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Traum vom Tod

Custos Mortis
von

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Letzter Traum: Abschied

Bei allen Beerdigungen, die ich bislang besucht hatte, war mir noch nie eine untergekommen, bei der die Stimmung so gelöst und entspannt war wie bei dieser – und ich konnte es nicht im Mindesten verstehen.

Nur weil er sieben Jahre fortgewesen war, bedeutete das ja nicht, dass es nicht Landis war, der da im Sarg lag, so friedlich als würde er einfach nur schlafen und gleich aufwachen, um uns allen lächelnd zu erzählen, was er Verrücktes geträumt hatte. Allerdings musste ich zugeben, dass ich ihn in all den Jahren, in denen ich ihn gekannt hatte, noch nie derart entspannt gesehen hatte. Immer, in jeder Nacht, war ein angespannter Zug auf seinem Gesicht zu sehen gewesen als ob er äußerst schlecht träumen würde.

So traurig ich auch über seinen Tod war, in Anbetracht dieser Tatsache, freute ich mich auch irgendwie für ihn... immerhin hatte er nun seinen Frieden, wie er ihn sich heimlich immer gewünscht haben musste.

Erst als jemand meinen Arm ergriff, wandte ich meinen Blick von Landis' Gesicht ab. Oriana stand neben mir und sah, statt in den Sarg, direkt in meine Augen. So sehr ich sie auch mochte, ich hatte nie wirklich verstanden, warum sowohl Landis als auch Frediano derart verrückt nach ihr gewesen waren – selbst wenn sie mich mitleidig ansah, hatte ich das Gefühl, dass ihre Augen mich vorwurfsvoll anblickten. So war es immer...

„Alles in Ordnung mit dir, No?“

Ich lachte leise und versuchte, das erdrückende Gefühl abzuschütteln. „Das sollte ich wohl eher dich fragen. Du weißt doch, dass bei mir immer alles bestens ist.“

Statt etwas zu erwidern, seufzte sie leise. Offenbar stand ihr nicht der Sinn nach einer Diskussion mit mir, vielleicht wollte sie einfach nur mit mir reden... mit den anderen ging wohl auch schlecht.

Die inzwischen stets erwachsene Aurora hing kokett lächelnd an Kentons Arm und erzählte jedem, der es wissen wollte – oder auch nicht – dass sie bald heiraten würden; Richard und Orianas Eltern erklärten der kleinen Milly, was genau bei einer Beerdigung vor sich ging, wahrscheinlich, um sich selbst davon abzulenken, dass nun Landis der Tote war; Nadia, Aidan und Kureha standen ein wenig abseits und zeigten damit deutlich ihre Außenseiterpositionen, so dass sich kaum jemand traute, sie anzusprechen – obwohl ich zumindest gern mit Nadia geplaudert hätte, immerhin war sie die Bedienung in meinem Stammlokal und wir verstanden uns recht gut, sie hätte mich vielleicht ablenken können – ; der Prinz war ebenfalls da. Ansonsten war niemand hier, teilweise wohl aus zeitlichen Gründen und weil Richard nicht zu viele Gäste haben wollte. Tante Astis Beerdigung war ihm bereits viel zu anstrengend gewesen, wie ich noch in Erinnerung hatte.

„Wo ist eigentlich diese Puppenspielerin?“, fragte ich leise.

Sie war mir bislang nur einmal im Palast, kurz nach Landis' Tod begegnet, ihr Gesichtsausdruck eine Mischung aus Trauer und Zufriedenheit, was ich damals nicht hatte verstehen können – jetzt eigentlich auch noch nicht. Warum sollte sie Landis' Tod so zufrieden stellen?

„Sie hat New Kinging schon vor ein paar Tagen verlassen“, erklärte Oriana mir. „Sie blieb nicht einmal lange genug für die Audienz bei der Königin.“

Dabei hätte ich nach Landis' Erzählung gerade von ihr erwartet, dass sie sich diese Beerdigung nicht entgehen lassen würde. Anscheinend hatte ich mich geirrt.

„No, sag schon“, drängte Oriana. „Ich seh' doch, dass es dir schlecht geht.“

„Warum fragst du dann überhaupt?“

Ich befürchtete, bei dieser Gegenfrage genervt zu klingen, doch stattdessen war meine Stimme kraftlos – es kam mir tatsächlich vor als wäre ich selbst gestorben.

Leise seufzend zog Oriana mich von dem Sarg weg. „Du weißt, dass du demnächst noch einer anderen Beerdigung beiwohnen darfst, oder?“

Sie versuchte, das Thema von Landis abzulenken, aber auch an Frediano dachte ich im Moment äußerst ungern, denn er brachte mich auch wieder zu Landis zurück, was Oriana mit einem tiefen Seufzen quittierte. „Schon gut, tut mir Leid. Aber ich könnte da mit Sicherheit auch deine Unterstützung brauchen.“

„Natürlich...“

Zwar wusste ich nicht, was sie da von mir erwarten würde, aber ich könnte es ja versuchen – noch mehr versagen war wohl ohnehin nicht möglich.

Ein wenig abseits beobachteten wir schweigend wie Richard schließlich Milly ihren Großeltern überließ und selbst zum Sarg hinüberging. Ich konnte lediglich seinen Rücken sehen – aber das genügte durchaus, um mitzubekommen, wie er plötzlich in den Sarg hineingriff und etwas herausholte.

Oriana sog erschrocken die Luft ein, als sie das Schwert erkannte, das Richard herausgezogen hatte. In Király war es immerhin üblich, Kavalleristen mit ihrer Klinge zu beerdigen. Gut, Landis war möglicherweise kein echter Kavallerist, aber es ging immerhin um's Prinzip.

Noch größer war unsere Überraschung allerdings, als Richard direkt auf mich zukam und mir das Schwert reichte. Sein Gesicht war unbewegt, wie immer, aber in seinen Augen konnte ich die Trauer sehen, die sich in seinem Inneren verbarg. „Nimm du es, Nolan. Landis würde sicherlich wollen, dass du es bekommst.“

Auf den ersten Blick konnte ich direkt sehen, dass es kein Kavalleristenschwert war, doch meine Gedanken waren zu durcheinander, um selbst zu wissen, was das bedeutete. „A-aber er war ein Kavallerist, wir können ihn nicht ohne sein Schwert beerdigen.“

Richard drückte mir das Schwert sanft in die Hand und sagte mir dann etwas, was sowohl Oriana als auch mich überraschte: „Landis war kein Kavallerist – er ist nie bei der praktischen Prüfung aufgetaucht und daher durchgefallen.“

Verwundert hielt sie sich eine Hand vor den Mund, ich konnte Richard nur fassungslos ansehen. „D-das kann nicht sein! Warum hat er mir das nie gesagt?“

Gut, wir hatten nie über die Prüfung gesprochen, hauptsächlich, weil Frediano und Oriana kurz darauf geheiratet hatten und Landis' Kopf mit anderen Dingen gefüllt gewesen war. Aber wäre es denn wirklich so schwer gewesen, mir zumindest mal nebenbei mitzuteilen, dass er die praktische Prüfung gar nicht erst angetreten war? Immerhin waren wir doch beste Freunde gewesen...

„Mir hat er es auch nicht gesagt“, meinte Richard. „Sir Dorugon fragte mich kurz nach Landis' Verschwinden, ob ich etwas darüber wüsste. Ich habe aber vergessen, meinen Sohn danach zu fragen...“

„Nach sieben Jahren kein Wunder“, beruhigte Oriana ihn.

Ich war noch zu sehr von dieser Nachricht überrascht und auch davon, dass er Landis als seinen Sohn bezeichnet hatte, was er sonst nie tat, dass ich nichts sagen konnte.

Richard seufzte leise. „Ich dachte, ich hätte noch Zeit...“

Das hatte ich auch gedacht. Da waren noch so viele Dinge gewesen, die zwischen mir und Landis offen im Raum gestanden waren und die ich – irgendwann – mit ihm hatte besprechen wollen.

Während ich auf das Schwert hinabsah, dessen Ursprung mir absolut unbekannt war und nach dem ich ihn auch gern gefragt hätte, wurde mir erstmals bewusst, dass irgendwann manchmal auch zu spät bedeuten konnte. Zwar hatte ich auch meine Eltern beerdigt, aber bei keinem von beiden hatte ich diesen Knoten im Hals und dieses Bedauern verspürt. Es war als ob Landis mir viel, viel näher gestanden hatte als meine richtige Familie – aber manchmal war es mir auch so vorgekommen, zumindest früher, als wir noch Kinder gewesen waren und ich ihn als Bruder betrachtet hatte.

Der für die Zeremonie verantwortliche Priester rief Richard zu sich, um den nächsten Schritt zu besprechen. Ich beneidete ihn nicht darum – aber genauso wenig mich selbst, als ich Kenton auf mich zukommen sah.

„Mhm, er hat sich anscheinend von Aurora losgeeist“, bemerkte Oriana leise.

Wie üblich lächelte Kenton nicht, eigentlich wirkte er sogar gestresst, wenn man mich fragte. Offenbar gab es viel zu tun für ihn – immerhin musste er auch einen neuen Kommandanten für die Kavallerie suchen, ich stellte mir das äußerst anstrengend vor, da er mir einmal erklärt hatte, dass er Begründungen zu jedem Vorschlag schreiben und diese dann der Königin präsentieren musste.

„Was ist mit deiner Verlobten passiert?“, fragte Oriana schmunzelnd.

Kenton deutete auf Aurora, die sich lachend mit Bellinda, Orianas Mutter, unterhielt. Offensichtlich hielten Nymphen nicht sonderlich viel vom Tod... er kümmerte sie offenbar nicht einmal. Wie sonst ließ sich ihre gute Laune während einer Beerdigung erklären?

Kenton räusperte sich, so dass ich mich wieder auf ihn konzentrierte. „Ich bin mir nicht sicher, wann wir das nächste Mal zum Reden kommen, deswegen nutze ich die Gelegenheit jetzt.“

Bei Landis' Beerdigung... ich fragte mich, ob das wirklich sein musste.

„Worum geht es?“

„In Fredianos Unterlagen habe ich Bestimmungen darüber gefunden, was nach seinem Tod mit der Kavallerie geschehen soll. Natürlich können wir uns nicht allein danach richten, aber ich habe mir meine Gedanken darum gemacht...“

Was sollte das werden? Löste er gerade die Kavallerie auf?

„Frediano hatte dich als stellvertretenden Kommandanten eingetragen...“

Überrascht hob ich meine Augenbrauen. „Was?“

„Wusstest du das nicht?“, hakte Oriana nach.

Ich schüttelte den Kopf. Frediano hatte nie etwas davon gesagt. Sicher, wir führten oft Gespräche über die Kavallerie und seine damit verbundenen Entscheidungen – aber ich war immer davon überzeugt gewesen, dass wir das nur taten, weil wir – so etwas wie – Freunde gewesen waren.

„Jedenfalls“, fuhr Kenton fort, „haben die Königin und ich uns entschlossen, dich zum nächsten Kommandanten zu ernennen.“

Mir blieb regelrecht die Luft weg. Ich, der Nichtsnutz, sollte Kommandant der Kavallerie werden?

„Das ist ein Scherz, oder?“

„Ich scherze auf Beerdigungen nicht“, erwiderte Kenton kühl. „Nein, es ist mein Ernst.“

Oriana lächelte mir zu. „Das ist doch eine gute Nachricht~“

Da war ich mir gar nicht so sicher. Natürlich war es mit Sicherheit eine interessante Aussicht, einen derart hohen Posten zu bekommen, besonders nachdem mir das nie jemand zugetraut hatte – aber genau deswegen machte es mir auch Angst. Ich war mir nicht sicher, ob ich diesem Druck gewachsen war.

„Ich werde es mir überlegen.“

Kenton nickte mir nur zu und ging wieder davon. Aufgeregt drückte Oriana meinen Arm – wenigstens eine, die an mich glaubte. Mir bereitete der Gedanke bereits erhebliche Kopfschmerzen.

Viel Zeit dafür blieb mir allerdings nicht, da die Zeremonie nun endlich weiterging, immerhin würde ich also bald dieser Atmosphäre entfliehen können, die so absolut unpassend war.

Der Sarg wurde geschlossen, wie es die Tradition verlangte, während ein Gehilfe des Priesters den Taubenkäfig brachte.

Oriana seufzte. „Ich hasse diese Stelle. Ich schwöre dir, dass ich das bei Fredianos Beerdigung nicht machen werde.“

„Aber es ist Tradition“, erwiderte ich. „Willst du, dass seine Seele nicht zu Charon kommt?“

„Ich überlasse das Milly“, kam es wieder von ihr. „Immerhin ist sie seine nächste Verwandte und nicht ich.“

Im Gegensatz zu Oriana liebte ich diesen Teil an Beerdigungen. Man band einige Haarsträhnen des Toten um die Füße einer Taube und entließ diese in die Freiheit, damit sie die Seele des Verstorbenen zu Charon tragen würde – symbolisch gesehen verstand sich. Bei Charon angekommen würde dieser der Taube die fremde Seele mit ihrer eigenen entnehmen und sie damit in eine Krähe verwandeln, zumindest war es mir so von meiner Mutter erzählt worden.

Das Freilassen der Taube wurde dabei von dem engsten, noch lebenden Verwandten übernommen – bei meinen Eltern war dementsprechend ich dafür verantwortlich gewesen.

„Ich habe gehört, es bringt Unglück, wenn du mehrere Tauben innerhalb von sieben Jahren entlässt“, sagte Oriana leise, als Richard sich von dem Priester die Taube reichen ließ.

„Möglich wäre es“, erwiderte ich.

Immerhin fühlte ich mich in meinem Leben recht unglücklich, aber ich lebte noch, trotz der zwei Tauben innerhalb von fünf Jahren. Vielleicht war dieses Unglück auch eher auf etwas anderes bezogen – wenn man innerhalb von sieben Jahren mehr als eine nahestehende Person verlor, war das doch schon Unglück, oder?

Schlagartig verstummten alle Anwesenden und folgten Richard auf eine stille Einigung zu der Tür, die auf den Friedhof führte. Oriana zog mich mit sich, sonst hätte ich mich wohl kein Stück von der Stelle bewegt.

Wenige Schritte nach draußen blieb Richard wieder stehen, vorsichtig hielt er die Taube in beiden Händen und führte sie an sein Gesicht. Was er ihr sagte, konnte ich nicht hören, doch ich sah genau, dass er dem Tier etwas zuflüsterte, das mit Sicherheit entweder für Landis oder für Charon gedacht war – oder sogar für beide.

Oriana schauderte als Richard die Taube schließlich fliegen ließ und sie hastig davonflatterte.

Wäre ich nicht damit beschäftigt gewesen, dem Tier hinterherzusehen, hätte ich Oriana schmunzelnd gefragt, ob sie immer noch Angst vor Vögeln hatte – und sie hätte mir wütend in die Seite geboxt und mir erklärt, dass sie keine Angst hatte, sondern sich nur vor fliegenden Ratten ekelte. Anschließend wären wir beide lachend davongegangen, um beim Leichenschmaus über die Phobien anderer zu sprechen.

Aber so blickte ich dieser Taube bedrückt hinterher und erinnerte mich – mit Bedauern – daran, wie Landis fortgegangen war, um uns sieben Jahre allein zu lassen. Und nun war er gegangen, ohne die Aussicht, je wieder zurückzukommen, ohne dass wir je über all das sprechen könnten, was nach diesen Jahren zwischen uns gestanden hatte.

Innerlich seufzend schluckte ich die Tränen hinunter – und spürte, wie Oriana aufmunternd meinen Arm drückte. Zumindest war ich in meiner Trauer nicht allein... dieser Gedanke hatte etwas äußerst Tröstliches an sich. Aber dennoch wünschte ich mir, dass es Landis gewesen wäre und nicht Oriana...
 

Wie ich es bis zum Einbruch der Dunkelheit in diesem Restaurant für den Leichenschmaus ausgehalten hatte, war mir selbst unbegreiflich. Als ich endlich aus dem stickigen Raum ins Freie trat, tief einatmen konnte und das Lachen der anderen nur noch gedämpft zu mir kam, fühlte ich mich schon viel, viel besser.

Langsam verstand ich, wie Landis sich bei dieser Hochzeit gefühlt haben musste. An diesem Tag hätte ich selbst gern irgendwann ein Glas gegen die Wand geworfen, so wütend war ich auf die ewigen Witze von Aurora gewesen. Zwar waren sie recht passend, da sie alle irgendwelche Anekdoten von Landis zum Inhalt gehabt hatten, doch ich wollte sie nicht hören. Ich wollte nicht lachen, am Allerwenigsten über ihn.

Andererseits wollte ich aber auch nicht weinen. Landis hätte das bestimmt auch nicht gewollt.

Kümmern musste mich das zwar auch nicht mehr, immerhin war er nun fort, aber für mein Verständnis war er auch noch da... irgendwie. Ich erwartete immer noch, dass er jeden Tag wiederkommen würde, obwohl ich gehofft hatte, dass diese Zeremonie heute das endlich abschließen würde.

Langsam, den Blick immer an den sich verfärbenden Himmel gerichtet, wandte ich meine Schritte nach Hause. Dort würde ich endlich meine Ruhe haben können – doch bevor ich dort ankam, hörte ich Schritte hinter mir, gefolgt von einer Stimme, die meinen Namen rief.

Ich wusste sofort, wer es war, weswegen ich eigentlich erst gar nicht stehen bleiben wollte, es schließlich aber dennoch tat. Am Ende würde sie mich sonst noch nach Hause verfolgen...

Zwar hatte ich den ganzen Tag mit ihr reden wollen, aber nun stand mir doch eher der Sinn danach, nach Hause zu gehen und Landis zu verfluchen.

Als ich mich ihr zuwandte, blieb Nadia ebenfalls stehen. Sie lächelte erleichtert – doch zum ersten Mal an diesem Tag entdeckte ich auch in ihrem Blick Trauer und nicht nur Abweisung.

„Endlich~ Ich wollte dir das den ganzen Tag noch geben.“

„Was denn?“

Sie griff in ihre Tasche und kramte darin, nebenbei fuhr sie fort: „Ich wollte Landis jeden Tag schlagen, seine Geschichten gingen mir so sehr auf die Nerven...“

Unwillig presste ich die Lippen aufeinander, unterbrach sie aber auch nicht, obwohl ich das Gerede nicht hören wollte. Gedanklich träumte ich mich bereits zu mir nach Hause und fragte mich, ob ich genug Alkohol hätte, um mich für den Rest der Nacht außer Gefecht zu setzen.

Doch als sie fortfuhr, hörte ich ihr sofort wieder zu: „Jeden Tag, alles, was er erzählt hat, ging immer nur um Oriana oder Kenton – aber am meisten um dich. Egal, was wir gesehen haben, meist fiel ihm irgendwas ein, was mit dir zu tun hat.“

Sie lachte leise. „Wir kamen zum Beispiel mal an einen Apfelbaum und er erzählte uns, wie ihr von einem Dieb mit Äpfeln beworfen wurdet. Er betonte immer und immer wieder, was für ein besonderer Kerl du gewesen wärst.“

Ich wollte sie fragen, was das sollte und ob sie mir das alles unbedingt erzählen musste – immerhin half es mir im Moment nicht sonderlich, meinen Zorn zu vergessen –, doch da beförderte sie endlich einen Zettel zutage. „Hier ist es~“

Sie reichte mir das Papier, das ich fragend ansah.

„Es ist ein Gutschein“, erklärte sie lächelnd. „Für Dipaloma-Äpfel. Landis sagte, du liebst sie, deswegen hat er dir diesen Gutschein gekauft... er wollte ihn dir nach seiner Rückkehr geben, als Entschädigung für die letzten sieben Jahre.“

Mit tauben Bewegungen nahm ich ihr den Zettel ab und blickte ihn an. Die Worte verschwammen vor meinen Augen, aber unter den vorgedruckten Buchstaben konnte ich Landis' Handschrift erkennen. „W-warum hat er ihn mir nicht gegeben?“

Gut, wir hatten uns nach seiner Rückkehr nicht oft miteinander unterhalten. Aber auch nur, weil er sich selbst von mir distanzierte als hätte er Angst vor mir – und in gewisser Weise war das wohl auch wahr gewesen, wenn ich im Nachhinein daran zurückdenke. Ehrlich gesagt war ich mir auch nicht sicher, ob ich ihn während eines Gespräches nicht tatsächlich noch einen Schlag versetzt hätte, stellvertretend für all die Momente in meinem Leben, in denen ich ihn gehasst hatte.

„Er sagte, weil er sieben Jahre weggewesen wäre, fürchtete er, dass du ihn nicht mehr mögen würdest, da er sich so sehr verändert hatte – und dass du denken könntest, er würde sich deine Freundschaft zurückkaufen wollen. Deswegen hat er mir den Gutschein gegeben und mir gesagt, ich soll ihn dann an dich weiterreichen, falls ihm etwas geschieht.“

Ich konnte nicht anders als mich über ihn zu ärgern und das verstärkte den Kloß in meinem Hals noch einmal. Ich wollte ihn anschreien und ihm einen Schlag verpassen dafür – aber er hatte sich feigerweise bereits aus der Affäre gezogen und das für immer. Auch dafür wollte ich ihn schlagen, am besten so heftig, dass er den Schmerz noch in einer Woche spüren würde.

Ich bedankte mich murrend bei Nadia und steckte den Gutschein ein. Scheinbar verlegen neigte sie den Kopf und legte die Hände hinter ihrem Rücken zusammen. „Mhm, falls du mal was brauchst, kannst du mit mir reden~ Aidan und ich werden in New Kinging bleiben – und ich kenne viele Geschichten, die Landis euch nicht mehr erzählen konnte.“

Das Lächeln auf ihrem Gesicht wirkte nostalgisch, ich wünschte, ich könnte es ihr nachempfinden, statt wütend zu sein. Allerdings freute ich mich auch ein wenig, dass sie bleiben würde und mir von sich aus anbot, mit mir zu sprechen – ich würde davon Gebrauch machen, aber sicher nicht nur wegen den Geschichten von Landis.

„Danke, Nadia... Aber für heute will ich nur noch alleine sein.“

Sie nickte leicht und ging wieder in Richtung des Restaurants davon. Doch ehe sie aus meiner Hörweite verschwand, blieb sie noch einmal stehen und wandte sich mir zu. „Ich glaube, Landis hat dich ernsthaft geliebt... wie einen Bruder. Auch wenn er es euch nicht erzählt hat, ich denke, dich hat er am Allermeisten vermisst.“

Klasse, davon hatte ich nach seiner Rückkehr aber nichts mitbekommen. Und was kümmerte mich das jetzt noch?

Da ich nichts mehr sagte, wandte sie sich wieder ab und ging endgültig davon.

Seufzend blickte ich ihr hinterher – und entdeckte in dem Moment ein Glühwürmchen, das einsam und verloren durch die Stadt schwirrte als ob es nur darauf wartete, gefangen zu werden. Ich schmunzelte leicht.

Zu dumm, dass nicht einmal Wünsche einem einen Toten zurückbringen...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2011-01-30T20:28:50+00:00 30.01.2011 21:28
Oh nein ... dieser Titel ... ich ahne, dass es sehr traurig werden wird.
Irgendwie habe ich jetzt Lust, "My Hands" von Leona Lewis anzumachen, weil ich das Lieb am Ende von SV gehört habe und Lans Tod damit verbinde. *Musik anmach*
Puh, dann mal auf. >.<

> bei der die Stimmung so gelöst und entspannt war wie bei dieser – und ich konnte es nicht im Mindesten verstehen.
Also wenn es sich dabei tatsächlich um Lans Beerdigung handeln sollte, kann ich das auch ganz und gar nicht verstehen! ò.ó

> „Warum fragst du dann überhaupt?“
Manchmal nervt mich diese Frage, wenn es mir selbst passiert. Wenn es mir schlecht geht und ich nichts sage, will ich auch meine Ruhe haben und wenn dann jemand ankommt um zu fragen, was denn mit mir los sei, reagiere ich oft sehr patzig, was mir dann wieder leidtut. =(

> es kam mir tatsächlich vor als wäre ich selbst gestorben.
Das muss ein schreckliches Gefühl sein ... nun, ich habe das Glück bisher keinen derartig nahestehenden verloren zu haben, deshalb kann (und will) ich es mir nicht richtig vorstellen. Sicher, ich bin immer traurig und bewegt, wenn jemand stirbt, egal um wen es sich handelt. Aber bei so guten Freunden oder Familienmitgliedern muss es schrecklich sein. Vor allem wenn man jemanden so früh verliert ...
Ich wünschte, ich könnte helfen, aber das geht schlecht. >.<"

> Immerhin waren wir doch beste Freunde gewesen...
Ich frage mich auch, warum Lan zumindest No nichts davon erzählt hatte. D:

> dass irgendwann manchmal auch zu spät bedeuten konnte.
... Das sind wirklich wahre Worte, die in jeder Lebenssituation Bedeutung finden.

> Offensichtlich hielten Nymphen nicht sonderlich viel vom Tod... er kümmerte sie offenbar nicht einmal.
Ich muss ehrlich zugeben das mich ihre Art ebenfalls schockiert. Gut, vielleicht ist es aber auch nur ihre Art, um mit Lans Tod umzugehen. ^^"

> „Frediano hatte dich als stellvertretenden Kommandanten eingetragen...“
Fredi ... ich finde ja immer noch, dass er irgendwo einen guten Kern hatte. Den hat schließlich grundsätzlich jeder, nur manche verstecken das sehr gut. :)

Ui, diese Tradition mit der Taube ist toll. <3
Hast du dir das selbst ausgedacht? Ich bin richtig fasziniert davon. :D

> sondern sich nur vor fliegenden Ratten ekelte.
Hihi ... hätte mich auch gewundert, wenn Ria Angst vor gewöhnlichen Vögeln gehabt hätte. =)

> „Ich wollte Landis jeden Tag schlagen, seine Geschichten gingen mir so sehr auf die Nerven...“
Haha, ja ich erinnere mich ... die beiden hatten nicht unbedingt das beste Verhältnis, aber wie heißt es doch so schön? Was sich liebt, das neckt sich alt. ^^

> wie ihr von einem Dieb mit Äpfeln beworfen wurdet
Ein Insider aus WwH! :DD *megafreu*
Teepo: Dieser Dieb war ich, jawohl! *stolz nick*

Irgendwie ... habe ich am Ende dieses Kapitels sehr gemischte Gefühle, was mich selbst sehr verwirrt. Auf eine Art bin ich natürlich traurig, wegen der Beerdigung, wütend, weil ich die Wut von No verstehe und Aurora die ganze Zeit so unangemessen drauf war, absolut begeistert von den Insidern aus WwH, verzweifelt, weil ich nichts tun kann um No zu helfen oder aufzuheitern und ich fand den letzten Abschnitt mit Nadia süß sowie mitreissend. Zu viele Gefühle auf einmal. x___X"
Dieses Kapitel fand ich richtig gut geschrieben, es hatte so viele unterschiedliche Aussagen auf einmal, die gut eingegliedert wurden. Ich bin nach wie vor begeistert von dieser FF und habe wieder richtig Lust morgen an WwH weiterzuschreiben. <3


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