnäuzig von der Kleinsten.

Darauf antwortete er nicht, sondern muster sie nur wieder.
 

Ihre Miene verdüsterte sich weiter. »Hörst du schlecht? Oder willst du nicht hören?«

»Ihr seid verärgert wegen eurer Freunde. Ich verstehe. Das tut mir leid.«

»Was passiert hier?« wollte Robin etwas kleinlauter wissen.

Sein Blick kroch langsam zu ihr, durchbohrte sie, fraß sich in ihr Innerstes, als er auf sie traf. »Wie ich bereits sagte, es tut mir leid. Was hier auf Omoide passiert ist längst kaum mehr unter meiner Kontrolle. Ich habe aufgegeben mich mit den Blumen zu streiten. Sie strafen euch und mich. Es ist wohl verdient.«

»Verdient?« hakte Robin nach, ihre Brauen zogen sich zusammen. »Was soll denn das bedeuten?«

Er seufzte schwer und es klang wie eine Welle, die am Strand zerbrach. »Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten, Nico Robin. Nichts von dem, was ihr saht, ist echt. Ich bin der einzige Geist, den es hier gibt. Alles andere ist nur... Pollenstaub und euer Atem, durch den meinen gespeist, der euer Innerstes nach außen kehrt. Eine magische Reaktion... das Spiel, das die Blumen mit euch treiben, mittels meiner Energie. Durch den Wunsch, den ich einst hatte... wohl noch immer habe. Aber ich weiß es längst nicht mehr so genau. Alles... ist so verschwommen geworden.«

»Du willst ernsthaft sagen, dass "Blumen" das hier verursachen? Dass "Blumen" einfach aus eigenem Antrieb so handeln?« Iroko schien ihm nicht zu glauben, Robin hingegen starrte noch immer etwas ängstlich zu ihm.

Er lächelte gequält. »Du hast wohl Recht. Es ist meine Schuld, dass sie es tun. Und doch ist es nicht das, was ich euch sehen lassen wollte. Gleichsam ist es mein Wunsch. Sie sagen, was ich müde geworden bin zu wünschen.«

»Das klingt alles wie Bullshit für mich. Was willst du von uns?« Robin wusste nicht, wann sie Iroko das letzte Mal so hatte sprechen hören.

Langsam senkten sich seine Lider, ehe er die beiden Frauen wieder ansah. »Ich wünsche mir nur eure Hilfe.«

»Dann sag was du willst, aber heute noch.«

Es war es Robin, die das Mädchen zurück hielt. »Was sie meint ist: was müssen wir tun, damit das aufhört?«

»Ihr seid also gewillt mir zu helfen?«

»Bleibt uns eine andere Wahl?« Noch immer leicht panisch, verfing sich Robins Blick mit Crocodiles Anblick. »Egal was es ist...«

»...« Er starrte sie nur an, schien skeptisch zu wirken, als würde er nachdenken.

Und mit jeder Sekunde, die verging, verfing sich mehr Wasser in Robins Augen. »Egal was es ist... sie leiden... das muss aufhören... bitte...«
 

Schließlich schlossen sich seine Augen wieder. »...Nun... das Risiko, dass ihr geht, ohne mir zu helfen, ist zu groß. Zudem weiß ich nicht einmal, ob ich euren Freunden überhaupt helfen kann. Aber wenn ich es nicht kann, dann bleibt ihr für immer auf dieser Insel.«

»Was soll das denn heißen, huh?« Wirklich, Iroko ging die Geduld mit diesem Geist aus.

Ganz langsam begann sein Kopf sich zu schütteln. »...Nichts, es soll nichts heißen. ...Ich wurde zu oft hintergangen, und doch bleibt mir wohl keine Wahl, um endlich von hier verschwinden zu können. Die Lasten hinter mir zu lassen, die Schuld und all den Tod.« Die beiden Frauen spürten wie ihnen noch kälter wurde und ehe sie es sich versahen, blickten sie sich um. Und erkannten überall zwischen den herabgefallenen Steinen und den Blumen Knochen. »Ich bin genauso ein Gefangener dieser Insel und der Blumen wie ihr und eure Freunde.«

»Es war also doch ein Hilferuf...« kam es nun viel sanfter als zuvor von dem Kind.

Robin hielt lediglich den Atem an.

Seine tiefen Augen blickten erneut zu ihnen und sie spürten, wie sein kalter, toter Blick in ihre Adern hinab sickerte als wäre er Gift. »Dies ist das letzte Mal. Das habe ich mir geschworen. Deswegen möchte ich ganz ehrlich sein. Alle Karten auf den Tisch legen.«

»Warst du es, der gesungen hat?« wollte Iroko wissen.

Nur ein Nicken.

Ihr Blick veränderte sich plötzlich, war nicht mehr so kalt. Ein Hauch Zärtlichkeit legte sich in ihre Pupillen, nur für ein paar Momente.
 

Geruhsam streifte sein Blick umher, er bewegte sich, als würde er durch den Raum schlendern. »Nicht alle Knochen, die ihr hier seht, sind von den Menschen, die damals mit mir auf diese Insel kamen...« Plötzlich ertönten leise Stimmen, die in einer anderen Sprache sprachen. Es formten sich Geister, mindestens ein Duzend, die durch den Raum liefen und die Worte des Geistes real werden ließen. »Damals erlitten wir Schiffbruch. Wir waren gerade auf die Grand Line gekommen, abenteuerwütig und voller Lebenslust. Wer hätte gedacht, dass nur ein Sturm uns alles nehmen konnte, was uns lieb war. Lediglich die Hälfte der Männer wurde hier nach Omoide geschwemmt. Die anderen hatte sich wohl die See geholt. …Ihr habt die Insel gesehen. Hier gibt es nichts. Kaum einen Baum, kein Leben, keine Tiere. Die Burg stand bereits damals in Ruinen. Hier wartete nichts weiter auf uns als das grausame, leere Warten auf den Tod.«

»Wir konnten nichts tun. Danach ging alles ziemlich schnell. Die ersten rannten auf die See zu, um zu entkommen. Einige erhängten sich, ein weiterer gab sich die letzte Kugel...« Sie sahen, wie die Männer um sie herum seinen Worten folgten. Ein Schuss erklang und einige weiße Schemen schwangen leblos an den Tauen in der Luft herum. Noch mehr Lärm ertönte, Geschrei und Rufe voller Hass. »Sie kämpften miteinander, waren kurz davor zum Kannibalismus überzugehen. Schließlich... blieb nur ich übrig.«

Sein Geist blieb stehen und blickte vor sich, wo sein exaktes Ebenbild vor ihm kniete und weinte. Ein Schemen erschien vor ihm, doch das Gesicht blieb unerkenntlich. Alles, was noch von der Person wahrzunehmen war, war ihre weibliche Stimme, die seinen Namen sagt. Sierra...

»Ich griff zum Schwert... und beendete es.« Sein Ebenbild folgte dem Befehl und rammte sich den Stahl in die Brust, ehe er voller Blut zu Boden fiel und das Szenario verblasste. »…Es brachte nichts.« schloss er endlich. Er drehte sich wieder zu ihnen um. »Ich starb nicht. Ich sah nur mich selbst, meinen Körper, am Boden liegen, als ich wieder erwachte. Bis heute weiß ich nicht, warum mir dieses Schicksal zuteil wurde. Ich habe mich damit abgefunden.«

Erneut schraubten sich Schemen aus der Luft. Menschen, deren Gesichter kaum zu erkennen waren. Frauen und Männer, zuerst ruhig, dann wütend, um sich schlagend, schreiend. »Ich habe versucht mich umzubringen, all dies zu beenden. Floh über das Wasser, versuchte in meinen toten Körper zurückzukehren. Doch nichts funktionierte. Und die Zeit verging. Ich sah meinen Körper und auch die meiner Freunde immer weiter verfaulen. Ich war einsam. Irgendwann... hatte ich all das satt. ...Ich bündelte all meine Kraft, die mir verblieben war, und schuf das, was ihr nun seht. Das Omoide, das euch hergelockt hat.«

»Ich erweckte die Blumen zum Leben, die einzigen, die mir immer zugehört hatten, die mich nicht alleine ließen. Ihre Pollen lenkte ich zum Himmel und schloss die Insel in einen Nebel ein. Schuf mir eine eigene kleine Welt, die jedermanns Aufmerksamkeit erregen würde. Inzwischen haben sich die Pollen selbstständig gemacht. Haben die gesamte Luft erfüllt. Sie tragen meine Energie in sich. Wenn ein Mensch in den Nebel tritt verwandeln sich seine Worte, sein Atem in Erinnernungen. Der Schall verzerrt die Pollen, bricht das Licht und schafft einen Wirbel. Ich kann es nicht mehr kontrollieren. ...Es hat mich bereits große Kraft gekostet sie davon abzuhalten euch beide zu belästigen.« Sein Blick senkte sich kurz, ehe er durch den Raum geisterte. »Anfangs war es noch nicht so schlimm... Anfangs waren sie noch nicht so mächtig. Mein Plan ging auf. Ich lockte Menschen an. Doch nichts kam so, wie ich es wollte. Manche wollten mir helfen, aber nichts klappte. Und als die Zeit verging, begannen sie mich zu hassen, in die gleiche Hölle zu verfallen wie einst meine Kameraden. Sie konnten nicht mehr fliehen. Niemand konnte es mehr. Der Nebel lässt es nicht zu. Er stört das Magnetfeld. Er lässt niemanden mehr frei.«
 

Robins Magen zog sich zusammen und sie umfasste ihre Arme, zitterte, schwieg jedoch.
 

Die Schemen verzerrten sich, das Lärmen und Schreien wurde für einen Moment lauter, ehe es wieder ganz verstummte. »Die Blumen tragen meine Energie und meinen Wunsch in sich nicht alleine zu sein. Aber inzwischen glaube ich erkannt zu haben, dass das nicht der richtige Weg ist. Ich versuche dagegen anzukämpfen. Ich versuche mich dagegen zu wehren, doch es fällt mir schwer. Wenn ich den Nebel beseitigen kann, ist alles verschwunden. Doch ich werde bleiben.«

»Und wie sollen wir dir helfen? Wir sind nicht unbedingt Experten auf diesem Gebiet.« Irokos Stimme wirkte ruhig, nicht mehr gar so kalt, aber auch nicht sanft.

Einen langen Moment herrschte Stille. Dann schwebte er wieder auf sie zu. »Helft mir von dieser Insel zu fliehen. Hier kann ich meinen Frieden nicht finden. Ich glaube, dass ich noch etwas tun muss. Doch es liegt nicht mehr auf dieser Insel. Wenn ihr... mir erlaubt von Omoide zu segeln, dann kann ich es tun.«

Allein bei dem Gedanken einen Geist bei sich zu haben, wurde Robin gleich noch viel übler. Sie konnte ihn nicht mehr ansehen. Iroko hingegen wirkte noch skeptischer, als zuvor. »Und wie soll das funktionieren?«

»Siehst du das Skelett vor dir? Zwischen seinen halb zerschmetterten Rippen hängt ein Amulett. Es ist meines. Ein Geschenk für die Frau, die ich heiraten wollte, wenn ich wieder in meiner Heimat ankam. Wenn du es an dich nimmst und gewillt bist mir zu helfen, könnte ich es schaffen. Ich habe längst nicht mehr die Kraft dazu all diesen Nebel zu bekämpfen. Aber... wenn mein Geist nicht länger an den Boden und an die Blumen und an den Stein dieser Insel gebunden ist... sondern frei von ihr agieren kann... dann... ja dann könnte meine Energie verschwinden. Die Insel und ich sind miteinander verschmolzen. Sie lebt von meiner Energie und entzieht sie mir. Aber... wenn du mir wirklich helfen möchtest, könnte ich es schaffen.«

»Wie genau sieht die Hilfe denn aus?« Ihre Stimme klang unsicher.

»Ich verlang nicht viel. Ich habe keine großen Erwartungen, Hitsuyo Iroko.« Als sie in seine Augen sah, konnte sie die Kapitulation in ihnen erkennen. Er hatte bereits aufgegeben, glaubte kaum noch an die Worte, die er sagte. Als würde er wissen, dass sie ihr Versprechen doch nicht halten würde. »Ich möchte nur von hier weg. Und vielleicht... auf dem Weg finden, was ich noch erledigen muss, um für meine Sünden zu büßen.«

»Und um dich hier wegzubekommen, muss ich nur das Amulett an mich nehmen? Wohnst du da drin oder wie?«

»Ich könnte versuchen... "dort drin zu wohnen"« kam es etwas unsicher über den Gebrauch der Wörter.

»Und danach?« Iroko überkam plötzlich ein wirklich ungutes Gefühl dabei.

»Was danach kommt, liegt in deiner Hand. Es ist nicht so, als könnte ich mich irgendwie wehren.«

Ihre Augen wurden größer. »Verstehe ich das richtig, dass ich dich dann...« irgendwie fielen ihr die Worte unheimlich schwer. Sie wusste nicht, wie sie es ausdrücken sollte. »…nun ja... gewissermaßen "am Hals" hätte?«

»Ich kann deine Entscheidung, was danach mit mir und dem Amulett passiert, wohl nicht beeinflussen.«

»Na wunderbar...« Sie trat etwas zur Seite, ignorierte dabei auch Robins prüfenden Blick. »Hast du uns aus einem bestimmten Grund ausgesucht? Robin und mich meine ich? Oder war das Zufall?«

Wieder verging ein langer Moment, ehe er weitersprach. »Sie verstand meine Sprache in ihrer ursprünglichen Form. Zu ihr brauchte ich nicht durch ihr Herz zu sprechen. Außerdem...« Einen langen Moment musterte er sie, doch dann brach er abrupt ab und sah wieder zu dem kleinen Mädchen. »Du und ich... wir ähneln uns. Und... du bist die einzige, die vertrauenswürdig erschien. Weil du das reinste Herz von allen hier Anwesenden hast.«

Sie grunzte beinahe. »Die Zeit auf der Insel hat dir ja ganz schön die paar letzten Sinne "vernebelt".«
 

Vorsichtig schwebte er auf sie zu und sie spürte seine Kälte auf sich einwirken. »Ich weiß mehr über euch, als du denkst. Der Nebel und die Blumen zeigen nicht nur euch, was tief in euch steckt. Ich weiß, was auf dich zukommt. Ich weiß, welche Bürde du trägst. Und obgleich du dich am Ende dafür entscheidest das Amulett bei dir zu tragen oder in der Tiefe des Meeres zu versenken... ich werde für dich da sein, wenn du das willst.«

Ein kurzer Moment der Angst schlich sich in ihren Blick, war dann wieder steinhart. »Wenn du das weißt, solltest du auch wissen, dass es witzlos ist mit mir kommen zu wollen. Toshi-o-Toru unterscheidet sich nicht sonderlich von Omoide.«

Darauf lächelte nur, als wisse er etwas, das sie noch nicht erahnen konnte.

»Wenn du mich so gut kennst, wie du behauptest, dann weißt du, dass ich niemals ein Versprechen abgeben würde, um es dann leichtfertig zu brechen. Wenn ich dir meine Hilfe zusage, dann bekommst du sie auch. Aber da eben liegt das Problem. Ganz ehrlich... was bringt es dir die Inseln zu wechseln?«

Robins Blick schien sich nicht entscheiden zu können, wen sie anstarren sollte. Hatte Iroko jetzt wirklich vor den Geist mitzunehmen? Auf ihr Schiff? Mit in ihre Crew? Auf längere Zeit? Robin konnte die Einsamkeit förmlich spüren, wie sie von ihm auf sie überging. Es war so schwer das hinzunehmen, nichts zu sagen. Aber irgendwie wollte sie ihm auch helfen. Sein Blick... er tat weh.

Doch auch auf diese Frage hatte der Geist nur ein Lächeln parat. Dieses Mal selbstbewusster, doch noch immer gequält.

Das Mädchen verschränkte die Arme und beinahe schmollte sie. »Aber ich komm hier wohl auch nicht weg, wenn ich nein sage, was?« Eigentlich hatte sie sich nicht auch noch so etwas aufhalsen wollen. Es stimmte schließlich, wenn sie erst einmal auf Toshi-o-Toru war, konnte ihr der Geist egal sein, aber so einfach war das eben nicht bei Iroko. Ein Versprechen war nun einmal ein Versprechen.

»Ich sagte bereits. Ich werde es so oder so versuchen.«

Sie starrte ihm weiter entgegen. »Dann mach mal.«

»In Ordnung.«
 

Seine Augen schlossen sich, er schien Luft zu holen. »Ich werde versuchen euch zu helfen. Also… vergesst nicht mir den gleichen Gefallen zu tun.« Dann verstummte er und so tat es auch die Insel. Sekunden vergingen, wurden zu Augenblicken, zu Momenten, zu Minuten. Nichts geschah, nichts veränderte sich. Und dann, ganz unerwartet öffnete sich sein Mund erneut und ein Lied erklang, das alles Vorherige in den Schatten stellte. Violinengesang, ein Hauch von Schlagen und Trommeln, eine Melodie, so schön wie die warme Sonne nach einer eisigen Nacht. Wie Wellen sprudelte sie heran, umhüllte die beiden Frauen, erfüllte den Raum, als würde das Wasser immer weiter steigen und sie ertränken. Ihr Atem blieb stehen, ihr Puls begann zu rasen, ihr Kopf fühlte sich leicht und unbeschwert. Immer wieder und wieder wurden sie davon umspült, umarmt, in Glückseligkeit gewiegt. Die Haut begann zu kribbeln, die Endorphine unter ihr zu brodeln, die Sorgen verflogen, der Schmerz vergessen. Es war Hoffnung. Und die tiefe Stimme des Geistes umgarnte sie darin, als wolle er ihnen Mut geben. Die Gewissheit, dass alles gut werden würde. Dass jeder von ihnen ein Anrecht darauf hatte glücklich zu sein.
 

Avaa suoneni

Suoneni suruillesi

Myrkytän omani

Suru laineiksi

Laineet järviksi
 

Die beiden Frauen schlossen unwillkürlich ihre Augen, ließen sich wiegen, ließen sich umarmen, ihren Schmerz heilen. Die konnten die wahre Bedeutung der Worte dahinter verstehen. Die Musik küsste, streichelte ihr Ohr und drang bis zu ihren Herzen vor, waren erfüllt von nichts anderem als der Melodie, die nach Leben schmeckte.
 

Öffne meine Adern für dein Leid

Gift

Sickert hinein

Schlägt Wogen wie in einem See

Bis hin zu den fremdesten Häfen.
 

Der Geist vor ihnen begann sich aufzulösen, wurde immer durchsichtiger, als verschmelze er mit der Melodie, die wie Wasser aus einer Quelle um ihn herum sprudelte, tanzte, sich mit dem Nebel vermischte und Schlieren in die Luft zeichnete. Es schien unendlich wieder zu schallen in den verzweigten Hallen der Ruine. Ruhig und zärtlich und doch stark, voller Ehrgeiz, voller Hoffnung, voller Mut. Leicht wie eine Feder, so sanft wie eine Meeresbrise. Ein Sonnenstrahl, der durch den Regen brach. Es tönte von allen Seiten. Und dann war Sierra kaum noch zu erkennen.
 

Läpi elon elämä harhaili

Eli itsesu

Sivuillasi vesi

Vesi vapaa

Sivuillasi se kesii
 

Der Himmel begann zu brechen, zerbröckelte einfach, fiel in sich zusammen, auf sie hinab. Die Pollen zerfaserten, wurden vom Winde verweht und gaben den tiefschwarzen, sternenbedeckten Nachthimmel frei. Violette Farben tanzten im Grau des Schleiers, pulsierten und zuckten, stürzten hinab zu ihren Füßen. Der Nebel verschwand, gab der Insel ihre Farben zurück. Auch die Geister verschwanden langsam, gaben ihre Freunde frei. Ihre Stimmen wurden beständig leiser, bis sie schließlich in der Gischt des Liedes völlig untertauchten. Die Welt, die hier erblüht war, begann zu sterben. Das Glühen der Blumen erstarb. Die Realität des kalten, tiefschwarzen Nachthimmels streckte ihre Krallen nach Omoide aus, fraß sie auf. Das Schauspiel dauerte lediglich Minuten. Dann war die gesamte Insel in schwielige, tote Dunkelheit getaucht, die sich kalt über sie legte, sie frösteln ließ. Noch war das Lied zu hören. Leise, sanft, wie ein verliebtes Flüstern. Doch als die Finsternis kam, wurde es immer leiser, erstarb schließlich und hinterließ nur noch eine fade Erinnerung an das, was hier zuvor gewesen war.
 

Bis hin zu den fremdesten Häfen

Dem Leben ausweichend

Hin zu freien Wassern

Quellenden Wassern

Die so frei erscheinen.
 

Endlich war alles still, nur noch der Wind, der durch ihre Haare geisterte, und das Rauschen der Wellen war in der Ferne zu hören. Nichts deutete darauf hin, dass dies mehr gewesen war als ein Traum. Der Zauber war vergangen. Der Fluch hatte sich gelegt. Und zurück blieb das Gefühl einer Hoffnung, die in ihren Herzen pulsierte.
 

Robin atmete tief durch und ließ die Arme baumeln. Sie zwang sich ihren Blick nicht sofort zu Crocodile und den anderen zu richten, sondern weiter zu Iroko zu starren, um zu sehen was sie tun würde.

Das Mädchen bewegte sich lange Zeit gar nicht, ehe sie die Augen schloss und nach vorn trat, der Kopf gesenkt. Schließlich öffnete sie ihre kalten Augen erneut und starrte auf den toten Körper, erkannte das Amulett schemenhaft unter den Knochen. Robin konnte keine Veränderung in ihrem Gesicht erkennen, keine Regung, die darauf hindeuten würde, was das Mädchen tun wollte.

»Iroko?« Doch es kam keine Reaktion.

Robin konnte den inneren Zweikampf nicht sehen, der in Irokos Kopf stattfand, wie sie das für und wider abwägte. Nein, eigentlich gab es ja gar kein "Für". Sie hatte nichts versprochen, sie hatte ihm nicht ihr Wort gegeben und welchen Grund hatte sie, ihm zu helfen? Das Schicksal anderer war ihr ziemlich egal und da sie nun frei waren, war es eh einerlei, aber... der Ruf nach Hilfe steckte ihr noch immer in den Knochen. Die Einsamkeit, der Schmerz, der sie nicht mehr losließ... als hätte sie nicht genug, womit sie sich beschäftigen konnte.

Sie ging in die Knie, beugte den Kopf näher über das Skelett und griff schließlich abrupt nach dem Schmuck, riss es aus dem Toten und warf einen intensiveren Blick auf das Juwel, als erhoffte sie sich dadurch eine Antwort auf ihre Fragen. In ihrer Hand hielt sie eine Kette, silbern, mit einem wunderschönen Anhänger. Eine goldene Sonne, mit zackigen Enden, mit Runen und Zeichen darauf. Und in der Mitte funkelte ein einziger kleiner Rubin.

»Sierra... huh? Schöner Name...« Sie flüsterte, so dass Robin sie nicht hören konnte, als hoffte sie von ihm eine Antwort zu bekommen. Vorsichtig streifte sie mit dem Daumen ihrer rechten Hand über den Rubin und seufzte, schüttelte den Kopf. »Ich kann dir nicht versprechen, dass das kein Fehler gewesen ist.«

Letztendlich richtete sie sich wieder auf, das Amulett weiterhin in der Hand, blickte zu Robin und dann zu ihrem Team.
 

Außer Jazz waren alle, die den Geistern ihrer Vergangenheit begegnet waren, in die Knie gesunken. Sie hielten sich den Kopf, immer wieder erklang müdes Stöhnen. Noch immer waren sie kaum ansprechbar, aber es schien besser zu werden.

Robin riss sich von ihren Gedanken über den Geist los und war in Sekunden bei Crocodile, legte ihm ihre Hände auf die Schultern, versuchte in seine Augen zu blicken. »Hey, wie geht es dir?«

Heftig schüttelte er den Kopf, sank dadurch aber noch weiter zurück und musste sich die Stirn halten. Seine Stimme war müde, ausgelaugt und verwirrt. »Ich... was... was ist... passiert?«

Sie senkte ihre Stimme etwas. »Erinnerst du dich an nichts?«

»Uhhh...« Sein Gesicht verzog sich, er blinzelte, schien es jedoch schwer zu haben zu sprechen. »Meine... meine Mutter war da...« kam es ganz leise. Er fühlte sich wirklich, als wäre er durch einen Fleischwolf gezogen worden. Sein Kopf schmerzte als hätte er zu viel Alkohol gehabt. Und dann war da diese Leere in ihm, die ihn noch mehr irritierte. Als fehle ihm etwas, als wäre er nicht komplett. Und gleichsam fühlte er sich leichter, freier, als wäre ein Stein von seinem Herzen gefallen.

Robin konnte sich kaum bremsen, streichelte ihm durchs Haar. »Ich fürchte die Geschichte über die Geisterinsel war nicht gelogen.«

Er atmete tief durch, keuchte ungehalten und wirkte als könne er sich nicht so ganz konzentrieren. »Was ist geschehen? Ist es jetzt... etwa vorbei?«

Sie nickte und wünschte sich nicht zum ersten Mal, seine Wunden zu heilen, obwohl sie ganz genau wusste, dass es unmöglich war. Wie könnte sie jemals diesen leeren Fleck in seiner Brust, der zu seiner Mutter gehörte, ausfüllen? Wie könnte sie ihm je diesen Schmerz nehmen? Wie könnte irgendwer das, außer seiner Mutter? »Ja, es ist vorbei.« Nur kurz ging ihr Blick zurück zu Iroko, die noch immer wie in Stein gemeißelt dort stand und zu ihnen sah. »Wir haben wirklich einen Hilferuf gehört und ich glaube, wir haben ihn auch erhört. …Ein Geist...« Sie schluckte ihre Angst völlig herunter. »Ich weiß nicht, wie genau er es gemacht hat. Offenbar hatte es etwas mit den Blumen hier zu tun, aber... wir sollten die Insel nicht mehr verlassen.« Ihr Blick kehrte zu ihm zurück. »Wir waren nicht die Ersten, die dem verfallen sind. Diesem Zauber... aber jetzt ist es vorbei.«

»Was habt ihr... gemacht?«

»Er ist uns erschienen und...« Sie bekam die Worte kaum heraus. War das wirklich echt gewesen? Wenn sie es nun erzählte, fühlte es sich wie ein Traum an, aus dem sie aufgewacht war. »Er… meinte, er wollte das nicht mehr, wollte dem ein Ende machen und hat seinen Worten Taten folgen lassen. Iroko...« Und noch einmal sah sie zu dem Mädchen, sprach lauter. »Iroko... hast du dich entschieden?«

Vorsichtig sah sie das Mädchen nicken und beobachtete sie dabei, wie das Amulett in ihrer Rocktasche verschwand, ohne Worte kam sie näher. »Er wollte diese Insel verlassen. Und wir sollen ihm dabei helfen.«

»Uhhhh...« Schmerzhaft verzog Crocodile das Gesicht und krallte die Finger in seinem Haar fest. Er schien kaum noch zuzuhören.

»Wir sollten gehen.« setzte Robin hinzu.
 

Kurz sah sich Robin wieder zu den anderen um, wollte sehen, wie es ihnen ging, ob sie auf die Beine kamen. Den anderen ging es ähnlich wie Crocodile. Sie schienen gerade erst aus ihrer Trance aufzuwachen, noch immer in einer schmerzlichen Welt gefangen zu sein. Jazz hatte sich Paula zugewandt und tröstete sie, während Gal bereits wieder auf taumelte und sich unsicher umsah. Keiner wirkte sonderlich ansprechbar.

Ohne Veränderung in ihrem Blick glitt Iroko auf Gal zu und griff ihm unter die Arme, versuchte ihm zu helfen aufzustehen, jedoch ohne einen Kommentar zum Geschehenen abzugeben. Robin hingegen sah leicht ratlos von einem zum nächsten und wusste nicht so recht, wie sie sich verhalten sollte. Sie konnte Crocodile kaum auf die Beine helfen und bei keinem der anderen traute sie sich das überhaupt. Sie sah zu wie Miki die Schultern durchdrückte und den Kopf zu Uma umwandte, die noch immer verwirrt auf ihre Hände blickte. Sie sah auch dabei zu, wie sich Miki aufrichtete und Uma auf die Beine half.

Schließlich konnten auch die anderen so viel Kraft aufbringen aufzustehen und zu laufen. Die Trance schien anzuhalten und mit ihr die Stille. Zusammen verließen sie die Burg, kämpften sich voran, bis sie ihr Schiff, die Minerva am Strand sehen konnten. Noch immer wirkte alles wie in einem Traum. Als Crocodile auf den Log Post blickte, verhielt er sich so, als hätte es diese Insel nie gegeben. Stur zeigte die Nadel auf Toshi-o-toru. Für einen Moment zog er ernsthaft in Betracht auf der Insel zu bleiben und den Morgen abzuwarten, um Segel zu setzen. Doch dieser Augenblick verstrich so schnell, wie die unergründliche Angst vor der Insel wieder auftauchte. Sie stieß ihn ab, widerte ihn an. Er konnte nicht hier bleiben. So erging es auch den anderen, niemand weigerte sich dagegen und sie alle halfen dabei die Minerva wieder auf offene See zu bringen. Erst als das öde Eiland mit der schwarzen Burg nicht mehr zu sehen war, konnten sich durchatmen. Und dann erfasste sie ein niederschmetternder Schlaf, der auch die letzten Reste des Nebels aus ihren Köpfen vertrieb.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Aja1992
2011-10-06T11:44:32+00:00 06.10.2011 13:44
Hammer spannend das kapi^^
Bin gespannd wie weiter geht^^
macht weiter so ihr macht das echt klasse^^



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