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Around the Sun

[Jahreskalender 2011]
von

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AUGUST

Informationen:

Thema: August

Autor: Chimi-mimi

Fandom: Eigene Serie
 

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August
 

Vorsichtig half Claire ihrem Großvater in seinen Lieblingssessel, der, der am Fenster stand, mit Blick auf den weitläufigen Park. Dann, mangels einer besseren Beschäftigung, begann sie sein Bett wieder herzurichten. Sie besuchte ihren Großvater zwei Mal in der Woche, mindestens, auch wenn sie wusste, dass er sie wahrscheinlich nicht einmal bewusst wahrnahm. Seit ihre Großmutter vor ein paar Jahren verstorben war, hatte Opa nicht mehr gesprochen, seit dieser Zeit lebte er in seiner eigenen Welt.

„Es war ein August wie dieser, vor vielen Jahren. Es hat geregnet.“ Seine brüchige Stimme ertönte wie ein Phantom in dem kleinen Raum und Claire traute ihren Ohren kaum.

„Opa?“

„Claire.“ Er schenkte ihr ein sanftes Lächeln, so liebevoll, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen – ihr Großvater war da und er nahm sie wahr, er erkannte sie. „Es tut mir Leid, Claire, aber bisher konnte ich einfach nicht reden. Es ging nicht.“

Zitternd vor Freude kniete sie vor ihm und griff nach seinen faltigen Händen, unglaublich dankbar, dass er zurückgekommen war.

„Opa, ich bin so froh, dich zu sehen“, schluchzte sie leise vor sich hin, „Ich hab gedacht, du wärst…“

„Dement?“ So langsam gewann seine Stimme an Kraft, auch wenn er nicht verbergen konnte, dass sie so lange unbenutzt geblieben war. „Ich habe es gehört, aber ich hatte einfach nicht die Energie, mich bemerkbar zu machen.“

„Hat Omas Tod dich so mitgenommen?“

„Ich vermisse deine Großmutter. Mit ihr ist meine Vergangenheit endgültig gestorben.“

„Wie meinst du das?“

„Weißt du, wie Oma und ich uns kennengelernt haben?“ Verneinend schüttelte Claire den Kopf und legte ihn leicht schief, die Hand ihres Großvaters an die Wange drückend. „Das dachte ich mir, wir haben nie darüber gesprochen, eine unausgesprochene Vereinbarung. Aber jetzt kann ich sie brechen, oder?“

Sanft entzog er Claire seine Hand und drehte unsicher den goldenen Ehering, den er an seiner rechten Hand trug. Dann nickte er entschlossen und sah aus dem Fenstern, doch sein Blick war nicht auf den Park, sondern auf einen Tag weit zurück in der Vergangenheit gerichtet.
 

Schon seit zwei Tagen war ich auf dem Weg zu der Hexe, um meinen Auftrag zu erfüllen. Meine Arbeit als Söldner führte mich weiter umher, doch auf ein magisches Wesen, wie die Hexe es seine sollte, war ich noch nie getroffen. Um ehrlich zu sein, war ich ziemlich gespannt, man traf in diesen Tagen nicht oft auf Frauen, die inmitten der Pampa alleine lebten. Noch seltener traf man jedoch auf diese Kräuterweiblein, die glaubten, mit Hilfe von ein paar Kräutern wäre alles gut. Aber gut, ich musste ja schließlich mein Geld verdienen, da konnte es mir eigentlich egal sein, von wem ich Aufträge erhielt.

Laut meinem Plan waren es nur noch zwei Kilometer, dann käme ich an eine zweigeteilte Eiche, bei der ich rechts abbiegen sollte. Mythischer ging es ja nun wirklich nicht: Ein Baum, von einem Blitzschlag zerteilt. Eine Abschreckung für alle, die an die Magie glaubten und an böse Omen, für mich jedoch war das einfach nur ein kaputter Baum. Meine Kollegen hatten sich alle gedrückt, als der Auftrag ausgeteilt wurde, einer wurde krank, bei dem anderen wurde ein Familienmitglied krank, wichtige Pflichten, faszinierend, wie viele Gründe sich fanden, um nicht mit der Hexe zusammen zu arbeiten. Mir hingegen kam der Auftrag gerade recht: Schön weit weg, also einige Tage für mich, die ich einfach genießen konnte. Hinzu kam die Tatsache, dass Magie nicht existierte, zumindest für mich nicht.

Doch genug von diesen Gedanken, ich sollte lieber noch einmal die Bedingungen des Auftrags durchgehen: Begleitung der Hexe auf der Suche nach einer seltenen Zutat, die an einer gefährlichen Stelle wuchs. Gut, es gab einfach nicht viel, das ich durchgehen konnte. Dies war einer der einfachsten Aufträge, die ich je erhalten hatte.

Während ich den Baum passierte, natürlich den rechten Weg nehmend, fing ich an, mir die Hexe vorzustellen: Wie in den Märchenbüchern sollte sie sein, alt, buckelig, mit einer Warze und einer großen Nase, das Haar weiß und buschig und durch Locken geprägt, die Augen wären stechend schwarz und doch zugleich trüb. Vielleicht hatte ich ja Glück und sie sah tatsächlich so aus, das wäre doch sehr amüsant.

Kurz darauf musste ich jedoch feststellen, dass die Hexen auch nicht mehr das waren, was die Märchenbücher vorschrieben. Ich erreichte ihr Haus, das leider nicht aus Lebkuchen bestand, nur kurz nachdem ich die Eiche passiert hatte. Sie schien mich schon erwartet zu haben, denn vor der Tür, auf einer grünen Bank, saß eine junge Frau in meinem Alter, die gedankenverloren mit einem Raben spielte – zumindest das entsprach den Büchern.

Mit einem höflichen Räuspern näherte ich mich und blickte darauf in haselnussbraune, freundliche Augen, die mich anzulachen schienen.

„So so, der Herr Söldner ist da. Mein Name ist Claire, ich bin die Hexe, die Sie begleiten sollen.“

Stumm nickte ich ihr zu, streng nach den Vorschriften, denn Kontaktaufbau zu unseren Kunden war streng untersagt.

„Marcus, komm raus. Wir werden gleich losgehen, der Herr Söldner ist teuer genug, nicht wahr?“ Spöttisch zwinkerte sie mir zu, setzte den Raben auf die Bank und legte sich einen samtenen Beutel um. Neugierig sah ich mich um, fragte mich, wer uns wohl begleiten würde, als plötzlich eine gar bunte und schrille Gestalt in der Tür der kleinen Hütte erschien.

„Bonjour, Monsieur, Marcus, mein Name. Ich bin Zauberkünstler für den Zirkus Garibaldini.“ Mit einem Griff zog er einen Blumenstrauß heraus und legte ihn zu meinen Füßen.

„Tja, Herr Söldner, ich bin Ihr Kunde, doch Marcus hier ist mein Kunde. Für ihn ist der Trank, den ich braue, und für ihn gehen wir den Gelbschatten suchen, eine sehr seltene kleine Blume.“

Ich war immer noch fasziniert von den beiden Personen, die da vor mir standen: Claire, die Hexe, welche von hoher Gestalt war, fast so groß wie ich, und mit ihrem glatten blonden Haar eine echte Schönheit war, während Marcus klein und rund gewachsen war. Der schwarze Schnauzbart war schon fast eine Kuriosität, die eine eigene Show in seinem Zirkus verdient hätte. Schlichte Schönheit gegenüber faszinierender Farbenpracht und Komik. In diesem Moment war ich froh, den Auftrag angenommen zu haben, denn es versprach, ein interessanter Tag zu werden.

„Nun, Herr Söldner, ich erkläre Ihnen, wohin wir gehen und was uns erwartet“, begann Claire, die im Laufschritt voraneilte, während ich an ihren Fersen blieb und Marcus wie ein kleiner Ball keuchend etwas hinter uns her hüpfte. „Ganz in der Nähe befindet sich die Nebelschlucht, geprägt von steilen Wänden und kargem Boden. Der Gelbschatten wächst dort, ganz in der Nähe der Schwefelvorkommen, die er liebt und durch die er seinen prächtigen Gelbton erhält. Zugleich leben dort die Cordalen, wie sie sich nennen. Sie verdienen ihr Geld mit dem Abbau von Schwefel und nennen die Nebelschlucht ihr Eigen.“

„Es sind widerwärtige kleine Kreaturen mit großen Zähnen und furchtbar ungepflegtem Aussehen!“ Unbemerkt war Marcus näher gehüpft und beteiligte sich nun an Claires Ausführungen, nicht beachtend, dass auch er nicht gerade von großer Gestalt war. Amüsiert beobachtete ich seinen Gang, bevor mein Blick den von Claire traf, der wieder ein Lachen in die Augen geschrieben war.

„Nun gut, Marcus, du hast Recht. Aber wichtiger ist, dass sie niemanden in die Schlucht lassen, Herr Söldner. Und wer doch einen Weg hinein findet, kommt selten lebend heraus.“ Ihr Gesichtsausdruck wurde ernst, so ernst, dass ich mir eine Frage nicht verkneifen konnte: „Findet Ihr den Gelbschatten nur in dieser einen Region?“

„Die Reise dafür wäre sehr weit, vermutlich zu weit und wir haben durch das Warten auf Sie schon zu viel Zeit verloren, die Reise zu den Schwefelvorkommen der Forgias wäre noch länger. Es eilt, die Zeit drängt.“

„Monsieur Söldner… ach, verraten Sie uns doch Ihren Namen, das wäre eine Erleichterung.“ Marcus wischte sich mit einem blütenweißen Taschentuch, das er scheinbar aus dem Nichts herbei gezaubert hatte, den Schweiß von seiner Stirn, und in einem Moment der Unbedachtheit verriet ich mit einem „Olivier“ meinem Namen.

„Ein wundervoller Name, Monsieur Olivier!“ Claire hatte angehalten, vermutlich um Marcus, der zwischenzeitlich den gleichen Farbton wie sein Jackett angenommen hatte, eine Pause zu gönnen, die dieser dazu nutzte, um mich über seinen Wunsch aufzuklären: „Ich habe eine Schwester, Monsieur Olivier, ihr Name ist Loraine. Ein wundervolles, liebes Mädchen, doch leider von einer schweren Krankheit geplagt.“

„Es gibt nur ein Heilmittel, Herr Söldner.“ Die Pause schien vorbei zu sein und eilig gingen – oder in Marcus Fall hüpften - wir weiter, immer in Richtung Süden. „Dafür brauchen wir den Gelbschatten. Leider hat Marcus zu lange gezögert, mich um Hilfe zu bitten. Wir, die Frauen meiner Zunft, sind doch noch zu verpönt und verschrien.“

Schweigend folgten wir dem Weg, um uns herum wurden die Bäume weniger und der Nebel dichter, die Nebelschlucht kam immer näher. Ich fragte mich, ob ich alleine die Cordalen abhalten konnte, doch für die unbekannte junge Frau und für das Geld riskierte ich mein Leben gerne. Das Söldner-Dasein machte mir Spaß, ich konnte reisen, traf die unterschiedlichsten Persönlichkeiten und verdiente gutes Geld. Zu Kämpfen kam es seltener, als man annehmen würde, meistens war ich nur ein schweigsamer Begleiter, der das Gefühl von Sicherheit vermittelte (und viele dazu verleitete, ihre Lebensgeschichte preiszugeben).

„Wir sind da“, stellte Claire schlicht fest, obwohl jeder von uns das auch ohne diesen Hinweis erkannt hätte. Düster und schier endlos lag der Schlund dieser Schlucht vor uns, umgeben von grauem, undurchsichtigem Nebel. Ich hatte zeitweise das Gefühl, ich würde den blauen Himmel nie wieder sehen.
 

Heiser hustend unterbrach Großvater sich und griff nach dem Tee, um diesen gierig zu leeren. Seine Stimme dankte es ihm nicht, dass er sie so lange nicht gebraucht hatte.

„Opa, diese Hexe, diese Claire, sie…“

„Sie war ein fantastischer Mensch, eine bessere Ärztin als jeder Arzt, der mich im Laufe der Jahre behandelt hatte. Ich durfte deinen Namen aussuchen und ich wusste, dass sie sich darüber gefreut hätte. Leider verstarb sie viel zu jung, nur wenige Jahre, nachdem wir uns kennenlernten.“

„Und Großmutter? Ist sie die Loraine, die kleine Schwester von diesem verrückten Zauberer Marcus?“, verwirrt versuchte Claire, die ganze Situation, diese Geschichte zu entwirren und zu sortieren.

„Dein Großonkel Marcus war wirklich ein verrückter, aber wundervoller Kerl. Leider kannte ich ihn nicht lange, denn er verstarb noch an diesem Tag, an dem wir uns das erste Mal trafen.“ Trauer überschattete Oliviers Gesicht, als er sich zurückerinnerte, an diesen Moment, in dem er einen wundervollen Menschen zurücklassen musste.
 

„Geht, geht!“, flüsterte Marcus schwach, die letzten Reste seiner mageren Kraft nutzend. Entsetzt sah ich ihn an, sah zu, wie das Leben in Form seines roten Blutes aus seinen Adern wich. Ich spürte nicht, wie Claire an mir zerrte, hörte ihre verzweifelten „Komm“-Schreie nicht, mein Blick galt einzig und allein diesem verrückten, mutigen und wahnsinnigen Mann.

„Geht, Monsieur Olivier, geht und rettet meine Schwester. Ich bitte euch, ich werde dies nicht überleben, ich weiß es.“ Seine runden Augen sahen mich wissend an, der Blick war schon in die Ferne gerichtet, so wie ich es erst einmal bei einem Sterbenden mitansehen musste. „Verschwindet!“

Kraftlos folgte ich Claire, die an meiner grauen Uniform zog, mich anfeuerte, die mir so stark erschien, bis ich die Tränen auf ihren Wangen schimmern sah. Hatte ich versagt? Ja. Hatte ich die beiden enttäuscht? Ja. Hatte ich eine Chance, dies wieder halbwegs gut zu machen? Ja.

So schwer es mir fiel, ich riss mich dennoch zusammen, eilte Seite an Seite mit der Hexe voran, weg von Marcus, weg von diesen Monstern. Es gab immer noch ein Ziel für uns: Wir mussten ein Versprechen einlöse und Loraine heilen.
 

„Was ist geschehen, Opa, was ist geschehen?“ Mit weit aufgerissen Augen sah Claire ihn an und erinnerte ihn schmerzhaft an Marcus‘ Blick im Angesicht des Todes. Die Familienähnlichkeit war nicht zu leugnen.

Seine Stimme brach fast, als er ihr von dem Angriff der Cordalen berichtete: „Wir kamen gut voran, es war unglaubliches Glück, zumindest unserer Ansicht nach. Lass mich dies bitte nicht noch einmal erleben, lass dir nur sagen: Wir fanden den Gelbschatten, doch auf dem Rückweg schossen sie auf uns und Marcus wurde getroffen.“

„Das tut mir Leid, Opa, ich hätte ihn gerne kennen gelernt.“ Liebevoll griff Claire nach den Händen ihres Großvaters und hielt sie fest, damit er spürte, dass in diesem Moment für ihn da war.

„Mir tut es auch Leid, Kind. Sehr sogar.“
 

Schweigend liefen wir Seite an Seite durch den Wald. Bevor wir nach Loraine suchten, mussten wir erst den Trank zu Ende brauen, das hatte zumindest Claire vorhin mit brüchiger Stimme gesagt. Es nahm sie mit, das sah ich, und doch machte sie mir keine Vorwürfe. Dabei hatte ich bei meinem Auftrag versagt, ich hatte Marcus nicht geschützt und was anderes war meine Aufgabe gewesen? Nichts. Ich fühlte mich schuldig, kein Wunder nach diesen Geschehnissen, doch Claire schien dies zu spüren: „Hör auf dir Vorwürfe zu machen.“

Zwischenzeitlich war sie zum Du gewechselt und ließ auch das Herr Söldner weg, ich war einfach nur noch Olivier für sie.

„Es war Zufall, du konntest diesen Hinterhalt nicht bemerken, ebenso wenig wie ich oder Marcus. Es war ausweglos und jeder von uns hätte sterben können.“ Zwar schenkte mir dies keine Erleichterung, doch ich beschloss einfach zu nicken und mich einverstanden zu geben.
 

„Ich hatte wirklich keine Schuld. Allerdings kann ich das auch erst jetzt, nach dieser langen Zeit ohne Schuldgefühle sagen. Claire hatte recht, wie so oft, es war eine ausweglose Situation.“

Seine Enkelin erinnerte sich daran, dass ihre Großmutter einmal erwähnt hatte, dass sie ihn erst aus einer schlimmen Phase hatte zurückholen müssen und dass er einige Jahre lang unter starken Depressionen gelitten hatte.

„Du hast deine Aufgabe, Marcus‘ letzten Wunsch, ausgeführt und dann hast du deinen Gefühlen nachgegeben, nicht wahr?“

„Ja.“ Er lächelte sie traurig an. „Großmutter hat ja oft davon gesprochen, dass sie meine Rettung war, und das stimmt auch. Sie war eine wundervolle Frau. Nach ihrer Genesung hat sie mich tagtäglich besucht, egal wie furchtbar ich mich benommen habe und es gab Zeiten, da…“

Ja, es war furchtbar und darum ließ er lieber unausgesprochen, was er in dieser Zeit erlebt und gemacht hatte. Jeder Mensch hatte Zeiten, die er am liebsten auslöschen würde und Oliviers Zeit war die nach Marcus‘ Tod.

„Aber du hast noch ein Ende verdient, nicht wahr?“ Großvater schien wieder konzentriert und hatte sich auch wieder im Griff, hatte die traurige Erinnerung erneut verdrängt. „So viel im Voraus: Claire braute den Trank und wir brachen auf, um Loraine zu helfen. Zum Glück hatte Marcus oft von dem Krankenhaus gesprochen, in dem sie war, so dass die Hexe… ich meine Claire… wusste, wohin unser Weg uns zu führen hatte.“
 

„Das ist es“, sagte Claire leise und sah mich erschöpft an. Die Flucht, das Erstellen des Tranks und schließlich der Weg hierher hatten an ihren Kräften gezehrt, ebenso wie an meinen. Zeitweise hatte ich das Gefühl, dass ich, wenn ich jetzt schlafen würde, einfach nicht mehr aufwachen könnte – in gewisser Weise ein wunderschöner Gedanke. „Erfüllen wir Marcus‘ Wunsch, retten wir Loraine. Aber vorher sollten wir uns herrichten. So wird uns niemand zu ihr lassen.“

Ich sah an uns herunter und erkannte zum ersten Mal die letzten Stunden auch an unserer Kleidung. Staub, Dreck, Risse und Blut zierten diese Seite an Seite, in friedlichem Einklang. Claire hatte Recht, so würden wir nur negativ auffallen und damit wäre Loraine nicht geholfen.

„Der Bach“, merkte ich nur kurz an, doch sie wusste sofort, wovon ich sprach, den erst vor kurzem hatten wir dieses kleine Rinnsal passiert. Gegen die Risse konnten wir nun nichts tun, doch in dieser Zeit der Entbehrung fiel auch zerschlissene Kleidung nicht weiter auf, doch Dreck, Staub und insbesondere Blut würden wenig Eindruck schinden.

Mit eckigen und unsicheren Bewegungen befreiten wir unsere Kleidung von den größten Flecken und richteten auch uns, so gut wie es ging, wieder her. Nur die Trauer und Erschöpfung, die auf unseren Gesichtern geschrieben standen, konnte keiner von uns löschen.

Ich folgte Claire, die die Situation im Krankenhaus erklärte und um Besuchsrecht bei Loraine bat. Mir war schwer ums Herz, denn zwar retteten wir, oder eher Claire, ihr Leben, doch zugleich musste sie erfahren, dass ihr Bruder gefallen war.
 

„Sie ging wunderbar damit um. So gut man damit umgehen kann, dass man einen geliebten Menschen verloren hat. Claire heilte sie und dann trennten sich unsere Wege. Vorerst.“

„Es war Schicksal.“ Verwundert betrachtete Olivier das nachdenkliche Gesicht seiner Enkeltochter.

„Wie meinst du das?“

„Stell dir vor, Marcus wäre nicht gestorben. Ihr wärt zurückgekehrt, er und Claire hätten Loraine geholfen, du jedoch wärst zurück zu deiner Truppe gegangen. Du hättest Großmutter nie kennen gelernt, die Freundschaft mit Claire wäre nie entstanden, oder?“ Fragend sah sie ihn an, und nachdem er einen Moment lang darüber nachgedacht hatte, nickte er.

„Du hast Recht. So gesehen war es Schicksal. Ein anderer Weg hat sich mir eröffnet und im Nachhinein gefällt er mir wirklich gut.“



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