Begegnung
Jeder Mensch sucht nach etwas, das ihn glücklich macht.
Jeder Mensch hat das Recht glücklich zu sein.
Ein Gesicht, wie aus Porzelan.
Zwei Augen, die stehts trostlos in die Leere starren.
Zwei Lippen, die niemals lächeln.
Aus der Kehle kommen nur selten Worte, nur dann wenn
es sein muss. Den Blicken der Menschen weicht er meistens aus.
Er hält kaum Augenkontakt.
So denke ich jedes Mal, wenn ich ihn sehe. Das ist immer dann,
wenn ich an diesem Blumenladen vorbeigehe in dem er arbeitet.
Drei mal in der Woche, wenn ich von der Bandprobe komme.
Immer um 18 Uhr, kurz bevor der Laden schließt.
Das erste Mal habe ich ihn am Valentinstag diesen Jahres gesehen.
Mein Vater hatte mich geschickt, um meiner Mutter, einen
Blumenstrauß besorgen, da er fast immer lange arbeitet.
An diesem Tag wurde ich von ihm bedient.
Ich nannte meinen Wunsch und er zupfte wortlos die Blumen
für den Strauß aus den Wassereimern heraus. Die Blumen, strahlten
in Rot und Gelb. Kunstvoll und offenbar feinfühlig band er sie zu einem
wunderschönen Strauß zusammen. Fast so, wie einer dieser Sträuße aus
diesen Katalogen, die man bestellen kann und dann geliefert werden.
Aber dieser Strauß wirkte um Einiges lebendiger. Ich hatte dabei
jede Bewegung seiner Finger beobachtet, die sich so vorsichtig bewegten,
als würden sie jede Bewegung genau überdenken.
Das faszinierte mich.
"Das macht 20 Euro.", hörte ich eine sanfte Stimme, die mir so
trostlos erschien, wie diese Augen, die jedem meiner Blicke
auszuweichen schienen.
Seit jenem Tag, bleibe ich immer für einen Moment vor diesem Laden
stehen, wenn ich an ihm vorbeikomme. Ich werfe einen vorsichtigen Blick
hinein. Denn ich will vermeiden, das er mich sieht. Schließlich soll nicht
der Eindruck erweckt werden, ich würde ihn stalken.
Immer wieder bleibe ich an diesen trostlosen Augen hängen und wünsche
mir, dass seine Lippen sich nur einmal zu einem Lächeln verformen.
Nur ein einziges Mal.
Der Name
"So ich glaube es sind alle da.", teile ich der Erzieherin, mit dem Namen
Karin mit, nachdem ich die 15 Kinder der Häschengruppe durchgezählt und
mit Namen benannt habe.
"Wunderbar Nathan, dann können wir ja gleich alle gemeinsam
frühstücken.", schägt die Erzieherin vor und macht sich daran, allen Kindern
mitzuteilen, das wir frühstücken wollen.
Eine der Mütter verabschiedet sich noch von der kleinen Lisa und verlässt
dann den Kindergarten. Als Lisa mich sieht, macht sie große Augen und
tapst sofort auf mich zu, um sich mit ihren kleinen Händchen an dem
Stoff meiner Hose festzuhalten.
"Na-tan...", nennt sie mich mit ihrer kindlichen Stimme, weil sie meinen
Namen noch nicht richtig aussprechen kann. Ich lächle und hocke mich zu
ihr runter. Vorsichtig löse ich ihre Händchen von meiner Hose, um sie dann
behutsam auf den Arm zu nehmen.
"Na-than.", spreche ich ihr vor. Sie lächelt süß.
"Na-tan."
Karin kichert.
"Die Kinder mögen dich wirklich sehr, du bist eine gute Unterstützung.",
lobt mich Karin.
"Oh vielen Dank."
Kinder sind genau mein Ding. Leider habe keine Geschwister und habe meine
Freunde immer darum beneidet. Viele von ihnen meinen, das kleine Kinder
nervig seien. Das stimmt ja zum Teil auch, aber nicht nur. Es macht Spaß mit
ihnen zusammen zu sein. Kinder sind ehrlich und man kann ihnen meist
ihre Gefühle direkt ansehen. Sie weinen einfach, wenn ihnen danach ist,
und lachen, wenn sie glücklich sind. Außerdem sind sie noch wesentlich freier,
als wenn sie erst erwachsen werden. Es ist schön, wenn man ihnen etwas Gutes
mitgeben kann.
Zum Frühstück sitzen wir immer an einem großen, ovalen Tisch, wo jeder
Platz hat. Der Tisch ist der Höhe der Kinder angepasst und so sieht es
ziemlich komisch aus, wenn ich auf einem der Ministühle sitze und mein
mitgebrachtes Brötchen esse. Auch Karin findet das immer sehr amüsant.
Ich bin mit meinen 190 Centimetern für die Meisten wahrlich ein Riese.
Bevor wir essen, nach das altbekannte Ritual.
"So, jetzt nehmen wir uns mal alle an den Händen.", sage ich gut gelaunt
und nehme die kleinen Hände meiner Sitznachbarn.
"Und was sagen wir immer, bevor wir essen?", fragt Karin. Eines der Kinder
ruft in die Runde.
"Piep, piep,... piep...", der Kleine macht ein nachdenkliches Gesicht.
"Super und dann?", fragt Karin.
"Guten Appetit.", sagt ein Mädchen.
"Genau und jetzt alle zusammen."
Gemeinsam rufen wir, "Piep, piep,piep, guten Appetit."
Jedes der Kinder hat einen Minirucksack dabei, in dem es eine Brotdose hat.
Die wird ausgepackt und es wird gegessen.
Beim Essen werden Geschichten aus dem Alltag erzählt. Lisa erzählt wie sie
zur Erdbeerkönigin wurde, Thomas, das er gerne Feuerwehrmann werden
möchte, Malte wünscht sich einen Rennwagen und Lili wäre gern Prinzessin.
Ich höre den Kindern gerne dabei zu und amüsiere mich prächtig.
"Und Na-tan, wird Superheld.", erklärt Lisa. Karin und die Kinder schauen in
meine Richtung. Einigen der Kinder entlockt es ein fröhliches Lachen.
"Ja, Nathan...wird Superheld.Nathan ist toll.", meint der kleine Nils.
"Okay, dann werde ich also Superheld. Wer möchte denn mit mir fliegen?"
"Ich, ich ich.", rufen die Kinder vergnügt.
"Okay, also alle. Jeder kommt mal dran.", erkläre ich geduldig.
Einiger der Kinder rufen begeistert "Huraaaa..." und ich lächle dazu.
Nach dem Frühstück ist je nach belieben erstmal Lesestunde mit mir oder
Spielen mit Karin angesagt.
Zusammen mit eingen Kindern gehe ich zum Bücherregel und frage, was sie
gerne hören möchten. Um mit den Kindern auf gleicher Höhe zusein hoche
ich mich zu ihnen herunter und schon schauen mich mehrere Paare
begeisterter Kinderaugen an.
"Ein Märchen!", ruft Lili.
"Nein was mit Autos.", quatscht Malte dazwischen.
"Ich möchte ...Geschichte mit den Tieren.", meint die kleine Lara mit den
großen, braunen Knopfaugen.
"Okay, ich hab eine Idee. Jeder sucht sich ein Buch aus und wir lesen aus
jedem was vor.", schlafe ich vor.
"Jaaa...", rufen die kindlichen, glücklichen Stimmen.
Katrin kommt mit einer der Kleineren auf dem Arm, aus der Spiel- und
Kuschelecke.
"Und? Alles klar?", fragt sie, wärend sie sich zum mir auf minigröße
runterhockt. Ich nicke.
"Wir werden gleich drei verschiedene Geschichten lesen. Wollt ihr Karin
auch sagen, was ihr gerne hören möchtet?", frage ich und schaue die Kinder
immer noch auf Augenhöhe an.
"Ich möchte Autos.", höre ich sofort Malte sagen. Karin lächelt.
"Oh, das hört sich gut an und du Lisa?"
"Ich eine Prinzessin-Geschichte.", sagt Lisa und tippt Lara an, die sich
gerade umgedreht hat, um nach einem Stofftier zu angeln.
"Lara, Geschichte möchtest du hören?", fragt Lisa mit ihrer kindlichen
Stimme.
Lara schaut sich interesseirt um und lächelt.
"Tiere."
Sie zeigt das Stofftier hoch.
"Das ist auch eine gute Idee.", Karin schaut mich an, dann zu dem Kleinen
auf ihrem Arm. Der fängt nun an zu zappeln und wird dann runtergelassen.
Karin lächelt den Kleinen munter an.
"Und was möchtest du machen?"
"Ich...möchte Eisenbahn ...fah-en.", versucht er zu sagen.
"Okay, dann lass uns mal zurück in die Spielecke gehen. Nathan, ich schlage
vor, das wir so gegen 12 raus gehen. Um 13 Uhr gibt es ja Mittagessen."
Ich nicke und Karin geht mit dem Kleinen an der Hand wieder in die
Spielecke, wo einige Kinder bereits eine Burg aus Bauklötzen gebaut haben,
oder eine andere Festung aus Kissen und einige bersuchen am Tisch ein
Puzzel mit riesigen Teilen zu lösen. Was gar nicht so einfach ist. Aber es
macht Spaß.
Ich mache also mit den Kindern die Lesestunde. Nach und nach lese ich
die gewünschten Bücher vor. Dabei betone ich das Gelesene besonders,
so das es auch möglichst echt wirkt. Dazu zeige ich den Kinder immer
wieder die Bilder und stelle ihnen einige Fragen dazu. Zum Beispiel
welche Farbe das Auto hat, oder wie viele Kleider der Prinzessin auf
dem Bild zu sehen sind. Die Kinder lösen alle Fragen meisterhaft und
alle sind begeistert.
So gegen 15 Uhr, als alle Kinder langsam abgeholt werden und soweit alles
besprochen ist,schickt Karin mich nach Hause.
"So, du kannst langsam nach Hause gehen. Hast heute gute Arbeit geleistet.",
betont sie noch mal.
"Vielen Dank. Dann sehen wir uns ja Montag.", verabschiede ich mich noch
und hole meine Sachen, um dann gleich nach draußen zu gehen.
Der Schnee ist bereits geschmolzen und es ist auch nicht mehr so
eisgefrohren. Kein Wunder, wir haben bereits anfang März. Spätestens zu
Ostern sollte der Schnee aber endgültig weg sein, bestimme ich.
So kann ich mich immer auf mein Fahrrad schwingen. Das
ist praktischer, als zu Fuß zu gehen. Meine zehn Wochen Praxis im
Kindergarten sind bald vorbei. Dann heißt es wieder Schulbank drücken,
den unangenehmen Teil dieser Ausbildung. Ich freue mich also umso mehr,
wenn ich wieder Praktikum habe. Ich liebe diese Arbeit einfach.
Wärend ich so mit meinem Fahrrad durch die Allee fahre, wird mir
wieder bewusst, das ich ja heute Bandprobe habe und auf dem Weg dort
hin und wieder zurück an diesem Blumenladen vorbeifahre. Wieder muss
ich an diesen Jungen Mann denken, den ich seid nun ungefähr drei Wochen
nicht mehr aus dem Kopf kriege. Ich hoffe sehr darauf, dass er auch heute
wieder dort sein wird. Ich bin schon glücklich, wenn ich ihn nur ansehen
kann. Er zieht mich magisch an. Seit einigen Tagen aber, überlege ich wie
ich ihn vielleicht noch näher kennenlernen könnte. Ich würde ihn so gern
mal zu einem Kaffee einladen. In der Stadt gibt es doch so ein nettes, kleines,
Cafe'. Dort ist es immer so angenehm, nicht überfüllt. Hat eher etwas
kuschliges, sogar hin und wieder mit Klavierspiel und ist nicht voll von
eingebildeten Tussen, oder anderen Volldeppen.
Bloß, wie stelle ich das an? Ich kann doch nicht einfach in den Laden gehen
und ihn auf einen Caffee einladen. Außerdem ist er meinem Blick immer
ausgewichen, als ich im Laden die Blumen kaufte und scheint auch nicht
sehr gesprächig zu sein. Von meinen Beobachtungen, als vermeintlicher
Stalker habe ich vernommen, das er offentsichtlich nicht nur zu mir so ist,
sondern auch zu anderen Kunden.
Trotzdem scheint niemand mit einem vergrätzen Gesicht den Laden zu
verlassen. Ich habe mir von einem Bekannten, der dort hin und wieder mal
liefert, oder abholt, sagen lassen, das fast alle Kunden den Laden mit einem
Lächeln verlassen und er habe auch schon mal mitgehört, wie begeistert
sie von diesem zarten Gesicht sind. Das passe ja hervorragend in diesen
Laden. Schade sei nur, das er niemals lächelte.
Es soll ja sogar Menschen geben, die tatsächlich nicht lächeln können,
aber ich glaube nicht, das er zu den Menschen gehört, dessen Gesicht
sich zu einer vergretzten Visage verzerren, sobald sie den Versuch
starten. Das war auch ein Grund, warum ich ihn unbedingt mal lächeln
sehen wollte. Ich ziehe praktisch jede Information, die ich über diesen
Menschen bekommen kann ein, als sei sie pure Luft. Erst hat mich das
verwirrt, aber dann bin ich mir bewusste geworden, das ich mich
unweigerlich zu diesem Menschen hingezogen fühle. Schon seit jenem
ersten Tag. Natürlich ist der erste Gedanke vielleicht auf das gleiche
Geschlecht zu stehen erstmal verwirrend, zumal ich bis jetzt immer nur
Freundinnen gehabt habe und bis dato dachte ich sei Hetero. Trotzdem
kann sich das Blatt ja mal wenden und wichtig ist ja nicht das Geschlecht,
sodern das Gefühl. Wenn es einen Glücklich macht...meine Mutter sagt
immer, "Glück fühlt man im Herzen und Liebe ist eine
Herzensangelegenheit."
Damit hat sie wohl recht.
Ich will mich jetzt aber noch nicht festlegen. Schließlich kenne ich ja nicht
mal seinen Namen und meine letzte Ex-Freundin, mit der ich vor einem
Monat schluss gemacht habe, weil sie mich mindestens zwei Mal betrogen
hat, hängt mir immer noch im Nacken. Wenn sie zu früh von meiner
heimlichen Schwärmerei erfährt, könnte es vielleicht sein, das sie sich da
einmischt und diesem völlig ahnungslosen Jungen die Augen auskratzt.
Seid unserer Trennung ist sie irgendwie unansstehlich geworden.
Wie habe ich es nur geschafft, dieses Weib zu lieben? Naja, hinterher ist
man immer schauer.
Als ich im Mehrfamilienhaus die Stufen zu meiner Wohnung erklimme,
werde ich gleich von meiner Mutter begrüßt, die gerade aus der
gemeinsamen Wohnung meiner Eltern kommt und auf dem Sprung zur
Arbeit ist. Teildienst, denke ich. Sowas Nerviges. Jedenfalls stelle ich mir
das sehr nervig vor.
Und ja, ich wohne im gleichen Haus wie meine Eltern.
Das ist ganz praktisch. Zudem werde ich zu meinen Glück
Wohnugstechnisch von meinen Eltern unterstützt, da ich ja nichts verdiene.
Das ich meine eigene Wohnung habe, liegt auch daran, das die Wohnung
meiner Eltern bloß zwei große Zimmer hat und die zweite Wohnung gerade
frei war und eben nur ein Zimmer hat, und günstig war. Das Haus gehört
zudem Verwanten von uns und die haben uns diesen Vorschlag gemacht, als
wir vor zwei Jahren hierhergezogen sind. So etwas schlägt man als 18-jähriger,
der langsam flügge werden will natürlich nicht aus.
"Hallo Honey, wie schön, das ich dich noch sehe, bevor ich los muss.",
entgegnet sie mir mit einem strahlenden Lächeln und sie drückt mich
einmal fest. Ich nehme das einfach mal hin und verkneife mir mein,
"Mom ich bin schon groß, du musst mich nicht mehr zu Tode knuddeln.".
Denn gleich darauf lässt sie mich auch wieder los.
"Ich hoffe du hattest Spaß im Kindergarten, komm heute Abend auf jeden
Fall noch mal runter, wenn du Zeit hast, du musst mir unbedingt erzählen,
was alles passiert ist. Achja, es ist noch Essen da, steht bei uns in der
Mikrowelle. Kannst dir gerne was nehmen, wenn du willst. Schlüssel hast
du ja. So ich ich muss los, bis dahaaann.", verabschiedet sie sich noch gut
gelaunt und verschwindet durch das Treppenhaus. Ich nicke zu allem und
mache mich dann doch erst auf den Weg in die Wohnung meiner Eltern,
direkt zur Küche. Meine Schuhe lasse ich an, denn ich muss ja eh gleich los zur
Bandprobe. Noch eben mache ich mir das Essen warm, um es sofort in mich
hinein zu spachteln. Anschließend gehe ich hoch in meine Wohnung um
meine Gitarre zu holen. Alles gut verstaut. Meine Tasche ist auch da.
Dann gehe ich los, schließe die Tür ab und verlasse das Mehrfamilienhaus.
Zum Glück ist der Weg zum Proberaum nicht weit. Zu Fuß cirka 15 Minuten.
Ich gehe aber immer etwas eher los, weil ich ja noch etwas Zeit haben möchte
an dem Laden vorbeizuschauen, in dem der junge Mann arbeitet. Ich will sehen,
ob er heute ein Lächeln auf den Lippen hat. Gemütlich schlendere ich den Weg
entlang und komme auch schon bald an besagtem Laden vorbei. Ich stelle
mich an meine gewohnte Stelle von der aus er mich nicht sehen kann, zumindest,
wenn ich mich gut bedeckt halte und schaue eine ganze Weile zum dem Laden.
Er scheint nicht da zu sein. Aber dann...kurz bevor ich enttäuscht seufzen will,
sehe ich ihn und muss grinsen. Der junge Mann mit dem hübschen Gesicht ist
gerade dabei die Überdachung vor dem Laden aufzuspannen. Das ist das erste
Mal seid drei Wochen, das ich ihm so nahe bin. Denn seid dem habe ich ihn nicht
einmal draußen vor dem Laden gesehen. Eher zufällig schaue ich nach
oben zum Himmel und sehe, das es sich langsam graut. Als er sich
umdreht weiche ich etwas zurück. Ich komme mir zwar ein bisschen vor
wie ein Idiot, aber das ist mir egal. Immerhin mag ich den jungen Mann, der
vermutlich nicht älter ist als ich. Obwohl... eigendlich ist es ja schon mehr als nur mögen... also darf ich das! Sage ich mir gleich in meinen Gedanken.
Nachdem er wieder mit dem Rücken zu mir steht, lucke ich erneut ein Stückchen
weiter aus meinem Versteck und sehe wie ein Mann an dem Jungen vorbei geht,
zusammen mit einem anderen Mann.
Wohl eher ungewollt, rempelt einer der Männer den Jüngeren an und...
Wenn mich meine Augen nicht täuschen zuckt der jüngere merklich zusammen.
Komisches Verhalten. Der Mann sieht verwirrt aus und entschuldigt sich gleich.
Der Jüngere hingegen, steht nur da.Nicht locker, eher fast steif und ohne
erkennbaren Ausdruck in seinem Gesicht, zumindest aus meiner Sicht. Nur ein
kurzes Nicken gibt er von sich.Erst als die beiden Älteren verschwunden sind,
schaut der jüngere auf. Schnell verschwinde ich wieder hinter meinem Versteck.
Mein Blick fällt auf eine Uhr, die an einem der Läden angebracht ist, direkt
gegenüber meines Verstecks. Sie sagt mir, das ich weiter muss, um nicht zu spät
zu kommen. Nur ungern wende ich den Blick von ihm ab. Mit der Verwunderung
über sein merkwürdiges Verhalten, setze ich meinen Weg fort und da fängt es
auch schon an ein wenig zu nieseln.
Beim Proberaum angekommen, sitzen meine Freunde schon auf dem
Sofa und unterhalten sich. Jack, der Bassist, Suki, der Schlagzeuger
und Meg, die Sängerin, der Band. Sie bespricht gerade mit den Anderen den
neuen Song, den wir einstudieren wollen, für einen kleinen Wettbewerb,
an der Schule von Meg. Sie macht eine Ausbildung zur Pflegeassistentin,
und dort an der Schule findet zwei mal im Jahr ein Fest statt.Es ist eine
kleine Verantstaltung, kein Riesending, aber es macht Spaß zu spielen.
Besonders, wenn man gutes Feedback bekommt.
Als ich den Raum betrete, schauen mich die Drei gleich an und lächeln.
"Na Nathan, hast du es auch geschaft?", ruft Suki, der halb europäer,
halb Japaner ist.
"Jab, habe ich und ihr wart wohl schon fleißig."
"Klar, der Auftritt ist ja schon in ein paar Tagen. Hoffentlich ist das
Wetter bis dahin etwas besser.", meint Meg mit einem Grinsen.
"Ja, das hoffe ich aber auch, bei dem Wetter kräuseln sich meine Haare
immer so.", redet Jack in die Runde. Jack hat lange, schwarze Haare,
und die sehen tatsächlich sehr eigenartig aus, wenn schlechtes Wetter
herscht. An seinen Haare kann man so zu sagen erkennen, ob es regnen
wird oder die Sonne scheint. Der perfekte Wetterfrosch. Meg und Suki kichern
neckisch. Jack reagiert mit einem kurzen Fluchen.
Wenn es um seine Haare geht, ist er wirklich ein Sensibelchen.
Kurze Zeit später, hat Jack sich dann wieder eingekriegt und wir können
endlich mit der Probe anfangen.
Alle gehen auf Position und ich stöpsle meine E-Gitarre ein. Nach einem
Einspiel und einer Stimmprobe kann es dann losgehen.
Nach der eigendlichen Probe probieren noch einige Lieder aus, die wir
schon häufiger gespielt haben.
"Okay, das lief ja wirklich gut heute.", meinte Meg. Das stimmte wohl.
Ihre Stimme war heute wirklich voll da. Vor einigen Tagen noch hatte sie
eine Dicke Erkältung, da waren richtige Töne einfach nicht drin. Sie
ärgerte sich immer sehr darüber, wenn sie nicht singen konnte.
Gegen 17: 45 gehe ich dann wieder los.
"Machs gut Nathan.", verabschieden sich meine Freunde und ich mache
mich mit samt meiner Gitarre wieder auf den Weg nach Hause.
Natürlich gehe ich wieder an dem Laden vorbei, an dem ich auch schon
vorhin vorbeigegangen bin. Wieder schaue ich zu dem großen
Schaufenster, des Blumenladens und sehe den Scharzhaarigen, der mit
seiner Kollegin die letzten Kunden mit Blumen versorgt. Sie lächelt die
Kunden freundlich an, er verzieht keine Miene, jedenfalls sofern ich das
von hier aus sehen kann. Ich denke mir, das ja jeder mal einen schlechten
Tag hat und vielleicht keine Lust hat fröhlich zu sein. Aber kann es sein,
das jemand niemals glücklich aussieht? Vor allem immer dann, wenn ich
an diesem Laden vorbeikomme, also drei mal die Woche, jeden Montag,
Mitwoch und Freitag. Das kann doch nicht sein! Oder doch?
Gerade als ich aus meinem Versteck wieder herauslucke, schaut mein
heimlicher Schwarm in meine Richtung. Schnell verstecke ich mich
wieder. Ob er mich gesehen hat? Hoffentlich nicht. Wenn ja, wie peinlich.
Ich verhalte mich wie ein Kleinkind. Echt. Oder nein! Doch nicht.
Nebenbei bemerke ich, das mir selbst die Kinder im Kindergarten noch
erwachsener vorkommen. Die sagen meist ganz genau was sie wollen.
Ich aber, verstecke mich hier, wie ein feiges Huhn hinter der Mauer eines
Brunnes, der mitten auf dem Platz steht. Ich seufze einmal tief und geh
wieder meines Weges.
Da heute Freitag ist, werde ich später noch mal rausgehen. Vielleicht gehe
ich ja einen trinken, tanzen oder so. Jedenfalls sollte ich über mein
Verhalten mal gründlich nachdenken. Es ist mir bewusst, dass, das
nicht ewig so weitergehen kann. Irgendwann wird es mich sicher
depremieren, und nicht mehr reichen ihn nur aus der Ferne zu beobachten.
Aber bloß nichts überstürzen. Vielleicht ergibt sich ja mal eine passende
Gelegenheit. Das wäre ja mal super. Am besten auf neutralen Boden.
Nicht wärend der Arbeit, oder so. Da fällt mir ein, das ich meiner Mutter ja
einfach mal so eine Blume kaufen könnte. Dann habe ich auf jeden Fall
einen Grund nochmal in den Blumenladen zu gehen. Das mir das nicht
eher eingefallen ist. Ich bin doch blöd. Jedoch ist mir auch klar, dass ich
nicht drei Mal in der Woche in diesen Laden gehen kann. Sicher kommt
das irgendwann seltsam rüber. Dann werde ich bestimmt erst recht für einen
Stalker gehalten, wenn der junge Mann das nicht bereits tut, nachdem er
mich eben vielleicht gesehen hat. Unwahrscheinlich ist das nicht. Blöd ist
der bestimmt auch nicht.
Abends gegen 20:30 sitze ich bei meiner Mutter und meinem Vater in der
Küche. Meine Mutter ist vor einer halben Stunde nach Hause gekommen,
wie sie erzählt und quätscht mich auch gleich aus, wie es im Kindergarten
war. Auch mein Vater, der meistens schon gegen 19:30 Uhr zu Hause ist,
hört nur zu gerne zu, wenn ich von meinem Arbeitstag berichte.
Ich erzähle von der kleinen Lisa, die so gerne Märchen mag, einer Burg aus
Kissen und Bauklötzen und wie ich als Held betitelt wurde und spätestens
Montag jedes der Kinder mal fliegen lassen wollte. Ich denke mir, das sie
das bestimmt nicht vergessen würden. Leider habe ich das heute nicht
mehr geschaft, da die Kinder vom lesen und spielen sehr müde waren.
"Das hört sich alles so wunderbar an. Ich habe auch immer Spaß bei meiner
Ausbildung gehabt. Das ist so ein wunderbarer Beruf. Aber der, den ich jetzt
mache erfüllt mich ebenso gut."
Um es kurz anzureißen, meine Mutter hat auch mal die gleiche Ausbildung
gemacht wie ich jetzt zum Erzieher. Nur leider hat sie damals keine Stelle
gefunden und dann noch mal eine andere Ausbildung gemacht.
"Das stimmt wohl, und hast du heute abend noch etwas vor?", fragt mein
Vater. Ich nicke.
"Ich werd wohl gleich noch mal losziehen. Mal schauen, was sich so
anbietet, tanzen oder so."
Leider kann ich mich heute nicht mit meinen Freunden verabreden, da
alle heute mit Familienangelegenheiten beschäftigt sind. Aber da fällt mir
ein, das da ja noch Freak ist. Der Lieferant von dem Blumenladen.
Den werde ich gleich mal anrufen. Vielleicht hat der ja gerade Zeit.
"Okay, dann wünschen wir dir viel Spaß.", erklärt mein Vater und meine
Mutter lächelt dazu.
Wenig später habe ich mich dann auch schon in meine Wohnung
zurückgezogen und rufe Freak einfach mal an. Ein Tuten.
"Hey Nathan, was geht?"
"Hey Freak, ich wollte dich mal fragen, ob du Zeit hast. Wollte gern
weggehen, aber niemand hat Zeit."
"Oh, klar, um 21:30 vor der Bar?", fragt er.
"Ja, gute Idee. Dann bis nacher.", antworte ich und wir legen auf. Eine
Stunde reicht locker um mich fertig zu machen. Einen großen aufwand
mache ich jetzt nicht, will ja nur in ne Bar und ein bisschen was trinken.
In einer halben Stunde habe ich geduscht und mir frische Klamotten
angezogen. In die Bar nehme ich nur eine kleine Umhängetasche mit. Das
reicht für Geldbörse, Schlüssel und Handy. Bloß nicht zu viel Ballast
mitschleppen.
Zehn Minuten nach 21 Uhr gehe ich los. So kann ich mir Zeit lassen und
muss nicht hetzen. Ich denke über Freak nach, der noch in der
Mittelstufe ein ziemlicher Rabauke war. Echt abgedreht und ständig in
Prügelleihen verwickelt. Ich kenne ihn schon seid der Grundschule und
seid Anfang der Mittelstufe hat er den Spitznamen Freak. Gerade wegen
seiner Versessenheit und seiner Vorliebe dafür Ärger zu machen. Kaum
zu glauben, dass er jetzt ein braver Lieferant für einen Blumenladen ist.
Das passt auf den ersten Blick nicht zu ihm, aber wenn man ihn nur
einmal mit seiner äußerst süßen Freundin beobachtet hat, denkt man
sofort, dass diese Tätigkeit ganz wunderbar zu ihm passt. Dann wird er
auf einmal butterweich. Das Mädchen ist wohl auch der Grund, für seinen
plötzlichen Sinneswandel. Das denke ich mir einfach mal. Denn ich
wusste, das er sich damals nichts mehr wünschte, als eine süße Freundin.
Die hat er nun und ist inzwischen wirklich ganz wunderbar umgänglich.
Und wärend meiner Gedankengänge fällt mir noch ein, das er ja vielleicht
den Namen des jungen Mannes weiß. Ich werde ihn einfach mal danach
fragen.
Vor dem Eingang der Bar, ist er bereits zu sehen. Er unterhält sich mit
einigen Kumpels und amüsiert sich prächtig. Als er mich erblickt, winkt
er mir fröhlich zu und ich geselle mich zu der Runde und begrüße erstmal
alle.
"Hey, Nathan, ist es okay, wenn meine Freunde mitkommen? Hab sie gerade
zufällig getroffen."
"Klar, kein Problem. Je mehr es sind, desto lustiger wird die Runde.",
erzähle ich. Stimmt ja auch. Mit Mehreren ist es ja wirklich noch viel
besser. Aber ich muss mir unbedingt einen guten Moment angeln, an dem
ich Freak nach dem Namen fragen kann. Am besten, wenn er noch bei
vollem Verstand ist. Wenn er besoffen ist, plaudert er mir ein bisschen zu
viel.
Weniger Minuten später gehen wir auch schon rein und suchen uns eine
geeignete Ecke am Thresen. Wir sind nun zu fünft. Hoffentlich sind
genauso viele Hocker frei. Wir haben Glück. Die Bar ist noch relativ leer.
Also ist noch genug Platz frei. In weiser Vorraussicht setze ich mich direkt
neben Freak, um ihn auch gleich darauf ansprechen zu können, wärend die
Anderen Bier bestellen.
"Du Freak. Ich hab da mal ne Frage."
"Ja?", er dreht seinen Kopf in meine Richtung und schaut mich lächelnd,
fragend an.
"Weißt du zufällig, wie dieser junge Blumenverkäufer heißt, bei dem du
immer die Blumen lieferst?"
"Hm? Wieso willst du das wissen?", fragt er überrascht.
"Ach, ich laufe doch mindestens drei mal in der Woche an dem Laden
vorbei und habe ihn tatsächlich noch nie lächeln sehen und ich wüsste
halt einfach gern mal wie er heißt."
Freak macht kurz einen nachdenklichen Gesichtsausdruck.
"Warte mal. Sein Name klang relativ weiblich...ach ja, Bailey heißt er. Ich
meine die Verkäuferin hat ihn so genannt."
"Bailey also.", wiederhole ich nachdenklich. Ein wirklich schöner Name,
wenn ich so überlege. Freak neben mir kümmert sich nicht weiter um die
Frage und bestellt sich ein Bier, stößt mit seinen Freunden an. Auf die
Frage, ob ich auch eines trinken will antworte ich kurz mit einem "Ja". Dann
denke ich weiter über diesen Namen nach.
Bailey. Bedeutet das nicht 'offene Wiese'? Meiner Meinung nach past der
Name nicht wirklich zu seinem Verhalten. Er wirkt nicht offen und schon
gar nicht frei. Wenn ich an eine offene Wiese denke, denke ich an Freiheit.
Aber er redet ja nur bedingt und wirkt sehr abweisend. Ich habe ihn ja eine
ganze Weile beobachtet, wenn auch nur aus der Ferne.
"Hey Nathan, dein Bier wird warm.", teilen mir meine vier Sitznachbarn mit.
Ich schaue kurzerhand vor mir auf den Tisch.
"Oh. Sorry war ganz in Gedanken.", entgegene ich und setzte zum Trinken an.
Das Bier tut wirklich gut und zusammen mit den Anderen habe ich einen
unterhaltsamen Abend. Später gehen wir noch tanzen, suchen uns einige
Mädels, zumindest ich und die drei anderen. Freak tanzt ganz verliebt mit
seiner Freundin, die sich im Laufe des Abends noch dazu gesellt hat. Sie
geben wirklich ein niedliches Paar ab. Da kann man fast neidisch werden.
Das Mädchen mit dem ich aber gerade tanze lenkt mich zumindest
einigermaßen ab. Vor allem von Bailey, der mir jetzt noch mehr im Kopf
schwirrt, als ohnehin schon.
Seltsames Verhalten
"Fliegen, ich möchte fliiiieeegäännn.", ruft die kleine Lisa vergnügt und streckt
ihre kurzen Ärmchen nach mir aus. Der kleine Malte taucht hinter mir auf und
klammert sich sachte an meinem Bein fest, um hinter mir hervor zu lucken.
"Ich auch, ich auch.", ruft er und lockt damit noch weitere Kinder an. Sie alle
haben das Spiel von Freitag mitgehört und möchten nun alle einmal eine Runde
fliegen. Karin kichert vergnügt.
"Ohje, da hast du ihnen ja was versprochen.", sagt sie und kommt gerade mit
einigen Stofftieren auf mich zu, die sie aus irgendeiner Ecke hervorgekramt hat.
Ich nicke und lächle dazu.
"Ja, aber ich habe es versprochen und das halte ich auch. Aber es geht nur einer
nacheinander, ja?", mache ich ihnen klar und hocke mich auf ihre Augenhöhe
herunter. Die lieben Kleinen nicken begeistert.
"Na-tan ist ein Held.", kichert Lisa. "Ich möchte jetzt fliegen."
"Ich möchte danach.", sagt Malte und ich nicke.
"Okay, komm her Lisa.", die Kleine kommt sofort auf mich zu und ich hebe sie
hoch, ganz langsam und vorsichtig. Sie ist leicht wie eine Feder. Die Kinder
versammeln sich in einem Kreis um uns und schauen hinauf.
"Woaa. Das ist hoooch...", giggelt sie vor Freude. Karin lächelt.
"Na kein Wunder Nathan ist ja auch sehr groß.", antwortet sie.
"We...werde ich denn auch mal so groß?", fragt einer der Jungen. Karin macht
ein nachdenkliches Gesicht und zwinkert ihm dann zu.
"Wenn du immer genug Obst und Gemüse isst, bestimmt."
Die meisten würden jetzte sicher sagen, das die Kinderchen ihren Teller leer
essen sollte.Wir sagen aus Prinzip nicht. Das ist nämlich schon ein Ansatz von
falscher Erziehung. Manche Eltern machen den Fehler und mit etwas Pech,
gewöhnen sich die Kinder daran und werden tatsächlich schneller dick. Aber
das nur nebenbei.
"Aber Gemüse ist eklig. Ich mag Schockolade lieber."
"Das glaube ich dir.", rufe ich wärend ich den kleinen Malte hochnehme und ihn
einmal hoch fliegen lasse.
"Aber Gemüse macht groß und stark, weißt du?.", erzähle ich ihm und seine Augen
erhellen sich.
"Okay, dann esse ich mehr Gemüse.", verspricht er und macht eine
Superheldenpose.
"Werd ich dann auch so ein Held wie du?", fragt er.
"Na klar wirst du das. Möchtest du fliegen?", antworte ich.
"Au jaaa...."
Kinder sind wirklich leicht glücklich zu machen. Sie sind so unbekümmert.
Man muss sich nur gut um sie kümmern. Glücklich sein, ist doch etwas sehr
Schönes, aber eben so leicht kann man Kinder auch zum Weinen bringen. Dabei
muss ich wieder an Bailey denken, der ganz und gar nicht glücklich aussieht.
Immer dann, wenn ich an diesem Laden stehen bleibe, zieht er dieses Gesicht,
das mir überhaupt nicht gefällt.
*
Irgendwann bin ich wieder zu Hause angekommen. Heute ist der Tag wieder sehr
aufregend und spannend gewesen. Nachdem ich alle Kinder einmal habe fliegen
lassen, wurden sie so müde, das sie Alle ersteinmal ein Schläfchen halten mussten.
Ich bin bis dahin noch topfit gewesen, nun habe ich das Gefühl sehr schläfrig zu
sein. Kein Wunder. Die Arbeit macht zwar Spaß, aber sie ist natürlich auch
anstrengend. Heute ist zum Beispiel ist eines der Kinder auf dem Spielplatz
ausgerutscht und hat sich das Knie auf geschlagen. Da musste ich erstmal den
Schmerz wegpusten und das Kind verarzten und beruhigen. Und dann habe ich
noch einen Streit zwischen zwei kleinen Mädchen geschlichtet. Das eine Mädchen
wollte dem Anderen, das Spielzeug nicht wiedergeben und dann war da noch die
Stofftierschlacht, und das Malen mit Fingerfarben. Mensch habe ich da ausgesehen.
Ich habe habe eine ganze Kriegsbemalung abbekommen. Na Hauptsache, dieKinder
haben ihren Spaß. Karin ist davon übrigens auch nicht verschon geblieben. Wie gut,das die Farben hautverträglich sind. Das müssen sie auch, denn sonst, könnten wir die kleinen Kinder nicht damit malen lassen. Die Bilder jedenfalls, die sie mit dem Farben geklekst haben, zieren jetzt eine riesige Wand unseres Raumes. Sogar ich und Karin haben jeweils ein Bild geschenkt bekommen. Das rolle ich gerade auf und klebe es an meinen Kühlschrank. Es ist ein kleines Bild, mit sehr viel Freunde gemalt.Das kleine Mädchen, das es mir gemalt hat, hat mich mit so einem zuckersüßem Lächeln angeschaut, das ich es einfach nur mit einem dankenden Lächeln entgegennehmen konnte. Laut der Beschreibung des Mädchens, ist dort eine Prinzessin mit einem Pferd drauf zu sehen. Als Erwachsener braucht man
natürlich viel Fantasie,um es zu erkennen, aber mit den Kleinen spielt man
natürlich mit. Das macht Spaß und wenn es das Mädchen glücklich macht, ist das
Ehrensache.
Wie ich das Bild so an meinen Kühlschrank klebe muss ich grinsen. Freak, der
seine kleine Schwester abgeholt hatte, war ganz neidisch, weil er kein Bild
bekam.
Er hat bestimmt zehn Minuten in einer Ecke gehockt und geschmollt. Die Kinder
fanden es lustig. Seine kleine Schwester lief zu ihm und scheuchte mit ihren kurzen Ärmchen den Schmerz weg. Das hat wirklich zu lustig ausgesehen.
Im nächsten Moment aber, denke ich schon wieder an Bailey. Wie sehr ich mir doch
wünsche ihn einmal so richtig glücklich zu sehen. Ein Lächeln steht ihm bestimmt
sehr gut. Doch vielleicht ist das Alles ja auch gar nicht so einfach, wie ich mir das vorstelle.
Dazu kommt. Wir haben bereits Dienstag und gestern habe ich ihn nicht in dem
Laden gesehen. Ich habe eine ganze Weile dort gestanden, doch von ihm war keine
Spur zu sehen. Morgen werde ich keine Zeit finden, denn morgen, ist das Schulfest an Megs Schule, die direkt gegenüber von meiner Schule liegt. An ihrer Schule werden wir mit unserer Band spielen. Das heißt, das ich nicht an dem Blumenladen vorbeikommen werde, da dieser nicht auf dem Weg zur Schule liegt. Ein Schlagzeug ist dort nämlich schon vorbereitet, also müssen wir nicht nochmal zum Proberaum.
Wenn wir noch noch mal proben, wird Jack uns fahren. Dann komme ich auch nicht
an dem Laden vorbei, da die Straße nicht über den großen Platz führt.
Eventuell schaffe ich es ja nach der Probe. Ja, das werde ich mir vornemen. Nach
der Probe. Ganz bestimmt.
*
Mittwoch Nachmittag. Heute habe ich extra wegen dem Schulfest etwas eher
Schluss bekommen. Fast wäre ich nicht weggekommen, denn die lieben Kinderchen
wollten mich gar nicht gehen lassen. Es war doch zu niedlich, wie sich die kleine Lisa an meiner Hose festklammerte und mich fragte, ob ich auch ganz bestimmt morgen wiederkäme und das sie mich ganz furchtbar vermissen würde. Ich hockte mich zu dem Gespräch, wie es sich gehörte, auf ihre Augenhöhe und erwiederte darauf, das ich selbst ganz traurig sei, und versicherte ihr, das ich morgen auch ganz bestimmt wieder da sein würde. Darauf, hielt sie sich dann an meinem T-Shirt fest und gab mir einen zuckersüßen Kuss auf die Wange und lächelte begeistert. Danach gab es einen Ansturm von kleinen Kindern, die mich alle sammt mit einem Bodycheck zu Boden warfen und sich ankuschelten. Ja, es war doch herrlich und gar nicht so leicht sich von den ganzen Kindern zu befreien, wenn sie doch alle so süß waren. Dabei kam mir der Gedanke, das es doch noch viel schöner wäre von Bailey so umkuschelt zu werden. Doch da habe ich noch nicht überlegt, wie schwierig sich das gestalten könnte.
Jetzt gerade ist es 13:30 und ich mache mich für den Auftritt fertig.
Der soll um 14:45 stattfinden. Das ist also genug Zeit.
Zwischendurch, so gegen 13:50 ruft meine Mutter durch, dass, das Mittagessen
fertig ist. Sie hat heute frei, ebenso wie mein Vater. Meine Eltern werden mich zur Schule fahren, da diese direkt auf dem Weg liegt. Sie haben vor sich mit Freunden zu einem späteren Kaffeekränzchen zu fahren. Ich packe sogleich meine Sachen zusammen und nehme die gleich mit, damit ich nicht wieder hochlaufen muss.
Kaum das ich den Flur der Wohnung meiner Eltern betrete, werde ich auch wieder
von meiner Mutter umarmt und begrüßt.
"Nathan, wie schön, dass du da bist. Komm schnell, dein Vater wartet schon."
Ich nicke und lege meine Sachen ab. Anschließen laufe ich in die Küche, um mich
an den Tisch zu meinem Vater zu setzten.
"Hey Nathan, da bist du ja. Wie war dein Tag bis jetzt?", begrüßt mich mein Vater gleich.
"Hallo Dad, war ganz klasse wie immer. Die Kinder wollten mich gar nicht gehen
lassen.", erzähle ich.
"Die Kleinen haben dich eben gern.", fügt meine Mutter hinzu und mein Dad
fängt an sich köstlich zu amüsieren, als ich ihm erzähle was genau alles passiert ist.
Meine Mutter, ist wie immer entzückt. Sie hat mir mal erzählt, das gern noch mehr Kinder gehabt hätte, was nur leider nach meiner Geburt nicht mehr möglich war.
Ich weiß nur sehr genau, wie sehr sie Kinder liebt und wie sehr sie sich über einen Enkel freuen würde. Nur leider kann ich ihr gerade, diesen Gefallen nicht tuen, da ich ja total auf Bailey fixiert bin. Für meine Eltern war es erst ein leichter Schock, als ich ihnen erzählte, das ich nicht nur auf Mädchen stehe, aber sie haben es akzeptiert und freuen sich mit mir, wenn ich glücklich bin. Ganz so, wie es sein soll.
"Das war ja wieder ein aufregender Tag und gleich hast du ja noch den Auftritt mit deinen Freunden. Geht ihr danach noch zur Probe?", fragt meine Mom.
"Ja,zumindest ist das geplant. Wir wollten mal schauen, immerhin ist der Auftritt
ja auch eine ganz gute Probe, aber Übung macht den Meister."
"Okay, dann pack ich dir noch etwas von dem Kuchen ein, den ich heute morgen
gebacken habe, dann habt ihr etwas proviant und müsst nicht alles auf dem Fest
kaufen. Aber jetzt lass uns erstmal etwas essen."
Und so geschied es. Gemeinsam nehmen wir unsere Mahlzeit zu uns. Danach wird
gemeinsam abgeräumt und alles im Geschirrspüler verstaut. Anschließend holt
meine Mom wie versprochen ein riesiges Blech mit Pflaumenkuchen hervor.
"Wow, das sieht ja mal wieder lecker aus, wie immer.", lobt Dad meine Mom.
"Danke mein Herz, ich habe mir ja auch extra viel Mühe gegeben. Ist doch dein
Lieblingskuchen. Den Rest nehmen wir gleich mit."
"Genau so ist es. Du bist wirklich wunderbar Liebes.", schwärmt Dad von Mom. So
wie immer eigendlich. Wenn ich so darüber nachdenke, sind sie jetzt etwa 25
Jahre verheiratet und ich kann mich nicht entsinnen, das sie sich in den letzten
20 Jahren auch nur einmal wirklich gezofft haben. Erstaunlich. So etwas erlebt
man ja selten. Viel zu oft hört man von Scheidungen und Familienstreit und so.
"So viel Spaß Honey. Wir sehen uns nachher, oder spätestens morgen.",
verabschiedet sich meine Mom und Dad drückt mir meine Sachen in die Hand.
"Vergess den Kuchen und deine Gitarre nicht und viel Glück.", erinnert er mich.
Ich bedanke mich und verabschiede mich auch von ihm. Dann gehe ich los in
Richtung Schule. Meine Eltern winken mir noch zu und schließlich fahren sie
los. Pünktlich um 14:30 bin ich bei den Anderen, die am Haupteingang schon
auf mich warten.
"Heyyy, Nathan. Hier sind wir. Beeil dich, Wir sind gleich dran.", ruft Meg.
"Ja, bin ja schon da.Immer mit der Ruhe.", rufe ich ihr entgegen.
"Aber es wird bald anfangen zu regnen.", jammert Jack, dem sich die Haare
schon auffällig kreuseln.
"Ja, das wurde ja vorhergesagt, deswegen wurden der Auftritte in den großen
Saal verlegt.", beruhigt Suki, Jack. "Du wirst also nicht nass werden und dein
Haare bleiben einigermaßen unbeschadet."
"Eingermaßen?", murrt Jackt. "Nathan, sag doch auch mal was."
Ich kicher nur.
"Jetzt reg dich wieder ab, du überstehst das schon Jack. Und du Suki, solltest
Jack weniger ärgern."
"Jab, jetzt aber los. Sonst kommen wir zu spät. Es ist soweit schon alles
vorbereitet, da vor uns noch eine Band dran war. Jetzt gerade ist Pause.",
erzählt Meg. Gemeinsam gehen Meg, Suki, Jack, der sich immer noch ein
wenig über Sukis Neckereien aufregt und ich zum großen Saal, auf den jede
Menge, kleine Papierpfeile hindeuten. Suki ist die ganze Zeit am Lachen, da
Jacks Haare allmälich richtig zu Berge stehen. Ich habe ihn mal gefragt,
warum er sie nicht einfach kurzschneiden lässt, um sich den Ärger zu sparen.
Darauf antwortete er nur, das er sich von seinen Haaren nicht unterkriegen
lassen würde. Darauf beharrt er bis heute noch. Eine wirklich haarige Sache.
Im warsten Sinne des Wortes.
"Okay, ich freue mich schon. Achja, meine Mom hat Kuchen gebacken und mir
eine ganze Dose davon mitgegeben.", berichte ich und die Köpfe drehen sich
zu mir.
"Kuchen? Von deiner Mutter?", fragt Meg aufgeregt. Sie hat schon so ein
Leuchten in ihren Augen. War ja klar. Meine Mom weiß sehr genau, das sie
ihren Kuchen abgöttisch liebt. Dazu muss sie nicht mal hellsehen können.
Im Gegenteil. Vielleicht hat sie beim Backen ja auch ein kleines Bisschen an
sie gedacht, in weiser Vorraussicht.
"Ja, aber, den gibts später. Lass uns erstmal spielen. Du kriegst auch das
größte Stück, okay?", verspreche ich. Sie nickt begeistert.
"Dann mal looosss.", ruft sie laut und scheucht uns zu dem Saal. "Los, los,
keine Müdigkeit vorschützen. Nachher gibts Kuchen."
"I...ist ja gut Meg...drängel doch nicht so.", mault Suki. Ich laufe hinterher,
und meine einen mir bekannten schwarzhaarigen Schopf, aus einem der
letzten Räume des Ganges, durch die letzte Tür laufen zu sehen. Er scheint
ziemlich erschrocken, fast schon panisch zu sein. Das erinnert mich sehr
stark an die Situartion mit Bailey und den Männern. Ich habe das Bedürfnis
nachzusehen, doch ich habe jetzt keine Zeit. Ich muss zum Auftritt. Ich sehe
nur noch, wie zwei weitere Jungen aus dem Raum kommen und sich umsehen.
"Was war denn mit dem los?",fragt der Eine. Der Andere zuckt mit den
Schultern. "Weiß nicht, der ist irgendwie komisch drauf."
"Nathan, schnell, schnell, wir sind dran und wir müssen nich einstöpseln."
Meg zieht mich am Arm mit sich.
"Äh...ja."
Ich folge ihr wiederstandslos. Kaum das wir auf der Bühne angekomen sind,
stöpseln Jack und ich, unsere Instromente an und machen eine kurze Probe.
Wir haben noch etwa fünf Minuten und der Saal füllt sich allmählich.
Bei so Schulfesten dauert meistens immer Alles ein bisschen länger, aber
das verschafft uns Zeit.
Aus einer Seitentür kommt schon der Ansager.
"Na Meg, ist das deine Band?"
"Ja, das sind sie. Das ist Jack, der Bassist, das ist Suki, der Schlagzeuger
und Nathan hier ist unser Gitarrist.", stellt sie uns einzeln vor und der
Ansager, der auch gleichzeitg der Schuldirektor ist, der seltsamerweise von
allen nur "Cocki", genannt wird begrüßt uns herzlich.
"Okay, dann kündige euch euch mal an."
"Ja mache sie das.",stimmt Meg zu. Alle gehen schon mal Auf position.
"So liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Lehrer und Lehrerinnen und
Besucher. Die Pause ist jetzt vorbei, begrüßt mit mir "Black Rose" mit
ihrem neuen Song. Viel Spaß."
Ein Klatschen ist zu hören und wir beginnen zu spielen.
Bald schon erklingt Megs Stimme.
Seh wie sich dein Lächeln,
auf ein Foto drückt
Warm und saft so bin ichs gewohnt
Doch das is längst vor bei.
Ist nur noch ne Erinnerung
Du bist schon lange fort
Nur dieses Lächeln bleibt
Und macht mich ganz verrückt
Wie sehr wünsch ich mir,
Nur ein lächeln von dir
Es vereinnahmt mich
setzt sich in mir fest.
Baby kehr zu mir zurück
denn du bist mein Glück...
Doch Glück ist sehr zerbrechlich...
Ihr Stimme klingt wirklich toll. Vielleicht liegt das ja an dem Kuchen,
der ihr entgegen lacht, sobald wir fertig sind. Und ich...ich gebe einfach
nur mein Bestes. Ich möchte gern noch einmal der Sache von vorhin
nachgehen. Aber in dieser Zeit wird der Junge vermutlich schon längst
über alle Berge sein. Verfluchter Auftritt.
"Das waren "Black Rose" mit "Your Smile" ." Es folgt ein begeistertes
Klatschen. "Und nun kommen wir zum nächsten Auftritt...."
"Da sind sie.", höre ich einige Mädchenstimmen, als wir gerade zur
Tür herraus kommen. Kaum das wir den Gang betreten werden wir von
einer Traube begeisterter Mädchen umzingelt. Das passt mir gerade gar
nicht. Überhaupt nicht.
"Hey, ihr wart echt toll. Spielt ihr bald mal wieder hier?"
"Klar machen die das, ist doch Megs Band. Oder Meg?", fragen die
Mädchen. Sie lächelt.
"Mal sehen, wann das mal wieder was wird. Wenn die Jungs mal wieder
Lust haben, mal gucken. Aber danke für euer Lob. Doch jetzt, lasst uns
mal vorbei, auf mich wartet noch was."
Damit schiebt sie sich und uns an den Mädchen vorbei und verschwindet
mit uns in einem freien Raum. Die Mädchen kommen uns zum Glück
nicht nach. Ich atme erleichtert auf.
Meg lässt sich auf einen der Stühle sinken und legt ihre Tasche auf einen
Tisch.
"Sooo Nathan, jetzt aber her mit dem Kuchen.", befielt sie und ich tue wie
mir gesagt. Jack und Suki lachen amüsiert.
"Oh man, du bist so süchtig.", gibt Suki von sich,
"Jetzt las mich doch...ich liebe diesen Kuchen!"
"Hier bitte. Nehmt euch so viel ihr wollt. Ich will noch mal kurz was
erledigen. Meine Freunde starren mich allesamt an.
"Hm? Aber willst du denn keinen Kuchen?"
"Nein jetzt gerade nicht, Mom backt ja genug. Bin gleich wieder da."
"Das stimmt.", höre ich Meg, die sich gleich über den Kuchen hermacht.
Ich lucke durch die Tür. Die Traube von Mädchen ist verschwunden.
Die Tür hinter mich schließend, drehe ich mich wieder zu dem anderen
Ausgang, als dem der Junge verschwunden ist. Ob das Bailey gewesen ist?
Wenn ja, wieso ist er so panisch davongerannt? Das beschäftigt mich.
Mit raschem Schritt, gehe ich den Gang entlang auf die Tür zu. Ich öffne
sie und gelange nach draußen, wo ein gepflasterter schmaler, überdachter
Weg zu einem weiteren Gebäude führt. Es ist nicht sonderlich groß und es
steht "Küchengebäude 10 C" drauf. Das muss zu dem kleinen Caffee
gehören, das diese Schule hier betreibt, denn die Küchen für den
Schulunterricht sind im vorderen Gebäude soweit ich weiß. Und an
diesem Gebäude ist ein hübscher kleiner Garten mit Sitzecke angelegt und
auf einer der Fenster steht in bunten Buchstaben "Schulcafe". Das wird
heute wohl nicht gebraucht, weil heute alles nach vorne verlegt worden ist.
Ich schaue mich um. Niemand zu sehen, also öffne ich die Tür und
betrete den Raum. Vor mir erstreckt sie eine kleine Halle mit einem
Verkaufsthresen und rechts und links jeweils eine Tür. Eine ist
verschlossen, die Andere einen Spalt auf. Fast so, als wüsste ich, das ich
vorsichtig sein muss, gehe ich nur sehr langsam auf die Tür zu, möglichst
ohne einem Mucks von mir zu geben. Vorsichtig lucke ich durch die Tür.
Wieder sehe ich nichts. Der Raum ist relativ dunkel, weil alle Vorhänge
zugezogen sind. Leise betrete ich den Raum, um einen noch besseren
Blick zu haben. Dort in der Ecke...täusche ich mich, oder liegt da jemand?
Ich gehe auf den besagten Jemand zu und hocke mich ein Stück nach
unten. So wie ich das bei den Kindern immer tue.
Es ist ein Junge,der sich mit seinen schwarzen Mantel zugedeckt hat.
Seine Schulter lugt herraus. Er trägt ein weiß-blau karriertes Hemd
und seine Füße schauen aus dem unteren Ende heraus. Schwarzen
Chucks und eine schwarze Hose sind zu erkennen. Ein weiterer Blick
zu seinem Gesicht gibt mir genau die Antwort, die ich erwartet habe.
Mein Herz schlägt einen ganzen Tacken schneller.
"Bailey.", spreche ich meine Gedanken laut aus und auf dem Boden
rühert sich etwas.
Ein Gesicht, geziert mit heller, fast weißer Haut und diesen zierlichen
Gesichtszügen, die mich so beeindrucken. Jetzt, wo ich sie aus der Nähe
sehe und dann diese Augen...die mich nun...ja die mich in diesem
Augenblick geschockt, fast ängstlich ansehen.
Bailey setzt sich schnell auf und rutscht bis nach hinten in die Ecke.
Er versucht meinem Blick plötzlich wieder auszuweichen, nimmt den
Mantel und eine Tasche, die neben ihm liegt und steht auf. Ich sehe ihm
zu, stelle mich auch wieder hin. Ich bin ein ganzes Stück größer als er.
Vielleicht ist es ja diese Größe, die ihm so eine riesen Angst einjagt,
denn er schaut noch erschrockener zu mir auf, um seinen Blick dann
gleich wieder abzuwenden.
"Hey, was ist denn los? Ich tu dir doch nichts.", versuche ich ihn zu
beruhigen. Doch er macht sich mit samt seiner Sachen fast Fluchtartig
aus dem Staub. So wie vorhin. Ich laufe ihm nach.
"Bailey, warte doch.", rufe ich und erwische ihn gerade noch kurz bevor
er den Raum durch die Tür verlassen kann. Ich packe ihn am Handgenk.
Keineswegs in böser Absicht. Bailey aber gerät in Panic, zerrt sich
erschrocken los und rennt davon. Er ist schneller als ich dachte. Ich
komme gar nich hinterher.
Als ich ihn nach erneutem Suchen nicht mehr finden kann, gebe ich auf
und kehre zu meinen Freunden zurück.
"Nathan da bist du ja. Nanu, du bist ja ganz rot im Gesicht.", bemerkt
Meg.
"Ja und er ist ganz auser Atem.", füft Jack hinzu. "Bist du gerannt?"
"So in etwa."
"Willst du uns nicht erzählen was los ist?", will Suki wissen. Ich schüttle
den Kopf.
"Ist schon gut. Leute, ich glaube ich gehe gleich nach Hause. Mir ist
nicht so gut und ich bin müde. Muss morgen wieder Arbeiten. Ich komm
am Freitag zur Probe, okay?"
Zu rechne ich jetzt nicht mehr damit, das Bailey heute noch beim Laden
auftauchen wird. Ich frage mich, was er hier gemacht hat und warum
er in diesem Raum auf dem Boden geschlafen hat. Dieses panische
Verhalten. Das ist doch alles ziemlich seltsam.
"Okay, soll ich dich fahren?", fragt Jack. Ich nicke.
"Okay, dann fahr ihn. Ich bleibe mit Suki hier, muss noch bis 18:00
hierbleiben und beim Abbauen helfen.", erklärt Meg.
"Ja, ich werde gleich wieder zurückkommen. Ich bring dann nur eben
Nathan nach Hause.", erklärt Jack.
"Ja, achja Nathan, hier ist noch ein Rest Kuchen. Nimm ihn mit und iss
ihn zu Hause.", meint Meg und drückt mir die Dose und meinen Rucksack
in die Hand.
"Danke."
Ich verabschiede mich noch von den Beiden und lasse mich von Jack
nach Hause bringen. Vor der Tür des Mehrfamilienhauses bleibt er stehen.
"Bist du sicher, das alles okay ist?", fragt Jack. "Du bist so still."
"Ja, alles gut, ich bin nur müde.", erkläre ich und steige aus.
"Danke fürs Fahren Jack."
"Keine Ursache, aber wenn was ist, sag bescheit.", höre ich Jack noch
sagen und dann ist sein Auto auch schon losgefahren. Ich schaue ihm
kurz hinterher und mache mich auf dem Weg nach Haus, hoch in meine
Wohnung. Sobald ich oben bin, ziehe ich meine Schuhe aus, lasse meine
Tasche fallen und gehe ins Bad um mich bettfertig zu machen. Ich habe
keine große Lust mehr heute noch irgendwas zu tun. Der Gedanke an
Bailey, an dieses erschrockene Gesicht, werd mich sicher so schnell nicht
mehr loslassen.
Frisch geduscht und in Schlafkleidung packe ich noch eben meine Tasche
für den Kindergarten und lege mich frühzeitig ins Bett. Aus irgendeinem
Grund bin ich hundemüde.Trotzdem hängen meine Gedanken noch lange
an Bailey. Draußen tobt mitlerweile das schlechte Wetter und der Regen
peitscht gegen meine Fenster. Ich frage mich was Bailey jetzt macht.
Ob er es auch warm und gemütlich hat? Ob es ihm jetzt überhaupt besser
geht und ob der Schreck vielleicht nicht mehr so tief sitzt wie vorhin noch.
Mir bleiben nur diese unbeantworteten Fragen, ehe ich irgendwann
einfachlafe.
*
Am nächsten Morgen wache ich mit einem übermüdeten Gähnen auf.
Ausmahmsweise habe ich mal überhaupt keine Lust auf Arbeit, aber ich
lasse mich nicht gehen und mache mich fertig. Schließlich habe ich es den
Kindern versprochen. Sie werden ganz traurig sein, wenn ich nicht da sein
werde. Ein solches Versprechen darf einfach nicht gebrochen werden,
beschließe ich.
Fertig angezogen gehe ich mit sammt meiner Sachen nach unten, wo meine
Mutter schon mit dem Frühstücksbrot auf mich wartet.
"Honey, du bist heute spät dran. Und du siehst so müde aus. Ist alles in
Ordung?", teilt sie mir mit einem besorgten Gesicht mit.
"Ja, ich weiß, hab ein bisschen verschlafen, aber ich schaffe es noch
rechtzeitig. Ja es geht mir gut, bin nur etwas müde.", beruhige ich sie.
"Okay, dann mach dich mal auf den Weg und viel Spaß."
So geschied es.
Ich steige die Treppen herab und gehe durch die große Tür zu den
Fahrradständern, die gleich um die Ecke am Haus unter einer
Überdachung stehen. Gut so. Bei dem Wetter, das gestern noch tobte,
wäre der Sattel jetzt plitschnass gewesen. Das bleibt mir aber verschont.
Zum Glück. Ich schließe das Zahlenschloss auf und schwinge mich auf mein
Rad um zum Kindergarten zu fahren. Wärend der Fahrt fängt es wieder an
zu regnen. Zum Glück ist es nur Niesel. Blödes Mistwetter.
Beim Kindergarten angekommen, schieße ich das Rad ab und laufe zu
meiner Gruppe. Auf dem Gang werde ich von einigen Kindern und Müttern
der anderen Gruppen begrüßt. Ich grüße freundlich zurück. Kaum das ich
die Tür zu meiner Gruppe öffne starren mich auch schon viele junge
Augenpaare an und kommen auf mich zu. Es sind für dieses Uhrzeit schon
erstaunlich viele Kinder da.
"Nathan! Da bist du ja.", ruft einer der Jungen.
"Na, sicher bin ich da. Der Superheld lässt euch doch nicht allein.", grinse
ich dem Kleinen entgegen. Gleich werde ich auch von Karin begrüßt.
"Hallo Nathan. Wie schön, das du da bist. Wie war es gestern beim Fest?"
"Hey, Karin. Oh es war tollt.", erzähle ich.
"Ein Fest?", fragt der kleine Malte und schaut mich interessiert an.
"Ja, ein Schulfest. Du kommst auch bald in die Schule.", erkläre ich.
"In die Schule?", fragt Laura.
"Ja. Da lernt man lesen und schreiben.", antwortet Karin. "Dann könnt ihr
irgendwann auch ganz viele Bücher lesen."
"Lesen? Kann ich dann Märchen lesen?"
"Und ich über Autos?"
"Ja, ihr könnt alles lesen, was ihr wollt.", verspreche ich.
"Oh toll. Na-tan ließt du heute wieder was vor?", fragt Lisa und schaut
mich mit ihren großen Kulleraugen an.
"Sicher, aber gleich gibt es erstmal Frühstück.", erkläre ich ihr und sie
macht sich freudig lachend auf den Weg zum Tisch, wo sich auch bereits
einige der anderen Kinder versammeln. Karin nickt und trommelt auch
noch den Rest der Kinder zusammen und es geht erstmal ans Frühstücken.
Später wird wieder vorgelesen. Danach geht es eine Stunde raus, zu den
anderen Kindern auf den direkt angrenzenden Spielplatz. Später basteln
wir Blumen mit den Bildern der Kinder in der Mitte und fedeln sie zu
einer Girlande auf. Die Bilder haben wir von den Eltern erhalten, die wir
darum gebeten haben, welche mitzubringen. Jeweils zwei Stück, damit
die Eltern auch jeweils eine Bastelei mitnehmen können.
"Woaaa...Das sieht aber toll aus. Bund.", staunen einige der Kinder.
"Kommt meine auch dran?", fragt Levge.
"Klar. Bist du schon fertig?", fragt Karin sanft. Levge schüttelt den Kopf
und zeigt ihr, ihre Blume. Karin zeigt ihr wie man schneidet. Ich sitze
zwischen einigen anderen Kindern und fedle mit ihnen die fertigen
Blumen auf.
"Richtig so?"
"Ja, wunderbar. Halt schön fest."
"Jahaaa...", das Mädchen nickt vergnügt.
"Und jetzt ein Knoten. Genau da.", Ich mache vor und das Mädchen
macht nach.
"Na-tan, klebst du mir das auf?", möchte Lisa wissen.Ich nicke und
nehme den Klebestift entgegen,um ihr Foto aufzukleben.
"So fertig. Sieht toll aus Lisa."
"Ja, und das ist für meine Mama.", ich läche nickend.
Der Tag vergeht und die Kinder werden langsam von ihren Eltern
wieder abgeholt. Karin lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück.
"Na das war heute wieder ein Tag. Aber sehr schön. Du hast dir auch
wieder viel Mühe gegeben Nathan."
"Ja, aber sind ja auch nur noch zwei Wochen. Dann bin ich mit dem
Praktikum durch. Da muss ich mir doch besonders viel Mühe geben."
"Ja, die Kinder werden dich vermissen. Komm doch mal wieder, wenn
du kannst.", meint sie.
"Klar, ich versuchs.", verspreche ich und mache mich dann auf den
Weg wieder nach Hause zu kommen. Im Vorbeigehen entdecke ich
Freak, der wieder seine kleine Schwester abholt. Ich begrüße ihn kurz
und gehe dann zu meinem Fahrrad, um es aufzuschließen. Zum Glück
regnet es nicht mehr und die Sonne scheint.
Schließlich radel ich los. Ich beschließe einen kleinen Umweg zu dem
Blumenladen zu machen, um nach Bailey zu sehen. Auch, wenn ich
heute keine Bandprobe habe. Das kostet mich zwar etwas mehr Zeit,
aber für Bailey nehme ich das gern in Kauf. Ich hoffe nur, das er
heute dort ist.
Es dauert gut eine halbe Stunde vom Kindergarten bis ich wieder
an meinem Versteck angekommen bin. Ich lucke hinter dem
Versteck hervor. Ich hoffe nur, das ich nicht zu auffällig bin und
siehe da. Dort ist er. Er bedient gerade eine ältere Frau, die ein
bedrücktes Gesicht macht und auf sein Gesicht zeigt. Für mich ist
es nicht gut erkennbar, worauf sie zeigt, denn die Seite auf die sie
zeigt, kann ich von hier gerade nicht sehen. Es dauert einen Moment,
bis sich sein Gesicht so dreht, das auch ich das große Pflaster auf
seiner Wange sehe. Dort wo sich der Wangenknochen befinden
müsste. Was zum Henker...
"Nathaaann.", ruft mich eine mir sehr bekannte Stimme, die mich
zusammenzucken lässt. Wiederlich. Eine Stimme, die ich am
liebsten nie wieder gehört hätte. Meine Exfreundin. Ich kann dieses
Weib nicht ausstehen.
"Was machst du hier? Wie schön, das man sich mal wieder sieht."
Was für eine zweifelhafte Ehre, denke ich.
"So, findest du. Also ich könnte auch darauf verzichten.", teile ich
ihr ehrlich mit. Sie verzieht ihr Gesicht zu einer entsetzten
Grimmasse. So nach dem Motto "Wie kannst du es wagen, so mit
mir zu reden.". Na bitte, sie ist doch keine Prinzessin oder so, eher
ne Obertussi. Kaum zu glauben, aber sie war wirklich mal ganz okay.
"Also, Nathan, sag bloß, du bist wegen der Sache immer noch
wütend."
"Nein, ich habe damit abgeschlossen. Ebenso wie mit dir. Also lass
mich jetzt in Ruhe, ich fahre jetzt nach Hause.", beschließe ich,
nur um ihr aus dem Weg zu gehen. Sie soll nicht merken was hier
vor sich geht. Das geht sie absolut null an. Auch wenn ich mich nur
schweren Herzens von meinem heimlichen Schwarm entziehen
kann. Aber es muss sein.
"Aber..."
"Bye."
Mit diesem letzen Wort schwinge ich mich auf mein Rad und fahre
los. Ich höre sie noch hinter mir her rufen. Allerdings ignoriere ich
sie gekonnt. Bye, Bye...
Ich habe gerade wirklich andere Sorgen, als dieses Weib.
Was mir aber gerade viel mehr mehr im Kopf schwirrt ist Baileys
Gesicht. Das Pflaster. Was ist nur geschehen von gestern auf heute?
Sicher ist gerade nur eines. Nämlich, dass ich das heute nicht mehr
erfahren werde. Zwar könnte ich später nochmal her fahren, aber
das wäre irgendwann sicher aufgefallen. Danke du blödes Weib.
Ich ärgere mich über diese Situartion. Verdammt noch mal. Das ist
doch alles verzwickt. Verzwickter geht es schon gar nicht mehr. Ob
es noch schlimmer werden kann? Das kann ich gerade nicht sagen.
Zu Hause angekommen schließe ich mein Fahrrad ab und steige die
Treppen zur Wohnung meiner Eltern hoch. Dort wartet mein Essen.
Heute aus der Microwelle. Wenn meine Mom Spätdienst hat, kocht
sie immer vor und stellt das Essen mit Namensschildchen, eins für
Dad und eins für mich, abgedeckt vor die Microwelle. Heute esse
ich allein, weil meine Eltern beide erst spät zu Hause sein werden.
Das macht mir gerade aber nichts. Im Gegenteil. So nachdenklich,
wie ich mich gerade verhalte, werden sie sich sicher sorgen machen.
Ich stelle mein Essen in die Microwelle und warte auf das piepen,
das mir signalisiert, das es fertig ist. Das dauert nur wenige Minuten.
Bald schon kann ich essen. Kartoffeln mit Senfeiern und Salat.
Lecker. Heute kann ich mir mal Zeit lassen und habe es nicht eilig.
Das soll ja auch wesentlich gesünder sein, als immer so in Eile zu
schlingen und dazu noch zur besseren Sättigung beitragen.
Schade nur, das ich das gar nicht richtig genießen kann. Es ginge
mir besser, wenn ich wüsste, was mit diesem Pflaster ist. Nur leider
muss ich mich gerade mit der momentanen Situartion abfinden.
Als ich schon längst wieder in meiner Wohnung bin, sitze ich
an meinem Schreibtisch vor dem Leptop, um einige Notitzen für
einen Schulbericht in Sätze zu fassen. Dafür werde ich nach dem
Praktikum benotet und geht in die Praxisnote ein. Das ist ziemlich
nervig, aber wenn man etwas wirklich will, gibt man sein Bestes.
Und ich möchte gern Erzieher werden, weil mir der Beruf sehr
großen Spaß macht. Aber davon mal ab. Was ich noch möchte,
nämlich Bailey, scheint mehr als nur komplziert zu sein.
Gerade nach diesem Tag möchte ich noch mehr über ihn erfahren.
Zitternt und ängstlich
"Nein!", kommt es bestimmt aus meinem Mund und genau so wie
ich es sage, so meine ich es auch. Doch meine Ex-Freundin lässt
nicht locker. Ich stehe mit ihr auf dem großen Platz, wo sie mich
abgefangen hat. Ich bin eigendlich gerade auf dem Weg zu meinen
Freunden in den Proberaum. Diesmal wollen wir uns nur so treffen.
Es ist Samstag und Jack hat beschlossen, trotz Kälte im Garten seiner
Eltern zu grillen. Der Proberaum ist direkt auf dem Grundstück seiner
Eltern.
Da ich auf dem Weg zum Proberaum eh immer am Blumenladen
vorbei muss, wollte ich gleich noch die Gelegenheit wahrnehmen
und noch mal nach Bailey sehen. Schließlich hat der Laden Samstag
immer bis 15:00 auf. Das passte gerade in meinen Zeitplan und es
fällt nicht so auf. Aber, wie sollte es anders sein, kommt mir diese
blöde Kuh dazwischen. Genau,ich kann sie immer noch nicht leiden,
oder vielmehr, nicht mehr! Spätestens seid dem sie so tussig
geworden ist.
"Ach komm schon Nathan, sei nicht so ein Spielverderber."
"Nein! Und jetzt lass mich in Ruhe!", entgegne ich genervt und
zerre mich von ihr los.
"Jetzt sei doch nicht so. Ein Abend mit mir auf der Feier. Danach
könnten wir...", sie schnappt sich wieder meinen Arm und drückt
ihre Brust dagegen. Wiederlich. Bin ich Freiwild oder was?
Wütend zerre ich meinen Arm wieder los und schubse sie dabei zur
Seite.
"Jetzt hör mal zu! Ich habe absolut null Bock mehr auf dich!
Kapier das und geh mir aus der Sonne!", rufe ich laut und mehr als
deutlich. Ich wette damit, dass es bestimmt der halbe Platz
mitbekommen hat, aber das ist mir gerade egal. Eher zufällig sehe
ich wie Bailey seinen Blick fast hektisch von mir abgewendet hat. Er
hat mich also gesehen und vielleicht hat er es sogar durch die offene
Ladentür gehört, wie ich rumgebrüllt habe. Das macht sicher keinen
guten Eindruck auf ihn, wo er doch so schreckhaft ist. Aber ich kann
doch nichts dafür. Dieses Weib regt mir einfach auf. Die hat es
immer noch nicht kapiert. Wie kann man nur so begriffsstutzig sein?
Danke auch.
Auf Baileys Blick erwiedere ich vorsichtshalber nichts. Diese Tussi
geht das Alles nichts an, aber wenn die mir jetzt jedes Mal auflauert,
wenn ich hier Bailey beobachte wird die Sache noch komplizierter,
als sie ohnehin schon ist. So werde ich keine Ruhe mehr haben. Das
wird irgendwann selbst dieses Weib mitkriegen. Also muss ich mein
Baileystalking für heute abbrechen und mache mich schleunigst
vom Akker. Ich nenne es einfach mal "Flucht". Aber meine
Ex wäre nicht meine Ex, wenn sie jetzt einfach nachgeben würde.
Sie muss unbedingt noch einen drauf setzten. Immer muss die
stressen. Immer dann, wenn ich das gar nicht gebrauchen kann.
Die behandelt mich wie erwähnt wie Freiwild. Jetzt gerade braucht
sie wen, der sie tröstet, weil ihr neuer Macker keinen Bock mehr auf
sie hat. Vermutlich ist sie dem auch fremdgegangen. Kann ich voll
nachvollziehen,das der da keine Lust drauf hat.
"Nathan! So kannst du mit mir nicht umspringen! Du weißt ganz
genau, das ich dich noch liebe!", ruft sie mir nach.
"Ich dich aber nicht, das solltest du langsam begriffen haben. Dein
Problem ist einfach, dass du unfähig bist ne richtige Beziehung zu
führen. Wenn du mich wirklich lieben würdest, hättest du nicht mit
den anderen Typen geschlafen. Beim ersten Mal habe ich dir noch
verziehen, aber danach war Sense. Das habe ich dir auch gesagt.Jetzt
brauchst nur einen den du ausleiern kannst, bis du was Neuses
gefunden hast. Aber das kannst du mal schön vergessen! Ich bin
nämlich nicht einer von diesen notgeilen Typen, die sowas nötig
haben.", sage ich ihr und mache mich entgültig vom Akker.
So schnell kann sie mir in ihren Stöckelschuhen nämlich nicht
folgen. Hallelulia. Allerdings ärgert es mich immer noch, das ich
mich nicht voll und ganz Bailey widmen konnte, weil das Weib mich
ja abgelenkt hat. Er hat mich zwar kurz angesehen, aber ich konnte
nicht erkennen, ob er noch ein Pflaster an der Wange hat, oder gar
eine neue Wunde? Ich hoffe nur, das es ihm gut geht.
"Nathan, da bist du ja, wo hast du so lange gesteckt?", fragt Meg.
"Ach meine Ex hat mir mal wieder aufgelauert. Die hat mich die
ganze Zeit vollgesülzt und sich an mir festgeklammert.", jammere ich.
Meg verzieht verstehent das Gesicht.
"Ohje. Die rennt dir immer noch nach?", fragt sie. Ich nicke dazu.
"Hast du das noch gar nicht mitbekommen Meg? Das macht sie doch
schon, seid er mit ihr schluss gemacht hat.", bemerkt Jack.
"Ja, immer dann, wenn sie mal wieder nen vorzeigbaren Typen
braucht, taucht sie bei ihm auf.", ergänzt Suki. "Da war doch sicher
wieder ne Party im Spiel oder?!"
Ich nice und Suki schüttelt den Kopf.
"Die hat doch einfach nur n Rad ab. Frag mich, was bei der abgeht."
"Ich wills gar nicht wissen.", antworte ich.
"Ich auch nicht. Aber lasst uns nicht über die nachdenken, sondern
feiern. Morgen schlafen wir dann erstmal richtig aus, dann ist die
Sache vielleicht längst vergessen.", schlägt Jack vor und meine
Freunde und ich stimmen zu. Jack ist heute mal nicht depremiert,
da ihm die Haare nicht zu berge stehen. Ein gutes Zeichen, dann wird
es wohl heute Sonne geben? Sicher, Jacks Haare lügen nicht, da bin
ich mir ziemlich sicher.
"Meine Eltern sind heute unterwegs und kommen erst morgen wieder.
Wir haben also das Haus für uns allein."
"Oh klasse. Sturmfrei ist immer gut.", freut sich Suki.
Ich nicke, auch wenn ich mich gerade nicht wirklich dafür begeistern
kann. Da bleibt mir eigendlich nur, das mich das ein bisschen von
dieser verzwickten Situartion ablenkt.
Meg, Suki und Jack scheinen auf jeden Fall eine Menge Spaß zu haben.
Jack wuselt irgendwann in die Küche und holt das Fleisch.
Meg und Suki schieben mich mit hinter ihm hinterher.
"So, kümmert ihr euch um den Kartoffelsalat und das
Kreuterbaguette? Ich denk schon mal den Tisch und schmeiß dann
den Grill an.", erzählt Jack. Meg und Suki nicken synchron, ich tue
dies verzögert, weil ich mit meinen Gedanken permanent abdrifte.
"Wird gemacht Chef.", kündigt Meg an.
"Sehr schön, freuen wir uns auf ein leckeres Essen.", teilt Jack mit.
"Juchuuu, Kartoffelsalat.", höre ich Suki.
Gesagt, getan. Alle machen sich an die Arbeit. Da werden vorgekochte
Kartoffeln geschnitten und souße hergestellt mit viel Majonese. Dazu
noch Gurken und Tomaten geschnitten, als kleine Snaks und natürlich
wird der Kartoffelsalat auch noch etwas mit Erbes und einigen
Tomaten gefüllt, damit es auch noch nach etwas Anderen schmeckt.
Bald duften dazu noch die Kreuterbaguettes, die ich in den Ofen
geschofen habe. In der Zwischenzeit stelle ich einen süßen Nachtisch
her. Himbeermaskapone. Lecker das Zeug. Das finden meine Freunde
offentsichtlich auch. Meg und Suki machen nämlich schon große
Augen.
"Nase weg! Das gibt es nach dem Essen.", erkläre ich und stelle den
Nachtisch in den Kühlschrank.
"Ja, schon gut.", jammert Suki und zieht eine lange Schnute.
"Hihi, Suki gedulde dich. Ich musste auch auf den Kuchen warten,
obwohl er so verlockend war.", harkt Meg ein. Doch da scheint das
schon fast vergessen zu sein. Suki lässt die Nase in die Luft ragen.
"Das riecht schon nach dem Fleisch.", stellt er fest. "Lecker. Schnell,
lasst uns den Salat ins Wohnzimmer stellen und dann lasst uns essen,
essen, essen!"
Ungeduldig hibbelt und hüpft er durch die Küche. Meg kichert und
stimmt dem zu.
Als wir nach draußen, in den Garten kommen, steht Jack tatsächlich
am Grill unter einer großen Plane in der Nähe, des Wohnzimmers.
Das ist mit einer Terassentür ausgestattet, die direkt in den Garten
führt. Drinnen ist der Tisch gedeckt. Draußen wäre es definitiv noch
zu kalt, doch zumindest die Sonne scheint. Jack packt gerade einige
Stücke Fleisch und Wurst auf einen großen Teller. Er sieht uns sofort
und lächelt uns entgegen.
"Ah, ihr kommt gerade rechtzeitig. Fleisch ist schon fertig."
"Sehr gut, Kartoffelsalat und Baguette auch.", teilt Meg ihm mit.
"Und die kleinen Snacks.", schiebt Suki hinterher und stellt die
Teller mit Gurken und Tomaten auf den Tisch im Wohnzimmer.
"Das sieht alles echt wunderbar aus.", meint Jack und drückt mir den
großen Teller in die Hand, damit ich ihn reinbringen kann.
"Langt zu. Ich habe noch genug da.", erzählt Jack und schon sitzt
Suki am gedeckten Tisch. Er schaut uns an und bedeutet uns, uns
hinzusetzten. Das tun wir auch, damit er ein bisschen ruhiger wird.
Jack lächelt wieder und ist amüsiert, ebenso wie Meg. Sogar mir
entlockt er ein Lächeln. Suki ist schon eine Nummer für sich.
So verläuft der Tag in seinen Bahnen und wir haben zusammen
noch sehr viel Spaß. Viel mehr, als ich erst erwartet habe.
Nach dem Essen wird die Küche wieder auf forderman gebracht
und gegen Abend kräuseln sich wieder Jacks lange, schwarze
Haare. Es wird doch nicht etwa regnen? Wir sitzen gerade auf dem
großen Sofa, essen alle die Himbeermaskapone, und schauen eine
der DVDs, die Jack aus seiner Wohnung mitgebracht hat. Es ist
irgendeine Komödie, die zum schreien komisch ist. Jedenfalls
lachen alle. Nur ich halte mich etwas zurück.
"Woow, die Himbeermaskapone is echt super. Die hast du echt
klasse hinbekommen.", strahlt Suki und die Anderen nicken dazu.
"Stimmt, die ist wirklich klasse.", meint Meg.
"Ja, aber davon mal ab. Sag mal Nathan, du bist heute so still.
Hat dich deine Ex so ark maltretiert?", bemerkt Jack, der trotz
seiner sich mehr und mehr kräuselnden Haare ausnahmsweise
mal nicht jammert. Vielleicht liegt das ja daran, dass er hier
praktisch zu Hause ist und ihn niemand außer uns sieht.
Ich nicke.
"Ja und nein. Ich möchte jetzt nicht über diese Tussi reden.",
und dabei bleibe ich auch.
So gegen null Uhr dreißig machen wir es uns auf den
aufpumpbaren Matratzen gemütlich, die Jack mit uns
aufgepumpt und bezogen hat. Wirklich gemütlich mit den
Decken und Kissen. Die bilden eine echte Kuschellandschaft.
Zwei Stück an der Zahl sind das. Eine große und eine Kleine. Jack
und ich teilen uns die Große, Suki hat seine eigene, weil er nachts
immer so wühlt und Meg schläft auf dem einzigen Bett im Zimmer.
Wir reden noch eine ganze Weile, bis Suki und Meg irgendwann
verstummen. Die Beiden schlafen meist immer sehr schnell ein,
wärend Jack und Ich oft noch lange wach liegen und quasseln.
Manchmal gehen wir auch noch mal runter, damit Jack eine
rauchen kann. Heute ist das nicht anders. Allerdings raucht er
selten bis nie. Er stubst mich an.
"Kommst du noch mal mit?", fragt er und antworte mit einem, "Ja."
Gemeinsam gehen wir dann runter auf die Terrasse. Zum Glück
war es gerade trocken. Also muss sich Jack auch nicht mehr über
sich kreuselnde Haare ärgern.
Nun stehen wir also auf der Therasse. Jack bläßt den Rauch
genüsslich in die Luft.
"Willst du mir jetzt sagen, was los ist?", fragt er. Er schaut mich
bei der Frage nicht an und ich ihn nicht. Beide stehen wir hier und
starren in die Nacht hinein.
"Musst nicht, wenn du nicht willst, aber...vielleicht hilft das ja. Ich
glaube jedenfalls nicht, dass, das nur mit deiner Ex zusammenhängt."
Ich lächle ertappt. Jack kennt mich schon ziemlich lange. Seid dem
Kindergarten. Irgendwie schafft er es immer wieder meine Gedanken,
oder Gefühle zu erraten, aber das schafft er manchmal sogar bei
Menschen, die er weniger gut kennt. Es ist wohl eine Gabe, die nur
sehr wenige Menschen haben. Soetwas wäre sicher auch ziemlich
praktisch bei Menschen wie Bailey, die sich Anderen total
verschließen. Aber auf so eine Gabe kann ich nun mal nicht
zurückgreifen. Ich muss das aus eigener Kraft schaffen.
"Merkt man das?", frage ich also.
"Klar. Du warst doch schon am Schulfest so seltsam. Was hast du
wirklich da gemacht?", will er wissen und zieht nochmal an seiner
Zigarette, ehe er sie auf dem Boden ausdrückt und aufhebt, um sie
einzustecken. Dann schaut er mich erst an.
"Ich hab da einen Jungen gesehen, den ich vom Sehen kenne.Bevor
wir zum Auftritt sind, ist der wie verrückt aus einer der Türen
gerannt. Er wirkte so hektisch und als wir ferig waren, bin ich
hinterher. Ich hab ihn gefunden und er lag im Cafe' in einem der
Räume auf dem Boden.", erzähle ich wahrheitsgemäß.
"Ach deswegen bist du noch mal raus. Und du kennst ihn vom
Sehen?", fragt er.
"Ja.", murmle ich.
"Und woher?"
"Vom Blumenladen, an dem ich immer vorbeikomme, wenn ich zur
Bandprobe gehe. Das erste Mal habe ihn am Valentinstag getroffen,
als ich die Blumen für meine Mutter besorgt habe. Seid dem geht er
mir nicht mehr aus dem Kopf. Er war so still und hat mich kaum
eines Blickes gewürdigt. Und als ich ihn dann dort in diesem Raum
habe liegen sehen...irgendwie hat mich das getroffen...also er
aufgewacht ist, war er total verstört, ist sofort weggelaufen."
Jack hört mir aufmerksam zu. Schließlich macht er ein
nachdenkliches Gesicht. Er grübelt. Das sehe ich ihm an.
"Hm, stimmt, das ist wirklich komisch. Vielleicht hat er ja ein
traumatisches Erlebnis hinter sich.", merkt er an. Ich bin mir
ziemlich sicher, das er auch meine Gefühle bemerkt hat, aber er sagt
nicht dazu. Das finde ich auch ganz gut und wenn ich darüber
nachdenke, könnte Jack tatsächlich recht haben. Aber was
ist nur geschehen? Ob das Pflaster an seiner Wange auch von einer
solchen Situartion stammt? Wie gerne wüsste ich es.
*
Eine Woche später erscheint Bailey nicht wie gewohnt zur Arbeit.
Mitlerweile ist es schon wieder Donnerstag und er ist weder Montag,
noch Mittwoch dort gewesen. Vielleicht hat er ja auch in einem der
hinteren Räume gearbeitet. Aber das erscheint mir unwahrscheinlich.
Bestimmt eine halbe Stunde habe ich dort gestanden und den Laden
beobachtet, ehe ich wieder losgemusst habe zur Bandprobe.
Mittlerweile denke ich wirklich darüber nach, ob ich nicht tatsächlich
einer von diesen bekloppten Stalkern bin, die wie versessen ihr Opfer
beobachten. Jedoch, bin ich noch nicht so verrückt ihn bis nach Hause
zu verfolgen. Nein. So krass war ich dann auch nicht drauf.
Ich komme mir aber trotzdem irgendwie so richtig bescheuert vor. Das
Alles nur,weil ich verliebt bin. Unrettbar verliebt. Unglaublich. Bei
meinen vorigen Beziehungen war ich glaube ich nie so drauf, nicht mal
Ansatzweise.
Das waren denke ich, allerdings auch andere Umstände. Das hat weniger
mit der Tatsache zu tun, das Bailey ein Kerl ist, sondern mehr mit diesem
seltsamen Verhalten, das er an den Tag legt. Ich denke nicht, das ich
ihm ganz einfach sagen kann, oder vielmehr darf, das ich mich in ihn
verliebt habe. Das könnte ihn vielleicht verschrecken. Wenn ich Pech
habe, versteht er das auch falsch. Vielleicht hält er mich dann gleich für
ein wildes Raubtier oder so. Das muss ich unbedingt vermeiden!
"Na-tan, bist du da?", unterbricht mich die kleine Lisa von meinen
Gedanken. Sie schaut mich von unten an und zieht mit ihren Händchen
an meiner Hose.
"Wir wollten doch ein Schloss bauen.", erinnert sie mich mit ihrer
kindlichen Stimme.
"Oh, klar, ich bin da. Du meinst ein Prinzessinnenschloss?", frage ich
sie, nachdem ich mich wieder auf ihre Augenhöhe gehockt habe. Lisas
Augen fangen an zu leuchten.
"Aujaaaa,...und, ich bin die Prinzessin und du der Prinz.", teilt sie mir
fröhlich mit. Gerade in diesem Moment kommt Karin und hockt sich
dazu.
"Ein Prinzessinnenschloss?", Lisas Blick huscht zu ihr.
"Jaaa...und wir sind dann Prinz und Prinzessin.", erklärt sie ihr. Karin
nickt. Sie schaut nachdenklich aus.
"Aber dann braucht ihr doch noch Kronen. Damit es noch echter wirkt.",
schlägt sie vor. Eine klasse Idee, wie ich festelle, denn Lisas Augen
leuchten noch mehr.
"Hoaa, eine Krone, Na-tan für die Prinzessin und den Prinz.", ich muss
lächeln. Sie ist doch einfach zu süß.
"Ja, sag mal haben wir denn noch gelbes Papier?", frage ich Karin.
"Ja haben wir und ich glaube wir haben auch noch Glitzer.", erzählt
sie mir und plötzlich tauchen noch weitere Kinder neben uns auf. Die
haben wohl mitbekommen, was wir vor haben. Kinder sind aber auch
zu neugierig. Gerade das macht sie so wunderbar und so frei.
"Ich möchte auch eine Krone.", erzählt Laura.
"Ich auch, ich auch.", plappern Malte und Ricardo, die bis eben noch
ein Bilderbuch über Autoas angesehen haben. Karin kichert vergnügt.
"Ich glaube es ist noch genug Papier da. Was haltet ihr davon, wenn
jeder eine Krone bastelt."
Das bringt bei den Kindern große Begeisterung zu tage. Alle hocken sich
an den großen Tisch und Karin und ich verteilen das Papier. Allerdings
reicht es nicht für jeden an gelben Papier. Die Kinder stört es nicht.
Jeder nimmt ein buntes Papierstück in der Lieblingsfarbe und bastelt
eine kleine Krone mit Glitzer. Zur Befestigung machen wir jeweils ein
Gummiband daran und schließlich laufen alle Kinder mit kleinen
Könchen durch den Raum der Häschengruppe.
Im Anschluss baue ich wie versprochen mit Lisa ihr
Prinzessinnenschloss aus Bauklötzen. Um sie noch glücklicher zu
machen spiele ich ihren Prinzen und Trage sie durch den Raum und
nehme gleichzeitig noch die Rolle des weißen Pferdes des Prinzen ein.
Wenn es die Kleine glücklich macht, warum auch nicht. Schließlich
hat man ja nicht alle Tage ein Pferd in Menschengestalt, das obendrein
noch ein Prinz und ein Held in einer Person ist. Na das nenne ich mal
multitasting.
Nachmittags liegen alle Kinderchen auf ihren Matrazen und machen
es sich erst mal bequem. Auch ich habe mich dazu gesellt.
Zwei der Kinder haben sich rechts und links an mich gekuschelt,
wärend Karin eine Geschichte, über Prinzessinnen und Drachen
vorließt. Morgen wird dann eine Geschichte über Autos drankommen,
so hat es sich einer der Jungs gewünscht. Zum Schluss sind dann alle
Kinder eingeschlafen und halten ihr Mittagsschläfchen.
Wieder so gegen 15 Uhr werden die Kinder wieder abgeholt und ich
bin langsam fertig mit meinem Dienst. Nächste Woche ost die letzte
Woche hier im Kindergarten. Dann geht es wieder in die Schule.
"So ich gehe dann mal, bis morgen."
"Ja, bis morgen Nathan.", verabschiedet sich Karin.
Mein Fahrrad steht wie immer draußen. Ich schließe es auf und
mache mich auf den Weg.
Beim Radeln durch die Allee tanke ich die Sonne, die heute schon den
ganzen Tag scheint. Angenehm wärmt sie mein Gesicht, das mit einer
leichten Briese des Windes umspielt wird. Ein herrlicher Tag. Schöner
könnte er nicht sein. Obwohl, doch könnte er. Wenn Bailey jetzt bei
mir wäre und glücklich lächeln würde, dann wäre dieser Tag perfekt.
Das, das aber so leicht nicht passieren wird, ist mir klar.
Eigendlich juckt es mir ja in den Fingern, heute nochmals einen
Umweg zum Blumenladen zu machen, aber ich verzichte darauf. Ich
muss ja nicht mehr Aufmerksamkeit erregen, als nötig.
*
Freitagabend bin ich wieder feiern. Diesmal mit Jack. Kurz nach der
Bandprobe haben wir uns getroffen und waren erst bei mir und haben
etwas Playstation gespielt. Abends gegen 21:00 sind wir dann
losgezogen.
In eine der Discos in der Stadt. Eine gute. Die spielen hier eine gute
Mischung aus Metal, Rock, und Punk. Jack und ich setzten uns auf
eins der großen Sofas. Wir reden über die Bandprobe, die heute super
war und ich erzähle ihm vom Kindergarten und den Krönchen, die wir
gestern gebastelt haben und auch von Bailey, der heute wieder nicht auf
der Arbeit erschienen ist.
"Du machst dir wirklich Sorgen nicht wahr?", fragt er.
"Ja, irgendwie schon. Ich weiß ja nicht, was mit ihm ist."
"Das ist sicher, weil die diese Situartion nicht aus dem Kopf kriegst
oder?"
Ich nicke. Wir lehnen uns beide zurück. Die Sofas hier sind wirklich
bequem. Wir reden noch eine ganze Weile und trinken Bier.
Irgnendwann schleppt Jack mich dann auf die Tanzfläche. Gerade
jetzt wird ein Lied gespielt zu dem er seine Langen Haare so wunderbar
in der Luft herrumwirbeln lassen kann. Headbangen. Wenn mans das
erste Mal macht,und vor allem zu viel, kann man ganz schön
Nackenschmerzen kriegen. Ich hatte das mal. Grausam das Erwachen
am nächsten Morgen. Ich weiß noch wie ich den ganzen Tag vor
Schmerzen gestönt habe. Andauernt habe ich mir den Nacken gehalten.
Sah zum Schreien komisch aus. Sogar Jack hat dabei gelacht, als er das
gesehen hat. Sonst ist er eher der ernstere Typ.
Gemeinsam rocken wir die Tanzfläche. Zu uns mischen sich noch ein
paar andere Typen und Mädels, die uns antanzen. Ich mache mit.
Wozu bin ich sonst in der Disco? Tanzen macht Spaß, auch mit den
Mädels und es ist ja immer nur für den Abend. Ich schlapp ja keine ab.
Das ist nicht so mein Ding. Ich wurde aber auch schon ein paar Mal
nach meiner Nummer grfragt, doch ich lehne jedes Mal ab. Vor allem,
seidich Bailey kenne.
Erst nachts verlassen wir die Disco wieder. Es dürfte so zwei Uhr
morgens sein. So kriegen wir noch den Nachtbus. Autofahren ist
nämlich nicht, wenn Jack was getrunken hat, was auch richtig so
ist. Wenn ein Unfall gebaut wird, bekommt er auf jeden Fall die
Schuld. Das kann man ja vermeiden, wenn man einfach nicht fährt.
Manche sind aber meist so doof und tuen es noch stockbesoffen.
"Das war eine Abend. Ich bin richtig ausgepowert.", erzählt Jack.
"Ja ich auch.", stimme ich ihm zu., "Und die frische Luft tut echt gut.",
füge ich aufatmend hinzu. Jack nickt. Er streckt sich einmal der Länge
nach in den Himmel, der jetzt voller Sterne ist. Romantisch, wenn man
es genau betrachtet. Ich mag diese Atmosphäre ja total. Die ist richtig
gemütlich. Schlechtes Wetter kann einem richtig auf die Laune fallen.
Zur Bushaltestelle ist es zum Glück nicht weit. Ich kann mir vorstellen,
das dieses alte Ding, in Holzoptik, extra nur gebaut wurde, für die
Gäste dieser Disco. Vielleicht irre ich mich da ja auch.
So wie wir es oft tuen, treten wir in die Holzhaltestelle ein, die von
außen nicht einsehbar ist. So sehen wir erst, als wir drinn sind, das
sich dort jemand mit angezogenen Beinen auf die breite Bank gesetzt
hat. Er hat die Arme um seinen Körper geschlungen und die Stirn auf
die Knie gelegt. Das sieht fast wie eine Schutzposition aus. Auf dem
Kopf sitzt eine Pudelmütze die keinen Bommel hat. Die genaue Farbe
kann ich nicht erkennen, denn die Laterne, die draußen brennt,
scheint nur schummrig hinein. Vielleicht ist es eine Mischung aus
blau, grau und weiß? Unwichtig. Viel mehr interessiert mich jetzt wer
das ist. Er gibt keinen Laut von sich und irgendwie kommt mir das
jetzt bekannt vor. Nein, das kann nicht sein.
"Hey, da ist ja jemand.", flüstert Jack. Ich nicke.
"Sieht aus, als würde er schlafen.", führt er fort.
"Ja.", flüstere ich und nehme ihn am Arm und zerre ihn mit nach
draußen ein Stück an die Seite. Dann flüstere ich ihm meine
Vermutung ins Ohr. Er schaut mich nachdenklich an.
"Meinst du? Vielleicht solltest du ihn mal ansprechen, damit du
sein Gesicht siehst.", schlägt er leise vor. Ich weiß erst nicht, ob
ich das wirklich tun soll. Was wenn er wieder so schreckhaft
reagiert? Egal. Ich muss es wagen, also beschließe ich wieder in die
Haltestelle hineinzu gehen. Der Mensch, der auf der Bank sitzt rühert
sich, sobald ich eintrete. Sicher hat er geschlafen und ich habe ihn
geweckt, aber..
Vorsichtig nähre ich mich ihm. Jack bleibt zur Sicherheit am
Eingang stehen, falls er wieder panisch wird. Mehr Menschen auf
einem Haufen könnten ihn noch mehr verschrecken.Wenn ein Mensch
so panisch wird, kann wer weiß was passieren. Besonders, wenn man
solche Angst vor anderen Menschen hat.
Ich setzte mich mit etwas Abstand neben ihn und gehe es ein wenig
an, wie bei den kleinen Kindern. Bei denen begebe ich mich immer
auf die gleiche Augenhöhe. Meine Größe könnte ihn wieder Angst
machen.
"Hey. Alles klar?", frage ich mit ruhiger Stimme. Keine Reaktion.
"Bailey?", spreche ich klar und deutlich. "Wenn du hier sitzen
bleibst und schläfst wirst du dich erkälten."
Ganz langsam rühert sich was. Die Mütze hebt sich langsam. Das
Gesicht, das langsam erkannbar wird, ist das, welches ich mir so
ersehnt habe. Es schaut verschlafen. Bailey scheint gar nicht zu
merken, was um ihn herum passiert. Dafür sehe ich noch etwas
ganz anderes. Etwas das mich schockiert. Nun ziert nicht mehr
nur ein großes Pflaster seine Wange, sondern auch ein blaues
Auge auf der linken Seite, das Gesicht. Es ist nicht übergroß, aber
doch deutlich zu sehen. Ist er deswegen nicht zur Arbeit
erschienen?
"Bailey? Bailey! Was ist passiert?", frage ich. Bailey aber macht
plötzlich ein entgeistertes Gesicht, das sich dann in Angst
umwandelt. Von der einen auf die andere Sekunde scheint er
hellwach zu sein. So wie auf diesem Fest. Wieder drückt er sich
erschrocken in die Ecke und geht eine Schutzposition ein.
"Du musst keine Angst haben. Ich tu dir nichts.", verspreche ich
sanft. Dabei bin ich sehr geduldig und lass ihm die Zeit sich zu
beruhigen. Sobald ich lauter werde, wird er sich noch mehr
verkriechen, oder gar wieder weglaufen. Ob es eine Art ist sich
"freizulaufen"?
Bailey verkrampft sich total, zittert wie Äspenlaub. Was ist nur
geschehen? Ich will es wissen! Nur nicht ungeduldig werden.
Meine Besorgnis steigert sich mit jeder Minute.
Langsam rücke ich noch ein Stück von ihm weg. Ich will ihm nicht
auf die Pelle rücken. Vielleicht ist ihm diese Nähe ja unangenehm,
obwohl ich schon Abstand halte. Jedoch rühert sich was, als ich
meine Nähe noch ein wenig reduziere. Der Kopf hebt sich wieder.
Da sind wieder diese Augen, die so angsterfüllt sind. Die
Verletzungen in seinem Gesicht. Er sieht so gebrochen aus, so
traurig, zutiefst verletzt. Wer kann einem Menschen nur sowas
antun?
Draußen klopft Jack an die Holzkante und streckt seinen Kopf
sehr vorsichtig am Balken vorbei in unsere Richtung. Sein Blick
berühert Baileys nicht im Geringsten. Er scheint zu spüren wie
er sich fühlt.
"Nathan, der Bus kommt gleich.", berichtet er mir mit ruhiger
Stimme und zieht den Kopf wieder zurück. Ich nicke. Dann wende
ich mich wieder Bailey zu. Ich gebe mir Mühe, das mein Blick dem
von ihm nicht streift.
"Bailey, so heißt du doch. Ich bin Nathan. Tut mir leid, das ich
dich neulich so erschreckt habe.Möchtest du heute zu mir
kommen? Hier wirst du dir eine Erkältung holen.", frage ich leise.
"Meine Wohnung hat nur ein Zimmer, aber ich verspreche dir,
dir nicht zu nahe zu kommen."
Zittrig schaut er auf. Er hat keine Handschuhe an. Seine Finger
scheinen durch das schummrige Licht fast blau gefroren.
"Komm mit, der Bus ist auch gleich da. Du scheinst sehr zu
frieren."
Er scheint sich auf die Lippen zu beißen. Dann aber nickt er
sehr langsam und unsicher. Ich atme erleichtet auf. Gerade
richtig, weil der Bus in dieser Minute anfährt.
Ich zeige mit dem Finger auf den Bus.
"Ich zahle deine Karte.", erzähle ich. Bailey nickt und kommt
mir hinterher, mit Abstand. Jack geht vorraus.
Ich bezahle Baileys und mein Ticket und wir steigen ein.
Nur kurz halte ich ihm das Ticket hin. Er nimmt es mir mit
zittriger Hand ab. Ich nicke dazu nur und setzte mich neben
Jack, auf einen Vierer in den leeren Bus. Bailey setzt sich mit
Abstand auf einen anderen Platz. Als Erstes muss ich es also
schaffen sein Vertrauen zu gewinnen, um den Abstand zu ihm
zu verringern zu können. Daher beschließe ich ihn erstmal
nicht zu berühren, Abstand zu halten und ihm nicht direkt in
die Augen zu sehen, damit er sich nicht bedrängt fühlt.
Das wird weiß Gott nicht einfach, aber da muss ich durch. Er
muss wirklich etwas Schlimmes erlebt haben,wenn er so
reagiert.
"Ich geh dann mal los. Ist ja nicht weit von hier.", erklärt Jack,
als er sich verabschiedet. Nur kurz geht sein Blick leicht in
Baileys Richtung, dann gen Himmel und schließlich zu mir.
"Schlaft schön .", mit diesen Worten geht er. Bailey schaut ihm
hinterher. Seine Gegenwart scheint ihm nicht ganz so viel Angst
zu machen. Jack hat wirklich so eine Gabe. Bei ihm hat man
immer so ein gutes, beborgenes Gefühl. Ist das auch bei Bailey
so? Wie gern würde ich diese Gabe haben.
"Komm mit. Wir müssen ein paar Treppen steigen.", erkläre ich.
Ich gehe einfach mal vor und hoffe, dass Bailey mir nachkommt.
An die Hand nehmen kann ich ihn ja nicht,weil ihn das wieder
verschrecken könnte.
Ich schließe die große Tür des Mehrfamilienhauses auf und lasse
den Jungen eintreten. Dann gehe ich vorraus die Treppen hoch.
"Komm mit."
Bailey folgt mir. Ich höre es an seinen Schritten, die sehr leise
sind. Es ist fast so, als tritt er gar nicht auf. Als wir dann oben
sind, schließe ich meine Wohnungstür auf und mache das Licht
an. Ich gehe herein und lasse Bailey an mir vorbei laufen. Dann
schließe ich die Tür hinter mir.
Ich ziehe Jacke und Schuhe aus, lege alles an seinen Platz. Erst
als ich mich aus dem Flur ins Wohn und Schlafzimmer begebe,
um meine Tasche abzulegen,tut Bailey es mir gleich. Ich sage ihm
aus Prinzip nicht, was er tun soll, um ihn nicht zu verschrecken.
Wenn er seine Schuhe nicht ausziehen mag, lasse ich ihn. Ich
muss ihm unbedingt zeigen, das ich ihm einen Weg zur Flucht
lasse.
"Möchtest du was essen oder trinken?", frage ich und schaue
ihn kurz an.
Er schüttelt den Kopf.
"Möchtest du duschen? Da kannst du dich etwas aufwärmen.Du
kannst die Tür von innen abschließen, wenn du willst. Ich würde
dir auch was zum Anziehen leihen.", erkläre ich.
Bailey steht leicht verkrampft dort. Er zerrt nervös an seinem
Kaputzenpulli. Nur sehr langsam gehe ich auf ihn zu. Sobald ich
nur einen Schritt zu nahe bin, geht er einen Schritt zurück, bis
ihm die Wand im Rücken steht. Als ich das bemerke, gehe ich
wieder ein Stück zurück.
"Entschuldige. Möchtest du? Oder willst du gleich schlafen
gehen?", frage ich mit ruhiger Stimme. Nicht zu hektisch. Ich
lasse ihm die Zeit mir zu antworten. Kurz bewegen sich seine
wohlgeformten Lippen. Sie bleiben wortlos, ehe sie noch einmal
ansetzen etwas zu sagen.
"Duschen...", flüstert er mehr, als das er spricht. Seine Stimme
klingt weich, etwas änstlich.
Ich nicke und gehe gleich an meinen Schrank. Ich hole ein
großes Badehandtuch und ein kleines Handtuch hervor.
Anschließend suche ich einen langärmlichen Schlafanzug.
Karriert zum knöpfen. Der wird ihm gut stehen, dafür aber
etwas zu lang sein. Ich strecke ihm die Sachen entgegen.
"Hier. Benutz einfach mein Duschzeug, ne zweite Zahnbürste
findest du im Schräckchen.",teile ich ihm mit und er nimmt es
zögerlich entgegen. Seine Hände zittern. Kurz spüre ich, wie
einer seiner Finger, den meinen streift. Schon diese zarte
Berührung jagt mir ein Kribbeln durch den Körper. Ich seufze
erstmal, als er im Badezimmer verschwindet.
Ich nutze die Zeit, um alles vorzubereiten.
Unter meinem Bett ist eine Kiste,mit weiterem Bettzeug, das ich
hervorzerre. Es steckt fest. Mit einem Ruck schlüpft es heraus.
Im nächsten Moment krame ich in einem anderen Bettkasten
und suche ein Laken herraus. Eines dieser kuschligen, weichen.
Alles zusammen trage ich zu meinem breiten Sofa. Ich lege das
Laken darüber und eine Decke und ein Kissen. Hier werde ich
es mir gemütlich machen, da ich beschlossen habe, Bailey mein
Bett zu überlassen. Gemeinsam darin zu schlafen erscheint mir
zu diesem Zeitpunkt noch undenkbar. Dabei würde er sich sicher
nur verkrampfen und nicht schlafen können, wenn er es
überhaupt diese Nacht schafft. Jetzt wo er nicht mal das Zimmer
abschließen kann.
Danach krame ich meine Schlafsachen herraus. Ausmahmsweise
schlafe ich heute mal im Schlafanzug.
Ich begebe mich in die Küche um noch etwas zu trinken. In dem
Moment, in dem ich die Wasserflasche in den Kühlschrank stelle,
höre ich die Badezimmertür. Ich stelle mich in den Rahmen der
Küchentür und sehe wie Bailey herrauskommt. Sein Blick weicht
meinem kurzerhand aus, als er meinem begegnet. Er hat mein
Schlafanzug angezogen und seine Sachen ordentlich
zusammengelegt in der Hand. Ich gehe etwas auf ihn zu und
bleibe mit Abstand vor ihm stehen.
"Da...bin ich...", murmelt er, wärend er leicht einen Schritt
zurückweicht. Seine Sachen presst er gegen seine Brust.
"Ja. Möchtest du schlafen? Du kannst mein Bett benutzen. Ich
schlafe auf dem Sofa."
Er wendet seinen Blick in die Richtung des Zimmers, wo das
große Bett steht.
"Du kannst dich schon mal ausbreiten, ich werde jetzt duschen
gehen. Bis gleich.", sage ich, hole meine Sachen und verschwinde
im Badezimmer. Ich ziehe mich aus, dusche, ziehe meinen
Schlafanzug an und putze die Zähne. Die zweite Zahnbürste, die
Bailey scheinbar benutzt hat, liegt meinem Zahnputzzeug. Ich
lächle und stecke sie in den Zahnputzbecher. Ich denke über
sein verstörtes Gesicht nach und über diese Ängstlichkeit. Dann
noch das Veilchen an seinem Auge. Ich mache mir wirlich Sorgen.
Ich hoffe nur, dass er diese Nacht ohne Angst übersteht. Ach was
rede ich da für ein wirres Zeug zusammen. Sicher wird er nicht
ohne Angst hier schlafen. Vor allem bei einem völlig Fremden.
Etwas sagt mir nämlich, das er nicht nur normale häusliche
Gewalt erlebt hat. Dieser Schmerz muss ziemlich tief sitzen.
Sehr tief.
Zum Schluss ruble ich mir noch die Haare ordentlich trocken
und bürste sie durch. Fertig. Leise öffne ich die Tür einen Spalt.
Ich trete aus und lösche überall das Licht. Im Wohn- und
Schlafzimmer, lasse ich es erstmal noch an. Dort sehe ich mich
um. Bailey liegt weder im Bett, noch auf dem Sofa. Ich gehe
einige Schritte weiter. Ich sehe, wie er neben dem Bett an der
Wand hockt. Er hat seine Beine angezogen und seine Arme
wieder darum gelegt. Der Kopf liegt wieder auf seinen Knien.
Seine Sachen liegen neben ihm. Er zittert.
"Bailey? Was ist los?", frage ich sanft. Ich nähere mich noch
einige Schritte, dann hocke ich mich zu ihm herunter, auf
seine Augenhöhe.
"Hey. Willst du nicht schlafen gehen? Du zitterst total. Leg
dich ruhig hin. In meinem Bett ist es viel gemütlicher als
auf dem Boden."
Ich versuche ihm das Bett schmackhaft zu machen. Aber
vielleicht liege ich mit meiner Vermutung richtig, und
gerade das Bett macht ihm Angst. Ich bin doch ein Trottel.
"Möchtest du lieber auf dem Sofa schlafen?"
Langsam hebt er den Kopf. Seine Augen sind leicht gerötet.
Hat er etwa geweint? Warum? Mach ich ihm denn so große
Angst? Das tut mir im Herzen weh.
Ich stehe auf und mache ihm den Weg frei.
"Such du aus, wo du hinwillst.", überlasse ich ihm die
Entscheidung. Ich beschließe mich auf einen Stuhl zu
setzten, damit er Abstand zu mir hat. Doch ich werde
aufgehalten. Plötzlich hält seine Hand mein Shirt fest.
Perplex drehe ich mich um. Er steht neben mir. Seine Hand
zittert. Ich lege den Kopf schief.
"Soll ich bei dir bleiben?", frage ich. Bailey gibt kein Wort,
nicht mal eine Geste von sich. Mit einem Mal geht er weiter
auf mich zu. Er scheint wie hypnotisiert. Sein Blick ist
nicht zu definieren. Vielleicht ist er mir gerade näher,als
ihm bewusst ist. Es ist fast so, als sei er in einer völlig
anderen Welt. Er stellt sich auf die Zehenspitzen und
versucht mich zu küssen. Mir ist aber klar, das er das nicht
aus freien Stücken versucht, sondern aus einem Impuls
heraus, der ihm scheinbar eingetrichtert wurde. Also doch.
"Nein! Bailey!", ich habe ihn an den Schultern gepackt und
ihn von mir gedrückt. Bailey kommt wieder zu sich.
Verspätet bemerkt er, das ich ihn ja festhalte und bekommt
wieder Panik. Schnell lasse ich ihn los und er hockt sich vor
meine Füße. Er kauert sich zusammen, zittert verängstigt.
Langsam hocke ich mich zu ihm herunter.
"Tut mir leid.", dann stehe ich auf und will zu meinem Sofa
gehen. Mit einem Mal spüre ich, wie sich Bailey von hinten
an mir festkrallt. Seine Stirn scheint sich an meinen Rücken
zu drücken. Wir bleiben eine Weile so stehen, bis ich der
Annahme bin, das sein Zittern etwas aufhört und er mich
wieder loslässt. Erst dann drehe ich vorsichtig um.
Sein Kopf hat sich wieder gen Boden gesenkt. Seine Hand
krallt sich wieder in meinem Shirt fest.
"Darf....ich bei dir...bleiben?", fragt er leise.
"Willst du das wirlich? Ist dir das nicht zu nahe?", er
schüttelt langsam den Kopf.
"Okay. Dann komm.", er nickt und löst sich von meinem
Shirt. Ich hole meine Decke und mein Kissen vom Sofa und
lege alles aufs Bett, ehe ich es mir dort bequem mache. Ich
lasse das Nachtlich an und knipse das große aus. Bailey
folgt mir langsam zum Bett und legt sich erst zögerlich neben
mich. Ich ziehe ihm vorsichtig seine Decke über die Schultern.
Das lässt er mit einem leichten Zittern über sich ergehen.
Dann kuschle ich mich in meine eigene Decke. Ich gebe acht
etwas Abstand zu halten. Das Bett ist zum Glück groß genug.
Jetzt liegen wir zum ersten Mal nebeneinander und schauen
uns an. So nah. Mein Herz klopft. Schnell wendet sich Baileys
Blick sich wieder leicht ab und er schließt die Augen. Ich tue
es ihm gleich und hoffe, dass er diese Nacht gut schlafen wird.
Keine leichte Angelegenheit
Der nächste Morgen ist stürmisch und regnerisch. Das Wasser
des Regens peitscht nahezu an die Fensterscheiben, meines
Zimmers. Toll, die hatte ich ja auch erst geputzt! Ich strecke
mich in meinem Bett der Länge nach und wage einen Blick zu
den Gadienen, die einen Spalt in der Mitte bilden, durch den
ich hindurchschauen kann. Die Aussicht eines Morgens mit so
einem Mistwetter macht mir nicht gerade Lust auf das
Aufstehen. Vielmehr ist mir danach jetzt einfach liegen zu
bleiben und weiter zu schlafen.
Ich gähne einmal ausgibig. Son Wetter raubt mir immer jede
Energie. Dann bin ich fast den ganzen Tag müde. Das ist fast
so, wie der Deutschunterricht in der Schule. Der ist auch so
ermüdent. Da ist die Arbeit doch wesentlich spannender.
Aber was tut man nicht alles für seinen Traumberuf. Na klar,
büffeln natürlich. Dazu kann ich nur seufzen. Doch...
irgendwas habe ich doch vergessen! Etwas Wichtiges.
Mein Blick wandert einmal auf die andere Seite des Bettes,
die unerwartet leer ist. Eigendlich ja so wie immer, seid der
Trennung von meiner Ex, aber heute sollte es eigendlich
anders sein. Bailey!
Ich schrecke hoch und springe fast atletisch vom Bett, um
mich in jeder Ecke des Zimmers umzusehen. Doch er bleibt
verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Ein Blick in
die Ecke, wo er gestern gehockt hat, zeigt mir, das seine
Kleidung noch dort liegt. Also müsste er noch in der
Wohnung sein. Er wird doch nicht ohne seine Kleidung
gehen...oder doch? Vielleicht hat er ja fluchtartig die
Wohung verlassen, weil er plötzlich doch Angst bekommen
hat. Der Gedanke macht mich irgendwie traurig.
Ich beschließe in die Küche zu gehen und mir erstmal einen
Tee zu machen. Im Flur fällt mir auf, das seine Schuhe noch
dort stehen.
"Hm..."
Noch einmal sehe ich mich um. Nichts zu sehen. Erst als ich
einen Blick in die Küche werfe, sehe ich Bailey. Er liegt auf
dem Boden. Zusammengekauert und schlafend. So wie vor
einigen Tagen in der Schule. Dieser Anblick tut irgendwie
weh.
Ich weiß nicht genau, ob er tatsächlich Angst bekommen hat,
oder nicht. Das Einzige, was ich tun kann, ist Vermutungen
anzustellen. Eventuell ist das auch nur wieder so eine
Kurzschlussreaktion wie gestern abend? Als er versucht hat
mich zu küssen. Wie hypnotisiert. Vielleicht wurde ihm
auch dieses Verhalten so eingetrichtert. Das er in der Küche
zu schlafen hat. Wie kann ein Mensch einem anderen nur so
etwas antun? Ein genauer Blick sagt mir, das er friert. Seine
Fingernägel sind ganz blau angelaufen. Kein Wunder. Der
Fliesenboden ist ja auch nicht gerade warm und gemütlich.
Ganz vorsichtig hocke ich mich wieder zu ihm herunter,
bemühe mich nicht zu hecktisch zu sein.
"Bailey? Hey, Bailey. Wach auf. Du erkältest dich.", sage ich
vorsichtig mit einer sanften Stimme.
Bailey rühert sich langsam und öffnet seine Augen. Er reibt
sie sich müde. Kurz schaut er zu mir hoch und schreckt auf.
Er drückt sich an den Küchenschrank.
"Wa...was hab ich getan? Bitte...bestraf mich nicht!", fleht
er mit diesen angsterfüllten Augen. Ich beiße die Zähne
zusammen und unterstehe mich ihn in den Arm zu nehmen,
um ihn zu beruhigen. Ich befürchte, das er dadurch noch
mehr Angst bekommen könnte. Sicher realisiert er gerad
nicht wo er ist. Hat vergessen, das er sich gestern noch an
mich geklammert hat, weil er bei mir bleiben wollte. Mein
Herz hat geklopft wie selten.
"Hey, Bailey, hab keine Angst.",sage ich ruhig. "Es ist alles
okay. Du bist bist bei mir, bei Nathan."
"Nathan?", flüstert er, wärend er mich immer noch etwas
ängstlich ansieht. Ich nicke und lächle leicht. Er legt eine
Hand an seinen Kopf. Langsam scheint seine Erinnerung
wieder zurückzukehren.
"Nathan! Tut mir leid...ich, ich hab das völlig vergessen."
Seine Stimme klingt unsicher, nervös.
"Du musst dich nicht entschuldigen. Komm erstmal wieder
hoch. Der Boden ist kalt und es ist gerade fünf Uhr Morgens.",
erinnere ich ihn.
"Kommst du wieder mit ins Bett? Draußen stürmt es, da ist
es im Bett gemütlicher.", meine ich und strecke mich
einmal ausgibig der Länge nach, nach oben, wärend ich
aufstehe. Die Idee mit dem Tee verwerfe ich erstmal. Dann
mache ich mich wieder auf den Weg in mein Bett. Das
erwartet mich schon sehnsüchtig. Ich schaue mich nicht
noch einmal nach Bailey um. Ich will ihm nicht die
falsche Stimmung rüberbringen. Schon gar nicht will ich
den Eindruck erwecken, ihn mit mir ins Bett zerren zu
wollen. Dann fast er vielleicht nie mehr Vertrauen in mich.
Ich lege mich also ins Bett und warte einfach auf ihn.
Mein Rücken ist der Zimmertür zugewant und ich tue so
als wäre ich wieder eingedöst.
Plötzlich spüre ich, wie sich die Matratze senkt. Es raschelt
kurz. Wie er ins Zimmer gekommen ist, war kaum zu hören.
Er muss wahrlich ein Meister in der Schleichkunst sein.
Und...da....
Etwas Warmes von hinten. Ein warmer Körper drückt sich
sanft an mich. Ich spüre den Kopf, wie er sich leicht
zwischen meine Schulerblätter drückt, wie sich zwei Hände
in meinem Shirt festkrallen. Ich atme einmal tief ein und
wieder aus. In mir bewegt sich ein Glücksgefühl. Er scheint
mir ein wenig zu vertrauen, aber ich muss mich beherrschen,
darf mich jetzt nicht plötzlich und unerwartet umdrehen. An
meinem Rücken ist ein leichtes Zittern zu spüren. Ob er
Angst hat? Das möchte ich nicht! Das will ich doch
verhindern! Ja, aber wie? Mit Kindern ist das irgendwie
leichter, aber er, er ist eine gepeinigte Seele, wie mir scheint.
Trotzdem hat Bailey etwas von einem Kind an sich. Ein Kind
das Angst hat. Was er braucht, ist kein Lover, sondern
jemand, der ihn beschützt, der ihm Halt gibt. Wie lange steht
mein Herz das noch durch? Wie lange kann ich meine
Gefühle noch beherrschen? Tief in mir spüre ich, wie ich
mich mit jedem Tag mehr in ihn verliebe. Das kommt mir
Alles so falsch vor. Vielleicht gerade weil er mir vorkommt
wie ein Kind das Schutz braucht?
"Hast du Angst?", frage ich leise. Kein Wort. Stattdessen
spüre ich wie sich sein Kopf nur weiter an mich drückt und
seine Hände sich noch fester an mir festkrallen.
Ich sage nichts mehr. Er herrscht Stille zwischen uns.
*
"Nathan, kommst du gleich mit basteln?", fragt Karin, die
gerade die kleine Laura auf dem Arm hat.
Ich drehe mich zu ihr um und nicke lächelnt.
"Ja gleich, ich lese nur noch diese Geschichte zu ende.",
erzähle ich. Karin nickt dazu.
"Ja mach das. Worüber ist denn die Geschichte?", fragt sie
interessiert.
"Über einen Igel und einen Hasen. Es geht um eine Wette.",
meldet sich der kleine Malte zu Wort.
"So, das hört sich interessant an.", strahlt Karin.
"Ja, das ist sie auch.", ich richte meinen Blick wieder zu den
Kindern, die vor mir sitzen und gerade gebannt zugehört
haben. Was meint ihr, warum der Igel das Wettrennen
gewonnen hat?", will ich wissen.
"Hier...ich weiß es.", meldet sich Lisa. "Der Igel war einfach
schlauer, weil ...er seine Frau dabei hatte.", erzählt sie.
"Ja, die Beiden haben den Hasen reingelegt.", merkt ein
anderes Kind an. "Sie haben sich abgewechelt."
"Sehr gut."
"Das habt ihr wirklich gut durchschaut.", stelle ich fest.
Die Kinder freuen sich und knuddeln mich erstmal ab.
"Jaaa...", ich lächle dazu.
"Und, wollen wir jetzt noch was basteln?", frage ich.
"Au jaaa.", jubeln die Kinderchen. Wir stehen gemeinsam
auf und begeben uns zum Tisch, wo Karin schon einiges
buntes Papier ausgebreitet hat. Dazu, alles was man so
zum basteln und malen braucht.
"So, ich habe mir überlegt, das wir heute einen Hasen
basteln. Das passt doch sehr gut zu der Geschichte, die
ihr heute gehört hat."
"Oh, ja, Hasen sind toll.", freut sich Robi.
Malte schaut weniger begeistert auf den Tisch. Ich gehe
und hocke mich zu ihm.
"Was ist denn los Malte?", er schaut mich an. Er scheint
kurz zu überlegen.
"Ich möchte lieber einen Igel basteln.", erzählt er mir.
Ich lächle.
"Das ist doch kein Problem. Dann bastelst du einen Igel."
Maltes Augen beginnen zu leuchten und schon fängt er
an hastig, begeistert zu nicken.
Der Rest des Tages verläuft relativ schnell. Die Kinder
nehmen mir das ständige Denken an Bailey. Sie lenken
mich wirklich hervorragend ab. Ich kann es kaum
erwarten ihn heute Nachmittag wieder zusehen. Er hat
heute Nachmittag frei bekommen. Das freut mich
wirklich.
Außerdem...Es ist Dienstag. Ich habe heute also keine
Bandprobe und es ist die letzte Woche im Kindergarten.
Das macht mich ein bisschen traurig, aber Bailey nimmt
mir das ein wenig. Auch wenn es noch lange dauern
wird, bis wir sowas wie eine "normle" Freundschaft
führen können. Er war bis Sonntag morgen bei mir,
dann habe ich ihn zum Bus gebracht. Es war sein
Wunsch allein zu fahren. Ich hätte ihn sonst auch
gebracht. Ein bisschen Sorgen machte ich mir schon.
Darum war ich so erleichtert, als er am Montag wieder
auf der Arbeit war und scheinbar keine neuen
Verletzungen hatte.
"Unglaublich, das schon deine letzte Woche angebrochen
ist.", bemerkt Karin. "Die Kinder werden sehr traurig sein,
wenn du nicht mehr da bist."
"Ja, das ist wirklich schade,aber so ist das halt einfach.
Jetzt muss ich erstmal wieder die Schulbank drücken."
Ich seufze einmal tief und suche meine Sachen zusammen.
Karin kichert belustig.
"Das schaffst du schon. Streng dich an ja?"
"Jab, das werde ich. Ich freu mich schon, wenn ich endlich
richtig in dem Beruf arbeiten kann. Das heißt, wenn ich
eine Stelle kriege.", überlege ich.
"Ja, aber mal bloß nicht den Teufel an die Wand. Zu so
etwas gehört natürlich auch immer Glück."
"Jab, also, ich werde dann mal losgehen.", verabschiede ich
mich.Karin lächelt und verabschiedet sich auch.
Ich schwinge mich so schnell es geht auf mein Fahrrad.
Mein Weg führt mich zum Laden, in dem Bailey arbeitet.
Wir haben uns für heute dort verabredet. Ich beeile mich,
damit er auch ja nicht zu lange warten muss.
Im Eiltempo radel ich den Weg entlang. Durch eine Allee,
schmale Straßen, Schleichwege. Bald kann ich ihn auch
schon sehen. Es dauert eine Weile bis er vom Boden
aufschaut und mich mit seinem Blick kontaktiert. Nur
kurz, dann senkt er ihn wieder. Neben ihm steht ein
Mädchen. Das ist unaufhörlich dabei ihn voll zu quatschen,
was ihm offentsichtlich unangenehm ist. Manche Menschen
haben wirklich keinen Anstand. Ich beginne zu überlegen.
Kenne ich es? Was will es von ihm? Moment! Ich seh das
Mädchen zwar nur von hinten, aber diese Pfennigabsätze
kenne ich doch! Eindeutig, diese blöde Kuh! Als sie bemerkt,
das Bailey kurz aufgeschaut und an ihr vorbei gesehen hat,
schaut sie sich zu mir um. Sicher konnte sie es nicht fassen,
das Bailey nicht sie angschaut hat, sondern wen anders.
Erst ist sie überrascht, dann aber lächelt sie und winkt mir
zu. Sicher hat sie damit gerechnet, dass ich an ihr
vorbeifahre, aber nein! Falsch gedacht! Ich bremse und
mache kurz vor den Beiden halt.
"Oh Nathan, wie schön dich mal wieder zu sehen. Sicher
hast du eben gedacht, wie schön es doch wäre, mal wieder
mit mir auszugehen, nachdem du mein letztes Angebot ja
einfach ausgeschlagen hast."
Ein:Nicht wirklich!, verkneife ich mir einfach mal.
"Aber ich muss dich enttäuschen. Dieser junge Mann hier
ist nämlich mein neuer Freund, nicht wahr?", stellt sie
ihm die Frage, die für sie eigendlich schon beantwortet ist
und setzt diesen Schlafzimmerblick auf, der ihn davon
überzeugen und mich eifersüchtig machen soll. Dieses
blöde Weib!, rege ich mich innerlich auf. Mit der Hand
schlägt sie ihr langes Haar hinter die Schulter und lächelt
erneut. Dann klemmt sie sich, unverschämt wie sie meistens
ist, an Baileys Arm. Scheiße! Kann sich diese blöde Kuh nicht
einmal zurücknehmen?
Mein Blick fällt zu Bailey. Der schaut mich hilfesuchend
an. Ich sehe wie sich sein Mund bewegt, aber kein Ton
herraus kommt. Wäre meine Ex ein Kerl, wäre es sicher
noch schlimmer. Nicht mal ich kann ihn einfach so
berühren. Das geht nur, wenn er von sich aus auf mich zu
kommt, sonst bekommt er Angst. Die hat er jetzt sicher
auch. Ich verziehe die Mundwinkel. Ein kurzer Tritt und
mein Fahrrad steht auf seinem Ständer.
"Du irrst dich.", sage ich. "Er ist nicht dein neuer Freund."
Teile ich ihr mit, doch sie zieht nur die Augenbraue hoch.
Sie fühlt sich wohl immer noch ziemlich sicher. Das tut sie
meistens. Sie versucht immer überlegen zu wirken und
übersieht dabei, das sie einfach nur verbittert und einsam
ist, weil es kein Kerl wirklich lange mit ihr aushält. So sehe
ich das. Allein, dass sie mir immer noch hinterherrennt,
obwohl ich ihr jedes Mal einen Korb gebe, sie sogar beleidige,
ist einfach nur lächerlich.
"Woher willst du das wissen? "
"Na ganz einfach, weil er zufällig MEINE Verabredung ist.
Also hör auf in deine kleine Traumwelt hinein zu
interpretieren! Du hast sicher schon gemerkt, das er nicht
gerade begeistert aussieht von deinen
Annäherungsversuchen.", mein Blick kontaktiert ihn
wieder. Er schaut mich ebenfalls an und sieht ein wenig
erleichtert aus. Wenn diese ganzen Umstände gerade nicht
wären, hätte ich ihn einfach von ihr losgerissen, aber das
wäre falsch. Stattdessen strecke ich meine Hand nach ihm
aus.
"Lass uns gehen, ich hab dir heute doch Pfandkuchen
versprochen.", erinnere ich ihn sanft. Seine Anspannung
und seine Angst, die ihn unbeweglich macht, scheint sich
zu lösen. Es dauert kurz, ehe er sich von ihr losreist und
auf mich zugelaufen kommt. Zaghaft nimmt er meine
Hand.
"Ja.", sagt er leise und ist ein wenig rot. Dabei schaut er
wieder zu Boden. Hoffentlich hat meine Ex, das jetzt nicht
gesehen. Dann könnte sie Verdacht schöpfen und ihm das
Leben noch viel schwerer machen.
"Super. Dann mal los.", der Blick meiner Ex entgleist.
Meit Fuß, löst den Fahrradständer wieder. Zusammen
gehen wir an ihr vorbei.
"Möchtest du lieber Zucker oder Apfelmus?", frage ich,
ohne weiter auf das Weibsbild hinter uns zu achten. Das
ärgert meine Ex natürlich. Sie hasst es ignoriert zu werden.
"Hey! Was fällt euch ein!?", brüllt sie interher. Hinter
uns höre ich ihre Stöckelschuhe.
So ein nerviges Geräusch.
Sie rennt uns hinterher. Nicht das auch noch!
Wieso habe ich mich überhaupt mal auf sie Eingelassen?
Tja, wie heißt es noch so schön? Hinterher ist man immer
schlauer. Wieso aber nicht schon vorher, das würde vieles
erleichtern. Dann würde man sich auf solche Weiber gar
nicht erst einlassen. Das könnte einem wirklich sehr viel
Ärger ersparen und manchmal vielleicht auch eine Menge
Kummer.
Da war zum Beispiel mal ein Mädchen, das mir vor einiger
Zeit seine Liebe gestanden hat, nachdem wir schon
auseinander waren. Meine Ex hat das über mehrere Ecken
mitgekriegt und das Mädchen doch gleich als eine Schlampe
abgestempelt, die ihr ihren Freund abspinstig machen will.
Hallo? Wir waren getrennt! Manchmal denke ich wirklich,
das dieses Weib unter Realitätsverlust leidet. Sonst würde
sie sich sowas gar nicht erst einbilden.
Jedenfalls hat sie dem Mädchen das Leben zur Hölle gemacht.
Das ging solange, bis es sogar die Schule verlassen hat, weil
es dem Druck nicht mehr standhielt. Meine Versuche meiner
Ex klar zu machen, was sie da für einen Bockmist veranstaltet
blieben ohne Erfolg. All meine Versuche dem Mädchen zu
helfen waren also für die Katz. Das Mädchen tat mir ziemlich
Leid. Das wünsche ich keinem. Es hat den Kontakt völlig
abgebrochen. Vermutlich aus Angst vor meiner Ex.
Ich hoffe nur, das Bailey nicht das gleiche Schicksal erleiden
muss. Deswegen muss ich unbedingt versuchen das zu
verhindern. Ich weiß nicht, ob er dem Stand halten könnte.
Wer weiß, was sie sich noch so ausdenkt.
Ich bleibe stehen und drehe mich um.
"Was uns einfällt? Was fällt dir ein!? Einfach so einen fremden
Jungen zu belästigen. Du erlaubst dir die Dreistigkeit ihn dir
einfach als Freund anzudichten, und merkst nicht mal, das er
da gar keinen Bock drauf hat!", erkläre ich ihr. Jedoch
will sie es einfach nicht verstehen. Ich befürchte fast, das sie
es nie verstehen wird. Sie hat ihr Herz nicht am rechten Fleck,
stelle ich langsam fest.
"Und was mich angeht. Verpiss dich! Verschwinde aus meinem
Leben und hör auf mir nachzu laufen! Ich will dich nicht, ich
kann dich nicht leiden! Die Sache hast du dir selbst
zuzuschreiben! Such dir n' anderen Dummen. Ach ja, und lass
die Finger von ihm! Das Gespräch ist beendet!", beschließe ich
und deute Bailey an, das wir weitergehen können. Er nickt und
es geht los. Meine Ex bleibt sprachlos zurück. Sicher brodelt
sie jetzt vor sich hin.
"Tut mir leid.", höre ich Bailey leise sagen.
Mein Blick geht zu ihm.
"Wieso entschuldigst du dich?"
"Na, weil ich dir Ärger gemacht habe.", er schaut beschämt zu
Boden. Nein! Das musst du doch nicht, es ist doch meine Schuld.
"Red keinen Unsinn, sie hat sich doch total daneben benommen,
nicht du. Und das ich n' Problem mit ihr habe, dafür kannst du
auch nichts.", erkläre ich. Bailey schaut immer noch nicht auf.
"Nathan?"
"Hm?", seine Hand, die nun an ihm herunterhängt, zittert leicht.
Sie ballt sich zusammen. Als müsste er sich überwinden und sich
die richtigen Worte suchen.
"Danke, das du mir eben geholfen hast. Ich hatte Angst.", gibt er
schüchtern zu. Das zu sagen ist ihm unangenehm.
Ja, ich weiß das, ich weiß sehr genau dass er Angst hattest. Ich
konnte es deutlich sehen.
"Das ist doch selbstverständlich. Außerdem weiß ich sehr genau,
was für eine blöde Kuh sie sein kann. Aber selbst, wenn es wer
anders gewesen wäre, hätte ich dir geholfen."
Diese Worte lassen ihn aufschauen und scheinen ihn ein wenig
zum Lächeln zu bringen. Dieses Lächeln ist wunderschschön,
auchwenn es nur zaghaft ist. Meine Gefühle spielen in diesem
Moment verückt. Ich muss mich beherrschen, ihn nicht in den
Arm zu nehmen. Das geht nur, wenn er es von sich aus tut. Und
auch nur dann, wenn er dabei weiß, was er tut. Ich möchte nicht,
das er wie hypnotisiert ist und praktisch alles tut, was man von
ihm verlangt. Er soll aus freien Stücken handeln. Er soll glücklich
sein.
"Und? Hast du dich schon entschieden?", frage ich.
Seine Augen sehen mich fragend an. Er blinzelt.
"Für was entschieden?"
"Na, ob du lieber Apfelmus oder Zucker möchtest?"
Sein Blick wirkt nachdenlich.
"Hmm, Apfelmus!"
Ich lächle.
"Ok, aber lass mir was übrig ja?"
"Klar.", verspricht er.
Vor dem Haus schließe ich mein Fahrrad ab und öffne die Haustür.
"Herreinspaziert."
Ich lasse Bailey vor mir eintreten und dann die Tür hinter uns
zufallen. Für die Treppen brauchen wir nicht lange. Gerade, als
wir an der Wohnung meiner Eltern vorbei wollen, öffnet meine
Mutter die Tür.
"Nathan.", ruft sie. "Kommst du gerade von der Arbeit?", fragt sie.
"Ja, es war wieder sehr schön.", antworte ich.
Meine Mutter lächelt.
"Wie schön. Ich werde jetzt zur Arbeit fahren, wenn du was essen
möchtest, in der Küche steht was."
"Oh, das ist lieb, aber ich werde gleich Pfandkuchen machen für
mich und Bailey. Vielleicht esse ich ja später noch was davon.",
erkläre ich ihr.
"Bailey? Was für ein schöner Name. Wo ist sie denn?", fragt sie.
Ich muss leise kichern.
"Es ist keine sie. Bailey, komm mal bitte her.", rufe ich ihm zu. Er
ist bereits eine Treppe weiter. Er schaut über das
Treppengeländer und eilt dann zu uns.
"Ja..."
Als er vor meiner Mutter steht, wird er erstmal gründlich
gemustert. Erst schaut sie kritisch, dann aber lächelt sie zufrieden.
"Hübsch bist du ja.", teilt sie ihm sogleich mit und lässt ihn rot
werden.
"Mom! Du machst ihn verlegen. Also Bailey, wenn ich vorstellen
darf. Das ist meine Mutter. Mom, das ist Bailey. Ein Freund von
mir."
Schüchtern und etwas aufgeregt spielt Bailey mit seinen Fingern
und knetet sie.
"F...freut mich sie kennenzulernen.", sagt er höflich.
"Mich freut es auch.", dann schaut sie auf ihre Uhr und
erschrieckt. "Oh weh, ich muss los. Macht's gut ihr Beiden. Bis
später Nathan.", verabschiedet sie sich noch und stürmt dann an
uns vorbei. Wie ein Wirbelwind. So muss es jedenfalls für Bailey
ausgesehen haben, denn er schaut ihr etwas irritiert hinterher.
"Nett, deine Mom.", flüstert er und schaut schüchtern zu Boden.
Irgendwie habe ich das Gefühl, das er etwas aufblüht. Er redet
schon viel mehr. Aber nur nicht übermütig werden. Das heißt
noch gar nichts. Ganz ruhig Nathan, du musst dich in Gedult
üben.
"Ja, das ist sie. Aber wollen wir nicht langsam hoch gehen? Ich
krieg bereits Hunger und du?"
"Oh...ja, stimmt, ich auch."
"Gut, lass uns hoch gehen.", Bailey folgt mir.
In der Wohnung angekommen ziehen wir unsere Schuhe aus und
legen unsere Sachen ab.
"Ich geh dann mal die Pfandkuchen machen, du kannst es dir
gern solange im Wohnzimmer gemütlich machen.", schlage ich
vor. Bailey schüttelt aber den Kopf.
"Nein, ich will bei dir bleiben.", sagt er fast panisch, beruhigt sich
dann aber schnell wieder. "Kann ich...dir denn nicht helfen?",
will er wissen. Ich lächle und nicke.
"Ok, wenn du magst,kannst du den Tisch decken. Teller und
Besteck sind auf der Schrankseite.
"Ja."
Gesagt, getan. Wärend ich den Teig anrühre und die Pfanne
erhitze, deckt er den Tisch. Er scheint Spaß daran zu haben.
Dann ist er fertig und steht plötzlich neben mir. Überrascht
zucke ich kurz.
"Hm?", so nah. Fast kann ich ihn schon spüren.Das ist ein
angenehmes Gefühl.
Gebannt schaut er in die Pfanne. Seine Augen machen den
Anschein, als würden sie leuchten. Ein ungewohnter Anblick.
"Möchtest du auch einen machen?"
"Darf ich?", fragt er schüchtern, aber offen, als wäre es soetwas
verwerfliches einen Pfandkuchen zu braten. Er wirkt gerade
ein bisschen wie ein Kind, das zum ersten Mal etwas aufblüht.
Das ist süß. Da frage ich mich doch gleich, wie er wohl ist,
wenn er so richtig aufblüht. Wenn er ganz er selbst ist.
"Klar."
"Okay."
Ich rücke ein Stückchen zur Seite und mache den Weg frei für
Bailey, der nun die Kelle in die Hand nimmt und den Teig in
die Pfanne gießt. Erst ist er noch etwas unbeholfen und der
Teig nimmt eine komische Form an. Er schaut etwas traurig.
"Oh nein.", kommt es aus seinem Mund.
"Was ist denn?"
"Meiner ist ganz zerlaufen.", ich lächle.
"Das macht doch nichts. Übung macht den Meister. Versuchs
noch einmal.", schlage ich ihm vor und Bailey nickt.
Er versucht es noch mal und diesmal gelingt es. Darüber
scheint er sich zu freuen. Die Freude springt zwar noch nicht
über, aber es ist ein kleiner Fortschritt. Ich beruhigt, wenn er
zumindest ein bisschen unbeschwert sein kann.
Beim Essen ist er wieder etwas ernster. Dabei bemerkte ich,
dass er kein großer Esser zu sein scheint. Gerade mal zwei
Pfandkuchen isst er. Ich schaffe drei, dann bin ich aber
papsatt. Der Apfelmus, den wir uns geteilt haben, ist fast
leer. War nur ein kleines Glas.
"Hat es geschmeckt?", frage ich noch und Bailey nickt. Sein
Blick ist bald wieder gen Boden gerichtet. Mir ist aufgefallen,
das er mich weder wärend des Bratens, noch wärend des
Essens angesehen hat. Stehts schaut er irgendwie an mir
vorbei, als meide er es absichtlich, das sich unsere Blicke
berühren. Jedoch dränge ich ihn zu nichts. Schließlich
kennt er mich ja noch nicht so lange.
Zum Schluss räumen wir noch auf und säubern das Geschirr.
Ich wasche ab und er trocknet ab und stellt alles, manchmal
mit nachfragen, an seinen Platz.
"Weißt du schon was du jetzt machen möchtest?", möchte
ich wissen.
"Ich weiß nicht. Ich bin irgendwie müde, ich glaub, ich gehe
langsam nach Hause.", meint er. Ich nicke. Eigendlich will
ich nicht, dass er geht. Meine Angst, das ihm dort wieder
etwas geschiet sitzt tief. Ich hoffe nur, dass er weiter
unbersehrt bleibt. Die Stelle an seiner Wange sieht schon
besser aus und es kamen wohl keine neuen Wunden hinzu.
Wie sehr doch die Fragen an mir nargen. Wie sehr ich doch
wissen möchte, was da bei ihm zu Hause abgeht. Vielleicht
liege ich mit meiner Vermutung aber auch falsch und es
kommt gar nicht direkt von zu Hause.
"Ok, ich bring dich noch zur Bushaltestelle.", erkläre ich.
Bailey sagt nichts weiter dazu. Er ist jetzt wieder so still
und das beunruhigt mich. Ich hoffe nur inständig, das
meine Besorgnis unbegründet ist.
*
Mein letzter Tag im Kindergarten. Schon den ganzen Tag
beschleicht mich so ein komisches Gefühl. Ich bin müde und
angespannt.
Jack war bereits Mittwoch der Meinung, das ich irgendwie
anders bin als sonst. Damit hatte er wohl recht. Auch die
anderen Bandmitglieder waren sichtlich besorgt. Auch als
ich sagte, das ihre Besorgnis unbegründet sei, merkte ich,
das sie mir das nicht ganz abnahmen.
Besonders Jack hatte an diesem Tag so etwas ansich. Fast
so, als hatte er eine dunkle Vorahnung.
Er wirkt auf viele irgendwie unheimlich. Das liegt wohl
daran, das er sich gern auf Friedhöfen aufhält. Er sagt
dazu, das er die Stille so gern mag. Vielleicht verleit ihm
das ja einfach dieses gewisse Etwas, das ganz wunderbar
zu seinem äußeren Erscheinungsbild passt. Seine ganze Art
hat etwas Besonderes. Dazu kommt, dass Jack sich mit
seinen Vorahnungen noch fast nie geirrt hat. Das macht mir
ein bisschen Angst.
Das überträgt sich auch auf die Kinder. Denn wärend ich in
meine Gedanken versunken bin, zupft etwas an meinem
Hosenbein.
Etwas überrascht schaue ich nach unten. Die kleine Lisa
macht ein besorgtes Gesicht.
"Na-tan?", kommt es aus ihrem kleinen Mund.
"Hm? Ja, was ist denn los?", frage ich und hocke mich zu
ihr herunter. Dabei gelange ich langsam wieder in die
Realität zurück.
"Na-tan sieht traurig aus.", erklärt sie. Kinder kann man
eben nicht so leicht hinters Licht führen, wenn sie einmal
bemerkt haben, das was nicht stimmt.
"Oh, ich habe nur über etwas nachgedacht.", antworte ich
wahrheitsgemäß, wenn auch etwas versteckt. Meine
Stimmung, soll sich schließlich nicht auf sie übertragen.
Lisa ist ein Kind, das sich noch nicht mit den Problemen
der Erwachsenen befassen sollte. Kind sein zu dürfen, ist
nict überall selbstverständlich.
"Über was hast du denn nachgedacht?", möchte sie
neugierig wissen. Ich lächle.
"Ich habe darüber nachgedacht, was wir als Nächstes
machen.", erkläre ich ihr. "Das Wetter ist schön. Wir
könnten Karin ja mal fragen ob wir nach draußen gehen."
Ihr Gesicht wirkt nun wieder fröhlich und schwer
begeistert von dieser Idee.
"Au jaaaa, und, und, dann möchte ich schaukeln und
rutschen und dann klettern.", freut sie sich. Ihr fröhliches
Gesicht zu sehen erleichtert mich ein wenig.
"Karin, was hälst du davon, wenn wir mit den Kindern
raus gehen.", frage ich sie. Sie empfindet es als eine
großartige Idee. Sie wendet sich an die Kinder.
"Also, ihr habt Nathan gehört, wer möchte raus?", fragt
sie. Alle heben die Hände und freuen sich.
"Juchuu, Karin, spielen wir dann fangen und Pferdchen?",
fragt eines der Mädchen.
"Aber sicher, aber erstmal müssen wir uns die Schuhe
anziehen. Dann können alle draußen toben.", erklärt sie
sanft. Das Mädchen nickt begeistert und auch die anderen
Kinder verstehen, was zu tun ist. Sie gehen zusammen in
die Minigardrobe, wo sie ihre Jacken und Schuhe anziehen.
Einige sind noch etwas unbeholfen, also helfe ich beim
Anziehen. Die kleine Lisa lernt gerade wie man sich die
Schuhe zubindet.
"Na-tan, wie gehte das?", möchte sie wissen. Ich gehe zu
ihr rüber und hocke mich wieder auf den Boden.
"Das ist ganz einfach. Wir machen das mit dem
Hasenohrentrick.", erzähle ich.
"Hasenohrentrick?", gespannt legt sie den Kopf schief.
"Ja, schau zu. Das ist das eine Ohr und das ist das andere
Ohr."
"Die sehen wirklich aus wie Hasenohren.", kichert sie.
"Genau und die binden wir nun zusammen."
Ich mache ihr die einfach Schritte vor und sie macht sie
noch einmal nach. Wie schön es doch ist, den Kleinen
etwas beizubringen.
"Das eine Ohr,...und das andere Ohr...zusammenbinden."
Ein strahlen ziert ihr kindliches Gesicht.
"Geschafft, geschafft.", vor lauter Freunde springt sie auf
und umarmt mich erstmal ganz fest. Ich kicher.
"Nicht so fest Lisa, hihi..."
"Wie schön, du hast ihr das Schuhebinden beigebracht.",
höre ich Karin.
"Ja, das ist toll.", erwähnt Lisa noch mal.
Draußen stürmen die Kinder erstmal zum Kindergarten
eigenen Spielplatz. Einige begnügen sich auf der Rutsche,
Andere auf der Schaukel und wieder Andere am
Klettergerüst, oder spielen fangen. Alle haben einen jeden
Menge Spaß. Die frsiche Luft tut sicher allen hier gut.
Bewegung an der frischen Luft hält auf jedenfall fitt und
die Kinderchen sind nachher etwas ausgepowert und
halten brav ihr Mittagsschläfchen. Die Meisten zumindest.
"Nathan, Nathan, kommst du mich anschupsen?", fragt
eines der Kinder.
"Klar, dann mal los.", ich folge dem Kind zur Schaukel und
schupse es an.
"Jaa, noch mehr.", ruft es vergnügt.
Etwa eine Stunde später gehen alle wieder rein. Zeit für das
Mittagessen. Aber das ist heute scheinbar nicht alles, was
es gibt. Karin tut jetzt gerade irgendwie geheimnisvoll.
Sobald alle gegessen haben gibt es noch eine Überraschung.
"So Nathan, da ja heute dein letzter Tag ist, haben wir was
vorbereitet.", Karin lächelt, die Kinder sind schon ganz
aufgeregt.
"Was vorbereitet?", frage ich nach.
"Jab.", sie geht kurz um die Ecke und holt ein Gerfäß und
stellt es auf den Tisch.
"Mach es auf, Nathan.", sagt eines der Kinder. Ich nicke.
"Immer mit der Ruhe."
Gespannt decke ich die Glocke auf und zu sehen ist ein
Kuchen.
"Oh, der sieht ja lecker aus. Ganz aus Schockolade.",
staune ich. "Womit haben ich das denn verdient?"
"Na weil du immer so lieb warst.", erklärt Malte.
"Ja, wir haben dich eeeeecht lieb.", meint Meike
"Oh, wie lieb von euch."
Die Überraschung ist wirklich gelungen.
"Als Dankeschön für deine Hilfe. Du hast den Kindern
sehr viel Freude bereitet. Das finden auch die anderen
Erzieher. Wir würden uns alle sehr freuen, wenn du uns
mal wieder besuchst, Nathan."
"Aber klar. Ich komme euch gern mal wieder besuchen.",
verspreche ich. Die Augen der Kinder strahlen. Es dauert
nich lange und schon bin ich belagert von Kindern. Von
denen werde ich geknuddelt und gekuschelt. Sie wollen
gar nicht mehr von mir lassen. Immer wieder kriege ich
zu hören wie sehr sie mich vermissen werden und wie
lieb sie mich haben. Das ist so schön. Traumhaft.
"Ja, das glaube ich euch, aber was haltet ihr denn davon,
wenn wir jetzt erstmal den Kuchen essen. Der schmeckt
bestimmt allen."
"Jaaaa..."
Der kleine Haufen der Kinder entfernt sich von mir, um
sich dann ungeduldig um den Kuchen zu stellen.
"Schneit ihn an.", meint eines der Mädchen.
Ich nicke und tue wie mir gesagt. Alle bekommen ein
Stückchen Kuchen und essen ihn glücklich.
Ich kann nur sagen, das er wirklich schockoladig
schmeckt, echt lecker.
Die Zeit vergesse ich dabei völlig, und die vergeht viel zu
schnell. Wie immer eigendlich. Alles was Spaß macht
ist schneller vorbei, als man es sich wünscht.
Es dauert eine ganze Weile bis ich die ganze Rasselband
verabschiedet habe, denn die will mich definitiv nicht
gehen lassen. Von jedem werde ich noch einmal
geknuddelt und geherzt.
"Machs gut Na-tan.", höre ich die kleine Lisa sagen, die
sich an meinem Bein festgeklammert hat. Ich hebe sie
noch einmal mit einem Lächeln hoch und verabschiede
mich.
"Machst gut Lisa. Ich werde dich auch vermissen.",
bestätige. Sie nickt und umarmt mich.
Schließlich ist es soweit und ich schwinge mich wieder
auf mein Fahrrad. Diesmal zum letzten Mal.
Ab Montag beginnt die Schule wieder.
Heute ist wieder Bandprobe. Ich muss aber unbedingt
nochmal bei Bailey vorbeischauen, nur um zu sehen, ob
Alles in Ordnung ist. Mein ungutes Gefühl beschleicht
mich nämlich nach wie vor. Das lässt mir einfach keine
Ruhe.
Wärend ich auf meinem Fahrrad sitze, betrachte ich ein
wenig die Natur. Sie verrät nichts. Keine verräterische,
graue Wolke am Himmel, die auf etwas hinweisen könnte.
Kein unangenehmer, rauer Wind. Es ist nachwie vor ein
sonniger Tag, der sehr angenehm ist. Die Strahlen der
Sonne wärmen meine Haut. Eigenlich ein perfekter Tag.
Vor dem Mehrfamilienhaus treffe ich Freak, der gerade
aus dem Haus kommt.
"Oh, hey Nathan!", ruft er mir zu.
"Freak. Was machst du denn hier?"
Ich bin überrascht. Es ist selten, das ich ihn einfach so
antreffe.
"Ach ich wollte eigendlich zu dir, aber da ist mir
eingefallen, das du ja gar nicht zu Hause bist.", erzählt
er verlegen und grinst.
"Zu mir?", er nickt.
"Jab, wollte dich fragen, ob wir nicht mal wieder einen
Trinken gehen? Hast du heute nach der Bandprobe zeit?"
Ich überlege kurz.
"Muss ich schauen, wenn, kommt Jack vielleicht noch mit."
Freak legt den Kopf schief.
"Jack? Ist das der mit den lange Haaren?"
"Ja genau der ist das."
"Okay. Dann sag mir bescheit, ob oder nicht, meine
Nummer hast du ja. Also ich muss dann weiter, bis später
vielleicht.", verabschiedet er sich und geht in Richtung
Parkplatz.
Ich betrete das Haus und mache mich fertig für die Probe,
sobald ich in meiner Wohnung angekommen bin.
Als es soweit ist gehe ich wieder los. Ich beeile mich, damit
ich noch bei Bailey vorbeischauen kann. Ich muss mich
einfach vergewissern.
Dieses Gefühl lässt mich einfach nicht los. Bin ich denn
schon verrückt? Scheinbar.
Meine Schritte sind zügig. Ich sehe mich kaum um. Den Weg
kenne ich schließlich in und auswenig. Alleine wenn ich
daran denke, das ich Bailey gleich schon wiedersehen kann,
verleit mir Flügel. Ich denke an dieses Lächeln, das er mir
am Dienstag gezeigt hat. Das hat mich so glücklich gemacht.
Er wirkte wenigstens etwas unbeschwerter.
Doch all diese Gedanken an das vorran gegangene Glück
verschwimmen, als von Bailey keine Spur zu sehen ist.
Ich laufe sogar zum Laden hin und frage die Frau, ob
Bailey heute frei hätte. Sie schüttelt aber den Kopf und teilt
mir mit, das er schon den ganzen Tag nicht erschienen ist.
Sie erzählt mir in der Aufregung auch, das er schon öffters
einfach so weggeblieben ist. Er käme dann immer mit
irgendwelchen Verletzungen zur Arbeit, oder ist wieder
extrem still. Er scheint immer so fadenscheinige Ausreden
zu haben wie, er sei gegen einen Schrank gelaufen oder so.
Dann hatte ich also recht. Es ist wirklich so wie ich bereits
vermutet habe. Das macht mir Sorgen.
Verzwickt.
*
"Hey Nathan, was ist denn heute los mit dir. Du bist ja total
neben der Spur.", bemerkt Meg. Auch Suki schaut etwas
entgeistert. Jacks Gesichtsausdruck verrät jedoch nichts
von seinen Gedanken.
"Also wirklich. Heute bringst du einfach keinen richtigen
Ton raus. Du verspielst dich ja andauernt.Jack sag doch
auch mal was zu deinem besten Freund.", meint sie halb
besorgt, halb verärgert. Jack schaut erst, als sei er völlig
unbeteiligt, dann aber legt er eine Hand auf meine Schulter.
Mit seinem Gesicht deutet er auf draußen. Das soll wohl so
viel heißen wie; "Komm doch mal mit nach draußen."
Suki und Meg schauen ins mit einem Schulterzucken
hinterher.
Ich hingegen begleite Jack nach draußen, wo sein Gesicht
sich leicht entspannt, aber auch eine gewisse Ernsthaftkeit
darin erkennbar ist.
"Also, schieß los. Ist wieder was mit Bailey?", scheint er
meine Gedanken zu lesen.
Ich nicke dazu und trete kurz auf der Stelle.
"Er war...heute nicht auf der Arbeit."
"Das ist doch nicht alles."
"Nein, die Frau in dem Laden sagte, dass das öffters
passiert und er dann mit Verletzungen zur Arbeit erscheint.
Er soll wojk immer irgendwelche Ausreden gebrauchen.
Dieses Typische. Das er gegen nen Schrank gerannt ist und
so."
Jack seufzt einmal tief. Auch er hat sich offenbar soetwas
gedacht.
"Hm, dann war die Verletung neulich also auch kein Zufall.",
stellt er fest. Ich balle die Fäuste zusammen. Wer tut ihm
das nur an? Wie kann man nur so gefühllos sein?
"Nein, das denke ich auch nicht. Es kam mir schon die ganze
Zeit so komisch vor. Aber es ergibt Alles einen Sinn. Sein
seltsames Verhalten und diese Verletzungen. Er senkt immer
den Blick, schaut an einem vorbei und ist so ängstlich, wenn
man nur einen Schritt zu viel auf ihn zu macht. Die Nacht,
wo er übernachtet hat, habe ich ihn in der Küche gefunden.
Er lag auf dem Boden."
"Das ist wirklich nicht normal. Vielleicht solltest du ihn
suchen gehen. Weißt du wo er wohnt? Hast du eine
Handynummer oder sowas?"
"Nein, er hat kein Handy soweit ich weiß und seine Adresse
kenne ich nicht. So lange kennen wir uns ja auch noch nicht."
Jack überlegt kurz. So wie er aussieht wohl sehr genau bis
ihm eine Geistesblitz kommt.
"Nathan, schau doch mal bei dir zu Hause nach. Wenn du
ihn nicht finden kannst, vielleicht findet er ja den Weg zu
dir?", schägt er vor.
"Wie kommst du denn jetzt darauf? Wieso sollte er?", Jack
legt mir einen Finger auf die Lippen. Er sieht äußerst
geheimnisvoll aus. So als wüsste er ganz genau bescheit.
"Das ist doch das Naheliegenste...", flüstert er und irgendwas
in mir bewegt mich dazu einfach loszulaufen. Völlig Kopflos.
Ich renne einfach, immer schneller. Ich achte nicht auf
andere Menschen, renne ein Paar fast um, aber auch das
Geschimpfe und Gemecker ist mir egal. Nicht mal eine
Entschuldigung bringe ich über die Lippen, sondern
renne einfach weiter.
Die Hausrür ist diesmal ganz einfach aufzudrücken, ohne
Schlüssel. Wie auf der Flucht renne ich die Treppen herauf
und bleibe wie erstarrt stehen. Da liegt doch tatsächlich
Bailey vor meiner Wohnungstür. Zusammengekauert und
zitternt. Seine Kleinung ist völlig unsortiert und an einigen
Stellen gerissen. Es ist klar was passiert ist.
Geschockt gehe ich auf die Knie, versuche Worte zu finden,
für das, was ich gerade fühle.
"Bailey? Bailey...bist du wach? Ich bin es...Nathan...", sage
ich sanft und nicht hektisch. Es ist so schwer jetzt gerade
die Fassung zu bewahren.
Baileys Kopf bewegt sich vorsichtig in meine Richtung. Ganz
langsam. Jetzt sehe ich sein tränenübersähtes Gesicht. Die
Angst steht ihm ins Gesicht geschrieben. Seine Lippen beben.
Das verletzt mich. Dieser Anblick schmerzt. Sobald er sich
aufrichtet sehe ich das sein Oberkörper nicht nur voller
blauer Flecke ist, sondern auch noch an einigen Stellen
alte Narben aufweist.
Auf den ersten Blick wirkt er fast wieder wie hypnotisiert,
dann aber wird sein Blick wieder klarer. Das Gesicht
verzerrt sich. Vielleicht ist ihm gerade erst klar geworden
was genau geschehen ist.
Plötzlich wirft er sich an mich und krallt sich an mir fest,
er weint, bitterlich. Vorsichtig nehme ich ihn in den Arm.
Ich versuche ihn zu beruhigen.
Mit einer Hand krame ich in meiner Hosentasche herum
und finde meinen Schlüssel. Ich strecke mich etwas und
schließe die Tür auf. Dann wage ich einen weiteren Schritt
und hebe ihn hoch, um ihn in meine Wohnung zu tragen.
Mit dem Fuß drücke ich die Tür zu und trage ihn dann
zu meinem Bett, wo ich ihn absetze.
Dann hocke ich mich vor ihn, um zu ihm aufzuschauen.
Ich nehme vorsichtig seine Hand.
"Was ist passiert?", frage ich. Bailey aber schüttelt nur
den Kopf. Er ist immer noch zittrig.
"Soll ich einen Arzt rufen?",frage ich, doch Bailey schüttelt
wieder den Kopf.
"Nein...kein Arzt...bitte lass mich einfach hier bleiben.",
fleht er. Aber das geht doch nicht so einfach. Er ist verletzt
und wer weiß, wie ihn die Person, die ihm das angetan hat,
noch anderswo zugerichtet hat. Der jenige wird sicher nicht
zimperlich vorgegangen sein. Das macht mir Sorgen.
Ich atme einmal tief durch.
"Ich hab eine Idee. Ich rufe Jack an und er bringt uns zu
seinem Onkel ins Krankenhaus, der ist Arzt. Du lässt dich
einmal gründlich von ihm untersuchen und dann kannst
du wieder zu mir kommen. Wenn du willst bleibe ich auch
die ganze Zeit bei dir. Ich mache mir nur Sorgen. Was ist,
wenn du eine schwerwiegende Verletzung davongetragen
hast?", versuche ich ihm klar zu machen. Bailey, ist scheint
immer noch Angst zu haben, nickt dann aber.
"Okay..., kannst du aufstehen? Möchtest du dich waschen?"
Frage ich. Wenn er zumindest richtig aufstehen kann, ist
es unten vielleicht nicht so extrem.
"Ja...", flüstert er und steht auf. Er ist noch etwas wackellig,
aber es geht. Das ist sicher noch der Schock.
"Ich leg dir frische Kleidung raus, und ruf Jack dann an.",
teile ich ihm mit und tue wie gesagt. Ich lege ihm alles ins
Badezimmer. Handtücher, Kleidung.
Bailey ist sehr still und geht ins Badezimmer, ich höre bald
die Dusche. Ich nutze die Gelegenheit und rufe Jack an. Da
ich meine ganzen Sachen im Proberaum gelassen habe,
muss ich ihn vom Haustelefon anrufen.
"Hey Jack, ich bin's...ja ich habe ihn gefunden, aber er sieht
ziemlich demoliert aus. Er duscht gerade...aber ich mache
mir sorgen...Ja, könntest du uns ins Krankenhaus fahren,
zu deinem Onkel, er müsste sich Bailey unbedingt mal
ansehen, nur um sicher zu gehen. Ok...dann bis gleich,
achja. Bringst du mir meine Sachen mit? Danke."
Ich lege auf.
Wenig später kommt Bailey frisch geduscht aus dem
Badezimmer mit meiner Kleidung. Das sieht schon ein
wenig besser aus, wenn auch nicht viel.
Ich teile ihm mit, das Jack gleich vorbeikommt, um uns
ins Krankenhaus zu bringen. Bailey sagt nichts dazu.
Und auch wenn er davon nicht begeistert ist, muss ich
einfach sicher gehen.
*
"Also, dann wünsch ich euch noch eine gute Nacht. Er hol
dich gut Bailey.", meint Jack, der uns nach dem Arztbesuch
wieder vor dem Haus absetzt. Zum Glück hatte sein Onkel
gerade einen Termin frei, so ging alles fast reibungslos.
Zum Glück konnte der Arzt keine neueren schlimmeren
Verletzungen feststellen. Vielleicht ist er noch im richtigen
Moment davongerannt, denn an den Innenseiten seiner
Oberschenkel waren blaue Flecken zu finden.
Der Arzt sagte, das seine Panikattacken, diese Angst vor
jeder menschlichen Berührung, auf jeden Fall auf einen
solchen Missbrauch hinweisen. Auch die ganzen, alten
Verletzungen waren nicht ohne, aber gut verheilt. Die
häusliche Gewalt war keinesfalls vom Tisch. Auch das
Zittern und die anfänliche Unbeholfenheit seiner Schritte
könnten mit dem Schock zusammenhängen. Fast die ganze
Zeit habe ich neben Bailey gesessen und ihn ein wenig
beruhigt. Mehrmals musste ich ihm bestätigen, das ihm
der Arzt nichts Böses will. Anders war es gar nicht möglich.
Die übervorsichtigen Berührungen des Artztes waren ihm
unangenehm. Ich konnte es an seinem Gesicht sehen. Ich
bin nur erleichtet, das es nicht noch schlimmer ist, als ich
es erst vermutet habe. Trotzdem verschrieb der Arzt ihm
erstmal etwas Ruhe. Er sollte sich von dem Schock erstmal
erholen. Auch für seine Arbeit bekam er fürs Erste einen
Atest. Die psychische Belastung sein schon ziemlich extrem.
Kaum ein Mensch hat mich je so schockiert. Aber da war ich
auch nicht so sehr verliebt. Erst jetzt weiß ich, wie
schmerzhaft es sein kann, einen geliebten Menschen so
leiden zu sehen.
"Nathan...d...darf ich heute Nacht...wieder neben dir
schlafen?", fragt er unsicher, als er im Schlafzeug aus dem
Badezimmer kommt. Er ist ganz rot ihm Gesicht. Ich sitze
in meinem Schlafklamotten auf dem Sofa und schaue etwas
Fern und blicke etwas über die Schulter, als ich ihn höre.
Ich lächle.
"Aber sicher. Wenn es dir nicht unangenehm ist.", versichere
ich ihm.Bailey schüttelt den Kopf und kommt noch etwas
tapsig auf mich zugelaufen. Unbeholfen lässt er sich neben
mir nieder. Der Grund? Er ist gestolpert. Nun schaut er rot
angelaufen zu mir auf und schaut im nächsten Moment
wieder weg und rutscht etwas von mir weg.
Scheiße! Wieso ist er nur so süß? Hör auf so süß zu sein!
Bitte! Es ist so schwer die Finger bei mir zu behalten!
"Hey, du musst keine Angst haben. Ich bin dir nicht böse."
Wieder dieses verängstigte Nicken. Wird es bald eine Nacht
geben in der er nicht wie hypnotiesiert in der Küche aufwacht?
Wird es bald einen Moment geben in dem er mich unbeschwert
anlächeln kann und mir in die Arme fällt, mich endlich
ansehen kann? Nicht so bald oder? Bailey...wie gern würde
ich...
Geschockt über mich selbst schüttle ich den Kopf. Wie kann
ich nur an sowas denken, wärend Bailey, panische Angst hat?
Kann ich es überhaupt verantworten, ihn bei mir schlafen
zu lassen? Kann ich mich weiter zurückhalten, wenn er sich
an mich schmiegt? Das geht doch nicht! Er ist wie ein Kind!
"Nathan...was, ist los? Bist du wirklich nicht sauer?", fragt er
unsicher.
"Hm? Nein, keine Angst, ich bin wirklich nicht sauer...", es ist
nur...das du so süß bist und dich mir praktisch wie auf dem
Servierteller präsentierst.
"Dann...Tu es doch einfach...", murmelt er, irgendwie aus dem
zusammenhang gerissen. Zumindest, was unser äußeres
Gespräch angeht. Hat er etwa meine Gedanken gelesen? Oder
ist das schon so bei ihm veranlagt? Oder liege ich mit der
Annahme falsch, das er mir hier praktisch seinen Körper
anbietet?
Also...Bitte was?
Geschockt sehe ich ihn an. Weiß er gerade wovon er spricht?
"Was meinst du?", versuche ich so zu tun, als wüsste ich nicht
wovon er spricht. Das ist natürlich eine Lüge.
"Du...willst es doch tun, oder?", er beißt sich auf die Unterlippe.
In welchen Teufelskreis bin ich denn da reingeraten?
"Hm? Wie kommst du darauf?", frage ich.
Ich will dir doch keine Angst machen! Verdammt! Was bin ich
eigendlich für ein Idiot!? Das wüsste ich nur zu gerne.
Er schüttelt nur den Kopf und kauert sich zusammen. Seine
Beine hält er fest umschlungen.
"Hey, Bailey...ich muss dir gestehen, ich mag dich wirklich sehr,
aber ich könnte so nicht mit dir schlafen...du hast Angst und
die möchte ich dir gerne nehmen. Wie könnte ich das tun, wenn
ich jetzt einfach mit dir schlafen würde?", stelle ich ihm die
Frage.
"Du...magst mich?", murmelt er leise.
"Ja ich mag dich. Ich mag dich sehr."
Was bedeuten diese Worte für ihn? Sind sie nicht in diesem
Moment viel zu leichtfertig von mir gesagt worden? Bin ich
zu schnell? Bestimmt...wie war das noch? Bailey braucht einen
Menschen, der ihn einfach nur beschützt und keinen Liebhaber!
Ich bin so dumm.
"Ich...ich mag dich auch...", sagt er fast flüsternt. Wieso sagt er
sowas nur? Weiß er, was er damit bei mir auslöst? Was reden
ich da,ich war doch der Erste der das gesagt hat.
Irrtiert schaue ich auf. Das Alles, hat so etwas Verbotenes.
Die ganze Stimmung gerade, diese Situartion, das Alles...
Zwei Lippen legen sich plötzlich auf meine. Sie sind so weich...
ich will so gerne nachgeben und diesen Menschen einfach nach
unten drücken und mit meinen Küssen übersehen, fast verliere
ich die Beherrschung und lasse mich einfach gehen,aber...Bailey!
Etwas erschrocken von mir selbst drücke ich ihn weg.
"Tut mir leid...das geht nicht! Du würdest es vielleicht bereuen.",
erkläre ich und will aufstehen, aber Bailey hält mich am Shirt
fest. Sein Gesicht ist schmerzlich verzerrt. Es ist fast so, als
würde er gleich wieder anfangen zu weinen.
"Geh nicht weg! Lass mich nicht allein! Wenn es die einzige
Möglichkeit ist, dass du bei mir bleibst, dann schlafe ich auch
mit dir. Solange du es bist...ist es mir egal, wie weh es tut.",
versucht er mir verzweifelt mitzuteilen. Seine Augen sind voller
Tränen. Sie teilen mir seine Angst mit. Ich schüttle den Kopf.
"Bailey, ich bleibe bei dir, aber...du musst nicht mit mir schlafen,
nur damit ich bei dir bleibe."
Ganz vorsichtig wische ich ihm die Tränen weg. Ganz langsam,
ertaste ich seine Schulter. Nach und nach komme ich ihm näher.
Ich beuge mich zu ihm herunter und ziehe ihn langsam in meine
Arme. Nur ein leichter Druck. Er muss das Gefühl haben, jederzeit
flüchten zu können. Doch wiedererwarten, drückt er sich an mich.
Er krallt sich fest.
"Ich heb dich jetzt hoch.", kündige ich ihm an. Ich warte kurz ein
Nicken ab. Er ist grad nicht in der Lage aus eigener Kraft zu
stehen. Daher trage ich ihn ins Bett und decke ihn zu. Dann lege
ich mich dazu und er kuschelt sich, wenn auch noch etwas
zitternt an mich.
"Hälst du...mich fest? Und gehst du wirklich nicht weg?", fragt er.
Ich nicke. Ich lächle.
"Natürlich...ich bleibe bei dir."
Ich lege vorsichtig einen Arm um ihn. Ich bleibe solange wach,
bis ich das Gefühl habe,das er einigermaßen beruhigt
eingeschlafen ist.
Zärtliche, traurige Lügen
Glück, was bedeutet dieses Wort? Wann ist man eigentlich glücklich und warum kann es so schnell zerbrechen? Wozu hat Gott uns dieses Gefühl geschenkt, wenn es einfach so…mit einem einzigen Schlag, nur durch einen unglücklichen Wink des Schicksals, einfach so zerstört werden kann?
*
Ich wache auf, als ich ein Glas oder ähnliches zerdeppern höre. Erschrocken sitze ich senkrecht im Bett und schaue auf die andere Seite, die wieder leer ist. So wie auch das letzte Mal, als Bailey in der Küche aufgewacht war. Sofort springe ich auf und laufe zur Küche. Da sitzt Bailey auf dem Boden, sich die Hände über den Kopf haltend, die dünnen Arme und Beine fest an sich gepresst. Sein Gesichtsausdruck ist panisch, mit Angst erfüllt. Sein Atem geht schwer. Vor ihm ein in Scherben zerdeppertes Glas, welches auf den Boden gefallen ist. Sicher ist es ihm ausversehen heruntergefallen und nun hat er Angst bestraft zu werden. Er sieht aus wie benebelt. Als ich in die Küche eintrete, schaut er mich erschrocken an, dann zur Seite, um den Blickkontakt zu meiden. Plötzlich zittert er heftig. Sein ganzer Körper scheint vor Angst zu beben.
Es ist so schwer sich zusammenzureißen, wenn man ihn am liebsten umarmen will, um ihn zu trösten. Aber ich weiß, dass es falsch ist. Also hocke ich mich vorsichtig ein Stück nach unten und lächle ihn an.
„Hey, Bailey, hab keine Angst, das ist nur ein Glas. Ist nicht schlimm.“, Bailey schaut nur ängstlich zur Seite und meidet den Blickkontakt. „Bleib bitte kurz da, ich möchte nicht, dass du in die Scherben trittst.“, ich stehe wieder auf, um in meine Hausschuhe zu schlüpfen. Schließlich will ich auch nicht in die Scherben treten. Ich überlege Bailey als erstes aus der Küche herauszutragen, aber so wie er im Moment aussieht glaube ich kaum, dass er eine für ihn plötzliche Berührung von mir ertragen kann. Die Situation ist ziemlich verzwickt. Wie lange kann das noch so weitergehen? Ich schätze nicht mehr lange. Sicher wäre es das Beste ihn zu einem Psychologen zu bringen. Jemand, der sich mit der menschlichen Psyche auskennt und ihn besser helfen kann als ich. Ich sollte mit Vernunft handeln. Doch ist das immer der beste Weg?
Wann wird Bailey in der Lage sein aus diesem Alptraum aufzuwachen? … so etwas banales wie ein zerbrochenes Glas als eine einfache Nichtigkeit abtuen zu können, ohne Angst zu haben, das ihm jemand etwas Böses will? Ich weiß es nicht. Bailey ist noch lange nicht über den Berg. So etwas dauert eine ganze Zeit. Der Arzt sagte auch, dass, wenn er nicht dementsprechend behandelt wird, wird er mit Sicherheit sein ganzes Leben damit zu kämpfen haben. Seine Verletzungen zeugen davon, dass, das Alles schon eine ganze Weile so gehen musste. Doch auf Fragen, bekam er keine Antwort.
Als ich seinen Körper beim Arzt das erste Mal so völlig entblößt sah, war ich zutiefst geschockt. Es war noch sehr viel schlimmer, als ich zunächst vermutete. Das übertraf einfach alles. Noch nie in meinem Leben habe ich so etwas gesehen, oder erlebt.
„Ich komme jetzt in die Küche und fege die Scherben auf.“, teile ich ihm mit, damit er sich nicht erschreckt, wenn ich plötzlich vor oder neben ihm Hocke. Sein Blick geht nach oben. Seine Augen wirken trübe. Seine, jetzt sehe ich es erst, blutig gebissenen Lippen bewegen sich, um etwas zu sagen. Erst bekommt er keinen Ton heraus, aber dann höre ich seine zitternde Stimme. „Nein…das mache ich…ich hab’s doch auch kaputt gemacht. Ich sammele die Scherben auf!“
Plötzlich bewegt sich sein Körper aus der zusammengekauerten Haltung. Nun kniet er. Seine zittrige Hand will nach einer Scherbe greifen und ehe ich mich versehe, sehe ich, wie er sein Gesicht schmerzhaft verzerrt und höre ein, „Au.“, „Bailey…schon gut, ich macht das.“, ganz langsam nehme ich ihm die Scherbe aus der Hand, riskiere ein leichtes Zucken seines Körpers und lege sie auf die Schaufel. Dann fege ich den Rest auf und werfe ihn in den Müll. Anschließend gehe ich an meinen Schrank und hole ein Pflaster hervor. „Bailey, bitte spüle deinen Finger etwas ab und tupf ihn dann vorsichtig trocken.“, ich gebe ihm ein frisches Tuch aus der Schublade. Bailey nickt nur und tut, was ich ihm sage. „U…und jetzt?“, fragt er leise. „Zeig mir bitte deinen verletzten Finger.“, ich versuche so ruhig wie möglich zu sein. Langsam streckt er mir den Finger entgegen. „Hm, zum Glück nur ein kleiner Schnitt. Ich mach dir ein Pflaster darauf. Ok?“, frage ich. Bailey nickt und lässt es geschehen. Trotzdem spüre ich, dass ihm selbst diese flüchtigen Berührungen gerade unangenehm sind.
Ich höre das Ticken meiner Uhr um im Wohn und Schlafzimmer. Draußen ist es noch dunkel. Es dürfte höchstens fünf Uhr morgens sein. Er wacht wirklich immer mitten in der Nacht auf. Ich frage mich wie das bei ihm zu Hause immer ist…
Deutschunterricht. So was Langweiliges. Wenn nicht Bailey ständig durch meine Gedanken kreisen würde, würde ich wohl einschlafen. Ich machte mir tierisch Sorgen um ihn. Nachdem er die Nacht noch bei mir geblieben war, bestand er darauf dringend nach Hause zu müssen. Er bat mich inständig darum ihn gehen zu lassen. Ich befürchte fast, dass er sonst einfach so verschwunden wäre. Doch was sollte ich tun, er war volljährig. Dennoch habe ich Angst, dass er aus Furcht vor der Bestrafung zu Hause, heim gelaufen ist. Das nagt an mir.
„Nathan, wissen sie, was ich gesagt habe?!“, höre ich den Lehrer sagen. Ich schaue auf und nicke. „Sie haben gesagt, dass wir in zwei Wochen einen Kurztest schreiben.“, gebe ich gelangweilt von mir. Der Lehrer schaut nur erstaunt und fährt mit dem Unterricht fort. Er redet davon, wie viel er von uns erwartet und das wir den Stoff später noch für die Abschlussprüfungen gebrauchen könnten und daher sehr gut aufpassen sollten. Diese Stunden gehen einfach nie vorbei. Das ist einfach nur ätzend. Insgesamt haben wir heute fünf Stunden, fünf lange Stunden. Ich ersehne mir nur das Ende des heutigen Schultages. Und da ist noch etwas worüber ich nachdenke.
Wie kann ich mich vergewissern, dass es Bailey gut geht, wenn er nicht mehr arbeitet? Er hat doch einen Attest und das bedeutet, dass er zu Hause bleiben soll. Wie kann er dem aber entfliehen, wenn er nicht arbeiten kann? Ich glaube, dass die Arbeit seine Zuflucht war, ein Weg um dem Terror und den Schmerzen von zu Hause zu entkommen. Das mürbt an mir. So komme ich doch nicht mehr an ihn heran. Das einzige was mir einfällt ist, das ich bei dem Blumenladen vorbeischauen könnte, um nach seiner Adresse zu fragen. Ich könnte Jack fragen mir zu helfen, falls die Blumenfrau sie nicht rausgeben möchte. Schließlich gibt nicht jeder Arbeitgeber einfach so eine Adresse preis. Wo kämen wir auch hin, wenn das so einfach wäre. Aber für eine gute Sache vielleicht? Ich will doch nur, dass er da rauskommt, dass er keine Angst mehr haben muss.
„Nathan, was ist denn los? Du bist in letzter Zeit so abwesend.“, teilt mir Meg mit. Ich habe mich in der großen Pause an der Straße mit ihr getroffen, weil ihr Schulgebäude gerade gegenüber ist. Ich zucke nur mit den Schultern und sie seufzt einmal tief. Sie lehnt sich zurück an die Mauer, an der wir stehen. „Jack weiß von allem, habe ich Recht?“, bei dieser Frage schaut sie zu mir hoch. Ich nicke. „Na kein Wunder, er ist ja auch dein bester Freund. Aber weißt du, wenn du mal reden willst, kannst du auch gerne zu mir kommen. Du weißt, du kannst mir alles sagen.“, ich nicke. “Ja das weiß ich Meg, danke.“, gebe ich lächelnd zurück. Meg nickt. „Und ich weiß, dass du es weißt, aber so wie ich dich kenne, wirst du es nicht in Anspruch nehmen, weil du mir keine Unannehmlichkeiten bereiten willst. Du bist einfach viel zu nett und zu rücksichtsvoll. Was auch immer du tust, pass auf, dass du dich selbst nicht zu Grunde richtest. Du weißt doch, alles Schöne kann so schnell vorbei sein.“, teilt sie mir wissend mit und bei ihrem letzten Satz schaue ich ihr kurz in die Augen. Ich weiß das und sie hat Recht. Ganz egal wie schön ein Moment auch ist, umso schnell kann er auch wieder zerstört werden. Es ist nur von kurzer Dauer. So ziemlich alles auf der Welt. Selbst das Leben. Gerade deshalb will ich nicht, dass dieser Mensch in diesem kurzen Leben, das wir alle ertragen müssen, noch mehr Leid erfahren muss. „Ja Meg, du hast ja Recht, aber es ist alles ok so weit. Bitte vertrau mir.“, erzähle ich ihr. Sie nickt mit einem Lächeln. „Das tue ich Nathan.“
Plötzlich höre ich ein Geräusch. Klackernde Pumps. Hundertprozentig sind es Pfennigabsätze. Ich kenne dieses Geräusch genau. Ich habe mir dieses Geräusch genau eingeprägt, weil ich die Person, zu der es gehört auf den Tod nicht ausstehen kann. Meine Ex. Selbst Meg steht mit ihr auf Kriegsfuß. Schon seit der Grundschule soweit ich mich erinnern kann. Sie konnten sich noch nie leiden. Mittlerweile weiß ich auch warum. Ich kann sie verstehen, aber das tut jetzt nichts zur Sache, was sie nun so plötzlich hier will, da sie auf eine andere Schule geht. Schon von weitem kann ich ihr aufdringliches Parfum und ihre Hochnäsigkeit riechen. Es ist einfach zum Kotzen! Meg rückt etwas näher an mich heran und flüstert mir zu.
„Was will die denn hier?“, fragt sie. „Wenn ich das wüsste, wäre ich schon längst nicht mehr hier.“, gebe ich ihr ruhig zur Antwort und ziehe eine Augenbraue nach oben. Sie nickt. „Sie ist einfach nur nervig. In letzter Zeit läuft sie dir wieder öfter nach oder?“, ich nicke, wärent dieses Weibsbild immer näher kommt. Gekonnt arrogant wirft sie ihr Haar hinter die Schulter. Das ist für üblich ihre billige Anmache für Typen, um sie in ihre Falle zu locken.
„Hey Nathan und…Meg.“, bei Megs Namen klingt sie ziemlich abfällig. Das gefällt mir gar nicht. Schließlich ist sie eine gute Freundin von mir. „Hallo, ich find es auch schön dich zu sehen.“, gibt Meg mehr als freundlich zur Antwort. „Was willst du?“, frage ich. Meine Ex wirft Meg nur einen abwertenden Blick zu und wendet sich dann wieder mir zu. „Was ist das denn für eine Frage? Ich habe dich eben gesehen und wollte nur mal hallo sagen. Das ist doch wohl kein Verbrechen.“, um ehrlich zu sein…doch! Das ist Folter! „Oh, „Hallo“, und jetzt mach ne Biege. Ich habe kein Interesse daran mich mit dir abzugeben, soweit du wissen solltest.“, doch meine Ex, wäre nicht mehr Ex, wenn sie einfach so klein bei geben würde. „Oh, dann interessiert es dich bestimmt auch nicht, was ich vor kurzem in der Nähe des Ostspielplatzes beobachtet habe.“, teilt sie mir fast geheimnisvoll mit. Ich verschränke dir Arme vor der Brust und mache ein desinteressiertes Gesicht. „Was soll denn dort so spannendes zu sehen gewesen sein?“, sie lächelt mich nur an. Meg schaut mich von der Seite an. „Hm, werde es dir sagen, für ein Date.“
Das war ja so was von klar. Was könnte sie so wichtiges gesehen haben? Am Ostspielplatz? Moment…“Nathan, lass dich von ihr nicht erpressen.“, flüstert mir Meg noch zu. Sie zieht ein wenig an meiner Hand. Fast wäre ich wieder von meinem Gedanken abgekommen. „Was ist nun?“, will meine Ex wissen. Ich schaue sie an. Ein Date wird wohl nicht so schlimm sein, und ich muss ja auch nicht ewig bleiben. „Ok, ein Date, nicht mehr!“, räume ich ihr klarmachend ein und bin dabei mehr als freundlich. Die Freundlichkeit ist natürlich nicht echt. Ich verachte sie aus tiefsten Herzen, das sollte sie doch wissen. Naja, wenn sie so dumm ist… und immerhin hat noch niemand so recht festgelegt, wie lange so ein Date zu dauern hat. Meg schaut erst ein wenig erschüttert, was meiner Ex natürlich gefällt, denn sie lässt ihr dummes, gefälliges Grinsen über sie hinweg schlittern. „Das sind ja plötzlich ganz andere Töne.“, erschallt es siegessicher aus ihrem Mund. „Was ist nun? Was hast du so Wichtiges gesehen?“, ich verschränke die Arme vor der Brust und wirke nach außen hin stabil und selbstbewusst. Doch innen in mir brodelt es. Ich habe da so einen unangenehmen Verdacht. Der Ostspielplatz ist genau in der Richtung, in die Bailey immer fährt. Von mir aus, ist das etwa eine knappe halbe Stunde und es könnte durchaus ziemlich weit hergeholt sein. Aber, was ist, wenn etwas an meinem Verdacht dran ist? Dieses nervige Weibsbild vor uns lächelt zufrieden und setzt an etwas zu sagen. „Ok, also, ich bin gestern dort mit dem Auto vorbeigefahren und sah diesen Jungen vom Blumenladen. Er hat sich mit einem Typen unterhalten. Der sah ziemlich mies aus, jedenfalls nicht nett. Der Typ musste so mitte zwanzig gewesen sein und schien total betrunken. Der Blumenjunge sah ziemlich eingeschüchtert aus.“, teilt sie und mit, als sei es nur eine Nichtigkeit, die man nur so aus dem Nähkästchen plaudert. „Und, was ist nun? Information, gehen Date. Freitagabend, zwanzig Uhr. An meinem Haus versteht sich.“, bestimmt sie, schlägt ihre Haare hinter die Schulter, gibt Meg noch einmal einen hochnäsigen Blick und mir ein zufriedenes Lächeln. Welch zweifelhafte Ehre. Ich höre nur noch das das nervige Stöckeln der Pfennigabsätze und wie sie mir noch etwas zuruft wie, „Und sei ja pünktlich!“, dazu sage ich nichts.
Wärend ich meiner Ex noch einen genervten Blick hinterher werfe und ihr am liebsten die Zunge rausgestreckt hätte, bemerke ich ein Ziehen an meinem Ärmel. „Nathan, wovon hat sie gesprochen, wen meint sie mit dem „Blumenjungen“?“, will Meg wissen. Ich schaue sie kurz an und seufze. Mein Blick senkt sich auf den Boden. „Meg, …ich…“, ich würde ihr so gern alles erzählen. Von Bailey, von meinen Gefühlen ihm gegenüber, von dieser verzwickten Lage, in der ich stecke, aber ich weiß nicht wie. Irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl bei der Sache. Reicht es nicht, dass Jack schon alles weiß? Ich muss doch nicht Meg noch mit der Sache behelligen. Egal was ich auch sage, es wird ihr Sorgen bereiten. Das will doch verhindern. Was kann ich also tun? Anlügen will ich sie schließlich auch nicht. Schließlich gehört Ehrlichkeit zu einer wahren Freundschaft dazu. Ich brauche eine Weile, bis ich so recht überlegt habe, bis ich plötzlich Megs Hand an meinem Arm bemerke. Sie streicht mir kurz darüber und schaut mich lächelnd an. Dann schüttelt sie kurz den Kopf, „Schon gut, du wirst deine Gründe haben, wenn du es mir nicht sagen möchtest…oder kannst. Aber, wenn es so weit ist. Dann sag mir bitte Bescheid.“, erklärt sie mir mit einem halb ernsten und halb enttäuschten Gesicht. Ich kann ihr an der Nasenspitze ansehen, wie sehr sie das bedrückt. Trotzdem bin ich ihr dankbar und nicke dazu. „Das werde ich.“, verspreche ich.
Wie gern würde ich jetzt einfach losrennen und die Schule schwänzen. Ich will zu Bailey, ich muss ihn suchen, aber, das geht nicht. Ich muss noch bis zum Ende der Schule warten. Nur noch einen Block, wie soll ich den nur überstehen? Ich mache mir schreckliche Sorgen, aber wenn ich jetzt einfach losrenne und plötzlich die Schule schwänze werden meine Eltern sich irgendwann auch noch Sorgen machen. Aber auch das wird irgendwann vielleicht nicht mehr möglich sein. Das ist mir bewusst.
„Bitte verteilt die Zettel und füllt sie aus. Ich werde sie am Ende des Unterrichts austeilen. Damit kann ich überprüfen was ihr euch schon gemerkt habt und woran wir noch arbeiten müssen. Ich werde Die Zettel bis Freitag bearbeiten. Seid sorgfältig.“, erklärt der Lehrer. So was Langweiliges. Ich habe grad echt anderes im Kopf, als die doofe Schule. Wenn ich wenigstens im Kindergarten arbeiten könnte, dann würde die Zeit schneller rum gehen. Aber ich kann nichts tun. Wenn ich die Schule und meinen Abschluss als Erzieher nicht schaffe, kann ich später nicht in diesem Beruf arbeiten. Dabei macht er mich so viel Spaß. Die Theorie ist allerdings nicht halb so spannend wie die Praxis. Dennoch muss ich bedenken, dass, wenn ich heute nicht in der Schule gewesen wäre, dann hätte ich jetzt nicht diesen Anhaltspunkt, um Bailey vielleicht zu finden. Ihm wieder helfen zu können und ihm vielleicht wieder einen Teil seiner Angst nehmen zu können. Das wünsche ich mir, …so sehr. Selbst wenn man mir vorwerfen würde total verrückt zu sein, würde mich das nicht im Geringsten stören. Ich fliege durch meine Gedanken und vergesse dabei völlig, dass ich diesen Zettel ausfüllen sollte. Der Lehrer ermahnt mich deswegen auch. Fast erschrecke ich.
„Wo bist du heute nur mit deinen Gedanken?“, bei Bailey. Nur bei ihm. „Bitte sei wieder aufmerksamer.“, bittet er mich. Ich nicke nur stumm. Auch die kurzen Blicke meiner Mitschüler um mich herum kümmern mich nicht. Ich entscheide mich lediglich den Zettel vor mir auszufüllen, damit ich nicht irgendwann vielleicht noch so ein Gespräch mit dem Schulpsychologen führen muss, warum ich plötzlich nicht mehr so gut mit arbeite. Ich seufze in mich hinein. Die Fragen sind eigentlich gar nicht so schwer, sie langweilen mich gerade nur. Nur nicht zu viel nachdenken Nathan und arbeiten. Das lenkt ab, rede ich mir ein.
Als es endlich zum Ende des heutigen Schultages gongt, beeile ich meine Sachen zu packen und wegzukommen. Ich mache mich sofort auf den Weg zum Ostspielplatz. Ich hoffe nur zu sehr ihn dort vielleicht irgendwo zu finden. Zumindest hoffe ich das inständig. Im Bus bin ich ganz zappelig und kann es kaum erwarten. Bitte lieber Gott, bitte mach, dass ich ihn finden kann! Als der Bus hält springe ich heraus und sehe mich sofort um. Ich laufe in Richtung des Spielplatzes um nach ihm Ausschau zu halten. Leider kann ich ihn nirgendwo finden. Ich sehe mich selbst in der Gegend um, doch es bringt nichts. Vielleicht habe ich auch einfach nur einen falschen Zeitpunkt ausgesucht. Ich muss immer wieder daran denken, wie meine Ex ihn beschrieben hatte. Er wirkte eingeschüchtert! Er hatte Angst! Und da war ein Betrunkener. Verdammt! Und heute ist wieder einer dieser trügerischen Tage, an denen die Sonne strahlt, als sei alles in Ordnung. Nichts erinnert an eine betrübte Stimmung, oder Angst.
„Nathan, was meinst du? Sollen wir an diesem Kleinauftritt teilnehmen? Die veranstalten da eine kleine Feier und suchen noch Bands, die für Musik sorgen.“, schlägt Meg vor. Sie hält mir einen von diesen Flyern vor die Nase. Ein Auftritt hier in der Gegend. Das wäre sicher super für unsere Band. Letztes Mal war das Publikum auch begeistert. Meg und Suki hätten sicher riesigen Spaß daran, und Jack, der gerade den Himmel betrachtet, würde so oder so mitmachen, egal wo. Hauptsache wir machen Musik mit unserer Band. Auch mir würde es Freude bereiten. Vielleicht ist das auch eine Gelegenheit wieder weniger Trübsal zu blasen und mal wieder so richtig Spaß zu haben. Ja das wäre es sicher. Eine gute Abwechslung. „Okay, dann machen wir das. Wann ist das denn?“, beantworte ich ihre Frage.“, Suki hüpft dazu und beantwortet meine Frage. „Das wäre nächstes Wochenende. Bis dahin müssten wir noch einen weiteren Song haben. Jeder darf zwei bis drei Songs vortragen.“, „Das ist cool. Wir könnten ja den letzten Song zu Ende schreiben und dann noch den vom letzten Auftritt verwenden.“, überlege ich. Meg nickt. „Du meinst…“Black Rose“, Ja genau den.“, “Okay, wird gemacht.“, stimmt sie zu. Und schon holt sie auch schon die Noten, den Text und einen Stift und macht sich mit Suki gleich an die Arbeit. Zusammen haben sie schon einige unserer Songs so geschrieben. Es macht immer Spaß ihnen dabei zuzusehen, wie sie sich praktisch um jede zweite Zeile prügeln und es zusammen austüfteln. Suki beherrscht neben bei noch das Keyboard und diverse andere Instrumente. Mit dem Keyboard probiert er immer Melodien aus. Meg bessert aus.
„Ne Suki, so passt das nicht, versuch bitte noch mal das hier.“, sie hält ihm ein das Blatt Papier vor die Nase. Suki schaut es sich an und tut brav, was sie will. „Ok, aber wie wäre es, wenn wir hier den Refrain einsetzen?“, frag er. Meg nickt. „Ja so könnte es passen.“.
Ich setze mich neben Jack auf die Terrasse und probiere ein wenig mit meiner Gitarre rum. Irgendwie muss ich mich doch ablenken. Nicht zu sehr an Bailey denken, der schon wieder durch meine Gedanken schweift. Steht’s ist er anwesend. Jack streckt sich der Länge nach und gibt ein leichtes Gähnen von sich. „Du denkst einfach viel zu viel nach.“, höre ich ihn plötzlich sagen. Bis eben war er noch stumm. „Hehe, du liest wirklich meine Gedanken. Das ist ja fast unheimlich.“, antworte ich.“, Jack nickt. „Eigentlich ist es nur meine Intuition. Ich kenne dich einfach gut, das ist alles.“, er ist immer so bescheiden. Manchmal denke ich, das er in seinem früheren Leben mal ein Heiliger oder so gewesen sein muss. Ich kenne keinen Menschen, der sich so gut in seine Mitmenschen hineinversetzten kann und ihnen ihre Gefühle so gut aufzeigen kann wie er. Er hat ein Händchen dafür genau das Richtige, im richtigen Moment zu sagen. Dafür zu sorgen, dass man sich in seiner Nähe wohlfühlt. „Meinst du? Ich glaube manchmal wirklich du bist ein Gedankenleser.“, „Vielleicht ist da was Wahres dran, wer weiß, wer weiß. Aber sag mal. Du machst mir nicht den Eindruck, dass es dir besonders gut geht. Irgendwas ist doch los. Es geht sicher wieder um Bailey oder?“, meint Jack. Ich nicke. „Du hast ihn seid neulich nicht mehr gesehen oder?“, ich nicke. „Genau und ich mache mir schreckliche Sorgen. Da er krankgeschrieben ist, kann ich ihn nicht erreichen. Er ist ja nicht im Laden, er hat kein Handy und seine Adresse kenne ich auch nicht. Er schweigt darüber.“, Jack scheint zu grübeln, denn er macht ein nachdenkliches Gesicht. „Hm…vielleicht hättest du von Anfang an hartnäckiger sein müssen. Sicher willst du ihm helfen und ihn nicht verunsichern, aber es ist doch zu seinem Wohl oder? Wenn du zumindest seine Adresse wüsstest, könntest du zu minderst mal nachsehen was los ist.“, „Und wie soll ich das machen? Selbst wenn ich die hätte…Da kennt mich doch niemand. Das käme denen vielleicht spanisch vor.“, Jack klopft mir auf die Schulter, „Na du könntest dir irgend einen blöden Vorwand ausdenken. Ansonsten könntest du zu Orten gehen, an denen ihr euch zusammen aufgehalten habt. Menschen wie Bailey kehren doch oft an solche Orte zurück. Hat letztes Mal doch geklappt oder?“, Jacks Worte stecken mir noch jetzt im Kopf. Das könnte sogar stimmen. Er hat ja Recht. Aber so viele Orte gibt es doch nicht. Da ist der Blumenladen. Die Schule. Die Bushaltestelle, und meine Wohnung. Das letzte Mal habe ich ihn vor meiner Wohnung gefunden. Aber bis jetzt ist er noch nicht wieder aufgetaucht und das bereitet mir sorgen. „Aber Nathan, du hast mir sicher noch nicht alles gesagt.“, es trifft mich jedes Mal wie ein Schlag ins Genick. Er hat eine verdammt gute Spürnase. „Ja, ich habe meine Ex getroffen und sie sagte, sie habe ihn in der Näher des Ostspielplatzes gesehen mit einem Typen, der ziemlich betrunken gewesen sein soll.“, erzähle ich. „Warst du schon mal da?“, „Klar ich bin dort hingefahren und habe ihn gesucht. Aber ich konnte ihn nicht finden. Ich werde ihn einfach weiter suchen, vielleicht finde ich ihn ja.“, teile ich ihn mit und Jack schüttelt den Kopf. „Was ist denn jetzt?“, will ich wissen. Jack lächelt erst, dann macht er ein ernstes Gesicht, „Nathan…“, gerade jetzt werden wir von Meg unterbrochen.
„Hey, Jungs kommt doch bitte mal rein und hört euch an, was wir so getüftelt haben.“, meint sie. Jack und ich stehen beide auf und folgen ihr in den Proberaum. Dort steht Suki bereits vor dem Keyboard und grinst uns vergnügt entgegen. „Also wärend ihr eine Pause eingelegt habt, habe wir zwei Hübschen gearbeitet.“, ich winke ab. „Ja schon gut, nun zeig mal her, was ihr so gemacht habt.“, grinse ich zurück. Jack lehnt sich irgendwo an eine Wand. Als alles still ist beginnt Suki und Meg singt dazu. Es hört sich wirklich gut an. Als nächstes wird alles noch auf die Instrumente abgestimmt, bis es passt. Das Endergebnis kann sich sehen, äh hören lassen.
„Das klingt doch gar nicht so schlecht.“, meine ich. Mag und Suki freuen sich und überfallen mich erst mal mit ihrer Freude in dem sie mich einmal ab knuddeln. „Hey, ihr erdrückt mich ja beinahe mit eurer Freude.“, ich lache. Das hat jetzt mal so richtig gut getan.
Schließlich machen wir Schluss und verabschieden uns von Meg und Suki. Ich bleibe heute noch bei Jack. Es ist klar, dass unser Gespräch von eben noch nicht beendet ist. Jack macht sich mit mir in die Küche und kocht uns erst mal einen Tee. Das verläuft schweigend, bis er sich zu mir an den Küchentisch setzt und das Gespräch wieder aufnimmt. „Also Nathan…“, er pustet an seinem Tee und fährt dann fort, „Hast du dir schon mal überlegt, dass er dich gar nicht finden kann, wenn du zu sehr nach ihm suchst?“, etwas erstaunt blicke ich auf. „Vielleicht ist er ja auf der Suche nach dir und kann dich gar nicht finden, weil du immer am Suchen bist. So könnte es doch sein, das ihr euch einfach verpasst. Denk mal nach. Letztes Mal hat er dich doch auch gefunden oder?“, ich nicke. Auch jetzt hat er wieder Recht. Es stimmt. Bailey hatte mich schon einmal gefunden. Im Grunde musste ich nur zu ihm gehen. Jack wusste genau, dass es so war. Er wusste auch, dass ich vermutlich noch weiterhin wie ein Verrückter nach ihm gesucht hätte, wenn er mich nicht aufgehalten hätte. Ich wäre dann sicher verzweifelt gewesen und würde vor Sorge umkommen. Auch darüber weiß Jack Bescheid. Vielleicht ist er wirklich kein Gedankenleser, sondern einfach nur mein bester Freund. Jedoch habe ich selbst nicht das Gefühl ihn auch nur annähernd so gut zu kennen, wie er mich. Aber Jack ist eben schon speziell. Er besitzt Eigenschaften von denen andere nur träumen können. Selbst ich.
*
Das Gespräch mit Jack ist mir noch lange im Kopf verblieben und klopft mir seit dem unaufhörlich an meine Schädeldecke. Es will mir etwas sagen. Doch was? Ich weiß es nicht. Ich grüble und komme einfach nicht weiter mit meinen Gedanken. Ich seufze so viel wie nie. Bis mir Freak den Hinweis gibt, den ich gebraucht habe.
Ich will gerade das Haus verlassen, da kommt, mir Freak entgegen. Er lächelt mir zu und hebt die Hand. „Hey Nathan, wie geht’s?“, fragt er. Ich nicke, „Danke ganz gut und selbst?“, frage ich zurück. „Auch, aber du ich hab vorhin so was total Abgefahrenes am kleinen Park gesehen.“, ich lege den Kopf schief und schaue ihn fragend an. Er scheint mir ein wenig aufgebracht zu sein und hat ein ganz erstauntes Gesicht. „Was war denn so abgefahren?“, er stemmt die Fäuste in die Seiten. „Da saß ein Junge auf der Bank. Er schien irgendwie total abwesend zu sein. Seine Augen starrten nur so in die Leere und sein Blick schien einfach jeden zu ignorieren, der ihn ansah. Jedenfalls verzog er keine Miene und als ein Kind zu ihm auf die Bank krabbelte. Doch als es ihn an der Schulter berührte hat er es vor Schreck von der Bank gestoßen und es ganz verstört angesehen, ebenso wie die Mutter, ihn gerade zurechtweisen wollte. Doch da rannte er einfach weg. Er musst ungefähr in deinem Alter gewesen sein, aber verhielt sich, als sei er total verstört.“, er fasste sich am Kopf und kratze sich hinter dem Ohr. Dann zuckte er mit den Schultern. Ich hingegen wurde hellhörig. Er verstörter Junge in meinem Alter? Das muss Bailey gewesen sein! Ich packe Freak an der Schulter und schaue ihm in die Augen. „Freak! Weißt du in welche Richtung er gelaufen ist? Könntest du mich dort hinbringen?“, er nickt nur überrascht über mein plötzliche Interesse. Ich kann einfach an nichts Anderes denken. Ich habe Angst um ihn!“, „Öh klar, aber wir müssen uns beeilen, weil meine Freundin zu Hause auf mich wartet.“, er ist ganz rot im Gesicht. Er ist wirklich total verknallt. Kein Wunder bei so einem süßen Mädchen. Bis ich so weit bin, wird es wohl noch eine Weile dauern. Vielleicht aber wird es auch nie so sein. Schließlich kann ich nicht vorhersehen was alles noch passieren wird. Wir beeilen uns, um zu Freaks Auto zu kommen und er fährt mich sofort dorthin. Das war praktisch wunderbar abgepasst. „Bitte warte kurz auf mich.“, „O…Okay, aber beeil dich!“, ruft er mir noch hinterher, als ich schleunigst das Auto verlasse und sofort losrenne. Ich schaue mich um und suche nach Bailey. Ich kann ihn nicht finden. Aber Freak meinte doch, dass er in diese Richtung gelaufen ist. Moment. Dort! Auf dem Spielplatz am Park sehe ich jemanden auf dem kleinen Klettergerüst, auf der Rampe sitzen. Zusammen gekauert und den Kopf auf die Knie. Ich trete langsam näher. Jetzt sehe ich erst das Zittern, das ihn umgibt. Es ist Bailey. Diese Haltung würde ich über alle wieder erkennen. „Bailey? Kannst du mich hören?“, frage ich ihn, als ich bereits vor ihm stehe. Ganz langsam hebt er den Kopf. Seine Augen sind trüb. Wieder sieht er mich wie hypnotisiert an. In seinem Gesicht, kann ich wieder blaue Flecke erkennen. Er hat einen dicken Schal um den Hals, vermutlich um weitere Verletzungen, oder trügerische Male zu verstecken.
Ich komme weiter auf ihn zu, ganz langsam. Er beginnt ganz langsam etwas nach hinten zu rutschen. „Hey, Bailey, hab keine Angst. Ich bin es, Nathan. Du kennst mich doch.“, ich bin verzweifelt, lasse es mir aber nicht anmerken, „ Komm mit mir, ich tu dir nicht weh.“, verspreche ich ihm und strecke ihm die Hand entgegen. Er scheint schon wieder total verstört. Es schmerzt ihn so zu sehen und vor allem, dass er mich manchmal nicht mal erkennt und einfach nur angsterfüllt in meine Augen starrt. Das tut er nur, wenn er Angst hat. Sonst weicht er jedem Blick aus. Vielleicht um zu meiden, das man seinen Schmerz und seine Angst sieht, und wenn ihn etwas schmerzt, starrt einen an, um zu vermeiden, das ihm noch mehr wehgetan werden kann, um auszuweichen. Beides dient dazu, dass ihm niemand zu nahe kommen kann, weil er niemandem vertrauen kann. „N…Nathan….“, es dauert eine Weile, bis er mich wiedererkennt und meinen Namen ausspricht. Ich lächle ihn an und nicke. „Ja, ich bin es, hab keine Angst.“, er nickt. Erst schaut er meine Hand skeptisch an, ehe er sich zögernd nimmt. Seine Erinnerung kehrt anscheinend zurück. Sobald er steht, bricht er in Tränen aus. „Nathan…“, er stolpert auf mich zu, direkt in meine Arme. „Du…tust mir nicht weh? Und….du bist auch nicht böse?“, ich schüttle den Kopf. „Keine Angst, ich verspreche es. Komm mit mir.“, er nickt, „Okay.“, flüstert er leise, wischt sich die Tränen aus dem Gesicht und nimmt meine Hand an, um mir zu Freaks Auto zu folgen. Auf dem Weg erkläre ich ihm, dass er keine Angst zu haben braucht, und ich die ganze Zeit an seiner Seite sein werde. Freak staunt nicht schlecht, als ich mit Bailey hinten ins Auto einsteige. „Da bist du ja, ich sagte doch, dass ich es eilig habe. Und wer ist der Junge da? Moment… Das ist doch der, den ich vorhin gesehen habe.“, „Ganz genau, deswegen habe ich dich doch gefragt, wo er hingelaufen ist.“, „Deswegen also…“, er schaut durch den Rückspiegel zu uns nach hinten. Sein Blick spricht Bände, doch er fragt nicht weiter. „Bitte behalt das hier für dich Freak.“, Freak nickt. Die Fahrt verläuft stillschweigend.
*
Die Sonne strahlt trügerisch durch das Fenster. Wieso ist dieser Tag mit Sonne und Wärme erfüllt, wenn er doch mehr das Gegenteil ist? Vielleicht, weil die Sonne uns Glück wünschen will und sich leise das Versprechen abringt, dass alles gut werden kann? Doch was bedeutet das?
Ich drehe mein Gesicht zu diesem geliebten Menschen, der unter Tränen an meiner Seite eingeschlafen ist. Er erlaubt mir neben sich zu liegen. Außer dass er meine Hand gestern noch nahm ertrug er scheinbar keine weiteren Berührungen. Er hat gezittert, als wir wieder in meiner Wohnung waren. Ich sehe nur immer wieder sein flehendes Gesicht, dass mich darum bittet, dass ich bei ihm bleibe, nicht von seiner Seite weiche. Er brauchte wieder seine Zeit um dieses dreckige Gefühl von seinem Körper abzuwaschen. Nun liegt er wieder hier in meinem Schlafanzug mit einer Decke über seinem schmalen Körper. An seinem Hals entdecke ich tatsächlich wieder verdächtige Male. Er ist voll davon. Doch das ist nichts, im Gegensatz zu den Psychischen und Physischen Schmerzen, die sich wie unsichtbare Scherben, durch seinen Körper ziehen.
„Hmm…“, ich muss eingeschlafen sein. Nun strecke ich mich ausgiebig. Plötzlich spüre ich etwas Warmes auf meinem Bauch. Ich schaue an mir runter und sehe einen schwarzen Haarschopf, wie er auf meinem Bauch liegt. Irgendwie muss ich lächeln. Es ist ein warmes, angenehmes Gefühl. Trotzdem unterstehe ich mich seinen Kopf zu streicheln. Das ist gar nicht so leicht. Ich würde ihn so gern berühren. Aber ich muss mich erst einmal damit zufrieden geben, was sich mir anbietet. Ihn wenigstens ein bisschen zu spüren. Nachher erschreckt er sich noch. Das muss ich vermeiden. Unbedingt! Doch dann…bewegt sich etwas. Bailey scheint aufzuwachen. Ob er wieder Angst bekommt? Ich hoffe es nicht!
Stück für Stück bewegt er sich nach oben zum Sitzen. Er reibt sich müde die Augen. Es ist das erste Mal, dass er bei mir übernachtet und nicht völlig verschreckt in der Küche aufwacht. Mit der Zeit schweift sein Blick immer mal wieder durch den Raum. Ob er erst mal die örtliche Orientierung sucht? Ich beobachte ihn mit einem halben Auge, versuche aber, dass er nicht merkt, dass ich wach bin. Ich will wissen, was er jetzt tut. Erst tut sich nichts. Dann bewegt sich die Matratze und der warme Körper scheint immer mehr aus meiner Nähe zu verschwinden, aber er verlässt nicht das Bett. Aus dem Augenwinkel kann ich erkennen, das Bailey seine Beine anzieht und seine Arme wieder darum legt. Er starrt an irgendeine Wand. Mehr kann ich nicht erkennen. Dazu ist mein Blickwinkel zu klein. Also beschließe ich einfach mich bemerkbar zu machen. Ich gebe ein aufwachendes Geräusch von mir und drehe mich leicht zur Seite mit dem Rücken zu ihm. „Hmmm.“, ich gebe ein Gähnen von mir und strecke mich, ehe ich mich ohne Eile aufrichte und versuche mich ohne plötzliche Bewegungen in seine Richtung zu drehen. Als ich sein Gesicht erhasche lächle ich ihn an. „Hey, guten Morgen Bailey, wie geht’s dir?“, spreche ich ihn an. Er zuckt kurz zusammen, ehe er seinen Blick ein wenig in meine Richtung dreht, aber ohne direkten Augenkontakt. Sein Blick weicht ein wenig ab. Seine Finger krallen sich in die die Bettdecke. „Hey, du musst keine Angst haben.“, verspreche ich, doch er zittert weiter und staune nicht schlecht, als er sich plötzlich ein, „Danke...Nathan.“, abringt. „Danke, dass du… mir geholfen hast.“, er spricht in ganzen Sätzen und klingt nicht mehr ganz so verängstigt. Seine Augen wirken nun wesentlich klarer, als noch gestern. Er streicht sich über den Arm und beißt sich auf die Unterlippe. „Tut mir leid, wenn ich manchmal…so komisch bin.“, versucht er sich zu rechtfertigen, obwohl er doch nichts für seine Situation kann. Solche Psychischen Probleme werden doch nicht von ungefähr kommen. Der Arzt hatte das bestätigt.
Ich schüttle den Kopf. „Du musst dich nicht entschuldigen. Es ist sicher nicht deine Schuld.“, nun schüttelt er den Kopf. „Das stimmt nicht.“. Ich kann sehen, wie er die Tränen unterdrückt. „Ich bin einfach nicht stark genug.“, sagt er. Ich will etwas sagen…ich will sagen, dass er falsch liegt, dass er stark ist. Aber sollte ich so etwas sagen, wenn es nur eine zärtliche, traurige Lüge ist?
Irgendwie drifte ich mit den Gedanken ab und merke erst gar nicht, wie Bailey mir immer näherkommt, bis er wieder seine Lippen auf die meinen legt. Jetzt ist es eigentlich an mir zurückzuschrecken. Doch tue ich es nicht… Wieso nur serviert er sich mir so auf dem Präsentierteller? Ist ihm nicht bewusst, dass selbst meine Zurückhaltung irgendwann mal ein Ende haben könnte? Wie kann ich mein Versprechen nur halten ihm nicht weh zu tun, wenn er so was macht? Meine Hände krallen sich in das Laken. Nun liegt er schon halb auf mir. Fast kann ich es nicht mehr unterdrücken, ihn einfach an mich zu reißen und ihn zu nehmen. Ich will ihn! Mit Haut und Haar. Aber ich bin doch kein wildes Raubtier! Ich will ihn beschützen, ihm ein guter Freund sein, nicht sein Lover. Selbst, wenn ich mich dafür selbst belügen muss. Er soll das Alles irgendwie überstehen. Aber scheinbar bin ich dazu nicht im Stande. Ich schüttle den Kopf und drücke ihn von mir weg. „Nicht Bailey!“, er fällt ein Stück zurück und schaut mich verwirrt an. Nun hockt zwischen meinen Beinen und senkt den Kopf. Seine Finger krallen sich in die Schlafanzughose. „Wieso nicht?“, seine Stimme zittert. „Bin ich dir zu wieder?“, will er wissen. Mit dieser Frage schaut er plötzlich auf. In seinen Augen kann ich diesen Glanz sehen, bald kleine Tränen, die seine Wangen herunter purzeln. Diese Frage erschüttert mich. Ich schüttle den Kopf. „Nein! Nein Bailey! Du bist mir alles andere als zu wieder!“, versuche ich ihm klar zu machen. „Wenn das wirklich so ist…“, seine Stimme stockt und zittert wieder. Seine Finger krallen sich jetzt auch in das Laken. Sogar noch mehr. Er hat Angst. Vermutlich vor seinen eigenen Worten. „… dann schlaf mit mir! Bitte!“
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Woaaa, es is wieder geschaft. Ich habe wieder ein Kapitel geschaft X____X
Ich hoffe nur, dass es euch gefällt. Da ich wieder viel um die Ohren habe, werden die Wartezeiten nicht wesenlich kürzer. Ich bitte hiermit um Verständniss >____< Ich bin stehts bemüht, so bald als möglich wieder was hochzuladen. Außerdem möchte ich mich hiermit bei allen fleißigen Lesern und Kommischreibern bedanken, die mir schon so lange treu sind und zudem immer so geduldig mit mir sind! Und natürlich bedanke ich mich auch bei jedem neuen Zuwachs, den ich an dieser Stelle begrüßen darf XD Hallo ich bin Middy und freue mich, dass auch ihr meine Geschichte(n) lest! :)
LG Middy<3
Verzweiflung
Was ich da höre zerbricht mir beinahe das Herz. Denn es klingt nicht nach einer simplen Bitte, sondern viel mehr nach einer Verzweiflungstat. Ich kann die Angst nicht nur in seinen Augen sehen, sondern auch deutlich fühlen. Es ist so erdrückend, das es mir die Luft abschnüren könnte. Dieser Mensch sieht mich so angsterfüllt an. Seine Tränen laufen unaufhaltsam seine Wange herunter. Ich bin für einen Moment wie erstarrt. Da ist wieder dieses Verlangen, das meinen Körper durchfährt. Dieser Wunsch ihn zu berühren und ihn zu trösten.
Was soll ich nur tun? Soll ich dieser verzweifelten Bitte nachgeben? Hat er grad nicht schon genug durchgemacht? Wenn ich jetzt mit ihm schlafe, könnte es sein, das ich sein Vertrauen und mein Versprechen ihm nicht wehzutun für immer breche. Daher darf ich das nicht tun, schon gar nicht von meinen Gefühlen leiten lassen. Bailey muss sich erst einmal erholen. Er soll wieder lächeln können und nicht mehr weinen. Daher will ich das Einzige tun, was ich für ihn in dieser Situation tun kann und will seine Bitte ablehnen. Natürlich weiß ich, dass er dies erst nicht verstehen wird, sogar missverstehen kann. Jedoch tut er das nicht unbedingt, weil er es wirklich will, sondern weil er sich schmutzig fühlt und vermutlich ohne dieses Gefühl des Schmerzes nicht mehr klarkommt. Darum gelangt er immer wieder in diese Situation. Man könnte es als eine Art Kettenreaktion bezeichnen. Da kommt mir plötzlich der Gedanke in den Sinn, dass ich ihm zeigen könnte, dass es auch ohne Gewalt geht, dass es durchaus schön sein kann mit jemandem zu schlafen. Wie gern würde ich das tun. Ihn ganz fest in meinen Armen halten… Aber, stopp! Das geht nicht! Es fühlt sich einfach falsch an. So verboten. Das liegt daran, das Bailey eben nicht wie ein Erwachsener zu denken und zu fühlen scheint, sondern mir eher wie ein verängstigtes Kind vorkommt, dass niemals gelernt hat, was wahre Liebe ist. Was es bedeutet keine Schmerzen zu fühlen, glücklich zu sein, weiß er offensichtlich nicht.
„Nein Bailey, das geht nicht! Ich will dir nicht wehtun!“, versuche ich ihm klar zu machen. Bailey, der mich eben noch so flehend angesehen hat, senkt wieder den Blick. Seine Tränen nehmen kein Ende. „Aber…,“ führt er zitternd fort, „… du hast mir doch versprochen mir nicht weh zu tun.“, höre ich seine zitternde Stimme. Plötzlich sehe ich, wie er langsam hochsieht. Seine Augen sind ganz rot unterlaufen vom vielen Weinen. „Ja, das habe ich.“, erwidere ich leise. Sein Körper beugt sich wieder weiter vor zu mir und seine Hände krallen sich in mein Shirt und seine Stirn drückt sich an meine Brust. „Dann zeig es mir, …zeig mir,…wie es sich anfühlt,…Ich bitte dich…“, „Aber Bailey,…“, versuche ich zu wiedersprechen. „Küss mich, Nathan.“, höre ich seine bittende Stimme, und sehe in sein Gesicht, welches mir endlich einen Blick in seine traurigen, wunderschönen, blauen Augen gestattet. Ich hätte es wissen müssen… Es ist gefährlich in diese Augen zu sehen. Aber, ich kann nicht mehr an mich halten…meine Hände bewegen sich automatisch in seine Richtung. Eine Hand streichelt seine Wange, die andere streichelt ihm sanft die Haare aus dem Gesicht. Ich höre nur noch wie mein Herz wie verrückt pocht. Mein Kopf senkt sich in seine Richtung und ehe ich mich versehe, lege ich meine Lippen auf seine. Sie bewegen sich vorsichtig gegen seine. Aus halb geschlossenen Augen, kann ich erkennen, wie sich seine Augen allmählich schließen. Wie die letzten Tränen seine Wangen herunterpurzeln. Ich fühle, wie das Blut in meinem Körper wie verrückt durcheinander fließt und pocht. Baileys Körper drückt sich nach und nach immer näher an meinen. Zögerlich lege ich die Arme um ihn. Recht locker, damit er jederzeit abbrechen kann. Jetzt gerade werfe ich jede Moral, jeden Anstand über Bord. Ich weiß es, ich weiß es doch, dass ich das nicht tun sollte! Aber ich kann nicht anders. Schließlich bin auch ich nur ein Mensch, ein Mann.
Bailey erwidert den Kuss. Er ist noch etwas unbeholfen, aber so süß wie Zucker. Es ist mir längst bewusst, dass ich diesen Menschen liebe. Mehr als ich je einen Menschen geliebt habe. Diese Liebe ist mit nichts bisher dagewesenen zu vergleichen. Sie ist mit so viel Leid verbunden. Durch Bailey habe ich erfahren, wie schmerzvoll eine Liebe sein kann. Ich muss daran denken, auf welche Weise, oder wo er morgen aufwachen wird. Es ist nicht egal was ich tue. Es gibt einen Unterschied. Was auch immer ich tue, es besteht die Möglichkeit, dass er morgen früh völlig verwirrt in der Küche aufwacht. Der Unterschied liegt daran, woran er sich erinnert.
Mitten in diesen Kuss versunken, bemerke ich erst nicht, dass Bailey schon wieder zittert und sich angsterfüllt in mein Shirt krallt. „HMM…“, höre ich. Schließlich versucht er sich wegzudrücken. „Nein!...“,Ich öffne erschrocken die Augen und lasse ihn los. Bailey rutscht völlig von der Rolle von mir weg, so schnell er kann und kauert sich komplett zusammen. Wie ein Häufchen Elend sitzt er da und ich sehe auf meine Hände und balle sie zu Fäusten. Ich kann nicht fassen wie ich nur so die Kontrolle über mich verlieren konnte. Jetzt ist er wieder total verängstigt. „Bailey…, es tut mir leid….“, flüstere ich, ohne mich weiter zu bewegen. Bei jeder unbedachten Bewegung meinerseits zuckt er zusammen. Ansonsten reagiert er nicht. Eine ganze Weile dauert es, ehe er sich zu einem Kopfschütteln durchringt und er mir wieder mit Tränen in den Augen ansieht und schnell wieder den Kopf senkt. „Nein, es ist meine Schuld, bitte sei mir nicht böse. Ich wollte dich nicht enttäuschen ich….“, er hört sich immer verzweifelter an. „Bailey! Es muss dir nicht leidtun! Es ist ok! Du musst dich zu nichts zwingen!“, versuche ich ihm klar zu machen. Mein Ton ist etwas bestimmter. Das erschreckt ihn erst, aber ich weiß, dass ich ihn nicht ewig in Samthandschuhe einpacken kann. Trotzdem, versuche ich immer die Ruhe zu bewahren und nie zu böse zu wirken. „Ich bin dir nicht böse, du musst keine Angst haben.“, verspreche ich abermals und werde wieder ruhiger. Meine Lippen formen sich zu einem Lächeln. Ein Seufzen verlässt meine trockene Kehle. Ich lehne mich ein wenig zurück und stütze mich mir den Händen nach Hinten ab. Ich betrachte Bailey noch über einen kurzen Zeitraum und denke darüber nach wie nahe wir uns eben gekommen sind. Wir waren nur noch einen Herzschlag voneinander entfernt. Genau, viel mehr kann es nicht gewesen sein. Zudem bin ich mir sicher, dass weder mein Körper, noch mein Herz das je wieder vergessen werden. Obwohl es sich so verdammt verboten anfühlte, war es gleichzeitig auch aufregend und irgendwie reizvoll, muss ich zu meinem eigenen Schrecken feststellen. Ebenso werde ich mir gerade aber auch meiner Unüberlegtheit bewusst. Ich hätte das nicht tun dürfen. Dabei war es mir doch längst klar.
Sobald ich kann, wende ich meinen Blick wieder von ihm ab. Schließlich will ich ihm nicht das das Gefühl geben, ihn damit zu durchbohren. Das stelle ich mir ganz schrecklich vor. Ich kenne das Gefühl. Es ist aufdringlich, nicht sehr reizvoll, eher …naja….wie sich so ein Blick halt anfühlt, wenn er von diesem Weibsbild stammt. Für Bailey ist es aber denke ich noch etwas anders. Ihm macht es vermutlich Angst und schüchtert ihn ein.
Ich bin deshalb überrascht, als er plötzlich wieder das Wort ergreift. Er presst die Lippen zusammen, ehe daraus Worte geformt werden können. Um ehrlich zu sein, sieht es fast schon elegant aus, wenn er das macht. Vielleicht bin ich aber auch nur viel zu verknallt. „Du…Nathan…“, fängt er an und macht eine Pause, fast so, als warte er darauf, dass ich ihm erlaube weiterzusprechen. „Ja?“, „Hast du was zu trinken? Ich hab Durst.“, erzählt er. Das ist glaub ich die Erste Bitte, die keine Verzweiflungstat ist. Das erleichtert mich ganz schön. Ich nicke. „Aber sicher, in der Küche. Was möchtest du denn? Orangensaft, Milch, oder Wasser. Ich kann dir auch einen Tee machen, wenn du möchtest. Er sieht leicht zur Seite und wischt sich ein wenig über die Augen. „Wasser ist ok.“, meint er.
Der Rest des Tages verläuft eher ruhig. Ich vermeide es Bailey zu nahe zu kommen. Ich kann nur darauf vertrauen, dass er mir eines Tages sein Vertrauen schenkt. Alles zu überstürzen würde nichts bringen. Geduld ist eben doch eine Tugend, auch wenn sie mir in meiner Situation ein wenig stichelnd erscheint. Aber da muss ich durch. So wie durch so Vieles im Leben.
Was mir allerdings ein wenig Sorgen bereitet ist, das Bailey nichts essen will. Nicht mal Pfannkuchen, die er eigentlich sehr gerne isst, will er. Eher kauert er fast die ganze Zeit über in der Ecke vor meinem Bett und rührt sich kaum. Hin und wieder schaut er mal kurz auf, um dann gleich wieder wegzusehen, wenn sich unsere Blicke kreuzen. Wie mag er sich wohl in diesem Moment fühlen? Fühlt er sich so schlecht, dass er nicht mal Hunger hat? Ich habe schon von Menschen gehört, dessen Psyche durch ein schreckliches Erlebnis so gestört ist, dass sie nicht mehr essen können, oder sich gar beim Anblick von Essen schon übergeben müssen. Das kommt immer auf den derzeitigen Zustand der Person an und Bailey ist schon lange in so einer Verfassung. Ich frage mich, ob er vielleicht deswegen so dünn ist? Er ist tatsächlich haarscharf an der Grenze. Das ist nicht nur ziemlich ungesund, sondern kann irgendwann auch lebensbedrohlich sein, wenn es das nicht längst ist.
Abends gehe ich duschen und mache mich Bettfertig. Wenn ich richtig beobachtet habe, verfolgt Bailey von seiner Position aus fast jeden Schritt den ich tue. Das Eigenartigste ist aber, dass er jedes Mal, wenn ich ihm Bad oder der Küche verschwinde, er dort geduldig vor der Tür auf mich wartet. Auch jetzt, wo ich aus der Dusche komme, hockt er vor der Tür und scheint eingenickt zu sein. Es hat diesmal fast eine halbe Stunde gedauert. Ich beschließe ihn zu wecken, ehe er sich erkältet. Ich hocke mich vorsichtig vor ihn und spreche ihn vorsichtig an. „Hey Bailey, wach auf, der Boden ist doch sicher viel zu kalt.“
Ich sehe wie er langsam die Augen öffnet und sie sich anschließend reibt. Er nickt müde. Er ist süß und wirkt so unschuldig.
„Ich gehe jetzt schlafen, ich habe morgen Schule, daher muss ich früh aufstehen.“, kläre ich ihn auf und schaue auf die Uhr. Es ist kurz nach 22 Uhr.
Bailey nickt kurz. „Ok, wenn du magst, kannst du wieder neben mir schlafen, aber wenn dir das unangenehm ist, schlaf ich auch auf dem Sofa.“
Gerade will ich mich abwenden, da hält Bailey ein Stück meines T-Shirts fest und sieht mich wieder ein wenig ängstlich an. Etwas überrascht drehe ich mich wieder zu ihm um und seufze in mich hinein. „Hey, was ist denn los?“, möchte ich wissen. Bailey beißt sich auf die Unterlippe. Seine Hand zittert wieder. Erst vermute ich ja, dass ihn die Sache mit dem Bett vielleicht erschreckt hat, dabei ist der Grund ein ganz anderer. „Heißt dass…du lässt mich allein?“, ich lächle kurz und löse geduldig seine Hand von meinem Shirt, ehe ich sie fast ohne Druck halte. „Ja, aber du kannst hierbleiben, ich werde ja wiederkommen. Sobald die Schule aus ist.“, „Wirklich?“, ich nicke. „Mach dir keine Sorgen. Wenn du magst kannst du morgen ausschlafen, und in der Küche findest du Brot und Aufschnitt. Falls du doch Hunger bekommst. Du weißt ja wo alles ist.“, er nickt zwar, aber ich habe nicht das Gefühl, dass ihn meine Aussage wirklich beruhigt hat. Es kommt also ein neues Problem hinzu. Bailey hat Angst vor dem Alleinsein. Das war zwar schon längst klar, aber bisher nicht so sehr von Bedeutung, wie in diesem Moment. Denn das ist das erste Mal, dass ich ihn in meiner Wohnung allein lassen muss. Sonst ist er dann immer schon zu Hause gewesen. Aber es ist mir trotzdem lieber, wenn er hier ist, als bei sich zu Hause. Da muss ich mir wenigstens keine Sorgen machen, dass ihm jemand etwas antut. Ich überlege erst Mal schlafen zu gehen und abzuwarten, wie sich die Lage bis morgen so entwickelt.
Ich lasse seine Hand langsam wieder los und frage ihn, ob es für ihn okay ist, wenn ich neben ihm schlafe. Darauf nickt er. Also begebe ich mich ins Bett. Ich bin schon recht müde. Ich habe nicht wirklich Lust morgen wieder aufzustehen und schon mal gleich gar nicht in der Schule zu hocken, wärent Bailey hier allein ist.
Sobald ich liege, spüre ich wie sich die andere Seite der Matratze senkt. Wie so oft schmiegt Bailey sich leicht an meinen Rücken. Seine Hand vergräbt sich erneut in mein Shirt. Ich schaue etwas über meine Schulter. „Hey, deck dich besser zu, wenn du liegst könnte es kalt werden.“, darauf drückt er sich noch mehr an mich. „Könntest…“, beginnt er leise, fast schüchtern, „…könntest du mich nicht warmhalten?“, bei Beendigung dieses Satzes, drehe ich mich um. Sein Gesicht wendet sich etwas rot angelaufen von mir ab. „Nimmst du mich… in den Arm?“, er klingt dabei noch etwas verunsichert, jedoch nicht so ängstlich wie noch vorhin. Ich lächle dazu sanft. „Natürlich…“, ich strecke meinen Arm aus und er rutscht etwas zögernd an meine Brust, dann lege ich einen Arm um ihn und ziehe die Decke über uns beide. „Soll ich das Nachtlicht anlassen?“, frage ich. Er schaut kurz auf und schüttelt den Kopf. „Bist du sicher? Hast du keine Angst im Dunkeln?“, „Doch, ein wenig… aber ich halte das schon aus.“, meint er. „Ok.“, ich knipse das Licht aus und lasse ihn an mich kuscheln. Ich hoffe nur auf eine Gute Nacht. Im wahrsten Sinne des Wortes. „Schlaf schön, Bailey.“, „Du auch, Nathan.“
Ich wache von einem lauten Knall auf. Plötzlich sitze ich aufrecht im Bett. Ich schaue als erstes zum Fenster. Ich kann hören wie starker Regen gegen das Fenster knallt. Das Nächste was ich tue ist die andere Seite meines Bettes abzutasten. Er ist nicht da. Verdammt! Erneut springe ich aus meinem Bett und renne als erstes zur Küche. Wieder ein Knall. Laut, und Hell, es dauert nur einen kurzen Moment an. Schnell mache ich das Licht an und sehe, wie bereits vermutet, Bailey auf dem kalten Fußboden der Küche hocken. Er hat sich total zusammengekauert, hält sich die Hände über den Kopf und zittert. Ich höre ein Schluchzen. „Bailey?“, er reagiert nicht, mit einem Klopfen an der Tür mache ich mich bemerkbar. Erst jetzt dreht sich sein Kopf ein wenig in meine Richtung. Mit angsterfüllten Augen. Ich versuche näher zu treten, doch je näher ich komme, desto ängstlicher wirkt er. Alles was er noch tut ist sich gegen die Schranktür zu drücken.
In diesem Moment ist es wieder fast so, als sei er in einer völlig anderen Welt. Seine Augen zeigen die pure Angst, Schmerz. Er ist total weggetreten, als träumte er von einem schrecklichen Moment. Vielleicht hat dieses Gewitter in ihm ja wieder alte Erinnerungen wachgerufen. Ich fühle mich irgendwie hilflos, aber wie hilflos muss er sich erst in vielen Momenten fühlen?
*
„Hm, stimmt, das ist wirklich verzwickt.“, antwortet Jack, der neben mir auf dem Treppenabsatz vor meiner Wohnung sitzt. Es ist bereits Nachmittag und er hat mich heute von der Schule abgeholt, damit ich schnell wieder bei Bailey sein kann. „Und was willst du jetzt tun? Du kannst doch nicht ewig so weitermachen.“, „Ja, das weiß ich, nur weiß ich nicht wie genau ich weitermachen soll. Baileys Zustand scheint trotz meiner Bemühungen nicht besser zu werden und jetzt hat er auch noch Fieber. Der Schock mit dem Gewitter gestern hat ihm ziemlich zugesetzt. Er hatte die halbe Nacht Schweißausbrüche und war kaum mehr zu beruhigen. Erst eine Stunde bevor ich losmusste ist er eingeschlafen.“, Jack macht ein sehr nachdenkliches Gesicht, lehnt sich zurück an das Treppengeländer und streicht sich das lange Haar aus der Stirn. „Bailey hat also ganz offensichtlich massive Psychische Probleme, wie ich bereits vermutet habe. Mit dem Gewitter verbindet er sicher ein schreckliches Erlebnis. Ebenso wie mit Sexualität und allem was mit Nähe zu tun hat. Er muss schreckliches durchlebt haben. Das ist nichts wieder gut zu machen. Mit keiner Entschuldigung.“, ich sehe in seinem Gesicht etwas, das sich mit Wut verbinden lässt. Das ist selten. Jack gehört sonst eher zu den ruhigen Menschen, die sehr viel aushalten, sich nichts aus den Umständen dieser Welt machen, nicht jammern oder aufgeben. Jack lebt einfach und macht das Beste daraus. Jemand der sonst niemals die Fassung verliert und immer die richtigen Worte findet. Ich kann mir denken, was ihn gerade so wütend macht.
Als Kind war er wesentlich gesprächiger und entsprach noch einem völlig normalen Kind, doch vor einigen Jahren hat er selbst mal eine solche Fase durchgemacht, ähnlich wie Bailey. Als er zwölf war, wurde er von seinem damaligen Mathelehrer vergewaltigt. Erst waren es nur flüchtige Berührungen nach dem Matheunterricht, dann hat er ihn eines Tages zu sich gerufen um etwas mit ihm zu besprechen und schließlich ließ sich der Kerl, der sein Vater hätte sein können, an ihm aus. Damals war Jack für Monate in psychiatrischer Behandlung. Zum Glück fand er eines Tages ins Leben zurück und wurde nach und nach zu dem, der er heute ist. Er hat sich seit dieser Zeit mit erstaunlicher Geschwindigkeit zum besten Freund entwickelt, den man haben kann. Trotz allem, was er durch machen musste. Ich kann mich noch zu gut an sein Gesicht erinnern, als er total vernebelt und verstört vor unserer Wohnungstür stand. Damals habe ich mir vorgenommen ihn zu beschützen und am Ende hat er immer mich beschützt, mich vor Dummheiten bewahrt, davor unvorsichtig zu sein. Jack hat mich gelehrt, dass nichts unmöglich ist, dass man die Augen offen halten muss und dass nichts unendlich ist. Das hatte ich schon beinahe wieder vergessen, bis Bailey in mein Leben trat und es noch einmal komplett auf den Kopf stellte.
„Ich glaube, du solltest dir Hilfe holen. Du musst das Alles nicht allein durchstehen. Zum Beispiel von deinen Eltern. Ich bin sicher sie ahnen schon etwas. Du hast ihnen doch bestimmt noch nicht die Wahrheit über Bailey erzählt oder?“ mein bester Freund hat mal wieder Recht. Mit seinen Worten will er betonen, dass er sich Sorgen macht und dass meine Eltern das sicher auch irgendwann tun werden. So wie Eltern eben so sind. Immerhin kennt Jack sie auch schon viele Jahre. Er weiß, wie ich mich manchmal auch in Sachen hineinsteigere und mich dann verheddere. Jack will verhindern, dass ich sozusagen die Bodenhaftung verliere. Und weil er Recht hat, bestätige ich das mit einem Nicken. „So was habe ich mir schon gedacht. Das ist typisch Nathan. Aber diese Eigenschaften machen dich aus und das mag ich an dir. Trotzdem versuche dich nicht zu sehr zu überlasten und sag bescheid wenn was ist.“, erzählt er noch, als er aufsteht und mich ernst ansieht. „ Nathan, wenn du Bailey wirklich beschützen willst musst du das Übel an der Wurzel packen. Bailey muss unbedingt aus seinem alten Umfeld raus, damit er beruhigt durchatmen kann. Wenn er dorthin zurückkehren muss, irgendwann…wird sich nie etwas an seinem Zustand ändern.“, mit diesen Worten beendet er unser Gespräch und verabschiedet sich.
Die Antwort liegt nah. Ich muss es irgendwie erreichen, das Bailey mir von sich erzählt und ich muss mich meinen Eltern anvertrauen. Schließlich kann er nicht ewig einfach so bei mir leben, das fällt irgendwann auf. Da kann ich nur von Glück reden das er wie ich bereits volljährig ist. Daher sollte das vor allem mit dem Ausziehen bei sich kein Problem sein. Aber ich bin mir sicher, dass er nicht alleine leben könnte. Selbst wenn er mit seinem Job genug verdient. Dennoch muss ich erst einmal weiter geduldig sein. Bailey liegt krank im Bett. Das alles war wohl einfach zu viel für ihn.
Plötzlich höre ich wie die Tür klappt. Ich drehe ich um und Bailey steht vor mir. Sein Gesicht ist von der Röte des Fiebers gezeichnet und seine nackten Beine zittern unter dem weiten T-Shirt. Seine Lippen bewegen sich. Er will etwas sagen. Ich schaue ihn an und lächle. „Hey, Bailey, was ist denn, los? Ist es nicht kalt?“, Baileys Blick senkt sich und seine Lippen pressen sich auf einmal aufeinander. Dabei scheint er mit sich selbst zu ringen, ob er etwas sagen soll. Es dauert eine ganze Weile, dann höre ich die Worte, die seine Lippen mühsam formen. „Ich…bereite dir nur Kummer…oder…?“, Oje, er hat also alles mitbekommen. Was soll ich ihm sagen? Dass es nicht stimmt? Das ich für ihn alles ertragen würde? Verdammt. Was ich sage, es wird das Falsche sein. Warum muss es nur so kompliziert sein? „Bailey…“, seine Hände, krallen sich in das Shirt und seine Lippen beben. „Wegen mir…“, er will weitersprechen, schafft es aber nicht mehr. Er klappt zusammen und ich schaffe es gerade noch ihn aufzufangen.
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Hallo liebe Leser. Ich habe es geschafft. Middy meldet sich zurück mit einem kleinen Kaptel. Hiho!
Da ich frisch umgezogen bin hatte ich eine ganze Weile kein Internet. Und dann überkam mich in dem ganzen Wirrwar auch noch akute Unlust. :) aber jetzt bin ich wieder zurück und hoffe ihr bleibt mir treu. Als Nächstes steht noch einiges an . Unter anderem auch noch die Vortsetzungvon "Verdammte Anziehungskraft!" vielleicht auch bald noch was anderes. Aber erstmal das was ich noch habe XD
Nun ja ich hoffe ihr hattet Spaß beim Lesen. =D
Bis dann eure Midnight <3
Die innere Angst
Bailey
Mir ist ganz schwindelig. Die Worte, die ich eben noch sagen wollte sind einfach verschwunden. Schwach höre ich wie Nathan meinen Namen ruft. Ich will ihm so vieles sagen…, geh nicht weg! Bleib bei mir! Ich mag dich! Ich kann mich nicht ausdrücken! Es tut mir leid! Ich bereite dir so viel Kummer! Und dann…
Ich wache auf. Aber wo bin ich? Es ist so dunkel. Es ist kalt. Unter mir fühle ich ein Bettlaken, eine Matratze und ich habe Schmerzen. Sie durchfahren meinen gesamten Körper. Es riecht nach Alkohol. Eine Tür geht auf, ich will mich bewegen um irgendwas zu erkennen, aber es ist unmöglich, meine Hände sind nach oben hin gefesselt. Jemand kommt näher und kniet sich vor mir nieder.
Dieser Mensch stinkt entsetzlich nach Alkohol und Zigaretten und nach irgendeinem strengen Parfum. Scharf und angewidert atme ich die Luft ein. Ein leicht schimmerndes Nachtlicht geht an. Ich bin wie geblendet. Der Mann vor mir röchelt und leckt sich die Lippen. Grob fasst er mir in den Schritt und massiert ihn. Ich beiße mir auf die Lippen bis sie ganz blutig sind, sich ein metallischer Geschmack in meinem Mund breit macht…. und unterdrücke einen angewiderten Schrei. Dafür kassiere ich einen Schlag ins Gesicht. Der Mann brüllt ich solle schreien, und betteln. Doch ich tue es nicht. Wieder ein Schlag. Alles was ich fühle ist Schmerz. Selbst wenn er mich nicht schlägt.
Ich kenne diesen Mann, dieses Gefühl, dass mich vor Angst und Ekel zusammenzucken lässt. Der Grund warum mir immer wieder übel wird. Der Grund für meine Alpträume. Seit Jahren schon. Ich bin immer wie benebelt wenn er sich an mir vergeht, mich berührt, all diese schlimmen Dinge mit mir tut. Hör auf! Ich will das nicht! Ich will das nicht! Tu mich nicht mehr so weh!
„Bailey! Bailey!“, eine Stimme. Sie klingt so besorgt. Jemand ist über mich gebeugt. Das macht mir Angst! Ich kann nichts dagegen tun, mein Körper zuckt unaufhörlich zusammen. „Nein! Bitte…!“, kommt es aus meinem Mund. Mir ist gerade gar nicht bewusst wer da eigentlich vor mir ist. Alles woran ich mich erinnere ist dieser Mann, diese Schmerzen. Sie durchfahren immer noch meinen ganzen Körper. Mir ist wieder so schwindelig und schlecht. Ich halte mir eine Hand vor den Mund. Ich setze mich aufrecht und will aufstehen, aber mir fehlt die Kraft. Sobald ich aufstehen will knicke ich ein. Ich werde aufgefangen und zur Toilette geschleppt. Ohne nachzudenken stütze ich mich über die Kloschüssel und übergebe mich reichlich. Ich fühle mich so elend und zittere. Nicht nur vor Kälte, auch vor Angst. Ich bin ganz unruhig und kauere mich wieder zusammen. Ich halte mir die Hände aus Angst vor Bestrafung über den Kopf.
Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. Sie berührt mich kaum und doch ist sie so beruhigend. Ich höre wieder diese Stimme.
„Bailey! Hey, ganz ruhig, hab keine Angst. Ich tu dir nichts.“, verspricht diese Stimme.
Erst nach und nach wird mir wieder bewusst, wer mir diese Worte nahelegt und mir dabei so einfühlsam seine Hand entgegenstreckt. Ich mache ihm schon wieder so viele Umstände. So viel Kummer. Das ist doch nicht meine Absicht! Verzeih mir! Bitte verzeih mir Nathan!
Meine Augen sind auf einmal so warm. Tränen. Ich wische sie mir von den Wangen, aber sie hören einfach nicht auf zu fließen. Ich traue mich gar nicht aufzusehen. Sein Gesicht wird sicher wieder schrecklich besorgt sein. Trotzdem greife ich haltsuchend nach seinem Shirt und lehne meinen Kopf an seine Brust. Dabei komme ich mir so schrecklich egoistisch vor. Aber ich höre kein Wort des Zornes, oder der Enttäuschung. Alles was ich wahrnehme ist seine Hand, die ganz vorsichtig meinen Rücken streichelt. Das ist so beruhigend. Manchmal frage ich mich wie Nathan es immer schafft die Ruhe zu bewahren und niemals ausfallend zu werden. Ein lautes Schluchzen. Bis eben hatte ich noch versucht es zu unterdrücken. Doch nun ist es einfach unvermeidbar. Meine Hände krallen sich in seinem Shirt fest und ich weine. Ich drücke mich dabei an ihn und er legt langsam die Arme um mich. Zwar habe ich trotzdem Angst, aber ich lasse es zu. Ich glaube wir sitzen noch eine ganze Weile so vor der Dusche. Nathan hält mich die ganze Zeit locker in seinen Armen, bis ich mich langsam beruhigt habe. Dann fordert er mich auf meine Zähne zu Putzen und mir den Mund auszuspülen, um diesen widerlichen Geschmack und den Geruch los zu werden. Er bleibt die ganze Zeit bei mir und wartet geduldig.
„Bailey? Willst du dich nicht wieder hinlegen? Ich bleibe auch bei dir.“, verspricht er und ich nicke. Worte bringt mein Mund nicht zustande. Wortlos folge ich ihm. Vor dem Bett bleibt er stehen. Er schlägt die Decke zurück. Damit deutet er mir an mich hinzulegen. Bei dem Anblick presse ich die Lippen zusammen. Plötzlich muss ich wieder an diesen Traum denken. Die Bilder kehren wieder in meinen Kopf zurück. Ich kann das nicht! Ich weiche einen Schritt zurück.
„Bailey? Was ist los?“, höre ich wieder seine besorgte Stimme. Ich fühle schon wieder wie meine Knie durchknicken. In meinem Kopf ist ein heilloses Durcheinander. Alles dreht sich auf einmal. Was soll ich nur machen? Mir wird wieder schwarz vor Augen. „Nathan…“
Irgendwann wache ich wieder auf. Es ist angenehm warm. Mein Kopf dreht sich in irgendeine Richtung. Da ist ein Geräusch von Regen, das gegen das Fenster prallt. Weiter weg sehe ich den Wecker mit der Digitalanzeige. Es ist bereits 18:00. Oh Gott ich muss eine ganze Weile geschlafen haben. Nur eines irritiert mich…wo ist Nathan? Hatte er nicht gesagt, er würde bei mir bleiben? Schnell richte ich mich auf. Fast panisch blicke ich mich um. „N….Nathan!“ Ich kann ihn nicht sehen.
Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis er aus der Küche kommt und direkt in meine Richtung schaut. Er lächelt. Erst jetzt nehme ich den Duft wahr, der aus der Küche kommt. Es riecht so gut.
„Ah Bailey, du bist ja wach. Wie schön. Lass uns was essen ja? Ich hab Suppe gemacht.“, sagt er mir. „Hmm, lass uns an den Wohnzimmertisch setzten. Das ist gemütlicher.“, beschließt er und bringt alles zum Tisch, der nur wenige Meter vom Bett entfernt steht. Dann winkt er mich herbei. „Komm her, damit wir essen können.“, er setzt sich auf das Sofa und wartet auf mich. Ich stehe auf. Meine Beine fühlen sich wieder stabiler an. Der Schlaf hat wirklich gut getan. „Ja…“, antworte ich ihm und setzte mich dann neben ihn auf das Sofa. Er mustert mich kurz. „Ich glaube du solltest dich noch ein wenig zudecken. Nicht das du wieder anfängst zu frieren. Und vielleicht eine Strickjacke vielleicht,…Moment…“, meint er lächelnd und steht auf und holt eine Wolldecke, um sie mir gleich über die Beine zu legen und eine schwarze Strickjacke. „Zieh sie bitte an, ich möchte nicht das du dir noch eine Erkältung holst.“, erzählt er. Ich nicke und ziehe die Jacke an. Das scheint ihn glücklich zu machen. Denn er lächelt. Das mag ich. Ich mag es so gern, wenn er mich anlächelt. Das tut gut. Denn ich habe das Gefühl, das er für mich lächelt. Das hat noch nie jemand für mich getan.
Im Blumenladen lächeln die Menschen nur aus Höflichkeit. Sie lächeln, weil sie nett sein wollen, weil sie eine gewisse Erwartung an ihre Mitmenschen stellen oder auch an sich selbst. Manchmal versuchen sie auch einfach nur sich ein Lächeln zu recht zu legen. Selbst, wenn ihnen gar nicht danach ist. Das sieht man ihnen an. An ihren Gesichtszügen kann man vieles erkennen. Fröhlichkeit, Verlegenheit,…Nervosität, Gehetztheit…Empathie, ...Arroganz… aber…
Nathan ist anders. Nathan lächelt für mich. Denn, er sieht mich dabei an, ohne den Blick abzuwenden, sich ablenken zu lassen. Nathan, ich mag dich. Ich mag dich so sehr. Darum sollte ich nicht so egoistisch sein. Du tust so viel für mich. Vielleicht mehr als ich verdiene…Ich bin doch so schmutzig! Du solltest nicht so nett zu mir sein. Aber warum gibst du mir dann das Gefühl wirklich etwas wert zu sein? Wieso wendest du dich trotzdem nicht von mir ab?
„Bailey? Alles klar? Hast du keinen Hunger?“, fragt Nathan. „Hm? Oh, doch ich habe Hunger…Entschuldige, ich war etwas abgelenkt.“, antworte ich ehrlich und fange an zu essen. Nathan nickt dazu. „Dann lass es dir schmecken. Ich bin kein großer Koch, aber ich habe mir ganz viel Mühe gegeben. Ich habe die ganze Zeit daran gedacht, wie es wohl wäre, wenn du sie essen würdest und wenn es dir schmeckt. Noch besser wäre es, wenn es dir sogar helfen würde wieder gesund zu werden. Ich habe Jack extra gebeten noch einkaufen zu gehen, bevor er mich abholt. Ich wollte so schnell es geht bei dir sein.“, teilt er mir mit. Was er da sagt, macht mich irgendwie glücklich. Ich würde ihm so gern ein Lächeln schenken. Aber das ist gar nicht so einfach. Er hat so viel mehr verdient, als nur ein Lächeln. Nathan hat jemanden verdient, der ihm seine Gefühle offen zeigen kann. Mir fällt das ziemlich schwer. Da ist immer diese Angst…die Angst ihn zu enttäuschen und dieses Gefühl schmutzig zu sein. Dieses Gefühl kriege ich nicht von mir herunter. Es ist als würde es an mir kleben. Ständig versuche ich es von mir zu waschen, aber es geht einfach nicht ab. Vor kurzem noch war ich so benebelt, dass ich mir eingebildet habe, ich könnte diesen Schmutz loswerden, wenn ich mit Nathan schlafe. Ich war so von meiner Angst eingehüllt, das ich meine Umwelt einfach nicht mehr realisierte. Doch Nathan hat das gemerkt und hat nicht mit mir geschlafen, obwohl ich ihn unter Tränen angefleht habe.
Schweigend nehme ich noch einige Löffel von der Suppe. Sie schmeckt wirklich lecker. „Lecker.“, sage ich leise. Nathan sieht mich dabei an und lächelt wieder so sanft. „Das freut mich. Bist du auch satt geworden?“, fragt er. Ich nicke. „Ja, danke.“, dann herrscht Stille zwischen uns. Ich presse die Lippen aufeinander. „Du Bailey, hilfst du mir beim Abwaschen?“, ich nicke erneut und wir gehen mit unserem Geschirr in die Küche. Nathan gibt mir gleich ein Geschirrhandtuch in die Hand und macht sich dann ans Abwaschen. Ich nehme das nasse Geschirr entgegen und betrachte es eine ganze Weile. Dabei wird mir bewusst… Ich habe nie gewusst welchen Spaß solch simple Hausarbeit macht. Dabei ist es etwas ganz Natürliches. Da gibt es so viele Dinge die ich versäumt habe. Weil ich sie einfach nicht wahrnehmen konnte. Ich war zu benebelt. Wenn ich Dinge tue, dann nur ohne wirkliche Wahrnehmung. Sie geschehen einfach. Es ist fast mechanisch.
Das ist fast so wie, wenn ich wie so oft durch die Gegend irre, mich ein Typ anspricht und sich einfach an mir vergeht. Ich habe irgendwann aufgehört mich dagegen zu wehren, weil ich gemerkt habe, dass es keinen Zweck hat. Da war immer diese Schwäche… Eines Tages verlor ich jeden Sinn dafür mich zu wehren, oder noch irgendwas zu spüren außer diesem Schmerz. Seit meiner Kindheit. Das ist das Einzige was ich je wirklich als etwas Natürliches ansah. Das war immer meine Realität. Solche Dinge zu erleben, Schmerzen zu spüren. Nur daran habe ich noch gemerkt, dass ich überhaupt noch lebe…
Vor mir sehe ich den Teller in meinen Händen. Sie zittern. Ich presse wieder die Lippen aufeinander. Dann versuche ich weiter abzutrocknen, aber es will mir einfach nicht gelingen. Der Teller rutscht mir einfach aus der Hand. Da ist nur noch das Geräusch von zersplitterndem Geschirr. Geschockt sehe ich zu Boden. Oh nein! Bitte nicht….“Bitte nicht! Es….es tut mir leid…!“, panisch sehe ich zu Nathan hoch. „Ver…verzeih mir!“, flehe ich. Normalerweise würde ich dafür eine Ohrfeige, oder auch einen Schlag in den Magen kassieren. Vor lauter Angst drücke ich mich an die Wand und zittere. Mir ist wieder kalt und flau…Wird er ausrasten? Mich schlagen? Mich vergewaltigen? Ich habe Angst!
„Bailey? Bailey. Keine Sorge, ich werde dir nicht wehtun.“, sagt die Stimme. Diese Stimme, dich mich immer so beruhigt und niemals ausfallend wird. Er kommt mir nicht näher, berührt mich nicht, sondern versucht mich einfach nur mit Worten zu beruhigen. Das tut gut.
„Bitte bleibt stehen, nicht das du dich schneidest. Ich werde mich um die Scherben kümmern.“, meint Nathan. Ich nicke nur. Er braucht nicht lange und der Boden ist Scherbenfrei. Genau wie vorher. Warum bin ich nur so ungeschickt? Jetzt hat er nicht nur ein Glas, sondern auch einen Teller weniger. Ich schaue wieder zu Boden. Ich schäme mich so. Ich lege meine Hände auf mein Gesicht und muss wieder Schluchzen. Wie oft muss ich denn noch weinen? Ich bin zu nichts nutze.
„Hey, keine Sorge, das ist doch nur ein Teller. Ist nicht schlimm.“, beteuert er mir. „Willst du mir nicht wieder dein Gesicht zeigen? Du musst es nicht verstecken.“, „A…Aber ich bin bestimmt wieder total verheult.“, schluchze ich. „Das macht doch nichts.“, ich nehme eine ganz sanfte, vorsichtige Berührung an meinen Händen wahr. Sie werden kaum merklich von meinem Gesicht geschoben. Das erschreckt mich etwas. So, dass ich ihn plötzlich ansehe und er mich. Er streichelt mir eine Strähne aus dem Gesicht. Das muss so etwas wie eine zärtliche Geste sein. Anschließend wischt er mir die Tränen aus dem Gesicht. „Weißt du Bailey, du musst dich vor mir nicht verstecken. Dich nicht vor mir schämen. Es ist Okay wenn du traurig bist und dann weinst. Es ist besser, als es in dich hineinzufressen. Und wenn du willst, bleibe ich an deiner Seite, bis es dir besser geht.“, verspricht er. Warum tut er das? Warum ist er so lieb? Meine Lippen beben.
Er streckt seine Hand aus. Ich sehe sie an. „Es ist okay…weine dich aus.“
Ich weiß nicht was es ist, aber etwas in mir möchte seine Hand ergreifen. Ist es, weil ich ihm so gerne vertrauen möchte? Ist es, weil es fast so etwas wie ein leises Versprechen ist, dass mir nichts passieren kann?
Mit einem Mal bewegen meine Füße sich wie von selbst und ich laufe geradewegs in seine Arme und halte mich an ihm fest. Ich weine. Seine Nähe…sie tut so gut. Er ist so warm…Ich…ich hab dich gern Nathan.
Meine Stirn drückt sich an seine Brust. Noch etwas zitternd halte ich mich an ihm in einer Umarmung fest. „Na siehst du… ist doch gar nicht so schwer,…“, er bleibt nun einfach so stehen, ohne mich weiter zu berühren. Dabei wünsche ich es mir gerade so sehr…von ihm umarmt zu werden. Ist es vielleicht weil er Angst hat, mir wehzutun? Das musst du nicht! Nathan, du bist so rücksichtsvoll.
Ich presse erneut die Lippen aufeinander, ehe sie sich zu Worte formen. „Würdest du mich umarmen?“, frage ich leise noch mit einem leichten Schluchzen, so dass ich fast vermute, dass er es eigentlich gar nicht gehört haben kann. Aber er hat es gehört, denn nur wenige Sekunden später spüre ich seine Arme, die sich wärmend um mich legen. Beruhigt schieße ich die Augen. So bleiben wir stehen, bis ich mich ausgeweint habe.
„Du Bailey, …wollen wir uns nicht hinlegen? Stehen wird irgendwann unbequem.“, sagt er total aus der Luft gegriffen und sieht zu mir runter, wärend ich hoch sehe. Er ist wirklich sehr groß…und trotzdem so vorsichtig und kein bisschen grob. „Äh…ja…“, antworte ich leicht überrumpelt. Das hatte ich gar nicht bemerkt. Aber Nathan stört sich nicht daran und lächelt. Dann nimmt er behutsam meine Hand und nimmt mich mit in den Wohnraum. „Möchtest du lieber ins Bett, oder auf das Sofa?“, fragt er. Meine Hand liegt auf meiner Brust. Mein Herz klopft unruhig bei dem Gedanken mit ihm zusammen im Bett zu liegen. Und schon kommen wieder Zweifel. Obwohl ich ihm vertrauen möchte. Ich fange wieder an zu zittern und versuche die nochmals eingehenden Erinnerungen aus meinem Kopf zu vertreiben. Das ist nicht so einfach, aber…ich muss mich doch irgendwie überwinden können…Dann spüre ich wieder seine Hand die ganz leicht die meine drückt. „Keine Angst…ich mache nichts…außerdem wird es langsam Zeit zu schlafen. Ich bin schon etwas müde.“, ich werde leicht rot und schaue zur Seite. „A…aber das Geschirr….“, aus dem Augenwinkel sehe ich wie sich Nathan leicht am Hinterkopf kratzt. „Das kann auch warten. Mach ich dann morgen…jetzt ist erst einmal wichtiger, das du dich wieder besser fühlst.“, bei seinen Worten kann ich so etwas wie Verlegenheit heraus hören. „Okay…“, gebe ich ganz leise zur Antwort und wir gehen zum Bett.
Er lässt meine Hand los und schlüpft unter die Decke. Die ist wirklich riesig. Kein Wunder bei seiner Länge. Er streckt sich einmal ausgiebig und sieht tatsächlich ziemlich müde aus. Ob das daher kommt, weil er sich immer so viel um mich kümmert? Ich seufze. „Was ist? Bist du nicht auch müde?“, fragt er. „Äh…doch bin ich.“, ja ich bin es wirklich, trotzdem mache ich mir Vorwürfe. Er hat doch immer so viel zu tun… „Mach dir nicht so viele Gedanken ja?“, sagt er, als hätte er gespürt worüber ich mir den Kopf zerbreche. „Okay.“
Ich beschließe zu ihm unter die Decke zu kriechen und er streckt seinen Arm aus. Ich Kuschel mich an ihn. Und er legt den Arm um mich….und plötzlich…ist die Angst wie weggeblasen…
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Huhu, ein neues Kapitel =) hoffe es ist mir gelungen. Diesmal aus Bailey Sicht. Ich wollte gern mal etwas über seine Gefühls und Gedankenwelt schreiben. Da man ja sonst immer nur über Nathan ein wenig über ihn erfährt. War mal ne ganz interessante Angelegenheit und zudem auch schwierger als erwartet. Ich musste wirklich darauf achten, wie ich ihn umschreibe O____o damit er nicht plötzlich einen ganz anderen Charakter bekommt, ob mir das gelungen ist? Bitte um Rückmeldung. =D
LG Middy
Eine schwere Entscheidung
Ich sitze bei meinen Eltern am Tisch. Wir sind alle drei sehr ernst. Es hat mich Überwindung gekostet ihnen alles zu erzählen, aber ich wusste schon die ganze Zeit, des es sich einfach nicht vermeiden lässt. Schließlich konnte es nicht ewig so weiter gehen. Zwei ganze Stunden haben wir ausgiebig darüber diskutiert wie wir vorgehen und wie es weitergehen könnte. Ich habe mich immer gefragt wie es wohl werden würde. Wie sie es aufnehmen werden. Sie waren erst ein wenig erschüttert, aber dann nahmen sie es ganz gut auf. Sie haben mir aber sofort klar gemacht, dass wir etwas tun müssen, genau wie auch Jack es meinte.
„Nathan, was meinst du, kannst du ihm das klar machen? So wie ich es verstanden habe, bist du der Mensch, der ihm am nächsten ist. Jemand muss ihm unbedingt klar machen, wie es weitergeht. Schließlich kann er nicht ewig so bei dir in der Wohnung leben. Er braucht eine richtige Behandlung. Schließlich soll es ihm ja bald besser gehen. “, meint meine Mutter und sie hat recht.
„Könntest du Jack dann anrufen? Sicher kann sein Onkel jemanden Empfehlen, der uns helfen kann.“, sagt mein Vater. „Ja mache ich.“, antworte ich. „Ist Bailey in deiner Wohnung?“, fragt er noch hinterher. Ich nicke. „Ja, er schläft. Er war sehr müde, weil er wieder die halbe Nacht geweint hat. Ich gehe gleich wieder hoch. Möchte ihn nicht so lange allein lassen.“, mein Vater nickt und ich mache mich ans Telefon um Jack anzurufen. Ich erkläre ihm die Situation und er stimmt mir tatsächlich zu. Er verspricht sich sofort darum zu kümmern. Danach gehe ich wieder in meine Wohnung, um nach Bailey zu sehen. Ich weiß, dass er schnell Angstzustände bekommt, wenn er allein ist. Die Zeit über die ich in der Schule bin genügt eindeutig. Immer wenn ich wiederkomme ist er jedes Mal aufs Neue anhänglicher denn je und mag gar nicht mehr von meiner Seite weichen. Das ist zwar sehr süß, aber so kann es nicht weitergehen. So wird er nie lernen sich mit seinen Ängsten auseinander zu setzten. Ich kann ihn nicht ewig vor der Welt beschützen, auch wenn ich es gern täte. Auch, wenn ich mir wünsche, immer an seiner Seite sein zu können. Ich weiß, dass ich loslassen muss, damit er eines Tages auf eigenen Füßen stehen kann. Fragt sich nur, wie ich ihm das am besten klar mache. Ob er es verstehen wird? Ob er die Angst vor anderen Menschen überwinden kann? Das ist ein Faktor der mir Sorgen bereitet. Vor Allem vor Männern hat er am meisten Angst. Als Jack und ich mit ihm beim Arzt waren, musste ich die ganze Zeit an seiner Seite bleiben, sonst hätte er sich gar nicht beruhigt geschweige denn behandeln lassen. Aber an Orten, wo man sich richtig mit solchen Fällen auskennt, müsste es eine Lösung geben. Eine ausdehnte Therapie könnte ihm vielleicht helfen. Eine bei der alle seine Angstzustände behandelt werden können.
„Bailey? Ich bin wieder da.“, sage ich, als ich zur Tür rein komme. Ich schlüpfe in meine Hausschuhe und sehe mich um. Als ich aus dem kleinen Flur trete sehe ich Bailey, wie er im Bett liegt und schläft. Immer noch. Ich trete etwas an das Bett um ihn kurz anzuschauen. Wenn er so ruhig schläft, sieht er sehr friedlich aus, fast so, als könnte ihn nichts erschüttern. Ich muss lächeln. Ich liebe diesen Menschen. Ich liebe Bailey und ich möchte, dass er es ihm gut geht.
Vorsichtig setzte ich mich auf die Bettkante und betrachte ihn noch eine ganze Weile. Mit einer Hand streichle ich ihm das Haar aus dem Gesicht. Ich würde ihm gern einen Kuss geben, ihn unentwegt berühren, aber ich verkneife es mir und halte mich zurück. Dabei überlege ich, dass es vielleicht gar nicht so schlecht ist, wenn er nicht mehr so viel bei mir ist. Eines Tages, so bin ich mich sicher, werde ich es nicht mehr schaffen so standhaft zu sein. Vielleicht tue ich ihm dann weh, ohne es zu wollen. Das würde ihn wieder total verstören und nicht zu seiner Heilung beitragen. Ich seufze tief. Langsam wird mir klar wie kompliziert die Sache eigentlich ist und wie einfach alles sein könnte, wenn Bailey nur gesund wäre. Doch er kann körperlich noch so gesund sein, seine Psyche wird eine ganze Weile benötigen…das ist mir schon lange klar.
*
Drei Tage später geht es Bailey schon wieder um einiges besser. Er scheint zumindest körperlich wieder fit zu sein.
Jack hat mich bereits angerufen und mit seinem Onkel geredet. Er sagte mir, dass er jemanden kennt, der uns helfen kann. Zuerst müsste ein allgemeines Gespräch stattfinden, um herauszufinden was genau geschehen ist, wie tief es in Bailey verankert ist, wie groß sein psychischer Schaden ist und so weiter…damit er dementsprechend behandelt werden kann. Aber zu aller erst muss ich den ersten Schritt tun. Das erscheint mir am Schwersten. Bailey davon erzählen. Ich weiß nur noch nicht wie. Schon die ganzen letzten Tage habe ich darüber nachgedacht, wie ich es am besten anstelle. In der Schule konnte ich mich kaum konzentrieren deswegen. Da gingen mir nur diese Dinge durch den Kopf. Ich möchte nicht, dass er sich unverstanden und abgeschoben fühlt. Schon gar nicht wie eine Last. Sicher wird er weinen und eine Weile brauchen um es zu verstehen. Ich weiß, dass ich behutsam sein muss, darauf achten, was ich sage. Ich will ihm so gerne helfen.
Ich sitze hinter Bailey und trockne ihm die Haare, weil er gerade geduscht hat. Er lässt es geduldig über sich ergehen. Noch vor einiger Zeit, wäre das undenkbar gewesen. Doch ich bin der Einzige, der ihn auf diese Weise, oder viel mehr, überhaupt berühren darf. Ich hadere nun schon den ganzen Tag mit mir, es ihm zu sagen. Heute wollte ich mit ihm darüber sprechen. Nun gilt es einen Anfang zu finden. Ich schlucke einmal.
„Du Bailey, ich muss dir etwas sagen.“, beginne ich. Er dreht sich etwas zu mir um, schaut mir aber nicht direkt ins Gesicht. Mir scheint, dass er sogar schon etwas ahnt. „J..Ja?“
Kurz überlege ich. „Bailey ich habe mit meinen Eltern über unsere momentane Wohnsituation gesprochen und …über dich. Wir haben überlegt, …dass du vielleicht eine Therapie machen solltest um deine Ängste in den Griff zu bekommen.“, erzähle ich. Ich wusste nicht genau wie ich es am besten formuliere. Mit einem Mal sieht Bailey mich dann doch etwas an. Den Blick kann ich nicht genau deuten. Seine Lippen bewegen sich um Worte zu formen, doch es kommt erst kein Ton heraus, bis er es letztlich doch schafft. „Therapie? Heißt das, dass ich…hier weg muss?“, fragt er mich fast ein bisschen schockiert und ängstlich. Ja, ich kann die Angst in seinem Gesicht sehen. Ich würde so gerne einfach das Gegenteil behaupten, aber das weiß ich ja selber nicht. „Das kann ich dir noch nicht sagen. Der Psychologe möchte erst einmal ein Gespräch mit dir führen, um herauszufinden, was er für dich tun kann. Dann erst wird entschieden wie es weitergeht. Aber…Bailey, du musst keine Angst haben...das Alles soll nur geschehen, damit es dir besser geht, damit du irgendwann…deine Ängste überwinden kannst.“, versuche ich ihm klar zu machen. Bailey nickt. Er sieht nicht begeistert aus, eher traurig, sieht wieder zu Boden. Der Raum hält sich eine ganze Weile in Schweigen bis Bailey mich wieder ansieht und wieder näher kommt. Er greift mit der Hand nach meinem Shirt und drückt sein Kopf gegen meine Brust. Dann schluchzt er und zittert. „Nathan ich…ich will nicht weg…ich hab Angst.“, beichtet er mir. Ich legte vorsichtig eine Hand auf seine Schulter. „Ich weiß, aber…so kann es nicht weitergehen…Bailey.“, ganz egal wie sehr ich es mir auch wünsche, aber seine Genesung ist wichtiger als mein Verlangen.
Die letzten Tage vor dem Gespräch mit dem Psychologen ist Bailey sehr unruhig und extrem anhänglich, noch mehr als üblich. Ich habe immer wieder versucht ihn ein wenig abzulenken und ihn zu beruhigen, aber es hilft fast nichts. Auch an dem Tag an dem ich mit ihm dort hingehe ist es nicht anders. Einzig und allein Jack begleitet uns. Andere Menschen machen ihn nervös. Vor Jack hat er seltsamer Weise nicht so große Angst. Er scheint wie auf mich auch auf ihn irgendwie beruhigend zu wirken. Ich nehme es einfach mal als ein gutes Zeichen wahr und versuche die negativen Gedanken zu vertreiben. Stattdessen, halte ich den ganzen Weg über durch die Flure des Krankenhauses Baileys Hand. Er will einfach nicht loslassen, weicht keinen Zentimeter von meiner Seite. Langsam aber sicher sucht er offenbar immer bewusster meine Nähe. Denn ich kann seit unserer ersten Begegnung durchaus schon ein paar Veränderungen wahrnehmen. Er ist nicht mehr ganz so geistesabwesend, wenn er mit mir spricht, oder meine Nähe sucht. Was sicher ein Fortschritt ist. Ich werde dem Psychologen sicher auch einige Dinge erzählen müssen. Immerhin bin ich in der letzten Zeit die einzige Person gewesen, die sich mit Bailey und seinen Ängsten aus einander gesetzt hat.
Als wir am richtigen Gesprächs zimmer angekommen sind und klopfen, werden wir freundlich empfangen. Der Arzt, der sich auf die Psychologie spezialisiert hat, möchte zuerst ein allgemeines Gespräch mit Bailey und mir führen und uns dann noch einzeln sprechen. Jack wartet draußen vor der Tür.
Bailey und mir werden Stühle angeboten, auf denen wir uns niederlassen. Dabei bemerkte ich wie Bailey seinen Stuhl, ganz dicht an meinen schiebt, um auch ja nicht zu viel Abstand zu mir zu haben und schaut dann auf seine Hände. Ich kann erkennen, dass auch der Arzt jeden seiner Schritte verfolgt. Bailey wirkt leicht nervös. So wie ich mich gerade fühle, muss sich in so einer Situation wohl auch eine besorgte Mutter fühlen.
Der Mann im weißen Kittel setzte sich uns gegenüber und lächelt uns entgegen, um auch gleich das Gespräch anzufangen. „Hallo mein Name ist Dr. Hardwich und ich bin Spezialist auf dem Gebiet der Psychologie. Sie sind also Nathan und Bailey. Ich habe gehört, dass es Probleme gibt bei denen ich ihnen zur Seite stehen soll. Es geht um Bailey nicht wahr?“, ich nicke, Bailey sagt nichts. „Ja Dr. Hardwich, es geht um Bailey und seine Ängste und ich habe mich entschieden ihm zu helfen sie zu bekämpfen. Aber allein schaff ich das nicht.“, erzähle ich, und Dr. Hardwich lenkt seinen Blick in Bailey Richtung und versucht auch so gleich einige Fragen an ihn zu stellen, die sehr gezielt erscheinen, aber er sagt kein Wort. Stattdessen starrt er die ganze Zeit auf seine Hände, die immer mehr aneinander reiben. Er wird immer nervöser. Ich kann es nicht nur sehen, sondern auch spüren. Er fühlt sich total unwohl. Sicher malt er sich grad wieder tausend Sachen aus, dass er mir lästig ist, dass ich ohne ihn besser dran wäre. Das tut weh! Das bemerkt auch Dr. Hardwich. „Hm, wie wäre es, wenn ich erst mal mit ihnen allein spreche Nathan.“, schlägt er vor und ich nicke. Sicher ist es das Beste. Mit sanften Worten und dem Versprechen, gleich wieder bei ihm zu sein, schicke ich ihn raus zu Jack, der einen Moment auf ihn aufpassen soll. Der nickt natürlich und winkt Bailey, neben sich auf die Bank. Dann schließe ich die Tür hinter mir und wende mich wieder dem Arzt zu.
„Also, ich habe ihn gerade etwas beobachtet und gemerkt, dass er scheinbar sehr an ihnen hängt. Die Bindung zu ihnen scheint sehr eng zu sein.“, erzählt er und ich nicke. „Ja, er hat die letzte Zeit sehr viel Zeit mit mir verbracht. Als ich ihn kennen lernte, war er sehr abweisend und hat keinerlei Nähe zugelassen. Ja, er war fast panisch, wenn man ihn nur an der Schulter berührte. Er hat Albträume und weint sehr viel. Erst wusste ich nicht was es ist, aber vor einiger Zeit, fand ich ihn total demoliert und fertig vor. Und, er war verletzt, an Stellen, die in der Regel sehr intim sind. Mittlerweile steht fest, dass er schon über einen längeren Zeitraum schwer misshandelt werden musste. Nicht nur im Bezug auf einfacher häuslicher Gewalt, sondern auch sexuell. Er hat in einem Blumenladen gearbeitet und ich habe dort erfahren, das er immer mal ein blaues Auge hat und sich diese typischen, fadenscheinigen Ausreden ausdenkt, und auch, dass er manchmal einfach fehlt. Ich schätze, dass es an der Gewalt bei ihm zu Hause liegt.“, der Arzt hört sich meinen Bericht an und nickt, „Aber er scheint sich im Laufe der Zeit sehr an sie gewöhnt zu haben. Jetzt gerade scheint mir, dass er zumindest ihnen sehr vertraut.“, „Ja, er…hat sich auch etwas verändert. Er ist nicht mehr ganz so schreckhaft. An manchen Tagen lässt er sich sogar berühren, hilft mir bei der Hausarbeit, beim Abwaschen und Kochen, lässt sich von mir die Haare trocknen. So kleine Dinge. Genauso wie es Tage gibt, an denen er keine Nähe erträgt. Schon gar nicht von anderen Menschen.“, wieder sehe ich ein Nicken und sehr den Nachdenklichen Blick des Arztes. Er fragt mich noch über einige Dinge aus, über seine, unsere Wohnsituation, familiäre Umstände und das Alles. Ich kann ihm nicht auf alles eine Antwort geben, aber die Dinge, die ich weiß, scheinen schon eine Menge über Bailey auszusagen. Schnell steht fest, dass sich die Situation um uns herum ändern muss. Auch das Bailey, ein anderes Umfeld braucht. Aber erst, möchte der Arzt auch nochmal mit Bailey sprechen, wozu es aber gar nicht kommt, da es plötzlich ziemlich laut im Flur wird. Ich höre wie etwas zu Boden fällt, ein dumpfes Geräusch. Ein lautes Wortgefecht.
„Lassen sie die Finger von Bailey!“, höre ich Jack aufgebracht brüllen und ich stürme mit dem Arzt alarmiert in den Flur. „Hey, was ist denn los?“, rufe ich und sehe nur noch wie sich ein Typ über die aufgeplatzte Lippe reibt. Der sitzt auf dem Boden, neben einem heruntergefallenen Bild, mit irgendeinem Motiv darauf. Doch das ist mir jetzt egal, viel mehr interessiert mich jetzt Bailey und schaue mich hastig nach ihm um. Ich sehe ihn auf der Seite gegenüber, er hockt hinter Jack auf dem Boden und hat sich ängstlich zusammengekauert. Der Mann der bis eben noch auf dem Boden gesessen hat richtet sich jetzt zum Stehen auf. Und macht ein wütendes Gesicht. „Das hat dich gar nichts zu interessieren, das ist mein Sohn, ich gehe mit ihm um, wie ich will!“, brüllt er. „Bailey! Hey! Hörst du? Wir gehen! Ich habe dich schon überall gesucht! Verdammter Bengel!“, doch als Bailey nicht reagiert, stürmt er auf ihn zu und schubst Jack zur Seite, der sich gerade noch abfangen kann. Der Mann will Bailey am Arm hochzerren. Aber Bailey reagiert nur mit einem panischen Blick und versucht sich los zu zerren, scheint aber kaum Kraft zu haben. „N…NEIN!“, Jack macht sofort einen Satz und zieht den Mann von Bailey weg und hält ihn in Schacht. Zerrt ihn in das Zimmer, weg von Bailey. Der Arzt ruft sofort die Polizei und ich mache mich auf den Weg zu Bailey, der jetzt wieder auf dem Boden hockt und nicht wagt sich wegzurühren. Er ist total verängstigt. Und dieser Typ soll sein Vater sein? Unglaublich schrecklich!
Ich hocke mich vorsichtig vor Bailey, wage es nicht ihn zu berühren. Ich glaube nicht, dass er eine Berührung jetzt ertragen kann. Ich höre ihn schluchzen.
„Hey, Bailey, keine Sorge, er wird dich nicht mehr anfassen.“, verspreche ich leise. Aber Bailey reagiert nicht, eher fängt er an zu zittern und ängstlich zu zucken. Es kostet mich eine Menge Überzeugungskraft, ihn zum Aufstehen zu überreden und erst mal von hier weg zu einem Nebenraum zu bringen, damit er seinem Vater nicht wieder über den Weg läuft. Wenig später kommt auch schon die Polizei angerückt und nimmt den Mann mit. Das ist zumindest ein schwacher Trost. Der Arzt will das Bailey zur Beobachtung hier bleibt, aber Bailey schüttelt nur ängstlich den Kopf und drückt sich nur hinter mich an meinen Rücken. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er sogar fortlaufen würde, wenn er alleine hierbleiben müsste. Dr. Hardwich bietet ihm sogar an, dass ich auch hierbleiben kann, aber Bailey möchte einfach nur fort. Vielleicht beruhigt er sich ja sogar, wenn wir erst mal nach Hause gehen. Und so passiert es. Wir beschließen einen neuen Termin aus zu machen und Jack fährt Bailey und mich nach Hause.
„Also, dann macht‘s gut. Kommt ihr klar? Oder soll ich noch kurz mitkommen?“, fragt Jack. „Ist schon okay, wir schaffen das.“, sage ich noch und wir verabschieden uns. Dann bringe ich Bailey nach oben in meine Wohnung und rufe noch kurz bei meinen Eltern durch. Dann kümmere ich mich wieder ganz um Bailey, der sich wieder die Hände reibt. Das macht er immer dann, wenn er sich schmutzig fühlt. „Hey, willst du dich erst mal waschen?“, frage ich, und bin traurig darüber, dass ich ihm nicht mehr als das anbieten kann. Aber er schüttelt nur den Kopf und sieht mich an mit Tränen in den Augen. Seine Lippen beben. „Nathan….ich hab solche Angst!“, berichtet er mir und ich nicke. „Ja ich weiß.“, erwidere ich. Bailey sieht mich nur kurz traurig an, ehe er den Blick wieder senkt und vorsichtig auf mich zukommt. Seine Stirn drückt sich an meine Brust und seine Hände krallen sich verzweifelt in mein Shirt. Er wirkt genauso zerbrechlich wie er es tatsächlich ist. Mein Shirt wird ganz nass von seinen Tränen, aber ich störe mich nicht daran. Nur sehr vorsichtig lege ich meine Arme um seinen Rücken und ich spüre, wie er sich noch mehr an mich drückt. Ich vergrabe mein Gesicht in seinen Haaren und wir bleiben eine ganze Weile so stehen, bis Bailey sich etwas beruhigt hat und ich irgendwann beschließe, dass es Zeit ist sich Bett fertig zu machen. Ich glaube eh nicht, dass der Tag heute noch viel bringen wird. So wie ich ihn kenne, wird er nicht mal mehr was essen wollen. Sicher braucht Bailey jetzt einfach nur Ruhe. Nur sehr wiederwillig löst sich von mir, als ich ihn ins Badezimmer schicke, um sich fertig zu machen. Während dessen ziehe ich mich im Zimmer um und packe schon mal meine Schulsachen für Montag, da heute Freitag ist und eigentlich habe ich noch ein bisschen was für die Schule zu tun. Doch Bailey benötigt sehr viel Aufmerksamkeit. Es ist nicht einfach da noch leicht mitzukommen, daher beschließe ich mich am Wochenende darum zu kümmern. Der nächste Termin beim Psychologen ist zum Glück erst am Montagnachmittag.
Ich schlage schon mal das Bett auf, setze mich auf die Bettkante, und warte auf Bailey. In meiner Hand halte ich ein Buch, das ich für die Schule lesen muss, und worüber wir die nächste Klassenarbeit schreiben werden. Das ist nicht mehr lange hin. Noch während ich darüber nachdenke, wie ich den Stoff, in der kurzen Zeit in mir aufnehmen kann, spüre ich auch schon, wie sich die Matratze hinter mir senkt. Ich klappe mein Buch zu und drehe mich zu ihm um. „Da bist du ja.“, ich mustere ihn kurz und bemerke, dass er heute gar keine Schlafanzughose anhat, sondern nur eine Boxershorts und ein weites T-Shirt. Ein Seufzen meinerseits. Es wird wirklich Zeit, dass er mal eigene Sachen bekommt. „Warum hast du heute die Hose nicht an?“, frage ich. Bailey senkt den Blick. „Du …bist warm genug…“, meint er schüchtern und etwas rot anlaufend. Mein Gott! Er ist so verdammt süß, das ich am liebsten über ihn herfallen will. Bailey, sei nicht so süß! Hörst du? Weißt du eigentlich wie gefährlich das ist?!
Bailey kommt langsam etwas näher und kuschelt sich etwas zaghaft, aber Nähe suchend an mich. Er wird mir gegenüber immer zutraulicher, aber genügt das auch um im Leben weiterzukommen? Wird er je stark genug sein, um auch unter anderen Menschen zu bestehen und keine Angst mehr zu haben?
Ich weiß, dass diese Fragen eigentlich wichtig sind, aber in diesem Moment habe ich dafür keinen Kopf. Ich will einfach nur bei Bailey sein, ihn umarmen und am liebsten küssen, nie mehr loslassen. Also nehme ich ihn vorsichtig in den Arm und lasse mich mit ihm auf das Bett sinken. „Nathan…, bist du müde?“, fragt er vorsichtig, und ich nicke. „Ja, ein wenig.“
Dazu sagt Bailey nichts weiter, sondern bleibt einfach nur ruhig in meinen Armen liegen. Es ist ein schönes Gefühl, ihn zu spüren. Wie er sich an mich schmiegt.
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Dieses Kapitel ist schon seid Ewigkeiten fertig, ich wundere mich, warum ich es noch nicht hochgeladen habe. Tut mir leid, für diese späte Verspätung O__o
Diese FF hat nun schon eine halbe Ewigkeit pausiert, und ich schätze, dass sie es auch wieder tun wird. Ich hatte sogar schon darüber nachgedacht sie abzubrechen, aber jetzt weiß ich, dass es weitergehen wird! Das wird noch richtig Arbeit. Nach meiner Einschätzung werden es höchstens noch 2, 3 Kapitel, dann werde ich diese FF nach eine halben Ewigkeit beenden. .___.
Ich finde, dass wird auch Zeit, da ich noch einige Kapitel zu schreiben habe...aber meine Motivation und Zeit ist derzeit sehr eingeschränkt, ich hoffe, dass es bald mal wieder neue Kapitel auch zu den anderen FFs geben wird. Eines ist auf jeden Fall in Arbeit.
*umfall*
X____x
Naja ich hoffe ihr hattet auch dieses Mal Fun beim Lesen und danke an alle die, die mir immer noch treue Leser sind. <3
LG Middy<3