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Freundschaft und Liebe

[Sasuke x Sakura | high school AU | jerks to friends]
von

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Waves And Vessels


 

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Es war heiß an der mittleren Westküste Japans. In der Bucht Tokios tummelten sich Schiffe um Schiffe, Seemänner verluden Frachten und Kapitäne scherzten mit den baldigen hochrangigen Passagieren ihrer nächsten Fähre. Heute würde die Tropicana Balia auslaufen, ein großes Passagierschiff, das acht Decks und zweitausend Menschen beherbergte. Die Kabinen waren ausgebucht. Während die Innenkabinen ohne Fenster von Mittelklasseverdienern belegt waren, sah man die weiß gekleideten Platzanweiser auf den verschiedenen Stockwerken die geräumigen Außenkabinen mit Meerblick an betuchte Reisende vermitteln.

Eine dieser Reisenden war Sakura Haruno, ein junges Mädchen von achtzehn Jahren, dessen langes Haar blassrosa unter dem großen Hut in den morgendlichen Sonnenstrahlen glänzte. Ihre strahlend grünen Augen waren hinter einer großen Sonnenbrille versteckt, die durch ihren dezenten Stil ihre Kostbarkeit verriet. Sie war nicht sonderlich groß, nun, da sie die hochhackigen Stilettos gegen flache Sandalen getauscht hatte, um bei möglichen hohen Wellen nicht ins Straucheln zu geraten. Eins dreiundsechzig durfte sie ihr Eigen nennen; nicht gerade groß, aber für eine Japanerin doch angemessen, wie sie fand. Auf die Größe kam es außerdem nicht an, denn sie war gut situiert, um nicht zu sagen reich, hübsch, um nicht zu sagen schön, und klug, um nicht zu sagen intelligent. Diese drei Eigenschaften machten sie zu einer gern gesehenen Dame der wohlhabenden Gesellschaft. Man mag nun annehmen, bei solch vortrefflichen Attributen auf aufwiegende Negativitäten zu stoßen, wie etwa einem eingebildetes oder egoistisches Naturell, doch Sakura hatte die ersten fünf Jahre ihrer Kindheit in der Mittelschicht verlebt und als ihr Vater zum Chef von Tokios größter Privatklinik befördert worden war, hatte sie dank der strengen Erziehung ihrer Mutter ihr Leben mit so wenig Privilegien als möglich fortgelebt. Das hatte ihr einen gefestigten Willen und eine starke Persönlichkeit verliehen, die nicht etwa von Arroganz und Eigennützigkeit geprägt war, sondern im Gegenteil von einer natürlichen Freundlichkeit und Heiterkeit, die man selten bei Frauen in diesem Alter und dieser gesellschaftlichen Stellung antraf.

Ihre Schwester Sayuri, ein Jahr jünger als sie, war zwar charakterlich ihr genaues Ebenbild, wenn auch etwas schüchterner, aber ihr sonst kaum ähnlich. Sayuri war größer, etwa eins sechsundsechzig, hatte wasserblaue Augen und helleres rosa Haar, in dem man einen kräftigen Rotstich ausmachen konnte. Bedingt durch ihre Größe war sie jedoch die Unelegantere der beiden und man sah sie nur selten in Kleidern, Röcken oder schicken Blusen.

Wenngleich sich die beiden Schwestern in ihrer Wesensart auch noch so ähneln mochten, so lebten sie diese völlig unterschiedlich aus. Sakura besaß hinter ihrem Leichtmut ein berechnendes Kalkül und einen unversöhnlichen Geist, der, einmal beleidigt, auf ewig den Schmäher mit Boshaftigkeit überhäufte. Sayuri hingegen besaß ein großes Maß an Gleichmut, mit dem sie alles Unliebsame ertrug, das über sie kam. Für sie war es weniger schwer zu verzeihen als für ihre ältere Schwester.

Den Rest der Familie bildeten Haruno Kizashi und Mebuki, ein Ehepaar Mitte fünfzig, das sich vor allem durch Bodenständigkeit auszeichnete. Mit auf die Reise gingen allerdings mehr als nur diese vier, denn ein Familienausflug war die kostspielige Fahrt auf dem größten Kreuzfahrtschiff Japans gewiss nicht. Getarnt als harmlosen Urlaub hatte Kizashi einen klugen Schachzug geplant, der nun in seiner vollen Blüte aufgehen sollte. Durch einen Zufall hatte er nämlich erfahren, dass auf genau dieser Fähre ein potenzieller Sponsor mit seiner Familie die Sonne genießen würde. Dieser Mann war für Kizashi Haruno von großer Wichtigkeit; denn hätte er ihn als Aktionär oder Investor, würde er seine Klinik vor dem finanziellen Ruin bewahren können, in den er sie gefahren hatte. Er hoffte also auf eine glückliche Begegnung mit dem stattlichen Mann, in dessen noch ahnungslosen Händen das Schicksal seiner Familie lag—und das mehr als Kizashi sich eingestehen wollte.
 

"Man kann ja viel über Schiffe sagen, aber egal wie groß sie sind, die Wellen spüre ich trotzdem!", beschwerte sich Sayuri, als sie mit ihrer Familie das Deck betrat. "Mir wird jetzt schon übel."

"Hast du die Tabletten genommen, die ich dir gegeben habe?", fragte ihre Mutter besorgt. Fürsorglich legte sie einen Arm um die Schultern ihrer schwankenden Tochter.

"Ja, aber sie helfen nicht, das siehst du doch! Mir ist schlecht. Ich glaube, ich muss mich—oh, doch nicht. Falscher Alarm." Neben ihr rollte Sakura hinter der Sonnenbrille mit den großen Augen. Der Geschwisterharmonie zuliebe tat sie es aber statt zu zetern ihrer Mutter gleich und stützte Sayuris andere Seite mit dem freien Arm, um dessen Schulter keine Korbtasche hing.

"Danke", murmelte Sayuri, die Hand vor den Mund gepresst. "Wieso mussten wir dieses Jahr eine Kreuzfahrt machen? Im Strandhaus wäre es doch genauso gemütlich gewesen und weniger wellig!"

"Sayuri, Liebes, dein Vater wollte sie unbedingt machen. Sei bitte so nett und gönn es ihm. Er hat sich das schon so lange gewünscht."

"Ja", meinte Sakura halblaut, "seit drei Monaten. Ist ja auch eine Ewigkeit."

"Jetzt fang nicht du auch noch an, ich bitte dich! Wir sind hier, um eine schöne Woche zu verbringen! Es ist die vorletzte Ferienwoche und die würde ich wirklich gerne in Harmonie und Eintracht verbringen. Ist das zu viel verlangt?"

Beide Töchter verdrehten die Augen. Sie wussten ganz genau, dass ihre Mutter sich das harmonische Beisammensein nicht ihretwegen wünschte, sondern ihrer Töchter wegen. Sie sollten nicht mitbekommen, welche Probleme ihre Eltern hatten, denn seit Jahren lief in deren Ehe vieles schief, was eigentlich selbstverständlich sein sollte. Sie hatten sich auseinandergelebt, das erkannte jeder. In den letzten Monaten hatten sich dann auch noch die lautstarken Streitereien gehäuft und mehr als nur einmal hatten die Töchter einen Elternteil deprimiert in einem Zimmer gefunden mit einem Glas Whiskey oder Sherry in der Hand, das die Tränen getrocknet hatte.

Aufgrund dessen wagte keiner etwas zu sagen. Am Ende der nächsten Woche würden Sakura und Sayuri ohnehin wieder in das Miya-So-Internat ziehen, wo sie die familiären Probleme wenig belangten. Wie auch? Das Internat war eine internationale Privatschule für privilegierte oder besonders intelligente. Kinder Es gab etwa fünfzig Schüler pro Oberstufenjahrgang, die entweder alle äußerst viel Geld oder äußerst viel Grips besaßen, wobei letzteres eher seltener der Fall war, denn es gab pro Jahr nur fünf Stipendien für diese Schule. Diese trugen weniger der Nettigkeit als dem Prestige und dem Ansehen bei, denn normale Kinder ebenfalls aufzunehmen befreite die Schule von der schlechten Nachrede, Mittelklassekinder aufgrund Geldmangels nicht anzunehmen. Das Internat war das einzige seiner Art, denn eine solche Schulform war in Japan gänzlich ungewöhnlich. Miso, wie es im Volksmund genannt wurde, lag etwa zwanzig Kilometer von der zwanzigtausend Seelenstadt Miyazu entfernt. Sein Standort befand sich direkt am Meer, aber es war dennoch abgelegen von einer kleinen Bergkette umschlossen, sodass niemand die noch unfertigen Eliteschüler zu Gesicht bekam, außer die Bewohner Miyazus, wenn die Jugendlichen ein paar Mal die Woche dort einkauften.

In diesem Internat, in das man die Töchter vor drei Jahren abgeschoben hatte, um sie von den Eheproblemen fernzuhalten, bekamen sie nicht viel von diesen mit. Kurzum: Es interessierte sie auch nicht. Weit weg von Zuhause konnten sie ohnehin nicht viel tun, um die Situation zu entschärfen. Ihre Eltern bekamen sie nur in den Ferien zu Gesicht.

Nichtsdestoweniger hatten Kinder und Eltern ein liebevolles Verhältnis, das sich auf der Verlegenheit gründete, sich nicht allzu oft zu sehen. Darum waren die verhältnismäßig kurzen Zusammenkünfte von einer Einigkeit geprägt, welche das perfekte Familienbild wahrte—es war ja immerhin kein Trugbild, so wie bei anderen Familien. Nein, die Harunos waren eine eingeschworene Bande, die sich nur in die Haare bekam, wenn sie länger als vier Wochen beisammen waren. Diese vier Wochen waren immer viel zu schnell um, gleichzeitig freuten sich Sakura und Sayuri schon auf ihr eigentliches Zuhause. Dort waren ihre Freunde, ihre Vertrauten und ihr Leben.
 

"Es sind doch nur sieben Tage", versuchte Sakura ihre Schwester zu beruhigen. Sayuri hing missmutig mit grünem Gesicht über der Reling des privaten Balkons. Sie hatten bereits ihre Kabine zugewiesen bekommen, die zum Glück ein Stockwerk unter der ihrer Eltern lag. "Winzige hundertsiebzig Stunden, die überlebst du schon."

"Du hast leicht reden, dir wird ja auch nicht übel, sobald du kein festes Land unter den Füßen hast!"

"Das ist alles nur eine Frage der Einstellung. Ich habe auch ein schummriges Gefühl im Magen, aber ich nehme mich zusammen und genieße die salzige Meerluft, den kühlenden Wind und die leichten Wellen, wenn sie gegen die Schiffswand laufen."

"Bitte, führ das mehr aus und ich kotz dir auf die Füße!" Sayuris Griff um das Metallgeländer wurde unwillkürlich fester. Sieben Tage, das musste doch zu schaffen sein. Irgendwie würde sie es schon überleben. Irgendwie.

"Sag mal, was hältst du eigentlich von Schifahren in den Winterferien?", fragte Sakura, um sie abzulenken.

"Ich wollte eigentlich nach Hause", winkte Sayuri murmelnd ab. "Mit wem und wohin?"

Sakura kramte aus ihrer Tasche ein Prospekt heraus. "Das wollte ich dir schon die ganze Zeit zeigen, aber Mum flippt ja sofort aus, wenn ich ihr die Möglichkeit in Aussicht stelle, die Ferien nicht Zuhause zu verbringen." Sie gab ihrer Schwester den Reisekatalog. Auf der aufgeschlagenen Seite war eine zauberhafte kleine Hütte abgebildet, die von Schneeflocken umspielt inmitten einer weißen Schneelandschaft stand. "Ist doch schön, nicht wahr? Das ist eine Art Cottage in Gala Yuzawa, keine zwei Stunden von Tokio entfernt. Selbstversorger mit Reinigungspersonal für bis zu acht Leute direkt an der Schipiste. Es ist ein wenig teuer, aber das bekommen wir mit Dad sicherlich geregelt."

"Hm", machte Sayuri wenig überzeugt. "Ich bin keine große Schifahrerin, das weißt du. Ich fahr lieber heim."

"Oh, komm schon, Ri-chan!", raunte Sakura. "Yuzawa ist nicht weit weg von Tokio. Du könntest einen Teil der Ferien mit uns dort verbringen und für den Rest nach Hause fahren."

"Wer kommt denn noch mit? Deine Freundinnen?" Sayuri war immer noch skeptisch. Schnee behagte ihr nicht richtig.

Sakura nickte eifrig. "Ino, Hinata, Temari und wenn du möchtest kannst du Tenten mitnehmen. Ach ja, vielleicht kommen auch noch Naruto und Gaara mit."

"Natürlich." Sayuri lachte sarkastisch auf. "Ihr hasst Tenten. Das tue ich ihr nicht an, selbst wenn sie meine beste Freundin ist."

"Ach, papperlapapp, wir hassen sie nicht!", korrigierte Sakura bestimmt. "Keiner hat je gesagt, dass wir sie hassen, aber sie ist nun mal zum Feind übergelaufen."

"Diese elende alte Geschichte, Himmel, ich ertrage das bald nicht mehr!" Sayu konnte sich noch gut an den Tag erinnern, an dem die Freundinnen auseinander geschieden waren.

"Das war ein Jahr", stöhnte Sakura. "Ich schwöre dir feierlich: Wenn dieses Jahr wieder so ein Tamtam passiert, steig ich aus. Dann verschanze ich mich in ein Kloster irgendwo in den Bergen."

"Es ist ohnehin dein letztes Jahr, also kann es dir egal sein. Du bist Ende Juni für immer hier raus. Hast du dich eigentlich schon entschieden, welche Spezialisierung du belegst?"

Sakura ließ ein verstimmtes Grummeln hören, antwortete aber sonst nicht. Das war Sayuri Antwort genug. Ihre Schwester mochte wissen, was sie wollte, aber für ihre berufliche Zukunft hatte sie keinen Plan. Dass man im Abschlussjahr einen Zweig wählen musste, auf den der gesamte Stundenplan zugeschnitten wurde, half auch nicht gerade dabei, die Unsicherheit wegzuwischen.

"Sag schon, du musst spätestens heute Abend im Sekretariat Bescheid geben. Wie ich dich kenne hast du schon gestern angerufen." Sayuri stupste ihre Schwester auffordernd an. Ihre Übelkeit schien wie weggeblasen. "Also, zur Auswahl standen Wirtschaft, Marketing, Kunst und Naturwissenschaften. Kunst und Wirtschaft fällt dabei schon mal weg, das würdest du dir nicht antun. Bleibt also noch Marketing, was möglich wäre, weil es interessant ist, und Naturwissenschaften, was ebenso möglich wäre, weil du dann Medizin studieren und in Papas Fußstapfen treten könntest. Hmmm…" Überlegend griff sie sich an die Stirn.

"Ist ja gut, ich sag's dir", rief Sakura. "Naturwissenschaften. Keine Ahnung, was ich damit machen soll, aber es scheint mir das einfachste zu sein. Zufrieden?"

"Weniger." Sayuri verschränkte die Arme. "Naturwissenschaften sind doch total langweilig."

"Besser als Werbeplakate und Marktanalysen machen. Das ist deine Welt, nicht meine." Damit war das Gespräch beendet. Im Gegensatz zu Sayuris Annahme wusste Sakura sehr genau was sie wollte. Sie wollte Medizin studieren und das aus gutem Grund. Doch sie hatte ebenso ihre Zweifel daran, ob sie es überhaupt schaffen würde. Die Zweifel überwogen den Wunsch sogar um ein Vielfaches. Daher behauptete sie felsenfest, keine Pläne für ihre berufliche Zukunft zu haben—im Falle eines Scheiterns müsste sie ihrer Familie keine Niederlage eingestehen.

Sayuri erinnerte sich nun auch schlagartig daran, dass ihr auf Schiffen ja immer schlecht wurde und hängte sich nun wieder leblos über der Reling des Kabinenbalkons. "Ich werde das Deck erkunden . Willst du mitkommen oder lieber Übelkeit vorschützen?" Als Antwort bekam Sakura ein Würgegeräusch. Sie verdrehte die Augen, tätschelte ihrer Schwester kurz den Rücken und machte sich auf den Weg zum Hauptdeck.
 

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Die Tropicana Balia war wie eine Galerie aufgebaut. Sieben Etagen umrundeten die Mitte des Hauptdecks, auf dem sich das Leben abspielte. Hier gab es zwei Süßwasserpools, eine Bar und eine Liegewiese, auf denen sich gestreifte Liegen drängelten. Der Kreuzer war für alle Preisklassen zu haben, darum galt das Hauptdeck als Mittelklassedeck. Die Reichen hatten gegen einen mächtigen Aufpreis das Privileg, die oberen zwei Etagen ganz für sich zu haben. Auf diesen verteilt befanden sich ein Restaurant, zwei Bars und ein Casino, in welchen nur Leute mit Geld gerne gesehen waren. Das alles war mit neutraleren Worten im Reisekatalog gestanden und Sakura nahm sich vor, diese beiden Etagen tunlichst zu vermeiden. Sie hatte nichts gegen reiche Menschen zumal sie selbst einer war, aber privilegierte Kinder hatte sie das Jahr über im Internat, da brauchte sie diese nicht auch noch in ihren wohlverdienten Ferien um sich scharen.

Mit federleichten Schritten und einem sehenswerten Hüftschwung begann sie also die Entdeckungstour vom Deck sieben in die unteren Etagen. Und das Prospekt hatte nicht zu viel versprochen: An jeder Ecke waren irgendwelche Vergnügungsattraktionen, sei es ein Souvenirstand oder eine Hüpfburg für die Kleinen. Es war schlicht umwerfend! Hinzu kam der Bonus, ihre Eltern nicht allzu oft sehen zu müssen, denn ein Schiff war groß und die Erwachsenen hielten sich eher in Bars auf, wo die wichtigen Verträge entstanden.

"Wahnsinn", murmelte sie überwältigt. Ein solcher Palast auf dem Meer, das hatte sie noch nie gesehen. In zehn Minuten sollte der Koloss auslaufen, dann wäre nur mehr das weite Meer zu sehen. Ein Traum! Ein schwimmender Traum! Doch nach der kurzen Euphorie besann sich Sakura darauf, ihr eigentliches Ziel zu verfolgen. Sie war wohl ein ehrgeiziger Mensch voller Elan, aber ihre Entspannung fand sie dennoch im sinnlichen Genuss anstatt in anstrengenden Aktivitäten. Sie brauchte die Erholung bevor der stressige Schulalltag wieder losgehen würde.

Schnell war also die Erkundung abgebrochen, eigentlich war ihr die Tropicana Balia ja auch egal, solange sie Sonne und Buch hatte. Ebenso schnell war eine rot gestreifte Liege in Beschlag genommen, auf der keine Minute später eine schlanke Dame im Bikini mit Sonnenbrille, Hut und einem Buch zu finden war. Niemand würde erkennen, dass sie eigentlich gar nicht in diese Schicht gehörte, selbst wenn die manikürten Finger kokett gespreizt den Buchrücken hielten und die aalglatten Beine in automatischer Spannung übereinander geschlagen waren.

Sakura stellte ein Bild an natürlicher Eleganz dar, das selten jemand imitieren konnte, der nicht von klein auf darauf getrimmt worden war. Sie machte inzwischen die vollendet aparten Bewegungen unbewusst ohne große Anstrengung und das konnte sie sich leider auch nicht mehr abgewöhnen. Egal was sie auch tat, es verriet Noblesse. Aufgrund dieser Ausstrahlung fand sie sich auch eine gute Stunde nachdem das Schiff in See gestochen war von paar jungen Leuten angesprochen. Es war eine Gruppe von fünf, zwei davon Mädchen.

"Hey, entschuldige", rief die Größere der beiden von einiger Entfernung. Sie hatte eine sportliche Figur und einen blonden Pferdeschwanz. Als Sakura nicht reagierte, lief das Mädchen barfuss auf sie zu und beugte sich zu der Liegenden hinunter. Da sie dieser dadurch die Sonne stahl, blickte sie auf.

"Ja, bitte?"

"Entschuldige die Störung, aber meine Freunde und ich wollten eine Runde Volleyball spielen, aber wir sind eine ungerade Zahl, darum suchen wir Mitspieler. Hättest du Lust?"

"Nein, tut mir leid, ich kann nicht Volleyball spielen." Sakura wandte sich wieder ihrem Buch zu.

"Das macht nichts, wir bringen es dir bei, es ist auch nicht schwer!", beharrte die Blonde. "Du würdest dem jungen Mann mit der blauen Badehose außerdem eine ziemlich große Freude machen." Sie zwinkerte Sakura verwegen zu, doch diese blieb standhaft.

"Ich möchte wirklich nicht."

"Okay, macht nichts. Da wird Daisuke aber enttäuscht sein." Die Blondine wartete auf eine Reaktion, doch sie tat es vergebens. Nach der Abfuhr wandte sie sich zu einer anderen Liege, die von einem Sechzehnjährigen besetzt war, der bereitwillig zusagte.

"Das ist typisch." Genau das waren die Worte, die Sakura dachte und es waren genau die Worte, die eine männliche Stimme laut aussprach. Neugierig klappte sie das Buch zu und drehte sich auf ihrer Liege um. Hinter ihr saß ein Mann Mitte Zwanzig. Er hatte langes schwarzes Haar, das hinten zu einem Zopf gebunden war. Seine Augen wurden von einer Ray-Ban verdeckt, während die drei oberen offenen Knöpfe seines weißen Hemdes ein wenig von seinem Oberkörper preisgaben. Gelangweilt saß er auf der Liege direkt hinter Sakura mit Blick in ihre Richtung, ohne sie anzusehen. Seine Mundwinkel verrieten Missmut und seine Arme, die auf seinen abgewinkelten Knien aufgestützt waren, ließen Langeweile erkennen. Sakuras Blick fiel aber als allererstes auf die schwarze Badehose, die er trug. Auf dem linken Hosenbein erkannte sie einen roten Fächer.

"Uchiha Itachi, dass ich einmal die Ehre habe, dich kennen zu lernen hätte ich nicht gedacht", sagte sie erfreut, wenn auch gewollt übertrieben.

"Ja, ja", erwiderte er nur. Seine Zehen wippten in den schwarzen Flipflops gelangweilt auf und ab. "Du bist Haruno-sans Tochter, richtig? Sakura oder Sayuri?"

"Sakura. Ich bin die Ältere. Wie komme ich dazu, mich von dir angesprochen zu finden?"

"Mein Vater hat deinen Vater soeben kennengelernt. Zufälligerweise sind die Kabinen unserer Eltern nebeneinander und da wäre es doch schade, wenn wir beide uns nicht kennenlernen würden, habe ich recht?" Itachi nahm seine Sonnenbrille nun ab und bedachte Sakura mit einem einladenden Lächeln. Freundschaftlich reichte er ihr die Hand, die sie ein wenig perplex schüttelte. "Ich hab das halbe Schiff nach dir abgesucht, ehe ich dich gefunden habe!"

"Und du wusstest, wer ich bin, weil…?"

"Voriges Jahr hab ich mal ein Foto von dir in der Zeitung gesehen. Außerdem sind deine Schwester und du bekannt wie bunte Hunde. Es gibt nicht viele Menschen, die rosafarbenes Haar haben."

"Wenn ich nur hundert Yen für jedes Mal bekommen würde, wenn ich das höre! Es ist nicht wirklich angenehm, nur auf seine Haarfarbe reduziert zu werden."

Itachi entschuldigte sich flüchtig, dann stand er auf. "Eigentlich wollte ich mich nur vorstellen, um mich beim Essen krankmelden zu können, falls du unangenehme Gesellschaft bist, aber du wirkst nett."

Sakura stutzte verwirrt. "Du hast mich echt nur gesucht, weil du wissen wolltest, wie ich bin?"

"Nicht nur." Itachi wurde ernst. "Hör zu, alle fünf Minuten versucht ein finanziell angeknackster Geschäftsmann meinem Dad Geld aus der Tasche zu leiern, das wird mit der Zeit anstrengend. Ich möchte nur sichergehen, dass sich unserer Familien nicht deshalb anfreunden."

Sie spürte die Warnung in Itachis Stimme, behielt die Maske der Freundlichkeit jedoch gekonnt auf. Dennoch—es fröstelte sie ein wenig, als er sie ansah. "Keine Sorge, ich bin mir sicher, mein Vater würde niemals der finanziellen Mittel wegen mit jemandem reden. Zumindest nicht während eines Familienurlaubes."

"Das freut mich zu hören." Er wandte sich zum Gehen, hielt sich aber selbst noch kurz zurück, indem er amüsiert rief: "Zieh dir heute Abend das Beste an, was du hast! Ich habe einen Bruder in deinem Alter und glaub mir, du würdest dich ärgern, wenn er dich nicht in deinem schönsten Kleid sehen würde!"

Sakura schüttelte über eine solche Anmaßung nur den Kopf. Typisch Uchiha! Sie kannte die Familie nur vom Hörensagen und von manchen Zeitungsartikeln der Wirtschaftspresse, die ihr Vater abonniert hatte. Ihrem begrenzten Wissen nach hatte ihnen eine traditionsreiche Firma gehört, deren Wurzeln lange zurück reichten. Sie waren früh zu Geld gekommen und hatten sich in Japan ein Monopol aufgebaut. Nachdem dieses auf Milliarden verklagt worden war, hatten sie das Unternehmen mit all seinen Tochtergesellschaften geschlossen. Genug Geld hatten sie aber dennoch zur Verfügung gehabt. Auf der Basis dieser finanziellen Mittel hatte Itachis Großvater eine neue Firma aufgebaut, die sich mit irgendwelchen komplizierten Börsengeschichten beschäftigte, die sie weder verstand noch verstehen wollte. Was die Familie davor gemacht hatte, wusste sie ebenfalls nicht. Sie wusste nur, dass es sehr, sehr viel Geld eingebracht hatte. Die Tatsache, dass sich jeder um Fugaku Uchiha riss, wurde dadurch begründet, dass er vor zehn Jahren nach Amerika ausgewandert war, um dort noch reicher zu werden. Das war aber scheinbar fehlgeschlagen oder hatte zumindest nur einen Bruchteil der erhofften Gewinne gebracht, denn er war vor einem Monat wieder nach Japan zurückgekehrt, um seine Tätigkeit wieder aufzunehmen.
 

"Und da behauptest du, du wüsstest nicht viel über die Uchihas!", rief Sayuri entrüstet. Sakura war gegen Nachmittag wieder in ihre Kabine zurückgekehrt. Sayuri war ganz gierig darauf gewesen, etwas von den Erlebnissen ihrer Schwester zu hören.

"Das sind nur die groben Züge der Geschichte, in Wahrheit war alles komplizierter, soviel ich weiß", winkte Sakura ab. "Aber entgegen dem weit verbreiteten Ruf scheint mir Itachi-san ein sehr netter Mensch zu sein. Mich lässt das Gefühl nicht los, dass er auf unserer kurzen Reise zu einem guten Freund werden wird."

"Wie du meinst", erwiderte Sayuri, ohne näher darauf einzugehen. "Ich denke nicht, dass ich heute etwas essen kann. Mir ist noch immer nicht gut. Würdest du mich heute beim Abendessen entschuldigen?"

"Kommt nicht in Frage!", fauchte Sakura. "Du lässt mich nicht hängen! Itachi meinte, sein Bruder wäre eine Augenweide. Wenn er ihm ein wenig ähnlich ist, dann ist er auch sicherlich ein netter Kerl. Er würde eine gute Partie für dich abgeben, meinst du nicht?"

"Er würde mich nicht einmal bemerken, sofern du dabei bist! Du hast die Ausstrahlung, neben der ich wie eine graue Maus wirke", beschwerte Sayuri sich niedergeschlagen. Sie beneidete ihre Schwester nicht, denn ihr Charakter ließ sie froh darüber sein, nicht allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt zu bekommen, doch in derartigen Situationen wünschte sie sich, ein wenig hübscher zu sein.

"Wir machen einen Deal", schlug Sakura vor. "Ich ziehe das hier an und du das. Was hältst du davon?" Sie wedelte mit den beiden Outfits vor der Nase ihrer Schwester herum, bis diese sich widerwillig einverstanden erklärte. "Das wird super, ich versprech's dir!"

Sakura hatte gelogen. Sie war sich ganz und gar nicht so sicher, wie sie es gerne gehabt hätte. Die Uchihas waren kein Umgang, den sie pflegen mochte. Außerdem ließ Itachis Aussage sie nicht los. War ihr Vater etwa pleite? Es hatte sich angehört, als wisse er etwas in diese Richtung. Sie würde mal nachforschen, sobald sie zu Hause war.
 

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Good And Gone


 

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Sasuke Uchiha war kein Mann großer Worte, das war er noch nie gewesen. Es verlangte auch nie jemand von ihm, dass er vor Leuten sprechen musste. Nicht, dass er es nicht konnte, nein, er wollte es einfach nicht. Wieso, wusste keiner, nicht einmal er selbst. An Schüchternheit lag es nicht—schüchtern war er bei Gott keineswegs! Eher spielten Arroganz oder Eitelkeit eine Rolle. Für einen Uchiha war das gar nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich war auch sein gutes Aussehen nicht. Es war weiters nicht ungewöhnlich, dass ihm jedes Mädchen ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte, ohne dass er jemals ein Wort mit ihm gesprochen hätte. Ungewöhnlich an Sasuke war einzig und allein seine Wortkargheit, die jedem seiner Familie ein Dorn im Auge war. Itachi war sein genaues Gegenteil—humorvoll, charmant, umgänglich, wenn auch stets auf seinen Vorteil bedacht. Während der Ältere heuchelte wo es ging und dadurch ein gern gesehener Gast war, hatte Sasuke sich das Vorrecht erkämpft, schweigsam, gelangweilt und beleidigend zu sein, wo er nur konnte. Im Grunde waren die Brüder völlig gleich, aber sie förderten ihre Veranlagungen völlig konträr zutage. Man kann sich vorstellen, dass Sasuke daher überall aneckte und ihn das nicht einmal störte.

Umso unverständlicher war die Bitte seiner Mutter, die mit seinem Wesen eigentlich vertraut war. "Sasuke, Schatz, wir werden heute Abend mit der Familie von Haruno Kizashi-san essen. Er hat zwei Töchter in deinem Alter, die beide äußerst angenehm sein sollen. Es wäre sicherlich von Vorteil, sich mit ihnen gut zu stellen, zumal du nächste Woche mit der Älteren in dieselbe Schulstufe gehen wirst."

"Sie gehen auch auf das Miya-So-Internat?"

"Allerdings. Du hättest gleich Freunde! Sie könnten dir sicherlich am Anfang helfen, dich zurechtzufinden."

"Nicht nur, dass ihr mich abschiebt, du zwingst mich auch noch dazu, mich mit einem Mädchen anzufreunden, das mir jetzt schon auf die Nerven geht?", fasste Sasuke nüchtern zusammen.

"Itachi hat die Ältere bereits kennengelernt. Er meinte, sie sei sehr hübsch und nett."

"Itachi hat ihr sicherlich irgendeinen Schwachsinn über mich erzählt", konterte Sasuke missmutig. "Ich sehe schon vor mir wie sie an meinen Lippen klebt und mir schöne Augen machen will. Danke, aber nein danke."

Mikoto stemmte die Hände in die Hüften und beugte sich drohend nach vorne. "Junger Mann, ich rate dir zwei Dinge. Erstens, sei nicht so eingebildet. Zweitens, erfülle meine Bitte, sonst setzt es was! Du magst volljährig sein, aber ich bin immer noch deine Mutter und solange ich dieses Recht habe, tust du, was ich sage oder du verlässt augenblicklich das Schiff!"

"Wir sind auf dem offenen Meer!"

"Umso genauer würde ich an deiner Stelle meine Entscheidung treffen. Haben wir uns verstanden, Sasuke?" Er nickte genervt. "Dann zieh dich an, wir müssen los. Der Tisch ist für sieben reserviert."

Sasuke gab sich geschlagen. Er streifte sich flüchtig ein Hemd über, machte sich nicht einmal die Mühe es in die Anzughose zu stecken und ließ die Krawatte ganz weg. Konzentriert schloss er die Augen. Seine Finger fuhren ganz automatisch zu seinen Schläfen, wo sie kreisende Bewegungen machten. "Der Abend wird schon nicht so schlimm", beruhigte er sich selbst, als seine Mutter die Zimmertüre geschlossen hatte. Sie selbst war bereits fertig angezogen gewesen und würde auf Deck acht vor dem Speisesaal auf ihre Söhne warten.

"Bind dir die Krawatte um", rief Itachi aus dem Badezimmer. Er hatte sich schon seit einer halben Stunde darin verschanzt und langsam drang der Duft von starkem Rasierwasser durch den Türspalt.

"Halt die Klappe. Wieso bist du überhaupt in meinem Badezimmer? Du hast mit Nanami deine eigene Kabine!" Sein Bruder hatte vor einem halben Jahr die Tochter seines ehemaligen Universitätsprofessors geheiratet. Seit dem war er unausstehlich—richtig nett. Und zwar ehrlich nett. Nanami hatte wahrlich keinen guten Einfluss gehabt.

"Weil meine Liebste etwa eine Stunde lang braucht, um sich eine wunderschöne Hochsteckfrisur zu zaubern. Du weißt doch, sie ist eine Perfektionistin."

"Oder einfach nur langsam", murmelte Sasuke halblaut, "aber leider auch beim Denken."

"Was sagst du?"

"Oder einfach nur langsam und das leider auch beim Denken!", wiederholte er beinahe schreiend. "Beeil dich bitte, ich will schnell essen und dann wieder verschwinden! Ich brauch kein neues Anhängsel; vor allem nicht, wenn ich mit ihm auf dieselbe Schule gehe!"

"Elender Schwarzseher! Sie ist wirklich hübsch!", beharrte Itachi lachend. Er wusste es besser. Sein Bruder würde die Harunotochter nicht einmal eines ordentlichen Blickes würdigen. Aber wenigstens hätte er selbst Spaß am Beobachten, wie sich das Mädchen abmühen würde, Sasukes Aufmerksamkeit zu erringen.
 

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Es kam etwas anders als gedacht. Itachi hätte darauf schwören können, dass Sakura sich seines Rates wegen im Internet schlau gemacht haben würde—sie besaß sicherlich so ein supermodernes Mobiltelefon, auf dem man das World Wide Web nutzen konnte. Es gab einige vorteilhafte Fotos von Sasuke, die waren leicht zu finden. Sobald sie ein Foto gefunden hatte, würde ihr der Atem wegbleiben und sie würde das schönste, umwerfendste Kleid anziehen, das ihr Schrank zu bieten hatte. Auf eine solche Reise nahm man immerhin nur das Beste mit.

Doch seine Hoffnungen auf einen unterhaltsamen Abend auf Sasukes Kosten wurden enttäuscht. Die Familie Haruno unterhielt sich bereits angeregt mit seinen Eltern und seiner Frau, als Sasuke und er eintrafen. Sein Augenmerk galt der älteren Tochter, die er in langer Abendrobe vermutet hatte. Sie sah nicht viel anders aus als heute Mittag; die langen Haare waren nur durchfrisiert, sie trug kein Make-Up und keinen Schmuck. Ihre Kleidung war mehr als nur enttäuschend. Ganz legere trug sie eine Röhrenjeans und eine grüne Sportweste—eindeutig die Sachen ihrer Schwester, denn beides war etwas zu lang. Die Schwester hingegen sah neben ihr in dem hellblauen Sommerkleid zauberhaft aus.

"Ah, da sind die zwei Herren ja!", sagte Fugaku, als seine Söhne eintrafen. "Darf ich euch bekanntmachen? Das sind Haruno Kizashi-san mit seiner Frau Mebuki-san und seinen beiden Töchtern Sakura-san und Sayuri-san."
 

Sakura hätte sich schlagen können—da stand sie nun nach einer heftigen Diskussion mit ihren Eltern in Jeans vor einem jungen Mann, der besser aussah als sie es jemals für möglich gehalten hatte. Ihre Vorurteile gegen alle Uchihas wurden von ihrem Herzen für null und nichtig erklärt. Wie konnte ein so schöner Mensch auch etwas anderes sein als perfekt? Es war völlig um sie geschehen. Sayuri neben ihr konnte ihr nur beipflichten, wenngleich ihr Männergeschmack völlig von Sakuras abwich und sie daher nicht perplex vor dem Schönling stand. Sie war die erste, die das Wort ergriff.

"Freut mich, euch kennen zu lernen." Nachdem sie beiden Uchihas die Hand gegeben hatte, wandte sie sich an den jüngeren: "Ich habe gehört, du wirst deinen Abschluss an derselben Schule machen wie wir."

Sasuke sah sie zwar an und hörte ihr zu, machte aber keine Anstalten ihr zu antworten oder auch sonst irgendwie auf die Aussage einzugehen.

"Lasst uns zum Tisch gehen!", schlug Mebuki schließlich vor, um die peinliche Stille zu überspielen. Sie konnte förmlich sehen, wie Sakura sich in den tiefschwarzen Augen des jungen Uchihas verlor—und es gefiel ihr gar nicht.
 

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Wie der Abend verlief, konnte man sich vorstellen. Es gab Pastete, Fisch und Brot, ein wenig Champagner für alle außer Sayuri und die Männer hatten sich alsbald in eine wirtschaftliche Diskussion über die Devisen sämtlicher Aktienpakete verrannt, während die Damen sich über alle restlichen Themen unterhielten. Nanami war eine sehr freundliche Person, die sich herzlich über das Internat erkundigte. Sakura schloss sie schnell ins Herz, in dem aber den ganzen Abend über aber vor allem ein ganz anderer saß.

Sasuke hatte keinerlei Muße sich an dem einen oder dem anderen Gespräch zu beteiligen. Er saß lediglich schweigend auf seinem Stuhl. Die verstohlenen Blicke, die ihm die ältere Haruno immer wieder zuwarf, bemerkte er zwar, ignorierte sie aber mit einem Gleichmut, der an extreme Selbstbeherrschung grenzte. Sakura ihrerseits war darauf bedacht, ihm so wenig Aufmerksamkeit als möglich zukommen zu lassen, um ja nicht den Eindruck des Gefallens in ihm zu wecken. Weit gefehlt! Einen so selbstbewussten Charakter wie Sasuke konnte man nicht täuschen, zumal er nicht einen Moment an ihrem Interesse gezweifelt hätte, selbst wenn sie ihn nicht eines Blickes gewürdigt hätte. Man muss sagen, dass Sasuke selbstbewusst war und nicht eingebildet, denn eingebildet waren die vielen Herzen zu seinen Füßen gewiss nicht. Es würde nicht lange dauern, bis er auch das weibliche Miya-So ohne Zutun oder Absicht für sich gewonnen hatte.

Mit diesen Gedanken im einen Körper und einem Herzklopfen im anderen verging der Abend recht schnell.

Sasuke verabschiedete sich nach dem Dessert, wonach es für die unverheirateten Damen keinen Grund mehr gab, präsent zu bleiben. Möglichst unauffällig ließen sie sich auf ihr Zimmer entschuldigen, in das sie sogleich stürmten. Keine der beiden konnte lange mit ihren Eindrücken hinter dem Berg halten.

"Er ist heiß!", rief Sakura aus. Unterstreichend legte sie eine Handfläche auf ihr Herz.

"Er ist ein arroganter Idiot!", erwiderte Sayuri, die von den Empfindungen ihrer Schwester mehr als überrascht war. "Du warst nie auf solche Typen scharf! Bitte, tu mir das nicht an! Du weißt, dass er Unglück über dich bringen wird!" Sayuri besaß weitaus mehr Scharfsinn als Sakura, zumindest was ihre Mitmenschen anging. Während Sakura nämlich eine Theoretikerin war, war Sayuri eine Meisterin der Metaebene.

"Du übertreibst."

"Er hat kein einziges Wort gesagt!", beharrte Sayuri eisern. Sie würde ihre Schwester vor allem kommenden Unheil bewahren. "Vertrau mir, er ist nichts für dich."

"Ja, ja, ich glaube dir." Aber obwohl Sakura so viel Überzeugung wie nur irgend möglich in ihre Worte legte, war doch nur Sayuri von ihrer Richtigkeit überzeugt. Im Stillen nahm sie sich nämlich vor, Sasuke Uchihas Herz zu erobern. Wie schwer das werden würde, stellte sich am nächsten Tag heraus.
 

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Tag zwei der Kreuzfahrt verlief ereignislos, bis Sayuri unabsichtlich die Information fallen ließ, dass Sasuke sich am obersten Deck des Schiffes bei den Aufpreis-Sonnenliegen befand. Sakura, bis jetzt am unteren Pool gelegen, erkannte ihre Chance. Sie würde nicht noch einmal denselben Fehler machen.

Mit einer fadenscheinigen Ausrede verabschiedete sie sich auf ihr Zimmer, wo sie den schönsten Bikini anzog, den ihr Koffer zu bieten hatte. Er war von Gucci und außerdem das einzige Markenkleidungsstück, das sie besaß. Aber bei solchen Zielen musste man immer die schweren Geschütze ausfahren!

Keine zehn Minuten nach Sayuris unvorsichtiger Erklärung, Sasuke im Vorbeigehen erkannt zu haben, stand Sakura auf dem obersten Deck, um ihm ebenfalls zufällig über den Weg zu laufen. Lange ließ er sich auch nicht suchen, denn seine helle Haut und sein schwarzes Haar stachen aus den wenigen Gästen heraus, die sich nachmittags noch draußen aufhielten. Inzwischen war es nämlich sehr windig geworden; ein Vorteil für Sakura, deren langes Haar verführerisch im Wind wehte. Um nicht sofort alles von sich preiszugeben, hatte sie eine lockere Bluse übergestreift, die ebenfalls heroisch flatterte.

"Ah, Sasuke-kun", sagte sie erfreut, als sie sich neben ihn setzte. Aus ihrer Tasche kramte sie indes bereits ein Buch heraus, um sich häuslich niederzulassen.

"Hm", machte er zur Antwort. Er schien sie auch keiner weiteren Reaktion würdigen zu wollen, also lag es nun an ihr, eine Konversation ins Rollen zu bringen.

"Du warst gestern so schnell weg; ich hoffe, du hast dir den Magen nicht verdorben?" In ihrer Stimme schwang ein Stück ehrliche Sorge mit.

"Nein", antwortete Sasuke trocken. Er hatte sich bisher kein Stück in seiner Liege bewegt, auf der er mit Sonnenbrille und Hemd bekleidet faulenzte.

So schnell gab Sakura sich nicht geschlagen. "Ehrlich gesagt fand ich den Fisch nicht wirklich gut. Das liegt vermutlich daran, dass ich keinen Fisch mag. Zumindest ist es nicht meine Leibspeise. In Miso gibt es viel zu oft Fisch."

"Bitte?"

Ein erster Erfolg! Sakura konnte ja nicht ahnen, dass Sasuke nicht einmal zugehört hatte. "Miso, so wird das Miya-So-Internat umgangssprachlich genannt. Lustig, nicht wahr? Dabei hat es gar nichts mit Pastete zu tun!"

"Aha."

"Freust du dich schon darauf? Auf die Schule, meine ich." Keine Antwort. "Es ist wirklich toll dort. In Japan gibt es normalerweise keine Internate, nur Ganztagsschulen. Oder wusstest du das schon? Ich habe keine Ahnung, wie es in Amerika ist. Vielleicht ähnlich. Jedenfalls ist es ja auch gar kein richtiges Internat. Eigentlich ist es eine Ganztagsschule, die Schlafmöglichkeiten anbietet. Also eine Schule mit Hotel quasi. Rein politisch gesehen darf man ja gar nicht Internat sagen. Fernab der familiären Streitigkeiten und Probleme, das ist sehr befreiend. Die meisten sind begeistert von der Schule, weil sie sich freier entfalten können als Zuhause."

"Aha."

"Du wirst sehen, es wird die gefallen. Es gibt noch eine Besonderheit. Das Schuljahr geht in Japan eigentlich von April bis März, allerdings sind wir eine internationale Schule, darum ist unseres sehr westlich orientiert, also von September bis April, wenn man wie wir in die Abschlussklasse geht. Ferien gibt's leider trotzdem nur sehr wenige. Normalerweise dauert die Oberstufe auch nur drei Jahre, aber in Miya-So dauert sie vier Jahre, dafür musst du für die Richtung, in der du deinen Abschluss hier machst, auf keiner Universität in ganz Japan eine Aufnahmeprüfung bestehen. Die meisten nehmen deshalb Naturwissenschaften, weil es das breiteste Spektrum hat. Was hast du genommen?"

"Wirtschaft."

Sakuras Herz machte einen gewaltigen Satz, während ihre Augenbrauen sich enttäuscht zusammenzogen. Zum Glück konnte Sasuke das hinter ihrer Sonnenbrille nicht sehen, sonst wäre er sofort gegangen. "Das ist sicherlich interessant! Ich hab Naturwissenschaften gewählt. Aber wenn wir in dieselbe Klasse kommen haben wir die Grundkurse trotzdem zusammen. Dann würdest du gleich jemanden kennen, das erleichtert dir den Einstieg. Und wenn du mal Hilfe brauchst, kannst du dich an mich wenden."

"Das wird nie nötig sein." Langsam ging sie ihm gehörig auf die Nerven. Wie konnte ein Mensch nur so viel plappern, wenn er keine Antwort erwarten durfte? Was machte das für einen Sinn?

Sakura ließ sich durch die abweisende Art aber gar nicht abschütteln; im Gegenteil. "Weißt du, ich mag Leute wie dich. Die Unnahbaren, die Mysterien dieser Welt. Ihr habt was an euch, das jedes Mädchen schwach werden lässt. Das gefällt mir. In Wahrheit sind nämlich genau die Unfreundlichsten die wunderbarsten Freunde."

"Okay. Das reicht." Vollends genervt stand Sasuke auf, strich sich die Badehose glatt und wandte sich wieder zu Sakura. Er wollte ihr sagen, wie sehr sie ihm auf die Nerven ging, wie wenig er an ihrer Freundschaft oder gar Bekanntschaft interessiert war und wie wenig er auf ihre gottverdammte Meinung gab. Aber wozu? Sie würde es eh nicht verstehen. Deswegen nahm er nur sein Handtuch und ließ sie einfach sitzen.

Wie bescheuert konnte man eigentlich sein? Seine Schweigsamkeit hätte doch ein Indikator für sein Desinteresse an ihrer Person sein sollen! Aber nein, er musste ja so verflucht gut aussehen, das war eine Qual! Manchmal wünschte er sich, hässlich zu sein. Und das war nicht etwa ein Wunsch, der einer flüchtigen Emotion entsprang, sondern eine lang aufgebaute Hoffnung, bald einen schrecklichen Autounfall zu haben, bei dem sein Gesicht entstellt werden würde.
 

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Die nächsten Tage auf der Tropicana Balia versuchte Sakura nicht mehr Sasuke näher zu kommen. Sie hatte noch viel Zeit. Er würde immerhin auf dieselbe Schule gehen, was ihr sehr gelegen kam. Zudem war es nicht gerade schicklich für ein Mädchen, sich allzu sehr aufzudrängen. Sie wollte sich eher an die westlichen Sitten halten, die den Männern den Vorzug der Wahl überließen. Nun müsste seine Wahl nur noch auf sie fallen. Aber das würde schon werden. Sie war immerhin nicht gerade hässlich und dumm, ganz und gar nicht.

"Träumst du schon wieder?" Sayuri war vom Balkon zurückgekehrt.

"Wenn dir auf Booten immer schlecht wird solltest du dich nicht nahe der Wellen aufhalten", riet Sakura abwesend. Sie war damit beschäftigt sich Kunstlilien ins Haar zu stecken, die farblich perfekt auf ihr heutiges Kleid abgestimmt waren. "Denkst du, das ist zu übertrieben?"

"Nein. Nichts ist für heute übertrieben. Heute ist ein Tag zum Feiern! In weniger als zwölf Stunden verlassen wir endlich diesen schwimmenden Käfig!" Sayuri seufzte erleichtert. In der Tat war heute der letzte Abend, den sie auf dem Kreuzer verbringen würden. Sechs Tage waren sie nun hier gewesen und diese Tage waren wie im Flug vergangen! Sayuri hatte sich mit einigen anderen Jugendlichen angefreundet und die Decks unsicher gemacht, während Sakura sich bemüht hatte, immer gut auszusehen, falls Sasuke ihr über den Weg laufen würde. Ein paar Mal hatte sich diese Gelegenheit sogar ergeben, doch er hatte sie entweder nicht bemerkt oder absichtlich ignoriert oder war so perfekt im absichtlichen Ignorieren, dass er sie gewollt nicht bemerkt hatte. Jedenfalls hatte es auch keine anderen Möglichkeiten gegeben, ihm näher zu kommen. Ihre Eltern hatten zwar noch einmal miteinander gespeist, doch Sasuke hatte sich aufgrund von Unwohlsein entschuldigen lassen. Sakura hatte sich also mehr oder minder fürs erste geschlagen geben müssen. Statt auf Sasuke Jagd zu machen, hatte sie sich die letzten beiden Tage darauf besonnen, mit seiner Schwägerin Freundschaft zu schließen, doch die anfängliche Sympathie war bald verraucht und die wenigen Gemeinsamkeiten einer achtzehnjährigen Schülerin mit einer dreiundzwanzigjährigen Designerin waren schneller erschöpft als beiden lieb war.

So endete die Kreuzfahrt mit einem pompösen Fest, an dem alle Passagiere herzlich eingeladen waren. Es war der letzte Hoffnungsschimmer für diese Woche, denn die Uchihas verstanden sich so gut mit den Harunos, dass Erstere Letztere einluden, gemeinsam einen großen Tisch zu reservieren, an dem man ein letztes Mal entspannt zusammensitzen konnte, bevor der stressige Alltag wieder losgehen würde. Ob man die Bekanntschaft auch weiterhin aufrecht erhalten wollte, blieb aber ungeklärt.

Die Festivität war der Grund für Sakuras Bedacht, die sie auf ihr Äußeres verwendete. Sie war natürlich immer gut gekleidet, das wurde in diesen Kreisen erwartet, aber heute gab sie sich besondere Mühe mit den sanften Wellen ihres Haares und dem teuren Make-Up.

"Wieso machst du dich so hübsch?", wollte Sayuri wissen. Sie lag gelangweilt auf dem Doppelbett, den Blick gen Decke gewandt. "Doch nicht etwa Uchiha wegen?"

"Ich habe meine Strategie geändert", klärte Sakura konzentriert auf, als sie einen perfekten Kayalstrich zog.

"Lass mich raten, du willst ihn mit deiner Schönheit so verzaubern, dass er gar nicht anders kann als dich zu heiraten?" Sayuri wurde süffisant: "Das wird nicht funktionie-hie-ren."

"Blödsinn! Ich werde ihm zeigen, was er verpasst. Heute muss er zum Essen kommen, ihm bleibt gar nichts anderes übrig. Bei solchen Gelegenheiten wird ja immer das Tanzbein geschwungen. Papa wird Mama auffordern, Itachi-san wird natürlich mit Nanami-san tanzen und Uchiha Senior vermutlich mit seiner Frau. Dann bleiben nur mehr Sasuke und ich. Perfekt, oder? Ganz zufällig bin ich eine hervorragende Tänzerin. Das muss einfach klappen!"

Sayuri zweifelte stark daran, doch vielleicht war eine Abfuhr genau das, was ihre liebestolle Schwester brauchte, um wieder auf die Erde zurückzukommen. Vielleicht…
 

Als es endlich dunkel wurde, wurde der große Saal eröffnet. Es war ein imposanter Raum mit rotem Teppich, Galerie, schweren Mahagonitischen und hochwertigem Tafelsilber. Am vorderen Ende spielte ein Kammerorchester eine angenehm plätschernde Melodie. Vor dem Podium befand sich eine große Tanzfläche, deren helles Parkett sich vom dunklen Teppich abhob. Das war Sakuras Ziel. Und sie würde es erreichen.

Der runde Tisch der beiden Familien war einer der besten des Saales. Fugaku hatte offensichtlich seine Beziehungen spielen lassen. Noch nie waren die Harunos bei einer solchen Veranstaltung direkt an der großen Fensterfront gesessen, deren Tische stets mit hochrangigen Politikern oder Wirschaftsmogulen gesäumt waren. Die Uchihas zu kennen zahlte sich in jedem Fall aus, eindeutig!

Sogleich wurden die Gäste zu ihren Tischen gebracht und noch bevor sie dort ankamen, hatte Mikoto ihr Entzücken über Sakuras schulterfreies weißes Kleid geäußert. Sie lobte den guten Modegeschmack, die für junge Damen angemessene Knielänge, die ja sonst prinzipiell unterschritten wurde, und die wunderschön aufgebügelten Falten des Rockteils—ob Sakura das selbst so perfekt hinbekommen habe?

"Natürlich. Man mag es mir nicht ansehen, aber Hausarbeit erledige ich mit Links." Sakura warf dabei einen verstohlenen Seitenblick zu Sasuke, der in seinem schwarzen Anzug und dem schwarzen Hemd mehr als nur unverschämt gut aussah.

"Aber ihr seid ja alle so reizend gekleidet", setzte Mikoto wieder an, die mit Argusaugen beobachtete, wie sich ihr Jüngster und Harunos Älteste miteinander vertrugen. "Sayuri-chan ist genauso gut gekleidet, da weiß man gar nicht, wo man mit der Bewunderung anfangen soll. Dieses Blau passt so schön zu deinen Augen! Aber ist der Rock nicht ein wenig zu eng zum Tanzen?"

"Ich tanze nicht. Sakura ist die bessere Tänzerin von uns beiden; das heißt, ich kann es eigentlich gar nicht. Sport liegt mir mehr. Radfahren, Schwimmen und so weiter."

"Ich verstehe. Dann freue ich mich schon darauf, dich heute Abend übers Parkett wirbeln zu sehen, Sakura-chan." Die Angesprochene wurde rot angesichts der Vertrautheit, die in Mikotos Stimme mitschwang.

Ihr Vater ergriff bei dieser Gelegenheit das Wort. "Ich bin mir sicher, Sakura wird uns heute noch alle in den Schatten stellen. Da können wir alte Eisen nicht mehr mithalten. Sie ist sehr begabt."

"Daran besteht kein Zweifel", pflichtete Fugaku fachmännisch bei. "Sie verfügt über eine Grazie, die beneidenswert ist. Zudem ist ihre Statur von Vorteil. Große Frauen wirken beim Tanzen nie besonders anmutig."

In dieser Art ging das Gespräch weiter. Bald wurden die Komplimente auch schon unglaubwürdig, weil sich jeder an förmlicher Freundlichkeit übertrumpfen wollte, sodass man von den Vorzügen der Kinder abließ. Um nicht ins Stocken zu geraten, vertieften sich die verheirateten Herren erneut in eine wirtschaftliche Konversation, welche das einzige Gebiet war, in dem sie ohne Zwänge miteinander reden konnten. Das Thema schien auch niemals ein Ende zu finden.

Die Damen der Runde sahen sich sodann gezwungen, über Sasuke zu mutmaßen. Er bildete das ideale Ziel für hochtrabende Lobreden der fremden und bescheidene Abtaten der eigenen Mutter. Dem Objekt des allgemeinen Interesses passte das natürlich gar nicht. Wie auch? Er mochte Aufmerksamkeit ohnehin nicht, vor allem nicht von peinlichen Glucken, die sogar seinen Haaransatz in den Himmel rühmten. Er hatte nämlich angeblich einen sehr schönen und würde demnach erst sehr spät eine Glatze bekommen. Na, das war doch mal eine Nachricht. Ohne die hätte er keinen weiteren Tag überstanden. Doch Sasuke war ein Meister des Gleichmuts. Genauso wie er das Geschwätzt liebeskranker Mädchen mit einem hohen Maß an Gleichgültigkeit ertrug, ließ er auch diese Feststellungen würdevoll über sich ergehen.

Die Schwestern waren die einzigen, die sich nicht an den Vergötterungen beteiligten, in denen sich Mikoto, Mebuki und Nanami verrannt hatten. Erst war es ihm gar nicht aufgefallen, aber nachdem der Hauptgang abserviert worden war, bemerkte er, wie sie immer wieder kurze Sätze miteinander austauschten, die scheinbar die jeweils andere dermaßen aufregten, dass keine der beiden ihren Teller leeren konnte. Die Hälfte des Steaks ging somit zurück und auf die Frage, Kizashis Frage, wieso sie nicht aufgegessen hatten, antworteten sie kurz angebunden damit, kein westliches Essen zu mögen. Der wahre Grund blieb verschwiegen.

Dieser Grund, den Sasuke in Windeseile als Streit entlarvt hatte, hielt das ganze Dinner über an. Sakura hatte tatsächlich mit Sayuri gestritten, allerdings nicht so, wie man sich einen Streit vorstellte. Es ging dabei—natürlich—um Sasuke, der die letzten Tage sowieso der einzige Inhalt von Sakuras Taten, Worten und Gedanken war. Der Jüngeren ging das gehörig auf die Nerven, weswegen sie ihre Schwester alle paar Minuten ermahnte, nicht zu auffällig zu ihm zu sehen. Sakura hingegen fand ihr Verhalten gar nicht auffällig und so hatte sich eine kindische Diskussion hochgeschaukelt, die jedoch nach dem Dessert wieder passé war. Nach diesem galt es nämlich anderen Dingen die vollste Aufmerksamkeit zu widmen. Und diese drehten sich alle darum, Sasuke als Tanzpartner zu gewinnen.

Kizashi machte den Anfang, indem er seine Frau wie ein Gentleman bat, den nächsten Walzer mit ihm zu teilen. Fugaku folgte alsbald seinem Beispiel, nachdem er einen Meinungsaustausch mit seinem älteren Sohn beendet hatte, in dem es darum ging, ob Einzelaktien oder Aktienpakete sinnvoller waren. Man sah ihm an, dass er in diesen Kreisen aufgewachsen war, denn wo es Kizashi bei der Aufforderung an Eleganz und Geschmeidigkeit gefehlt hatte, strahlte Fugaku in vollendeter Perfektion. Wenn Sasuke auch nur halb so charmant war, dann wäre es völlig um Sakura geschehen!

Doch es sollte nicht soweit kommen. Itachi zeigte keinerlei Anstalten, Nanami zum Tanzen aufzufordern, was daran lag, dass er es nicht konnte. Sie schien es auch nicht zu erwarten. Nun war der schöne Plan also dahin. Statt alleine mit Sasuke an einem Tisch zu sitzen, musste sich Sakura durch eine träge Konversation mit Nanami quälen, zu der scheinbar keiner außer ihnen beiden etwas beisteuern wollte. Auch wenn sie immer wieder Andeutungen machte, wie schön eine Rumba doch für Verliebte sei, weder Itachi noch Sasuke ließen sich dazu bewegen, einen Fuß zu rühren.

Es lag also—wieder einmal—an ihr selbst, die Initiative zu ergreifen. Es gehörte sich eigentlich nicht für eine Frau, jemanden um einen Tanz zu bitten, aber etwas anderes blieb ihr nicht übrig. "Sasuke-kun, kannst du tanzen? Ich habe keinen Partner, also habe ich mich gefragt, ob du vielleicht…"

"Nein."

Eine niederschmetternde Antwort, die ihr für den Moment jedwede Lust raubte, länger hier zu bleiben. Mit einer so entschiedenen Abfuhr hatte sie nicht gerechnet. Doch plötzlich stand Sasuke auf. Sie dachte schon, er würde gehen, doch stattdessen ging er um den Tisch und blieb hinter den Harunoschwestern stehen.

"Dürfte ich um den nächsten Tanz bitten?" Er hielt seine Hand genau zwischen die beide. Sakuras Herz machte einen Hüpfer.

"Ich dachte, du würdest nicht–"

"Ich meinte eigentlich Sayuri-chan."

Was in Sakura vorging war schwerlich zu beschreiben. Nicht einmal sie selbst hatte eine Ahnung, wie sie sich nun fühlen sollte. Ihre kleine Schwester war immer in ihrem Schatten gestanden und nun bekam sie gerade den Jungen, an den sie selbst im ersten Augenblick ihr Herz verschenkt hatte? Das durfte nicht wahr sein! Sie durfte jeden haben, egal wie er aussah und wie reich er war, solange es nicht Sasuke Uchiha war!

Sayuri indes war viel zu perplex, als dass sie hätte reagieren können. Mit angemessener Verwirrung ließ sie sich am Handgelenk aufziehen und auf die Tanzfläche führen.

"Was sollte das?!", zischte sie erbost, als sie sich wieder gefangen hatte. Sasuke konnte gut führen, sodass selbst eine blutige Anfängerin wie sie den Takt halten konnte.

"Ich mache absichtlich keine Grundschritte, sondern gehe nur im Takt mit. Wenn es dir zu anspruchslos ist, dann sag es. Die Basissachen hab ich drauf."

"Du hast meine Frage nicht beantwortet!"

"Was denkst du denn?", wollte er wissen, ohne sie anzusehen.

Sayuri brauchte nicht lange zu überlegen. "Ich denke, du willst meine Schwester beleidigen, indem du mich ihr mit einer Sache vorziehst, die du ihr selbst wenige Sekunden vorher verwährt hast." Er antwortete nicht darauf, was Sayuri als Bejahung verstand. "Menschen wie du machen mich wütend. Wenn du sie ihres Charakters wegen nicht magst, dann sag ihr das ins Gesicht. Man kann ja nicht jeden mögen. Aber wenn du sie aus Prinzip nicht leiden kannst, gib' ihr zumindest eine Chance. Sei nicht so großkotzig und glaub, dass dir die Welt zu Füßen liegt."

Sasuke verzog die Mundwinkel nur unbeeindruckt zu einem emotionslosen Lächeln. "Danke für den Rat, Sayuki-chan, den werd ich mir merken." Damit ließ er sie auf der Tanzfläche stehen und schlenderte mit den Händen in den Hosentaschen aus dem Festsaal, in dem er drei irritierte Ehepaare, eine verärgerte Sayuri und eine bis aufs Blut gekränkte Sakura zurück.

"Ich heiße Sayuri!", kreischte sie ihm mit zu Fäusten geballten Händen nach.

Das war das peinliche offizielle Ende der Tropicana Balia-Augustkreuzfahrt.
 

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Back And Forth


 

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Das Miya-So-Internat bei Miyazu hatte ein Prestige, von dem sich alle anderen Schulen ein Stück wünschten. Absolventen dieser Schule wurden in jeder Firma mit Handkuss genommen, ohne Referenzen vorlegen zu müssen. Wer es hier schaffte, der hatte so gut wie ausgesorgt. Leider bewarben sich Alumni selten in Unternehmen. Die meisten besuchten diese Schule, um die nötigen Kompetenzen für die spätere Leitung des Familienunternehmens zu erwerben. Zwei gute Drittel wurden gleich nach ihrem Abschluss als Junior Boss in der Firma des Vater, Großvaters oder Onkels eingestellt.

Dank dieses Prestiges, das seit Jahrhunderten aufgebaut worden war, flossen Milliarden von Yen in die Bildungsanstalt, was es ihr vor zehn Jahren erlaubt hatte, einen gewaltigen Anbau zu errichten, in dem genügend Zimmer und Freizeitmöglichkeiten für die Schüler vorhanden waren. Da Miya-So derart angesehen war, schickten japanische Wohlhabende aller Orte ihre Kinder dort hin, was einen enormen ökonomischen Nachteil hatte. Die Fahrtkosten waren immens gewesen und diejenigen, die länger als zwei Stunden Fahrt gehabt hatten, waren notdürftig in Hotels untergekommen. So hatte es sich ergeben, dass sich der Elternausschuss initiiert, Geld gestiftet und den Schülern eine Unterkunft erbaut hatte, in dem sie guten Gewissens von den Lehrern überwacht wurden.

Das war das Grundkonzept des Miya-So-Internates, das eigentlich eine Ganztagsschule mit Schlafmöglichkeiten war. Man wollte es nicht Internat nennen, da es zu sehr an westliche Gebräuchlichkeiten erinnerte und man die japanische Historie der Schule wahren wollte. Diese Historie ging zurück bis in das fünfzehnte Jahrhundert, als es noch ein Kloster gewesen war. Inzwischen war so viel daran herumgebaut worden, dass es eher einer archaischen amerikanischen Universität ähnelte. Wer die Broschüre las, der dachte sofort an ein imposantes Steingebäude mit vielen Stufen und mächtigen Holzelementen. Tatsächlich hatte die Schule große Ähnlichkeiten damit, wenngleich sie im Inneren moderner war, als man annahm.

Generell bestand die Schule ohnehin nur aus zwei voneinander abgetrennten Häusern. Das eine, die Lehranstalt an sich, war ein backsteinfarbener Ziegelbau, vor dem ein weitläufiger grüner Vorhof mit befestigten Wegen angelegt worden war. Die Ränder der Wege zierten hier und da ein paar Bäume, ansonsten sah man nur frisches, saftiges Gras. Keine hundert Meter neben dem Schulgebäude war das Internat gebaut worden, dessen Fassade der Backsteinmauer des Nebenhauses sehr ähnelte. Es gab zwischen den beiden Bauten keinen Verbindungsgang, weswegen die Schüler selbst bei Eiseskälte im Winter über den Vorhof über die hellen Steinstufen zum Haupteingang waten mussten.
 

Vor genau diesem vielbeschriebenen Komplex atmete Haruno Sakura die frische Herbstluft des beginnenden Schuljahres ein. "Herrlich", stöhnte sie genüsslich. Sie und Sayuri hatten die restliche Woche in ihrem Elternhaus heil überstanden und waren heilfroh darüber, endlich wieder Zuhause zu sein. "Es ist doch immer wieder schön, zurückzukehren!"

"Du sagst es." Sayuri gab dem Taxifahrer das Geld, das ihre Eltern ihr vor Fahrtantritt dafür gegeben hatten. "Nur Portiers sollten sie irgendwann einmal anstellen. Ich habe keine Lust, zwanzig Mal hin und her zu gehen, bis ich endlich mein Gepäck im Zimmer verstaut habe."

"Selbst Schuld." Sakura zeigte kein Mitleid. "Darum habe ich nur wenig mit nach Tokio genommen. Was hast du überhaupt in diesen zwei, vier, sechs—sieben Koffern? Haben sich die seit unserer Abreise vermehrt?"

"Ich glaube eher nicht. Das waren schon immer sieben. Ich brauche nun einmal viel Ausrüstung mit. Du weißt schon, meine Inlineskates, meine Tennisschläger, meine Sportklamotten –"

"Schon gut, ich hab's verstanden, Miss Sportskanone." Sakura verdrehte die Augen und hob die beiden schwarzen Reisetaschen auf, die ihr einziges Gepäck bildeten. Zusammen machten sich die beiden Mädchen auf ins Wohnhaus, in dem reges Treiben herrschte. Überall standen Taschen oder Koffer auf den Gängen, manche davon halb geöffnet. Jede zweite Türe war sperrangelweit offen, sodass man in die Zimmer sehen konnte, und von jedem Raum hörte man Begrüßungen auf die Flure schallen, während alle paar Meter Wiedersehensfreude ausgelebt wurde. Manche Schüler hatten sogar schon die Uniformen an.

"Hey, Sakura-chan!" Ein blonder Junge legte seinen Arm um ihre Schulter und nahm ihr ungefragt eine Tasche ab, die er sich lässig über die Schulter warf.

"Schüttel das doch nicht, verdammt! Da sind zerbrechliche Gegenstände drin, bist du wahnsinnig?"

"Freut mich auch, dich wiederzusehen. Ja, meine Ferien waren total schön." Er wandte beleidigt den Kopf ab.

"Das ist toll für dich, Naruto, aber halte das trotzdem ordentlich. Also erzähl schon. Was hast du alles gemacht? Warte nur kurz." Sie drehte sich in seinem Arm um und winkte Sayuri zum vorübergehenden Abschied. Diese hatte ihr Zimmer im ersten Stock bereits erreicht. "Schieß los."

"Es war der helle Wahnsinn!", sprudelte es aus Naruto heraus. "Mum, Dad und ich waren im Tokyo Disney Resort! Eine ganze Woche lang! Total cool, was man dort alles erleben kann. Dann haben wir eine Rucksacktour durch Hokkaido gemacht. Wir sind bis Abashiri gekommen und dort haben wir zwei Wochen lang in einer Hütte am Strand gewohnt. Und ich hab den Schiurlaub mit meinem Dad geklärt, ich kann also mitkommen."

"Freut mich zu hören. Weißt du, ob Ino schon da ist?" Noch bevor Naruto allerdings antworten konnte, hatten sie Sakuras Zimmer im zweiten Stock erreicht, dessen Türe die einzige geschlossene der Etage war. Ino war also noch nicht da. "Sehr gut! Bis später." Ohne weitere Worte zu verlieren schlug sie Naruto die Nase vor der Türe zu.

Im Schutz der zugemachten Türe ließ Sakura sich auf das linke Bett sinken. Im Gegensatz zu den meisten anderen Zimmern wirkte ihres auch die Ferien über bewohnt. Sie nahm nur selten persönliche Gegenstände zu ihren Eltern mit, also blieben Fotos, Zeitschriften und Dekorationen sowie Bettwäsche und sonstiger Kram im Internatszimmer 204, wo es die Sommerferien über ein wenig verstaubte. Inos Seite war weitaus trostloser. Sie hatte immer alles bei sich, zumal ihre gesamte Habe faktisch nur aus Kleidung bestand. Nur ein paar Pflanzen hatte sie unachtsamer Weise zurückgelassen. Sie hatten inzwischen gelbe Ränder bekommen. Sakura goss die Trauergestalten mitleidig, ehe sie sich ans Auspacken und Aufräumen machte. Sie beeilte sich damit in weiser Voraussicht, denn sobald Ino ankam, wäre die Ruhe dahin. Ihre beste Freundin war laut, chaotisch und vor allem stand sie ständig unter Strom. Von Ordnung wollte sie nichts wissen, ebenso wenig wie von ruhigen Nachmittagen. Ino hatte das Talent, ständig Leute um sich zu haben, ohne großartig etwas dafür zu tun. Sofern es Hinata und Temari waren, hatte Sakura kein Problem damit, nur leider schleppte Ino alle paar Wochen neue Leute an, die das Zimmer der Blondine als ihr Zentrum erwählten, bis Sakura sie rausschmiss. Deswegen wollte sie auch Sauberkeit in ihren vier Wänden haben. Niemand, der sie betrat, sollte ihr nachsagen können, sie sei schlampig.
 

Ino kam erst am späten Nachmittag an. Wie ein Wirbelwind stieß sie die Holztüre auf, warf die Arme in die Luft und schrie mit schriller Stimme: "Rate mal wer wieder da ist!"

"Dem Lärmpegel nach zu urteilen—du."

"Wieso so miesepetrig? Das Leben ist doch wunderschön! Ich war mit meiner Mum in Kalifornien beim Dreh eines neuen Hollywoodstreifens", begann sie begeistert zu erzählen. Sakura konnte sich ihre beste Freundin sehr gut inmitten der Berühmtheiten vorstellen, doch das war nicht die Wirklichkeit. Inos Mutter war als Asiatin kaum gefragt und drehte meist nur unwichtige Nebenrollen, wenn eine Mittelklasseproduktion auf authentische japanische Schauspieler bestand. Nichtsdestoweniger war sie sehr schön. Ebenso wie ihre Tochter. Was Sakura selbst an Sexappeal fehlte, hatte Ino in rauen Mengen. Sakura mochte überall auffallen, aber sobald Ino in ihrer Nähe war, wirkte sie durch ihre schmale Statur wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe, der man keine Aufmerksamkeit schenken mochte, wenn eine scharfe Blondine daneben stand.

Während Sakura sich über diese Tatsache zum wiederholten Mal gewahr wurde, plapperte Ino weiter über diesen und jenen Schauspieler, den sie kennengelernt hatte. Sakura kannte die meisten davon gar nicht. Sie mochte Amerika nicht. "Aber mal was anderes, wie waren deine Ferien?"

"Ach, nichts Besonderes eigentlich", meinte Sakura schulterzuckend. "Wir haben in der vorletzten Woche eine Kreuzfahrt gemacht. Ich hab dort mit ein paar Leuten Bekanntschaft geschlossen."

"Uuund?", hakte Ino bedeutungsschwanger nach. Auch wenn ihre Freundin sich mühte, neutral zu bleiben, kannten sie sich zu gut, als dass sie auf eine solche Täuschung hereinfallen würde. Sakura brannte ja auch darauf, die Sache mit Sasuke zu erzählen, aber sie wollte damit warten, bis alle ihrer wichtigen Freunde versammelt waren, um dieselbe Geschichte nicht drei Mal erzählen zu müssen. Sie hielt sich also zurück, was ihr sehr schwer fiel.

"Na gut, wenn du es mir nicht sagen möchtest, verstehe ich das. Aber du sollst wissen, dass ich extrem gekränkt bin!" Damit drehte sich Ino eingeschnappt um. "Du kannst mir aber trotzdem mit meinen Sachen helfen. Die sind noch unten."

Die Sachen bestanden aus gut neun großen Koffern, von denen sich die meisten nur zu zweit heben ließen.
 

"So wird das nichts", stellte Sakura genervt fest, als sie nach einer viertel Stunde gerade einmal das erste Stück in den zweiten Stock geschleppt hatten. "Wir brauchen männliche Hilfe!"

"Lass uns zuerst Hinata und Temari holen", schlug Ino vor. Sakura wusste genau, wieso Ino keine Hilfe von Jungs wollte. In ihrer irrwitzigen Welt hieß männliche Unterstützung anzunehmen oder gar anzufordern, schutzlos zu sein. Manchmal übertrieb sie es eindeutig mit ihrer Emanzentour, aber das sollte nun das geringere Problem sein. Sakura erklärte sich also einverstanden und zusammen suchten sie das Zimmer 215 auf, in dem das heillose Durcheinander herrschte.

Temari und Hinata waren so unterschiedliche Charaktere wie Ino und Sakura, nur noch extremer. Während Temari ein Temperament an den Tag legte, das einem Feuerball glich, strahlte Hinata eine Ruhe aus, die sogar von stehendem Wasser unterboten wurde. Temari betrieb seit Jahren Kampfsport, der sie leicht brutal gemacht hatte, wenn ihr etwas nicht passte. Wenn Ino die Lady war, um nicht zu sagen Tussi, war Temari die Furie. Hinata war ihr genaues Gegenteil. Sie war so grazil, dass Sakura neben ihr aussah wie ein Trampeltier.

Diesen grundlegenden Kontroversen war es zu verdanken, dass das Zimmer der beiden schlichtweg immer unbetretbar war. Entweder war Temari dabei, furchtbares Chaos zu kreieren, oder Hinata bemühte sich, ebendieses Chaos eifrig zu beseitigen, wobei man weder der einen noch der anderen in die Quere kommen durfte. Derzeit war gerade eine Diskussion im Gange, deren Sinn die beiden Neuankömmlinge nicht verstanden.

"Er darf wohl!", rief Hinata mit heller Stimme. Ihre Mitbewohnerin hätte diese Lautstärke sogar mit normaler Stimme übertönt. "Ich habe keine Lust, jedes Mal aufs Neue mit dir darüber zu streiten! Mach es einfach!"

"Damit untergräbst du meine gesamte Autorität", konterte Temari erbost. "Ich habe über diesen Bereich des Zimmers—" Sie wedelte unkontrolliert mit den Armen vor ihrem Bett. "—freie Verfügung und wenn ich nicht möchte, dass er hier rüber kommt, dann kommt er auch nicht!"

"Das werden wir schon noch sehen! Du hast sowieso keinen Einfluss darauf, wohin er geht!"

"Dann wäre die Sache erledigt. Er kommt weg! Wenn ich ihn einmal auf meiner Seite des Zimmers erwische, fliegt er aus dem Fenster!"

Erschrocken hielt Hinata die Luft an. "Du würdest nicht…!"

"Lass es von mir aus darauf ankommen!" Temari drehte sich mit verschränkten Armen von ihr weg. Dabei fiel ihr Blick auf Sakura und Ino, die verwirrt im Türrahmen gestanden waren. "Ah, ich hab euch ja so vermisst!" Freudig warf sie sich auf die beiden. Auch Hinata besann sich nun und begrüßte ihre Freundinnen mit einer zärtlichen Umarmung.

"Um was ging es denn hier?", wollte Ino neugierig wissen. "Habt ihr darüber diskutiert, ob Naruto mal bei Hinata nächtigen darf?"

Die Gemeinte wurde mit einem Schlag rot. "N-Nein! Ino, bitte! Wir haben über ihn hier geredet." Behutsam griff sie hinter ihr Bett und zog einen kleinen Käfig hervor. Darin lief eine verängstigte weiße Maus herum. "Ich war in den Ferien bei meinem Onkel zu Besuch und habe den Kleinen vor der Hausschlange gerettet. Er heißt Aruko."

Ino verengte wissend die Augen. "So wie Na-ruto?"

"Ino!", mahnte Hinata erneut. "Aruko mit K!"

"Wie dem auch sei", unterbrach Sakura unwirsch. "Wir müssen Inos Sachen raufschleppen, die stehen schon seit einer halben Stunde vorm Eingang und es sieht nach Regen aus. Helft ihr uns?"

"Klar. Sind sie wieder so schwer wie letztes Jahr?"

"Schwerer", murmelte Sakura missmutig.

Mit vereinten Kräften gingen sie alle zusammen ans Werk. Nach zwei mühseligen Wanderungen hatten sie es aber dann doch recht schnell geschafft, ohne größere Blessuren als roten Händen die Fracht zu verladen. Mehr Zeit hätten sie auch nicht gehabt, denn das Einweihungsfest des neuen Schuljahres sollte bald beginnen.

"Ich muss euch vorher noch was erzählen", hielt Sakura die Freundinnen zurück, als sie sich zum Speisesaal aufmachen wollten.

"Ha! Ich wusste es!", triumphierte Ino lautstark. "Sag schon, was ist es?"

"Ich musste mit meiner Familie diese Kreuzfahrt machen. Auf dem Schiff haben sich meine Eltern mit einem anderen Ehepaar angefreundet und jetzt ratet mal, mit wem!" Keine wusste eine passende Antwort darauf. "Mit den Uchihas!"

"Du machst Witze!", rief Temari ungläubig. Ino sah nur ratlos in die Runde, woraufhin Temari sie aufklärte: "Klar, dass du die Uchihas nicht kennst, deine Mum ist ja auch in der Künstlerbranche tätig. Aber jeder, der auch nur im Entferntesten was mit Wirtschaft oder Finanzen zu tun hat, spricht den Namen Uchiha mit Ehrfurcht aus. Es ist eine der reichsten Familien ganz Japans! Fast so reich wie Hinata!"

Ino wirkte wenig beeindruckt. "Ja und? Sie haben viel Geld, was ist daran so toll? Wir haben alle viel Geld. Die haben halt ein wenig mehr."

"Du verkennst die Lage", erklärte Sakura. Sie war inzwischen mit ihrem Handy ins Internet gegangen. "Hier, das ist der jüngere Sohn. Sasuke-kun."

Die Blondine hielt die Luft an. "Wow. Der ist so was von-"

"Göttlich?"

"Perfekt?"

"Heiß? Du sagst es." Sakura steckte ihr Telefon wieder ein. "Und nun kommen wir zum Kern der Sache. Ich hab ihn kennengelernt." Unwillkürlich schoss ihr das Blut in die Wangen. "Er ist wunderbar—ich hab mich auf den ersten Blick verliebt."

"Nein!", stöhnte Temari. "Sag, dass das nicht wahr ist! In einen Uchiha? Das kann nicht dein Ernst sein!" Auf die fragenden Blick antwortete sie: "Ich kenne den Kerl seit meiner Kindheit, als er noch in Japan gelebt hat. Da waren wir gerade einmal acht und schon damals konnte ich ihn nicht leiden. Klar, er sieht gut aus, aber er ist ein Idiot!"

"Ist er nicht!", widersprach Sakura bestimmt. "Das Problem ist, er interessiert sich nicht für mich. Nicht einmal ansatzweise. Ich habe alles versucht. Zufällige Begegnungen, unverfänglichen Smalltalk, ein schöner Augenaufschlag, aber es lässt ihn alles kalt!" Das Geschehnis mit der verpatzen Tanzaufforderung ließ sie geflissentlich weg.

"Sakura, Sakura, Sakura, habe ich dir gar nichts beigebracht?", tadelte Ino lächelnd. "Solche Typen musst du ignorieren bis aufs Blut. Denen liegen alle Herzen zu Füßen. Wenn du ihm auffallen möchtest, dann sieh ihn nicht an, sprich nicht mit ihm—oder noch besser: Sprich ihn an und geh dann einfach weg."

"Sie tut nichts dergleichen", wandte Temari bestimmt ein. "Uchiha Sasuke ist kein Umgang für sie—für uns alle nicht! Wenn wir davon reden, wie du Sasuke behandeln sollst, stimmen die Gerüchte also, dass er nach Miso wechseln soll?" Sakura nickte freudig. "Nein! Zeig keine Freude, wenn du von ihm redest! Das ist nicht gut!"

Nun meldete sich auch Hinata zu Wort: "An dem haben sich die Mädchen allesamt die Zähne ausgebissen, was man so hört!"

"Und woher weißt du das schon wieder?", fragte Ino neckisch. "Da interessiert sich ja jemand eindeutig für den jungen Herrn!"

"Tut jemand gar nicht! Unsere Väter sind befreundet. Da hört man nun mal solche Sachen."

"Natürlich sind die befreundet, war ja klar. Beide steinreich und großkotzig."

"Ino!"

"Ist doch wahr…"

"Wie dem auch sei, lasst uns zum Thema zurückkommen", befahl Sakura. "Wie bekomme ich einen Uchiha dazu, sich in mich zu verlieben?"

"Gar nicht, das ist aussichtslos." Hinata verschränkte die Arme. "Niemand könnte das jemals schaffen, glaub mir. Am besten lässt du die Finger ganz von ihm. Er wird hier genauso schnell anecken wie überall anders auch. Wir sollten ihn alle nicht weiter beachten."

"Du hast leicht reden", beschwerte sich Sakura, "immerhin hast du deinen Traummann schon so gut wie in der Tasche. Aber was ist mit mir?"

Ino stand von ihrem Bett auf. "Du schnappst dir Uchiha. Mit unserer Hilfe wird das ein Spaziergang."

"Vergiss es!", rief Temari. "Ich helfe ihr ganz sicher nicht, sich den größten Idioten zu angeln. Und Hinata auch nicht. Der stürzt uns alle nur ins Unglück." Aber Ino ließ nicht locker. Sie würde ihrer Freundin dabei unterstützen, egal was die anderen sagten. So schlecht konnte ein Mensch schon nicht sein.
 

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Sasuke nahm die imposante Gestalt des Miya-So-Internats kaum wahr. Es ärgerte ihn, dass seine Eltern nicht da waren, um ihn zu verabschieden. Stattdessen musste er sich mit seinem Bruder rumschlagen, dem gegenüber er natürlich nie sein Missfallen über das Fernbleiben der Eltern äußern würde. Es war ja nicht so, dass er sie brauchen würde, aber es wäre zumindest eine nette Geste gewesen, ihn vor der Schule zu verabschieden.

"Willst du hier Wurzeln schlagen?", fragte Itachi. Er hatte seinen Bruder mit dem Wagen hergeführt, da er morgen in der Nähe einen Geschäftstermin hatte. Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte Sasuke mit dem Zug kommen müssen. Welch reizende Familie er sich doch zugehörig fühlen durfte. "Nimm dein Gepäck und dann geh. Ich bin müde." Liebreizend. In der Tat.

Sasuke antwortete nicht. Er stand immer noch regungslos da, die eine Hand in der Hosentasche, die andere auf der geöffneten Beifahrertüre, damit sein Bruder nicht wegfahren konnte. Er würde es ihm durchaus zutrauen, ihn ohne seine Koffer stehen zu lassen.

"Es ist ja nicht so, dass ich dich loswerden möchte, aber Nanami wartet schon im Hotel auf mich. Du weißt wie ungeduldig sie ist." Itachi stieg nun selbst aus, warf seinem Bruder das Gepäck vor die Füße und reichte ihm die Hand. In seinem Blick lag brüderliche Fürsorge. Er fand es nicht gut, dass Sasuke abgeschoben wurde, aber was konnte er schon dagegen machen?

"Richte meiner Schwägerin liebe Grüße aus", sagte Sasuke und ergriff seine Hand.

"Das glaubt sie mir nie."

"Danke fürs Bringen."

"Bild dir bloß nichts drauf ein, ja?" Er zog ihn in eine Umarmung und klopfte ihm ermutigend auf den Rücken. "Du schaffst das schon. Versuch nur nicht schon am ersten Tag allen Mädchen den Kopf zu verdrehen."

"Wird schwer werden."

"Alter Pfau."

"Gemeiner Hund."

Damit war alles zwischen den beiden gesagt und Itachi brauste auf den vier Rädern seines Bentleys davon. Sasuke wusste nicht, was er von alldem halten sollte. Was war schlimmer? Dass seine Eltern ihn wie einen Hund in eine Tierpension gegeben hatten, oder dass er in dieser gottverdammten Einrichtung mehr oder minder ein Gefangener war? Es ging ihm schon jetzt auf die Nerven, wie die Damenwelt auf ihn reagieren würde—es würde die Hölle werden! In Amerika hatte es sich in Grenzen gehalten, immerhin war ein Asiat nicht jedermanns Typ. Aber es gab genug Japanerinnen dort, um ihm einen adäquaten Vorgeschmack zu liefern. Seit er wieder in Tokio war, hatte er diesen Vorgeschmack in seiner vollen Blüte erlebt. Nicht, dass gleich jedes Mädchen gekreischen hatte, wenn es ihn sah, aber die meisten Blicke blieben doch viel zu lange an ihm kleben, als er es wollte. Aufmerksamkeit behagte ihm nicht, wenngleich er sie gewöhnt war.

Nun stand er also da, alleine und ohne Plan, als auch schon eine blonde Frau im Kostüm aus der Eingangstüre getreten kam und über den Hauptweg zu ihm eilte. "Uchiha Sasuke, dass ich dich einmal in meiner Schule sehe. Soviel zu Fugakus Plänen hinter dem großen Teich. Tsk." Sie warf ihre Hand zu einer abwertenden Geste nach hinten. "Mein Name ist Tsunade, ich bin die Direktorin. Es ist unsere Philosophie, so viel persönliche Bindung mit unseren Schülern aufzubauen, wie nur irgend möglich, also zögere nicht. Hast du bisher Fragen?"

Sasuke, der völlig erschlagen von solch einem Wortschwall war, schüttelte fassungslos den Kopf. "Wie haben Sie mich so schnell gefunden?"

"Ich habe meine Augen überall, junger Mann. Merk dir das lieber gut. Diese Schule läuft nur skandalfrei, weil niemand es wagt, Unheil anzurichten oder Unfug zu treiben. Wir hatten vor fünf Jahren einmal einen Poltergeist hier, aber der flog nach vier Tagen Spuk von der Schule. Auch das merk dir lieber gut."

"Okay." Das klang nicht allzu überzeugend, doch Tsunade beließ es dabei. "Wohin soll ich also jetzt?", wollte Sasuke wissen.

"Normalerweise werden die neuen Schüler von den zuständigen Klassenlehrern eingewiesen, aber da wir selten Neuzuwachs in den oberen Jahrgängen bekommen, obliegt es mir, dir die wichtigsten Dinge zu zeigen." Noch während sie sprach, legte sie eine Hand auf Sasukes Rücken und führte ihn in ihr Büro. Bereits auf dem Weg dorthin begann sie damit, ihm die dringlichsten Regeln einzuschärfen. "Da wir kein Internat sind, gibt es keine gesetzlichen Regeln für das Schlafhaus, also können wir rein theoretisch keine rechtlichen Schritte gegen Regelbrecher einleiten, so viel sei zugegeben. Aber, und dieses aber kannst du dir mit einem roten Marker anstreichen, wir haben dennoch Regeln, bei deren Nichteinhaltung Schritte drohen, die nicht angenehm sind. Wir behalten uns vor, Schüler aus der Schule zu werfen, ohne Gründe anzugeben. Und das ist gesetzlich geregelt. So weit verstanden?"

Sasuke nickte. Sah er etwa aus wie ein Unruhestifter?

"Die Regeln sind recht einfach. Frühstück gibt's im Speisesaal um acht, der Unterricht beginnt um zehn vor neun. Ich hab mir sagen lassen, dass er in Amerika um dreiviertel acht beginnt, also lass dich davon nicht irritieren. Während den Freistunden dürfen sich Schüler nur am Schulgelände aufhalten, nach dem Unterricht steht es ihnen frei, zu gehen wohin sie möchten. In der Regel wird das Schulgebäude um acht Uhr verriegelt, die Unterkunft um neun. An Abenden vor einem schulfreien Tag machen wir eine Ausnahme bis halb elf. Bettruhe ist aber immer um zehn, danach darf kein Lärm gemacht werden." Sie hatten inzwischen das Büro erreicht und saßen darin, doch sie war immer noch nicht fertig. "Zigaretten und Alkohol sind tabu, der Aufenthalt in den Mädchenzimmern ist ab der Bettruhe ebenfalls untersagt. Wer dagegen verstößt, bekommt eine Verwarnung, bei der zweiten fliegt er. Ich denke, das wäre das Wichtigste. Der Rest steht hier drin. Lies es, unterschreib es und gib es morgen wieder zurück." Tsunade drückte ihm einen Stapel Papiere in die Hand, unter dem seine trainierten Arme ächzten. Auf den Haufen legte sie ein Kuvert. "Das ist dein Zimmerschlüssel. Versperrt wird grundsätzlich zwar nicht, aber wir sind dazu verpflichtet, die Schlüssel auszuteilen. Auf dem Anhänger steht deine Zimmernummer. Es gibt nur Zweierbelegungen." Sie blätterte in einer Mappe, bis sie fand, wonach sie suchte. "Ah, hier ist es ja. Dein Zimmerkollege wird Uzumaki Naruto."

"Na super", murmelte Sasuke zu sich selbst. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. "War's das jetzt?"

"Ja. Du kannst gehen. In zwanzig Minuten fängt übrigens das Einweihungsfest des neuen Schuljahres an. Sei pünktlich. Ich erwarte, dass alle Schüler meiner Schule zusammenkommen." Dann entließ sie ihn.

Sasuke blieb nichts anderes übrig, als sich durch den Berg an Unterlagen zu wühlen, um zumindest einen Lageplan oder Ähnliches zu finden. Natürlich fand er eine Karte des Areals erst ganz unten, als ihm die Hälfte der Sachen dank eines Luftstoßes beinahe abhanden gekommen war, der durch eine sich öffnende Türe durch den Flur gefegt war, in dem nun von Minute zu Minute mehr Menschen herumwanderten. Sie alle trugen dieselbe Uniform bestehend aus einem weißen Hemd, einem beigefarbenem Pullunder mit aufgesticktem Schulemblem und eine braune Hose. An der unterschiedlichen Trageweise konnte man allerdings gleich sehen, wer welchen Charakter hatte. Manche trugen zusätzlich eine färbige Krawatte, andere statt dem Pullunder eine Weste und wieder andere hatten den Überzug völlig weggelassen und das Hemd nur halbherzig in die Hose gesteckt. Bei den Mädchen fand man noch mehr Disparitäten. Ihre Uniform bestand aus denselben Kleidungsstücken, bis auf dass sie statt der braunen Hose einen gleichfarbigen Faltenrock trugen. Die weiblichen Varianten unterschieden sich sowohl in der Rocklänge, als auch in Pullunder,Weste oder Bluse, die mal hier taillenhoch im Rock steckte, mal dort hüfttief über selbigen fiel.

Aber so genau sah Sasuke sich die Uniformen gar nicht an. Interessant war nur, welches Mädchen ihren Rock wie hoch trug, denn das implizierte, wer ihm wie viel auf die Nerven gehen würde. In seinen Beobachtungen erblickte er ein Mädchen, das ihren Rock sehr hoch trug. Er schmunzelte innerlich über die gewollte Freizügigkeit, doch dann fiel sein Blick auf das Mädchen neben ihr. Den rosafarbenen Haarschopf konnte man in der tröpfelnd vorbeiziehenden Menge nicht übersehen. Die hatte ihm gerade noch gefehlt! Sie würde ein Riesentheater machen. Neben ihr gingen noch zwei andere Mädchen, von denen ihm beide bekannt vorkamen. Die Dunkelhaarige war eindeutig eine der Hyuugatöchter, die burschiose Blonde konnte er nicht richtig zuordnen.

Er stellte sich schon darauf ein, die Rosahaarige—wie hieß sie noch gleich? Sayuri, nein, Sa…Sasako? Sadako? Egal!—erneut abzuweisen, doch da war sie auch schon an ihm vorbeigegangen, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Womöglich hatte sie aufgegeben? Doch dann würde sie trotzdem noch verstohlene Blicke senden. So leicht entkam man dem Uchiha-Bann nicht. Wahrscheinlich hatte sie ihn einfach nicht gesehen. Es kümmerte ihn ja ohnehin nicht. Wenn sie begriffen hatte, dass er nichts von ihr wollte, war das nur sein Vorteil. Vielleicht würde das Schuljahr doch nicht so anstrengend werden wie gedacht.

Nachdem er diesen Gedanken beendet hatte, kämpfte er sich mühsam durch das gesamte Areal, immer auf seine äußere Coolness bedacht, bis er schlussendlich vor jener Türe stand, die fortan für ein knappes Jahr sein Heim werden sollte. Er hatte schnell gemerkt, welches System hier ablief: Die Mädchenzimmer waren im ersten und zweiten Stock, die Jungenzimmer im dritten und vierten—Besucher auf den jeweils anderen Etagen waren tagsüber zwar erlaubt, aber dennoch nicht gerne gesehen. Die Stiegenaufgänge waren von Glastüren vom Wohnbereich abgetrennt, was diesen Eindruck noch verschärfte. Ihm sollte es nur recht sein!

Mit einem unheilvollen Gefühl im Bauch öffnete Sasuke die Türe. Was ihn dahinter erwartete, übertraf seine Befürchtungen. Die eine, bewohnte Hälfte des Zimmers, war von einem destruktiven Chaos durchzogen, das einem die Augen schmerzen ließ. Die andere, noch unbewohnte Hälfte, wies eine Kahlheit und Kälte auf, die vermutlich auch nicht viel mehr Leben bekommen würde, solange sie Sasuke gehörte.

"Sasuke!", rief plötzlich jemand aus dem Badezimmer. Die Türe flog auf und heraus trat ein grinsender blonder Junge. "Dass ich dich noch einmal zu Gesicht bekomme! Ich dachte schon, du wärst tot! Du hast dich schon ewig nicht gemeldet!"

Sasuke seufzte schmerzvoll. "Naruto—erstens, ich war nicht tot, sondern in Amerika. Zweitens, wir haben uns das letzte Mal mit acht Jahren gesehen und damals konnte ich dich schon nicht leiden, womit wir beim Grund für drittens kommen würden."

"Immer noch der alte Zyniker, wie ich sehe. Manches ändert sich nie." Naruto ließ sich von der kalten Schulter nicht beeindrucken. Er freute sich im Gegenteil aufrichtig seinen Kindheitsfreund wiederzusehen. Als Enkel des ehemaligen Bundespräsidenten, war Naruto prädestiniert dafür, Leute wie die Uchihas zu kennen. Aufgrund einer Affäre mit der von seinem Vater als unwürdig angesehenen kleinbürgerlichen Uzumaki Kushina hatte Namikaze Minato zwar mit seiner reichen Familie gebrochen, aber manche alten Kontakte waren ihm erhalten geblieben. So auch—zu Sasukes nicht ganz so stummem Leidwesen—jene lockere Bekanntschaft zwischen Narutos und seinem Vater, einem Funktionär der Partei, der Minatos Vater noch immer angehörte. Wenn die beiden einen ihrer Zigarrenabende veranstaltet hatten und die Frauen in Ruhe Weiberkram tratschen wollten, hatte man Naruto und Sasuke in ein Zimmer gesteckt, wo sie beide sich miteinander hatten abfinden müssen. Eine tragische Geschichte voll kleinkindlicher Rivalität, die Sasuke lächerlich lang her vorkam.

Er seufzte. Es schien, als müsse er sich fürs Erste damit abfinden, örtlich an Uzumaki Naruto gebunden zu sein. Nachdem er das endgültige Ausmaß seines Pechs endlich kannte, konnte er anfangen, damit zu leben. Viel schlimmer konnte es ja auch nicht werden, oder? Es war ja nicht so, als sei sein persönlicher Quälgeist mit der rosahaarigen Nervensäge befreundet! Das würde seine letzten Nerven endgültig töten.
 

"Hast du sein Gesicht gesehen?", fragte Ino lachend. Die Mädchen waren lachend an Sasuke vorbeigegangen und nun bereits im Festsaal des Wohngebäudes angekommen. Sie nahmen sich die erstbesten Stühle in den hinteren Reihen, um ungestört reden zu können.

"Nein, ich hab nicht hingeschaut", bemerkte Sakura geflissentlich.

"Ganz genau!" Ino war hoch zufrieden mit der Aktion. Sie hatte einen Plan erarbeitet, einen gerissenen Plan. Sakura würde Sasuke kein einziges Mal ansehen. Egal wie stark ihr Herz klopfen, was er auch sagen würde, sie würde ihm keinerlei Beachtung schenken. Gleichzeitig würde Ino sich an den Gejagten hängen, ihm schöne Augen machen und so weiter, um den Kontrast zu seiner baldigen Herzdame zu unterstreichen. Damit wäre auch gewährleistet, dass Sasuke an diversen Freizeitaktivitäten teilnehmen musste. Solange sie ihn umschwärmte, konnte Sakura in seiner Nähe sein, um ihn zu ignorieren und abzuwerten. Dass Ino in diesem Teil des Vorhabens unerheblich werden würde, ahnten sie zu dem Zeitpunkt ja noch gar nicht. Aber hätten sie, dann hätten die beiden Freudensprünge gemacht. Wie es kam, war nämlich um einiges besser.
 

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Fire And Flame


 

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In ihrer Reihe hielten die Mädchen drei Plätze frei. Diese waren reserviert für den Rest ihrer Gruppe, der sich aus Naruto, Shikamaru und Gaara zusammensetzte. Die Konstellation ergab sich aus diversen Verbindungen oder Bekanntschaften. Sakura, Ino und Hinata hatten sich irgendwie von Anfang an Freundinnen zusammengefunden. Temaris Familie war immer schon eng mit den Harunos befreundet gewesen und hatte durch eine verpatzte Prüfung aufgrund unfairer Bedingungen die zweite Klasse wiederholen müssen. Mit ihr war ihr introvertierter Bruder Gaara gekommen. Er hatte anfangs nicht viel gesprochen—was ihm in einem Pulk von pubertierenden Mädchen niemand vorwerfen konnte—nachdem Naruto es allerdings geschafft hatte, sich in der zweiten Hälfte der zweiten Klasse mit Sakura anzufreunden, hatte Gaara einen Verbündeten bekommen. Shikamaru war eher zufällig in ihre Gruppe gestolpert. Zum einen teilte er sich mit Gaara ein Zimmer und zum anderen hatte Ino seit der ersten Klasse ein Auge auf ihn geworfen. Darum hatte Sakura sich ein paar Mal Hilfe von ihm geholt, um ihn zufällig ihrer blonden Freundin vorstellen zu können. Zu Inos Leidwesen war Shikamaru nicht an einer Liebesbeziehung interessiert gewesen und seitdem zankten sich die beiden bei jeder Gelegenheit. Geblieben war er trotzdem, denn er genoss die anregende Gesellschaft der anderen, insbesondere die von Sakura und Gaara.

"Shikamaru, wir sind hier!", rief Sakura über die Menge hinweg, als sie den braunhaarigen Jungen vorm Rednerpult ausmachen konnte. Er nahm ihren Ruf flüchtig zur Kenntnis, verschob eine Reaktion darauf jedoch auf später.

"Mit wem spricht er da?", wollte sie neugierig wissen.

Ino zuckte mit den Schultern. "Sieht mir aus wie Gaara und Hyūga Neji-kun. Sie sind so weit, weg ich kann nichts erkennen. Warum bauen die ihre Säle auch immer so groß?" Konzentriert kniff sie die Augen zusammen. "Ja, eindeutig Neji-kun. Was will er von ihm? Er weiß doch, dass wir uns nicht mit solchen Leuten unterhalten!"

"Das ist nicht fair, Ino!", warf Hinata ein. "Niemand hat ihm verboten, mit Neji-nii zu reden. Wir reden nicht mit ihm und das zwar aus einem angemessenen Grund, aber Gaara-kun steht es frei, mit jedem zu reden, mit dem es ihm beliebt."

"Gar nicht! Wer zu uns gehört, muss sich auch an unsere Regeln halten!"

Sakura beendete das Gespräch, indem sie aufstand und die Hände in die Hüften stemmte. "Es reicht! Wir wissen alle, warum die Lage zwischen Neji, Tenten und uns angespannt ist, da müssen wir dieses heikle Thema nicht auch noch tagelang wieder und wieder durchkauen. Hinata hat sehr Recht—Gaara kann reden, mit wem er möchte. Unser Grund mag sehr wohl angemessen sein, aber er überträgt sich nicht auf ihn."

"Was für ein Grund?" Shikamaru war zusammen mit Gaara herübergekommen, nachdem er sich von Neji verabschiedet hatte.

"Das war vor deiner Zeit", klärte Sakura auf. "Es ist eine komplizierte Geschichte, die es nicht wert ist, aufgewärmt zu werden. Apropos aufwärmen, wie waren deine Ferien? Hast du wieder im Restaurant gearbeitet?"

Shikamaru ließ ein missmutiges Grummeln von sich hören, das alles sagte. "Nächstes Thema. Wisst ihr schon, dass wir einen neuen Schüler bekommen? Es soll angeblich Uchiha Sasuke sein."

"Wieso dreht sich bloß alles um diesen Kerl?", entrüstete sich Sakura. In Wahrheit klopfte ihr Herz schneller beim Klang seines Namens, doch dies war eine perfekte Chance, um Inos Plan umzusetzen. "Das geht mir sonst wo vorbei, ob wir einen neuen reichen Schnösel bekommen! Tut doch nicht alle so, als wäre der Typ was Besonderes!"

Abwehrend hob er die Hände. "Tut mir Leid. Ich wollte es ja nur mal erwähnen. Was hast du gegen ihn?"

"Nächstes Thema."
 

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"Ich dachte echt nicht, dass wir uns jemals wieder sehen!" Naruto war noch immer völlig aus dem Häuschen. "Als publik wurde, dass du nach Miso wechselst, hat mein Vater Tsunade-obachan gebeten, uns dasselbe Zimmer zuzuweisen. Cool, nicht? Sie hat natürlich sofort eingewilligt, immerhin will sie dir den Einstieg erleichtern!"

"Sie ist so gut wie tot", murmelte Sasuke. "Wie kommt die dazu, mich gerade dir zuzuteilen? Will die mich etwa umbringen?"

"Freust du dich gar nicht, mich zu sehen?"

"Nicht im Geringsten."

Das war wie ein Schlag ins Gesicht für die Frohnatur Naruto. Aber er steckte die Beleidigung gekonnt weg. Er kannte Sasukes Charakter zu gut, als dass er seine Worte für bare Münze nehmen konnte. "Na, mir soll's recht sein, du kannst sowieso nicht aus! Ich mach jedenfalls das Beste aus meiner Situation! Und jetzt zieh dir die Uniform an, bald beginnt das Fest!"

Sasuke tat nur widerwillig wie ihm geheißen. Auf dem Weg zum Festsaal musste er sich dann auch noch von Naruto alle möglichen Erzählungen über die Schüler anhören. Es gab keinen, der seinen blonden Begleiter nicht freudig begrüßte oder ihm herzlich zuwinkte. Er hatte sich eindeutig den falschen Umgang gesucht…das war ja beinahe krankhaft! So viel Freundlichkeit auf einem Haufen!

"Und das ist Aburame Shino, seinen Eltern gehört dieser große Konzern, der Honig herstellt. Er ist ziemlich seltsam, also gib dich besser nicht allzu oft mit ihm ab, sonst gehörst du bald zu den Freaks. Von Inuzuka Kiba hältst du dich auch besser fern. Die beiden hängen immer miteinander ab; sind beide komische Gestalten. Ich glaub', sie arbeiten für die Schülerzeitung. Ah, und da sind meine Freunde, die du auch gerne deine Freunde nennen darfst!" Grinsend stellte er sich vor den Pulk an Schülern, von dem Sasuke ein paar Gesichter durchaus bekannt waren—zu bekannt. Er konnte ja so ein Pech haben, genau mit diesen Leuten verkehren zu müssen.

Naruto ließ sich indes nicht aufhalten, weiter zu informieren. "Leute, darf ich euch meinen alten Freund Sasuke vorstellen?" Ein paar von ihnen sagten neutrale Begrüßungen auf, der Rest enthielt sich jedweder Freundlichkeit. "Dann fangen wir mal mit der Vorstellungsrunde an!"

Sasuke ertrug die vielen Namen mit einem Gleichmut, den nur wenige Leute aufbringen konnten. Am vermeintlichen Ende der ausführlichen Bekanntmachung hatte er sich genau zwei Dinge gemerkt: Die Dunkelhaarige war Hyūga Hinata und die Mutter des hellblonden Mädchens, das ihm dauernd verstohlene Blicke zuwarf, war Schauspielerin und hatte den Chef einer Blumenhandelskette geheiratet.

"Ach ja, und die schöne Frau, die sich hinter Shikamaru versteckt, ist meine allerbeste Freundin, auf der ganzen Welt! Los, los, zier dich nicht so, Sakura-chan."

Natürlich, dachte Sasuke zynisch. Wenn man dachte, es könnte nicht schlimmer kommen. Es hätte ja an ein Wunder gegrenzt, wenn sie sich nicht irgendwie miteinander verwoben gefunden hätten. Er hatte immer so ein Glück. Die verrücktesten Weiber hatten stets einen triftigen Grund, sich in seiner Nähe aufzuhalten. Aber musste es denn gleich eine so starke, direkte Verbindung sein? Während Sasuke über sein Elend sinnierte, beobachtete er Sakura unauffällig. Und was er sah verwunderte ihn. Sie sah kein einziges Mal her; im Gegenteil. Sie hatte ihm hinter dem dunkelhaarigen Jungen mit dem Ohrring den Rücken zugewandt, die Arme verschränkt und machte keine Anstalten, sich für ihn zu interessieren. Wollte sie ihn etwa verarschen? Er kannte diese Kaltes-Mädchen-Masche zur Genüge. Dachte sie wirklich, er würde darauf anspringen? Wie dumm!

"Sakura-chan, Sakura-chan! Da Sasuke jetzt zu uns gehört, könnte er doch im Winter mit uns nach Gala Yuzawa fahren!", schlug Naruto begeistert vor.

"Auf keinen Fall!", blockte Sakura entschieden ab. Sie trat hinter Shikamaru hervor. "Das ist ein Ausflug unter langjährigen, eingeschworenen Freunden. Nichts gegen Sasuke-kun—aber er gehört nicht zu uns!"

Hm, das war ja interessant. Sie zog diese Scharade wirklich durch. Das konnte ja heiter werden. Nun hatte er also nicht nur einen neuen blonden Fan, der vermutlich noch aufdringlicher werden würde als Sadako—Sakura, verlucht, wieso merkte er sich das bloß nicht?—sondern auch noch eine Heuchlerin, die vorgab, ihn nicht leiden zu können. Das konnte sie ihm nie glaubhaft machen. Klar, er war auf der Kreuzfahrt nicht allzu freundlich gewesen und die Sache mit der Tanzaufforderung war auch keine Schmeichelei gewesen, aber Derartiges bestärkte die meisten nur noch in ihrem Eifer.

"Ich habe kein Interesse, mitzufahren", meinte Sasuke schließlich, um die Diskussion zwischen Sakura und Naruto zu unterbinden, die sich entfacht hatte.

"Da siehst du's, er möchte gar nicht! Gib jetzt Ruhe und setz dich hin. Tsunade-sama wird gleich die Erstklässler begrüßen." Sie macht eine Drohgebärde in Narutos Richtung, funkelte Sasuke noch einmal an und setzte sich.

"Mann, Sakura-chan, ist dir heute mal wieder eine Laus über die Leber gelaufen?", fragte Naruto beleidigt. "Ich hab dich total vermisst und alles was du zu sagen hast sind ein paar unfreundliche Worte. Ich wollte Sasuke gegenüber doch nur höflich sein!"

"Halt einfach deine Klappe." Noch im selben Moment tat Sakura ihre Aussage leid. So machte sie bestimmt keinen guten Eindruck bei Sasuke—eher den einer Furie als einer begehrenswerten, liebenswerten Persönlichkeit. Sie übertrieb es langsam wirklich. Im Stillen schwor sie sich, in Zukunft nicht so gemein zu sein. Und sie würde gleich damit anfangen. "Entschuldige bitte, Naruto." Sie seufzte niedergeschlagen. In der Pause, die sie machte, überlegte sie sich schnell eine Ausrede. "Gegen Ende der Ferien war es sehr stressig für mich und davon hab ich mich wie es aussieht noch nicht richtig erholt. Verzeihst du mir?" Lieblich lächelte sie ihn an und ergriff seine Hand.

Naruto musterte sie erst skeptisch, dann hob er den Daumen. "Na klar doch. Bei mir war's am Schluss auch stressig. Ich wusste nicht, welche Spezialisierung ich nehmen soll. Ich wollte Kunst nehmen, aber dann sind es doch Naturwissenschaften geworden."

"Echt?" Sakura war ehrlich erfreut. "So ein Zufall, ich auch! Dann haben wir sicherlich viele Stunden gemeinsam!"

Verlegen trat ihr bester Freund von einem auf den anderen Fuß. "Ja, ich weiß. Du hast letztes Jahr schon angedeutet, dass du Naturwissenschaften wählst. Ich dachte mir, ich könnte die ein oder andere Aufgabe vielleicht von dir abschreiben?" Er konnte beobachten, wie ihre Augen sich verengten, doch sie hielt sich zurück, ihn vor versammelter Mannschaft zu schelten. Klar, er war kein Genie in Mathe und das war eines der zwei Hauptfächer dieses Zweiges, aber wenigstens hatte er jemanden, mit dem er dann lernen konnte.

Ausgelöst durch dieses Gesprächsthema, begannen nun alle anderen auch über ihre Wahl zu sprechen. Schnell stellte sich heraus, dass Naturwissenschaften das beliebteste Fach unter ihnen war. Nur Ino hatte Kunst gewählt und Gaara und Temari hatten sich für Marketing entschieden. Ihr Onkel, bei dem sie lebten, war ein wichtiger Funktionär eines bekannten Fernsehsenders, aufgrund dessen Einflusses sie nach dem Studium leicht in eine hohe Position beim Sender kommen würden. Dafür brauchten sie allerdings Kenntnisse in Sachen Marktwirtschaft und die bekamen sie nur in einem derartigen Studium, wofür sie in diesem Jahr die Vorprüfung ablegen sollten. Hinata war die letzte Ausnahme. Sie mochte Biologie nicht sonderlich, weswegen ihre Wahl auf Wirtschaft gefallen war. Also eigentlich belegten nur Naruto, Sakura und Shikamaru Naturwissenschaften. Aber immerhin, sie waren die Mehrheit.

"Und, was hast du gewählt, Sasuke-kun?", wollte Ino hoffnungsvoll wissen. Verdammt, dachte Sakura, sie spielte ihre Rolle gut! Die Süße in ihrer Stimme, der perfekte Augenaufschlag. Bewundernswert. Und das für einen Kerl, den sie ihrer besten Freundin überlassen wollte. Beneidenswert.

Sasuke, der überrascht war, sich in dem Stimmengewirr direkt angesprochen zu finden, antwortete mit Amüsement in den Augen: "Wirtschaft."

"Oh, Hinata, du hast ja so ein Glück!", schmollte Ino enttäuscht. "Dass mein Sasuke-kun ausgerechnet in ein so langweiliges Fach geht! Wie ärgerlich!"

Plötzlich war es, als hätte jemals den Lautstärkeregler herunter gedreht. Sobald der Name gefallen war, lauschten sämtliche Schülerinnen interessiert auf. Die Pechvögel im letzten Jahr konnte man leise fluchen hören: "Mist, warum hab ich nicht auch Wirtschaft gewählt?" Andere wiederum ballten siegreich die Hände zu Fäusten und rissen diese in die Luft. Sasuke beobachtete dieses Spektakel ungerührt. Ihm fiel auf, dass nicht allzu viele Mädchen diese Spezialisierung gewählt hatten, was ihm sehr gelegen kam. Die Spezialfächer würde er vorwiegend mit männlichen Kollegen haben. Wenigstens hier hatte er Glück gehabt.

"Ähm, entschuldige bitte die Störung, Uchiha-san." Erst nahm er die halblaute Stimme gar nicht wahr, aber als sie ihre Worte lauter wiederholte, wandte er sich der Sprecherin zu. Es war ein Mädchen seiner Schulstufe, das konnte er an der Farbe ihrer Krawatte sehen. Naruto hatte ihm in all seinem unwichtigen Gebrabbel eine interessante Information erteilt. Die Krawatte zeigte, welches der vier Jahre die Schüler absolvierten. Weiß stand für das erste, grün für das zweite, gelb für das dritte und rot für das vierte. Die Krawatte des Mädchens war rot. Sie passte farblich fast zu ihrem stechendpinken Haar, das sich einen Kampf um Auffälligkeit mit der schwarzen Brille lieferte.

"Ja, bitte?" Er wusste jetzt schon, dass sie ihm nichts von Belangen zu sagen hatte.

Sie räusperte sich, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und sagte in festlichem, wenn auch unterkühlten Ton: "Yoshida Karin, sehr erfreut, deine Bekanntschaft zu machen." Als er nicht reagierte, fuhr sie fort. "Ich bin die Schülersprecherin und sehe mich deshalb in besonderem Maße dazu verpflichtet, dich in unseren Reihen zu begrüßen. Ich hoffe, du fühlst dich hier wohl. Wenn du ein Anliegen hast, kannst du sehr gerne zu mir kommen. Ich bin immer bemüht, den Schülern dieser Schule ein Sprachrohr zu sein."

Ino mischte sich ungehalten ein. Sie stemmte einen Fuß auf den Sessel vor ihr und rief mit drohender Faust: "Spielt dich nicht so auf, Karin-kóbuta! Du warst voriges Jahr Schülersprecherin, aber dieses Jahr kannst du dir das abschminken!"

"Ich würde meinen Mund nicht so weit aufmachen, Ino-shíshi, sonst verläuft dein Lipgloss noch." Karin machte eine wegwerfende Handbewegung, auf die sie von Ino den Mittelfinger kassierte. "Wage es nicht noch einmal, mir den zu zeigen, sonst hack ich ihn dir ab!" Ino wiederholte ihre Geste genüsslich. "Na warte…argh! Wir werden schon noch sehen, wer zuletzt lacht!"

"Pah!", machte nun Temari. "An deiner Stelle wäre ich nicht so selbstsicher! Du hast voriges Jahr doch nur gewonnen, weil du alle anderen Kandidaten sabotiert hast! Aber dieses Jahr bekommst du es mit uns zu tun und wir stellen Sakura auf!"

Naruto war inzwischen daran, Sasuke eifrig die vorangegangenen Umstände zu erklären. "In der dritten ließen sich Karin und zwei andere aus den oberen Klassen aufstellen, aber die zwei haben gekniffen, weil während des Wahlkampfes eine Menge seltsamer Dinge mit ihnen passiert sind. Tote Fische im Bett und solche Sachen. Echt ekelhaft."

"Danke. Sollte mich das jemals interessieren, schreib ich dir ne Mail", winkte Sasuke gelangweilt ab. Allerdings musste er zugeben, dem Zickenterror ein bisschen Spaß abgewinnen zu können.

Indes hatten sich auch Sakura und zwei Freunde von Karin eingemischt. "Ich finde das gar nicht so abwegig, Karin!", rief erstere dazwischen. "Warum sollte ich nicht eine ebenso große Chance haben wie du? Und wenn du mir hundert Forellen ins Bett legst! Immerhin haben wir Sasuke-kub und du hast nur Suigetsu-san, den sowieso keiner leiden kann! Die Stimmen aller Mädchen werden uns gehören, hörst du?"

"Wir werden schon noch sehen!", meinte Karin aufgebracht. Sie wandte sich an Sasuke. "Uchiha-san, was meinst du?"

"Ja, Sasuke-kun, was meinst du?", fragte nun auch Ino bedrohlich.

"Sehe ich etwa so aus, als ob ich zu diesem Blödsinn eine Meinung hätte?", antwortete er nur beiläufig. Er sah sie dabei nicht einmal an.

"Da siehst du es!", triumphierte Ino grinsend.

"Was sehe ich denn bitte, häh?", keifte Karin. "Uchiha-san enthält sich seiner Meinung, sehr diplomatisch von ihm! Aber in Wahrheit ist er auf meiner Seite!"

"Unsinn! Er ist unser Freund, also gehört seine Stimme auch uns!" Während des Streites hatte sich die gesamte anwesende Schülerschaft um die Kontrahenten versammelt und feuerten ihre Favoriten an. Als Ino den Zeigefinger gen Decke streckte, wurde es schlagartig mucksmäuschenstill. "Ich schwöre heute feierlich, dass wir die Schülersprecherwahl gewinnen werden. Für Sasuke-kun!"

Das war zu viel. Mit den Nerven am Ende vergrub Sasuke sich in seinen eigenen Armen und betete dafür, niemals wieder herauskommen zu müssen. So viel Peinlichkeit konnte nicht einmal Karin etwas entgegensetzen und sie zog mit einem unberührten Lächeln von dannen.

"Ino", zischte Sakura mit geröteten Wangen, als sich die Traube um sie aufgelöst hatte. "Das war echt zu viel."

"Ist doch wahr", schmollte sie. "Bei dieser Tussi werd ich eben leicht ungehalten."

Sakura verdrehte die Augen. "Super. Weißt du, was du uns eigebrockt hast?", fragte sie lauter, damit ihre Freunde es auch hören konnten. "Jetzt müssen wir ein Wahlkampfkomitee aufstellen und einen Spitzenkandidaten. Weißt du, wie viel Arbeit das ist? Wieso hast du mich denn vorgeschlagen? Ich hab' keine Zeit dafür!"

"Sakura hat recht", pflichtete Shikamaru ihr bei. "Du hättest nicht so ein Theater machen sollen. Wenn du Schülersprecher werden möchtest, tu dir keinen Zwang an, aber wie ich dich kenne ziehst du uns andere auch in diese mühsame Angelegenheit mit hinein. Ich für meinen Teil finde das zu anstrengend."

"Meine Rede!", meinte Sakura halblaut. "Lass du dich doch aufstellen. Ich helf dir gerne während dem Wahlkampf, aber danach bin ich weg."

"Nichts da! Du wirst dich aufstellen lassen und Sasuke-kun wird für das Amt des Stellvertreters kandidieren."

"Bitte, was?" Entrüstet wandte er sich Ino zu. "Hey, halt mich aus dieser Sache raus. Mir ist das alles völlig egal."

"Du musst dich ja nicht sofort entscheiden, wir reden in zwei Wochen darüber, wenn die Listen ausgehängt werden."

"Hast du nicht zugehört?", fauchte Sasuke. "Ich habe mich schon entschieden und die Antwort lautet: Nein."

Ino ignorierte ihn gekonnt. Und das, wo sie doch die ganze Zeit auf seine Aufmerksamkeit aus gewesen war. So schnell konnte es also gehen. Sasuke fasste sich an die pochende Stirn. Er hätte niemals gedacht, dass er das sagen würde, aber er bekam von diesen Leuten wirklich Migräne; und zwar nicht diese Ich-habe-heute-keine-Lust-Migräne, sondern richtig stechend schmerzende Migräne, gegen die nur Schmerzmittel helfen würde können. Sehr viele Schmerzmittel.

In dieser Weise verging der Tag. Tsunade hielt eine festliche Rede, betraute die Neuen mit den Regeln und entließ sie dann in den Speisesaal im Schlafhaus, wo bereits ein reich gedecktes Buffet darauf wartete, verspeist zu werden. Naruto war der erste, der sich auf die leckeren Sachen stürzte. Er kam zurück mit einem randvollen Teller, den er prompt auf Hinatas Schoß fallen ließ, als diese aufstehen wollte und ihm die Stuhllehne in die Leiste rammte.

"Oh, N-Naruto-kun, das tut mir so leid!", wisperte sie verstört, wobei sie war, die aussah wie eine Essbehinderte. "Hab ich dir wehgetan?"

"Nein, schon gut, Hinata-chan." Er lächelte sie entschuldigend an. "Ich hätte besser aufpassen müssen."

"Nein!", wandte sie ein. "In Zukunft werde ich mehr darauf achten, wer hinter mir ist, ehe ich aufstehe!"

Ihre Freunde beobachteten die Szene mit argwöhnischen Augen. Shikamaru lehnte sich leicht zu Sasuke herüber. "So geht das seit der Zweiten. Aber keiner wäre jemals auf die Idee gekommen, den anderen nach einem Date zu fragen. Die beiden sind so anstrengend."

Ino schlug ihm mit dem Ellenbogen in die Seite. "Wirst du wohl still sein? Sie brauchen eben noch ein bisschen, ehe sie aufeinander zugehen. Das ist so romantisch!" Sie quiekte und beutelte den Kopf. "Die beiden sind ja so süß!" Shikamaru neben ihr fasste sich mit der Hand an die Schläfe.

"Kopfschmerzen?", fragte Sasuke amüsiert.

"Wenn es nur das wäre."

Darauf sagte niemand mehr etwas und Naruto und Hinata beendeten sofort ihre verlegene Entschuldigungsshow als sie merkten, dass sie beobachtet wurden. Ganz der Gentleman rückte Naruo ihr den Stuhl wieder zurecht, reichte ihr eine Serviette und erbot sich, ihr etwas zu essen zu holen.

"Mann, Hinata", stöhnte Temari, "schnapp ihn dir doch endlich. Frag ihn, ob er mit dir ausgeht!"

"Temari, sprich doch nicht vor…" Sie warf einen scheuen Blick zu Sasuke, der sie allerdings keines Gegenblickes würdigte.

"Vergiss den einfach mal. Sasuke würde Naruto nie etwas davon verraten, nicht wahr, Sasuke?—Wenn er uns denn überhaupt zuhört."

Sasuke aß weiterhin stillschweigend sein Essen, woraufhin Temaris These als bestätigt angesehen und fortgeführt wurde.

"Du solltest wirklich ein bisschen in die Puschen kommen, sonst schnappt ihn dir eine andere weg. Voriges Jahr hat Tanzaka Akane-san ziemliches Interesse gezeigt, erinnerst du dich? Sie hätte ihn fast nach einer Verabredung gefragt. Sie sieht nicht schlecht aus und ihr Vermögen ist ganz ansehnlich. Für Naruto jedenfalls wäre sie eine gute Partie, zu der er wohl schwerlich nein sagen würde."

"Temari!", entrüstete sich Hinata in gewohnt leiser Stimme. Weiter kam sie nicht, denn Naruto war mit ein paar Yakitori zurückgekommen und das Thema musste gezwungenermaßen fallen gelassen werden.
 

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Sasuke ließ sich erschlagen von den Ereignissen des Tages in sein Bett fallen. Himmel, war er fertig! Und dabei war das erst die Nummer eins gewesen! Es würden noch viele solcher Tage folgen. Ob er das überleben würde? Er zweifelte stark daran. Seine einzige Hoffnung bestand darin, schon bald genauso verrückt zu sein wie der Rest seines Umgangs. Als nervliches Wrack würde er sicherlich einen schneidigen Eindruck machen. Andererseits…dann würden sich nur noch mehr Mädchen um ihn reißen; es war ja so süß, wenn ein Junge Schwäche zeigte! Herrgott, das durfte nicht wahr sein!

"Was hältst du von meinen Freunden?"

"Nicht mehr als von dir. Die einzigen, die mir nicht auf die Nerven gefallen sind, war der junge Sabakuno und die Hyūgatochter."

"Sie haben Namen, die du dir sehr schnell einprägen solltest, wenn du hier Anschluss finden möchtest. Gaara und Hinata."

"Hn." Wer hatte behauptet, dass er Anschluss suchen würde? Er brauchte keinen zu finden, wenn er ihn nicht wollte. Und, Junge, wie er das nicht wollte! Aber ihm würde nichts anderes übrig bleiben. "Baka."

"Teme."

"Auf alte Zeiten?"

"Immer doch." Sie grinsten sich kurz an; Naruto herzlich, Sasuke mit Überlegenheit in den Augen. "Sag mal, Sasuke, was hältst du von Hinata-chan?"

"Sie steht auf dich", sagte Sasuke direkt heraus. Naruto blinzelte ihn irritiert an. "Ich bitte dich! Ich bin einen Tag hier und hab's gecheckt. So blauäugig kannst nicht mal du sein. Alleine das Trara, das eure Freunde um euch veranstalten, ist doch der Beweis dafür. Außerdem hab ich die ältere Sabakuno—entschuldige—hab ich Temari-san darüber sprechen hören. Hinata schien sehr verlegen zu werden."

Narutos Augen wanderten unwillkürlich aus dem Fenster. "Ich werde nie gut genug für sie sein. Ihre Haut ist so wunderschön und weich und ihre Augen sind so weiß wie der Mond. Sie ist perfekt." Gedankenverloren starrte Naruto zum Mond hinauf.

"Alter", sagte Sasuke kopfschüttelnd, "du bist so peinlich." Damit zog er sich die Decke über den in einen Schlafanzug gehüllten Körper und drehte seinem Mitbewohner den Rücken zu. "Wenn ich morgen aufwache, hoffe ich für dich, dass du dich wieder wie ein Mann verhältst und nicht wie ein Mädchenroman, klar?"
 

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Rescue And Rivals


 

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Nach Sakuras peinlicher Ansage und Narutos noch peinlicherer Schnulzenphase gepaart mit Inos Schwur, der wohl am peinlichsten gewesen war, war Sasuke am nächsten Morgen wenig erpicht darauf, in den Speisesaal zum Frühstück zu gehen und er war schon gar nicht erfreut darüber, sich bald das Klassenzimmer mit dieser Horde Verrückter teilen zu müssen. Und dabei hieß es doch immer, Amerika sei der Schmelzpunkt der Individualität.

"Bist du jetzt glücklich?", fragte Sasuke verstimmt, als er mit Naruto auf dem Weg zum Essen war.

"Natürlich. Wieso sollte ich nicht glücklich sein? Klar, Schule nervt, aber im Grunde läuft doch alles super."

"Du bist so dumm, du Idiot."

"Hey!", brüskierte Naruto sich aufgebracht. "Was ist dein Problem? Ich rate dir, dich hier einzugliedern, sonst verbringst du das Schuljahr ohne Freunde!"

"Ach, sag bloß ich werde dich durch Boshaftigkeit los. Das wäre zu schön."

"Mich? Niemals! Ich weiß immerhin, wie der wahre Sasuke ist. Deine Fassade an Coolness kann mich nicht beeindrucken, echt jetzt!"

"Der wahre Sasuke wird dir gleich eine runterhauen, wenn du nicht sofort aufhörst, ihm ins Ohr zu schrein!" Sasuke hielt es sich zur Untermalung zu. Naruto befreite ihn zum Glück von seiner ungeteilten Aufmerksamkeit, als er Sakuras Rücken vor ihnen erblickte. Der Blonde lief schreiend auf sie zu, fiel ihr um den Hals und wünschte auch allen anderen Umstehenden einen lautstarken guten Morgen. Sasuke überlegte sich, ob er nicht einfach Kehrt machen sollte, Unfreundlichkeit hin oder her, doch er entschied sich schlussendlich dagegen; das Frühstück auszulassen würde nur bedeuten, einen leeren Magen zu haben, mit dem er die Verrückten ertragen musste. Wobei…noch wusste er gar nicht, in welche Klasse er gehen würde. Es bestand Hoffnung!

"Hey, Sasuke-kun!", rief Ino überschwänglich. Sie saß neben Hinata auf einem Tisch am linken Rand. "Komm rüber und setz dich zu uns! Ich halte dir einen Platz neben mir frei!"

"Nein, Sasuke-kun, setz dich zu uns!", rief ein grünhaariges Mädchen aus dem hinteren Teil des Saales. Sie winkte auffällig.

"Vergiss es, er sollte sich nur zu den coolen Schülern setzen!", widersprach ein anderes Mädchen, das wohl in eine der unteren Klassen ging. "Uchiha-senpai, komm doch rüber! Wir haben extra einen Platz für dich freigehalten!"

"Oh, Mann", murmelte Sasuke. Nun hatte er die Wahl. Zwei Tische, die nur mit Mädchen besetzt waren oder ein Tisch, an dem zumindest ein bisschen männliche Verstärkung saß, wobei er Naruto davon ausnahm und Ino durchaus doppelt zählte. Er entschied sich für das geringere Übel in Form vom Tisch links, jedoch setzte er sich so weit als möglich von Ino weg, die ihm immer wieder verführerische Blicke zuwarf. Ab und zu drehte sie sich zu Sakura, die auf ihrer anderen Seite saß und flüsterte ihr kichernd etwas zu. Sakura schien davon wenig begeistert zu sein, wahrte aber gekonnt die Fassung.

"Ist mir egal", hörte er sie boshaft zischen. "Keine Ahnung, ich hab mir seine Haare nicht angesehen. Hör endlich auf damit, es interessiert mich nicht!" Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Scheinbar wollte sie dieses Spiel also weiterspielen. "Ino, ich sag's dir zum letzten man, es tangiert mich weniger als peripher, dass er in der Schuluniform einen schönen Hintern hat. Wie hast du das überhaupt gesehen? Er sitzt doch!" Danach wandte sie sich Naruto zu, der es eben geschafft hatte, Hinata zum Erröten zu bringen—nichts Neues für die Clique. "Naruto, hast du heute Nachmittag schon etwas vor?"

"Nein, wieso denn?" Er wandte sich von Hinata ab, die erleichtert seufzte.

Sakura lächelte süßlich. "Du hast doch noch immer Probleme mit Mathe, oder? Hinata hat heute noch nichts vor. Sie könnte dir wieder Nachhilfe geben."

"Mann, Sakura-chan, die Schule hat noch nicht mal angefangen und du verdonnerst mich schon wieder zum Lernen! Vergiss es! Dieses Jahr schaff ich's ohne Nachhilfe!"

Neben ihm sah Hinata enttäuscht auf ihr Tablett. Im vergangenen Jahr wäre Naruto beinahe durchgefallen, was die Klassenbeste in Mathematik zu notgedrungener Nachhilfe veranlasst hatte. Beide hatten diese Stunden sichtlich genossen, weswegen der allgemeine Verdacht entstanden war, dass sie Gefallen aneinander gefunden hatten. Allerdings war Hinata zu schüchtern und Naruto ein zu großer Hans Guckindieluft, als dass sie weiter aufeinander eingegangen wären. Deshalb hatten es sich die Freunde zur Aufgabe gemacht, die beiden zu verkuppeln, was allerdings nicht leicht war.

"Das Schuljahr kann gar nicht genug noch nicht richtig angefangen haben für dich!", tadelte Sakura. "Zumindest, wenn es nach deinen Noten geht! Ein Wunder, dass du dieses Schuljahr noch keine Gefährdung bekommen hast!"

"Ja, ja", meinte Naruto gleichgültig. "Wenn es dieses Jahr auch so dumm für mich läuft, werde ich Hinata-chans Hilfe wieder in Anspruch nehmen."

"Dumm ist das richtige Wort!", kam es von Shikamaru und Ino gleichzeitig. Sakura pflichtete ihnen bei, dann erhob sie sich. "Ich muss noch etwas erledigen. Wir sehen uns dann im Unterricht." Damit war sie verschwunden.

Kein einziges Mal hatte sie Sasuke auch nur eines Blickes gewürdigt, außer dem einen Mal, an dem sie ihm die Vernichtung per se zugeworfen hatte. Sie war gut, musste er gestehen. Aber so leicht würde er es ihr nicht machen.

Die Glocke zur ersten Stunde erklang pünktlich, der Lehrer kam zu spät. Keiner der Schüler hatte sich angesehen, was sie in der ersten Stunde hatten, aber als die Minuten verstrichen, verstanden sofort alle, dass es wohl Japanisch war.

"Toller Unterricht", meinte Sasuke. Sein Blick war gelangweilt auf die Türe gerichtet. "Und dafür zahlen meine Eltern neunzigtausend Yen pro Trimester."

"Wir haben Kakashi-sensei", erklärte Shikamaru ungefragt. Sasuke hatte wenig Glück gehabt. Er war tatsächlich mit dem ganzen Haufen in derselben Klasse. Nur von Gaara und Temari war er verschont geblieben, was ihm jedoch wenig Trost spendete. Hätte er wählen müssen, wären diese beiden und Shikamaru seine erste Wahl gewesen. Letzterer fuhr fort: "Er ist ein hervorragender Lehrer, aber leider nie pünktlich. Das ist echt mühsam. Du kannst mindestens zehn Minuten einrechnen, bis er mit dem Unterricht beginnt."

Sasuke verstand. Deshalb war vor ihm also noch ein Stuhl frei. Ino und Hinata hatten die ganze Zeit mit erbitterter Verbissenheit sämtliche Interessenten von dem freien Sitzplatz zwischen ihnen ferngehalten. Es war ihm schon aufgefallen, dass Sakura nicht da war und bis jetzt hatte er gehofft, sie nicht in seiner Klasse zu haben, doch scheinbar war die Streberin die einzige gewesen, die ihren Stundenplan kannte und somit absichtlich zu spät kam. Wieso die halbe Klasse den Platz haben wollte, war ebenso klar. Es war der letzte freie in der ersten Reihe, wo sonst niemand gerne saß, aber es war auch der einzig freie in der Nähe von Sasuke. Sie waren alle verdammt gerissen. Das konnte kein Zufall sein. Und Ino tat auch sicherlich nur so, als würde sie auf ihn stehen, sonst hätte sie sich genau vor ihn gesetzt. Andererseits…nun, da sie links daneben saß, brauchte sie ihren Kopf nur ein klein wenig zu drehen, um ihn anzusehen. Argh, das war zum Verrücktwerden! Welches kranke Spiel betrieben diese Freaks bloß?

Sasukes Aufmerksamkeit wurde plötzlich auf die Türe gelenkt.

"Sakura, ich hab dir hier einen Platz freigehalten!", schrie Ino lauthals, obwohl Sakura nur zwei Meter neben ihr stand. Diese musterte die Leute, die um sie herum sitzen würden und verengte die Augen, als sie Sasuke ausmachte. Ino übertrieb es wirklich! Das würde doch auffallen!

"Toll", zischte sie, nachdem sie sich niedergelassen hatte. "Musste es ausgerechnet vor ihm sein?" Es war eine Lautstärke, die nur mit genauem Lauschen wahrgenommen werden konnte. Und Sasuke beobachtete sie mit Argusaugen. Er musste es gehört haben. Gut so. Sakura senkte ihre Stimme noch mehr, damit nur mehr Ino sie vernehmen konnte. "Schalt mal einen Gang runter. Langsam wird es unglaubwürdig. Es ist erst der zweite Tag, also halt dich zurück. Außerdem weiß ich langsam echt nicht mehr, ob er wirklich so ein toller Typ ist."

"Du kannst deine Meinung nicht ändern, Sakura", flüsterte Ino. "Wir haben die perfekte Inszenierung, also nur Mut. Das klappt schon."

Naruto unterbrach sie unwirsch von hinten. "Hey, was habt ihr da zu tuscheln? Ich möchte auch mitreden!"

Sakura drehte sich grinsend um. "Wir haben gerade darüber geredet, wie wir dich am besten dazu kriegen mit Hinata auszugehen. Zufrieden?"

"Was?!", riefen die beiden Betroffenen peinlich berührt. Sie warfen sich einen Seitenblick zu, wandten dann aber schnell die Köpfe voneinander ab.

"Bist du verrückt?", wisperte Hinata.

"Angriff ist die beste Verteidigung, nicht wahr?", murmelte Sakura zurück. "Vertrau mir einfach.

In diesem Moment betrat Hatake Kakashi das Klassenzimmer. Er hielt eine kurze Rede über seine Freude, sie alle gesund im neuen Schuljahr begrüßen zu dürfen, dass dies ihr letztes Jahr werden würde und dass sie sich anstrengen sollten. Er würde diesmal nicht viel Gnade walten und alle jene durchfallen lassen, die seinen hohen Anforderungen nicht genügten, bla bla, et cetera. Seine Augen wanderten dabei unaufhörlich zu Naruto, der seinen Kopf niedergeschlagen auf den Tisch fallen ließ.

"Das ist doch unfair! Es ist der erste Tag und schon hab ich eine Abmahnung. Wie gemein, echt jetzt!"

Der Rest des Tages verlief ähnlich ereignislos, bis auf einen kleinen Zwischenfall, bei dem Naruto erneut ermahnt wurde, mehr zu lernen, da er sonst dieses Jahr durchfallen würde. Dabei hatte er sich entschlossen erhoben, den Fuß auf den Tisch gestellt und überzeugt gerufen, er würde die letzte Klasse mit einem Notenschnitt von Eins schaffen. Für das Stören des Unterrichts und die mutwillige Beschmutzung schulischen Eigentums wurde er zu Nachsitzen verurteilt und als er Sakura daraufhin lautstark dafür gescholten hatte, ihm nicht geholfen zu haben, wurde auch sie dazu verdonnert.

"Danke, du hirnloses Etwas!", brüskierte sie sich, als sie vor Tsunades Büro standen. "Ich hab' dir mehr als einmal gesagt, dass du verdammt noch mal nicht immer so vorlaut sein sollst! Herrgott, ich hab gar nichts gemacht! Am ersten Tag nachsitzen; meine Eltern werden ausflippen!"

"Sorry, Sakura-chan, aber du hättest mir ja wirklich helfen können! Das war eine ganz ungerechte Aktion von Ibiki-sensei! Nur weil er schon seit der Steinzeit hier Lehrer ist, muss er sich doch nicht so aufspielen." Beleidigt verschränkte er die Arme. Sakura verpasste ihm eine Kopfnuss.

"Spiel du dich lieber nicht so auf, kapiert?" Bevor sie noch weitere Gemeinheiten loslassen konnte, wurde die Türe zu Tsunades Büro geöffnet. Heraus kam ein Mann, den sie bis vor die Schwelle begleitete. Dort gab sie ihm die Hand, bedankte sich für sein Kommen und verbeugte sich leicht. "Wer das wohl sein mag?", flüsterte Sakura zu Naruto.

"Keine Ahnung, aber er sieht wichtig aus, findest du nicht?" Der Mann hatte in der Tat ein imposantes Auftreten; maßgeschneiderter Anzug, Krawatte und perfekt sitzender Scheitel. Er wirkte irgendwie archaisch.

"Und jetzt zu euch beiden! Der erste Tag und prompt sitzt Uzumaki Naruto vor meinem Büro." Tsunade fasste sich an die Stirn. "Wieso wird das langsam zur Gewohnheit?"

Nach einer halbstündigen Predigt wurden die beiden zu Tafelschwammausklopfen verurteilt. Lächerliche drei Stunden hatten sie bekommen und sie durften sie zusammen verbüßen. Scheinbar hatte der Mann gute Neuigkeiten gebracht oder Tsunade verängstigt. Bei ihrem Temperament kam in Wahrheit nur ersteres infrage.

Den ganzen Weg zum Wohnhaus hinüber mutmaßten Sakura und Naruto, was sein Besuch wohl zu bedeuten gehabt haben könnte. Ein Elternteil war es sicherlich nicht. Es war kein Elternsprechtag und er hatte auch nicht so gewirkt, als wäre er aus persönlichem Anliegen hier. Sein ganzes Auftreten hatte geschäftlich gewirkt.

"Vielleicht will Tsunade-obachan die Schule verkaufen?", überlegte Naruto.

"Mal nicht den Teufel an die Wand! Das würde sie niemals tun. Andererseits…womöglich sind wir in finanzieller Not? Aber das kann ich mit bei den horrenden Schulgebühren kaum vorstellen."

"Was ist denn los?", wollte Ino neugierig wissen. Sie hatten Sakuras Zimmer erreicht, in dem sich die ganze Gruppe eingefunden hatte. Sakura erzählte in kurzen Zügen die Begegnung mit dem mysteriösen Mann, doch niemand schien sich Gedanken darüber machen zu wollen. Also wurde das Thema als unwichtig befunden und ein neues wurde angeschnitten.

"Warum bist du überhaupt heute in Japanisch zu spät gekommen, Sakura?", fragte Hinata arglos, um das Thema zu wechseln. Sakura bekam einen schelmischen Gesichtsausdruck und winkte kommentarlos ab, nachdem sie ihr bedeutungsvoll zugezwinkert hatte. Hinata war voll im Bilde. Es hatte also mit etwas zu tun, das einige Anwesenden hier nichts anging und sie hatte das komische Gefühl, dass es um sie selbst und Naruto ging. Ihre Freundin machte ständig so ein Aufheben um die beiden.

"Habt ihr von der neuen Bar gehört, die im Oktober eröffnen soll?", fragte Temari, als niemand mehr etwas zu sagen hatte. "In Miyazu macht angeblich im nächsten Monat eine Karaoke Bar auf. Sie soll extra für die dortigen Schüler eingerichtet werden und sicherlich sind auch wir willkommen."

"Das wäre toll!", freute sich Ino mit. "Endlich bekommt dieses Kaff eine ordentliche Institution! Besser gesagt, wir werden es zu einer Institution machen. Ich werde mit Sasuke-kun den ganzen Abend lang Duette singen!"

"Ino, du bist echt anstrengend", gebot Shikamaru ihr Einhalt. Inos Blick gefror zu Eis, noch während er sprach.

"Ach, du verstehst das nicht! Immerhin bist du ein Typ!"

"Nein, ich verstehe es wirklich nicht. Was ist an diesem Uchiha bloß so toll? Er ist reich, na und? Habt ihr seinen kalte Arsch nicht bemerkt? Also meiner Meinung nach ist der so was von mühsam. Er ist nicht einmal höflich und hässlich sieht er auch noch aus."

Plötzlich wurde es totenstill im Zimmer. Inos Augen verengten sich zu Schlitzen. "Was. Hast. Du. Gesagt? Wage es nicht, Sasuke-kun als hässlich zu bezeichnen! Wenn du auch nur halb so gut aussehen würdest wie er, dann würde zumindest irgendwer auf dich stehen!"

"Ino, es reicht!", mahnte Sakura mit Nachdruck. Ihrer Meinung nach steigerte sich Ino etwas zu sehr in die Rolle der Sasuke-Verrückten herein. "Kommt schon, Leute, wir sollten uns alle vertragen und nicht über Menschen sprechen, die nicht anwesend sind. Wo ist Sasuke überhaupt?"

"Er ist abgehauen, als der Unterricht zu Ende war", klärte Gaara auf. "Ich vermute, er ist auf seinem Zimmer. Und ich muss Shikamaru recht geben. Bisher hat uns der Kerl nur Probleme gemacht. Ich meine, seht euch an. Ihr zankt euch wegen einem dahergelaufenen Schönling, der sicherlich keinen von euch auch nur ansehen würde."

Ino schien sich wieder unter Kontrolle zu haben, denn sie erwiderte nichts, und Sakura ließ das alles äußerlich ohnehin kalt. Ja, Gaara hatte voll ins Schwarze getroffen. Uchiha Sauske würde sicherlich keinen von ihnen als Freund anerkennen und schon gar nicht als feste Freundin. Sie sollte aufhören, sich etwas vorzumachen.
 

ɣ
 

Ein Stockwerk über ihnen lag Sasuke auf seinem Bett und starrte an die Decke. Er wollte nach Hause. Das alles hier ging ihm jetzt schon tierisch auf den Keks. Was sollte er denn bitte hier? Nur weil sein Vater zu dämlich gewesen war, sich in Amerika zu etablieren! Japanische Pünktlichkeit wird triumphieren, hatte er damals gesagt, als der achtjährige Sasuke gefragt hatte, wieso die Familie so eifrig packte.

"Argh! Dieser dumme, alte Mann!", fluchte er leise. Länger hielt er es nicht in diesem apathischen Zustand aus.

Von Tatendrang erfüllt, kämpfte Sasuke sich aus dem Zimmer, um das Haus nach spannenden Aktivitäten abzusuchen. Doch so einfach war das nicht. Es gab nur einen Aufenthaltsraum, in dem eine Menge los war—er lugte flüchtig hinein—zu viel für seinen Geschmack. Der kurze Moment seiner Anwesenheit hatte schon gereicht, um die Aufmerksamkeit einiger Mädchen zu erregen. Der gesamte hintere Frühstückstisch von heute Morgen hatte ihn bemerkt und beobachtete heimlich, wohin er wohl gehen mochte.

"Kommt mit, Mädels!", forderte die vermeintliche Anführerin den Rest auf. "Ich glaube, er geht zum Fußballfeld!"

Ihre Vermutung war durchaus korrekt, denn Sasuks Weg führte ihn nach draußen, um zumindest die Outdooraktivitäten unter die Lupe zu nehmen. Seines Wissens nach schickte es sich in Japan, an so vielen außerschulischen Aktivitäten als möglich teilzunehmen. Er würde wohl auch eine belegen müssen, soweit sich das aus den Schulregeln herausgelesen hatte. Was das sein würde, war ihm noch unklar. Ihn interessierten nämlich weder Volleyball noch Baseball und seine Fußballzeiten waren auch schon lange vorbei.

Ziellos graste er das Areal rund um die beiden Gebäude ab. Zu finden war nicht gerade wenig. Zwei Hartplätze, ein Fußballfeld und ein mit Sand aufgeschüttetes Rechteck, auf dem das Netz fehlte, waren auf Anhieb zu sehen. Hinter den Ziegelbauten fanden sich ein Gerätehaufen, auf dem bereits ein paar Athleten turnten, und ein seltsam aussehender Betonquader, von dem er keinen blassen Schimmer hatte, für was er gut sein sollte. Scheinbar hatte der Sport heute schon begonnen, denn überall lagen verwaiste Bälle oder andere Gerätschaften herum, die keinem zu gehören schienen. Und dabei sollten die Japaner doch so ein ordentliches Volk sein?

Nicht weniger ziellos schlenderte Sasuke mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen wieder zurück zum Fußballfeld. Ob er es wohl noch konnte? Es war schon sehr lange her, seit er das letzte Mal einen Ball mit den Füßen berührt hatte. Gedankenverloren gabelte er den Fußball auf und balancierte ihn eine Weile auf der Fußspitze. Nach wenigen Sekunden fiel die wackelige Konstruktion auseinander, aber sein Ehrgeiz war geweckt worden.

"Komm schon, du dummes Stück", murmelte er konzentriert und bedachte den unschuldigen Ball mit einem warnenden Blick. Erneut nahm er den Ball auf. Für ein besseres Gleichgewicht befreite er die Hände aus den Taschen seiner braunen Schuluniform. Diesmal schaffte er es, den Ball ein wenig läänger zu halten und als er wieder anfing sich zu sträuben, kickte er ihn hoch, fing ihn mit der Brust ab und beförderte ihn mit seinem Knie erneut hoch. Er wollte den Ball wieder mit dem Fuß abfangen, aber er verfehlte. Das war ein sicheres Zeichen dafür, aufzuhören, ehe er sich vor den gut zwanzig Mädchen noch blamierte, die sich versteckt hinter der Ecke des Hauses drängelten.

Wie einfältig, dachte Sasuke. Noch im selben Moment wurde eines der Mädchen von ihren Freundinnen in seine Richtung geschubst und wankte nun schüchtern zu ihm herüber. Nicht auch noch das!

"Los, Megumi-chan!", feuerte der Rest des Geschwaders sie an.

"Ich mach' ja schon!", fauchte sie mit geröteten Wangen, während sie ihre Bluse zurechtzupfte. Als sie beobachtete, wie Sasuke vor ihr vom Ball abließ und sich ihr zuwandte, errötete sie noch mehr. "Du bist Uchiha-senpai, nicht wahr?" Sie war ein Jahr unter ihm, sah aber eher aus wie elf als sechzehn. Sie ging ihm nicht einmal ganz bis zum Kinn.

Sasuke würdigte den Winzling keiner Antwort. Das machte sie nur noch nervöser.

"Ähm, also, ich…ich wollte fragen…" Verlegen wandte sie den Blick ab.

"Kleine", sagte Sasuke ungerührt, "ich hatte heute einen miesen Tag. Du kannst froh sein, dass ich überhaupt höflich genug war, um stehen zu bleiben, also mach es kurz oder verschwinde."

Eingeschüchtert durch diese Worte war sie nun komplett unfähig, etwas zu sagen. Himmel, diese Japanerinnen waren ja noch schlimmer als Amerikaner! Dort hatte man wenigstens ganze Sätze zu ihm gesagt!

Sasuke wandte sich ab. Ein schwerer Fehler. Folgenschwer. Die übrigen Mädchen hinter der Ecke stürmten angestachelt durch Megumis Abfuhr urplötzlich auf ihn zu und umkreisten ihn wie verwundete Beute. "Geh mit mir zum Halloweenball, Sasuke-kun!", konnte er aus dem Schwall von kreischenden Stimmen vernehmen. "Nein, geh mit mir hin!" Ein blauhaariges Mädchen stieß die Sprecherin mit dem Ellenbogen zur Seite. "Was will er mit dir fetten Kuh? Geh mit mir, Sasuke-kun!"

Überfordert mit der Situation, versuchte Sasuke zurückzuweichen, doh er war gefangen. Was sollte er tun? Sich den Weg freischlagen? Nein, er prügelte sich nie und schon gar nicht mit Mädchen! Plötzlich fühlte er sich am Kragen aus der Meute gezogen. Ein rosafarbener Haarschopf stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor ihn. "Verzieht euch gefälligst und lasst den armen Jungen in Ruhe! Er geht sicherlich mit keiner von euch auf das Fest! Und wenn doch, dann wird er es euch sicherlich noch rechtzeitig sagen. Verstanden?" Völlig perplex zogen die Gescholtenen von dannen. Sasukes Retterin drehte sich zu ihm um. "Ist alles in Ordnung?"

"Ähm, ja." Überrascht wusste er erst nicht, was er sagen sollte. "Du bist Karin-san, nicht wahr?"

Sie nickte lächelnd. "Karin reicht. Die Förmlichkeiten mag ich nicht sonderlich."

"Wenn du mich auch fragen möchtest, ob ich mit die auf dieses Schulfest gehen soll, kannst du's dir gleich abschminken."

"Sei nicht so eingebildet, Sasuke", meinte sie schlicht mit erhobenem Zeigefinger. "Ich habe nicht die Absicht, dir hinterher zu schwänzeln wie ein Welpe. Mit meiner Zeit kann ich durchaus Besseres anfangen. Ich habe dir einen Gefallen getan und dich vor Misos Tussiszenerie gerettet. Das ist alles. Keinerlei Hintergedanken."

"Wirklich?" Das wäre ja zu schön.

"Wirklich", wiederholte sie ernst, dann schien ihr ein Licht aufzugehen. "Ich verstehe. Aber mach dir keine Sorgen um meinen Auftritt gestern. Sakura und ich sind schon seit Ewigkeiten Rivalen. Wenn wir zusammen kommen, sind wir immer etwas aufgedrehter als sonst. Ich habe dich nur in unseren Streit eingebracht, weil Ino eindeutig auf dich steht. Ich wollte sie in Rage versetzen."

Sasuke beschloss kurzum, ihr einfach zu glauben, was sie sagte. Wieso auch nicht? Karin machte nicht den Eindruck, als gehöre sie zu diesem Schlag Mädchen. Um ehrlich zu sein, war sie die angenehmste Persönlichkeit, die er bisher getroffen hatte. Der Ausdruck ihrer haselnussbraunen Augen gefiel ihm. Sie funkelten irgendwie schalkhaft.

"Ist was?", fragte sie mit hochgezogener Augenbraue. Sasuke schüttelte nur den Kopf. "Wie auch immer, ich muss wieder los. Hat mich gefreut, dir geholfen zu haben." Sie drehte sich um und wandte sich im Weggehen noch einmal ihm zu. "Das nächste Mal schenke ich dir ein Signalhorn, damit du mich rufen kannst, wenn du mal wieder von deinen Fans umlagert wirst! Du solltest vielleicht Autogrammkarten kaufen!" Dann war sie auch schon weg.

Sasuke runzelte die Stirn, ohne wirklich zu wissen, was er von ihr halten sollte.
 

ɣ
 

"Du solltest dich besser von ihr fernhalten", riet Naruto ihm, als sie spätabends im Bett lagen. Sasuke hatte ihm nichts von Karin erzählt, aber er schien gute Verbindungen zu den Mädchen seiner Schule zu haben. "Karin mag nett und hübsch sein, aber sie ist ebenso hinterhältig und spitzfindig."

Sasuke hob eine Augenbraue. "Hast du ein Fremdwörterlexikon verschluckt?"

Sein blonder Zimmergenosse nickte grinsend. "Das hat Sakura-chan heute gesagt, als sie mit Temari über Ino geredet hat. Spitzfindig...ich mag das Wort."

"Hast du überhaupt eine Ahnung, was das bedeutet?"

"Ist doch egal", wehrte Naruto händewedelnd ab. "Hinter allem, was Karin tut, verbirgt sich ein perfider Plan, der erst ersichtlich wird, wenn es schon zu spät ist."

"Du weißt doch nicht einmal, was perfide bedeutet", führte Sasuke fort. Er starrte mit hinterm Kopf verschränkten Armen auf die Zimmerdecke.

"Weiß ich wohl!" Naruto machte das Licht auf seiner Seite aus. "Was ist los mit dir? Ist heute Ich-verarsch-Naruto-wegen-seinem-Vokabular-Tag? Ich meine ja nur, dass du dich vorsehen solltest. Karin ist nicht der Typ Mädchen, dem man bedingungslos vertrauen kann. Wenn du ihr sagst, dass sie sich um fünf mit dir treffen soll, kommt sie mit Absicht erst um halb sechs und wenn du was von ihr willst, ist es stets an fiese Bedingungen geknüpft."

"Hn", machte Sasuke. Er gab nicht viel auf Narutos Meinung und das wusste dieser auch. Dennoch hielt er seinen Freund noch eine halbe Ewigkeit mit Warnungen wach, bis er schlussendlich erschöpft mitten im genuschelten Satz einschlief. Sasuke würde sich nicht von ihm beeinflussen lassen, egal wie viel Sauerstoff er darauf verschwendete, ihm eines Besseren zu belehren. Karin erschien ihm als passabler Umgang und alleine Sakuras verdutzte Miene zu sehen, wenn er sich mit Karin abgeben würde, war es wert, diese Bekanntschaft irgendwann einmal zu vertiefen.
 

In Sakuras Zimmer ging es weitaus weniger friedlich zu. Während die männliche Belegschaft um elf eingeschlafen war, feilte sie mit Ino und Temari immer noch an einem geheimen Plan.

"Hast du's bekommen?", fragte Letztere neugierig.

"Klar! Darum bin ich heute nach dem Frühstück auch raus gegangen", erklärte Sakura triumphal. "Ich hab eine SMS bekommen, dass der Versand es eben zugestellt hatte."

"Spann uns nicht auf die Folter!", rief Ino voller Spannung. Ihre Augen begannen zu leuchten, als ihre Mitbewohnerin den Deckel des Pappkartons hochhob. "Es sieht in natura besser aus als auf dem Bild im Internet! Denkst du, dass es funktioniert?"

"Wenn Naruto darauf nicht anspringt, dann weiß ich auch nicht weiter", meinte Sakura seufzend. "Aber das wird schon werden. So blind kann nicht einmal er sein. Er mag Hinata wirklich, aber er ist ein solcher Sorgenlos, dass es ihn nicht interessiert. Wenn wir die beiden allerdings in eine Situation bringen, in der sie gar nicht anders können, als sich näher zu kommen, dann hat er keine andere Wahl als zu checken, dass er in sie verliebt ist!"

"Aber gemein ist es schon ein wenig, oder?", meinte Temari. "Das könnte arg schiefgehen. Alleine die Zeit, die wir brauchen, um alles vorzubereiten! Ich dürfte ja eigentlich gar nicht mehr hier sein."

"Vertraut mir", versuchte Sakura sie zu beruhigen. "Sie ist schüchtern und er dumm, dafür ist diese Strafe noch zu milde. Wir sind noch zu gut zu ihnen. Außerdem werden sie aufhören, sauer auf uns zu sein, sobald unser Plan aufgegangen ist."

"Dein Wort in Gottes Ohren…"
 

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Plans And Perils


 

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Nachdem der erste Tag ein Desaster gewesen war, fasste Sakura am nächsten Morgen einen gewagten Entschluss, als sie ihre Beine aus dem Bett schwang.

"Ich bin nicht länger in Uchiha Sasuke verliebt!"

"Mnmmm", grummelte Ino und warf ein Kissen nach ihr. "Schön für dich, aber warte damit, bis ich wach bin."

"Nein, ich meine es ernst, Ino!" Sie zog die Schlafende aus dem Bett und trat dann ans offene Fenster. "Ich war von seinem perfekten Äußeren total geblendet, verstehst du?"

"Ehrlich gesagt, nein."

"Das hier ist mein letztes Jahr am Miya-So. Ich muss eine Menge für die Prüfungen lernen und habe alle Hände damit zu tun, Hinata und Naruto zu verkuppeln, da kann ich mich nicht auch noch mit meinen eigenen Liebesdingen beschäftigen! Du kannst also aufhören, Sasuke toll zu finden."

Ino war über diese Ansage reichlich verwundert. "Das ging ja schnell. Du bist dir sicher, dass du nichts mehr von Sasuke-kun willst?"

"Ganz sicher!"

"Gut. Dann könnte ich ja vielleicht…" Sakura sah sie verdutzt an. Hatte Ino doch nicht nur gespielt? Sie spürte einen kleinen Stich in ihrem Herzen, ignorierte ihn aber. "Wäre das okay für dich? Er ist total süß und er gefällt mir wirklich gut. Wenn du ihn nicht mehr willst, überlässt du ihn mir?"

"K-Klar doch. Aber was ist mit Shikamaru?"

"Ach, unser Mister Desinteresse interessiert mich nicht länger! Ich meine, klar, er ist supersüß und irgendwie mag ich ihn schon noch, aber das mit ihm und mir wird sowieso nie etwas, also habe ich meine Schwärmerei ad acta gelegt."

"Hm", machte Sakura wenig überzeugt. "Du sagst es, aber ich kann es nicht glauben. Shikamaru hat wirklich nie Interesse gezeigt…wenn du ihn nicht bei jeder Gelegenheit anfauchen würdest—"

"Pah! Das kann er vergessen. Er würde mich nicht mal mit einer Kneifzange anfassen und eigentlich wollte ich ja auch nie ernsthaft was von ihm.

"Bist du dir sicher?"

"Jetzt dreh den Spieß nicht um! Wir reden hier über Sasuke!"

"Ja, ja, du kannst ihn haben." Sakura fand sich von einer stürmischen Umarmung erdrückt. "Schon gut, ist doch alles kein Thema. Für mich war Sasuke nur eine harmlose Schwärmerei. Er zeigt kein Interesse an mir, also lassen wir das Ganze." Sie glaubte sich selbst zwar nicht, doch Ino bemerkte davon nichts. Sie drückte ihrer Freundin einen Kuss auf die Wange, ehe sie im Bad verschwand.

"Was habe ich mir da nur wieder eingebrockt", murmelte Sakura niedergeschlagen. Plötzlich war sie sich gar nicht mehr so sicher, ob sie Sasuke tatsächlich schon abgeschrieben hatte. Ihre Aussage war großer Schlaftrunkenheit entsprungen. Aber was machte sie sich vor! Positives Denken war nun das Einzige, das half. Sie schwor sich, Sasuke keine Beachtung mehr zu schenken—und diesmal ohne Hintergedanken. Ihn sich aus dem Kopf schlagen musste sie sich ohnehin; wieso also nicht sofort mit der Feuerprobe anfangen? Sie würde das durchziehen! Kein Uchiha der Welt würde ihr jemals wieder den Kopf verdrehen können!

Die kommenden Tage war es leicht, denn in diesen hatte sie kaum Zeit zum Essen, geschweige denn jemanden anzuhimmeln. Der Unterricht war zäh, die Lehrer streng und die Anzahl der Momente, in denen sich die Abschlussklässler wünschten, zu sterben, häuften sich ins Unermessliche. Sie kamen nur mehr selten dazu, sich in ihrer großen Gruppe zu treffen. Nun, da auch die Wahlfächer abgehalten wurden, sahen sie sich nicht einmal mehr zum Essen, da jeder zu verschiedenen Zeiten frei hatte. Und das schon in der ersten Woche!

Den einzigen Lichtblick bildeten die Vortests, deretwegen sie in so frühen Stadien des Schuljahres diesen Stress hatten. Diese Tests, in der dritten Schulwoche abgehalten, beinhalteten den Stoff aller vergangenen Jahre und waren Teil eines eigenen Systems, das es nur an der Miya-So-Privatschule gab. Sie entschieden über die Notengrade, die man am Ende des Schuljahres erreichen konnte.

"Das ist so ein dummes System von Tsunade-sensei", erklärte Shikamaru Sasuke beim Frühstück. "Die Abschlussprüfungen entscheiden beinahe gänzlich über deine Noten. Wenn du das ganze Jahr über nur schlechte Noten hast und am Ende eine Eins schreibst, kannst du locker ein Gut bekommen. Das war ihr schon immer ein Dorn im Auge, weil die Schüler während des Schuljahres nie etwas lernen. Darum gibt es die Einstufungsprüfungen. Sie sind eine Art Zwischenprüfung und es gibt sie zwei Mal im Jahr. Der Mittelwert der beiden Noten gibt jenes Notenschema an, in dem du am Ende landest. Wenn du beispielsweise eine Drei und eine Vier hast, bist du im Schema C und kannst im Zeugnis maximal eine Drei bekommen, egal wie gut deine Noten sonst sind. Du solltest dich also anstrengen, wenn du am Ende gut abschneiden willst."

"So ein dummes System ist mir noch nie untergekommen", bemerkte Sasuke angewidert.

Daraufhin sprang Ino erregt auf: "Wir könnten doch zusammen lernen! Ich möchte unbedingt eine gute Note haben und mein Sasuke-kun ist doch sicherlich ein superguter Schüler!", rief sie, ehe Shikamaru sie mit Gewalt wieder auf ihren Platz zerren konnte.

Dieser Tag war der Auslöser für ein wichtiges Ereignis, das sich am Ende der zweiten Woche ereignete, als Sakura gerade alleine in ihrem Zimmer saß und in einem Lehrbuch die wichtigsten Textstellen farbig markierte. Sie hatte sich tagelang Gedanken darüber gemacht, wie sie mit dem Sasukeproblem umgehen sollte. Es zu ignorieren war keine Lösung und es zu überwinden auch nicht. Also musste sie ihn schlussendlich doch irgendwie für sich gewinnen. Dafür hatte sie einen sicheren Plan ausgeheckt, den sie noch heute einem der Jungs ihrer Gruppe präsentieren würde.

Aber wem? Das war ihr derzeit größtes Problem. Gaara konnte sie nicht fragen, denn dann würde Sayuri ihr den Kopf abreißen. Naruto fiel aufgrund seinem Hang zum unbedachten Ausplauder ebenfalls aus. Er würde sein Mundwerk vor Sasuke schwerlich halten können. Shikamaru war nicht der Typ für solch anstrengende Sachen. Sasuke selbst war ja auch eine eher bescheidene Idee. Und darum saß sie hier über ihrem Buch. Beim Lernen kamen ihr stets die besten Ideen. Und diesmal kam ihr sogar der Zufall zu Hilfe.

Sie war so in ihr Studium vertieft, dass sie das Klopfen erst nicht bemerkte. Als die Türe aufgemacht wurde, sagte sie, ohne aufzuschauen: "Hast du endlich gemerkt, dass du dein Mathebuch vergessen hast, Ino?" Als sie sich umdrehte, sah sie mit einigem Überraschen, dass es nicht ihre blonde Freundin war, die eben eingetreten war. "Oh, du hast dich aber sehr verändert, Ino", scherzte sie.

"Haha", machte Shikamaru wenig amüsiert. "Hast du zufällig mein Japanischbuch eingepackt? Gaara meinte, er habe es Temari geborgt und die hat gesagt, dass du es hast."

"Nein, tut mir Leid. Ich weiß nichts von einem Japanischbuch. Aber frag Ino, vielleicht hat sie es." Das entlockte Shikamaru ein genervtes Seufzen, von dem Sakura zurecht nicht annahm, dass es von der aussichtslosen Suche herrührte. Hm, das war ja interessant. Womöglich war Shikamaru doch keine so unmögliche Wahl? "Willst du gleich darüber reden, oder muss ich dich erst stundenlang bearbeiten?"

"Keine Ahnung, was du meinst."

"Oh, so fängst du mir nicht an. Du weißt, dass ich alles aus dir rausbekomme. Und wenn nicht, wird sie dich bearbeiten."

"Nein, bitte nicht sie!"

Zufrieden schaukelte Sakura sich leicht in ihrem Stuhl hin und her. Temari war doch immer ihre Trumphkarte. "Du kommst mir eigentlich ziemlich gelegen. Ich wollte dir bereits einen Vorschlag unterbreiten. Unter einer Bedingung. Sag, was wirklich Sache ist."

Shikamaru seufzte. Er hätte wissen müssen, dass sie sich durchsetzen würde. Andererseits war er ja mit dem Ziel hierhergekommen, zu reden. Mit Sakura ging das. Zumindest halbwegs. "Ino", sagte er nach einer langen Pause. "Sie benimmt sich wie ein liebeskranker Teenager."

"Sie ist ein liebeskranker Teenager. Warum kümmert dich das?", fragte Sakura. Ihr schwante Gutes. Lässig lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und bot Shikamaru einen Platz auf ihrem Bett an. Als er keine Anstalten machte, zu antworten, sagte sie: "Dass Ino immer schon ein wenig, nun, euphorisch war, was das männliche Geschlecht angeht, wissen wir doch schon seit der ersten. Erst Sai, dann du, jetzt Sasuke. Wo liegt dein Problem?"

Shikamaru wandte den Blick ab. "Sie ist kindisch."

"Und?", stichelte sie weiter. Bald hatte sie ihn so weit.

"Das ist, ich weiß nicht, es gefällt mir nicht, wie sie Sasuke ansieht. Er wird ihr nur weh tun."

"Aha!"

"Was 'Aha'?"

"Aha!", rief Sakura erneut, sprang auf und zeigte mit ihrem Finger auf ihn. "Sag, was ich hören will, dann überlegen wir uns etwas!"

Shikamaru schien nicht zu wissen, was sie meinte. "Was möchtest du denn hören? Dass sie mir ordentlich auf den Keks geht oder mit jedem Tag anstrengender wird?" Er verschränkte unwirsch die Arme.

"Ich möchte dich daran erinnern, dass du es warst, der mich aufgesucht hat, okay? Ich werde dir in all meiner Güte verraten, was Sache ist. Du sagst, Ino nervt. Sie nervt dich schon seit Jahren, indem sie dir schöne Augen macht. Aber nun nervt es dich, dass sie nicht mehr dich nervt, sondern Sasuke. Erkennst du, auf was ich hinaus will?"

"Nein."

"Du bist eifersüchtig. Sobald sie nicht mehr in dich vernarrt war, hast du gemerkt, wie viel dir ihre Aufmerksamkeit bedeutet. Du bist in deiner Eitelkeit gekränkt, weil sie Sasuke dir vorzieht. Gib es zu!"

Shikamaru löste die Verschränkung ruckartig. "Also schön, ich gebe es zu! Ino sollte mich nerven! Offiziell bleibe ich allerdings dabei, dass Sasuke nicht gut für sie ist. Er wird sie nur enttäuschen."

"Und warum kommst du genau jetzt darauf? Sie hat zwischenzeitlich doch schon vielen anderen nachgeschaut. Ist Sasuke der einzige, den du als Konkurrenz ansiehst?"

"Blödsinn", winkte Shikamaru ab. "Es ist nur…da dies das letzte Jahr ist, werde ich Ino vermutlich nie wieder sehen, sobald die Schule vorbei ist. Sie ist nervig und naiv und Herrgott, ja, sie geht mir tierisch auf die Eier, aber sie ist die einzige, die das ungestraft darf."

"Du bist ja wirklich verknallt in sie", lachte Sakura. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass ihr Freund so viel für die blonde Schönheit empfand. Bei jedem anderen hätte sie es erwartet, aber gerade Shikamaru? Andererseits, er war kein gefühlskalter Eiswürfel und eigentlich ein ziemlich netter Kerl. Wieso also nicht? Sobald Ino ihre kindische Schwärmerei abgelegt hatte, wären die beiden sicherlich ein sehr, nun, unterhaltsames Paar. "Okay. Ich werde dir helfen."

"Klingt, als hättest du einen Plan."

"Natürlich", meinte Sakura überlegen. "Ich hatte während der letzten Tage ein paar schwerwiegende Einschlafprobleme. Die habe ich immer, wenn ich zu viel Lerne, weil meine Gedanken dann nicht zur Ruhe kommen. Jedenfalls musste ich mich während dieser Phasen ablenken. Dabei kam ich auf einen Plan, der uns beiden sehr gelegen kommt."

"Du stehst auf Uchiha, nicht wahr?", unterbrach Shikamaru sie. "Das war kaum zu übersehen. Rein zufällig weiß ich von deinem Plan, ihn durch Abweisung auf dich aufmerksam zu machen. Ihn nur zu ignorieren hilft dir aber nicht weiter."

"Da hast du recht. Ich musst es glaubhaft machen und darum schlage ich dir einen Deal vor. Wir tun so, als wären wie ein Paar. Ich flirte mit dir, du flirtest mit mir und am Ende der nächsten Woche, zu deinem Geburtstag, geben wir offiziell bekannt, dass wir ein Paar sind."

"Ino wird stinksauer sein", warf Shikamaru skeptisch ein.

"Hör mir erst einmal zu. Wir geben ein Paar ab. Ino wird eifersüchtig werden und sich wieder darauf besinnen, dich zu favorisieren. Das wird keine zwei Monate dauern. Währenddessen kann ich mich unter dem Deckmantel unserer Beziehung an Sasuke heranschleichen. Ich freunde mich über Naruto mit ihm an und alles Weitere obliegt dem Schicksal. Wer weiß, vielleicht klappt es ja. Was haben wir schon zu verlieren? Ino wirst du so sicherlich rumkriegen."

Nachdenklich lehnte Shikamaru sich neben ihr am Schreibtisch an. Sie hatte Recht; was hatte er schon zu verlieren? Der Plan war nicht schlecht und damit wäre ihm geholfen. Chancen bei Sasuke konnte sie sich zwar dennoch nicht reell ausgerechnet haben, aber das war ihr Problem. Es war kindisch, ja, und peinlich, sollte die Sache auffliegen, aber was war das Leben ohne ein wenig Dummheit? Außerdem würde es sicherlich Spaß machen. Auch wenn er sich noch gar nicht sicher war, ob er Ino überhaupt als Freundin wollte.

"Ich mach's", sagte Shikamaru nach einer schier ewig langen Bedenkzeit.

"Bevor wir den Pakt schließen", hauchte Sakura düster. Sie stand auf. "Beantworte mir nur eine Frage, Shikamaru". Mit einer verführerischen Drehung stand sie genau vor ihm. Ihre Gesichter waren sich näher als es bei guten Freunden der Fall sein sollte. "Wie weit würdest du gehen, um es glaubhaft zu machen?"

Bevor er noch antworten konnte, flog plötzlich die Zimmertüre auf und Ino hechtete mit einem Satz zu ihrem Bett. Im Lauf stoppte sie, als die beiden Anwesenden auseinanderfuhren und errötet in verschiedene Richtungen sahen. "Ähm, ich wollte nur mein Buch holen. I-Ich muss auch wieder los, Hinata wartet in der Bibliothek auf mich." Mit metaphorischen quietschenden Reifen raste sie aus dem Zimmer.

"Ein netter Anfang", kicherte Sakura hinter vorgehaltener Hand. "Wenn ich es mir recht überlege, könnte das ja wirklich funktionieren. Seit wann bist du denn schon verliebt?" Neugierig sah sie ihr Gegenüber an, doch dieser schüttelte den Kopf.

"Unwichtig. Bis morgen beim Frühstück. Ich halte dir einen Platz neben mir frei." Er winkte zum Abschied.

Wäre Sakura nicht der festen Überzeugung gewesen, dass ihr Herz immer noch Sasuke gehörte, dann hätte sie schwören können, leichtes Herzklopfen bekommen zu haben, als er sie angesehen hatte.
 

Inos Herz dagegen klopfte tatsächlich. Das spürte sie ganz klar. Hatten ihre Augen ihr etwa einen Streich gespielt? Seit wann bändelten Shikamaru und Sakura aneinander an? Nicht, dass sie eifersüchtig war, immerhin sah sie Shikamaru seit den Sommerferien nur mehr als Freund an, aber seltsam war es schon. So plötzlich? Womöglich war er der Grund für Sakuras Aussage vor ein paar Tagen. Hatte sie Sasuke seinetwegen aufgegeben? Shikamaru wegen?

"Du bist nicht bei der Sache, Ino", mahnte Hinata mit all der Strenge, die ihre sanfte Stimme aufbringen konnte. "Also, wenn du e integrierst, was bekommst du dann?"

"Ähm…e?"

"Richtig. Und wenn du das ganze nun auflösen willst?" Sie zeichnete eine Kurve in ein Diagramm ein und tippte ungeduldig mit ihrem Stift auf den Block. "Du musst es logarithmieren. Was ergibt der Logarithmus einer Exponentialfunktion?"

Ino raufte sich deprimiert die Haare. "Keine Ahnung! Was weiß ich!"

"Eins! Ach, Ino, so wirst du garantiert in Schema C landen! Was ist denn los? Sonst kannst du doch zumindest ein bisschen rechnen."

"Ich weiß nicht", murmelte sie niedergeschlagen. "Irgendwie will es heute nicht in meinen Kopf. Wir sollten besser für Japanisch lernen. Da versteh ich wenigstens mehr."

"Wie du möchtest." Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: "Sag mal, ich hab mitbekommen, dass Temari immer sehr spät in unser Zimmer kommt in letzter Zeit. Weißt du, wo sie sich rumtreibt?"

Inos Miene gefror vor Schreck. Sie durfte sich jetzt auf keinen Fall verraten. "Vielleicht hat sie einen heimlichen Freund?"

"Ohne uns etwas zu sagen? Das wäre sehr gemein von ihr."

"Vermutlich ist er hässlich und sie traut sich nicht, ihn uns vorzustellen."

"Du bist fies!"

"Ich mach doch nur Spaß", sagte Ino erleichtert. Um ein Haar wäre die ganze schöne Überraschung ins Wasser gefallen. Zur Sicherheit fingerte sie aber trotzdem ihr Handy auf dem Hosensack und tippte unauffällig eine SMS.

"Hinata wird misstrauisch—müssen handeln! In dreißig Minuten bei mir!", las Temari wenige Minuten nach Inos Hilferuf auf dem Display ihre Mobiltelefons. Das war nicht gut. Hinata war nicht dumm und sie hatten schon seit Tagen den Verdacht gehabt, dass sie etwas ahnte. Auch wenn Temari immer darauf bedacht gewesen war, so plausible Ausreden wie möglich zu erfinden, jeden zweiten Tag bis spät in die Nach auszubleiben, erregte es freilich trotzdem arges Misstrauen. Nun, wie dem auch sei, dann mussten sie die Bombe eben früher als geplant platzen lassen. Sie hatten eigentlich vorgehabt, bis nach den Prüfungen zu warten, um Hinata und Naruto Zeit zum Lernen zu lassen, aber sei's drum. Wenn es der Liebe auf sie Sprünge half, musste man eben Opfer bringen und Opfer, die einem selbst nicht wehtaten, waren bekanntlich die leichtesten.

Temari stand auf, packte ihre Bücher zusammen und schulterte ihren Rucksack. "Ich muss weg, tut mir leid."

Ihr Bruder blickte argwöhnisch auf. "Du drückst dich schon wieder vorm Lernen."

"Nein! Wirklich, es ist ein Notfall! Sei doch froh, dann musst du mir nicht mit Biologie helfen."

"Du weißt, dass ich am besten lerne, wenn ich es jemandem erklären kann. Du kannst mich nicht hängen lassen—nicht schon wieder", sagte Gaara ernst.

"Wenn du so dringend einen Schüler brauchst, schnapp dir –" Sie suchte nach dem Erstbesten, der ihr im Aufenthaltsraum auffiel. "– Neji. Du verstehst dich doch so gut mit ihm." In ihrer Stimme schwang eine leichte Spitze mit, die Gaara mit Leichtigkeit überhörte. Dann war sie auch schon weg. Seufzend erhob er sich. Natürlich, er hätte auch alleine weiterlernen können, aber mit seiner Strategie war das Lernen viel effizienter. Also ging er zu Neji. Viel zu spät sah er, wer bei ihm saß und als er sie bemerkte, konnte er schon nicht mehr umdrehen.

"Hallo, Gaara", grüßte Neji. Auf dem Stuhl neben ihm saß Tenten, die nur flüchtig aufsah und sich sogleich wieder über ihre Unterlagen beugte.

"Tenten. Neji." Er machte eine Pause. "Sayuri." Sie würdigte ihn keines Blickes, was ihm nur gelegen kam. "Ich bräuchte Hilfe beim Lernen. Meine liebe Schwester hat mich mal wieder hängen lassen."

"Klar doch, setz dich zu uns." Neji bedachte Sayuri mit einem fragenden Blick. "Sofern es dir nichts ausmacht."

"Er kann sich setzen, wohin er möchte", sagte sie schnippisch und packte ihre Sachen. "Ich bin ohnehin fertig. Tenten, das mit heute Abend steht?"

"Klar doch. Bis dann."

Sayuri warf Gaara einen eiskalten Blick zu, ehe sie ihn im Vorbeigehen mit aller Kraft anrempelte. Er hatte es auch nicht anders verdient. Wie konnte er es wagen! Nach all der Zeit! Und dann auch noch mit ihr zu sprechen!

Wütend begann Sayuri zu rennen. Sie rannte aus dem Schulgebäude hinüber in den Wohnbereich, nahm zwei Stufen auf einmal bis in den zweiten Stock, überrannte dabei beinahe Temari und stieß mit wütenden Tränen in den Augen die Zimmertüre ihrer großen Schwester auf, die noch immer dabei war, Bücher wälzen.

"Um Himmels Willen, Sayuri!", rief sie erschrocken, als diese hereingeplatzt kam. Sofort stellte sie den Radio ab und nahm ihre inzwischen hemmungslos schluchzende Schwester in den Arm. "Was ist denn passiert?" Schnell schloss sie die Türe, um ihrer Schwester die Peinlichkeit zu ersparen, gesehen zu werden, umschloss sie mit einem Arm aber weiterhin. Sayuri hatte sich mit aller Kraft in ihr Shirt gekrallt, das von den dicken Tränen langsam feucht wurde. "Komm, setzen wir uns erst einmal. Soll ich dir ein Glas Wasser bringen?" Behutsam platzierte sie Sayuri auf dem Bett und sah sie unter Tränen nicken.

Als Sakura wiederkam, trat Temari gerade ein. "Mich hat vorhin beinahe ein Orkan umgeworfen, der an mir vorbeigezischt ist", meinte sie scherzhaft, bemerkte jedoch schnell, dass Scherze derzeit unangebracht waren. Schnell setzte sie sich zu Sakura an Sayuris andere Seite und legte einen Arm um sie. "Was ist denn mit dir geschehen? Süße, du bist ja komplett aufgelöst."

"E-Er", brachte Sayuri unter Schluchzen heraus. Hinzu kam nun auch ein lästiger Schluckauf, der ihr das Sprechen ganz unmöglich machte. Aber dieses eine Wort genügte, um die beiden Freundinnen einzuweihen. Besorgt sahen sie sich an. Dass es immer noch so schlimm sein würde, sobald sie Gaara sah, damit hatten sie nicht gerechnet. Dabei war das ganze nun schon fast vier Monate her.

Im Mai diesen Jahres war der Frühling über das Internat gekommen. Überall waren verliebte Pärchen gewesen. Zu dieser Zeit hatte Shikamaru seine konfusen Gefühle für Ino entdeckt, Hinata hatte endlich zugegeben, dass sie in Naruto verliebt war und Sayuri…ja, Sayuri war die einzige, die Nägel mit Köpfen gemacht hatte. Sie hatte nie ein besonderes Interesse an Gaara gezeigt. Manchmal sprachen oder lernen sie miteinander, aber niemand hätte erwartet, dass sie es sein würde, die ihn um den Finger wickelte. Aber es war geschehen. Fünf himmlische Wochen hatte sie ihn ihren Freund nennen dürfen. Gaara nahm seine Rolle als Freund sehr ernst. Er holte sie vom Unterricht ab, verteidigte sie, trug ihre Bücher, führte sie zum Essen aus. Sie waren das perfekte Paar, bis Gaara sich genau fünf Wochen nach dem Anfang ihrer Beziehung losgesägt hatte. Grundlos. Keiner wusste, warum er urplötzlich Schluss gemacht hatte, doch er hatte es getan. Und der Verlust ihrer ersten Liebe hatte Sayuri in ein tiefes Loch gestürzt.

"Ich dachte, du seist über ihn hinweg?", meinte Sakura vorsichtig.

"B-Bin ich ja auch", schniefte Sayuri wütend. "Ich bin so wütend! Dieser Mistkerl!" Mehr wusste niemand zu sagen. Die Phrasen, die folgten, waren abgedroschen und beruhigten Sayuri nur geringfügig. Nach ein paar Minuten des hemmungslosen Schluchzens fing sie sich aber wieder soweit, dass sie störungsfrei reden konnte. "In den Ferien war alles toll, aber jetzt, wo ich ihn sehe, merke ich, wie sehr ich ihn geliebt habe und wie sehr ich ihn jetzt hasse. Ich kann ihn nicht ansehen, ohne ihm den Tod zu wünsche!"

"Na, jetzt gehst du aber zu weit", meinte Sakura. "Ihr wart fünf Wochen zusammen. Er ist achtzehn, du siebzehn. Ihr werdet beide noch Enttäuschungen austeilen und einstecken müssen. Ihm den Tod zu wünschen wäre schon ziemlich niveaulos. Und du hast doch Niveau. Außerdem waren es nur fünf Wochen. Wer kann da schon von Liebe sprechen?"

"Musst du gerade sagen! Du bist bis über beide Ohren in Sasuke verknallt, obwohl du nicht einmal mit ihm zusammenwarst! Du kennst ihn ja nicht einmal!"

Sakura seufzte. "Das war doch bloß eine kindische Schwärmerei, ich bitte dich." Inzwischen glaubte sie sich sogar selbst. Der Stress der letzten Tage hatte beinahe alle Gefühle außer Erschöpfung vertrieben. "Hey, Sayuri, du schaffst das schon. Vertrau auf dich. Du hast etwas viel Bessres verdient als ihn." Sie warf Temari einen entschuldigenden Blick zu, doch dieser schien gleich zu sein, dass sie eben ihren Bruder beleidigt hatte.

Im Gegenteil, sie nickte eifrig. "Sakura hat ganz Recht, Sayuri-chan. Gaara ist kein guter fester Freund. Er war noch nie in ein Mädchen verliebt geschweige denn hat er es zugegeben. Du warst seine erste Freundin, also sei stolz darauf und vergiss ihn."

Dadurch schien Sayuri sich ein wenig beruhigt zu haben. Temari bedachte sie mit einem mitleidigen Blick, der Sakura mehr weh tat als ihrer Schwester. Dass Gaara sich ausgerechnet ihre Schwester für solche dummen Spiele ausgesucht hatte, würde sie ihm immer nachtragen—wie hatte er es wagen können?! Er hatte ihre unschuldige kleine Schwester in ein Tal bitterer Tränen geschickt. Doch die Verbindung zu den restlichen Mitgliedern war so stark, dass sie ihn nicht einfach der Clique verweisen hatte können. Es war zum Verzweifeln.

"Geht's wieder?", fragte Sakura vorsichtig. Sayuri nickte und stand auf. Ihr Blick streifte das Fenster, blieb einige Sekunden daran hängen und fiel dann mit einem letzten Schluchzen zu Boden. "Sayuri?"

"Ja. Es ist wieder alles in Ordnung. Ich muss jetzt los. Ach ja, bevor ich es vergesse; heute ist doch Freitag. Ich würde gerne nach Miyazu fahren. Im Kampai gibt es heute angeblich Livemusik, das möchte ich mir ansehen. Wollt ihr mitgehen?"

Sakura hatte eine dunkle Vorahnung, dass ihre liebenswürdige Schwester unter all ihrem Kummer trotzdem noch immer versuchen wollte, die Freundinnen mit Tenten zu versöhnen, darum wollte sie entschieden ablehnen, doch Temari kam ihr mit einer begeisterten Zusage zuvor. "Sehr gerne sogar. Treffen wir uns um acht dort?"

"Okay", meinte Sayuri mit belegter Stimme zur Kenntnis. Dann verabschiedete sie sich schnell, als Ino ins Zimmer kam, ehe die Blonde sie ihrer verweinten Augen wegen ausquetschen würde.

"Was war denn mit deiner Schwester los?"

"Nichts, nicht", sagte Sakura schnell. "Sie hat uns für heute Abend eingeladen, mit ihr ins Kampai zu gehen."

"Oh, super! Ich werde Sasuke-kun fragen, ob er mitkommt."

"Nichts da!", hielt Sakura sie entschlossen zurück, als Ino bereits Kehrt machte, um das Jungenzimmer aufzusuchen. "Erst kommen die Herzen dran, bei denen Hoffnung besteht."
 

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Dances And Delusions


 

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Zwei Stunden später standen sie im Kampai. Wer da war? Nun, sagen wir: jeder. Die Eröffnung dieses Lokals hatte überall für Aufregung gesorgt, denn man hatte es auf den Geschmack der Jugendlichen perfekt abgestimmt. Die Preise waren erschwinglich (was bei den Internatsschülern zwar egal, aber trotzdem ein Vorteil war), die Einrichtung war modern und das Karaokesystem war eines der besten auf dem Markt verfügbaren. Kurzum: Es war voll.

Inmitten dieser Menge hatten Sayuri, Neji und Tenten einen Tisch für etwa fünfzehn Personen mit ihrem Leben verteidigt, bis der Rest endlich kam. Sayuri hatte nämlich einen Plan. Den Plan, Tenten mit ihren früheren Freundinnen zu versöhnen.

"Oh, nein, das kann deine Schwester voll vergessen, ich geh dort nicht hin!", weigerte sich Ino, als sie mit Sakura, Hinata und Temari eintraf. "Nicht in diesem Leben und auch sonst niemals!"

"Wir müssen ja nicht mit Tenten reden! Ich möchte nur bei Sayuri sein, um ihr beizustehen. Sie hatte einen harten Tag." Sakura schob ihre Freundin durch die Menschenmasse auf den Tisch zu.

"Nein! Denk doch an Hinata!"

"Ino hat Recht", stimmte Hinata zu. Ihre Stimme übertönte kaum die schiefen Töne, die einer der Drittklässler auf der Bühne von sich gab. "Ich kann keinesfalls da rüber gehen. Geh du am besten alleine. Ino, Temari und ich werden uns einen anderen Tisch suchen."

"Und welchen? Es ist kein einziger mehr frei. Sayuri hat eine ganze Palette Sitzplätze für uns freigehalten." Doch Sakura gab sich schnell geschlagen. Sie war ebenso wie Temari und Hinata in den hohen Kreisen aufgewachsen, darum wusste sie eines: Es schickte sich nicht, mit dem Ex-Verlobten zu reden, wenn dieser einen so brüskiert hatte—zumindest in den Augen der Gesellschaft. Also verabschiedete sie sich auf Zeit von den dreien und kämpfte sich durch die Menschenmasse zu Sayuri.

Diese sah enttäuscht und verärgert auf. "Wieso kommst du alleine?"

"Die alte Geschichte."

"Einen Versuch war es wert. Setz dich doch." Sayuri warf einen missmutigen Blick zu Ino, die gerade ein paar Erstklässler von ihren Plätzen verscheuchte. "Neji und Tenten kennst du ja, also muss ich euch nicht vorstellen."

"Ja, kann man so sagen." Sie gaben sich einem peinlichen Schweigen hin, das erst nach fünf Minuten von Sakura gebrochen wurde. "Neji, es soll wirklich keine Beleidigung dir gegenüber sein, dass sie sich nicht zu dir setzen."

"Keine Sorge, so sehe ich das nicht. Die Gesellschaft verlangt es. Ich kenne mich sehr gut mit den Regeln aus. Wie du weißt sind Hinata und ich uns inoffiziell auch nicht böse."

"Ja. Ja, das ist eine große Erleichterung für diese Situation. Und wie geht es euch als Paar? Man sieht euch selten zusammen."

Tenten antwortete, während sie sich bei Neji einhakte. "Es geht uns hervorragend", lachte sie. "Wir wollen nur nicht mehr Aufmerksamkeit als wir ohnehin schon bekommen. Die Tochter eines einfachen Angestellten an der Seite eines adeligen—du weißt ja, dass sowas für Furore sorgt."

"Wir vermissen dich", meinte Sakura nüchtern. "Ino ist die einzige, die das nicht zugeben will."

"Kann ich mir vorstellen. Ich vermisse euch ja auch, aber unter diesen Umständen dürfte ich nicht einmal mit Sayuri befreundet sein. Nun, sei's drum, wir müssen damit leben. Was führt dich zu uns?"

"Meine liebreizende kleine Schwester natürlich. Sie bietet mir eine ausgezeichnete Ausrede, um bei euch zu sitzen. Wie geht es dir denn, Sayuri?"

"Besser. Ich hab mit Tenten darüber gesprochen und du hast mir auch sehr geholfen. Allerdings gibt es eine neue Entwicklung in diesem Fall." Nach einer spannungsaufbauenden Pause sagte sie: "Ich muss nun doch mit zu dieser Anwaltsgala. Papa möchte, dass ich mehr unter Leute komme, damit ich später gute Beziehungen knüpfen kann. Die Sabakunos werden auch mit ihren Kindern da sein."

"Großartig", murmelte Sakura erst ehrlich, dann wiederholte sie es zynisch. "Großartig. Ich habe wen zur Unterhaltung, aber du tust mir leid. Vielleicht hättest du es unseren Eltern doch sagen sollen? Das mit Gaara und dir. Dann hätten sie dich nicht gezwungen, mitzugehen."

"Nein. Es ist okay. Ich bin heute nur ausgeflippt, weil ich mich nicht unter Kontrolle hatte. In Zukunft wird mir das nicht mehr passieren."

Eine halbe Stunde später verabschiedete sich Sakura von den dreien und stellte mit Freude fest, dass die anderen drei Zuwachs erfahren hatten. An dem kleinen Tisch saßen mit ihnen Gaara, Naruto und Shikamaru, neben dem der einzig freie Sessel stand. Zufall? Wohl kaum. Sakura ergriff ihre Chance, den besprochenen Plan in die Tat umzusetzen.

Zwanzig Schritte trennten sie von der Gruppe, dann saß sie in dem kleinen Kreis, den sie freudig begrüßte. Für Shikamarus Begrüßung ließ sie sich dabei ein wenig mehr Zeit.

"Freut mich, dass du auch gekommen bist. Normalerweise bist du doch nicht der Typ für derartige Aktivitäten."

"Normalerweise nicht, aber es gibt da eine Person, die ich unbedingt sehen musste." Er lächelte sie an. Mann, spielte er seine Rolle gut!

"Danke, dass du den Platz neben dir freigehalten hast."

"Ehrlich gesagt—"

Weiter kam er nicht. Plötzlich spürte Sakura eine Hand auf ihrer Schulter und eine bekannte Stimme informierte sie sachlich darüber, dass dies sein Platz wäre. "Könntest du also bitte aufstehen?"

Sie drehte sich um und sah zu den schwarzen Augen auf, die im schönsten Gesicht der Bar saßen. "Sasuke—" Sie mühte sich, das Suffix unausgesprochen ausklingen zu lassen. Nun ging es darum, höflich, aber sachlich zu bleiben. "Entschuldige bitte. Ich wusste nicht, dass du hier sitzt." Sie stand auf, ließ eine Hand aber auf der Lehnte liegen, womit sie ihm den Weg zum Sessel versperrte. Mit gesenkter Stimme sagte sie: "Wenn du willst, besorge ich dir einen weiteren Sessel. Ich würde dich nur bitten, dass du mir den neben Shikamaru überlässt." Sie warf einen gekonnten Seitenblick auf ihn und sah dann wieder ernst zu Sasuke. "Du verstehst?"

War das ihr Ernst? Sie hatte Interesse an Nara Shikamaru? Sasuke konnte das nicht recht glauben. Aber sie spielte ihre Rolle auf jeden Fall überzeugend. Der Seitenblick, die Ernsthaftigkeit in ihren Augen, Shikamarus gerade aufkeimendes Lächeln—das schien echt zu sein. Nun, er war kein Unmensch. Was hatte er schon dagegen, wenn sie ihre Aufmerksamkeit jemandem schenkte, der vorzugsweise nicht er selbst war? Etwas Besseres konnte ihm gar nicht passieren!

Diese Überlegungen veranlassten Sasuke dazu, Folgendes zu sagen: "Schon gut. Bleib ruhig sitzen."

Sakuras Herz schlug wilder als jemals zu vor. Sie hatte es geschafft. Sasuke war offensichtlich überzeugt—perfekt. Dann stand dem Plan ja nichts mehr im Wege! Und sie wusste auch schon, wie sie auf die nächste Stufe klettern konnte.

"Leute, wir sind hier in eine Karaokebar, richtig?", sagte sie nach einiger Zeit angeregter Gespräche. "Warum singen wir nicht? Shikamaru, wir beide. Wie wär's?"

"Niemals", rief Ino über den Tisch. "Ich hab schon so oft versucht, ihn dazu zu überreden, aber unser Shikamaru ist kein begeisterter Sänger—"

"Gerne", unterbrach er sie. Als ihn alle entgeistert anstarrten, fügte er hinzu: "Ich singe sehr gerne mit dir, Sakura. Aber ich wähle das Lied aus."

"Kein Problem." Mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht ging Sakura mit ihm zur Theke, um sich für das nächste Lied anzumelden. Als sie außer Hörweite waren, begann sie zu kichern. "Hast du ihre Gesichter gesehen?"

"Ja. Aber übertreib's nicht. Dass ich singe, ist eine Ausnahme. Wenn unser Deal bestehen soll, machen wir nie wieder solche Peinlichkeiten."

"Komm schon, macht doch Spaß!" Sie hakte sich bei ihm ein, als sie Richtung Bühne gingen.

Im Stillen stimmte Shikamaru ihr zu. Er war normalerweise nicht für solche Dinge zu haben, aber Ausnahmen konnte man machen. Und es machte tatsächlich Spaß. Zumindest Sakura. Shikamaru stand dem Ganzen eher skeptisch gegenüber. Wer sich dagegen wehrte, Spaß zu haben, dem half auch nicht Funworld, geschweige denn mittelklassiges Karaoke. Doch immerhin hatten sie ihr Ziel erreicht: Ino ließ Sasuke für einen Moment sein und starrte Sakura und Shikamaru mit offenem Mund an, wie sie schunkelnd auf der Bühne das Duett darboten, das glücklicherweise recht schnell war. Wäre es ein romantisches Lied gewesen, wäre sie ihrer Freundin sofort an die Gurgel gesprungen. Aber Ino wusste sich zu beherrschen. Als ihre Sängerfreunde wiederkamen, hatte sie sich wieder unter Kontrolle.

"Hat's Spaß gemacht?", sagte sie mit einer leichten Spitze, die Shikamaru mit großer Genugtuung bemerkte.

"Ja. Ich könnte mich glatt zu einem neuen Lied überreden lassen. Aber nur mit Sakura", fügte er hinzu, als Ino bereits ansetzte. Sie nahm die Abweisung wahr und drehte sich beleidigt Sasuke zu, der das Schauspiel skeptisch beobachtet hatte. Er warf Shikamaru einen bösen Seitenblick zu, denn es war nur seine Schuld, dass er dieses blonde Gift schon wieder an der Backe hatte. Dafür würde er büßen. Bitterlich büßen.
 

Irgendwann erklärte Sakura sich für müde. Ino wollte noch bleiben und auch der Rest verspürte nur wenig Lust dazu, schon um elf zu gehen. Wenn sie schon einmal feiern durften, wollten sie es auch auskosten.

Sakura war kein Partymensch, ganz im Gegensatz zu Ino. Sie wusste sich allerdings sehr wohl in geregeltem Ambiente zu amüsieren. Die Stunden im Kampai waren schön gewesen, witzig, geistreich und unterhaltend und in Wahrheit wollte Sakura noch nicht gehen; mit ihrem frühen Aufbruch bezweckte sie etwas Bestimmtes. Shikamaru würde sich erbeten, sie heimzugeleiten, um den Schein perfekt zu machen. Er selbst war kein Feiertyp, weswegen er froh darüber sein würde, dem Lärm zu entkommen.

"Also dann, einen schönen Abend noch, Leute."

"Dir auch, Sakura-chan!", rief Naruto. Dabei war sein Arm gefährlich nahe an Hinatas Hand, die schon die ganze Zeit das Colaglas am Tisch umklammert hielt. Natürlich hatten sie die ganze Zeit nebeneinander gesessen.

"Gute Nacht", wünschte Gaara.

"Ich komme mit."

Sakura stockte. Sie musste ihre Gedanken ordnen. Sie hätte geschworen, Shikamarus Stimme gleich vernehmen zu können, aber die Stimme, die schlussendlich erklungen war, war tiefer und tonloser. "S-Sasuke?"

Ein Glück, dass die Sängerin gerade ziemlich laut trällerte und ihre Freunde sich bereits wieder ihren eifrigen Gesprächen zugewandt hatten, sonst hätten sie Sakuras Verlegenheit und vor allem Verwirrung bemerkt. Doch so bemerkte nur Sasuke diese, was schlimm genug war.

"O-Okay. Dann los."

Sie kämpften sich zusammen durch die Menschenmasse, die nun sogar bei den schiefen Tönen mitgrölten und sich um diese Uhrzeit immer dichter drängten. Genauer gesagt kämpfte Sasuke sich mit seinen breiten Schultern durch und die schmale Sakura trippelte ihm so dicht als möglich hinterher. So kamen sie ganz gut voran, holten ihre Jacken und verließen die Bar nach wenigen Minuten.

Innen hatten ein hoher Lautstärkepegel und dicke Luft geherrscht, sodass es Sakura draußen außerordentlich kalt und still vorkam. Die Gänsehaut kam nicht nur von der Kälte. Sie war hier. Mit Uchiha Sasuke. Alleine. Und sie würde zwanzig Minuten mit ihm verbringen, ehe sie in Miso ankamen. Das war ein Traum. Ein Alptraum! Sie war noch nicht bereit dafür! Sie konnte noch nicht neutral genug zu ihm sein!

"Ist dir kalt?"

"Was?"

Er deutete auf ihre Arme, die sich unwillkürlich um sie geschlungen hatte. "Ich will nicht, dass du erfrierst, während wir beisammen sind. Das macht sich nicht gut in meinem Lebenslauf. Außerdem würde ich mich schuldig fühlen, dich im Stich gelassen zu haben, solltest du wirklich sterben."

"Du hättest natürlich auch die Option, mir zu helfen, falls ich erfriere."

"Eher nicht. Ich hab kein Helfersyndrom."

"Hab' ich gemerkt."

Damit war vorerst alles zwischen ihnen gesagt. Erst nach gut fünf Minuten erhob Sasuke wieder seine Stimme. "Müssen wir da lang?"

"Nein. Links."

"Ah."

Weitere fünf Minuten vergingen, dann kamen sie an der Busstation an, von der aus in wenigen Minuten der nächste Bus ins Internat fahren sollte. Sakura ließ sich auf der Holzbank unter der Plexiglasüberdachung nieder und seufzte.

"Ich würde lieber aufstehen. Das Holz kühlt über Nach stark ab. Du erkältest dich noch." Eigentlich wollte er es nett meinen, doch seine Worte klangen wie anmaßende Besserwisserei. In Gedanken stellte er sich schon auf eine Predigt von Sakura ein. Darauf schien sie ja zu stehen.

Doch es kam anders. Sie stand tatsächlich auf, unberührt von seiner Herablassung. "Danke für deine Anteilnahme." Es lag leichter Sarkasmus darin, doch die Nettigkeit in der Stimme überlagerte ihn gekonnt. "Darf ich dich etwas fragen, Sasuke?"

"Sofern du keine Antwort darauf erwartest…"

"Warum bist du mitgekommen?"

Die Frage entlockte ihm ein amüsiertes Grinsen, das in der Dunkelheit kaum sichtbar war, als er den Kopf gen Boden neigte und seine Hände in die Hosentaschen gleiten ließ. Die schwache Beleuchtung der Haltestelle half auch nicht viel. "Mach dir lieber keine Hoffnungen, Sakura. Ich bin nicht der Mensch für überfüllte Bars und die Gespräche bei Tisch sind für mich nicht von Interesse. Zudem nervt deine blonde Freundin ziemlich. Zumindest die eine; die andere malträtiert mich förmlich mit ihren Blicken, was mir auch nicht unbedingt den Abend versüßt. Allerdings kenne ich den Weg ins Internat nicht. Ergo habe ich darauf gewartet, dass jemand geht, dem ich mich anschließen konnte. Ich konnte ja nicht wissen, dass du das bist."

"Na, vielen Dank auch für diese liebreizende Abwertung", sagte sie beleidigt. "Du könntest ruhig ein wenig Dankbarkeit zeigen, dass ich so höflich bin und dir den Weg zeige."

"Du hättest es natürlich lieber gesehen, wenn Shikamaru mitgegangen wäre, nicht wahr?"

"Ich weiß nicht, was du meinst."

In diesem Moment kam der Bus. Sie lösten ihre Fahrkarten und blieben in der ersten Reihe sitzen, allerdings auf verschiedenen Seiten. Mit ihnen fuhren nur acht andere Schüler.

"Falls es dich interessiert", setzte Sakura erneut nach ein paar Schweigeminuten an, doch sie wurde unterbrochen.

"Tut es nicht, keine Sorge. Ein Blinder merkt, was zwischen dir und ihm abgeht. Ich denke nur, dass du es deiner Freundin bald sagen solltest, sonst köpft sie dich."

"Dafür, dass du dich nicht für unsere Belangen interessierst, weißt du ziemlich genau Bescheid, Sasuke-kun." Teufel, sie musste sich dieses Suffix abgewöhnen!

Er verzog den Mund zu einem selbstgefälligen Lächeln. "Ich bin ein guter Beobachter. Mir entgehen nicht viele Dinge. Du und Shikamaru, ihr wärt ein hübsches Paar. Schade, dass du schon vergeben bist, sonst wäre ich vielleicht einmal mit dir ausgegangen."

Sakuras Herz klopfte mit einem Schlag heftiger. Sie wollte bereits sagen, dass sie nicht mit ihm zusammen war, als es plötzlich in ihrer Tasche vibrierte. Sie fischte das Handy geschickt heraus. Es war eine Textmitteilung von Temari—Sakura, bist du etwa mit UCHIHA weg? Pass bloß auf dich auf.

Das war die Rettung gewesen. Sakura dankte Temari stumm tausendmal, während sie eine Antwort formulierte—Ja, Sasuke ist bei mir. Keine Sorge, ist alles okay. Komm nicht zu spät nach Hause. Und halt Ino von Shikamaru fern, sonst endet das heute blutig. Sie drückte auf Senden und lehnte sich erleichtern zurück. Um ein Haar hätte sie den einen Plan zunichte gemacht. Sie würde mit Shikamaru reden müssen. Das verlief ganz und gar nicht so, wie sie sich das vorgestellt hatte.

Den Rest der fünfzehnminütigen Fahrt verbrachte jeder schweigend für sich auf dem Sitz am Fenster, aus dem sie hinaussahen. Sakura unterband jeden Drang, einen Seitenblick auf Sasuke zu werfen, vehement. Als der Bus hielt, ließ Sasuke sie vorgehen. Eine Spur gute Erziehung zeigte er also. Lobenswert. Sie führten zusammen die tuschelnde Traube von Schülern an, deren Mädchenanteil völlig aus dem Häuschen war, dass er mit Sasuke im selben Bus gefahren war—oh, sie hatten ja so denselben Rhythmus! Darüber verdrehte Sasuke nur genervt die Augen.

"Gute Nacht", sagte er, als sie immer noch schweigend den zweiten Stock erreicht hatten.

"Nacht", murmelte Sakura. Sie traute sich nicht mehr zu, sonst hätte sie vermutlich ihr eisernes Schweigen gebrochen. Erst in ihrem Zimmer, das Gott sei Dank gleich am Anfang des Ganges war, konnte sie erleichtert ausatmen.

Was war das bloß gewesen? Sasuke war nicht gemein zu ihr gewesen! Wo gab's denn sowas? War er etwa doch ein wenig an ihr interessiert? Zumindest an ihrer Freundschaft? Vielleicht funktionierte ihr Masterplan ja wirklich so schnell?
 

ɣ
 

Sasuke konnte das selbstherrliche Grinsen gar nicht mehr aus seinem Gesicht verbannen. Er lächelte selten ehrlich. Aber heute Abend war ihm danach zumute. Er hatte es also trotzdem noch drauf. Egal, ob ein Mädchen in jemand andern verliebt war, er schaffte es doch noch immer, sie zu verwirren. Es verschaffte ihm ein gewisses Gefühl der Befriedigung. Wenn er schon nicht über sein Leben verfügen konnte, dann wollte er zumindest so weit als möglich über sein Umfeld verfügen. Und das konnte er verdammt gut!

"Warum so selbstgefällig, Uchiha?" Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. In der Dunkelheit konnte er die an der rechten Wand lehnende Gestalt auf den ersten Blick nicht erkennen. Erst bei genauerem Hinsehen identifizierte er Karin, die lässig die Arme verschränkt hatte und einen Fuß abgewinkelt an der Wand abstützte. "Kommst du von einem fremden Bett?"

"Hat man dir nicht beigebracht, dass man nicht dreckig macht, was einem nicht gehört? Und lass das Uchiha weg. Du darfst mich Sasuke nennen."

"Ach, darf ich?", fragte sie süffisant. Dabei stieß sie sich von der Wand ab. "Verrätst du mir, von wo du kommst?"

"Nicht aus einem fremden Bett. Ich weiß nämlich, dass man fremdes Eigentum nicht beschmutzt."

Karin lachte amüsiert. "Gute Umlegung, das muss ich dir lassen. Also warst du in der Stadt. Wie gefällt dir Miyazu?"

"Ein ziemlich ödes Kaff, in dem eine Karaokebar den größten gesellschaftlichen Treffpunkt darstellt. Nicht gerade mein Fall."

"Klar", meinte Karin leichthin, "ein Uchiha ist natürlich Größeres gewohnt. Aber damit musst du dich abfinden, ob du's willst oder nicht. Eine Tragödie."

"Und von wo kommst du?", wollte nun Sasuke wissen. "Hast du mir aufgelauert?"

"Ha!", stieß sie hohl aus. "Das hättest du gerne. Ich habe mit Suigetsu ein paar Strategien für den Wahlkampf durchgenommen. Montag hängen die Listen aus, also geht's überübermorgen los. Deine kleine Freundin stellt sich tatsächlich auf?"

Sasuke zischte genervt. "Wenn du damit Sakura meinst, darüber kann ich dir nichts sagen. Und sie ist nicht meine kleine Freundin."

"Schon gut, ich wollte dich nur ärgern."

"Lass das in Zukunft besser. Das könnte schmerzhaft enden."

"Oh, habe ich den bösen Jungen wütend gemacht?", raunte Karin sarkastisch. "Du machst mir keine Angst, Sasuke. Ich mache mir nichts aus deinem Reichtum und deinen Muskeln und deinem perfekten Gesicht." Mit jedem Wort kam sie ihm einen Schritt näher, bis sie direkt vor ihm stand. "Darum magst du meine Gesellschaft, nicht wahr? Weil du bei mir keine Angst haben musst, auf eine liebestolle Tussi zu stoßen. Danke für dieses Kompliment. Aber jetzt gehe ich ins Bett. Ich bin müde."

Damit ging sie sich leichtfüßig an ihm vorbei, verschränkte sie Arme hinter dem Rücken und war bereits ein paar Schritte weit gegangen, als Sasuke sie zurückhielt. "Hey, Karin!"

Sie drehte sich lächelnd um. Die nicht vorhandene Beleuchtung verschlang alles, außer ihr rotes Haar und die blaue Sporthose.

"Gute Nacht."

Sie legte ihren Zeige- und Mittefinger an die Stirn und warf sie in einer Abschiedsgeste von sich. Einige Sekunden später waren ihre Schritte im dunklen Gang verhallt.
 

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Bombs And Benefits


 

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Der nächste Tag war ein Sonntag. Heute Abend würden Sakura und Ino die Überraschung endlich enthüllen dürfen. Nun, zumindest vorbereiten. Finden würden sie die Lehrer erst montagfrüh vor dem Unterricht. Bevor sie allerdings mit dem Aufbau loslegen konnten, musste erst noch etwas Wichtiges besprochen werden. Dazu fanden sich Temari, Hinata, Naruto, Gaara und Shikamaru in Inos und Sakuras Zimmer ein, wo Ino eine Art Stützpunkt eingerichtet hatte.

"Es sieht wie folgt aus, meine getreuen Helfer", sagte sie feierlich und klappte ein übergroßes Blatt mit Diagrammen von einer Flipchart. "Das sind die Ergebnisse der Vorentscheidungsumfragen vom letzten Jahr. Wie ihr seht, hatte Karin gut sechzig Prozent der Wähler auf ihrer Seite, obwohl damals ihre beiden Gegner noch im Rennen waren. Sie ist demnach eine ernstzunehmende Gegnerin, die nur mit einem harten Wahlkampf in ihre Schranken gewiesen werden kann. Ihr Vorteil liegt darin, dass sie an ihr altes System anknüpfen wird, das ihr damals den Sieg eingebracht hat. Unser Ziel ist es also, die Schwachstellen dieses Systems aufzudecken und mit unserem eigenen Parteiprogramm auszumerzen. Die guten Sachen ihrer Zielsetzung werden wir verbessert übernehmen."

"Ähm", machte Naruto und legte den Kopf schief, "um was geht es hier eigentlich?"

Ino ließ ein genervtes Ächzen hören. "Um die Schulsprecherwahl!"

"Und was haben wir damit zu tun?"

"Sakura wird sich natürlich aufstellen! Und sie wird gegen diese Schnepfe von Karin gewinnen. Nicht wahr, Sakura?"

Diese war damit allerdings eher weniger einverstanden. "Ino, ehrlich gesagt—"

"Es ist beschlossene Sache. Morgen tragen wir dich in die Liste ein! Der Wahlkampf dauert eine Woche, danach werden wir deinen Sieg über die Kuh feiern!"

"Ino, beruhige dich doch", forderte Sakura missmutig. Sie saß neben Shikamaru, was maßgeblich zu Inos Eifer beigetragen hatte. "Ich habe weiterhin nicht vor, mich aufstellen zu lassen. Dieses Jahr wird mein letztes hier, da möchte ich mich nicht mit Arbeit zuschütten, die ich genauso gut vermeiden könnte."

"Rede keinen Unsinn!", fuhr Ino dazwischen. "Das macht sich gut in deiner Schulakte. Du weißt ja noch nicht, was du später mal machen willst. Wenn du eine politische Karriere einschlägst, wird dir das sicherlich helfen."

"Na klar", meinte Sakura wenig überzeugt. "Woher hast du überhaupt diese Daten? Ich kann mich nicht erinnern, an einer Umfrage vor der Wahl teilgenommen zu haben."

Ino schien plötzlich peinlich berührt. "Nun, ähm…"

"Ino!"

"Okay, ich geb es zu, ich hab das erfunden! Aber nur, um euch den Ernst der Lage zu verdeutlichen! Wir werden nicht gegen Karin verlieren!"

Das war die Lage, wie sie irgendwie allen außer Ino schlichtweg egal war. Nachdem ihr erster Versuch der Motivation gründlich fehlgeschlagen war, war sie dazu übergegangen, Sakura so lange zu nerven, bis diese die Nerven verlor und sich widerwillig dazu bereiterklärte, an dieser blöden Wahl teilzunehmen; unter der Bedingung, dass Ino ihre Reden schrieb, ihre Termine koordinierte und sie um Himmels Willen danach endlich in Ruhe ließ!
 

ɣ
 

Sakura hatte ein paar Stunden Muße, die schwierigen Bücher für die Zwischenprüfungen zu wälzen, die in zwei Tagen waren. Dafür sammelte sie Shikamaru und ihre Sachen zusammen und zog sich nach draußen zurück. Auch wenn es bereits Ende September war, genoss sie die frische Luft. Paradoxerweise bedeutete ihr Nachname Frühling, wo sie doch eindeutig ein Herbstmensch war. Das Rot und Braun der Blätter, die natürliche Ruhe vor dem Winter, das mochte sie vielmehr als aufsprießende Knospen. Zumindest, wenn Herbst war. War Frühling, mochte sie diesen mehr. Irgendwie mochte sie alles.

Sie saß mit Shikamaru unter einer großen Eiche hinter den Sportplätzen, wo sie ihn nötigte, ihr komplizierte Formeln zu erklären, und die Fußballmannschaft der Schule eifrig trainierte. Ab und an warf sie hinreichend interessierte Blicke auf die schwitzenden jungen Männer, die gerade von ihrem Coach dazu verdonnert worden waren, zehn Runden um den Platz zu laufen, ehe sie mit dem Passtraining weitermachen durften. Um den Platz herum standen ein paar schaulustige Mädchen. Mehr als üblich.

Es entlockte Sakura ein amüsiertes Grinsen, als sie sah, wie ihr bester Freund übermotiviert an der Spitze der Mannschaft lief. So war Naruto; ehrgeizig und durch nichts zu stoppen, sofern es um Fußball ging. Hätte er dieses Durchhaltevermögen auch beim Lernen inne, dann würden seine Noten weitaus besser aussehen.

Mit diesen Zwischengedanken wandte sich Sakura wieder ihrem Chemiebuch zu. Davon sah sie erst wieder auf, als die Schüler mit Rundenlaufen fertig waren und zum Passtraining in Zweiergruppen übergingen. Sie runzelte die Stirn, als sie sah, wer Narutos Partner war.

"Was macht der denn hier?", zischte sie. Jetzt konnte sie sich auch den Menschenauflauf erklären, der vorwiegend Mädchen beherbergt hielt. Sie klappe missmutig das Buch zu. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Uchiha Sasuke, wo auch immer sie sich aufhielt. Wollte Gott sie so sehr bestrafen? Wollte er, dass ihr Plan aufflog? Sich darüber aufzuregen hatte allerdings nun keinen Sinn mehr. Ihre Neugierde war längst geweckt worden.

"Geh am besten rüber und rede mit ihm. Das könnte eine weitere Chance sein, Sakura-chan."

"Du nennst mich ja Sakura-chan!", lachte sie vergnügt.

"Gewöhn dich nicht daran, das klingt irgendwie abartig."

"Vielen Dank auch. Aber du hast recht. Ich komme gleich wieder. Warte hier auf mich."

Ohne viel zu erwarten, packte sie ihre Sachen zusammen und stellte sich auf die Rückseite des Trainingsplatzes, wo sich keine Mädchenmeute um die beste Sicht drängte. Dass sie als einzige auf die Idee kam, sich auf einen freien Platzt zu stellen, war fast peinlich. Und sowas schimpfte sich zukünftige Elite!

"Hey, Sakura-chan!" Naruto kam sofort zu ihr herübergelaufen, als er sie erblickte. Im Schlepptau hatte er einen sich wehrenden Sasuke. "Wie lange schaust du uns schon zu?"

"Eine gute Stunde", schätzte sie. "Ich bin dort drüben gesessen und habe gelernt. Du bist wirklich unverbesserlich, Naruto. Steiger dich nicht so in dein Training, wenn du deine Umwelt nicht mehr wahrnimmst."

"Da ist ja auch Shikamaru! Habt ihr zusammen gelernt?"

"Ja. Er hat mir ein paar Isotope erklärt und wie ich sie bestimme. Seit wann spielt Sasuke im Team mit?"

Naruto lachte. Er warf einen Arm um seinen Kameraden und zog ihn freundschaftlich heran. "Tut er noch nicht. Heute hat er Probetraining. Er ist wirklich gut. Da Kankuro voriges Jahr seinen Abschluss gemacht hat, brauchen wir einen neuen Verteidiger."

Sasuke und Verteidiger? Das gefielt Sakura irgendwie. Sie konnte sich Sasuke schlichtweg nicht als jemand anderen als Stürmer vorstellen. Aber der war nun einmal Naruto. Die Aufteilung rang ihr ein Schmunzeln ab.

"Was ist denn los, Sakura-chan? Wieso lachst du?"

"Nichts. Es ist alles in Ordnung."

"Wie du meinst", sagte Naruto. "Ich sollte wieder trainieren, sonst wird Gai-sensei wieder wütend. Richte Shikamaru schöne Grüße aus!" Im Weglaufen rief er: "Ach ja, ihr passt wirklich gut zueinander!"

Sakuras Miene gefror. Sasuke indes blieb mit einem schmalen Lächeln vor ihr stehen. "Was hast du ihm erzählt?", zischte sie wütend.

"Nichts. Ich habe ihm nur gesagt, dass er das sagen soll. Er hat keine Ahnung. Ich fand das witzig."

"Weißt du, was ich witzig finde? Wenn ich rausfinde, dass du die Sache publik machst. Dann dreh ich dir den Hals um." Und das erste Mal schwang in ihrer Stimme eine ernstgemeinte Drohung mit.

"Also gibst du zu, dass etwas zwischen dir und Nara läuft?"

Sakura sah zur Seite. Verdammt! "Ich gebe gar nichts zu, klar? Das ist eine Sache, die nur Shikamaru und mich etwas angeht. Wenn du Probleme haben willst, musst du es nur sagen. Du bist gerade auf dem besten Weg dorthin."

"Uchiha! Zurück auf deinen Platz!", brüllte sein Trainer, ehe er etwas erwidern konnte. Sakuras Glück, denn bei den Worten, die er für sie gehabt hatte, hätten ihr auch noch den letzten Funken Sympathie für ihn geraubt.

Ohne weitere Worte drehte Sasuke sich um und lief zurück zu Naruto, der ungeduldig den Ball malträtierte.

Sakura schlenderte missmutig zurück zu Shikamaru. Als sie dem Fußballplatz den Rücken zugedreht hatte, bekam ihr Gesicht ein dickes Grinsen. "Sie haben es uns voll abgekauft", flüsterte sie freudig. Zur Untermalung ihrer Freude zog sie Shikamaru auf, der von so viel Euphorie selten begeistert war.

"Ich weiß nicht, ob das wirklich funktionieren wird", erwiderte er zweifelnd. Seine Skepsis dämpfte Sakura keineswegs in ihrer Hochstimmung.

"Und wie das funktionieren wird! Du wirst sehen, das wird einschlagen wie eine Bombe! Ino ist schon fuchsteufelswild und bald wir sie wieder dir ihre Aufmerksamkeit schenken. Gib dem Ganzen noch bis Freitag, dann haben wir unser Ziel erreicht. Wir werden es nicht einmal offiziell machen müssen!"
 

Apropos Bombe.

"Wenn wir erwischt werden, sind wir sowas von tot!", wisperte Ino. Ihre Fingernägel gruben sich tief in Sakuras Oberarm—wohl nicht nur aus Angst. Seit Tagen herrschte eine unterschwellige Spannung zwischen ihnen. Sakura würde wohl bald Abhilfe schaffen müssen. Sie hatten sich zu ihrer Nacht- und Nebelaktion um Punkt elf im Schulgebäude eingefunden.

"Seit wann bist du so ein Weichei, Yamanaka?", zischte Temari. "Sei keine Heulsuse und reiß dich gefälligst zusammen! Sie werden uns schon nicht erwischen. Und selbst wenn, werden wir höchstens Nachsitzen bekommen."

"Du hast gut Reden, Sabakuno, du kannst dich ja freikaufen. Meine Mutter hat nicht so viel Geld!"

"Ach, halt einfach deinen Mund."

"Seid beide still, ihr versaut uns die ganze Sache noch!", mahnte Sakura genervt von dem Zickenkrieg. "Schon vergessen? Wir sind im Auftrag der Liebe unterwegs. Also hört auf und gebt mir die Schachtel!"

"Wie stellen wir überhaupt sicher, dass sie auf Hinata und Naruto kommen?"

"Wir schreiben es drunter", informierte Sakura siegessicher. Mit einem dicken Permanentmarker bearbeitete sie den Tatort. "Seht ihr? Ist doch gut geworden."

"So dumm ist nicht mal Tsunade-sama", behauptete Temari. Wenn sie sich da mal nicht täuschte.

Ungesehen von jedem fremden Auge, entschwanden sie der Mensa im Schutz der Dunkelheit. Eine Stunde, mehr hatten sie nicht gebraucht, um die Missetat zu begehen, die das Leben einiger Menschen hoffentlich sehr bald ändern würde. Und wie sie es verändern würde…
 

ɣ
 

Der nächste Tag brach mit Vogelgezwitscher und einem Windstoß an, der Inos Lampe von ihrem Schreibtisch fegte. Der Krach ließ die beiden Mädchen aus dem Schlaf schrecken. Erst nach dem ersten Schock, waren sie so richtig wach.

"Wieso hast du das Fenster nicht geschlossen?", fauchte Ino.

"Das war deine Aufgabe! Du bist als Letzte aus dem Bad gekommen!"

"So ein Schwachsinn! Ich hab dir doch gesagt, dass du es schon zumachen sollst, bevor ich vom Duschen komme!"

Sakura schwang ihre Beine aus dem Bett. "Oh, jetzt bin ich Schuld? Als du rauskamst, hätte dir doch auffallen müssen, dass es noch offen ist!"

"Ich war müde, da fällt mir halt nicht alles auf! Du hättest es ebenso schließen können! Du mischt dich doch so gerne in anderer Leute Angelegenheiten ein!"

"Was soll das schon wieder heißen?"

"Vergiss es!" Nun stand auch Ino auf, sammelte ihre Sachen zusammen und knallte die Badezimmer lautstark zu.

"Was ist denn hier los?"

Sakura drehte sich erschrocken um. Ein Herzinfarkt nach dem anderen heute! Was war das für ein beschissener Tag?! "Was macht ihr hier?", fragte sie an Temari und Hinata gewandt. Die beiden standen bereits fertig angezogen im Türrahmen.

"Temari hat mich schon vor einer halben Stunde aus dem Bett gezerrt. Sie ist heute so aufgeregt. Ich frage mich, woran das liegt", berichtete Hinata gähnend. "Dann hörten wir Schreie und kamen her. Ihr wart sehr laut. Was ist denn passiert?"

Sakura verdrehte die Augen, ohne etwas zu antworten. Toll. Ino war völlig am Durchdrehen und anstatt mit Sakura Klartext über Shikamaru zu sprechen, setzte sie diese Farce weiterhin fort. Das war mal wieder so typisch!

Die Missstimmung hielt sich, als sie wenige Minuten später in die Mensa hinuntergingen. Allerdings verschob sie sich hinter die Aufregung, die Sakura, Temari und Ino zu überdecken versuchten. Hinata sah der unnatürlichen Unruhe zweifelhaft entgegen. Sie ahnte Böses. Die Realität war schlimmer, als sie es sich anzunehmen gestattete.

Am Rand der Mensa hatte sich eine Menschentraube gebildet, durch die sich die Mädchen durchkämpfen mussten. Sämtliche Schüler kicherten unter vorgehaltener Hand und begannen beim Anblick Hinatas zu tuscheln.

"Was zum…", stieß sie aus, als sie endlich vorne angekommen war. Sie war einer Ohnmacht nahe und hätte sich dieser auch hingegeben, wäre ihr Entsetzen nicht Grund genug dafür gewesen, wach zu bleiben. Ihre hellen Augen schweiften über das Chaos, das sich davor abzeichnete. Erst wusste sie nicht, was es zu bedeuten hatte. Die Mensa war völlig leer. Kein Tisch, kein Sessel, nichts! Dann begannen die Schüler nach oben zu zeigen. Mit einem unguten Gefühl wandte Hinata langsam ihren Blick gen Decke und was sie dort sah, ließ sie flach atmend nach hinten kippen.

"Naruto!", rief Sakura, die Hinatas drohende Ohnmacht vorzeitig erkannte. Sie griff sich den Blonden und zog ihn zu sich, damit er die Umfallende auffing. Er schaffte Hinatas fünfundvierzig Kilo ohne große Mühe mit nur einem Arm und sah ebenfalls nach oben.

"Heiliger!", stieß er fassungslos aus. "Was hat das zu bedeuten?" Seine Augen schweiften ungläubig über die Decke, auf der sich vier ausgeklügelte Seilkonstruktionen quer über die ganze Mensa erstreckten. Auf den Seilen waren sämtliche Tische und Stühle befestigt, die sonst den Mensaboden bevölkerten. Auf dem Tisch genau über ihnen prunkten zwei Smileys, die verdächtig aussahen wie Hinata und Naruto. Darunter stand in schwarzer, dicker Schrift 'Ha-ha'.

"Warum habt ihr das gemacht?", fragte Sakura entrüstet. "Ich meine, wieso? Willst du echt noch mehr Ärger bekommen? Du könntest von der Schule fliegen! Und warum hast du Hinata da mit hineingezogen?"

"S-Sakura-chan! Ich war das nicht! Damit habe ich nichts zu tun!" Er ließ Hinata beinahe fallen, die durch den Ruck wieder zur Besinnung kam und gleich wieder einen halben Ohnmachtsanfall erlebte, als sie merkte, dass Narutos Hand sehr nahe an ihrem Hintern war.

"N-Naruto-kun!", wisperte sie, aber ihre Stimme ging in einer sehr viel lauteren unter, die nur Tsunade gehören konnte.

"Ihr beide", sie deutete auf Naruto und Hinata, "in mein Büro! Sofort!"
 

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"Was zum Teufel habt ihr euch dabei gedacht, darf ich das bitteschön erfahren? Noch nie hat es jemand gewagt, einen Streich dieses Ausmaßes auszuüben! Das ist nicht mal mehr ein Streich, sondern eine Straftat! Ich könnte euch deswegen von der Schule verweisen oder zumindest suspendieren!" Seit einer halben Stunde schrie sie die beiden schon zusammen, die immer wieder ihre absolute Unschuld beteuerten. "Eure tolle Konstruktion wird durch eine elektrische Sicherung gehalten, zu der wir nur mit eurem Schlüssel Zugang haben! Ich will, dass ihr den Schlüssel rausrückt!"

"Wir waren das nicht!", versicherte Naruto ihr erneut. Hinata brachte vor Angst kein Wort heraus. "Wir haben damit nichts zu tun! Diese Gesichter hätte jeder dort hinmalen können, der weiß, wie wir aussehen und das sind so ziemlich alle hier!"

Tsunade knallte ihre Hand auf den Tisch. "Ruhe! Hinata ist bei jedem beliebt, warum sollte ihr also jemand was anhängen und du bist ohnehin der Störenfried Nummer eins, also denke ich eher, dass du was damit zu tun hast, als dass du jemals bei sowas unschuldig bist! Darf ich dich an die Brotsache vor einem Jahr erinnern?"

"Das war ich, das gebe ich auch gerne zu, weil es wirklich lustig war, aber denken Sie echt, ich wäre so gewieft, um diese komplizierten Seildinger anzubringen? Das hätte ich niemals geschafft! Das wäre somit der Beweis, dass ich unschuldig bin!"

"Darum hast du Hinata angestiftet, dir zu helfen, nicht wahr?"

"Das ist nicht wahr! Ich würde sie niemals in so etwas hineinziehen!"

Tsunade wandte sich ihr zu. "Hinata, was hast du dir dabei gedacht?", blaffte sie sie an. Die Gescholtene zuckte zusammen und wandte den Blick ab. Plötzlich stellte sich Naruto schützend vor sie.

"Ich habe doch gesagt, dass sie nichts damit zu tun hat!"

"Also gut." Tsunade fasste sich an den Nasenrücken. "Ihr könnt von Glück reden, dass sich ein Rauswurf negativ auf unsere Statistik auswirkt. Ich werde euch nur Nachsitzen geben."

"Warten Sie!", unterbrach Naruto sie ernst. "Wenn Sie schon denken, dass ich es war, bestrafen Sie nur mich und nicht Hinata-chan. Es wird in ihrer Akte aufscheinen, wenn sie Nachsitzen muss. Außerdem haben Sie keine Beweise!"

"Natürlich habe ich Beweise! Ich glaube auch, dass es euch jemand anhängen wollen könnte aber erst brauche ich einen Gegenbeweis dafür. Wenn ich das so lasse, ohne jemanden dafür büßen zu lassen, bekomme ich Ärger mit dem Schulrat. Ich werde euch beiden Nachsitzen geben, aber bis eure Schuld nicht bewiesen ist, trage ich es euch nicht ein. Ich bin sehr großzügig damit, also solltest du deine Strafe vorerst akzeptieren und ruhig sein! Ihr werdet jeden Dienstag und Donnerstag von vier bis sechs sämtliche Klassensäle säubern! Und zwar bis drei Wochen nachdem der Schlüssel auftaucht! Und jetzt raus, bevor ich mich gezwungen sehe, euch zu suspendieren!"

Sie hatte so laut geschrien, dass Naruto panisch Hinatas Handgelenk nahm und sie mit sich hinaus zerrte.

Im Gang lehnte er sich einige Meter weiter seufzend an der Wand an, während Hinata sich ihrer wackeligen Beine wegen auf die Wartebank setzte. Sie traute sich noch immer nicht, etwas zu sagen.

"Vedammte Tsunade-obaachan! Ich war das wirklich nicht. Und du sicherlich noch weniger. Was denkt die sich dabei, uns ohne Beweise einfach so eine Strafe aufzubrummen? Und dann auch noch unter solch dummen Bedingungen. Welcher Schlüssel zum Teufel? Hinata-chan? Alles in Ordnung? Du siehst so blass aus."

Sie sah auf ihre Knie und nickte. "D-Danke, Naruto-kun."

"Für was denn?"

"Dass du mich verteidigt hast."

"Ach, nicht der Rede wert. Wir sollten uns schleunigst auf die Suche nach diesem Schlüssen machen, sonst werden wir noch nach unserem Abschluss Hausmeister sein! Da fällt mir ein, komm mal mit." Er nahm sie bei der Hand und zog sie eilig mit sich.

"N-Naruto-kun? Wo gehen wir hin? Die zweite Stunde beginnt bald!"

"Ich zeig dir die Vorteile von Tsunades Strafpredigten."

Er führte sie in den obersten Stock über eine schmale, steile Holztreppe empor und hinauf auf eine mittelgroße Dachterrasse, die sich zwischen den vielen Spitzdachteilen versteckt hatte.

"Wow! Ich wusste gar nicht, dass es sowas hier gibt!"

"Ja, es ist toll, nicht? Hier bin ich fast immer, nachdem ich in Tsunades Büro war. Es ist Sakura-chans und mein geheimer Ort. Zumindest war er das. Im ersten Jahr war die Tür noch abgesperrt, weil sie Bauarbeiten gemacht haben, danach blieb sie einfach immer offen. Wir haben ihn im zweiten Jahr entdeckt, als wir beim Nachsitzen die Putzkammer gesucht haben. Wir waren früher oft hier, wenn wir in Ruhe reden wollten oder uns vor dem Schulstress versteckten. Inzwischen kennen ihn viele und er ist nicht mehr so geheim wie anfangs." Er legte die Hand über die Augen, um sich vor der Herbstsonne zu schützen.

Hinata tat es ihm gleich. "Es ist wunderschön. Man sieht über das ganze Schulareal. Aber ich sollte nicht hier sein, wenn es Sakuras und dein Ort ist." In ihrer Stimme schwang Unsicherheit mit.

"Das geht in Ordnung. Wir haben einen Vertrag geschlossen, in dem steht, dass jeder jemanden den Ort zeigen darf, wenn es vertretbar ist. Da wir beide ziemlich in der Klemme stecken, dachte ich, dass dich der Ausblick vielleicht aufheitern könnte. Du sahst so deprimiert aus."

Sie wusste darauf nichts zu sagen, sondern errötete nur.

"Du kannst herkommen, so oft du magst, aber verrate keinem etwas von der Terrasse. Nicht viele kommen hierher, weil sie sie zwar kennen, aber einfach vergessen haben. Weißt du, als ich das erste Mal Nachsitzen bekommen hab, hatte ich wahrscheinlich genau denselben besorgten Ausdruck wie du in den Augen. Meine Eltern haben ihre Beziehungen spielen lassen, um mich auf diese Schule zu bekommen und ich fürchtete schon, sie enttäuscht zu haben. Aber dann kam ich hierher und damals sagte mir Sakura-chan etwas, das dir vielleicht auch helfen könnte, so wie es mir damals Mut gemacht hat."

"Naruto-kun…"

Er wandte sich ihr zu. "Das Leben ist nicht immer fair. Du bekommst oft etwas hingeworfen, das sich als Schwierigkeit herausstellt. Das passiert jedem. Den Gewinnern wie den Verlierern. Die Gewinner unterscheiden sich nur dadurch, dass sie diese Schwierigkeit als Chance sehen und etwas Gutes daraus machen." Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf. "Okay, das hat sie zu sich selbst gesagt und nicht zu mir, aber du weißt, auf was ich hinauswill, oder?"

"Ja. Danke, Naruto-kun. Vielen Dank."
 

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Truths And Trials


 

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Wie durch ein Wunder schafften alle die erste Zwischenprüfung und konnten sich sehr viel wichtigeren Dingen zuwenden, wie beispielsweise Shikamarus Geburtstag. Der war am zweiundzwanzigsten September, also Freitag dieser Woche. Shikamaru hatte ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er auf keinen Fall eine Geburtstagsparty haben wollte, weswegen er natürlich eine bekam. Normalerweise wurde die von Ino organisiert, die seit jeher die Frau für solche Dinge war, dem Schein halber erklärte sich Sakura jedoch bereit, die Party zu planen. Ino war schlecht auf Shikamaru zu sprechen, der ihr in letzter Zeit zu oft mit Sakura zusammen war. Ihre offizielle Ausrede war, dass sie selbst am nächsten Tag ebenfalls Geburtstag habe.

Die Party wurde ein voller Erfolg. Sie verlief zirka so wie jede Geburtstagsparty, die sie zuvor veranstaltet hatten. Sakura, Naruto, Hinata, Temari, Gaara, Ino und nicht zuletzt Shikamaru versammelten sich in Narutos Zimmer, der seine Räumlichkeiten immer bereitzustellen hatte. Deswegen war auch Sasuke mit von der Partie. Er hatte zwar verschwinden wollen, war aber von Naruto dazu gezwungen worden, hierzubleiben. Er bekam von Sakura mitsamt einem abgestumpften Blick ein Glas Sekt in die Hand gedrückt, den sie heimlich ins Wohnheim geschmuggelt hatten.

Binnen zwei Stunden hatten sich alle einen kleinen Schwips angetrunken und feierten eine rauschende Party; zumindest so rauschend, wie es auf zwanzig Quadratmetern für acht Leute sein konnte.

"Spielen wir Flaschendrehen!", schlug Ino irgendwann vor und warf Sasuke einen vielsagenden Blick zu. Dieser wich ihm gekonnt aus.

"Ino, wir sind keine fünfzehn mehr", tat Sakura den Vorschlag ab. Sie spulte auf der Stereoanlage ein Lied weiter nach vorne. "Wir könnten aber trotzdem irgendwas machen. Hat jemand eine Idee?"

"Blinde Kuh?", war Narutos Vorschlag.

"Monopoly!", warf Temari ein.

"Ich wäre für ein Trinkspiel." Alle Köpfe wandten sich dem Sprecher zu. Dieser verschränkte die Arme und hob die Augenbrauchen. "Was? Warum starrt ihr mich so an?"

"Niemals hätte ich gedacht, das mal aus deinem Mund zu hören, Brüderchen!", meinte Temari, stimmte aber nickend zu. "Die Idee ist gut. Ich wäre auch dafür. Wir müssen diese Flaschen sowieso loswerden, ehe sie jemand findet. Warum nicht mit System?" Der Vorschlag fand allgemeinen Anklang, doch Ino hatte eine Bedingung.

"Wenn wir das tun, kombinieren wir es doch mit Flaschendrehen! Wir spielen 'Wahrheit oder Alkohol'!"

"Das hast du gerade erfunden", murmelte Sakura.

"Ist doch egal. Das Spiel hat nur eine Regeln. Beantworte die Frage oder trink. Der Rest funktioniert wie Flaschendrehen."

"Ich wiederhole mich nur ungern, aber wir sind keine fünfzehn mehr", beharrte Sakura wenig begeistert. Sie fand Zustimmung. "Könnten wir nicht was anderes machen? Zum Beispiel einen Wettbewerb, wer am schnellsten ein Glas leeren kann?"

"Auf der Universität sind wir aber auch noch nicht", wandte Ino ein. "Ich finde mein Spiel gut. Wer ist dafür?" Zögerlich hoben sich ein paar Hände, die die absolute Mehrheit ergaben und es bildete sich ein Kreis.

"Das Geburtstagskind fängt an", bestimmte Sakura und schob die Flasche Shikamaru zu, der—wie inzwischen üblich—neben ihr saß.

"Von mir aus." Er drehte wenig motiviert die Flasche und beobachtete mehr oder weniger gespannt, bei wem sie wohl stehenbleiben würde. Es traf Naruto, der erschauderte. Was sollte Shikamaru ihn denn jetzt fragen? Noch ehe er sich etwas überlegen hatte können, flüsterte Sakura ihm etwas ins Ohr. Er nickte und wandte sich Naruto zu. "Du sagtest, dass Sasuke und du alte Freunde seid. Woher kennt ihr euch?"

Naruto seufzte erleichtert. Damit konnte er leben. "Unsere Väter waren befreundet. Nachdem mein Vater mit meinem Großvater gebrochen hatte, hielten sie den Kontakt. Sie gaben mit ihren Söhnen an, wie Väter das eben machen und brachten uns so zusammen."

"Nenn das nicht so", mahnte Sasuke beiläufig. "Wir sind kein Paar."

"Ihr wisst, wie ich das meine, oder?" Er warf Sasuke einen beleidigten Blick zu. "Wir sind ziemlich gute Freunde gewesen."

"Wir haben uns gehasst."

Naruto stieß seinem Nebenmann den Ellenbogen in die Rippen. "Wirst du mich wohl erzählen lassen? Warte, bis du dran bist! Jedenfalls verlor sich der Kontakt, nachdem Sasukes Familie nach Amerika gezogen ist. Darf ich jetzt drehen?" Shikamaru schob ihm die Flasche ein Stück zu und Naruto drehte eifrig. Sie blieb bei Ino stehen. "Ha!", triumphierte er. "Warum fährst du so auf Sasuke ab?"

"Weil er gut aussieht", war ihre knappe Antwort. Das war ein wenig enttäuschend, aber vorhersehbar gewesen, wenn man nicht Naruto war. Er musste sich mit der Antwort zufrieden geben und ließ Ino drehen. Sie betete, dass es Hinata treffen würde—und sie hatte Glück! "Wenn du mit jemandem aus dieser Runde ausgehen müsstest, wer wäre das?"

Hinata errötete, griff dann aber schnell zum Sektglas und leerte es in eiligen Zügen. "Ich bin dran." Sie musste hicksen, was allen ein böses Omen hätte sein sollen, aber welcher achtzehnjährigen Schüler dachten schon daran, dass Alkohol böse war?

Sie spielten weiter, bis nach einer halben Stunde immer noch zu viel Sekt da war, als dass man bis vor dem Morgengrauen damit durch sein konnte. Deswegen wurden die Fragen nun persönlicher und ekelhafter und im Nu war die Stimmung ausgelassener. Nachdem ein Streit um eine Fragestellung entbrannt war und man das System sowieso schon mit Füßen getreten hatte, weil sich seit der achten Frage keiner mehr auskannte, wer denn nun drehen durfte und welche Fragen zulässig waren, ließ man von dem Spiel ab und wandte sich wieder sinnfreien Konversationen zu, die aus dämlichen, aber unterhaltenden Geschichten bestanden.

"Dann hat die uns doch echt gedroht, uns von der Schule zu werfen!", brüskierte sich Naruto, dessen Wangen leicht vom Schwips gerötet waren. "Aber zum Glück hat sie es dann doch bei Nachsitzen belassen. Jetzt müssen wir nur noch diesen verdammten Schlüssel irgendwie abgeben! Dabei waren wir das gar nicht!"

Sakura, Ino und Temari kicherten hinter vorgehaltener Hand, auch wenn sie ein schlechtes Gewissen hatten. Sie standen etwas abseits vor Sasukes Bücherregal, um nicht gehört zu werden.

"Wir haben es vielleicht ein wenig übertrieben", meinte Temari.

"Vielleicht, aber sonst wären sie nie in die Puschen gekommen!", konterte Ino. "Wir hätten uns nur Vorwürfe machen müssen, wenn sie wirklich suspendiert worden wären. Aber Tsunade ist auf die Fördergelder der Hyūgas angewiesen, da wird sie die Tochter doch nicht mit sowas belangen. Das haben wir doch besprochen."

"Ich bin Temaris Meinung. Wir hatten Glück, dass es so glimpflich ausgegangen ist. Das nächste Mal müssen wir die Konsequenzen vorher bedenken, ehe wir zu weit gehen."

"Damit kennst du dich ja aus, nicht wahr?"

"Was soll das denn jetzt heißen?" Sakura sah Ino fragend an. Sie hatte die Vermutung, dass es etwas mit Shikamaru zu tun haben könnte, also versuchte sie, dem Thema auszuweichen. "Wie läuft es mit Sasuke?" Das war jedenfalls keine gute Alternative. Ino wandte plötzlich schlecht gelaunt den Kopf ab. "Tut mir leid, ich hätte nicht fragen sollen. Du solltest ihn aufgeben, genauso wie ich. Er macht uns alle nur unglücklich."

"Er macht jeden unglücklich, der in seiner Nähe ist", wandte Temari ein, wurde aber von Ino wütend unterbrochen.

"Ja, ich könnte mich ja einfach jemand anderem zuwenden!", zischte sie zynisch. "Naruto zum Beispiel. Jeder weiß, dass Hinata seit Jahren auf ihn scharf ist, aber ich könnte ihn mir doch schnappen. Scheint ja derzeit in Mode zu sein."

"Was ist dein Problem?", fauchte Sakura mit gedämpfter Stimme. "Wenn du was sagen willst, dann sag es, aber unterlass diese Andeutungen! Was passt dir denn nicht, hm? Ich dachte, du wärst mit Sasuke glücklich!"

"Du weißt genau, auf was ich hinauswill! Er gehört mir!"

"Wer, Ino? Wer?" Sakura dachte schon, sie würde es endlich zugeben und diese Farce beenden, doch da trat Shikamaru von hinten an sie selbst heran und nahm ihre Hand. Das war der Fehler seines Lebens; oder zumindest des Schuljahres. Ino ging mit verzogenem Gesicht weg, rempelte Sakura und damit auch Shikamaru im Vorbeigehen an und setzte sich neben Hinata, die mit Sasuke scheinbar um die Wette schwieg, während Naruto die beiden zutextete.

"Was war das denn eben?", murmelte Shikamaru, damit Temari es nicht hören konnte.

Sakura reckte ihren Kopf, damit sie ihm ins Ohr flüstern konnte: "Ein fataler Fehler. Wir sind jetzt übrigens offiziell ein Paar."

"Das wollten wir doch, oder?"

Sie erwiderte nichts. Das würde noch für einige Schwierigkeiten sorgen.

Die Stimmung der Party war gekippt, ebenso wie Hinata, die aus Nervosität alle paar Minuten einen Schluck des restlichen Sekts gemacht hatte. So war sie auf insgesamt zwei Flaschen gekommen, was sie schlichtweg hatte einschlafen lassen. Sie döste seit einer dreiviertel Stunde auf dem Fußboden vor Narutos Bett und war partout nicht dazu zu bewegen, aufzuwachen. Wann immer sie jemand schütteln wollte, drehte sie sich schmatzend um.

"So können wir sie nicht mitnehmen", entschied Temari schließlich. "Sie bleibt hier. Morgen ist Samstag, also wird es nicht auffallen."

"Ich könnte sie tragen", schlug Naruto vor.

"Mit einer Angetrunkenen auf dem Arm möchtest du zwei Stockwerke tief gehen? Wenn du die Stiegen hinunterfällst, könntest du ihr den Schädel einschlagen."

"Außerdem würdest du sie nicht heben können", fügte Sakura hinzu. "Ein bewusstloser oder schlafender Mensch hat keine Körperspannung, darum ist er viel schwieriger zu tragen. Temari hat Recht. Wir lassen sie hier ausschlafen. Pass nur auf, dass du nicht auf sie drauftrittst, wenn du morgen aufwachst, Naruto."

"Mach dir darüber keine Sorgen, Sakura-chan. Gute Nacht."
 

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Hinata erwachte am nächsten Morgen mit einem mulmigen Gefühl in der unteren Magengegend. Sie öffnete langsam ein Auge und starrte einige Sekunden die weiße Decke über ihr an. Sie hätte ihr Leben darauf verwettet, in ihrem Bett zu liegen, obgleich sie nicht wusste, wie sie dahin gekommen sein sollte, doch als sie plötzlich ein Schnarchen vernahm, schreckte sie auf. Mit geweitete Augen fuhr sie auf, ließ sich aber gleich wieder zurückfallen, als ihr schwarz vor Augen wurde. Ein leidvolles Stöhnen entwich ihrer Kehle, dann verebbte das Schnarchen und ging in ein Murmeln über.

"Hinata-chan?"

"N-Naruto-kun!" Sie fuhr erneut auf, diesmal ohne wieder umzufallen. Reflexartig krallte sie sich in ihre Decke. "W-Was machst du in meinem Zimmer?"

"Ich sag es dir ja nur ungerne, aber das ist nicht dein Zimmer."

Sie sah ihn unendlich lange ungläubig an, als wäre er von allen guten Geistern verlassen, ehe sie den Blick im Zimmer umherschweifen ließ. Eindeutig, das war nicht das Zimmer 215. Sie lag auf der falschen Seite und Temaris Bereich sah merkwürdig kahl und kühl aus—und vor allem so ordentlich!

"Oh!", rief sie bestürzt und stand ruckartig auf. Dabei wurde ihr wieder schlecht und sie kippte vornüber. Naruto fing sie geistesgegenwärtig auf.

"Alles in Ordnung?", fragte er besorgt, nachdem er sie aufgerichtet hatte. Sie klammerte sich haltsuchend an den Ärmel seines Shirts. Ein leichtes Nicken war ihre Antwort, aber loslassen traute sie sich noch nicht. Mit vorgehaltener Hand versuchte sie etwas zu sagen, doch ihr wurde erneut schlecht. Sorgsam setzte er sie auf sein Bett. Zum Glück war Sasuke jetzt nicht da, um dumme Kommentare abzugeben.

"Es tut mir leid, Naruto-kun", wisperte sie schuldbewusst. Sie wäre am liebsten vor Scham im Erdboden versunken.

"Mach dir keinen Kopf", munterte er sie grinsend auf. "Ich hab das auch mal durchgemacht. Damals, bei Sakura-chans siebzehntem Geburtstag, weißt du noch? Ich bin am nächsten Tag auf dem Fußballfeld aufgewacht und rätsel noch immer, wie ich dorthin gekommen bin."

"Ich muss jetzt gehen." Sie befreite sich aus seinem stützenden Griff und rannte auf wackeligen Beinen aus dem Zimmer. An den Stiegen rannte sie beinahe einen Lehrer um.
 

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"Hinata!"

Sie reagierte gar nicht erst auf die gleichzeitigen besorgten Rufe ihrer beiden Freundinnen, sondern hechtete sofort ins Badezimmer. Es vergingen Minuten, ehe sie sich traute, herauszukommen. Mit einem Glas Wasser und einem Handtuch setzte sie sich seufzend aufs Bett—diesmal in ihres. "Falscher Alarm", murmelte sie. "Ich dachte schon, ich müsste mich übergeben."

"Hast du so viel getrunken?", fragte Sakura. "Ich hab gar nicht mitbekommen, dass du so zugelangt hast."

"Ich auch nicht", erwiderte sie. Erschöpft strich sie sich die Stirnfransen aus dem Gesicht und band sich die restlichen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. "Das war ja so peinlich. Ich bin Naruto-kun direkt in die Arme gefallen und er musste mich auffangen, als ich das Bewusstsein beinahe verloren hatte. Es hätte nicht mehr viel gefehlt, bis ich mich auf um übergeben hätte."

"Das wäre in der Tat peinlich gewesen", pflichtete Temari ihr bei. "Ist er auch nicht auf dich getreten?"

"Wieso hätte er das tun sollen? Ich lag in seinem Bett, als ich aufwachte. Da wäre es schon ziemlich seltsam gewesen, wenn er auf mich gestiegen wäre."

"Wie bist du denn in sein Bett gekommen? Als wir gingen, lagst du auf dem Boden."

Hinata hob fragend eine Augenbraue. Sie konnte sich schemenhaft daran erinnern, dass jemand sie hochgehoben hatte. Es waren mehrere Personen gewesen; vermutlich zwei. Sie hatten sich gestritten und sich Beleidigungen an den Kopf geworfen. "Ich habe keine Ahnung", sagte sie schließlich. Vielleicht hatte sie das ja auch nur geträumt. "Wo ist Ino?" Sakura zischte missmutig, woraufhin Temari das Antworten übernahm. "Sie ist sauer, weil Sakura jetzt scheinbar mit Shikamaru zusammen ist", sagte sie skeptisch, als würde sie es nicht ganz glauben können. "Wir werden sie wohl einige Tage nicht mehr zu Gesicht bekommen, bis sie sich wieder beruhigt hat."

"Ist das wahr? Du bist mit Shikamaru-kun zusammen?", wiederholte Hinata. Ihre Freundin nickte trocken. "Das kann ich nicht glauben! Wie kommt das? Ich meine, dass ihr euch sehr gut versteht, war nicht zu übersehen, aber seit wann seid ihr ineinander verliebt?" Sakura zuckte mit den Schultern. Mehr hatte sie dazu nicht zu sagen.

"Du bist nicht die einzige, der das seltsam vorkommt, Hinata", meinte Temari. "Ich glaube es ja selbst noch nicht. Aber wir müssen es wohl anerkennen, so wie es aussieht. Ino wird sich schon wieder beruhigen. Sie hat Shikamaru doch schon vor Ewigkeiten den gedanklichen Laufpass gegeben. Sie ist nur eifersüchtig, dass Sakura ihn rumgekriegt hat und sie nicht."

"Das ist nicht nett von dir", tadelte Hinata. Gleichzeitig hielt sie sich die Hand vor den Mund, weil sie dachte, ihr würde gleich etwas Unliebsames hochkommen. Sie unterdrückte den Brechreiz beinahe wie ein Profi und fuhr fort. "Jeder weiß, dass Ino ihn nur nicht ansieht, weil sie total in ihn verliebt ist."

"Ich stehe dabei trotzdem auf Sakuras Seite. Wenn Ino ihn behandelt, als wäre er Abfall, sollte sie keiner anderen Vorhaltungen machen, wenn er sich ihr statt ihr selbst zuwendet. Ino ist selbst schuld. Vielleicht sieht sie endlich ein, dass ihre Art nicht überall auf Gefallen stößt."

"Ruhe jetzt", gebot Sakura ihnen Einhalt. "Das ist eine Sache, die nur mich, Shikamaru und Ino etwas angeht. Temari, danke für deine Loyalität, aber ich bekomm das auch alleine hin. Und Hinata, du hast vielleicht recht mit deinem Einwand, aber Ino darf sich trotzdem nicht wundern, dass sie mit ihrer zickigen Art ihm gegenüber das Gegenteil ihrer Wünsche erreicht. Könnten wir jetzt bitte über etwas anderes reden?"

"Schon gut, reg dich ab", sagte Temari halblaut. Sie wandten sich einem minderinteressanten Gespräch über die Wahlfächer zu, die ab Montag den Großteil ihres Stundenplans ausfüllen würden.

Der Montag kam, ohne merkenswerte Ereignisse vor sich hingeschoben zu haben. Ino sprach nicht mehr mit Sakura und dieser war es bald zu blöd, die karge Gunst oder gar Vergebung ihrer Freundin erringen zu wollen. Sie schwiegen sich an. Die aufkommende Entfremdung fand ihren Höhepunkt darin, dass Ino freiwillig von dem Vorhaben abließ, bei der Schülersprecherwahl zu kandidieren, welche am heutigen Tag stattfinden sollte. Aus Zorn zerriss sie alle Präsentationstafeln, alle selbstgemachten Banner und alles, was auch nur im Entferntesten damit zu tun hatte und zog als Gipfel ihrer Destruktionswut die Kandidatur ihrer Partei aus freien Stücken gänzlich zurück. Es war demnach keine Überraschung, als beim Mittagessen in der Mensa—in der die Vorrichtung inzwischen von Spezialisten entfernt worden war—über Lautsprecher verkündet wurde, dass nun Yoshida Karin aus der vierten Klasse die neue Schülervertreterin war.

"Soll sie doch", zischte Ino. Obwohl die Stimmung zwischen ihr und Sakura angespannt war, hielt sie das nicht davon ab, weiterhin auf ihrem üblichen Tisch zu Mittag zu essen, wenn auch mit gebührendem Abstand zu Sakura und Shikamaru, das neue Traumpaar in ihrer Runde. Es war hässlich mit anzusehen für sie, wie er bereits am ersten Tag ihre Schulbücher trug, ihr das Essenstablett zum Tisch brachte und ihr immer wieder diese Blicke zuwarf. Es tat ihr weh und dieser Schmerz äußerste sich in extremer Missgelauntheit.

"Was ist nun schon wieder dein Problem, Ino?", fragte Temari über den Tisch hinweg, an dem kaum gesprochen wurde. Sie saß neben Sakura. "Du hast unsere Kandidatur zurückgezogen, und dass Eto Megumi gegen sie nicht ankommen kann, war doch wohl klar. Es interessiert sowieso keinen, wer Schulsprecher ist."

Ino wandte sich beleidigt ihrem Essen zu, in dem sie lustlos herumstocherte. Sakura ging es nicht anders. Sie hatte noch kein einziges Mal von ihrer Reisschale aufgesehen. Schlussendlich stand sie auf und nahm das Tablett. "Mir ist der Appetit vergangen. Ich gehe in die Bibliothek lernen, bevor Biologie anfängt. Temari?"

Diese verstand die Aufforderung. "Ich komme mit. Ich muss noch was für Marktforschung nachschlagen. Anko-sensei ist echt fies, wenn man diese ganzen Daten nicht auswendig weiß."

"Wir sehen uns dann später in Biologie. Shikamaru, Naruto." Sie nickte ihnen zu und ging dann gefolgt von Temari aus der Mensa.

"Man erstickt förmlich an der dicken Luft hier", nuschelte Naruto in sein Essen. "Was haben die bloß?"

"Vergiss es einfach", sagte Ino scharf und verließ ebenfalls wortlos den Tisch. Hinata folgte ihr mit besorgtem Blick.

"Das ist wirklich äußerst seltsam", stellte Gaara fest, als er den beiden hinterher sah. "Sakura und Ino streiten andauernd, aber Temari und Hinata? Sie scheinen ernsthafte Probleme zu haben. Ich fürchte, es hängt mit deiner Beziehung zu Sakura zusammen, Shikamaru."

"Und wenn schon. Ino soll sich nicht so aufspielen. Sie macht mich seit Jahren runter, da sollte sie froh sein, dass ich es ihr nicht nachtrage. Ich bin nicht ihr Schoßhündchen, das sie schelten und dann kraulen kann."

"Reg dich wieder ab", wehrte Gaara ab. "Ich gebe dir vollkommen recht, Ino verhält sich kindisch. Aber wenigstens hat sie endlich von Uchiha abgelassen. Das war ja nicht mehr zu ertragen."

"Ich sitze übrigens noch hier", bemerkte Sasuke trocken. Er hatte es weniger gerne, wenn man vor ihm sprach, als wäre er nicht anwesend. "Mal im Ernst, Shikamaru, was findest du an dem Mädchen? Sakura ist nervig und laut und sie spielt mir seit Wochen vor, dass sie mich hasst, obwohl dem nicht so ist. Das ist im Gegensatz zu Ino noch kindischer."

"Dich hat niemand nach deiner Meinung gefragt", sagte Shikamaru ungerührt, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. "Was ich an Sakura finde, ist alleine meine Sache. Du wolltest sie nicht, also sei lieber froh, dass sie dich nicht mehr belästigt."

"Du musst nicht gleich böse werden. Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass du wirklich in sie verliebt bist. Ihr wirkt irgendwie nicht wie ein Paar. Aber vielleicht täuscht mich meine Eingebung."

"Ich muss mich nicht vor dir rechtfertigen, wie ich meine Beziehung führe. Misch dich nicht in Angelegenheiten ein, die dich nichts angehen, verstanden?"

"Leute, hört jetzt auf!", ging Naruto dazwischen, der den Schlagabtausch die ganze Zeit stumm beobachtet hatte. "Schlimm genug, dass unsere Mädchen miteinander im Clinch liegen, da müssen wir uns doch nicht auch noch wegen etwas in die Haare kriegen, das völlig unerheblich für die Gesamtsituation ist! Wenn Sakura-chan mit Shikamaru zusammen sein möchte, dann sollten wir ihr dieses Glück gönnen, egal aus welchen Gründen sie es für sich beansprucht."

Shikamaru und Sasuke sahen sich noch ein paar Momente böse an, dann stand ersterer auf. "Biologie fängt gleich an. Naruto, wir sollten langsam gehen. Kurenai-sensei kommt im Gegensatz zum Rest der Lehrer immer pünktlich."

"Klar." Er schlang den Rest seiner Mahlzeit herunter und folgte Shikamaru. Gaara verließ den Tisch wenige Augenblicke darauf.

"Das nenn' ich mal Talent, Leute zu vergraulen", vernahm Sasuke plötzlich eine weibliche Stimme hinter sich, nachdem alle außer ihm selbst aus der Mensa verschwunden waren.

"Karin. Was willst du?"

"Nichts Bestimmtes. Ich frage mich nur, ob die dieses Talent häufiger einsetzt. Das würde dann wohl auch erklären, wieso du immer alleine unterwegs bist."

"Ich habe sie nicht vergrault. Es hatte andere Gründe."

"Ja, wie auch immer", wechselte sie desinteressiert das Thema. "Da ich die Wahl gewonnen habe, feiern Suigetsu und ich heute Abend eine kleine Party. Ich dachte mir, dass du vielleicht auch kommen möchtest, falls du nicht mit deinen Loserfreunden beisammen sein möchtest."

"Danke, aber nein", lehnte er wenig begeistert ab. "Ich bin kein Partymensch und die Feier von Samstagabend hat mein Pensum für diesen Monat vollkommen ausgeschöpft."

"War nur gut gemeint." Dann war sie weg. Sasuke sah ihr nach, wie sie unbeschwert wegging, als wäre nichts gewesen. Kein Versuch, ihn zu überreden, keine unterdrückten oder auch nicht unterdrückten Heulkrämpfe, kein Gestottere, keine Phrasen. Sie war gekommen, hatte gesagt und war wieder gegangen. Warum konnten nicht alle Mädchen so sein wie sie?

Sasuke mahnte sich, seine Gedanken lieber nicht so bedeutungsvoll zu formulieren. Das hörte sich beinahe an, als würde er sie wirklich mögen. Nein, das tat er nicht. Sie war nur das geringere Übel im Vergleich zum Rest der Menschheit, aber dennoch keine Gesellschaft, die er unbedingt anstrebte. Alleinsein lag ihm eindeutig mehr. Das dachte er zumindest zu diesem Zeitpunkt. Wie gründlich er sich irrte, würde ihm erst später bewusst werden.
 

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Aims And Allusions


 

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Sasuke konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Nicht etwa, weil ihm so viele Gedanken durch den Kopf schwirrten, wie es bei manch anderem nach dem heutigen Tag der Fall war, sondern weil vom Zimmer schräg gegenüber ein mächtiger Lärm in Form eines furchbaren Liedes durch eine Tür, über den Gang und durch die nächste Tür direkt in sein Ohr und damit sein Gehirn drang, das angesichts dieser Musik keine Ruhe fand. Er hatte schon immer einen sehr leichten Schlaf gehabt, der durch jedwede Form von Störung ein jähes Ende oder erst gar keinen Anfang fand, darum war ihm seine nächtliche Stille sehr wichtig. Aber jemand störte sie und zwar gewaltig—seit drei Stunden!

Um neun Uhr hatte er sowieso noch nicht schlafen wollen, aber er hatte sich nicht ausreichend auf seine Hausaufgaben konzentrieren können, die er heute unbedingt fertig bekommen hatte müssen. Narutos Anfeuerungsversuche an seinen Avatar eines seltsamen Konsolenspiels waren noch weniger förderlich für seine Konzentration gewesen. Es war sogar soweit gegangen, dass er die Hausaufgaben beiseite gelegt und mitgespielt hatte—er war hinter der erwachsenen Fassade eben doch auch nur ein achtzehnjähriger Junge. Nachdem Naruto ihn mit simplem Knöpfeschlachten fertig gemacht hatte, hatte er schnell die Lust daran verloren. Wenn es etwas gab, das Uchiha Sasuke nicht ertragen konnte, dann waren das nervende Mädchen und verlieren! Er hatte sich wieder an seine Hausaufgaben gesetzt, die noch immer durch die Musik gestört worden waren. Das hatte er noch mit kontrolliertem Gleichmut ertragen.

Um zehn hatte das schon etwas anders ausgesehen. Entweder spielten sie ein Lied in der Endlosschleife, oder sämtliche Popmusik, die diese Störenfriede dort drüben auf Lager hatten, klang gleich. Wie konnte man seine Ohren freiwillig so etwas aussetzen? Das war Folter! Da Hausaufgaben unmöglich waren, war er schlafen gegangen.

Das war vor einer Stunde gewesen und er lag noch immer mit weit geöffneten Augen hellwach im Bett, von wo aus er seine äußerst interessante Decke beobachtete. Irgendwann hatte er dann festgestellt, dass die Musik nicht nur grauenerregend war, sondern auch Halluzinationen hervorrief, wenn man sie nur lang genug hörte. Er hätte schwören können, den Schatten eines Schweins auf der Decke zu sehen. Danach hatte er sich nur mehr darauf konzentriert, Schatten zu sehen, die die großen Buchen und Eichen vor seinem Zimmer auf die Decke warfen.

Dieses mentale Bingo spielte er nun schon seit einer dreiviertel Stunde und als er allen Ernstes plötzlich einen telefonierenden Pavian gesehen hatte, riss ihm der Geduldsfaden. Er schwang wütend seine nackten Beine aus dem Bett und stapfte mit schweren Schritten auf den Gang zum Zimmer, aus dem dieser Horror kam. Dass er nur eine schwarze Boxershorts und ein Tank Top anhatte, störte ihn keineswegs.

Er blieb einen Moment vor der Türe stehen. Vorsichtshalber biss er sich auf die Lippen, um nicht auszurasten. Nachdem er sich gesammelt hatte, klopfte er gegen die Zimmertür, wobei er sich stark zusammenreißen musste, selbige nicht einzutreten. Er hörte Stimmengewirr, dann wurde die Anlage leiser gedreht und die Türe geöffnet.

"Ja?", fragte ein Junge mit weißblauem Haar. Hinter ihm auf seinem Bett saß Karin, die aufstand und zu ihnen ging, als sie Sasuke entdeckte.

"Sasuke, was gibt's?" Er musterte sie einen Augenblick. Sie tat dasselbe. Der Grund dafür war, dass sie beinahe dasselbe anhatten, nur dass ihre schwarzen Hotpants um einiges enger und kürzer waren und ihr Tank Top ihren überraschend großen Busen sehr hervorhob. Ob sie was mit Suigetsu hatte? Karin verzog überrascht den Mund. Sie hatte unter der weiten Schuluniform ja einige Muskeln vermutet, aber das enge Oberteil strich jeden Zug davon vorteilhaft hervor. Ihr Blick wanderte über seine Brust bis hinunter zu den Schienbeinen und dann wieder hoch, wo sie ihm neckisch ins Gesicht sah. "Ich fühle mich geschmeichelt, dass du deine Bewunderung für mich dadurch zum Ausdruck bringst, dass du meine Mode kopierst."

"Sehr witzig. Ich bin hier, um euch zu sagen, dass diese Musik mir Schmerzen bereitet. Physische wie psychische. Ich sah Paviane telefonieren."

"Sorry, Sasuke", sagte sie ungläubig, "aber das kommt wohl kaum von der Musik. Aber das, was du genommen hast, hätte ich auch gerne."

"Das war kein Scherz. Der Schatten an meiner Decke sah aus wie ein telefonierender Pavian."

"Schon gut, ich glaube dir", meinte sie wenig überzeugt. Als würde er sie nerven. Und das nervte ihn. Und dass es ihn nervte, nervte ihn noch mehr. Ein Teufelskreis. Verdammt. "Wenn es weiter nichts ist, dann gute Nacht und viel Spaß mit deinem Pavian." Sie schloss die Türe und zeigte ihm beim Zumachen den Vogel gerade noch rechtzeitig, damit er die Andeutung davon sehen konnte.

"Was soll das, Karin?", wollte Suigetsu wissen. "Ich dachte du wolltest, dass er herkommt?"

"Alles Teil des Plans. Warte einfach kur—siehst du?" Es hatte erneut geklopft und sie setzte wieder ihre genervte Miene auf, als sie öffnete. Missmutig lehnte sie sich am Türrahmen an. "Was denn noch?"

"Könntet ihr die Musik vielleicht endlich leiser drehen? Ich kann unmöglich schlafen."

"Nein. Wir feiern hier unseren Sieg."

"Dreht das leiser, oder ich mach es."

"Jetzt hab ich aber Angst." Bevor sie noch etwas sagen konnte, packte er sie bei den Schultern, drängte sie zur Seite und ging strammen Schrittes in das Zimmer auf der Suche nach diesem unsäglichen Lärmmacher. Er fand ihn am obersten Regal über dem Schreibtisch, an das er unmöglich rankommen würde. Also suchte er nach einer Fernbedienung oder etwas in der Art.

So cool es auch ausgesehen hatte, wie er ins Zimmer gestürmt war, so peinlich war es nun, dass er ziellos darin herumstreifte und einiges an Epik einbüßte.

"Suchst du das?", fragte Karin süffisant und zeigte mit ihren manikürten Fingern auf eine kleine Fernbedienung, die sie lässig von Hand zu Hand warf. Dann drehte sie unaufgefordert leise. Suigetsu hatte inzwischen die Türe geschlossen. "Danke, Karin, gern geschehen. Das sagt man normalerweise. Willst du was anderes hören? Ich mag Pop, aber ich bin Rock oder Metal auch nicht abgeneigt."

"Du lässt mich nicht mehr gehen, oder?", meinte Sasuke zweifelnd.

"Möchtest du denn gehen?", war ihre Gegenfrage, immer noch in diesem süßlichen Tonfall. Er hatte keine Wahl, also ergab er sich und setzte sich auf den Schreibtischstuhl neben dem linken Bett. Karin warf sich schwungvoll aufs Bett, gefolgt von Suigetsu, der sich gemächlicher neben ihr niederließ.

"Wo ist denn dein Mitbewohner?"

"Ich hab keinen", erklärte Suigetsu. "Es hat einige Verschiebungen gegeben. Dabei sind wohl ein paar Akten abhanden gekommen, weswegen unabsichtlich vergessen wurde, dass mein Mitbewohner das Zimmer gewechselt hat." Für Sasukes Ohren klang es nicht allzu unabsichtlich.

"Soll heißen, ihr habt da was gedreht?" Die beiden nickten, als wäre das nichts Besonderes. "Interessant. Ich dachte, dass es nur in den Staaten solche Schiebungen und Verschwörungen in der High School gibt."

"Weit verbreitetes Vorurteil", gab Karin ihm zu verstehen. "Japanische Schulen sind eigentlich viel schlimmer, nur wird bei uns nicht so viel Furore drum gemacht, weil die Schulen es geheim halten. Solche Sachen schaden dem Ruf nämlich ungemein, was die betroffene Schule im Rang herabsetzt und das wiederum kürzt die Fördergelder vom Staat."

"Und das ist interessant, weil…?"

"Weil es Information ist. Jede Art von Information kann mal wichtig sein. Wenn du das System verstehst, kannst du es zu deinen Gunsten ändern. Wie sagte schon einst Francis Bacon? Wissen ist Macht und Macht verschafft Vorteil. Der letzte Teil stammt übrigens im Original von mir."

"Also seid ihr die Bösen?", resümierte Sasuke.

"Nur die mit dem Vorteil", verbesserte Karin. Beim letzten Wort drückte sie den Knopf zum CD-Wechsel. "Ist amerikanischer Rock besser als japanischer Pop?"

"Ja. Damit kann ich leben, wenn schon nicht schlafen."

"Das hier ist doch besser als Schlaf, oder?"

Sasuke erwiderte nur ein unmöglich zu deutendes, selbstgefälliges Grinsen. Vielleicht war das ja wirklich besser als Schlaf.
 

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Der nächste Tag begann sehr unausgeschlafen für Sasuke. Er war erst in den frühen Morgenstunden ins Bett gekommen und hatte insgesamt vielleicht zwei, höchstens drei Stunden geschlafen. Karins und Suigetsus Gesellschaft waren überraschend angenehm gewesen und hatten ihm sogar Spaß gemacht. Sie flippten nicht aus, wenn sie ihn leicht bekleidet sahen, machten sich nichts aus seinem Nachnamen und gaben im ordentliches Kontra. Er mochte solche Leute, die ihm nicht ständig Honig ums Maul schmierten. Er war kein Fan von Süßkram.

Aus erstgenanntem Grund ließ Sasuke an diesem Dienstag das Frühstück aus. Er wollte wenigstens eine halbe Stunde länger schlafen und wenn er so todmüde war, brachte er sowieso nichts hinunter. Dass er sich so entschieden, war seiner Nerven Glück, denn hätte er nicht absichtlich verschlafen, wäre er Zeuge einer äußerst angespannten Beichte geworden und das hätte ihm schon mal den Tag vermiest.

Sakura und Ino sprachen immer noch nicht miteinander, weswegen das Frühstück neuerdings immer sehr still war. An diesem Morgen allerdings fehlten Sasuke, Naruto und Gaara, was die ganze Sache um noch eine Ecke schweigsamer machte. Naruto wurde sonst immer von seinem Mitbewohner, egal wer das gerade war, aus dem Bett gezerrt, damit er rechtzeitig aufstand, aber da Sasuke ja heute das Frühstück schwänzte, blieb auch Naruto aus. Gaara war laut seiner Schwester wegen einer leichten Grippe nicht zugegen. Shikamaru oblag es also ganz alleine, die vier Mädchen bei Laune zu halten, was ihm nicht gelingen mochte, da er keine Ahnung von solchen Dingen hatte, mehr noch, diese Dinge auch gar nicht mochte.

Es kam, wozu es kommen musste; es entwickelte sich ein Gespräch zwischen den vier Damen der fünfköpfigen Runde, da keine diese absolute Stille lange ertragen konnte. Temari machte dabei den Anfang.

"Wie war's gestern in Biologie, Sakura?"

Diese biss deprimiert von ihrem Toast ab. "Hoffentlich nur halb so schlimm wie es heute in Physik sein wird. Die erste Stunde haben wir nur Theorie gemacht, aber danach ging es an die Experimente. Ich bin normalerweise sehr geschickt mit dem Mikroskop, aber irgendwie war nicht mein Tag. Ich hab zwei Glasträger und acht Deckplättchen ruiniert. Dann ist mir mein Wasserkäfer unter der Linse zerplatzt, weil ich die Auflösung zu hoch eingestellt hab. Der zweite ist dann an Vertrocknung krepiert, weil durch die hohe Lichteinstellung die Hitze zu groß wurde. Ich hab die ganzen zwei Stunden über nichts Anständiges auf die Reihe gebracht."

"Hättest du es lieber Shikamaru machen lassen sollen", murmelte Ino in ihre Kaffeetasse. "Er ist sicherlich ein hervorragender Laborpartner."

Sakura wandte sich ihr zu. Da stieg schon wieder die Wut, aber sie unterdrückte sie. "Zu deiner Information, Ino, mein Laborpartner ist Naruto. Und der hat noch weniger zustande gebracht als ich, was nicht viel heißen mag, aber unserer Bewertung trotzdem nicht zum Vorteil gereicht hat."

"Warum seid ihr zwei nicht in einer Gruppe?", fragte sie überrascht.

"Weil, liebste Ino", fauchte Sakura, die über diese Selbstverständlichkeit, mit der Ino es angenommen hatte, nicht gerade erfreut war, "Naruto mein bester Freund ist und wir solche Arbeiten seit der ersten zusammen machen. Ohne meine Hilfe würde er sicherlich durchfallen, weil kein anderer blöd genug ist, um ihm am Ende abschreiben zu lassen, ohne dass er wirklich nützlich war."

"Ah", machte Ino und ließ das Thema fallen. Es schien ihr aber ein wenig die momentane Boshaftigkeit auf Sakura genommen zu haben, denn sie sprach in freundlicherem Tonfall weiter. "Wo ist Naruto überhaupt?"

"Wird wohl mal wieder verschlafen haben. Sasuke ist auch nicht da. Umso besser. Er ist der letzte Mensch auf Erden, den ich so früh am Morgen schon sehen möchte." Das war gelogen. "Am liebsten wollte ich, er würde die Schule wechseln." Auch das war gelogen. "Er kann ja so nerven." Und letztendlich war auch das noch gelogen.

Temari und Hinata pflichteten ihr entschieden nickend zu. Die beiden hatten ihn von Anfang an nicht gemocht. Auch Shikamaru stimmte zu.

"Nicht jeder kann so ein Glück haben, in Naruto verliebt zu sein", fuhr Sakura fort. Hinata errötete—mal wieder—merklich und stammelte etwas davon, das bitte nicht vor Shikamaru zu besprechen. Dass Sakura gerade nicht sprach wie eine frisch Verliebte, fiel keinem auf. "Shikamaru interessiert das sowieso nicht, oder?" Er nickte zustimmend. "Ihr werdet ein schönes Paar abgeben, wenn du endlich deine Chance nutzt."

Hinata blieb das Essen im Hals stecken. "C-Chance?", stammelte sie. "Was meinst du damit?"

Sakura winkte ertappt ab. "N-Nichts! Ich dachte nur, dass es vielleicht ganz gut ist, dass ihr beide nachsitzen müsst, mehr nicht!"

"Dass es gut ist?", wiederholte Hinata ungläubig. Sie war naiv, kein Zweifel, aber dumm ganz sicher nicht. Langsam dämmerte es ihr. "Das ward ihr? Ihr habt das alles eigefädelt! Darum war Temari die ganzen Nächte weg—weil sie bei euch war, um das zu planen!" Ihre Stimme hatte sich merklich erhoben, weswegen sie einige Schüler der Nachbartische bereits anstarrten.

"Nicht so laut, Hinata!", flehte Sakura. "Es tut uns ja auch leid! Aber es geschah in bester Absicht!"

"In—in bester Absicht?" Sie sprang erregt hoch. Ihre hellen Augen glühten vor Entsetzen. "Ich hätte suspendiert werden können, sogar von der Schule fliegen können! Wenn ich auch nur ein bisschen weniger Glück gehabt hätte, wäre dieser Vorfall in meiner Schulakte vermerkt worden! Wisst ihr eigentlich, was ihr da getan habt? Sowas nennt sich Freundinnen?"

"Hinata, bitte, hör doch zu", bat Temari. "Wir hätten alles aufgeklärt, wenn es schlimmere Konsequenzen gehabt hätte, als nur Nachsitzen mit Naruto. Denk doch daran, was du in dieser Zeit erreichen könntest! Du bist immer so schüchtern, da wollten wir nachhelfen! Wir wollen, dass du glücklich bist!"

"Habt ihr ja toll geschafft", rief sie und knallte ihre kleine Hand auf den Tisch. Seltsamerweise ergab die so sanft aussehende Bewegung einen lauten Knall. Nun war die ungeteilte Aufmerksamkeit auf der Szene. Das erschütterte Hinatas schüchternes Naturell dann doch und sie setzte sich wieder hin. Ihr Zorn war allerdings noch nicht verraucht, mehr noch hatte er sich in Entsetzen verwandelt.

"Glaub uns, Hinata, es tut uns leid", wiederholte Sakura ernst. Sie langte nach ihrer Hand. Shikamaru hatte sich indes unbemerkt aus dem Staub gemacht. "Wir hätten es wirklich aufgeklärt, wenn es zur Suspendierung gekommen wäre."

"Spart euch das. Ich will euch nicht mehr sehen." Sie stand auf und ließ ihr halbleeres Tablett einfach stehen. Mit großen Schritten rauschte sie aus der Mensa. Dies war der erste und einzige Tag, an dem Hyūga Hinata den Unterricht schwänzte.
 

Zu ihrer Strafe um fünf trat sie dennoch an. Naruto konnte immerhin nichts dafür, dass ihre sogenannten Freundinnen sie so übel betrogen hatten. Er war am allerwenigsten schuld; da noch eher sie, weil sie ständig so ein Theater um ihn machte. Vermutlich ging sie den anderen damit gehörig auf die Nerven, zumal keiner, der seines Augenlichts mächtig war, an Narutos Vorliebe für sie zweifeln konnte, wann immer er Gelegenheit hatte, diese zu zeigen.

"Du hast ja schon angefangen", stellte Hinata überrascht fest, als sie das erste Klassenzimmer des Gangs betrat, dessen Türe geöffnet war.

"Aber erst vor einer Minute. Ich bin hier vorne mit Sesselraufstellen fertig, da kannst du schon aufwischen. Ich stell die restlichen inzwischen auf die Tische. Ist das okay für dich? Hinata-chan? Du siehst deprimiert aus."

Erst jetzt bemerkte sie, dass sich eine kleine Träne in ihren Augenwinkel gestohlen hatte. Sie wischte sie schnell weg. "Es ist nichts. Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit heute früh."

"Ging es wieder um Neji?" Sie schüttelte den Kopf und nahm den Besen auf, um den vorderen Bereich zu kehren. "Ich hab sowieso nie ganz verstanden, warum ihr nicht mit ihm redet."

"Das ist, weil wir verlobt waren."

"B-Bitte was?", prustete Naruto. Er hatte ja mit vielem gerechnet, aber eine Verlobung? Warum hatte er das damals nicht mitbekommen? Sowas musste doch bekannt sein.

"Es klingt schlimmer, als es eigentlich ist."

"Aha. Und das wäre?", hakte er interessiert nach, verrichtete aber weiterhin seine Arbeit, um nicht untätig rumzustehen. Hinata nahm sich ein Beispiel daran, während sie erzählte.

"Neji-niisan ist, wie du weißt, mein Cousin. Unsere Väter waren Zwillinge. Als mein Vater krank wurde und eine Nierentransplantation brauchte, erklärte sich sein Bruder natürlich sofort dazu bereit, ihm eine seiner Nieren zu geben. Die Erfolgschancen waren gut, doch bei seiner Operation gab es Komplikationen. Sie konnten die Niere meines Onkels retten, aber nicht sein Leben. So überlebte mein Vater an dem Tag, an dem sein Zwillingsbruder für ihn sein Leben gab. Das war vor vielen Jahren, als Neji-niisan und ich noch ganz klein waren. Er hat den Tod seines Vaters lange Zeit nicht verwunden und gab meinem Vater ungerechterweise die Schuld. Vor seinem Tod hatte mein Onkel aber meinem Vater noch das Versprechen abgenommen, für seinen Neffen zu sorgen, falls er bei der Operation den Tod finden sollte. Mein Vater war der Meinung, diesem Versprechen sei nur genüge getan, wenn er seinen Neffen mit seiner Tochter verlobe und ihm somit Zugang zu allen Erbschaften der Hauptfamilie verschaffte."

"Aber das hat nicht funktioniert, nicht wahr?"

Sie schüttelte erneut den Kopf. "Nein. Neji-niisan und ich wuchsen in dem Bewusstsein auf, einander heiraten zu müssen, komme was da wolle. Darum hassten wir uns bis auf Blut. Wir verabscheuten uns regelrecht und konnten nicht einmal die Anwesenheit des anderen ertragen. Als wir dann auf dieselbe Schule gingen, wurde es nicht besser. Im Gegenteil. Als er sich in unsere Freundin Tenten verliebte und die Beziehung zu ihr offiziell machte, war das ein Fauxpas für meinen Vater. Er war natürlich wütend, dass sein Neffe seine adelige Tochter verschmähte und einer vergleichsweise mittellosen Arbeitertochter vorzog. Er war sogar bereit, soweit zu gehen, Neji-niisan aus dem Stammbaum der Hyūgas zu streichen." Sie umklammerte den Besenstiel fester. Es fiel ihr sichtlich nicht leicht, darüber zu sprechen. "Das Verhältnis zwischen den beiden verschlechterte sich zunehmend, während wir nun frei von dem Zwang, einander zu heiraten, wieder besser miteinander auskamen. Für uns hatte es nur Vorteile. Wir mögen uns inzwischen sogar ein wenig."

"Warte mal", unterbrach Naruto sie. "Wenn die Sache also erledigt ist, warum redet ihr dann nicht miteinander?"

Hinata seufzte. "Das ist so ein Adelsetikettending, das alle außer uns sehr ernst nehmen. Weißt du, Temari und Sakura sind in den gehobenen Kreisen ebenso aufgewachsen wie Neji und ich. Ich will dich damit wirklich nicht beleidigen, aber diese Leute haben eigene gesellschaftliche Regeln und Richtlinien. Wenn eine Verlobung in Adelskreisen besteht, dann ist das wie eine nur noch nicht unterschrieben Heiratsurkunde. Es gibt offiziell keine Heiratspolitik mehr, aber inoffiziell sieht das ganze anders aus."

"Soll das heißen, du darfst nicht mehr mit ihm reden, weil er dich quasi…betrogen hat? Das ist doch total dämlich!"

"Leider ja, aber so ist es." Hinata war inzwischen fertig mit Aufkehren und begann aufzuwaschen, während Naruto die Tafel putzte. "Es wurde wochenlang nur über dieses Thema getuschelt. Ich sollte nun die betrogene Verlobte mimen, aber das will ich nicht. Nichtsdestoweniger ist es meine Pflicht, darum darf ich nicht mit ihm sprechen. Ich wollte schon so oft reinen Tisch machen und aus diesem Zwang ausbrechen, aber vor allem Temari hält mich davon ab."

"Das sollte sie nicht! Was ist sie für eine Freundin, wenn sie dich zwingt, mit deinem Cousin böse zu sein?", rief Naruto. "Ich werde ein ernstes Wort mit ihr reden!"

"Nein!", gebot Hinata ihm flehentlich Einhalt. "So ist das nicht. Sie kennt sich damit aus. Temari weiß, was für Konsequenzen das haben wird. Man wird unserer Familie den führenden gesellschaftlichen Rang vielleicht aberkennen. Und wenn schon nicht das passiert, so wird es zumindest für Bestürzung sorgen, die ich nicht verantworten kann."

"Darum hasse ich dieses reiche Pack." Naruto schlug dein Schwamm viel fester auf die Tafel als notwendig. "Meine Freunde natürlich ausgenommen. Es ist alles voll von Zwang und Regeln. Ich bin verdammt froh, arm zu sein." Er ballte seine freie Hand zur Faust.

"N-Naruto-kun…es ist nicht nur schlecht. Es gibt auch nette Menschen, die es verstehen würden. Nur leider sind es eben nicht die Tongebenden. Japans hohe Kreise sind noch immer geprägt von diesem früheren höfischen Zwang. Das ist der Preis des Reichtums, den wir zu tragen haben."

"Eines verstehe ich nur nicht. Du hast Temari und Sakura-chan erwähnt, aber was ist mit Ino? Sie ist doch Hyūgas entschiedenste Gegnerin."

Hinata begann nun zu kichern, was Naruto ziemlich verwirrte. "Inos Ausrede ist dieselbe wie unser echter Grund. In Wahrheit macht sie sich nichts aus diesem ganzen Etikettendschungel. Ihre Mutter ist Schauspielerin und ihr Vater Unternehmer. Sie haben Geld, aber gehören nicht in die Kreise der Wirtschaftselite. Ino hat nichts gegen Neji-niisan, sondern gegen Tenten und das aus einem sehr dummen, kindischen Grund. Damals, als die beiden sich verliebten, war Ino sehr in Neji-niisan verliebt. Sie wollte diejenige sein, die Neji aus den Fängen dieser Ehe befreit, aber obwohl sie ihm ständig schöne Augen gemacht hat, hat Tenten ihn letzten Endes bekommen. Das schlug ziemlich auf ihr Ego. Die gesellschaftlichen Regeln unserer Gemeinschaft sind nur ihr Deckmantel, unter dem sie ihr verletztes Ego pflegt."

"Wow, Hinata-chan, du bist ja richtig fies!", gratulierte Naruto. Sie sah schnell zu Boden. Womöglich hatte sie überreagiert. Vielleicht. Sie würde darüber nachdenken müssen, ehe sie ihnen gänzlich verzieh.
 

ɣ
 

Temari kam spätabends in ihr Zimmer zurück, nachdem sie stundenlang in der Bibliothek jene Hausaufgaben gemacht hatte, die Hinata in der einen Stunde zwischen der letzten Unterrichtsstunde und ihrem Nachsitzen erledigt hatte. Es hatte so lange gedauert, weil sie, wie üblich, die Aufgaben mit Sakura und Ino gemacht hatte, was derzeit nicht gerade reibungslos ablief. Die Hälfte der Zeit war dafür draufgegangen Streitigkeiten, Spitzen und zynische Kommentare zu schlichten, zu entschärfen und herunterzuspielen. Gebracht hatte es nichts. Sakura und Ino gifteten sich noch immer an, wo es nur ging. Dementsprechend erschöpft war Temari, als sie Hinata mit geschlossenen Augen und zugestöpselten Ohren auf ihrem Bett der linken Seite liegend vorfand. Sie schien zu schlafen, was Temari sehr begrüßte. Noch eine Auseinandersetzung konnte sie nicht gebrauchen; dazu hatte sie heute einfach keine Kraft mehr. Umso lustloser wurde sie, als Hinata die Augen öffnete und sich die Kopfhörer aus den Ohren zog.

"Temari? Kann ich kurz mit dir reden?"

Sie ließ sich stöhnend auf ihrem Bett nieder. "Wenn's sein muss. Aber wenn du mir Vorhaltungen machen willst, warte damit bitte bis morgen. Ich hab heute keine Nerven mehr dafür. Es tut mir trotzdem leid."

"Das weiß ich."

Temari setzte sich wieder auf. Hatte sie sich gerade verhört? Andererseits war es Hinata. Sie konnte nie jemandem lange böse sein.

"Ich weiß, dass ihr es nur gut gemeint habt. Es ist ja auch wirklich nichts passiert. Und hätte ich nicht den Schock meines Lebens erlebt, hätte ich sogar ein wenig darüber schmunzeln können, ehrlich gesagt. Ich bin nicht mehr sauer auf euch."

"Lief es mit Naruto heute so gut?"

"Temari!"

"Schon gut, war nur ein Scherz. Ich möchte auch, dass du etwas weißt. Wir wissen, dass es riskant war. Es hätte sicherlich bessere Lösungen gegeben, aber du musst uns glauben, wir hätten alles wieder hingebogen, wenn etwas Schlechtes daraus resultiert wäre. Wirklich. Sollen wir den Schlüssen gleich morgen abgeben?"

Hinata schüttelte den Kopf. "Nein. Wartet noch ein wenig."

"Ich wusste es!" Temari sprang auf und riss ihre Arme triumphierend in die Höhe. "Ich hab doch gesagt, dass es funktioniert! Wir hätten den Schlüssel sowieso nicht zurückgegeben. Wir werden es erst tun, wenn Naruto und du ein Date habt."

"E-Ein was?"

Temari fiel wieder zurück auf ihr Bett. "Du weißt schon, eine Verabredung. Tu nicht so unschuldig. Du willst mit Naruto zusammen sein, also müsst ihr miteinander ausgehen. Bis das nicht geschieht, werdet ihr zweimal die Woche zwei Stunden Zeit haben, darauf hinzuarbeiten."

"Du bist fies!"

"Fies ist mein zweiter Vorname!" Temari zog ihr Handy aus der Tasche ihres Schulrocks und begann eifrig eine SMS zu tippen, die die beiden Empfängerinnen im Zimmer 202 außerordentlich freute. Diese hatten nun endlich aufgehört zu streiten. Das implizierte einen guten Ausgang. Ino war kurz davor, Shikamaru lautstark zu gestehen, dass sie ihn mehr mochte als einen Freund und dann würde diese gestellte Farce auch enden.

Ja. Derzeit sah es wirklich so aus, als würde doch noch alles irgendwie gut werden.
 

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Temper And Temptation


 

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Freitags war im Kampai seit neuestem immer Happy Hour bis elf. Nimm zwei Getränke und zahl beim zweiten nur die Hälfte. Das bot einen idealen Grund für die Schüler der Miya-So-Internates, jeden Freitag dort aufzutauchen und sich hemmungslos mit Cola und Fanta die Kante zu geben. Alkohol gab es dort nicht unter zwanzig. Bei den meisten Sängern hätte nicht einmal der schlechteste Fusel geholfen, um die Kopfschmerzen nicht vorwiegend von deren Stimme zu bekommen.

Am Freitag genau eine Woche nach Shikamarus Geburtstag fanden, sich dort verblüffender Weise sämtliche Leute ein, von denen man es der angespannten Lage wegen eigentlich nicht erwartet hatte.

Sayuri war sauer auf Gaara. Sie hatte nämlich gehört, dass er krank war und deshalb nicht mit seinem Kommen gerechnet. Temari und Sakura waren sauer auf Gaara, weil er gewusst hatte, dass Sayuri mitkommen würde und trotzdem aufgekreuzt war, obgleich er noch leicht kränkelte. Ino war sauer auf Naruto, weil sie irgendjemandem die Schuld geben musste, dass Sasuke nicht mitgekommen war. Shikamaru war sauer auf Ino, weil sie eindeutig in ihn verliebt war, aber noch immer keinen Ton sagte. Dennoch: diese Gruppe bestand seit nahezu vier Jahren, da entkam man ihren Fängen nicht mehr so leicht.

Sasuke konnte das nur recht sein. Er hatte schon geahnt, dass es nicht amüsant werden würde; beziehungsweise wäre diese Art der Kommunikation vielleicht sogar amüsant für ihn als Beobachter geworden, aber er hatte Wichtigeres zu tun. Ganz Miso war heute im Kampai—die meisten Mädchen nicht zuletzt, weil er selbst das Gerücht verbreitet hatte, dass er dort sein würde –, also hatte er das ganze Areal für sich. Das ganze Areal hätte er aber gar nicht gebraucht, denn seit es dunkel geworden und die Schüler zur Party ausgeflogen waren, hatte er sich nur ein einem Ort aufgehalten: dem Fußballplatz.

Nach einer vernichtenden Niederlage gegen Naruto im Trainingsspiel vor ein paar Tagen hatte es ihm keine Ruhe mehr gelassen. Er war früher so gut gewesen, nun verlor er sogar gegen Naruto! Das ärgerte ihn. Doch sobald er trainieren wollte, versammelte sich eine anschauliche Traube Mädchen am Rand des Feldes, die ihn mit ihren fürchterlichen Zwischenrufen so sehr ablenkten, dass er alles vergeigte, was er anpackte. Also hatte er sich heute ins Trainerhäuschen geschlichen, die Flutlichtanlage zur Hälfte aufgedreht und in einem der halbrunden Lichtkegel den unschuldigen Fußball so stark malträtiert, dass ihm bald die Füße wehtaten. Er schoss Tor um Tor, rannte Länge um Länge, vollführte Tricks und Kniffe, bis er nicht mehr konnte.

Keuchend, schwitzend und zufrieden mit dem, was er aus sich herausgeholt hatte, ging er nach Stunden der Anstrengung in sein Zimmer. Die vielen Stiegen bis hinauf in den vierten Stock waren eine Qual, denn er spürte in seinen Beinen nach dem Training nun die Milchsäure fröhlich summen. Morgen würde er garantiert einen Mordsmuskelkater in seinen festen Waden spüren, wenn nicht sogar in jeder einzelnen Zehe.

Er ertrug die gefühlte Hinrichtung mit Fassung, hielt sich aus Stolz nicht mal am Geländer an, obwohl ihn sowieso keiner dabei gesehen hätte. Umso erleichterter war er, als er endlich die Türe zu seinem Zimmer öffnete, das vom hereinscheinenden Mond beleuchtet im Halbdunkeln lag. Er machte sich nicht einmal die Mühe, das Licht anzuschalten, als er seine Schuhe achtlos stehen ließ, sich das verschwitzte Shirt vom Körper streifte und an den Bund der Hose fuhr.

"Du stinkst fürchterlich."

Erschrocken stieß Sasuke einen Schrei aus, wich zurück, fiel dabei über seine eben noch ausgezogenen Schuhe und knallte mit dem Rücken gegen den Türrahmen. "Was zum—"

"Du kreischt beinahe wie ein Mädchen", amüsierte sich eine weibliche Stimme, die ihm inzwischen sehr vertraut vorkam. Die Sprecherin knipste seine Tischlampe an. Als das Licht den Raum erhellte, erblickte Sasuke, wie durch die Stimme bereits erraten, Karin auf seinem Bett sitzen. Sie trug diesmal wieder ihre blaue Sporthose und das schwarze Tanktop. Sein Blick blieb automatisch ein paar Sekunden länger an ihrem Dekolletee hängen.

"Was zum Henker machst du hier? Kannst du dich nicht wie ein normaler Mensch verhalten und auf eine Einladung warten, anstatt einzubrechen?" Er rappelte sich auf und rieb sich umständlich den schmerzenden Rücken.

"Ich nehme mir gerne gleich, was ich will, anstatt zu warten."

Er zog ein frisches Shirt aus seiner Kommode, während er antwortete: "Ich sag's nicht gerne, aber du bist gruselig. Ein echter Freak. Hör auf mit diesem ganzen Scheiß, sonst kriegst du es zurück."

"Als würdest du mich in dem Bereich schlagen können." Sie bedachte ihn mit einem mitleidvollen Blick. "Armer Sasuke. Du musst noch einiges über diesen Ort lernen. Hier bin ich die Königin der Freaks. Und ob du es willst oder nicht, du gehörst dazu. Du bist ebenso ein Freak wie ich. Deine Eltern sind reich, jedes Mädchen will deine Freundin sein, jeder Junge will deinen Penis auf einem Silbertablett und jede Mutter, deren Tochter du das Herz gebrochen hast, wünscht dir eine schmerzvolle Kastration durch einen zu scharf geschossenen Ball."

"Das macht mich nicht gerade zu einem Freak, sondern eher zu einer Ikone, aber sprich ruhig weiter, während ich mich duschen gehe." Er drehte sich zu ihr um, ehe er im Bad verschwand. "Wehe dir, du kommst da rein. Inzwischen trau ich dir alles zu."

Sie kreuzte auf seinem Bett gut sichtbar die Finger. "Würde ich nie tun."

Sie hielt ihr Wort trotzdem. Als Sasuke frisch geduscht und in sauberer Kleidung sein Zimmer betrat, saß sie artig mit überschlagenen Beinen auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch und spielte mit einer Strähne ihres Haares, das sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte.

"Ich warte noch immer auf eine Antwort", bemerkte Sasuke trocken und ließ sich müde auf sein Bett fallen. Seltsam, wie sich seine Prioritäten ändern konnte. Bis er Karin gesehen hatte, hätte er schwören können, jedem eine Portion Leid zuzufügen, der es wagen würde, ihn zu stören. Und jetzt saß er da im Halbliegen und tat genau das, was er immer verabscheut hatte. Er unterhielt sich mit einem Mädchen. Verrückt!

"Das hat dich die ganze Zeit beschäftigt, als du unter der Dusche warst, nicht?" Sie genoss es sichtlich, die Oberhand über ihn zu haben. Er erwiderte vorsorglich nichts. "Wir sind beide anders als der Rest. Sicherlich weißt du es nicht, aber meine Familie ist eng mit der japanischen Kaiserfamilie verwandt. Ich spielte mit der Tochter der Kaiserin, als alle anderen Kinder meines Alters noch nicht einmal wussten, dass es einen Kaiser gab. Ich aß mit goldenen Stäbchen aus Silberschüsseln, wo andere Einwegstäbchen und Plastikschalen als ihr Geschirr ansahen. Ich trug Windeln, die so teuer waren wie ein ganzes Outfit und bekam als Fünfjährige Schuhe, von denen ein Paar so viel kostete wie zwanzig aus normalen Schuhläden. Meine Familie ist reicher als jede andere in Japan. Ich bin reicher als Hyūga Hinata. Für mich war das Außergewöhnliche von vornherein normal, das Extreme mein Alltag. Genauso wir für dich. Während ich mit Reichtum gesegnet bin, bist du mit Aufmerksamkeit verwöhnt. Jedes Herz fliegt dir zu, jeder Gedanke dreht sich um dich. Darum sind wir genau gleich. Wir leben in unserer eigenen Realität, kreiert von jenen, die uns dafür hassen, dass wir so sind, wie wir letztendlich nur durch sie geworden sind. Wir sind außerhalb jeder Norm, sogar außerhalb jedes Maßes."

Sasuke stand wieder auf und machte einen Schritt auf sie zu. Er sah von oben auf ihr Gesicht herab, das keine Spur von Angst oder Bangen bei seinem doch recht furchteinflößenden Anblick zeigte. Bedrohlich stützte er seine Arme auf den Armlehnen des Sessels ab und beugte sich zu ihr herunter. Seine Lippen waren neben ihrem Ohr. Sie könnte seinen Atem hören. "Was bezweckst du damit?", flüsterte er. "Warum willst du mich unbedingt auf deiner Seite?"

Sie legte ihre Handflächen an seine Brust, drückte ihn weg und zog ihn am Kragen wieder so zu sich, dass sich ihre Nasen beinahe berührten. "Ich will dich, weil wir vom selben Schlag sind. Ich bin nicht an dir als Mann interessiert, Sasuke. Andernfalls hätte ich dich längst geküsst. Ich könnte dich jederzeit zu meinem Freund machen, wenn ich wollte, und das weißt du. Du stehst auf mich. Aber nicht, weil ich ich bin, sondern weil ich dich nicht will. Du suchst unbewusst nach deinem persönlichen Extrem, nach deinem Außergewöhnlichen. Während es für mich das Brechen von Regeln ist, ist es für dich das Desinteresse an deiner Person. Du willst Leute um dich haben, die dich hassen, damit du sehen kannst, wie das ist, wenn man nicht von allen begehrt wird."

"Also sollte ich mit dir befreundet sein, damit du mich beleidigen kannst?"

"So einfach ist das nun auch wieder nicht." Sie ließ ihn los, stand auf und ging ein paar Schritte von ihm weg. Ihre Stimme klang weniger bedrohlich. "Ich mag dich. Ehrlich. Du bist die Sorte Mensch, die nicht auf diesem Zusammenhaltkram und Weltverbesserungsunsinn aus ist. Du stehst dir selbst am nächsten, hältst nicht viel von unzerstörbarer Freundschaftsbande und unbedingtem Vertrauen. Menschen wie du, Sasuke, sind mir immer willkommen, weil ich genauso bin. Wir sehen die Welt nicht rosarot, nicht blumenpink und auch nicht veilchenblau. Wir sehen sie, wie sie ist. Bei uns gibt es Zusammenhalt und Freundschaft, natürlich, aber er basiert nicht darauf, dass wir uns gegenseitig Zöpfe flechten, sondern auf unseren gemeinsamen Interessen. Dem Streben nach Extremen."

Sasuke legte skeptisch den Kopf schief. "Bist du Anführer einer geheimen Unterorganisation oder so? Das klingt nämlich so."

Karin begann amüsiert zu lachen. "Ich kann gut reden, immerhin bin ich Schülersprecherin." Sie setzte sich auf sein Bett und er ließ sich ihr gegenüber nieder. "Du musst keinen Vertrag unterzeichnen oder so. Du kannst kommen und gehen, wann du willst. Wir frühstücken zusammen, lernen zusammen und hängen meist in Suigetsus Zimmer ab, weil uns dort niemand stört. Wir sind nur zu zweit, also ist es keine große Sache. Überleg dir einfach, ob unsere Gesellschaft nicht vielleicht erstrebenswerter ist, als die von Uzumaki oder Haruno."

"Das auf jeden Fall", gab Sasuke zu. "Sakura hat jetzt einen Freund, aber sie geht mir trotzdem noch auf die Nerven. Ino und sie zicken sich dauernd wegen eben genanntem Freund an."

"Regel Nummer eins", unterbrach Karin und hob einen Finger. "Wir nennen solche Leute nur beim Nachnamen. Das schafft Distanz zwischen uns und denen. Regel Nummer zwei muss ich mir erst ausdenken. Dass Haruno neuerdings einen Freund hat, hab ich auch schon gehört. Man sollte sich das genauer ansehen."

"Es scheint nicht sehr ernst zu sein, meiner Meinung nach. Sie ist hinter mir her, also hat sie vermutlich mit Nara einen Plan ausgeheckt. Das würde mir zumindest logisch erscheinen."

"Ich werde dem auf jeden Fall nachgehen", meinte Karin überlegend. "Das könnte noch interessant werden. Sie hat nie Interesse an Nara gezeigt, warum also jetzt? Hm. Darauf kann man sicherlich einen kleinen Streich formen."

"Was hast du vor?"

"Weiß ich noch nicht. Ich werde sie vielleicht ein bisschen ärgern. Vielleicht mache ich mich an Nara ran. Schlecht sieht er ja nicht aus."

"Ist das dein Ernst?", warf Sasuke ungläubig ein.

Karin sah ihn erheitert an. "Eifersüchtig?"

"Sei mal nicht so eingebildet. Du bist zwar hübsch, aber so hübsch auch wieder nicht. Und dass du viel Geld hast, beeindruckt mich nicht weiter."

"Ja, ja, ich hab's verstanden."
 

ɣ
 

Naruto hielt die gedämpfte Stimmung im Kampai irgendwann nicht mehr aus. Es ging ihm auf die Nerven, dass jeder mit jedem stritt oder nicht mehr redete. So machte es keinen Spaß. Irgendwann gegen Mitternacht verließ ihn die Lust, sich das weiter anzutun, und er nahm zusammen mit Sakura, Sayuri und Hinata den nächsten Bus zurück ins Internat. Er brachte die Damen bis vor die Zimmertüren. Hinatas Zimmer war das letzte. Sakura ließ die beiden guten Gewissens alleine und verschwand in ihrem Zimmer, aus dem sie jedoch noch unbemerkt von den beiden herauslinste um zu beobachten, was wohl geschehen würde. Sie wurde bitterlich enttäuscht.

Obwohl Hinata sich im Türrahmen noch einmal umdrehte, nachdem sie bereits eine gute Nacht gewünscht hatte, nahm Naruto den Wink nicht war, sondern wünschte ihr selbigen und ging wieder zurück.

"Du bist so dumm", sagte Sakura leise, als er wieder Richtung Treppenaufgang ging. Naruto zuckte erschrocken zusammen.

"Sakura-chan! Was meinst?"

"Schrei doch nicht so", mahnte sie mit gesenkter Stimme. "Hör zu, Hinata steht auf dich. Das predige ich dir seit Monaten durch die Blume, aber du checkst es einfach nicht. Also muss ich es dir frei raus sagen. Sie. Ist. In. Dich. Verliebt. Und du magst sie auch, nicht wahr?"

"Ähm, ja? Keine Ahnung. Sie ist nett und hübsch. Was weiß ich, ob ich in sie verliebt bin."

Sakura verdrehte genervt die Augen. "Du wirst es nie herausfinden, wenn du nichts unternimmst. Sie passt gut zu dir. Jeder weiß, dass ihr seit der Zweiten umeinander rumtanzt, also tu endlich was. Von ihr kannst du keinen ersten Schritt erwarten. Du kennst sie, sie ist viel zu schüchtern dafür. Also komm in die Gänge und frag sie nach einer Verabredung."

Naruto sah schmollend zur Seite. "Gib mir keine Ratschläge für mein Liebesleben. Ich kann das alleine."

"Sieht man", meinte sie sarkastisch. "Welches Liebesleben denn? Du hast noch nie ein Mädchen angesehen, außer mich in der Ersten und Hinata seit der Zweiten. Also bist du entweder schwul oder du vergleichst unbewusst jedes Mädchen mit ihr und da sie für dich das Ideal darstellt, hat keine andere eine Chance gegen sie."

"Ich weiß zwar nicht, was genau das zu bedeuten hat, aber willst du damit sagen, dass ich in sie verliebt bin, es aber nicht weiß?"

Sie fasste sich an die Stirn. "Nein. Ich will damit sagen, dass du sie längst als deine zukünftige Partnerin auserwählt hast, aber es nicht kapierst. Ich würde an deiner Stelle schnell machen, sonst ist die Schule zu Ende und ihr seht euch nie wieder. Sie verkehrt in anderen Kreisen als du, wie du weißt, und ihr wohnt sehr weit auseinander. Wenn nicht jetzt, dann wird es niemals was werden. Sogar Shikamaru hat sich durchgerungen und zugegeben, dass er in Ino verliebt ist!"

"Ino?", wiederholte Naruto ungläubig. Er rief sich die vergangenen Ereignisse in Erinnerung. Wenn er da nicht was Großes verpasst hatte, dann war Shikamaru doch mit Sakura zusammen. Diese schlug sich sofort die Hand auf den Mund. Damit verriet sie sich nur noch mehr, was sogar jemandem wie Naruto nicht entgehen konnte. "Shikamaru und Ino also? Warum bist du dann mit ihm zusammen?"

"Du darfst das keinem sagen, klar?", flehte sie im Befehlston. Sie zog ihn am Kragen dicht zu sich und funkelte ihn böse an. Zum ersten Mal merkte sie, wie klein sie gegen ihn eigentlich war. Er musste heruntersehen, um ihr in die Augen blicken zu können. "Hör zu, das ist eine wichtige Angelegenheit, klar? Shikamaru ist in Ino verliebt, darum ist er mit mir zusammen, um sie eifersüchtig zu machen. Aber das darf keiner wissen! Sie wehrt sich noch, aber bald schon wird sie sich ihre Gefühle eingestehen und sie wird ihm ihre Liebe gestehen."

"Und was, wenn nicht? Bleibst du dann ewig mit ihm zusammen?"

"Natürlich nicht!", fauchte sie. "In ein paar Wochen lösen wir unsere Beziehung auf, selbst wenn sich nichts getan hat. Ino wird dann ihre Chance ergreifen, da wir ihr gezeigt haben, wie schnell sich das Blatt wenden kann. Das ist der perfekte Plan, aber er muss unter allen Umständen geheim bleiben! Niemand darf davon erfahren! Nicht einmal oder besser noch schon gar nicht Sasuke! Halt ja deinen Mund in seiner Nähe!"

"O-Okay, ich versprech es dir", schwor er etwas eingeschüchtert durch ihre reißerische Brutalität, mit der sie seinen Kragen noch immer umklammert hielt. Sie ließ ihn wieder los.

"Gut. Und noch was; sag keinem, dass Shikamaru und ich zusammen sind. Ich möchte nicht, dass es allzu viele wissen."

"Wieso das denn schon wieder?", wollte er verwirrt wissen. Vielleicht sollte er sich das alles mal aufschreiben.

"Du verstehst nicht, was für Konsequenzen das für uns haben kann, wenn die Beziehung zwischen Shikamaru und mir publik wird. Wir halten uns zurück und spielen nur vor Ino das Paar. Bis andere es gemerkt haben, ist es längst vorbei und es wird nichts weiter als ein Gerücht bleiben. Wenn es allerdings als Tatsache die Runde macht, dringt es zu unseren Eltern und deren Freunden."

"Na und?"

Sakura seufzte gerädert von diesem ganzen anstrengenden Kram. "Die gesellschaftliche Schicht, in der Shikamarus und meine Familie verkehren, ist eine sehr konservative. Viele der reichen Töchter heiraten den ersten Freund, den sie haben, nachdem sie von der Schule oder der Universität abgehen. Ein Gerücht um unsere nicht tatsächlich vorhandene Beziehung, würde nur zu noch mehr Gerüchten führen."

"Aber du sagst doch immer, dass du gar nicht so reich bist und darum nicht in diesen ganz hohen Kreisen verkehrst, in denen Hinata-chan und Temari sind. Das versteh ich nicht." Er legte den Kopf schief.

"Ich gehöre ja auch nicht dazu, ebenso wenig wie Shikamaru. Aber wir haben wichtige geschäftliche Verbindungen dorthin. Shikamarus Eltern gehört eine große Anwaltskanzlei, die der Rechtsbeistand vieler großer Wirtschaftsunternehmen ist. Auch die Privatklinik meines Vaters gehört zu ihren Klienten. Mein Vater wiederum ist auf die Investitionen und Fördergelder dieser großen Privatunternehmen angewiesen, um die Klinik weiterführen zu können. Dass unsere Familien einen guten Ruf haben, ist also unabdinglich."

"Das klingt ja wie eine Seifenoper."

"Unsinn", versetzte sie. "Das ist das wahre Leben. Gute Nacht und frag Hinata nach einem Date!"

Sie wartete, bis er sich verabschiedet hatte, dann schloss sie die Tür und machte sich zum Schlafengehen fertig. Sie wollte unbedingt eingeschlafen sein, bevor Ino nach Hause kam.

Dass sie Naruto den schlimmsten Fall so überzeichnet dargelegt hatte, war natürlich nicht nett gewesen. Niemand interessierte sich für die Beziehung zwischen zwei Jugendlichen, selbst wenn ihre Familien noch so intensiv in das Wirtschaftsnetz der Reichen eingespannt waren. Wenn Hinata das machte, würde die Welt ihre Augen darauf haben, aber sie gehörte ja auch direkt zu den Reichen und nicht zu denen, die auf den Galen und Bällen waren, damit sie selbigen das Geld aus den Taschen quatschten. Besser, er hatte Angst als er würde sich letzten Endes doch nicht verplappern.

Wie es allerdings mit Sasuke und ihr weitergehen würde, wusste sie noch nicht im Geringsten. Sie musste ihn sich wohl endgültig aus dem Kopf schlagen. Daran führte kein Weg vorbei. Und irgendwie dachte sie ja auch gar nicht mehr oft über ihn nach. Seine ganze Art, seine Arroganz und seine Selbstgefälligkeit…irgendwie war ihr das gar nicht mehr so lieb wie sein Auftreten zu Anfang.
 

Naruto sinnierte seinen kurzen Heimweg über das eben geführte Gespräch. Shikamaru und Sakura waren also doch kein richtiges Paar. Er erinnerte sich, dass Sasuke mal sowas in die Richtung angedeutet hatte. Ob er im Bilde war? Wohl kaum, sonst hätte Sakura nicht eidringlich darauf bestanden, dass er gerade Sasuke nichts sagte. Es war ihr vermutlich peinlich, was er durchaus verstehen konnte.

Als er die Türe aufmachte, wollten seine Gedanken gerade zu Hinata schweifen, als er plötzlich etwas ganz Anderes, viel Unangenehmeres sah: Sasuke mit Karin auf dessen Bett, die Gesichte bedrohlich nahe beieinander.

"Sasuke!", rief Naruto geschockt. Das durfte nicht wahr sein! Es sah aus, als würden sie miteinander flirten! "Was macht die hier?"

"Schrei hier nicht so rum", sagte Sasuke matt. Er warf ihm einen bösen Blick zu, der Naruto wenig beeindruckte. Er schüttelte fassungslos den Kopf und verschwand im Bad. Um nichts in der Welt wollte er mit Karin im selben Zimmer sein. Er hatte genug gesehen.

Während er sich die Zähne putzte, hörte er die beiden miteinander reden, dann wurde eine Tür geöffnet und wieder geschlossen. Als Naruto wieder ins Zimmer kam, war Karin verschwunden. Er ging zu seinem Bett und streifte sich den Pyjama über, während er Sasuke den Rücken zugedreht hatte. Eigentlich wollte er nichts dazu sagen, doch er konnte letzten Endes nicht an sich halten. "Was denkst du dir dabei?", fragte er tonlos, ohne Sasuke anzusehen. "Karin ist kein guter Mensch."

"Wer gut ist, entscheide ich", lautete Sasukes nicht minder tonlose Antwort.

"Sie hat uns die Jahre über nur Probleme beschert. Sie lügt, betrügt, benutzt Leute für ihre Machenschaften und spinnt Intrigen, wo sie nur kann. Du solltest aufhören, sie zu treffen."

Sasuke reagierte nicht darauf, sondern knipste das Licht auf seiner Seite aus. Er lag mit Blick zur Wand zugedeckt in seinem Bett. Naruto folgte seinem Beispiel und drehte ihm ebenfalls den Rücken zu. Nach einiger Zeit des Schweigens im Dunkeln sagte Sasuke finster: "Ich suche mir meine Freunde selbst aus."

Naruto antwortete nicht. Er war enttäuscht von Sasuke. Dass sein messerscharfer Verstand und seine hervorragende Beobachtungsgabe gepaart mit seiner überdurchschnittlichen Menschenkenntnis nicht ausreichten, um Karins wahres Wesen zu durchschauen, hätte er nicht gedacht. Aber er würde nicht zulassen, dass sie ihn an Karin und ihre Handlanger verloren. Er würde morgen mit den anderen darüber reden. Zusammen schafften sie es sicherlich, ihm die Augen zu öffnen.
 

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Kick And Knock


 

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"Sakura-chan! Sakura-chan! Sakura-chan! Etwas Furchtbares ist passiert!" Naruto klopfte rabiat gegen die Tür und stieß sie schlussendlich einfach auf. Er kam in einer panischen Hektik hereingestürmt, nur um das Zimmer menschenleer vorzufinden. Wo waren die Bewohnerinnen denn bitte um acht Uhr morgens an einem Samstag? Wer war um diese Uhrzeit denn überhaupt schon wach, wenn er nicht, wie Naruto, von einem Alptraum geplagt aus dem Bett gefallen war? Ihm fiel ein, dass es immerhin Sakura war, die er suchte. Sie konnte zu so früher Stunde nur an einem Ort sein.

Ebenso gehetzt, aber diesmal nicht schreiend, raste er die Stufen hinab, über das Gelände ins Schulgebäude, an der Mensa vorbei, wo Ino missmutig in ihrem Kaffee rührend mutterseelenalleine saß, und hinein in die Bibliothek in die Biologieabteilung.

"Sakura-chan!"

"Das ist eine Bibliothek, Naruto", war ihre trockene Begrüßung. Sie sah nicht einmal von ihrem dicken Buch auf.

"Es ist keiner außer dir hier, Sakura-chan", wandte Naruto ein. "Du wirst irgendwann an einem zu großen Gehirn sterben."

"Biologie", sagte sie beiläufig, während ihre Augen noch über die letzten Sätze der Seite flitzten, "ist mein Spezialgebiet. Daher kann ich dir versichern, dass man daran nicht sterben kann." Endlich hatte sie fertig gelesen und sah zu ihm auf. "Was willst du? Es ist acht Uhr morgens. Normalerweise schläfst du am Wochenende bis elf."

"Ich hatte einen Alptraum", meinte er keuchend. "Als ich in mein Zimmer kam, saß Sasuke mit Karin, dieser verdammten Plage, auf seinem Bett und hat exzessiv mit ihr geflirtet. Es hat nicht mehr viel gefehlt, da hätte er sie geküsst oder Schlimmeres!"

"Mach dir das nächste Mal vor dem Schlafengehen Tee mit Honig, vielleicht träumst du dann besser. Warum wühlt dich das so auf?"

Naruto blinzelte verwirrt, ehe er kapierte. "Nein, nein, das war doch nicht der Traum! In meinem Traum ging es um Weltraumschnecken und Sonden und—egal! Das mit Karin ist gestern Abend wirklich passiert! Sasuke saß mit Karin im Halbdunkeln auf dem Bett! Sie haben geredet und gelacht und was weiß ich was noch alles! Verdammt, Sakura-chan, sie hatten dasselbe Oberteil an!"

"Wenn, dann ist es das gleiche, sonst stelle ich mir den Anblick recht skurril vor", erklärte sie mit Schulmeisterblick, dann wandte sie sich wieder dem Buch zu. "Was stört dich daran?"

"Yoshida Karin stört mich daran! Sie ist die hinterhältigste Schlange des Internats, vielleicht sogar der ganzen Welt! Genau das habe Sasuke gesagt, aber er meinte nur, er könne sich seine Freunde selbst aussuchen."

"Das kann er auch, so ungern ich ihm recht gebe", bestätigte sie unbeteiligt. "Du kannst ihn nicht zwingen, sich mit uns abzugeben, ebenso wenig wie du ihm verbieten kannst, sich mit Karin anzufreunden. Wenn er das möchte, sei es ihm frei zu entscheiden, wem er mehr zugetan ist." Sie klappte das Buch zu, steckte es ein und stand auf. "Naruto, ich weiß, dass er und du schon sehr lange befreundet seid. Du hast die ganze Zeit über von ihm als deinem besten Freund gesprochen, darum verstehe ich, dass es schwer zu akzeptieren ist, dass er deine Freundschaft nicht angemessen wertschätzt. Aber sieh ein, dass du ihn bei all deiner freundschaftlichen Zuneigung nicht dazu zwingen kannst, dich ebenfalls als besten Freund anzusehen."

"Sakura-chan", unterbrach Naruto sie ernst. "Hier geht es nicht um mein verletztes Ego oder meinen Wunsch nach seiner Anerkennung. Es geht darum, dass Karin ihn mit in ihre Machenschaften ziehen wird."

"Das ist kein Actionfilm", tat sie seine übertrieben Sorge ab. "Das Schlimmste, das sie machen kann, ist bei den Prüfungen zu schummeln."

"Du weißt, wozu sie fähig ist. Sie wird ihm wehtun. Ich möchte nicht, dass meine Freunde verletzt werden."

"Es ist mir egal, was Uchiha Sasuke tut und mit wem, damit das klar ist. Ich habe nichts mit ihm zu tun. Dieser Typ interessiert mich nicht, okay? Soll er machen, was er möchte, das geht mich nichts an! Und wenn er dich nicht als Freund akzeptiert, geht es auch dich nichts an." Sie schulterte ihre Umhängetasche und ging an Naruto vorbei.

Er sah ihr ungläubig nach, bis sie durch die Glastüre der Bibliothek verschwunden war.
 

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So sehr sie die Fassung vor Naruto gewahrt hatte, so heiß brodelte es in Sakura tatsächlich. Sie war stinksauer, sodass sie den Gurt ihrer Tasche schmerzvoll fest umklammert hielt. Sie fühlte sich, als sie würde sie jeden Moment explodieren. Eigentlich wollte sie nach draußen gehen und die letzten Septembertage auf der geheimen Terrasse verbringen, doch ihre Schritte führten sie ohne ihre Einwilligung in die Sporthalle. Es war eine große, hohe Halle, die rechts an das Schulgebäude grenzte. Es war nicht ihr endgültiges Ziel. Sie visierte einen Nebenraum an, der vollgestellt war mit Gerätschaften aller Art. Wie selbstverständlich, als hätte sie nie etwas anderes vorgehabt, zog sie einen Boxsack samt seiner Aufhängevorrichtung heraus, montierte die Konstellation und stellte sich vor den feuerroten Gegner, der sie herausfordernd anzuschielen schien. Achtlos warf sie ihre Tasche hinter sich, schmiss die Weste nach und starrte den Sack ein paar Sekunden lang an.

"Du blöde Schlampe!", kreischte sie und schlug mit der baren Faust zu. Ein kurzer Schmerz durchzuckte ihren Arm, dann schlug sie mit der anderen Faust zu. Der Sandsack schunkelte nur unmerklich, was sie noch wütender machte. Normalerweise gebrauchte sie nicht solche Kraftausdrücke; gerade eben wusste sie sich nicht anders zu helfen.

"Du gehirnamputierte Kuh, ich hasse dich, du Stück Dreck!" Sie setzte ihren Fuß nach, dann wieder eine Faust, einen Fuß, warf sich mit der Schulter gegen den Sack, bis sie sich abreagiert hatte.

Es hatte nahezu zehn Minuten gedauert, in denen sie mit vollem Körpereinsatz das Substitut bearbeitet hatte, als das sie den Boxsack missbraucht hatte. Sie war wütend auf Karin, nicht auf Sasuke, so wie sie es anfangs vermutet hatte. Aber als sie zugeschlagen hatte, hatte sie nur Karins Gesicht vor Augen gehabt. Vielleicht weil die Farbe des Sacks Karins Haarfarbe ähnelte, vielleicht aber auch, weil Sakura genau wusste, dass sie Sasuke keine Schuld geben durfte.

Sie kannte Karin seit Jahren. Sie hatte sämtliche ihrer boshaften Aktionen miterlebt, die meisten sogar selbst gespürt. Warum sie sich unter den vielen Schülern gerade Sakura ausgesucht hatte, war dieser bis heute schleierhaft. Vielleicht, weil am ersten Schultag alle Aufmerksamkeit auf Sakura und ihrer wunderschönen Zimmerbewohnerin gelegen hatte und nicht auf der reichen Verwandten der Kaiserin. Vielleicht, weil Gaara, den sie früher attraktiv gefunden hatte, sich Sakuras Schwester zugewandt hatte. Vielleicht auch, weil Sakuras Freundlichkeit und natürliche Ausstrahlung, mit der sie sich schnell beliebt gemacht hatte, automatisch missgünstige Menschen wie sie anzogen.

Mögliche Gründe gab es viele; Fakt war, dass sich das Resultat immer wieder in der gleichen Weise manifestierte: In Neid und damit einhergehenden Manipulationen. Sobald Karin Sakura als ihre Feindin anerkannt hatte, hatte sie ihr das Leben schwergemacht. Die unzähligen Aktionen wollte Sakura sich nicht mehr in Erinnerung rufen, zumal vieles erfolglos geblieben war, da sie eine Vielzahl von Freunden umgab, die zusammen alles abwenden konnten.

Aber nun hatte Karin es auf Sasuke abgesehen. Sakuras einzige Schwachstelle, die niemand schützen konnte, außer Sasuke selbst, der dies nicht gerade zu seiner Lebensaufgabe gemacht hatte.

"Ich weiß, was du vorhast, Karin", flüsterte Sakura zornig. Sie saß erschöpft vor dem Sack am Boden. "Du willst Sasuke für dich haben, weil du irgendwie herausgefunden hast, dass ich in ihn verliebt bin. Aber ich sage dir eines." Sie fuhr auf und schlug erneut schreiend auf den Boxsack ein. "Ich werde dir nicht kampflos den Sieg überlassen!"

Dass es dabei nicht wirklich um den Sieg über Karin ging, sondern um den Sieg, Sasuke für sich zu gewinnen, ignorierte Sakura in ihrer Ansage geflissentlich. Ihr waren die Motive egal, solange sie Sasuke vor Karin schützen konnte. Wie auch Naruto war ihr klar, dass Karin nichts an Sasuke lag. Sie war zu sehr in sich selbst verliebt, um jemand anderem ihre Gunst zu schenken. Es ging gegen Sakura, daran hatte sie keinen Zweifel. Genau darum würde sieSasuke nicht in Karins Fänge rutschen lassen!

Als Schwurschlug sie mit all ihrer verbliebenen Kraft gegen den schweren Sack, der wie durch ein Zeichen bewegt heftiger zu schaukeln begann als sie es jemals zuvor zustande gebracht hatte.
 

Gegen Nachmittag, nachdem Sakura sich völlig verausgabt und verschwitzt in der Bibliothek ein paar Bücher eingesammelt hatte, war sie auf dem Weg in ihr Zimmer, als sie einfach daran vorbeiging und stattdessen Temari einen Besuch abstattete. Sie brauchte keinen neuen Streit mit Ino, schon gar nicht, wenn es um nichtiges Zeug ging, nur damit Ino brüllen konnte.

"Wie siehst du denn aus?", begrüßte Temari sie und musterte ihr wirres Haar.

"Ich war boxen."

"Klingt nicht gut. Das hast du seit zwei Jahren nicht mehr gemacht. Wer hat dich wütend gemacht?"

Sakura erzählte von Narutos Beobachtung und ihrem Verdacht, dass Karin sich nur an Sasuke ranmachte, um ihr zu schaden. "Da hab ich's nicht mehr ausgehalten. Ich bin damals aus dem Boxverein ausgetreten, weil ich mehr Frau sein wollte. Aber als ich auf meine imaginäre Karin einschlug, merkte ich, wie gut es tut, mal wieder das Biest herauszulassen. Jetzt habe ich einen Muskelkater, aber mir geht es um einiges besser. Ich hab schon lange nicht mehr so eine Wut verspürt, das kannst du mir glauben."

"Tu ich auch, immerhin kenn ich dich seit zehn Jahren. Was gedenkst du jetzt zu tun?"

"Nichts", beschloss Sakura. "Ich kann nichts tun. Sasuke ist ein freidenkender Mensch, der nicht mal auf meinen Rat hören würde, wenn es seine einzige Überlebenschance wäre. Ich werde die Sache beobachten und Informationen sammeln. Dann werfe ich Sasuke alles hin, was Karin verbrochen hat. Danach liegt es an ihm, sich zu entscheiden."

Temari verschränkte die Arme. "Warum setzt du dich für ihn ein? Uchiha hat dich gedemütigt, beleidigt und schikaniert. Außerdem bist du jetzt mit Shikamaru zusammen, nicht?"

"Ja." Das war alles, was Sakura dazu zu sagen hatte. "Wo ist Hinata?"

"Lernen."

"Jetzt schon?"

Temari zuckte die Schultern. "Vielleicht gibt sie Naruto ja Nachhilfe." Das tat Hinata natürlich nicht, aber der Gedanke daran bereitete ihnen Freude in diesen tristen Tagen.
 

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Montag früh herrschte Katerstimmung, obwohl sie keinen Alkohol getrunken hatten; im Gegenteil, sie hatten sich äußerst gesund ernährt und darauf geachtet, möglichst zeitig ins Bett zu gehen, denn ab heute begann der Lernstress erneut. Ende Oktober waren sämtliche Prüfungen der Wahlfächer angesetzt, dafür hatten sie nun keine Pflichtfächer mehr bis Anfang November. Einen ganzen Monat ohne Vormittagsunterricht! Das war ganz nach dem Geschmack der Abschlussklässler, die diesen Vorzug leider nur dazu verwenden konnten, in den Lernsälen und Bibliotheken Bücher zu wälzen, Skripten zu verfassen und zu lernen, was das Zeug hielt.

Der zweite Grund für die miese Stimmung war diesmal nicht etwa die Zankerei zwischen Ino und Sakura, sondern ein fehlender Tischgenosse.

"Wo ist Sasuke?", wollte Naruto wissen, als er mit seinem Essen an ihren Tisch kam. Shikamaru und Hinata deuteten gleichzeitig auf den Tisch am anderen Ende der Mensa, woraufhin Naruto geschockt die Kinnlade nach unten fallen ließ. Sakura vergrub resignierend seufzend den Kopf in den Händen.

"Das darf nicht wahr sein!", rief Naruto empört, wurde aber sofort auf seinen Sessel gezogen und ermahnt, nicht so laut zu sein. In normaler Lautstärke sagte er: "Warum sitzt er bei Karin und Suigetsu?"

"Weil wir verloren haben", seufzte Sakura. Ihre ganzen Hoffnungen waren damit zunichte gemacht worden. Er war bereits zum Bösen übergelaufen. Einfach so. Sie musste sich geschlagen geben. "Sieh es ein, Naruto, er ist vollkommen in ihrem Bann."

"Sakura, du hast gesagt, du würdest Karin nicht so einfach den Sieg überlassen", erinnerte Temari, woraufhin der Rest aufmerksam wurde. Sie fügte schnell hinzu: "Ich meine den Sieg, dass sie etwas hat, was du ihrer Meinung nach willst, was natürlich nicht stimmt. Ihr versteht?"

"Was auch immer das heißen soll", platzte Naruto aufgeregt dazwischen, "wir müssen ihn da rausholen!" Die fehlende Zustimmung ließ ihn die Augenbrauen zusammenziehen. "Leute, kommt schon, Sasuke ist unser Freund!"

"Ist er nicht", korrigierte Temari. "Erinnere dich doch. Wann hat er je was Nettes zu uns gesagt? Wann hat er sich je an unseren Aktivitäten beteiligt, ohne dass du ihn gezwungen hast? Geben wir es zu, richtig gemocht hat ihn keiner."

"Das ist vielleicht deine Meinung, aber ihr anderen denkt anders, oder?", fragte er in die Runde, in der sich nun betroffenes Schweigen ausbreitete.

Gaara machte den traurigen Anfang. "Ich konnte ihn nie leiden."

"Und der Rest von euch?" Nach und nach stimmten alle zu, bis auf Sakura, die sich ihrer Meinung enthielt. "Sakura-chan. Du stehst doch auf meiner Seite, oder? Du weißt, dass Sasuke kein so schlechter Kerl ist."

Sie biss sich auf die Lippen und sah in ihre Teetasse. Langsam sagte sie: "Er hat mich in aller Öffentlichkeit beleidigt, mich bloßgestellt und mich nicht gerade wie jemanden behandelt, auf dessen Freundschaft er Wert legt. Damals auf der Kreuzfahrt hat er, als ich ihn zum Tanzen aufforderte, abgelehnt und stattdessen mit Sayuri getanzt, die er mitten im Tanz auf der Fläche stehen gelassen hat. Nichtsdestoweniger war ich gewillt, ihn als Mitglied unserer Gruppe zu akzeptieren, weil er scheinbar deine Freundschaft gewonnen hatte. Aber nach eingehender Beobachtung…" Sie machte eine kurze Pause, um sich zu sammeln. "Nach eingehender Beobachtung muss ich feststellen, dass Sasuke sich unsere Freundschaft nicht verdient hat und damit einhergehend auch nicht unsere Bemühungen um ihn. Ich stimme den anderen also zu."

"Du klingst wie eine Sozialberaterin in einem Einbürgerungstest", stellte Naruto entsetzt fest. "Aber Temari sagte doch, du würdest ihn Karin nicht einfach überlassen!"

"Das hatte ich auch nicht vor." Sie wandte sich endlich von der Tasse ab und sah Naruto ernst an. "Allerdings wusste ich, als ich das sagte, nicht, dass Sasuke sich bereits entschieden hat. Keine Ahnung, seit wann er mit Karin rumhängt, aber sie hat ihren bösen Einfluss schon über ihn gelegt. Daran ist nichts zu ändern."

"Rede mit ihm!", forderte er sie nachdrücklich auf. "Erinnere dich an die ganzen schlimmen Dinge, die Karin dir angetan hat. Wenn du sie ihm erzählst, wird er erkennen, dass Karin eine furchtbare Person ist. Versprich mir, dass du mit ihm redest."

Sakura zögerte. "Okay. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, werde ich es tun." Sie schlug sich in Gedanken für dieses Versprechen. Halten würde sie es müssen, daran führte kein Weg vorbei. Aber ob sie das wollte? Sie hatte zwar zu keiner Zeit gelogen—weder, als sie Karin den Kampf erklärte, noch, als sie gerade eben resigniert hatte –, doch so wie die Lage aussah, musste sie Sasuke abschreiben. Sie war kein naives, verträumtes Mädchen—zumindest nicht immer. Es gab Situationen im Leben, da musste man das Blatt akzeptieren, das das Leben einem zugespielt hatte. Und wenn man damit nicht gewinnen konnte, musste man eben dennoch das Beste daraus machen. Manchmal hatte hoch pokern keinen Sinn. Als sie Karin den Kampf erklärt hatte, hatte sie nicht geahnt, dass sie bereits so viel Vorarbeit geleistet hatte. Die beiden mussten sich schon öfters getroffen haben, sonst würde er nicht bereits an ihrem Tisch sitzen. Es war aussichtslos.

Sakura vermied es in den nächsten Tagen auf das Tunlichste, Sasuke über den Weg zu laufen. Da sie den ganzen Oktober kein einziges Unterrichtsfach gemeinsam hatten und er beinahe ständig mit Karin unterwegs war, bekam ihn selbst Naruto nur beim Fußballtraining zu Gesicht, also hatte sie eine sehr gute Ausrede für den Aufschub des Gespräches, das sowieso nichts bringen würde.
 

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Das Blatt wandte sich am Donnerstag, nachdem sie es vier Tage geschafft hatte, ihn kein einziges Mal zu Gesicht zu bekommen.

Ino hatte sich gnädigerweise dazu herabgelassen, nicht mehr mit ihr zu reden und ihr somit ihre verdiente Ruhe zu gönnen. Sie selbst musste viel lernen, was sich beim Wahlmodul Kunst irgendwie schräg anhörte. Also hatte sie freundlicherweise das Zimmer für diesen Abend geräumt und lernte im Kunstsaal mit ihren Wahlmodulmitschülern für Fächer wie Farbmethodik und Kunstgeschichte.

Sakura saß indes über ihren Schreibtisch gebeugt und büffelte wie eine Wahnsinnige für Somatologie, ihr Lieblingsfach. Nach Geflechtsknochen und Faserknochen war sie nun gänzlich in die Lamellenknochen vertieft und las leise murmelnd den Text aus dem Lehrbuch vor.

"Der Lamellenknochen wird in die äußere Substantia corticalis und die innere Substantia spongiosa gegliedert. Die äußere Substantia corticalis befindet sich im Mittelteil von Röhrenknochen. Da sie sehr dick ist, wird sie auch als Substantia compacta bezeichnet. Die innere Substantia corticalis ist ein schwammartiges Gerüstwerk feiner Knochenbälkchen. Näheres dazu im Kapitel acht Punkt vier in 'Anthropologie' von Shibasaki et al."

Sie sah stöhnend auf die Uhr.

"Na super! Jetzt muss ich dieses dumme Buch holen!" Demotiviert tauschte sie die Jogginghose gegen einen Rock, schlüpfte in ihre Schuhe und ging um sechs Uhr nachmittags in die Bibliothek.

So leer diese am Wochenende war, so voll war sie normalerweise nach fünf Uhr, wenn alle mit dem Hauptstoff ihres Buchkapitels durch waren und plötzlich die kleinen Querverweise fanden, die sie in die Bibliothek trieben. Hoffentlich war ihr Buch noch da! Somatologie war sehr beliebt, darum würde jeder damit anfangen. Hoffentlich war sie mit dem Stoff schneller vorangekommen als der Rest. Sie würde sich Buch greifen, sich in die Liste eintragen und verschwinden, bevor sich ihr jemand in den Weg stellte. Das war der Plan und bis zu dem Teil mit dem Verschwinden hatte er einwandfrei geklappt.

Sakura schrieb den Buchtitel in die Liste am Bibliothekspult und holte ihren Schülerausweis aus der Umhängetasche, um ihre Schülerkennzahl abzuschreiben. Sie fingerte das kleine Kärtchen dabei so ungeschickt aus seinem Fach, dass es ihr hinunterflog. Als sie sich herunter beugte, um danach zu greifen, kam ihr eine Hand zuvor. Damit hatte sie nicht gerechnet und dementsprechend erschrak sie auch bis auf die innere Substantio corticalis. Ein rauer Schrei entwich ihrer Kehle, als sie zurückwich und sich die Hand aufs klopfende Herz legte.

"Sasuke!", rief sie überrascht.

"Hier."

Er reichte ihr das Kärtchen, in der anderen Hand hatte er ein Buch aus der Wirtschaftsabteilung, das er eben geholt hatte. Sie brauchte einen Moment, ehe sie es nehmen konnte.

"Mir fällt gleich der Arm ab, wenn du es nicht bald nimmst."

Sie nickte und nahm ihm den Ausweis endlich ab. In all ihrer letzten verbliebenen Geistesgegenwart, verabsäumte sie es zum Glück nicht, sich doch noch einzutragen. Sasuke war inzwischen wieder nach hinten zu den leeren Tischen gegangen. Fast niemand lernte in der Bibliothek. Das wollte auch Sakura nicht und sie wollte bereits gehen, als ihr das Versprechen einfiel. Sie musste es einfach tun. Vielleicht war es ihr Ehrgefühl, vielleicht der letzte verbleibende Rest Hoffnung; jedenfalls ging sie nach hinten und setzte sich mit gelassener Miene ihm gegenüber. Dass sie so viel Coolness aufbringen konnte, überraschte sie.

Sasuke war das, wie es schien, herzlich egal. Er sah kurz auf und wandte sich wieder seinem Buch zu, das mit seinen ganzen Formeln gar nicht wirklich interessant sein konnte.

"Kann ich mit dir reden?", fragte sie.

"Tust du doch gerade."

"Sprach er, während sich sein Ego schmerzlich bewusst wurde, dass schon drei Milliarde Leute vor ihm genau dieselbe dumme Antwort gegeben hatten." Sie beugte sich über den Tisch und legte ihre Handfläche auf sein Buch, um ihm am Weiterlesen zu hindern. Es zeigte Erfolg.

"Was willst du?"

"Reden, sagte ich doch. Über deine Freundin. Sie ist eine verlogene Möchtegerntussi, die sich was auf ihre Adelsabstammung einbildet. Sie manipuliert ihre Mitmenschen wo sie nur kann. Dabei kamen schon viele Leute zu Schaden und du bist ihr nächstes Opfer."

"Halt", unterbrach er sie wenig interessiert. "Bevor du weiterredest, lass mich eines klarstellen. Karin ist nicht die Art von Freundin, die du dir vorstellst. Wir sind nicht zusammen. Noch weniger bin ich irgendjemandes Opfer, schon gar nicht ihres. Ich suche mir meine Freunde selbst aus, ob es euch passt oder nicht. Wenn du von Naruto geschickt wurdest, dann richte ihm aus, dass mein Leben ihn nichts angeht. Ich habe ihm schon einmal gesagt, dass er sich nicht einmischen soll. Ich schätze Karin, weil sie nicht so dumm und naiv ist wie ihr." Er stand auf und packte seine Sachen zusammen. Der Blick, der sie dabei streifte, war eine Drohung für sich. Mit schneidender Stimme fuhr er fort: "Falls diese sinnlose Warnung aber aus deinem Ideenschatz entsprungen sein sollte, dann lass dir gesagt sein, dass du ebenso wenig das Recht hast, mir Ratschläge zu erteilen, mit wem ich mich abgeben soll. Mein Leben ist für dich tabu. Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten und belästige mich nicht mit deiner heuchlerischen Fürsorge."

"Daran ist nichts heuchlerisch."

"Und ob!", zischte er wütend. Er knallte die Hände auf den Tisch und beugte seinen Kopf dicht zu ihr hinunter. Sie konnte ihre Spiegelung fast in seinen Augen sehen, wäre die Schwärze darin nicht leer und kalt gewesen. "Wenn du schon so niederträchtig bist und Karin vor mir als schlechten Menschen darstellst, dann gib diese Frechheit wenigstens zu. Gib endlich auf, Sakura. Der Zug, der für dich scheint, als würde er gleich abfahren, den gab es in Wahrheit nie. Ich hätte niemals etwas mit dir angefangen, nicht für eine einzige Nacht. Sakura."

Sein Blick ließ sie zu Eis gefrieren. Er war so verachtend. Er sagte damit, dass er ihre Hilfe nicht brauchte, nicht wollte, nicht einmal annehmen würde, wenn er im Sterben lag. Alleine, weil sie ihm davon abraten wollte, würde er weiter mit Karin befreundet sein. Das war ihr Verdienst. Aber am zornigsten machte sie seine Anmaßung, ihr das Gesagte als Lüge zu unterstellen, als gemeine Intrige, um Karin zu schaden. Dabei hatte sie ihm in den Tiefen ihres Herzens wirklich helfen wollen. Aus Selbstlosigkeit, weil sie niemandem wünsche, Karins Marionette zu werden.

Nicht minder wütend sprang sie auf, wobei ihr Sessel nach hinten kippte, und schlug die Handflächen wie zuvor Sasuke auf den Tisch. Er wich zurück; sein Glück, andernfalls hätte sie ihn ausgeknockt, als ihr Kopf in die Höhe schnellte. Sein Zurückweichen bot ihr die Gelegenheit zum Gegenschlag.

"Jetzt hör mir zu", fauchte sie bedrohlich. Er blieb unberührt. "Erzähl mir nichts von Frechheit, wenn aus deinem eigenen Mund nur Unverschämtheiten kommen! Hörst du dir selbst zu? Jedes deiner Worte strotzt nur so vor Überheblichkeit, Arroganz, vor Missgunst und Selbsthass! Du hasst dich selbst, weil du so bist, aber du kannst es nicht ändern. Schön. Damit habe ich kein Problem, Sasuke. Von mir aus, verende in Karins Fängen, bis sie dich nicht mehr braucht. Ihr passt sicherlich hervorragend zusammen, denn ihr beide seid nicht mehr als die Strohmänner eurer Verachtung gegen euch selbst! Jeder Schritt, jedes Wort geschieht aus eurer Verzweiflung über euer glückloses, hohles Leben! Mit so jemandem möchte ich nicht befreundet sein—selbst wenn du hundertmal besser aussehen würdest!"

"Bist du fertig?", fragte er ungerührt, als hätte sie ihm gerade das Wetter geschildert. Das machte sie nur noch rasender.

"Ja, ich bin fertig mit dir, Uchiha Sasuke!", schrie sie aufgebracht. "Du wirst früh genug sehen, was du davon hast! Aber komm dann nicht angelaufen, wenn du verstehst, dass wir deine wahren Freunde hätten werden können, wenn du selbst dir nicht alles verbaut hättest! Du hast nicht keine Freunde, weil du keine willst, sondern weil du jeden binnen weniger Tage vergraulst, der dein Freund werden könnte!"

Das war der Moment, an dem Uchiha Sasuke für Haruno Sakura starb. Und zwar nicht einfach nur sein Leben ließ, sondern in ihren Gedanken auf hundert verschiedene grausame Arten den Tod fand.

Sakura wollte ihm das sagen, doch ehe Sasuke sich noch mehr Verachtung ihrerseits einhandeln konnte—wozu er sicherlich mit nur wenigen Worten fähig gewesen wäre—wurden sie von Hinata unterbrochen, die Sakura verhältnismäßig grob am Handgelenk packte und ihr befahl, mitzukommen. Sasuke sah den beiden verdutzt nach. Er war froh, diese Nervensäge endlich losgeworden zu sein.
 

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"Hinata! Was ist los?", fragte Sakura arglos und zutiefst verwirrt. Hinata zerrte sie weiter mit sich den Gang entlang, bis sie in der um diese Uhrzeit noch leeren Mensa waren. Sie stellte sich mit wütendem Blick vor sie und verschränkte nicht minder wütend die Arme.

"Diesmal bist du zu weit gegangen, Sakura!"
 

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Cracks And Clefts


 

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Seit neuestem hasste Hinata Donnerstage. Und sie liebte sie. Zusammen mit Naruto nach dem Unterricht im dritten Stock Klassenräume sauber zu machen, war die süßeste Tortur, die sie sich erträumen konnte. Nichtsdestoweniger eine Tortur. Langsam nervte es Hinata, dass sie so leichtfertig auf die Rückgabe des Schlüssels verzichtet hatte, denn sie hätte die Zeit wirklich besser nützen können. Aber es wäre nicht Hinata gewesen, wenn sie nicht ihrer romantischnaiven Seite wegen dieses Übel gerne in Kauf nahm. Das einzige Problem war, dass Naruto zwar immer wieder Andeutungen machte, ohne Klartext zu sprechen, auf den sie hätte eingehen können, was sie sowieso nur in ihrer Fantasie getan hätte, aber immerhin. Sie war kein Stück weitergekommen. Sie würde Sakura, Temari und Ino wohl doch bitten, den Schlüssel zurückzugeben, dann hatte sie noch drei Wochen, ehe sie die Hoffnung für immer aufgab.

Mit diesen Gedanken kehrte sie eine viertel Stunde lang schweigend das Klassenzimmer, bis Naruto das Schweigen irgendwann zu langweilig zu werden schien.

"Denkst du, Tsunade-obaachan wird uns jemals entlassen? Wir machen das jetzt schon die dritte Woche und dieser dumme Schlüssel ist noch immer nicht da. Wir sollten vielleicht noch einmal mit ihr reden und hoffen, dass sie uns diesmal glaubt."

Hinatas Griff um den Besen verstärkte sich ein wenig. Sie konnte schlecht lügen, darum ging sie vorsichtshalber zum Fensterputzen über, wobei sie ihm den Rücken zuwenden konnte. "Sie wird uns noch immer nicht für unschuldig halten, vermute ich."

"Willst du das etwa bis zum Abschluss machen? Die Prüfungen sind erst Anfang April! Ich jedenfalls habe keine Lust, Nachsitzen zu verbüßen, das ich gar nicht verdient habe. Nicht, dass ich Probleme damit hätte, meine Strafe zu akzeptieren, aber diesmal habe ich nichts gemacht!"

"Wir sollten einfach noch ein bisschen warten, dann taucht er sicherlich auf", riet Hinata. Naruto war davon weniger überzeugt—wie auch?—und klopfte missmutig grummelnd die Tafelschwämme aus.

"Sag mal, Hinata-chan, hättest du Lust, mal mit mir auszugehen? Am Samstag gibt es in einem kleinen Café in Miyazu eine Jazzband, die sehr gut sein soll. Wir könnten sie uns zusammen anhören."

Hinata kämpfte seit seinem ersten Wort mit der Ohnmacht. Ihr Kopf war feuerrot, noch röter als jemals zuvor. Ausgehen? Sie mit Naruto? Von einem Date zu einer Beziehung fehlte nicht mehr viel! Hatte sich also doch alles bezahlt gemacht? All der Ärger sollte am Schluss doch noch zum Ziel führen? Aber konnte sie das überhaupt? Es gab so viele Gründe, die dagegen sprachen. Sie durfte nicht.

"Sakura meinte, du würdest Jazz mögen und sie hat mir auch die Band empfohlen. Du weißt ja, sie steht auf diese Musik, weil es sowas dauernd auf den Galaabenden spielt. Ich war nie ein großer Fan davon, aber dann hat sie mit ein paar Lieber vorgespielt und ehrlich gesagt denke ich, dass es mit dir sogar erträglich wäre."

Er wartete auf eine Antwort, doch Hinatas Erwiderung war zu leise ans Fenster gerichtet, als dass er sie gehört haben konnte. Um die vermeintlich peinliche Stille zu überbrücken, sprach er weiter.

"Du musst nicht, wenn du nicht willst. Sag mir einfach, falls du keine Lust hast, das verstehe ich. Ich dachte nur, da wir uns sehr gut verstehen und auch gerne Zeit miteinander verbringen, wäre es doch möglich, dass wir uns auch auf andere Weise gut verstehen."

Hinata hatte ihm immer noch den Rücken zugedreht und war keiner ausreichend lauten Antwort fähig. Langsam wurde es peinlich. Was hatte sich Sakura dabei gedacht, ihm zu einer Verabredung mit Hinata zu raten, wenn diese sichtlich nicht wollte?

"Anfangs dachte ich, dass das mit uns nie was werden könnte. Wir sind so verschieden und ich denke nicht, dass ich dir das bieten kann, was dir eigentlich zusteht, aber als mir Sakura-chan sagte, dass du in mich verliebt wärst, da wurde mir klar –"

"Sakura?" Sie fuhr mit pochendem Herz herum und sah ihn entgeistert an. Wo ihre Wangen vorhin noch tiefrot gewesen waren, war sie nun kalkweiß. Ihre Finger zitterten unkontrolliert; ob vor Wut oder Entrüstung, konnte sie selbst nicht sagen. "Sakura hat dir gesagt, dass…dass…ich—" Sie brach ab und schüttelte den Kopf.

"Hinata-chan? Geht es dir gut? Du siehst aus, als würdest du gleich umkippen." Er tat einen Schritt auf sie zu und wollte ihre Hand nehmen, doch sie stieß ihn weg und rannte aus dem Klassenzimmer.

Naruto prallte gegen den Lehrertisch, an dem er sich im letzten Moment abfangen konnte. Er sah Hinata verwirrt nach. "Hinata-chan?", sagte er, als sie längst fort war. Hatte Sakura ihn angelogen? Absichtlich oder nicht? Er hatte ja selbst das Gefühl gehabt, dass zwischen Hinata und ihm etwas war. Hatte er sich so stark getäuscht? Zugegeben, richtig beschäftigt hatte er sich damit nicht, aber dass sie so entschieden den Kopf schütteln würde? Er musste ein ernstes Wort mit Sakura reden.
 

Hinatas Entsetzen verwandelte sich im Laufen zu unbändiger Wut. Wie konnte Sakura es wagen? Wie konnte sie ihr das antun? Diese Peinlichkeit! Noch nie im Leben war Hinata auf etwas oder jemanden böse gewesen; nicht einmal, als ihre besten Freundinnen ihr absichtlich einen bösen Streich angelastet hatten, war sie lange sauer gewesen. Aber das was die Höhe—was hatte sie sich dabei gedacht?

Getrieben von dem Drang, Sakura dafür büßen zu lassen, rauschte sie durch die Gänge und wollte ins Wohnhaus hinüberlaufen, als sie beim Anziehen ihrer Jacke zwei Mädchen miteinander reden hörte.

"Ja, Haruno-senpai aus der Vierten. Das stand zumindest in Akios SMS. Sie hat geschrieben, sie nimmt es mit dem Handy auf."

"Entschuldigt", unterbrach Hinata die beiden. "Was ist mit Haruno-senpai und wo?" Sie konnte nur schwerlich ihren Zorn unterdrücken.

Die kleinere der beiden Mädchen sagte: "Haruno-senpai hat wohl gerade eine heftige Auseinandersetzung mit Uchiha-senpai in der Bibliothek."

Hinata machte Kehrt und raste den Gang entlang zurück ins Innere des Schulgebäudes. Ihre Schritte führten sie direkt in die Bibliothek, wo Sakura Sasuke tatsächlich gerade lautstark anschrie. Sie keuchte und war außer Atem, nicht minder war es Hinata; aus denselben Motiven, aber durchaus nicht denselben Gründen. Ohne nachzudenken, ging sie auf die nunmehr Verstummte zu, die gerade Luftholte und erneut zu einer Schimpftirade gegen den desinteressierten Gegner ansetzte. Viel zu fest packte Hinata ihre sogenannte Freundin am Handgelenk.

"Komm mit!", befahl sie ihr barsch und zog sie grob mit sich hinauf auf den Flur.

"Hinata! Was ist los?", fragte Sakura arglos und zutiefst verwirrt. Hinata zerrte sie weiter mit sich den Gang entlang, bis sie in der um diese Uhrzeit noch leeren Mensa waren. Sie stellte sich mit wütendem Blick vor sie und verschränkte ebenso wütend die Arme.

"Diesmal bist du zu weit gegangen, Sakura!"

"Wovon redest du?"

"Du weißt genau, wovon ich rede!" Hinata war so wütend, dass sie sich beinahe vergaß. Alles in ihr brodelte, wollte nur mehr schreien und etwas demolieren. Noch nie hatte sie so viele destruktive Emotionen empfunden. "Ich war nie sauer, weil ihr mich seit der Zweiten mit Naruto-kun aufzieht, obwohl es mich manchmal verletzt hat! Ich war nicht sauer, als du mir diesen Streich gespielt hast, der ordentlich hätte schief gehen können! Ich war auch nicht sauer, dass ihr euch nicht einmal förmlich erboten habt, die Sache sofort aufzuklären, nachdem ich mit den Nerven fertig war! Aber diesmal bin ich sauer! Und zwar stinksauer! Wie konntest du es wagen, Naruto-kun zu gestehen, dass ich in ihn verliebt bin?"

"Was?", meinte Sakura empört. Er hatte es verraten, dieser Dummkopf! "Hinata, ich wollte nicht –"

"Was wolltest du nicht, Sakura? Mich nicht bloßstellen? Meine Gefühle nicht einfach so heraus posaunen? Ich kann nicht frei über mein Leben verfügen, weil ich in eine elitäre Familie geboren wurde! Das einzige, über das ich verfügen konnte, waren meine Gefühle! Meine Gefühle! Wer gab dir das Recht, meine privatesten, intimsten Empfindungen preiszugeben? Du warst vielleicht meine Freundin, aber das gab dir nicht. dieses. Recht!"

"Es tut mir leid, Hinata! Ich konnte einfach nicht mehr zusehen, wie ihr seit zwei Jahren umeinander schleicht, ohne Nägel mit Köpfen zu machen!"

Hinata ließ sich nicht so einfach abspeisen. Ihre Lippen bebten, als ein ungewohnt lauter und langer Wortschwall über sie kam. "Darum habe ich dich nicht gebeten, verdammt!", kreischte sie wutentbrannt. Um ein Haar hätte sie einen Sessel mutwillig umgestoßen. "Vielleicht hat mir dieses Herumschleichen gefallen, weil es mich in meiner Illusion ließ, dass alles perfekt sein könnte! Das war ein Traum, Sakura—mein Traum! Ich konnte mir alles nach meinen Wünschen ausmalen! Es sollte immer noch mein gutes Recht sein, meine Gefühle dann zu offenbaren, wenn ich es möchte! Ich brauche deine Hilfe nicht! Ich brauche auch nicht Temaris oder Inos Hilfe! Was ich brauche, sind Freundinnen, die es akzeptieren, wenn ich sie um etwas bitte! Ich habe dich nie um etwas gebeten, außer, dass du Naruto nichts sagst! Und du hast dein Versprechen gebrochen!"

"Ich wollte nicht –"

"Jetzt rede ich!", fuhr sie ihr dazwischen. Sie keuchte unter der Anstrengung und senkte nun ihre Stimme auf einen vorwurfsvollen Ton. "Du hast keine Ahnung wie es ist, in einer Familie aufzuwachsen, in der alles vorherbestimmt ist; auf welche Schule man geht, welchen Beruf man ergreift, welche Freunde man hat, sogar wen man heiraten soll. Seit ich klein bin, lebe ich mit dem Wissen, an irgendeinen reichen Wirtschaftsmogul verheiratet zu werden, um meiner Familie Ehre zu machen. Die Zeit hier im Internat, fernab dieser Zwänge, wenn auch nicht im Geiste frei davon, war meine einzige Chance, einmal so zu tun, als könnte ich mein Leben selbst bestimmen. Und diese Chance hast du mir genommen."

"Hinata—"

"Sei still. Ich habe mit Naruto keine Zukunft. Wir kommen aus verschiedenen Welten. Mein Vater würde ihn nie akzeptieren. Diese Liebe hat keine Chance. Aber solange ich die Vorstellung hatte, dass es eine geben könnte, war ich glücklich. Sakura, verstehst du? Ich war glücklich. Aber damit, dass du es real gemacht hast, hast du mir meine Illusionen genommen."

Sakura sah betroffen zu Boden. Tränen drangen in ihre Augen. "Ich wusste es nicht", wisperte sie. Sie musste sich an die Tischkante lehnen, sonst hätten ihre Beine ihr Gewicht nicht mehr getragen, so viel mehr wog die Schuld auf ihren Schultern plötzlich. "Ich hatte keine Ahnung."

"Natürlich nicht", zischte Hinata. "Ich habe es euch nie gesagt, weil ich nicht das arme Mädchen mit der Zwangsehe sein wollte. Ich wollte normal sein, so wie ihr. Ich wollte die letzten vier Jahre meines Lebens als normales Mädchen verbringen. Aber das hast du mir zunichte gemacht. Es geht mir nicht darum, dass du meine Gefühle vor Naruto offenbart hast und mich damit in eine peinliche Lage versetzt hast. Es geht mir auch nicht darum, dass du ihm gesagt hast, dass er mit mir ausgehen soll—ob du es direkt getan hast oder subtil angedeutet hast mit deiner Jazzempfehlung ist mir egal. Es geht darum, dass du mein Vertrauen mit Füßen getreten hast, dass du alles zerstört hast, was mir noch bis April erhalten geblieben wäre. Ich habe eure Hänseleien mit Naruto-kun ertragen, weil sie mit im tiefsten Inneren meines Herzens das Gefühl gaben, es könnte wahr werden."

"Es tut mir leid", wiederholte Sakura. "Ich dachte nicht, dass ich dich damit so verletzen würde. Ich wollte dir helfen."

"Das Motiv spielt keine Rolle", sagte Hinata matt. "Ich bat dich, es für dich zu behalten. Es war der einzige Wunsch, den du mir jemals erfüllen solltest. Aber obwohl er nur so klein war, hast du ihn ignoriert. Ab heute bist du nicht mehr meine Freundin, Sakura. Ich möchte nichts mehr mit dir zu tun haben."

Hinata warf Sakura einen Blick zu—Bitterkeit, Vorwürfe, Leid—und drehte sich zum Weggehen um. Als sie die breite Flügeltüre erreicht hatte, drehte sie sich noch einmal um. Ihre Stimme war matt, tonlos. "Weißt du, wen ich heiraten muss? Uchiha Sasuke. Aber sag's keinem."

Ein Schlag ins Gesicht, ein zweiter oben drein. Sakuras Knie wurden wackelig. Wegen Hinata oder Sasuke? Sie wusste es nicht. Alles kam so schnell, so plötzlich, so unerwartet. Hinatas Befehl zum Schweigen war ein klarer Seitenhieb gewesen. Sie würde sich daran halten müssen, ob sie wollte oder nicht. Hinata mit Sasuke verlobt…das konnte nicht wahr sein. Niemals. Und sie konnte mit keinem darüber reden. Nun fiel ihr auch ein, wer dieser Mann gewesen war, den sie zu Schulanfang in Tsunades Büro gesehen hatte. Hyūga Hiashi. Ohne Zweifel. Aber sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Nicht jetzt.

Minutenlang stand Sakura schweigend an den Tisch gelehnt da. Was hatte sie angerichtet? Sie hatte innerhalb weniger Tage zwei ihrer besten Freundinnen verloren und die zweite auch noch mit dem Wissen, nicht nur die Freundschaft, sondern auch einen Traum zerstört zu haben. Mutlos sank sie schließlich zusammen und schlang die Arme um sich selbst. Unter dem Esstisch fand sie nur wenig Schutz vor den Schuldgefühlen.

Irgendwann—sie konnte nicht sagen, ob es eine halbe oder zwei Stunden gewesen waren—raffte sie sich endlich auf. War es letztens noch Wut gewesen, die sie in die Turnhalle getrieben hatte, um ihrem alten Hobby nachzugehen, so war es nun Verzweiflung. Sie musste den ganzen Frust herauslassen, bevor er sie auffraß. Und das konnte sie nur mit einer Portion kräftiger Schläge.

Nur wenige Minuten nachdem sie die Mensa verlassen hatte, drosch sie auf den Sandsack ein; fester, als sie sich zugetraut hatte. Zu dem schlechten Gewissen kam die Wut auf sich selbst hinzu, die sie an ihre Grenzen und weit darüber hinaus trieb. Die Kraft schien ihr nicht ausgehen zu wollen, schöpfte sie sie auch aus den schier endlosen schlechten Gefühlen, die nacheinander über sie hereinbrachen. Erst schlug sie aus Verzweiflung, dann aus Hass auf sich, danach aus Frust, dann wieder aus Hass auf Sasuke und schlussendlich verprügelte sie den Sandsack nur mehr, weil sie nicht mehr aufhören konnte.

Bei der unkontrollierten Prügelei brach nach einer Weile ihre alte Technik wieder durch, mit der sie um einiges mehr Ausdauer hatte. Sie schlug nicht mehr wild auf den Boxsack ein, sondern führte gezielte Schläge und Tritte aus, denen eine kurze Verschnaufpause folgte. Wieder zu trainieren lenkte sie von dem ab, was sie sonst in tiefste Niedergeschlagenheit gestürzt hätte. Es tat gut, einfach nur irgendwas zu tun, anstatt untätig rumzusitzen.

"Sakura-chan? Temari meinte, du wärst hier."

Sie malträtierte das Gerät weiter, ohne Naruto anzusehen, dessen Stimme sie nicht sonderlich verwunderte. Sie wusste, dass er sie früher oder später finden würde.

"Weißt du, was mit Hinata-chan los war?" Er wusste ja nicht, was seine Frage für Dinge in ihr auslöste, darum war er schockiert, als ihre Tritte schlagartig heftiger wurden.

"Sie ist wütend auf mich."

"Weil ich verraten habe, dass du es warst, die mir geraten hat mit ihr auszugehen?"

"Nichts gegen dich, Naruto", presste sie unter den Tritten hervor. Sie schwitzte bereits stark vor Anstrengung. Ihr Glück, sonst hätte Naruto die Tränen gesehen. "Die Sache geht weit tiefer als das. Es wurden Dinge gesagt und getan, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Ebenso wie unser Bruch."

"Euer Bruch?", wiederholte er fassungslos. "Sakura-chan, nein! Ihr dürft euch nicht wegen mir streiten!"

Sie ließ von dem Boxsack ab, nun, da sie langsam die Überbeanspruchung ihrer Gelenke spürte. "Es ist nicht deine Schuld. Glaub mir. Mach dir keine Vorwürfe."

"Das tue ich aber."

"Dann lass es", fauchte sie. Sie packte ihre Sachen und ging zum Ausgang des Turnsaals. Naruto folgte ihr auf dem Fuß. "Wenn du ein Schuldeingeständnis von mir erwartest, das dich belastet, dann kannst du lange darauf warten. Du hast mit der Sache nichts zu tun."

"Das glaube ich dir, aber ich möchte dich jetzt nicht alleine lassen", beharrte er. Er nahm ihre Hand und zog sie in eine freundschaftliche Umarmung, noch ehe sie die breite Flügeltüre erreicht hatten. "Du streitest dich schon seit zwei Wochen mit Ino und jetzt hast du auch noch Hinata gegen dich. Ich kann es nicht ertragen, dich so verlassen zu sehen. Du bist traurig, das sehe ich."

"Naruto", wimmerte sie. Sie krallte sich in sein Shirt und fing bitterlich an zu weinen. Es tat gut, ihn an ihrer Seite zu wissen, aber es nahm nicht die Last der Schuld von ihr. "Ich habe das angerichtet. Mit meinen kindischen Streichen!" Ihre Stimme erbrach sich in ein herzzerreißendes Schluchzen, unter dem sie nur schwerlich sprechen konnte. "Ich hielt alles für ein Spiel, dabei ist es so viel ernster. Ich dachte immer, ich wäre erwachsen und nun verletze ich mit meiner kindlichen Naivität alle, die ich liebe. Alle." Ihre raue Stimme brach komplett.

"Du hast es gut gemeint, Sakura-chan." Naruto hielt sie weiter einfach nur fest und strich ihr sanft übers Haar. Mehr konnte er nicht tun. Dabei war es mehr, als Sakura sich selbst gegönnt hätte.
 

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"Ihr habt was?", fragte Tsunade ungläubig am nächsten Morgen noch vor dem Frühstück, um sicherzugehen, dass sie nichts missverstanden hatte. "Lasst mich das noch einmal rekapitulieren. Ihr drei habt diese Vorrichtung in der Mensa per Internet bestellt, sie installiert und dann Naruto und Hinata in die Schuhe geschoben, damit die beiden sich näher kommen können?" Sie drehte den kleinen silbernen Schlüssen in ihren Fingern. "Er passt eindeutig zum Schloss, also schenke ich euch meinen Glauben und die Strafe der beiden. Nachsitzen, jeden Dienstag und Donnerstag von vier bis sechs. Naruto und Hinata haben euch sicherlich bereits erzählt, was sie alles machen mussten."

"Wie lange?", fragte Ino kleinlaut.

"Wenn ihr Glück habt bis Ende des Jahres. Wenn nicht, bis Ende des Schuljahres. Ich an eurer Stelle würde mit Eifer an die Sache herangehen, sonst lasse ich euch noch nachsitzen, wenn ihr auf der Universität seid!" Sie ließ den Schlüssel in einer Schublade verschwinden und zog im selben Zug ein paar Akten hervor. "In Anbetracht der Schwere des Vergehens und unter Berücksichtigung der langen Zeitspanne bis zu eurem Geständnis, sowie der intriganten Handelsweise, werde ich diesen Vorfall in euren Schulakten vermerken."

Die drei Mädchen vor ihr nickten schuldbewusst.

"Aber ich bin kein Unmensch. Ich weiß, dass manche Eliteuniversitäten die Akten der Oberstufenschule einsehen und deren Aussehen zur Bewertung heranziehen. Wenn ihr euch benehmt, euch nichts mehr zuschulden kommen lasst und wirkliche Reue zeigt, wovon ich überzeugt bin, werde ich Gnade vor Recht walten lassen und die Eintragung löschen. Bis auf Weiteres bleibt sie jedoch bestehen. Ich hoffe, dass euch das eine Lehre ist. Euer Handeln war unverantwortlich, kindisch, dumm, unüberlegt, unreif, riskant und nicht den geistigen Standards jener Schüler entsprechend, die wir zu formen den Auftrag haben."

"Ja, Tsunade-sama", murmelten die drei Gescholtenen. Tsunade nickte zufrieden.

Vor dem Büro leckten Temari und Sakura sich gegenseitig ihre Wunden, indem sie sich immer wieder sagten, das Richtige getan zu haben, während Ino sich verraten fühlte. Das rührte noch immer davon, dass Sakura und Shikamaru sich als Paar ausgaben und Temari eindeutig auf Sakuras Seite stand. Sooft Ino Rat bei Temari gesucht hatte, hatte diese ihre Sorgen nicht einmal angehört sondern nur gemahnt, sie solle nicht so kindisch und nachtragend sein. Was Temari in Wirklichkeit damit bezweckt hatte, und dass ihre Abweisung nur ihr, Ino, so abgestumpft und gemein vorkamen, bekam sie natürlich nicht mit. Sie fühlte sich als große Außenseiterin, die nun aus unerfindlichen Gründen dazu gezwungen worden war, vor Tsunade blank zu ziehen und eine saftige Strafe zu kassieren. Was zwischen Hinata und Sakura vorgefallen war, hatte ihr keiner erklärt, immerhin wusste Temari es nur von Sakura in groben Zügen und mit Ino sprach diese ja nicht mehr.

Dementsprechend schlecht war Inos Stimmung. Sie war sowieso nur mitgekommen, weil sie keine Chance gegen die beiden gehabt hätte. Es war besser, sich ebenfalls zu stellen, anstatt Tsunades Zorn auf das Kameradenschwein auf sich zu ziehen. Woher der plötzliche Sinneswandel kam, wusste sie immer noch nicht, aber sie sollte es bald erahnen.

Zu dämmern begann es ihr beim Frühstück, bei dem die Runde merklich geschrumpft war. Hatten sie bis gestern nur Sasuke eingebüßt, um den sowieso niemand außer Naruto trauerte, so war heute auch Hinata nicht mehr zugegen. Erst dachte Ino, sie hätte verschlafen oder sie fühle sich nicht gut, aber dann sah sie ihre dunkelhaarige Freundin auf der anderen Seite der Mensa alleine auf einem kleinen Tisch sitzen, fernab ihrer Freunde.

"Will mir jetzt jemand sagen, was mit Hinata los ist?", forderte Ino im Befehlston. Dass sie damit wenig Erfolg bei der einzigen hatte, die es wusste, war ihr klar, aber sie konnte einfach nicht an sich halten. Als ihr keiner antwortete, stand sie wieder auf. "Es reicht. Warum auch immer Hinata gegangen ist, sie hat das Richtige getan. Ich halte das hier nicht mehr aus. Wenn sowieso keiner mit mir spricht, dann kann ich genauso gut gehen."

"Ino, warte!", rief Shikamaru ihr nach, doch nicht einmal das konnte sie zum Bleiben bewegen. Sie bedachte ihn mit einem Blick, der ihm sagte, er solle sie bloß am meisten in Ruhe lassen.
 

Aus der Ferne beobachtete Sakura, wie Ino mit Hinata sprach. Sie konnte sie nicht hören, aber sie wusste genau, was letzere ihr erzählte. Inos strafender Blick bestätigte ihre Vermutung.

"Was ist los mit euch?", wollte Gaara wissen. "Seit Wochen blast ihr alle Trübsal. Was genau habe ich verpasst?"

"Lass es einfach", fauchte Sakura deprimiert. Sie stand auf, ohne gegessen oder getrunken zu haben. "Erkläre Naruto bitte, warum er nicht mehr Putzen muss", sagte sie zu Temari, dann ging sie mit hängenden Schultern und Kopfweh aus der Mensa in ihr Zimmer, wo sie weinen auf ihrem Bett zusammenbrach.
 

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Friend And Squealer


 

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"Verrecke einfach, Sakura, bitte!"
 

Der Streit dauerte seit mehr als einer halben Stunde an und langsam gingen sowohl Ino als auch Sakura die Argumente aus, weswegen sie alle bereits gesagten in einer Endlosschleife wiederholten, was im Eifer des Gefechts jedoch keinem so recht auffiel.

Es war der Sonntag des fünfzehnten Oktobers, neun Tage nach Inos Loslösung von ihrer nunmehr ehemaligen Clique. Sie und Hinata bildeten fortan ein eigenes Gespann, was an sich schon für Reibereien sorgte. Sakura hatte tagelang versucht, sich bei Hinata zu entschuldigen, doch Ino hatte alle Versuche erfolgreich abgeschirmt. Sakura hatte Temari die ganze Geschichte aus ihrer Perspektive dargelegt und diese stand—vielleicht auch gerade deswegen—absolut auf ihrer Seite. Sie war der Meinung, dass Hinata maßlos übertrieb. Die Verlobung mit Sasuke hatte Sakura gezwungenermaßen nicht erwähnt. Darum verstand auch keiner die Schwere der Vorwürfe, was allen zusehends auf die Nerven fiel. Den ewigen Streit, die Zankereien, wollte keiner mehr ertragen. Darum saßen beim Frühstück auch Gaara und Shikamaru nicht mehr am Stammtisch, der plötzlich sehr leer wirkte. Er bestand nur mehr aus Sakura, Naruto und Temari.

Obwohl sich jeder aus dem Weg ging, verharrten die Streitigkeiten zwischen den Mädchen in ihren jeweiligen vier Wänden. Nun herrschten auch bei Hinata und Temari angespannte Stimmung. Wo die neue Lage aber in 215 erst die Krise heraufbeschworen hatte, hatte selbige in 202 die bereits vorhandene Krise auf ein neues Level geschraubt. Waren die allgegenwärtigen Zankereien als Ausläufer von Inos Wut wegen Shikamarus Liebe zu Sakura noch kurz, erträglich und ausgelöst durch kleine Nichtigkeiten gewesen, so hatte sich inzwischen pure Verachtung zwischen ihnen manifestiert, die beide in der jeweils anderen auch noch aufzuschaukeln verstanden—und zwar ganz hervorragend.

"Liebend gerne verrecke ich, Ino, wenn ich dann nur deiner Visage entgehen kann!", fauchte Sakura. Ihre Stimme war rau vom vielen Schreien. "Ich habe ihr ja schon hundertmal gesagt, dass es mir leid tut!"

"Das kannst du dir sparen! Du denkst, du könntest dich einfach entschuldigen und damit ist alles gut? Verdammt, Sakura, du hast ihr Leben zerstört!"

"Das ist nicht wahr!", wandte sie lautstark ein. "Ich wusste nicht, um was es geht!" Und du weißt es auch heute nicht! "Wenn sie ihn liebt, wird sich eine Lösung finden lassen!"

"Du hast gut reden mit deinem Shikamaru!" Sie zog seinen Namen unnötig provokant in die Länge. "Hinata hat mir erklärt, wie es in ihrer Welt aussieht! Naruto hat dort keinen Platz!"

"Ich sage es gerne noch einmal für dein scheinbar zu kleines Hirn, dessen Kapazität nur mit Lippenstift und Rouge gefüllt zu sein scheint; ich wollte ihr helfen! Eine Schwärmerei in der Fantasie ist doch Unsinn, wenn man eine echte Romanze genauso günstig haben kann! Was hat sich denn bitteschön für sie geändert? Sie ist noch immer in Naruto verliebt, schmachtet ihn aus der Ferne an und kann sich gerne weiterhin vorstellen, mit ihm zusammen zu sein!"

Ino schlug wütend ihre Schulmappe auf ihren Schreibtisch. "Aber jetzt ist die Illusion dahin, weil es Wirklichkeit wurde! Es geht ja auch gar nicht darum, sondern um deinen egoistischen Vertrauensbruch!"

"Ach, egoistisch? Wenn das etwas war, dann selbstlos!" Sakura keuchte vor Aufregung. Sie wusste selbst, dass sie sich um Kopf und Kragen redete, weil ihr Verhalten unentschuldbar war, aber es ging auch nicht gegen Hinata, sondern gegen Ino. Und die hatte es ihrer Meinung nach verdient.

"Sie bat dich nur um einen Gefallen, einen einzigen, und den hast du versiebt!"

"Wiederhol nicht genau Hinatas Worte, wenn du sie mit deinen Argumenten verteidigst, das wirkt einfältig, Ino!", blaffte Sakura sie an. "Ich tat es mit bestem Gewissen! Er mag sie, sie mag ihn. Auch wenn sie mich darum bat, nichts zu sagen, war es meine gute Absicht als eine ihr wohlwollende Freundin, ihr durch vielleicht unlautere Mittel zum Sieg zu verhelfen!"

"Indem du ihre heimlichsten Gefühle preisgibst?", schrie Ino zurück.

Sakura brummte wütend. "Heimlich? Jeder wusste es, jeder! Sogar Naruto wusste es längst, aber er hat sich nie damit beschäftigt! Außerdem haben wir es sogar vor Sasuke gesagt und der hat's Naruto sicherlich lauwarm gezwitschert, um ihn auf seine kranke Art zu triezen!"

"Ja, bring nur Sasuke mit ins Spiel! Kauen wir wieder mal durch, dass du auf ihn scharf warst und ich mich an ihn ranschmeißen musste, damit du an ihn rankommst!" Das traf Sakura sichtlich und Ino fuhr zufrieden mit ihrer Leistung fort. "Reden wir darüber, dass du meine gespielte Sasukenie ausgenützt hast, um an Shikamaru ranzukommen, obwohl du genau wusstest, dass ich in ihn verliebt bin!"

Das war der Zeitpunkt, an dem Sakura zwei Möglichkeiten hatte. Möglichkeit eins, sie würde, da Ino es endlich zugegeben hatte, die Sache mit Shikamaru aufklären und damit eine allgemeine Versöhnung mit sich ziehen. Aber sie entschied sich für Möglichkeit zwei; zu wütend zu sein, um klar denken zu können und weiter zu sticheln.

"Sasukenie? Was ist das denn für ein Wort? Gespielt—das ist die nächste Höhe! Zu welchem Zeitpunkt war es gespielt? Etwa, als du mich fragtest, ob ich dir Sasuke überlassen würde? Oder vielleicht, als du dich noch immer an ihn rangemacht hast—sehr erfolgreich nebenbei bemerkt—als ich bereits längst nicht mehr scharf auf ihn war? Wenn du schon eine solche Beweisführung bringst, dann überleg sie dir vorher gründlich, sonst werden sie zerpflückt, so wie dieses Pseudoding von Begründung!"

"Jetzt gehst du auch noch auf meinen Streitstil los? Dann zieh doch aus! Geh zu Temari und werde glücklich mit dieser Verräterin!"

"Das mache ich auch", kreischte Sakura hysterisch. "Temari kapiert wenigstens, dass ich recht habe! Wenn du und Hinata eine unheilige Allianz eingehen, dann bitte, sie kann gerne mein Bett haben! Ich tue alles, damit ich dich nicht mehr sehen muss!"

"Dann hätte ich eine Lösung! Verrecke einfach!"

Damit ging der Streit von vorne los.

Seine Unterbrechung fand er erst, als jemand von den Nebenzimmern damit drohte, einen Lehrer zu verständigen, wenn nicht sofort Ruhe herrschte. Daraufhin packte Sakura alle Habseligkeiten, die ihre Arme fassen konnten und rauschte dicht gefolgt von Ino über den Gang zu Temaris und Hinatas Zimmer. Letztere wurde gewaltsam von Ino herausgezerrt und kurz vom Zimmerwechsel informiert. Die nächsten Minuten verbrachten sie damit, unter vernichtenden Blicken die Sachen umzuräumen.

Das war das offizielle Ende ihrer Freundschaft.
 

ɣ
 

"Diese Scheißkuh!", fluchte Sakura. Sie drosch auf die Wand ein und brach auf ihrem neuen Bett schluchzend zusammen, bevor sie einen zweiten Treffer landen konnte. Ihr Körper zuckte unkontrolliert und konnte auch nicht von Temari zur Ruhe gebracht werden. Diese konnte nicht mehr tun, als ihrer nunmehr einzigen Freundin liebevoll über den Rücken zu streichen.

Es vergingen schweigende Minuten, bis plötzlich mit einem lauten Knall die Zimmertüre aufflog und Sayuri hereingestürzt kam. "Sakura!", rief sie besorgt, als sie ihre Schwester zusammengerollt auf dem Bett bitterlich weinend vorfand.

Temari räumte ihr Platz auf der Bettkante ein, damit sie sich mit ihr um Sakura kümmern konnte. Temari selbst war den Tränen nahe. "Sie ist ziemlich fertig", bemerkte sie überflüssigerweise.

"Das sehe ich. Man hörte euch bis unten streiten, Sakura. Was ist denn passiert?" Temari skizzierte ihr die jüngsten Vorfälle kurz. Sayuri war geschockt. "Mit Shikamaru? Das ist allerdings eine Überraschung. Und Hinata erst! Ich bin auf deiner Seite, Schwesterherz. Soll ich dir was bringen? Wasser, Cola, Essen?"

"Ich denke nicht, dass sie jetzt was herunter bringt", meinte Temari. Sakura schluchzte unaufhörlich weiter.

"Du hast wohl recht." Sayuri versuchte das Thema zu wechseln. "Ich kam zuerst in Sakuras Zimmer, also ihr altes. Ino hätte mich fast geköpft."

"Danke, Sayuri-chan, sehr taktvoll", kommentierte Temari, aber es war sowieso egal, über was sie sprachen. Sakura hörte sie nicht, ebenso wenig wie sie auf das gehört hätte, was sie gesagt hätten, wären sie nicht in nachdenkliches Schweigen verfallen.

Eine gute halbe Stunde später wurde die Tür nach sanftem Klopfen erneut geöffnet. Diesmal war es der Verwandte der anderen Bewohnerin. Sayuri wollte sofort aufstehen, doch etwas hielt sie zurück. Es war die Sorge um ihre Schwester, die über ihre eigene Abneigung Gaara gegenüber siegte. Sie blieb also sitzen und grüßte ihn sogar. "Hallo, Gaara."

"Sayuri." Er nickte ihr zu. "Ich will nicht stören, also bleibe ich nicht lange. Es drangen Gerüchte nach oben in die Jungenetagen, dass hier unten ein heftiger Streit zwischen meinen Freundinnen entbrannt sein soll. Ich habe mir Sorgen gemacht und das zurecht, wie ich sehe. Wie geht es ihr?"

Temari schüttelte betrübt den Kopf. "Nicht gut, wie uns allen gerade. Nach dieser Auseinandersetzung haben wir uns offiziell getrennt. Hinata und Ino sind nicht mehr unsere Freundinnen."

"Naruto hat mir von der Sachlage zwischen Hinata und Sakura erzählt. Er war sehr ungenau, aber ich bin vermutlich ausreichend darüber im Bilde. Darum habt ihr euch zerstritten, habe ich recht? Und Shikamaru war wohl auch ein mitspielender Faktor."

"Ja", bestätigte seine Schwester. "Du musst dich wohl entscheiden, auf welcher Seite du stehst. Neutralität ist keine Option. Ich lege dir gerne unsere Sicht der Dinge dar."

"Lieber nicht. Ich werde es schon noch verstehen, aber derzeit gibt es Wichtigeres. So wie ich das sehe, übertreibt Hinata und Sakura ist im Recht. Aber ich lege mich lieber nicht fest."

Temari seufzte erleichtert. "Ich hatte aber auch nichts anderes erwartet."

Er nickte und sagte mit einem Seitenblick auf Sayuri: "Ich gehe lieber wieder. Meine Anwesenheit ist ja nicht erforderlich."

"Nein", murmelte Sakura plötzlich. Sie rappelte sich durch Temari und Sayuri auf beiden Seiten gestützt auf und richtete sich das durcheinandergekommene Haar provisorisch. "Bleib bitte hier. Ich weiß, dass ist viel verlangt, aber ich brauche dich." Gaara zögerte merklich, darum setzte sie nach: "Du bist immer so ruhig und analytisch und gefasst. Das tut mir gut. Sayuri, wenn es für dich okay ist…" Sie dachte bereits, ihre Schwester würde lieber sterben, als mit Gaara in einem Raum zu sein, doch sie erklärte sich überraschend leichtfertig einverstanden, ihn zu dulden, woraufhin Gaaras Bedenken weggewischt wurden.

"Es ist meine Schuld. Ich bin im Unrecht. Hinata hatte recht", stammelte sie unter versiegten Tränen. Ihre Stimme war noch immer belegt. "Steht bitte nicht auf meiner Seite."

"Temari ist meine Schwester, also bleibt mir eigentlich wenig anderes übrig", versetzte Gaara. "Zudem bin ich auf keiner Seite. Das ist eine Sache, die euch Mädchen betrifft. Shikamaru und ich halten uns da raus. Wir haben es auch Naruto nahegelegt, aber der hört nicht auf uns. Er hält zu dir, Sakura."

"Das ist schlecht. Er sollte bei Hinata sein. Ich habe das nicht verdient."

Gaara hüllte sich daraufhin in Schweigen. Sakura begann wieder zu weinen. Diesmal nicht aus Selbstmitleid, sondern weil sie Unrecht getan hatte und trotzdem jeder zu ihr half. Das konnte sie nicht ertragen. Fehlte ja nur mehr, dass Sasuke plötzlich hier war und ihr seine Liebe gestand. Ein Beziehungssechseck. Das wäre das Letzte, das sie wollte. Aber es war immerhin Sasuke. Er würde sich lieber ein Bein abhacken, als mit einem Mädchen zu gehen. Das dachte sie zumindest.
 

Gaara und Sayuri blieben bis zum Abend, sprachen über Alltägliches und auch die neuesten Vorfälle. Richtig weitergekommen waren sie letzten Endes nicht. Sakura hatte sich ein wenig gefangen, aber das war auch schon ihr gesamter Verdienst, der allerdings beinahe ausschließlich auf Gaaras stoische Gelassenheit zurückzuführen war. Die beiden verließen das Zimmer gleichzeitig, nachdem Sakura erschöpft eingeschlafen war und auch Temari angedeutet hatte, dass sie von der vielen Aufregung müde geworden war. Es fühlte sich seltsam an, nebeneinander zu gehen, nachdem man über ein halbes Jahr lang nicht einmal zwei Worte gewechselt hatte. Gaara, ganz der Gentleman, hielt ihr sogar die Tür zum Stiegenaufgang auf.

"Danke, Gaara. Ich bin dir wirklich zu außerordentlichem Dank verpflichtet", sagte Sayuri.

"Es war nur eine Tür, Sayuri", winkte Gaara ab.

"Ich meinte die Hilfe für Sakura."

"Weiß ich doch", gab er zu. Sayuri hätte schwören können, den Anflug eines leisen Lächelns bei ihm gesehen zu haben; dasselbe bildete sich auch Gaara bei seinem Gegenüber ein. "Sakura ist eine meiner besten Freunde und Freunde lässt man nicht im Stich."

"Ja, das tut man wirklich nicht." Nun wurde ihr die Situation zu bunt. Sie verbeugte sich—warum auch immer!—und lief die Treppen hinab, bevor er etwas erwidern konnte. In ihrem Zimmer angekommen, musste Sayuri erst ihre wirren Gedanken ordnen.

"Stirb doch endlich!", rief Tenten. Sie spielte gerade ein Kampfspiel auf Sayuris Handheld. "Verdammt! Jetzt hab ich verloren." Sie schaltete aus. "Was ist denn mit dir los? Du bist blass."

"Nur ein wenig Herzrasen", keuchte Sayuri. Sie fühlte sich gar nicht blass, sondern eher feuerrot. "Schwitze ich? Sehe ich krank aus? Hab ich irgendwo Pusteln? Masern? Röteln?"

Tenten sah sie zweifelnd an, dann stellte sie fest: "Du siehst vollkommen gesund aus. Warum hast du Herzrasen? Hast du zu hohen Blutdruck?"

"Nein."

"Sondern?", fragte Tenten bedeutungsvoll.

"Gaara." Das klang tatsächlich wie eine schlimme, ansteckende Krankheit.
 

Nachdem Sayuri und Gaara weg waren, hatte Temari unabsichtlich ein paar Bücher fallen lassen, die sie noch verstauen wollte, ehe sie schlafen ging. Es hatte so viel Krach gemacht, dass Sakura davon aufgewacht war. Ihr Gesicht war erhitzt vom Weinen, ihre Augen geschwollen und sie fühlte sich irgendwie schmutzig und fiebrig.

"Ich gehe duschen", informierte sie ihre neue Zimmergenossin. "Tut mir leid, dass ich eingeschlafen bin."

"Schon gut. Ich habe mich ohnehin schon gefragt, warum du Gaara hierbehalten wolltest und Shikamaru nicht mal erwähnt hast. Das kommt mir seltsam vor."

"Entschuldige, Temari, aber ich bin gerade nicht in der Stimmung, das mit dir auszudiskutieren", sagte Sakura matt. Sie suchte aus dem Umzugschaos ein Handtuch heraus.

"Fein." Temari beließ es fürs erste, aber sie war noch nicht ganz fertig. Sie hatte einen Verdacht. Wenngleich sie Shikamaru nämlich immer Sakuras Bücher tragen und neben ihr sitzen sah, so tauschten sie doch nie Zärtlichkeiten aus oder verbrachten so viel Zeit alleine miteinander, wie es für Paare angemessen war. Sie gingen auch weder zusammen aus, noch schienen sie die Welt durch eine rosarote Brille zu sehen. Anfangs hatte Temari gedacht, dass sie es aus Rücksicht auf Inos Gefühle taten, aber dann war ihr die Sache immer komischer vorgekommen. Selbst bei Gelegenheiten, bei denen Ino nicht anwesend war, änderte sich ihr gleichbleibend aufmerksames, aber doch bloß höfliches Verhalten gegeneinander nicht.

Als Sakura das Bad verließ, saß Temari auf ihrem Bett und kämmte sich die blonden Locken. "Ich richte mich morgen häuslich ein, okay? Heute bin ich einfach zu erschöpft."

Temari drehte sich zu ihr. "Sakura. Ich bin in Shikamaru verliebt."

Sakura traute ihren Ohren nicht. War das ihr Ernst? Das konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen. Sie war müde, gestresst, deprimiert, genervt, ausgelaugt, gerädert, malträtiert, ein nervliches Wrack, ein verwaister Bahnhof. Darum entwich ihr auch ein lustloses Stöhnen, als sie sich aufs Bett setzte. "Nicht auch noch das!"

"Ha!" Temari zeigte mit dem Kamm auf sie.

"Warum ha-st du mich?", fragte sie mit hochgezogenen Brauen.

"Ha! Ha! Ha!"

"Geht's dir gut, oder soll ich lieber einen Arzt rufen?"

"Ich wusste es! Du bist nicht in Shikamaru verliebt! Gib es zu! Diese Beziehung ist ein Trugbild! Ich hab euch durchschaut!"

Sakura wollte erwidern, dass das nicht stimmte, aber sie war einfach zu fertig mit sich und der Welt, als dass sie Energie für überzeugenden Argumente geschweige denn eine sinnhafte, siegreiche Debatte hätte aufbringen können. "Ja, wir haben uns das ausgedacht. Zufrieden?"

"Warum?", hakte Temari nach.

"Er steht auf Ino. Er wollte sie eifersüchtig machen, um sie von Sasuke wegzubekommen. Der Deal war, solange ein Paar zu bleiben, bis Ino sich eingestehen würde, in ihn verliebt zu sein." Was Shikamarus Gegenleistung dabei war, ließ sie geflissentlich weg. War ja auch Vergangenheit. "Wenn das nicht funktioniert hätte, hätten wir uns bald wieder ohne Aufsehen getrennt."

"Das klingt wie eine Seifenoper."

Sakura stöhnte. "Dasselbe hat Naruto auch gesagt. Habt ich euch irgendwie abgesprochen?"

Temari ignorierte es. "Aber in eurem Streit hat Ino es doch zugegeben. Ich hab sie bis hierher gehört, als sie schrie, dass sie in Shikamaru verliebt sei. Warum hast du nichts gesagt?"

"Weil ich wütend auf sie war—bin", gestand Sakura. "Ich bin im Nachhinein nicht stolz darauf, aber in diesem Moment hat mein Hirn einfach ausgesetzt. Es ist sowieso egal. Wir sind keine Freunde mehr, also bin ich ihr keinerlei Rechenschaft schuldig."

"Nichts da! Wir werden das aufklären. Das könnte die Fronten lockern."

"Nein. Ich werde ihr diese Peinlichkeit nicht gestehen. Sie würde ausrasten."

"Besser als die jetzige Situation, oder?", meinte Temari. "Sei bloß nicht so stur. Ich bin zwar nach wie vor auf deiner Seite, aber wenn es etwas gibt, das uns wieder näher bringen könnte, müssen wir es probieren. Je schneller das Lügengebilde gesprengt wird, desto besser. Du weißt, wie schnell solche Gerüchte in unseren Kreisen die Runde machen."

"Nettes Wortspiel, aber ich lehne ab", beharrte Sakura missmutig. "Ino kann mir vorerst gestohlen bleiben. Ich werde ihr keinen Gefallen tun. Außerdem würde sie mir nicht glauben."

"Wir werden es trotzdem am Dienstag versuchen, wenn wir nachsitzen müssen und sie nicht abhauen kann."

Sakura erwiderte darauf nichts. Tief in ihr war ein Teil froh, dass Temari die Initiative ergriff und ihre kindische, unangebrachte Sturheit zu überwinden versuchte. Ebenso tief wehrte sich ein Teil entschieden dagegen, Aufklärung zu schaffen. Sie war so wütend auf Ino, dass sie ihr derzeit einfach kein Glück gönnen konnte. Sie hatte sie so schlecht behandelt, anstatt offen mit ihr über ihre Gefühle zu sprechen; sie hetzte Hinata in diesem Moment vermutlich gegen Sakura auf; und sie schmiedete bestimmt schon einen Plan, wie sie ihre Freunde am besten auf ihre Seite ziehen konnte. Nein, so jemand hatte kein Glück verdient. Sie würde es ja nicht einmal glauben, geschweige denn zu schätzen wissen. Und Hinata … ja, Hinata war ein eigenes Kapitel. Sakura war wütend auf sie, weil sie mit Sasuke verlobt war. Obwohl sie nichts dafür konnte. Obwohl sie nicht einmal wusste, ob es wahr war. Mit Sasuke konnte sie schlecht darüber sprechen. Der schien davon ja genauso wenig zu wissen. Eines war jedenfalls sicher, niemand wusste mehr, was wirklich war. Und wenn man die Wahrheit sagen würde, würde es keiner glauben.
 

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Wie recht sie damit hatte, erfuhr Sakura zwei Tage später. Inzwischen hatte sich die einstige heterogene Gruppe in zwei sich stumm bekriegende Teams gespalten, zusammengestellt von den jeweiligen Ansichten, die sie vertraten. Da war zum einen Sakuras Gruppe, für die Hinatas und Inos Verhalten kindisch war, und zum anderen Inos Gruppe, die Sakuras und Temaris scheinbare Gleichgültigkeit gegen Hinatas und Inos Gefühle missbilligten.

Sakura hatte seit Tagen ein schlechtes Gewissen, aber der Zuspruch ihrer Freunde machte ihr so viel Mut, dass sie sich bereits am Montag nicht mehr den Tod wünsche; oder Inos Tod, je nachdem. Hinter ihr standen natürlich Temari, Gaara und überraschenderweise trotz der Präsenz von Letzterem, Sayuri, die ihr Versprechen, für ihre Schwester da zu sein, vorbildlich hielt. Dann waren da noch logischerweise Naruto, weil er Inos Art für reichlich übertrieben hielt und es sowieso nicht gerne sah, wenn jemand seine beste Freundin anschrie, und Shikamaru, weil er Inos Gezicke ungerechtfertigt fand und auch Hinatas Verhalten nicht ganz verstand.

Auf Inos Seite war lediglich Hinata. An ihrem Tisch saßen bloß noch Neji und Tenten.

"Das ist, weil Neji und Hinata sich schon seit langem inoffiziell versöhnt haben", erklärte Sayuri. "Tenten hat mir erzählt, dass die beiden sich in den Ferien häufiger besucht haben."

"Warum Ino das duldet, ist mir aber ein Rätsel", bemerkte Naruto, während er widerwillig eine Seite seines Lehrbuches umblätterte. "Hinata-chan hat mir erzählt, Ino wäre eifersüchtig auf Tenten, weil sie mal in Neji verliebt war. Also Ino."

Darauf sagte keiner etwas. Die Jungs hatten keine Ahnung und Temari und Sakura wollten den Grund nicht nennen. Niemand außer ihnen beiden hatte gehört, dass Ino endlich ihre Liebe zu Shikamaru bekannt hatte. Noch einmal Amor spielen war zu riskant, zumal sie erst die Beziehung zwischen Sakura und Shikamaru mit Ino erklären mussten.

Sakura seufzte. "Ino ist ein Mensch, der ständig viele Leute um sich herum braucht. Ihrem Ego ist Nejis und Tentens Gesellschaft wohl lieber als alleine mit Hinata herumzusitzen. Außerdem muss sie sich dann nicht eingestehen, dass sie Unrecht hatte."

"Ich finde, dass Hinata-chan wieder bei uns sein sollte", meinte Naruto ihre Bemerkung übergehend. "Ihr müsst euch aussprechen."

"Halte dich da bitte raus, Naruto", bat sie trocken. "Das ist eine Sache, die nur uns etwas angeht. Wenn Hinata sich von Ino beeinflussen lässt, dann ist sie nicht besser als sie."

"Du tust ihr Unrecht! Hinata-chan hat es nicht verdient, so von dir behandelt zu werden. Dass du gegen Ino böse bist, verstehe ich ja, aber bei Hinata-chan bist immerhin zum Teil du schuld." Er brach schlagartig ab, als sie ihn mit einer Mischung aus Erschlagenheit und Entsetzen ansah. "So habe ich das nicht gemeint", murmelte er entschuldigend. "Lass uns nicht auch noch streiten. Ich wollte damit nur sagen, dass Hinata-chan sich sicherlich bald wieder beruhigen und mit dir versöhnen wird."

"Glaub daran, wenn du möchtest", sagte sie und sah wieder auf ihre Tasse. Es blieb dabei.
 

Nachdem keiner so richtig etwas von seinem Lehrbuch verstanden hatte, machten sich alle auf zum Mittagessen, danach in die Wahlfächer und zuück zum Lernen. Zumindest alle, außer Temari, Sakura und Ino. Sie mussten Teile des Erdgeschosses putzen.

Das taten sie weitgehend schweigend, um niemanden unnötig zu provozieren oder gerade um jemanden zu provozieren, je nachdem ob man Temari, Sakura oder Ino war. Sie schrubbten die Böden, putzten die Tafeln, reinigten die Fenster und als sie zehn Minuten vor Ende ihres heutigen Strafvollzuges immer noch kein Wort gesagt hatten, riss Temari schlussendlich beim Tischputz der Geduldsfaden.

"Sakura! Jetzt sag ihr endlich, was wir Sonntagabend besprochen haben!", forderte sie in rauem Tonfall. Nicht, dass sie auf Inos Seite war, aber wenn es schon einen Weg der Versöhnung gab, sollte er auch genutzt werden! Sie waren immerhin keine Kindergartenkinder mehr!

"Ich habe ihr nichts zu sagen", zischte Sakura.

"Egal was es ist, ich will es sowieso nicht hören!", fauchte Ino zurück. Sie wrang das Putztuch unnötig stark aus. "Was auch immer du mir zu sagen hast, spar es dir. Ich will mit dir nichts mehr zu tun haben."

"Fein, ich nämlich mit dir auch nicht. Nie wieder. Ich bin froh, dass wir uns nur mehr sechs Monate lang sehen müssen."

"Ich auch." Ino schleuderte das Tuch mit voller Kraft in ihren Wasserkübel zurück, sodass eine kleine Fontäne herausspritzte. Sie riss den Kübel hoch und sagte beim Herausgehen: "Es ist sechs, wir sind hier fertig. Mit dir bin ich das schon lange."

"Toll!", schrie Sakura ihr nach.

"Gut!", keifte Ino zurück und drehte sich im Türrahmen noch einmal um. "Fahr zur Hölle!"

"Immerhin besser, als dich hier zu sehen!" Dann wandte Ino ihnen wieder den Rücken zu. Ihr entging, dass Temari Sakura heftig auf den Fuß trat, die sogleich aus ihrer Raserei erwachte. Sie wollte nicht mit Ino streiten; zumindest nicht wirklich. "Shikamaru und ich haben unsere Beziehung nur vorgetäuscht, um dich eifersüchtig zu machen!"

Ino erstarrte zu einer Salzsäule. Ihre Augen waren geweitet. Bange Sekunden der Stille folgten, in denen Sakura und Temari ihre Entgegnung abwarteten.

Diese kam, ohne dass sie sich umdrehte, in nüchternem Tonfall. "Netter Versuch, aber auf sowas falle ich nicht rein. Ich werde mich nicht lächerlich machen, indem ich mich Hoffnungen hingebe, die du zerstört hast. So tief bin ich gottseidank noch nicht gesunken und solange ich es zu verhindern weiß, werde ich das auch nicht. Um Shikamaru geht es hier schon lange nicht mehr. " Sie machte den letzten Schritt hinaus und knallte die Türe hinter sich zu.

"Ich hab's dir doch gesagt", sagte Sakura matt.
 

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Disguises And Decisions


 

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Das Resultat dieses Ereignisses war, dass Sakura keinen Kopf mehr für etwas außer dem Schulstoff hatte. Sie hatte es verabsäumt, mit Shikamaru zu reden, denn wenn Ino ihnen sowieso nicht glaubte, gab es keinen Grund, etwas in diese Richtung zu besprechen. Shikamaru und sie trafen sich zum Lernen, immerhin hatten sie beide Naturwissenschaften als Wahlmodul. Dass so der Eindruck bestehen blieb, sie wären ein Paar, war ihnen gar nicht bewusst. Es kümmerte sie dieser Tage wenig. Ihre anderen Sorgen waren größer; vorwiegend jene um zerbrochene Freundschaften, die an allen Nerven nagten. Sie hatten ihre Beziehung nie außerhalb ihres Freundeskreises publik gemacht. Wer käme schon auf die Idee, sie wären wirklich ein Paar?

So zogen die Tage ins Land, der Lernstress stieg an und gipfelte in den Prüfungen am einunddreißigsten Oktober, dem Dienstag, an dem Tsunade Erbarmen gezeigt hatte. Sie erließ ihren drei schuldigen Schülerinnen freundlicherweise die Strafe für diesen Tag, damit sie sich von den Tests erholen konnten. Außerdem war heute das große Halloweenfest und dafür gab es sehr viel vom Ballkomitee vorzubereiten, das unter der Leitung Karins stand, welche ausdrücklich betont hatte, keine Außenstehenden im Weg haben zu wollen. Dass sie Sakura damit einen Gefallen getan hatte, wusste sie nicht.

Diese hatte ohnehin nicht vor, dort aufzukreuzen.

"Warum willst du nicht?", wollte Temari seit dem Zeitpunkt wissen, an dem Sakura nach den Prüfungen ins Zimmer gekommen war. Temari hatte ihren letzten Test schon eine Stunde früher erledigt.

"Weil ich keine Lust habe. Ich habe kein Kostüm, keine Laune und vor allem keinen Nerv dafür. Ino wird dort sein, Sasuke wird dort sein, Karin wird dort sein. Das sind drei Gründe, nicht hinzugehen. Wie liefen deine Prüfungen?"

"Passabel", murrte sie wenig überzeugend. "Marktforschung war ganz okay, Konsumentenpsychologie wird vermutlich auch positiv und Datenlehre schaffe ich mit ein wenig Glück auch. Dafür war Werbegestaltung die reinste Antwortodyssee! Grauenerregend. Und bei dir?"

"Biologie, Chemie und Somatologie werden wohl ziemlich hohe Punkte erreichen, bei Zytologie und Pharmazie bin ich mir nicht sicher. Physik hab ich sicherlich vergeigt. Wer braucht so ein dummes Fach denn auch?"

"Und warum willst du nicht zum Fest?"

Sakura stieß ein genervtes Geräusch aus. "Haben wir das nicht schon geklärt? Weil ich nicht möchte."

"Komm schon, geh mit!"

"Ich hab kein Kostüm."

Temari zwinkerte schelmisch. "Zufälligerweise weiß ich aber sehr genau, dass in deinem Schrank ein schwarzes, enges Kleid mit einem Haufen Federn dran hängt. Daneben liegt zufälligerweise ein Paar Federstulpen und eine Schnabelmaske."

"Warum schnüffelst du in meinem Kleiderkasten?", empörte Sakura sich. "Das Kostüm habe ich mir gekauft, als ich noch nicht die meistgehasste Person des Internats war!"

"Was bedeutet denn in deinem Wortschatz meistgehasst? Ino ist sauer auf dich, das war's auch schon."

"Ja, Ino", wiederholte Sakura zynisch. "Dann wären da noch Hinata, Sasuke, Karin, Suigetsu, Neji und muss ich weiterreden?"

"Das sind fünf Leute und nicht das ganze Internat! Komm schon, Sakura! Wir haben damals gemeinsam beschlossen, dass du mein Rabe wirst! Ich hab mir extra eine Warzennase gekauft! Schau!" Sie setzte sich die Plastiknase auf und deutete darauf, während sie flehend dreinsah.

"Der Hundeblick büßt ziemlich an Süße ein, wenn du eine Hakennase mit Verruncae hast."

"Was?"

"Warzen. Tut mir leid, ich bin noch im Prüfungsmodus. Erwähne bloß nichts, was mit Medizin zu tun hat, sonst hält das ewig an. Das schlimmste ist, dass du trotzdem gewinnst. Verdammt", zischte sie leicht auf den Boden aufstampfend. "Ich gehe hin. Aber wir bleiben nicht lange."

"Das sagen sie alle am Anfang."

"Nein, Temari, ernsthaft."

"Schon klar. Kommt es nicht seltsam, wenn du getrennt von Shikamaru dort auftauchst?"

"Hm? Wieso das? Hilf mir mal damit." Sie deutete auf den Reißverschluss ihres Federkleides. "Ich hab die letzten Tage etwas zugenommen. Hoffentlich passt es noch. Warum sollte es komisch aussehen, wenn wir nicht zusammen hingehen?"

"Offiziell seid ihr immerhin noch ein Paar", bemerkte Temari. Sie riss die Metalllasche ruckartig hoch, woraufhin Sakura die Luft anhielt. "Passt wie angegossen."

"Eher angeschweißt." Sie versuchte zu atmen. "Shikamaru und ich haben doch nur vor Ino und Sasuke so getan, als wären wir zusammen. Du weißt es, er weiß es, Naruto weiß es und damit wissen es sicherlich auch Sayuri und Gaara. Mehr Leute haben es nicht mitbekommen. Aber du hast recht. Wir haben nie darüber geredet, dass Schluss ist."

"Ihr solltet zusammen hingehen."

"Nichts da. Wenn wir das tun würden, würden andere womöglich denken, er wäre meine Begleitung. Das kann ich nicht gebrauchen. Du weißt ja, wie die Hühner hier nach Tratsch lechzen. Warum wollte ich überhaupt ein Rabe sein? Sieht nicht gerade scharf aus."

Temari begann, sich das flammendrote Hexenkostüm anzulegen. "Weil sich nach alter Regel nur Schlampen an Halloween sexy kleiden."

Drei Stunden später erblickten sie Ino und Hinata in der Menge der bereits feiernden Schülerschaft. Ino trug ein Katzenkostüm, das zwar nicht ganz so schlimm war wie in amerikanischen Jugendfilmen, aber doch durch ihre gute Figur einiges hermachte.

"Wie war das mit den Schlampen?", fragte Sakura zu Ino starrend. "Lass sie das lieber niemals herausfinden." Neben ihr ging Hinata als irgendetwas Seltsames, das wohl eine Gehängte darstellen sollte. Sie hatte ihre ohnehin schon blasse Haut mit dunklen Flecken aschfahl erscheinen lassen und sich einen lockeren Strick um den Hals gebunden.

"Suchen wir die anderen. Shikamarus Kostüm wird dir gefallen." Temari zog sie durch den Turnsaal.

"Shikamaru ist verkleidet?", wiederholte Sakura zweifelnd. "Niemals!"

"Doch. Ich habe ihn gezwungen. Es passt wie die Faust aufs Auge."

Sakura musste sich arg zusammenreißen, um nicht an einem Lachkrampf zu verenden. Shikamaru trug mit Regenwetterblick einen schwarzen Anzug samt Cape, das stark an Zorro erinnerten. Gaara war ein Kürbis—nebenbei bemerkt ein sehr niedlicher Kürbis—und sicherlich ebenfalls von Temari mit schlagenden Argumenten dazu gezwungen worden.

"Ihr seht klasse aus, Jungs", lobte Temari ihr eigenes Werk. Wie sie es geschafft hatte, dass sie auch wirklich in den Kostümen gekommen waren, sollte Sakura für immer ein Rätsel bleiben.

"Tut mir leid, Leute, aber Naruto hat die beste Verkleidung von euch." Sie musterte mit einem amüsierten Grinsen das weiße Laken mit den beiden Augenlöchern, durch das sie blaue Augen anlinsten. "Ich hoffe mal, dass du es wirklich bist, Naruto."

"Natürlich bin ich es!" Seine Stimme klang dumpf und erstickt unter dem Leintuch. "Ich konnte mir kein Kostüm leisten, darum hab ich ein Schullaken aus der Waschküche geklaut."

"Das ist mutwillige Zerstörung fremden Eigentums, das ist dir schon klar, oder?", meinte sie zweifelnd. "Du hättest es wenigstens umdrehen können, damit nicht mitten auf deinem Bauch unser Schulemblem nach Nachsitzen schreit. Tsunade-sama wird stinksauer sein."

"Ist doch egal! Wir sind hier, um Spaß zu haben!"

"Wer hat denn schon Spaß auf einer Schulparty?", fragte eine helle Stimme hinter Sakura. Hinter ihr linste ihre Schwester hervor. Sofort öffneten sie den Kreis, um sie zu ihnen zu lassen. "Die haben nicht mal Alkohol hier."

"Sayuri, du bist erst sechzehn!", mahnte Sakura. "Wie siehst du überhaupt aus?" Sie beäugte das Prinzessinnenkostüm ihrer Schwester. "Sehr unpassend für Halloween."

"Mum hat mir das geschickt. Sie dachte wohl, ich sähe darin süß aus."

"Siehst du ja auch", bemerkte Naruto.

"Kannst du überhaupt etwas durch deinen Überzug sehen?", fragte sie und wedelte vor seinen Augen mit ihrem Arm herum, wobei ihre Krone vom Kopf fiel. Als sie sich bückte, kam eine blasse Hand ihr zuvor. Die Harunos schienen sowas geradezu anzuziehen. Sayuri war allerdings von robusterer Sorte als Sakura, weswegen sie nicht erschrak, als Gaara ihr die Krone reichte.

"Du solltest sie vielleicht mit Spangen fixieren", riet er ihr. Sakura beobachtete sein Verhalten und Sayuris Reaktion mit Argusaugen. Schon damals beim Umzug war es ihr seltsam vorgekommen, dass das Verhältnis der beiden sich so drastisch gebessert hatte. Sie wünschte es Sayuri jedenfalls.

"Ich hab ein paar Reservenadeln für meine Federn hier", sagte sie schließlich. "Gehen wir kurz auf die Toilette, dann befestige ich deine Krone. Unter diesen Diskolichtern seh ich nichts."

Im Licht der Turnsaaltoiletten, begann Sakura die Spangen in Sayuris hochgestecktem Haar zu fixieren. "Was geht da zwischen dir und Gaara ab?", fragte sie frei heraus.

"Was meinst du?"

"Sayuri, ich sehe doch, dass ihr euch besser versteht. Du bekommst keine Wutanfälle und anschließende Heulkrämpfe, wünschst ihm nicht mehr Tod und Pest an den Hals und kommst im Gegenteil sehr viel besser mit ihm aus als noch vor eurer Trennung. Warum?"

"Ich habe keine Ahnung, wovon du redest", versetzte Sayuri. Ihre Lüge war nicht sehr überzeugend.

"Ich bin deine Schwester. Wir haben ein so inniges Verhältnis zueinander, dass es schon fast wehtut. Selbst wenn wir uns wegen dieser Sache mit Tenten und Neji in der Schule nicht so oft sehen, können wir unsere tiefe Verbundenheit doch nicht leugnen. Ich kenne dich besser als jeder andere; sogar besser als mich selbst."

"Schon okay." Sayuri begann leise zu lachen. "Ich habe dich auch lieb. Du musst nicht gleich melodramatisch werden. Ich weiß nicht, was zwischen Gaara und mir ist. Ich kann ihm einfach nicht mehr böse sein. Ich schätze, ich bin drüber hinweg."

"Klar", warf Sakura nicht überzeugt dazwischen. "Und wie steht es wirklich um deine Gefühle?"

Sayuri seufzte. "Wem mache ich etwas vor? Als ich letztens mit Gaara bei dir war, hat er mich noch bis zu den Stiegen begleitet. Da war ein Moment, der—ich kann das schwer erklären. Es war plötzlich alles wieder da. Das Herzklopfen, die Vertrautheit, die Zärtlichkeit, einfach alles, was ich so an ihm geschätzt habe."

"Und was ist mit ihm?"

Sayuri zuckte ratlos mit den Schultern. "Vermutlich nichts. Es ist wie immer einseitig von mir ausgehend. Es ist nicht so, dass ich wieder in ihn verliebt wäre. Ich wünsche ihm nur auf skurrile Art und Weise alles Glück dieser Welt."

"Und wie du verliebt bist, Schwesterherz", wandte Sakura ein. "Gaara ist vielleicht nicht gerade deine beste Wahl. Denkst du denn, dass du Chancen hast?"

"Wohl kaum. Ich möchte ja auch keine haben", erwiderte Sayuri ehrlich. "Das mit ihm und mir hat nicht funktioniert, was ich als Zeichen verstehe, ihn loszulassen. Gaara wird immer mein erster fester Freund bleiben. Daher kommt das Herzklopfen wohl. Aber ich hab das unter Kontrolle."

Sakura fiel ihr um den Hals. "Oh, Sayuri! Meine kleine Schwester ist erwachsen geworden! Ich bin ja so stolz auf dich!" Im Geist schrieb sie sich allerdings ein dringendes Memo, mit Gaara zu reden. Vielleicht war doch noch was zu machen. Er war zuvorkommend und freundlich Sayuri gegenüber—noch im selben Gedanken mahnte sie sich zum Halt. Diesmal nicht. Sie würde sich da raushalten. Sie wollte nicht auch noch ihre Schwester mit unbedachten Aktionen verlieren. Das war Sayuris Sache. Keine Spielchen, keine Kuppeleien, keine intimen Details. Dem hatte sie abgeschworen.
 

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Sakura stand gegen Mitternacht mit Shikamaru etwas abseits der anderen. Der Abstand reichte, um unter dem Deckmantel der lauten Musik ein paar Dinge schnell unbemerkt zu besprechen.

"Ich hab's Ino gesagt. Sie hat mir nicht geglaubt, dass wir unsere Beziehung nur erfunden haben."

"Das sieht diesem Mädchen ähnlich", maulte Shikamaru. Er rieb sich den Nacken, was mit seinem Zorrokostüm irgendwie aberwitzig aussah. "Sie ist anstrengend."

"Sie ist verliebt, das ist alles. Sie hat es vor mir sogar zugegeben. Es tut mir leid. Das war vor einem halben Monat und ich hab es dir nicht gesagt, weil ich sauer auf sie war. Das war kindisch und dumm."

"Mach dir keine Vorwürfe. Ino ist, wie sie ist. Selbst wenn sie in mich verliebt ist, bedeutet das nicht, dass sie es auch vor mir zugibt. Die Sache war ein blöder Fehlschlag."

"Eindeutig. Dann beichten wir es allen, die es mitbekommen haben und lassen es sein. Wenn du mit Ino redest und ihr erklärst, wie es wirklich war, glaubt sie dir vielleicht und es wird alles gut. Nun, da sie sich ihrer Gefühle dir gegenüber bewusst ist, habt ihr eine echte Chance. Ganz unsinnig war es also doch nicht. Schnapp sie dir, Tiger."

Shikamaru verzog den Mund und überging die Bemerkung. " Tut mir leid, dass es nichts mit dir und Uchiha geworden ist. Dass er ausgerechnet mit Karin zusammen ist."

"Sind sie nun wirklich ein Paar? Es gibt seit Wochen Gerüchte darum, aber noch nichts Konkretes, oder? Ich hab so wenig mitbekommen in letzter Zeit."

"Und ich interessiere mich nicht für solchen Schwachsinn. Wenn man vom Teufel spricht." Er nickte zu dem gerade Vorbeigehenden, der sicherlich geradewegs durch sie hindurchgeschaut hätte, wäre er nicht so abfällig von Shikamaru gemustert worden. Doch der Blick erregte seine Aufmerksamkeit und es schickte sich für jemanden wie ihn nicht, einen dieser Blick unerwidert zu lassen, wenn er ihn bemerkt hatte.

"Noch immer zusammen?", erkundigte Sasuke sich offenkundig desinteressiert in einem Kostüm, das sehr nach einem Massenmörder aussah, was ihn um einiges größer wirken ließ. Sakura ließ sich vom Kunstblut nicht einschüchtern und wollte bejahen, einfach weil sie ihm eins reinwürgen wollte, aber sie zögerte einen Augenblick und er fuhr fort. "Dass ihr diese Farce nach diesem Eklat weiterhin fortsetzt, ist sehr lobenswert."

"Woher weißt du das schon wieder?", entgegnete sie bissig. Ihr Zorn auf ihn hatte die ganze Zeit unter der Last des Freundschaftsbruchs geruht. Nun loderte er so hell wie damals.

"Man hört so einiges. Die ganze Schule spricht von euch als dem perfekten Paar. Sie meinen, dass eine Beziehung zwischen den beiden klügsten Schülern der Abschlussklasse nur mehr eine Frage der Zeit war. Karin gratuliert euch übrigens."

"Sag ihr danke und deine Freundin soll sich nicht in unsere Angelegenheiten einmischen", sagte sie streng.

"Sie ist nicht meine Freundin, das hab ich dir schon einmal gesagt. Schreib dir solche Dinge auf deine übergroße Stirn, wenn du sie dir nicht merken kannst." Er funkelte sie böse an.

Unwillkürlich machte Sakura einen bedrohlichen Schritt auf ihn zu, sodass sie ihm genau gegenüber stand; sehr nah. "Wenn dir nichts Besseres einfällt, als auf meine Stirn loszugehen, kauf dir 'Beleidigen für Dummies'. Die Schule tuschelt nicht nur über mich und Shikamaru, sondern auch über dich und Karin. Ihr seid das teuflische Pärchen, die Symbiose des Bösen." Letzteres hatte sie gerade erfunden, aber das musste er ja nicht wissen.

"Sie ist nicht meine Freundin", wiederholte er nachdrücklich.

"Die Schule sagt was anderes." Sakura ignorierte ihr vor Bangen pochendes Herz, als er sich zu ihr herunterbeugte. Sein Atem schlug ihr mitten ins Gesicht, so nah waren sie sich. Seine eiskalten Augen durchbohrten sie förmlich.

"Die Schule sagt das also, ja? Dann geben wir dem Gerücht Boden, wenn du dir das so sehr wünschst."

Er drehte sich ruckartig um und ging die wenigen Meter auf Karin zu, die sie von ihm trennten. Sie befand sich mitten in einer Konversation mit Suigetsu über die gelungene Saaldekoration, als der begehrteste Junge der Schule unter den Augen sämtlicher Schüler sie an der Schulter nahm, zu sich umdrehte und vor versammelter Mannschaft küsste.

In Sakura brach etwas. Was es war, wusste sie nicht. Sie hatte Sasuke vor—wie ihr nun vorkam—langer Zeit aufgegeben. Als er sie in der Bibliothek angeschrien hatte, war er für sie gestorben. Sie hatte ihn nicht bemerkt, nicht an ihn gedacht, nicht von ihm gesprochen und schon gar keine Phantasien gehegt, in denen er und sie zusammen waren. Doch wie er dastand und Karin küsste, jagte ihr das vollkommen wirkende Bild zweier schöner Menschen, die in einer zärtlichen Geste vereint waren, einen dicken Pfeil durchs Herz.

Es machte sie wütend. So wütend, dass sie sich vergaß, alles vergaß, was sie zuvor mit Shikamaru besprochen hatte. Sie wollte einfach etwas tun, das Sasukes Quälerei gleichkam; nichts anderes war nämlich sein vernichtender Blick, den er ihr jetzt zuwarf, während er Karin im Arm hielt.

Wie Sakura letztendlich zu Shikamaru gekommen war, der einen Meter hinter ihr stand, wie sie seine Arme um seinen Nacken geschlungen hatte, ihm ihre Lippen aufgedrückt hatte und woher der helle Blitz gekommen war, der seitlich durch ihre Lider gedrungen war, konnte sie am Ende nicht mehr sagen. Sie wusste auch nicht, wie sie auf ihr inoffizielles Zimmer gekommen war. Von diesen Minuten blieb nur ein schmerzender Abdruck rauer Finger auf ihrem Oberarm, der von Shikamarus Hand stammte. Er musste sie wohl dort hin gezerrt haben.

Sakura erwachte aus ihrer verhängnisvollen Trance erst wieder, als sie mitten im Zimmer stand und von Shikamaru angestarrt wurde. Neben ihm auf Temaris Bett saß selbige samt Naruto, Gaara und Sayuri, die ihnen sofort gefolgt waren, nachdem Ino einen Tobsuchtsanfall bekommen und geschrien hatte, sie hätte es inzwischen beinahe geglaubt, dass das nur ein Spiel war.

"Was hab ich getan?", hauchte sie geschockt von sich selbst.

"Das frage ich mich allerdings auch. Warum hast du mich geküsst?", fauchte Shikamaru. Er war wütend—aus gutem Grund. Warum musste sie bloß alle Leute mit ihrer Dummheit vergraulen?

"Sasuke hat Karin geküsst, da ist es mit mir durchgegangen. Ich wollte das nicht! Oh Gott, bitte Shikamaru, glaub mir, es tut mir leid!"

"Schon gut, auf dich sauer zu sein bringt nichts mehr, das würde nur für noch mehr Klatsch sorgen. Vielleicht können wir es irgendwie als Scherz verkaufen. Inzwischen sind ziemlich viele Leute im Bilde. Temari hat es Gaara und deiner Schwester erklärt. Morgen ist frei, also können wir frühestens übermorgen etwas tun."

"Euer Problem ist größer, als ihr denkt", mischte Temari sich besorgt ein. "Ich hab gesehen, dass jemand ein Foto gemacht hat. Im schlimmsten Fall war es jemand von der Schülerzeitung und die morgige Feiertagsausgabe wird ein Knaller."

"Scheiße", fluchte Sakura. Sie schlug sich gegen den Kopf, um besser denken zu können. Abstruserweise half es. "Wir wissen, dass es alles nur gelogen ist. Der Rest der Schule nicht. Morgen wird unsere Beziehung in der Schülerzeitung stehen, die natürlich alle Eltern abonniert haben und morgen nachmittags zugestellt bekommen. Dann weiß es wirklich jeder, der von Relevanz ist. Wir müssen das irgendwie als Streich verkaufen, bevor Kiba und seine verfluchte Redaktion es drucken."

"Sakura-chan, ist das der Fall, den du vorausgesagt hast, wenn ich meinen Mund nicht halte?", fragte Naruto arglos. Das war ein schwerer Fehler. Sakura riss die Hutschnur so laut, dass nur ihr wütendes Brüllen das Geräusch übertönte. Mit einem Satz stürzte sie sich auf Naruto und warf ihm eine Tirade an Schimpfwörtern an den Kopf, ehe Shikamaru und Gaara sie von ihrem besten Freund herunter zerren konnten.

"Beruhige dich, Sakura!" Shikamaru war der nächste, dem sie an die Gurgel gegangen wäre, hätte Gaara sie nicht noch immer fest in seinem Griff.

"Wie kann ich ruhig bleiben? Das hier ist mein letztes Jahr und alles geht den Bach runter!"

"Noch ist nichts den Bach runter", korrigierte Shikamaru sachlich. Er war die Ruhe in Person. "Wir müssen sofort zur Schülerzeitung und Kiba erklären, dass es ein Scherz war, ehe er den Druck freigibt. Los, kommt mit."

Zu sechst sprinteten sie die Stiegen hinunter, liefen über das Schulgelände ins Unterrichtsgebäude, bis hinauf in den vierten Stock, den längsten Gang des ganzen Komplexes entlang bis zur hintersten Tür des Flures. Shikamaru riss die Türklinke rabiat herunter und stieß die Tür auf, die sie vor ihrer Erlösung trennte.

Zumindest hatte er das vorgehabt.

In Wahrheit war die Türe verschlossen und er knalle mit voller Wucht dagegen. Seine dichten Verfolger konnten nicht mehr bremsen und fielen allesamt zu einem schreienden Haufen auf den Fliesen zusammen.

"Verdammt!", schrie er zornig. Sie standen fluchend auf. Er war der Lauteste. "Verdammt, verdammt, verdammt! Leute, das war's. Wir müssen bis donnerstagfrüh warten und dann in der Mensa erklären, dass es nur Jux war."

"Das können wir nicht tun", flehte Sakura. "Mein Vater steht kurz vor einem Investitionsabschluss mit Teshima Industries!"

"Und?"

"Teshima Industries wird von Teshima Yoshito geleitet und dessen Sohn ist bei uns im zweiten Jahr. Das bedeutet, dass er die Schülerzeitung bekommt. Wenn rauskommt, dass die Tochter des Leiters der teuersten Privatklinik Tokios einen Jungen küsst, weil sie ihren Mitschülern einen Streich spielen will, ist mein Vater geliefert! Es ist nicht offiziell und er hat es mir nicht direkt gesagt, aber damals auf der Kreuzfahrt hat Sasukes Bruder etwas angedeutet. Daraufhin hab ich meinen Vater darauf angesprochen. Er hat nichts Konkretes gesagt, aber er hat unmissverständlich angedeutet, dass er auf Investoren angewiesen ist. Wenn ihm dieser Batzen Geld durch die Lappen geht, müssen wir das Krankenhaus verkaufen!"

"Und was sollen wir deiner Meinung nach jetzt tun?", wollte Shikamaru wissen.

"Ich weiß, dass es viel verlangt ist und ich habe nicht das Recht, dich darum zu bitten, euch alle nicht, aber ich flehe euch an, spielt ein paar Wochen lang mit. Nur so lange, bis mein Vater das Geld sicher hat."

"Du weißt, um was du uns da bittest, Sakura?" Er sah sie ernst an. Sie nickte ebenso ernst.

"Dieses Krankenhaus ist unsere Existenzgrundlage. Wenn wir es verlieren, verlieren wir alles."

"Einverstanden. Aber wir müssen vorsichtig sein."
 

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Seasons And Statements


 

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Was Sasuke durch den Kopf ging, als er Karin küsste, war einfach zu beschreiben: Nichts. Kein Gedanke, keine Idee, keine Feststellung, keine Voraussage und erst recht nichts Sinnvolles. Was ihm davor durch den Kopf gegangen war, war ebenso leicht zu beschreiben, denn es war nur ein Gedanke: Sie wird mir eine knallen. Karin hatte wochenlang aufs Bestimmteste ihre Abneigung gegen eine Liebesbeziehung mit ihm klar gemacht und nun küsste er sie. Sie war nicht das typische Naivchen, das überrascht erröten und zu einer Salzsäule erstarrte, bis er von ihr abgelassen hatte. Sie würde ihm eine Ohrfeige verpassen, dass er quer durch den Ballsaal flatterte, ähnlich einem Blatt Papier im Wind. Warum er überhaupt auf Sakuras Stichelei eingegangen war, war ihm weitaus weniger klar. Er wusste nur, dass es mit seiner Coolness sofort vorbeisein würde, wenn Karin ihm eine langte. Sakura hätte gewonnen und das war seine Vernichtung.

Karin war tatsächlich kein regloser Stein; im Gegenteil: Aus einem ihm unerfindlichen Grund erwiderte sie den Kuss mit hingebungsvollem Genuss. Ihre Finger drückten auf seinen Nacken, ihre Lippen arbeiteten ebenso wie seine. Also war es doch noch nicht mit seiner Coolness vorbei; immerhin hatte er gerade das reichste Mädchen des Internats in seinen Fängen—dass er in den ihren sein könnte, so wie Sakura und Naruto es ihm hatten glauben machen wollen, lehnte er vehement ab.

Als Sasuke den Kuss beendete, sah Karin ihn ernst an. In ihrem Blick lag eine Strafe, die keiner tatsächlichen Ohrfeige das Wasser reichen konnte. Nur am Rand bekam Sasuke Sakura und Shikamaru mit, die sich erst küssten und dann schnurstracks verschwanden. Er hatte größere Probleme. Und die packten ihn fest am Handgelenk, um ihn nach draußen zu schleifen. Für Außenstehende sah es aus, als würde Karin ihn liebevoll an der Hand nehmen, aber er selbst spürte die gefeilten Fingernägel in seinem Fleisch.

"Was sollte das?", fauchte sie. Sie hatte ihn durch den Hinterausgang über die Stufen in den Hinterhof geschleift.

"Karin, ich wollte nicht…"

"Was wolltest du nicht? Mich küssten? Dich in mich verlieben? Das hast du ja ganz toll hinbekommen. Ich habe ausdrücklich gesagt, dass ich nicht so an dir interessiert bin!"

"Ja, ja, schon gut. Mach kein Theater daraus. Du hast mich doch zurückgeküsst, also komm wieder runter."

"Soll das in eine Beziehung führen?" Er sagte nichts. Wollte er das? Er hatte keine Ahnung. "Das ist wohl eine Bejahung. Fein. Von mir aus." Sie machte einen Schritt auf ihn zu und gab ihm einen flüchtigen Kuss. "Aber dir ist schon klar, dass du dann endlich Narutos Zimmer räumen musst, oder? Er ist immerhin Sakuras bester Freund."

Das war der nüchterne Anfang ihrer Beziehung, nachdem die ganze Schule sie bereits mitbekommen hatte, ehe sie inoffiziell überhaupt erst beschlossen worden war. Und es würde eine lange Beziehung werden. Zumindest sollten einem von beiden diese Tage länger vorkommen, als sie waren.
 

ɣ
 

Sakura erwachte am nächsten Tag und hatte den ersten Todeswunsch, bevor sie überhaupt ansatzweise zu klarem Denken fähig war. "Scheiße…", nuschelte sie in ihren Polster, der sich wie Shikamarus Lippen anfühlte. Das ließ sie kreischend auffahren, woraufhin Temari ein Kissen nach ihr warf.

"Wieso schreist du?"

"Ein Alptraum", erklärte Sakura kleinlaut. "Wir brauchen eine Ausgabe der Schülerzeitung."

"Wieso? War das ganze gestern Abend doch Realität?"

"Ich fürchte ja." Sakura tapste hellwach ins Badezimmer. Sie wollte sich schnell anziehen und sich sofort das vermaledeite Blatt aus den Aufstellern holen. Aber das musste sie gar nicht.

Als sie das Bad wieder verließ, wäre sie fast auf einem Stapel Zettel ausgerutscht, der zwischen Zimmertür und Badezimmertür auf dem Holzboden lag. "Was ist das denn?", fragte sie sich, dann erst erkannte sie das Logo der Miya-So-News Monthly. Sie wollte gar nicht erst reinschauen, aber das musste sie auch gar nicht. Das halbe Titelblatt füllten Shikamaru und sie, versunken in einem Kuss, aus.

"Hör dir das an", begann sie Temari laut vorzulesen. "Frühling in Miya-So. Und das im Winter! Der spannende Bericht über alte, neue und überraschende Verbindungen in der Schülerschaft auf den Seiten drei bis fünf. Ist das zu fassen? Die schreiben drei Seiten über mich?"

"Die werden kaum nur über Shikamaru und dich schreiben", korrigierte Temari sie. "Sie hatten vermutlich nur kein anderes Foto. Lies das Relevante vor."

Sakura tat, wie ihr geheißen. "Schmetterlinge, Flugzeuge und öffentliche Liebeszeugnisse machen derzeit in Miya-So so schnell die Runde, dass die Reporter kaum nachkommen. Hier finden Sie zusammengefasst, welcher Schüler mit wem flirtet und wer noch immer zusammen ist. Muss er das denn so schreiben? Dieser verfluchte Kiba! Unsere Eltern lesen das immerhin!"

"Lies endlich weiter!"

"Schon gut. Das ist unwichtig, das auch, Neji und Tenten werden gelobt—was zum Teufel—wie kann sie es wagen?" Sie knüllte die Zeitung in ihren Händen merklich zusammen. "Diese blöde Kuh! Karin hat uns die Zeitung reingeschoben, keine Frage. Sie hat auch etwas farblich markiert. Hör die das an. Vor allem die achte Klasse wurde in den letzten Tagen erheblich aufgemischt. Wenige Sekunden vor elf Uhr an Halloween überrollten die Schülerschaf unserer Schule unglaubwürdige Ereignisse. Mitten unter den Feierlichkeiten ging unser jüngster Neuzuwachs, Uchiha Sasuke, achte Klasse, mit entschiedenen Schritten zu Yoshida Karin, achte Klasse. Man mag es noch immer kaum glauben, doch mit einem Kuss bestätigte er endlich die inzwischen humorlos gewordenen, wenngleich fundierten, Gerüchte um eine heimliche Liebesaffäre zu unserer geschätzten Schulsprecherin. Man braucht wohl kaum Glück zu wünschen, denn Uchiha ist der Sohn des Vorstandsvorsitzenden und Besitzer der Aktienmehrheit des Uchiha Economy Concern und Yoshida behauptet ihre Stellung mit einem Adelstitel und einflussreichen verwandtschaftlichen Beziehungen ins Kaisehaus. Gutes Aussehen, Klugheit und Reichtum gepaart mit Schönheit, Gerissenheit und noch mehr Reichtum. Gleich und gleich gesellt sich gern, wäre hier angebracht zu behaupten."

"Autsch", bemerket Temari und verzog angewidert das Gesicht. "Sie hat Kiba sicherlich geschmiert. Was schreiben sie über dich und Shikamaru?"

"Steht gleich darunter." Sakura räusperte sich. "Nur wenige Sekunden nach diesem wortkargen Geständnis gab es eine weitere Eröffnung, womit die beiden Eröffnenden sich auch sogleich den Titel 'frischestes Paar in Miya-So' sichern, wenn auch nur um bange Sekunden. Das, wenngleich nicht allzu überraschende, Paar nennt im Verhältnis zu dieser schieren Vorhersehbarkeit einen brisanten Auftritt ihr Eigen, der die junge Liebe dieser beiden offiziell bestätigt. Nara Shikamaru, achte Klasse, und Haruno Sakura, achte Klasse, machten ihre Beziehung ebenfalls publik, nachdem sie wochenlang öfters zusammen gesehen worden waren. Natürlich wurde schon lange über eine Liebschaft spekuliert, dürfen sich die beiden doch schon das dritte Jahr infolge als die beiden klügsten Schüler in Miya-So nennen. Ab hier folgt dummes Geschwafel."

"Das ist übel. Richtig übel", seufzte Temari niedergeschlagen.

"Ich hätte nicht die Kontrolle verlieren dürfen. Um nichts in der Welt hätte ich mir das erlauben dürfen. Mist."

"Aber du sagtest doch, dass ihr nur zusammenbleiben werdet, bis dein Vater den Deal abgeschlossen hat. Wie lange wird das schon dauern? Zwei, drei Wochen?"

Sakura schüttelte unwirsch den Kopf. "Nein! Ich meine, ja. Das ist in zwei Abendessen vom Tisch, aber mich regt auch gar nicht die Sache mit Shikamaru auf. Wir müssen es einfach ein paar Wochen lang spielen und dann hat sich das alles. Jetzt, nachdem ich darüber geschlafen habe, wirkt es gar nicht mehr so schlimm. Sasuke regt mich auf."

"Nein, Sakura, tu dir das nicht an", flehte Temari. "Ich dachte, du wärst über ihn hinweg?"

"Natürlich bin ich das!", fauchte sie. "Er ist für mich gestorben, spätestens, nachdem er nun mit dieser Schlange liiert ist. Das ist sein Problem. Seinetwegen habe ich Shikamaru doch erst geküsst! Es ist mir einfach durchgegangen!"

"Sicher, dass du ihn nicht mehr magst?"

"Ganz sicher", bestätige Sakura entschlossen nickend. "Er ist nichts weiter als irgendein Schüler für mich. Zumindest ab heute."

Plötzlich klingelte ihr Handy. Mit klopfendem Herzen sah sie auf dem Display nach, wer es klingen ließ. "Scheiße, das ist meine Mutter." Mit bösen Vorahnungen hob sie ab. "Hallo, Mama."

"Sakura, Schatz, schön dich zu hören! Wie geht es dir?"

"Ähm, gut? Wieso rufst du an."

"Ich wollte nur fragen, ob Sayuri dir die Einladung der Sabakunos ausgerichtet hat."

"Ja, Mama, hat sie. Sonst noch was?" Sie wollte es schnell hinter sich bringen. Kurz und schmerzlos.

"Oh, ich sehe gerade zufällig eure hübsche Schülerzeitung und du bist auf dem Titelbild. Wusstest du das?"

Zufällig also? Wohl kaum. Sakura blieb ruhig. "Ja, das wusste ich. Ich habe sie gerade in der Hand."

"Ich bin ja so froh, dass du endlich jemanden gefunden hast!", platzte es plötzlich aus ihr heraus. "Ich dachte schon, du würdest dem Sohn der Uchihas hinterherlaufen. Am Schiff im Sommer hast du diesen Eindruck gemacht. Aber Nara-kun ist sicherlich ein netterer Junge als Uchiha-kun! Wieso hast du denn nichts gesagt?"

"Mama, bitte, beruhige dich", versuchte Sakura ihr Einhalt zu gebieten. "Es ist alles noch ganz frisch und ich weiß nicht einmal, ob wir zusammenbleiben. Die Schülerzeitung übertreibt maßlos. Wir wollten es gar nicht öffentlich bekanntgeben. Steigere dich bloß in nichts hinein. Bitte."

"Natürlich nicht, Schatz. Dein Vater und ich kommen nächstes Wochenende nach Miyazu. Wir wollten dich besuchen und mit dir und Sayuri essen gehen. Der Tisch ist bereits für fünf Personen reserviert!"

"Schön, dass ihr kommt! Ich hab euch schon vermisst. Sayuri wird begeistert—Moment, warte mal. Fünf Personen? Warum fünf?" Ihr schwante Böses.

"Stell dich doch nicht dumm, Sakura! Dein Freund kommt natürlich mit! Dein Vater schickt dir Ort und Uhrzeit per Email. Ich muss jetzt auflegen. Ich hab dich lieb."

Ehe Sakura etwas erwidern konnte, hatte ihre Mutter das Gespräch beendet. Da, wo ihre Stimme ertönt war, war nun ein Freizeichen, das Sakura in den Ohren dröhnte. Das war nicht gut. Nein, nein, gar nicht gut. Sie musste mit Shikamaru reden—und zwar sofort!

"Wo willst du hin?", rief Temari ihr nach, aber Sakura war bereits aus dem Zimmer gestürmt.

Zwei Etagen über der ihren betrat sie ohne zu klopfen Shikamarus Zimmer, wo er auf dem rechten Bett lag und gen Decke starrte. Auf der anderen Seite saß Gaara beim Computer und las irgendeinen Artikel. Er grüßte Sakura und als er ihr den Kopf zuwandte, sah sie auf seinem Bildschirm ein Bild ihres Vaters flimmern.

"Was ist das?"

Verlegen klickte er die Seite schnell weg. "Nur ein Bericht", erklärte er schnell. "Es ging um euer Krankenhaus."

"Warum liest du sowas?"

"Ich hab ein paar Recherchen zu euren Finanzen gemacht. Mein Onkel hat Zugang zu einigen Datenbanken und ich habe einen seiner Mitarbeiter auf euer Unternehmen angesetzt."

"Das ist kein Unternehmen, sondern eine Privatklinik", verbesserte Sakura. "Außerdem ist es nicht unsere Privatklinik. Mein Vater leitet sie nur. Was hast du rausgefunden?"

"Scheinbar steht das Krankenhaus wirklich so schlecht da, wie du es vermutet hast. Dein Vater hat allen Grund, besorgt zu sein. Ihr baut langsam Schulden auf, so wie ich das sehe. Genau kenne ich mich damit aber auch nicht aus. Hinata kann dir damit vielleicht eher weiterhelfen, immerhin hat sie Wirtschaft als Modul."

"Danke für diesen Hinweis, Gaara", erwiderte Sakura trocken.

"Tut mir leid. Ich hab mich noch immer nicht daran gewöhnt, dass ihr keine Freundinnen mehr seid."

"Schon okay. Und du hast das alles heute Morgen rausgefunden? In diesem Datendschungel kennt sich doch normalerweise kein Mensch aus." Gaara wandte ertappt den Blick ab und stammelte etwas, dessen Sinn sie nicht verstand. Aber das interessierte sie jetzt auch gar nicht. Sie wandte sich Shikamaru zu, der sich inzwischen sogar aufgesetzt hatte. "Ich muss dir was gestehen." Kurz, schmerzlos, ohne Umschweife. "Wir gehen mit meinen Eltern und Sayuri nächsten Samstag essen."

Shikamaru sah sie ausdruckslos an. Sekundenlang. Dann fasste er sich an die Stirn. "Wie anstrengend", murmelte er.

"Es tut mir leid. Wirklich! Ich wollte es meiner Mutter ausreden, aber sie hat mich überrumpelt. Du kannst ruhig absagen aufgrund anderweitiger Verpflichtungen. Du kannst sie auch anrufen und ihr sagen, dass du noch nicht soweit bist. Auf keinen Fall werde ich dich zwingen, mit mir dorthin zu gehen. Dass du dich für den Erhalt unseres guten Rufes aufopferst, rechne ich dir hoch an, also werde ich nicht auch noch verlangen, dieses Theater vor meinen Eltern weiterzuspielen."

Seine Antwort kam überraschend. "Ich mach's."

"Wie bitte?"

"Ich gehe mit deinen Eltern essen", wiederholte er für die Langsamen.

Sakura schüttelte entschieden den Kopf. "Ich bin gestern ausgerastet. Mein Vater wird diesen Vertrag noch diese Woche in der Tasche haben und dann können wir nächste Woche sagen, dass wir es überstürzt haben und uns erst auf unsere Prüfungen konzentrieren wollen, ehe wir eine Beziehung anfangen. Und übernächste Woche interessiert es sowieso keine Menschenseele mehr, was wir tun."

"Das ist schon richtig, aber wir können es schon einmal deinen Eltern am Samstag glaubhaft machen, denn die sind immerhin direkt davon betroffen. Wir sollten sie davon überzeugen, dass wir uns noch nicht sicher sind, wohin diese Beziehung führt. Dann können wir das mit den Prüfungen erwähnen. Aber wir sollten auf jeden Fall deine Eltern davon abhalten, voreilig etwas zu tun, das uns schaden könnte."

"Schaden? Was meinst du?", wollte sie verwirrt wissen.

Shikamaru verschränkte die Arme. "Du erzählst dauernd, dass deine Mutter eine heile Familie vorspielt. Sie ist also der Typ Frau, der eindeutig Wert auf Perfektion und Harmonie legt. Wenn sie nun ihre achtzehnjährige Tochter an der Seite eines Mannes sieht, wird sie meines Erachtens nach irgendwann seine Eltern anrufen, ein Essen verabreden und die Sache wird untragbar. Dann ist nichts mehr mit einfach so schlussmachen. Verstehst du?"

Sakura überlegte einige Augenblicke. Er hatte Recht. Ihre Mutter war genau der Typ dafür. Sie müsste sich wundern, wenn Haruno Mebuki nicht bereits nächste Woche ein Treffen mit den Naras organisiert hätte. Sein Plan war gar nicht so schlecht und ihre Eltern würden zumindest ihn zu Wort kommen lassen, wenn sie schon nicht auf ihre Tochter hörten. "Klingt logisch." Das beruhigte sie skurriler Weise ungemein. Niemand würde sie verurteilen, wenn sie ihre Beziehung aufgrund schulischer Verpflichtungen aufgaben. Das war sehr vernünftig und würde sogar ein sehr gutes Licht auf beide Familien werfen.

Zu diesem Zeitpunkt dachte Sakura nicht daran, dass noch etwas schief gehen könnte. Alles schien sich zum Guten zu wenden.
 

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Yoshida Karin durfte sich zurecht beglückwünschen. Sie hatte nicht nur den begehrtesten Jungen der Schule seit drei Tagen zum Freund, sondern damit auch ihrer Erzrivalin den ultimativen Schlag verpasst. Sakura lag eindeutig am Boden. Dass sie nicht wirklich mit Shikamaru in einer Beziehung war, hatte Karin mithilfe Suigetsus in mühsamster Spionage herausgefunden.

"Wir müssen zum nächsten Schlag ansetzen", beschloss sie Samstagabend in Suigetsus Zimmer, während sie sich Lippenstift auftrug. "Zuerst einmal realisieren wir Sasukes Umzug in dein Zimmer. Der steht schon seit einer Woche am Plan. Warum er sich auch so dagegen wehrt! Er hat mehr Widerstand als ich dachte."

"Wie kommst du darauf?", wollte Suigetsu wissen. "Er steht unter deiner Fuchtel, ohne Zweifel. Was willst du denn noch?"

"Ich will, dass Haruno Sakura unter der Erde liegt und nicht darauf. Diese kleine Schlampe soll sehen, wie es ist, sich mit mir anzulegen. Sie war immer besser als ich, egal ob es um Beliebtheit, Noten oder Umschwärmtheit ging. Aber diesmal nicht. Dieses Jahr gehe ich als endgültige Gewinnerin aus dieser Schule. Der Endsieg gehört mir."

"Und wie willst du das anstellen? Du hast Sasuke. Mehr geht doch nicht mehr."

Karin klappte ihren Taschenspiegel zu, nachdem sie ihr Haare sorgfältig überprüft hatte. Ein heimtückisches Grinsen legte sich über ihre geschminkten Lippen. "Sasuke war nur ein Schachzug meines Spiels. Es geht hier nicht um ihn, sondern um Haruno. Wir haben sie nur geschwächt. Durch die Schülerzeitung interessiert sich nun jeder für sie und Nara, aber das wird bald nachlassen. Das war lediglich die Vorarbeit für den finalen Kampf."

"Und das soll heißen?", wollte Suigetsu ungeduldig wissen. Karin war wohl eine gute Rednerin, aber manchmal übertrieb sie es einfach.

"Ist das nicht klar? Wir werden Gerüchte verbreiten. Gerüchte, die die beiden aneinander fesseln, damit sie nicht mehr so einfach aus der Sache herauskönnen. Sie glauben, dass sie einfach so in Vergessenheit geraten und so ihr Trugbild auflösen können, aber wir werden dafür sorgen, dass es unmöglich ist. Dass Haruno Nara öffentlich geküsst hat, erleichtert die Sache. Damit hat mein Plan eine gute Grundlage." Sie brach sofort ab, als jemand gegen die Tür klopfte und eintrat.

"Bist du fertig?", fragte Sasuke. Sie setzte ein liebevolles Lächeln auf, das nicht falscher hätte sein können. Sasuke bemerkte es blind vor schierer Ignorant nicht. Er nickte Suigetsu zu und wartete geduldig auf seine Freundin.

Diese griff sich ihre Tasche, die neben Suigetsu lag und zischte ihm im Vorbeilangen zu: "Sie ist sowas von fällig." Dann ging sie zu Sasuke, hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen und ließ sich von ihm zum Taxi geleiten, das sie in die Stadt fuhr.

"Was nimmst du?", erkundigte sie sich eine halbe Stunde später. Sie saßen in einem Restaurant mit internationaler Küche, in das Sasuke sie ausgeführt hatte—nachdem sie diese Idee sorgsam impliziert hatte. "Das meiste von dem Zeug hier kenne ich gar nicht. Ich esse nicht oft Westlich."

"Du kannst nehmen, was du möchtest. Hier ist angeblich alles hervorragend. Mein Bruder hat mir dieses Restaurant empfohlen."

"Ich freue mich schon sehr, ihn und seine Frau kennenzulernen." Das war die Frucht ihres gerissenen Geistes. Als sie durch Zufall erfahren hatte, dass Uchiha Itachi in der Nähe von Miyazu geschäftliche Verpflichtungen hatte, hatte sie Sasuke dazu gebracht, seinen Bruder zum Essen einzuladen. So hatte sie auch die Verabredung mit Sasuke erreicht. Wenn Itachis Frau mitkam, konnte Sasuke nicht ohne Begleitung kommen und wer eignete sich besser dazu, als seine Freundin?

Sasuke hatte das alles etwas anders erlebt. Er erinnerte sich nur daran, dass Karin ihm vom Aufenthalt seines Bruder erzählt hatte und ihm vorgeschlagen hatte, sich doch mit ihm zu treffen; was er sowieso vorgehabt hatte. Alles andere hatte sich dann nach und nach ergeben.

"Hallo, Brüderchen."

Sasuke legte seine Speisekarte weg und stand auf, um die beiden eben Angekommenen zu begrüßen. Er stellte ihnen Karin vor, die sogleich anmerkte, dass sie seine Freundin war. Dann wurde bestellt und über Belangloses geredet. Es verlief alles vollkommen harmonisch. Der Gesprächsstoff ging ihnen nie aus, denn Itachi war ein ebenso guter Redner wie Karin und gab eine Geschichte um die andere zum Besten, deren meist wirtschaftlich orientierter Inhalt aber nur Sasuke interessierte. Beenden konnte er trotzdem keine einzige Anekdote, denn jedes Mal fand die gelangweilte Karin einen Vorwand um anzumerken, dass sie und Sasuke ein Paar waren.

"Das hab ich schon gemerkt", bemerkte Itachi leicht gereizt nach der vierten Störung. Er wusste sich zu beherrschen. "Wie ich also gerade eben sagte, haben wir letzten Endes doch nur achtzehn Prozent der Aktien von Nawabe Industries gekauft. Der Deal war für Vater einfach unhaltbar zu diesen Konditionen. Trotzdem ist Uchiha Economy mit dieser Menge offizieller Teilhaber der Firma."

"Die Konditionen waren meiner Meinung nach sehr wohl tragbar. Wenn wir nicht anfangen mit ein wenig mehr Risiko zu investieren, werden wir ewig auf der Strecke bleiben. Statt uns hat Teshima die Mehrheit gekauft, nicht wahr?"

"Teshima Industries hat aber auch um einiges mehr Einfluss im Industriesektor, wie du weißt. Dass wir überhaupt in einen so dermaßen angeschlagenen sekundären Betrieb investiert haben, gleicht einem Wunder", erklärte Itachi ernst. "Unsere Ressourcen sind eher dazu ausgelegt, Dienstleistungsbetriebe zu fördern. Sorgen macht mir nur die neue Richtung, in die Teshima sein Unternehmen lenkt. Er macht Anstalten, in die Medizin einzusteigen."

"Inwiefern?"

Itachi nahm erst ein paar genüssliche Bissen seines Kuchens, ehe er grinsend fortfuhr: "Du erinnerst dich doch an die rosahaarige Kleine, die wir auf der Kreuzfahrt kennengelernt haben. Haruno Sakura. Ihr Vater leitet eine teure Privatklinik in Tokio, die auch ein Forschungsinstitut unterhält. Scheinbar ist gerade dieses von einer finanziellen Krise betroffen und Haruno-san sucht verzweifelt nach Investoren, die ihn aus dieser Misere retten. In Teshima hat er einen guten Interessenten getroffen, den er kaum wieder hergeben wird. Auch wir hätten einsteigen können."

Dass Sasuke hellhöriger geworden war als vorhin, bekam nur sein Bruder mit, dessen Grinsen sich nur noch mehr ausweitete. "Ich weiß nicht", sagte ersterer zögerlich. "Dienstleistungen schön und gut, aber für solcherlei Investitionen fehlt uns eindeutig das fundierte Wissen. Die Anträge der Wissenschaftler müssen von den Geldgebern immerhin abgesegnet werden und ob sie zielführend oder überhaupt durchführbar sind, steht kaum in unserer Macht zu entscheiden."

"Was ist mit Risiko? Außerdem wären wir dann eng mit den Harunos verbunden", neckte Itachi weiter. Er hatte Sakuras Anhänglichkeit nicht vergessen. Sasuke entlockte das nur ein schwaches Zischen. "Wieso so miesepetrig, kleiner Bruder? Es ginge ja immerhin nicht um Aktien, sondern wohl mehr um eine rein finanzielle Investition. Genau das richtige für einen Wagemut wie dich. Haruno-san wäre gewiss erpicht auf einen solchen Zusammenschluss, zumal wir mehr Verbindungen haben als Teshima –"

Karin reichte es nun endgültig. Über Haruno Sakura wollte sie an diesem Abend gewiss nicht reden.. "Was genau macht der Uchiha Economy Concern eigentlich?"

Itachi lachte amüsiert auf. "Eine süße Freundin hast du da, Sasuke, die nicht einmal weiß, womit du dein Geld ohne dein Zutun verdienst." Er wandte sich ihr zu. "Einfach erklärt sind wir kein Konzern mehr, sondern eine Körperschaft. Der Name blieb uns nur durch sein Prestige aus Zeiten erhalten, in denen wir noch eine Produktionsfirma hatten. Inzwischen ist diese Firma zu einer Kapitalanlagegesellschaft geworden. Kurz gesagt kaufen wir uns in Firmen ein, die der Insolvenz nahe sind, bauen sie wieder auf und verkaufen die um bis zu tausend Prozent gestiegenen Aktien danach wieder. Nur eben teurer, als wir sie gekauft haben. Manchmal erschwingen wir aber auch die Aktienmehrheit, setzen den vormaligen Besitzer als Geschäftsführer ein und lassen die Firma saniert weiterlaufen. Der Großteil der Gewinne geht dann in unsere Hände, womit wir in weitere gefährdete Unternehmen investieren."

"Also seid ihr die guten Samariter?", resümierte sie, was Itachi erneut ein amüsiertes Lachen abrang. Diesmal hatte er sich nicht mehr so schnell unter Kontrolle.

"Das ist klasse", sagte er und klopfte lachend auf den Tisch. "Sasuke, du hast da echt einen Griff gemacht!" Welchen Griff genau Sasuke Itachis Meinung nach gemacht hatte, blieb jedoch geheim. Bis die Damen wenig später auf die Toilette verschwanden.

"Was hältst du von ihr?", fragte Sasuke.

"Das willst du nicht wissen. Aber ich sag's dir trotzdem." Itachi sah ihn ernst an. "Schieß sie ab. Von mir aus schlaf mit ihr und schieß sie dann ab, aber werd sie bloß los."

"Wieso das denn?"

Itachi zog verwundert die Augenbraue hoch. "Sag bloß, du hast es nicht gemerkt. Du hast mir immer in deinen Emails geschrieben, dass du endlich ein Mädchen gefunden hast, das nicht auf dich steht. Und jetzt betont sie mit jedem Atemzug, dass sie mit dir zusammen ist. Da ist was faul. Entweder die Situation oder sie selbst. Ich kenne Menschen wie sie zur Genüge. Diese Leute sind unberechenbar."

"Du spinnst doch", tat Sasuke seine Warnung ab. "Ich lasse mich nicht von ihr lenken und schon gar nicht unbemerkt."

"Das hab ich nie behauptet."

"Aber Leute vor dir. Die haben genauso Unrecht wie du."

Itachi gab noch nicht auf. "Dann beantworte mir eine Frage. Willst du eine Beziehung mit ihr? Hattest du vor, eine Beziehung mit ihr zu führen, als du sie geküsst hast?"

Sasuke durchforstete seine Erinnerungen und Wünsche an diesem Abend. "Keine Ahnung. Schätze schon, sonst wäre ich wohl kaum mit ihr zusammen. Halt dich bitte da raus, ja? Du kannst sie mir nicht mies machen."

"Das weiß ich. Wenn ich sie schlecht mache, mach ich sie dir nur noch mehr schmackhaft. Aber komm am Ende nicht zu mir und heul dich aus, dass sie einfach so schlussgemacht hat. Sie ist die Sorte Mädchen, die Menschen benutzt, um ihre Ziele zu erreichen und sie danach fallen lässt. Glaub mir, ich kenne mich damit aus. Ich bin genauso."

"Du hast dich eben selbst beleidigt", informierte Sasuke ihn trocken.

"Nein. Ich benutze Menschen nur für geschäftliche Zwecke, aber ich spiele nie mit ihren Gefühlen. Sei gewarnt, Sasuke. Sie scheint mir eine Meisterin der Manipulation zu sein. Aber auf das Spiel mit dem Feuer warst du ja schon immer scharf."

"Und das mit der Manipulation hast du einfach so durchschaut, wenn selbst ich es nicht merke?"

"Die Augen des Dritten, Brüderchen. Mach was du für richtig hältst, aber sieh dich vor. Überstürze bloß nichts." Er wechselte eilig das Thema, als Karin und Nanami wiederkamen. "Wenn wir gerade davon reden, Sasuke, wir haben vor einiger Zeit doch mal mit Takishida verkehrt. Dieser Anwalt aus Tokio, der ein paar unserer Firmen vertritt. Er ist der Organisator irgendeiner Gala zugunsten finanziell schwacher Menschen, die sich keinen ordentlichen Rechtsbeistand in Zivilklagen leisten können. Keine Ahnung, was genau da abgeht, vermutlich Geldsammeln. Jedenfalls hat er uns eingeladen, ebenfalls daran teilzunehmen."

"Klingt toll!", bemerkte Karin erfreut. Sie malte sich schon aus, wie der öffentliche Auftritt an Sasukes Seite wirken würde.

Itachi redete weiterhin nur mit seinem Bruder und ignorierte sie. "Die Karten hat Vater schon vor Wochen gekauft, als wir nicht wussten, dass du jemanden mitbringen könntest. Inzwischen sind sie ausverkauft. Wir haben also nur fünf erstanden. Tut mir leid, aber du kannst deine Freundin leider nicht mitbringen. Sie würde sich ja sowieso nur langweilen. Die Gala ist zudem erst Mitte Dezember. Bis dahin kann sich so viel ändern." Er bedachte Karin mit einem warnenden Blick, dem sie unbeeindruckt standhielt.

Sasuke würde hoffentlich wissen, auf was er sich eingelassen hatte.
 

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Anderthalb Wochen später war alles wie gehabt. Der Streit zwischen den Mädchen hielt in einer nicht enden wollenden Odyssee an. Geändert hatte sich auch nicht, dass Sasuke und Karin überall gemeinsam zugegen waren. Dass Karin die treibende Kraft war, war schnell zu sehen. Wo auch immer Sasuke saß oder ging, sie fand ihn. Dass dieser sie nicht längst dafür umgebracht hatte, war allen ein Rätsel. Er wirkte zwar nie so richtig verliebt, aber auszumachen schien es ihm auch nichts. Im Gegenteil; er verneinte den Zimmerwechsel nur noch vehementer, was Karin so gar nicht passte. Er war durch Itachis Rat vorsichtig geworden und lehnte es daher ab, noch mehr Zeit mit ihr zu verbringen, als ohnehin schon. Man sah sie auch nie Händchenhalten oder turteln. Manchmal erwischte man sie exzessiv küssend hinter einer Ecke, aber in der Öffentlichkeit der Schule zeigte sie sich selten als Paar, was vermutlich eher an Sasuke lag.

Geändert hatten sich nur zwei Dinge. Erstens, Tentens Überredungsversuche hatten bei Hinata das schlechte Gewissen geweckt, weswegen diese schon seit Tagen mit sich rang. Und zweitens, sie hatten wieder regulären Vormittagsunterricht, weswegen viele ehemalige Freunde erneut in einer gemeinsamen Klasse waren. Ino hatte sichb zusammen mit Hinata aus Provokation weit weg von Sakuras Sitzplatz in der ersten Reihe gesetzt.

So schleppten sich die Tage bis zum elften November dahin, dem Tag, an dem das Essen mit Sakuras Eltern anstand. Pünktlich um halb sieben fuhr das von ihrem Vater geschickte Taxi vor, sammelte Sakura, Shikamaru und Sayuri ein und brachte sie in dasselbe Restaurant, in dem auch schon die Uchihabrüder mit ihren Damen gespeist hatten.

So leichtmütig, wie ihr zumute sein konnte, betrat sie zwischen Shikamaru und Sayuri das Restaurant und wurde sogleich von einem Kellner an den Tisch ihrer Eltern gebracht, die bereits zwei Gläser Wein vor sich stehen hatten.

"Sakura, Sayuri, ich freu mich ja so, dass wir uns endlich wiedersehen", legte ihre Mutter sogleich los. Sie stand auf und umarmte ihre Töchter. "Und du musst Nara Shikamaru-kun sein. Sakura hat ja schon so viel von dir erzählt!" Dass das gelogen war, wusste jeder. Und dann ging es los.

Noch ehe die Vorspeise kam, hatte Mebuki alles über Shikamaru erfragt, was es zu erfragen gab. Wie alt er sei? Erst kürzlich neunzehn geworden. Was seine Eltern machten? Eine Anwaltskanzlei leiten. Natürlich, die Klinik ihres Mannes sei ja Klient bei ihnen. Kizashi kenne die beiden ja auch bereits. Ob sie denn ebenfalls begeistert von Sakura seien? Das könne er nicht sagen, er habe sie nicht vorgestellt. Tatsächlich? Das müsse unbedingt nachgeholt werden!

"Verstehen Sie mich nicht falsch, Haruno-san, doch ich gedenke nicht, Sakura meinen Eltern als meine Freundin vorzustellen." Sie sah geschockt aus, also griff Sakura schnell ein.

"Er meint damit, dass wir noch nicht soweit sind, Mama. Ich hätte ihn euch auch nicht vorgestellt, wenn du mich nicht so überrumpelt hättest."

"Noch nicht soweit?", wiederholte sie langgezogen. "Natürlich nicht, immerhin seid ihr doch noch nicht einmal volljährig."

"Ich wusste, dass du es verstehst. Wir müssen uns erst auf unsere Prüfungen konzentrieren, damit haben wir genügend Stress. Es sollte niemals in die Zeitung gelangen und diesem Klatschblatt darf man sowieso keinen Glauben schenken."

Mebuki nickte einsichtig. "Die Schule ist wirklich wichtiger. Nach eurem Abschluss bleibt noch genug Zeit für euch."

"Mama, das wollte ich eigentlich nicht damit sagen. Wir wissen noch nicht einmal, wohin uns diese Verbindung führt, verstehst du? Ich denke nicht, dass es etwas Ernstes ist."

Aber Mebuki hörte ihr schon gar nicht mehr zu. Für sie war es beschlossene Sache. Ihre Tochter sprach ihres Erachtens nach nicht davon, dass die Beziehung an sich nicht ernst war, sondern, dass sie noch nicht bereit zum Heiraten waren. Weder Shikamaru noch Sakura schafften es, ihren Wahnvorstellungen Einhalt zu gebieten. Mebuki redete über alle Entgegnungen drüber und wenn Kizashi etwas dazu zu sagen hatte, wurde auch er ignoriert, ebenso wie Sayuri.

So hatten sich die drei Jugendlichen das eigentlich nicht vorgestellt.
 

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Yes And No


 

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Am Montag kam das böse Erwachen. Woher das Gerücht plötzlich kam, war jedem unbekannt, vor allem den Betroffenen. Fakt war nun einmal, dass es eine ziemlich fundierte Beweislage hatte—die zwar nicht korrekt war, aber dennoch als solche galt.

"Was?", schrie Sakura rasend vor Zorn. Sie war am Montag aufgestanden und hatte ein Exemplar der Novemberausgabe der Schülerzeitung vor der Tür gefunden. Das Titelblatt zierten irgendwelche Mitglieder des Schwimmvereins, im Inneren hatte sie dann der Schock getroffen.

"Warum schreist du so?", fragte Temari. Sie spähte mit einer Zahnbürste im Mund aus dem Badezimmertürspalt heraus.

"Ein halbseitiger Artikel auf Seite zwölf. Nara und Haruno, heimliche Verlobung? Ist das etwa deren Ernst?"

"Wie kommen die auf sowas?"

Sakuras Augen flitzten über die Zeilen; bei jedem Satz wurde sie bleicher. "So ein Scheiß!", kreischte sie außer sich. "Vermutungen standen lange im Raum, aber nun werden Insiderquellen laut, die von einer Verlobung zwischen dem erst neulich geouteten Pärchen Nara-Haruno sprechen. Bla, bla, langjährige heimliche Beziehung, bla, bla, seit Kindertagen verbunden aufgrund geschäftlicher Vernetzungen der Eltern und das ist ja wohl die Höhe! …wurde sogar von wirtschaftlichen Vorteilen gesprochen, die einer solchen Verbindung nachhergehen! Was bildet KIba sich ein? Den mach' ich fertig!"

In Windeseile streifte Sakura sich die Schuluniform über. Keine zehn Sekunden später stürmte sie einem Orkan gleich aus dem Zimmer in Richtung Redaktion. Noch Augenblicke nach ihrem Abrauschen hallte in Temaris Ohren der Knall wider, den Sakura beim brutalen Zuschlagen der Tür erzeugt hatte.
 

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Inuzuka Kiba, seit zwei Jahren engagierter Chefredakteur der Miya-So-News Monthly, saß so wie jede Montagfrüh in seinem Büro, das nicht mehr als ein einfacher Schreibtisch innerhalb der kaum dreißig Quadratmeter großen Redaktion im obersten Stock des Schulgebäudes war. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, vor dem Frühstück dort in Ruhe seinen Kaffee zu trinken und seine druckfrische Ausgabe so durchzublättern, wie es auch alle anderen Leser Mitte des Monats taten. Es war eine Art Tick, den er sich angewöhnt hatte, um sich dann wie ein wichtiger Mann vorzukommen. Heute allerdings wurde seine Ruhe von einem Wirbelsturm gestört, der die Bürotür aufriss und sein gesamtes Zettelwerk im Raum herumflattern ließ—metaphorisch natürlich nur.

Keuchend kam der Wirbelsturm mit rosa Haar vor ihm zum Stehen. Sie knallte ihre Handflächen mit einer Lautstärke auf seinen Tisch, die seine Ohren wie auch den Kaffee in seiner Tasse erzittern ließ.

"H-Haruno! Was machst du hier?"

"Dich umbringen, du verdammter Freak!", fuhr Sakura ihn an. Nur mehr das fehlende Fell unterschied sie von einem Bären; spielten seine Augen ihm einen Streich, oder war sie tatsächlich so groß wie ein ausgewachsenes Männchen?

"Ich verstehe nicht…"

"Besser für dich! Was soll das?" Sie schlug ihm ihre Ausgabe der Schülerzeitung ins Gesicht, wobei sich ein Teil seines Kaffees über seine Schuluniform ergoss. Fluchend hielt er sich die heiße Stelle vom Leib.

"Was soll das? Bist du verrückt geworden?"

"Jetzt sperr mal deine Lauscher auf, Inzukua, ich mach dich kalt, wenn du das nicht korrigierst!" Sie blätterte auf Seite zwölf seiner Ausgabe, indem sie die restlichen Seiten rausriss. "Du erfindest irgendwelche Sachen, behauptest, dass sie aus aussagekräftigen Quellen stammen und druckst das, ohne mit den einzigen Menschen zu reden, die das was angeht!"

"Ich habe beweiskräftige Quellen", korrigierte er verärgert. "War's das, oder willst du mich und mein Büro noch mehr verwüsten?"

"Sei froh, dass ich es nicht tue! Wer ist dieser Insider?", fauchte sie.

"Das ist mein Geheimnis."

"Ich geb' dir gleich ein Geheimnis und zwar eines, das du nicht mehr vergisst!" Sakura packte ihm am Kragen und zog ihn zu sich hoch. Ihre Kraft war ungeheuerlich. "Ich war insgesamt fünf Jahre lang in zwei Boxvereinen und habe das Training vor zwei Monaten wieder aufgenommen, also würde ich mir überlegen, wem du was verheimlichst! Rede, sonst prügle ich es aus dir heraus!" Ob sie bluffte oder nicht, wusste sie selbst nicht. Sie konnte in dem Moment, als sie ihre Faust drohend erhob, nicht sagen, ob sie wirklich zuschlagen würde. Kiba jedenfalls glaubte ihr.

"O-Okay! Ich sag's dir, wenn du mich loslässt!"

Sie packte ihn nur noch fester. "Ich lass dich los, wenn ich eine Antwort habe!"

"Yoshida! Es war Yoshida! Sie kam am Samstagabend zu mir und sagte, du würdest mit deinen Eltern und Nara essen gehen! Der Grund, den sie nannte, was die Besprechung eurer Verlobung!"

"Und das hast du geglaubt? Stell das richtig!"

"Das kann ich nicht!" Kibas Stimme klang beinahe weinerlich. Ihm kamen fast die Tränen, denn ihr Griff war so fest, dass ihm das Atmen schwerfiel. "Die Ausgaben sind gedruckt und verteilt!"

"Dann druck sofort eine Sonderausgabe, in der du dieses Gerücht als lächerlich, weltfremd und unbegründet bezeichnest und in der du dich offiziell bei Shikamaru und mir entschuldigst!"

"Alles, was du willst!", quiekte er. Endlich ließ sie ihn los. Wo Sakuras Hände gewesen waren, waren rote Druckstellen, die er sich leidvoll stöhnend rieb. "Ich werde es gleich schreiben. Zufrieden?"

"Erst, wenn das aus der Welt ist! Du hast ja keine Ahnung, was du damit anrichten könntest!" Sie schlug erneut auf seinen Schreibtisch und zischte bedrohlich: "Und wenn du jemals wieder etwas druckst, das Karin dir gesagt hat, bring. ich. dich. um. Das schwöre ich feierlich!" Sie strafte den Tisch ein drittes Mal mit einem Schlag, ehe sie sich in die Mensa aufmachte, wo bereits eine Menge Blicke auf sie warten würden.
 

Die Blicke waren vielerlei Natur. Es lag Zweifel, Ungläubigkeit, allem voran aber pure Überraschung darin. Niemand war so sehr in Sakura verliebt, dass ihr jemand dieses Glück nicht gegönnt hätte; im Gegenteil: viele tuschelte einfach aus Interesse darüber. Beinahe nirgends ließen sich Missgunst oder Neid finden. Nur vereinzelt empörte sich jemand über das junge Alter der Verlobten.

Ino hatte natürlich ihre eigene harsche Meinung darüber, wenngleich Tenten und inzwischen auch Hinata versuchten, ihr klarzumachen, dass es nur ein dummes Gerücht sei. Für Ino zählten rationale Begründungen schon lange nicht mehr. Sie war über jeden Grund froh, der sie Sakura noch mehr hassen ließ. Welcher es war, war ihr egal.

An ihrem Tisch wurde Sakura von angespannter Stimmung empfangen. Shikamaru machte sofort den Anfang. "Warum behaupten sie das? Ich fand die Novemberzeitung in meinem Zimmer. Seite zwölf war angestrichen. Ich nehme an, du hast dasselbe bekommen?"

"Ja, allerdings", entgegnete Sakura matt. "Ich habe alles geklärt. Karin hat Inuzuka falsche Informationen gegeben. Er sitzt gerade an einer offiziellen Entschuldigung, die er hoffentlich noch heute druckt. Diese verfluchte Kuh!" Sie warf Karin einen Blick quer durch die Mensa zu. Diese saß neben Sasuke und spielte mit seinem Haar, während er desinteressiert sein Essen zu sich nahm. Als sie die Szene eine Weile beobachtete, wurde ihr etwas klar.

Sie war wirklich über ihn hinweg. Da war keine Missgunst Karin gegenüber, dass sie Sasuke bekommen hatte. Sie hasste Karin aus vielerei Motiven heraus, bloß nicht aus diesem. Sie sah ihn und fühlte…nichts. Rein gar nichts, außer ein leises Bedauern, dass er auf die dunkle Seite gewechselt hatte. Das brachte sie zu einem wesentlichen Entschluss. Sie würde ihm genau das sagen. Später.
 

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Morino Ibikis spontan angesetzte Tests waren nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und da man mit Hinata nicht reden konnte, mussten sie sich alleine durch den Formeldschungel der Stochastik schlagen—mit nichts als einem Taschenrechner als Waffe.

Naruto stöhnte bereits zehn Minuten nachdem sie im Studierraum mit dem Lernen angefangen hatten. "Warum bitteschön ist hier oben das Ergebnis eines definierten Zufallsexperiments aus den Mengen der reellen Zahlen ein Ereignis aus der Teilmenge von Omega und hier unten plötzlich der ganze Ergebnisraum Epsilon ebenfalls eine Teilmenge aus Omega?" Er tippte auf besagte Stelle in Sakuras Buch, die bereits von ihr unterstrichen worden war. Sie las sich den Text flüchtig durch.

"Die hier beschriebenen Ereignisse sind nur alle möglichen Ergebnisse eines Zufallsexperiments. Damit du den einzelnen Ereignissen überhaupt eine sinnvolle Wahrscheinlichkeit zuordnen kannst, musst du sie erst in diese Ergebnisräume zusammenfassen, die gleich den vorangegangenen Einzelereignissen ebenfalls eine Teilmenge aus Omega sind. Die Ereignisse sind dann nichts weiter als Bilder einer gewissen Funktion des Ergebnisraumes im Intervall null bis eins."

"Also ist die Wahrscheinlichkeit eine Funktion?", resümierte er verzweifelt.

"Nein! Es ist die Kurve dieser Funktion, die aus der Summe der Einzelereignisse hervorgeht. Glaube ich zumindest."

Gaara mischte sich ungefragt ein. "Ist es nicht eher nur ein bestimmter Bereich dieser Kurve, der als Wahrscheinlichkeit definiert wird? Der Rest davon ist doch die Gegenwahrscheinlichkeit."

"Nein, nein", beharrte sie. "Die ganze Kurve ist die Wahrscheinlichkeit, aber nur das Ereignis x am höchsten Punkt wird als Lösung gewertet."

"Ich bin mir da nicht so sicher. Du beschreibst da eher die Additivität der Wahrscheinlichkeit disjunktiver Kurven."

"Es gibt keine disjunktiven Kurven", korrigierte sie steif. "Nur disjunktive Ergebnisse. In diesem Fall ist das komplementäre Ereignis der Wirkfaktor seiner komplementären Wahrscheinlichkeit im Bereich der Teilmenge –"

"Stop!", ging Naruto dazwischen. Er hielt sich bereits die Ohren zu. "Euer Gerede gibt mir Kopfschmerzen! Gebt es zu, ihr habt beide keine Ahnung! Ihr redet immer so pseudoklug daher, wenn ihr nicht wisst, was die Antwort ist! Aus, Ende, wir fragen Hinata-chan!"

Plötzlich war es still. Sakuras Griff um ihren Bleistift verfestigte sich, während den Blick auf ihr Buch niederschlug. "Du kannst sie fragen. Ich werde hierbleiben", sagte sie ernst.

"Das ist alles so kindisch! Sayuri hat gesagt, dass Tenten gesagt hat, dass Hinata dir verziehen hat und nur nicht mit dir redet, weil ihr alles so leid tut!"

"Das genügt nicht." Sakura stützte den Kopf auf ihre Handfläche. "Hinata ist vielleicht nicht mehr böse auf mich, aber ich kann ihr nicht unter die Augen treten, solange ich mit dem Wissen leben muss, ihr Leben zu gewissen Teilen zerstört zu haben."

"Das reicht." Naruto stand ruckartig auf. Er schlug mit der Faust auf den Tisch und sah Sakura entschlossen an. "Ich werde das klären, ein für allemal! Wartet mit dem Lernen nicht auf mich, ich hole später dann auf."

"Ja, klar doch", meinte Sakura zweifelnd, doch er war bereits verschwunden. Was er wohl vorhatte?
 

Naruto wusste sehr genau, was er vorhatte. In Windeseile stand er vor Sakuras ehemaliger Zimmertüre, hinter der nun Hinatas Zimmer war. Er klopfte ein paar Mal, dann öffnete ihm Ino. Sie sah ihn abfällig an. "Was willst du?"

"Mit Hinata reden."

"Sie ist nicht hier."

"Weißt du, wo sie ist?"

"Nein. Und wenn, würde ich es dir nicht sagen. Du hältst zu Sakura, also halt dich fern von uns, Verräter."

Naruto wollte bereits etwas erwidern, doch er legte es nicht auf einen Streit mit dieser Furie an. Die Geduld hatte er nicht, zumal sie ihm rhetorisch einwandfrei überlegen war. Statt zu antworten, machte er auf dem Absatz Kehrt und lief zurück ins Schulgebäude. Er überwand vier Stöcke und einen langen Gang, ehe er außer Atem vor einer schmalen Tür stand. Es gab nur einen Ort, an dem Hinata sein konnte, das spürte er in der Tiefe seines Herzens. Vermutlich. Vielleicht war es auch nur ein Bauchgefühl, das von Hunger herrührte. Schnaufend nahm er die letzte Hürde, ehe er die Tür zu seiner kleinen Terrasse aufstieß.

Hinatalehnte auf ihre Unterarme gestützt am Geländer, über das Dach der Schule in die weite Ferne sehend.

"Hinata-chan, wir müssen reden."

Sie fuhr erschrocken um, wobei sie beinahe über die Brüstung fiel. Haltsuchend klammerte sie sich an die Metallstange; den Halt brauchte sie nicht nur ihres Beinaheabsturzes wegen. "N-Naruto-kun!"

"Hast du kurz Zeit?" Hinata nickte. Er stand noch immer zwischen Tür und Angel.

"Mir ist heute etwas klar geworden. Weißt du, ich hab' mir nie Gedanken darüber gemacht, was mit dir und mir ist. Ich mag dich, Hinata-chan, echt jetzt. Du hast mir schon oft geholfen, wenn ich mal wieder drohte durchzufallen. Selbst als es sehr schlecht für mich aussah, hast du dich mit mir hingesetzt, um bis in die Nacht zu lernen. Das hat mir Mut gemacht. Zu wissen, dass jemand an einen glaubt, macht dich unglaublich stark, wenn du es zulässt."

"Hat Sakura gesagt, dass du mit mir reden sollst?" Sie erschrak merklich über ihren feindseligen Ton.

"Vergiss Sakura-chan für einen Moment!", bat er sie haareraufend. Wieso waren Mädchen so kompliziert? "Es geht um dich und mich, nicht um Sakura, Ino oder irgendjemand anderen. Hier spielen nur wir beide eine Rolle. Okay, Sakura auch ein bisschen. Und weißt du warum? Sie hat mir die Augen geöffnet. Ich mach' mir über sowas einfach keine Gedanken. Liebe, Beziehung, das hat mich nie interessiert. Ich lebe in den Tag, ohne darauf zu achten, was um mich herum in diesen Belangen geschieht. Aber wenn ich alleine war, dann hab' ich manchmal an dich gedacht, ohne zu wissen, woher das kommt. Anstatt dem nachzugehen, führte ich meine kopflosen Tage fort. So bin ich eben."

"Naruto-kun, ich…"

"Lass mich ausreden!" Naruto stampfte auf den Boden. "Himmel eins, ich bin nicht gut in solchen Dingen! Keine Ahnung, was ich sagen soll, damit du verstehst, was ich meine! Sakura macht sich seit Wochen Vorwürfe und zieht sich selbst runter, weil es ihr so leid tut! Aber sie trifft keine Schuld! Ich geb's ja zu, Sakura-chan hat gesagt, dass ich dich nach einer Verabredung fragen soll, aber ich habe dich letzen Endes nur gefragt, weil ich es wollte! Sakura-chan hat mir Mut gemacht! Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass jemand wie du—schön, reich und klug—sich für jemandem wie mich—arm und kein Genie—interessieren könnte! Ich sehe vielleicht nicht schlecht aus—" Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu. "—aber das ist kein Attribut, das du bei deiner Wahl beachtest. Du siehst auf die inneren Werte, Hinata-chan. Das schätze ich an dir."

Hinata begann unwillkürlich zu lachen, selbst wenn ihr eigentlich nicht danach war. "Naruto-kun, ich bin schon lange nicht mehr böse auf Sakura. Ich hab die Beherrschung verloren, weil ich verzweifelt war. Ich habe überreagiert."

"Dann gib mir endlich eine Antwort. Damals, als ich dich um eine Verabredung bat, bist du einfach weggelaufen. Ich warte immer noch auf eine Antwort. Die Einladung steht."

Sie trat von einem Fuß auf den anderen. Ihr Lächeln verschwand mit einem Schlag, während ihr Blick zu Boden wanderte. "Das kann ich nicht."

"Weil ich arm und dumm bin."

"Nein. Weil ich eine Hyūga bin. Ich hab Sakura Vorwürfe gemacht, mir meine Träumereien zerstört zu haben. Aber in Wahrheit war ich nur sauer auf mich selbst, weil ich nicht egoistisch genug bin, um dich in meine Welt zu lassen."

"Was soll das denn heißen?", fragte Naruto verwirrt.

Sie sah ihn ernst an. Ihr Blick war so fest und klar, wie er ihn noch nie an ihr gesehen hatte. "Wenn es gut laufen würde, würdest du mein Freund werden. Dann würde ich dich in meine Welt hineinziehen. Meine Welt ist keine glückliche, Naruto-kun. Sie ist geprägt von Zwang und Etikette. Ich wünsche niemandem dieses Leben und schon gar nicht demjenigen, der mir so viel bedeutet."

"Du willst nicht weil du Angst hast, nicht wahr? Angst, dass ich dem Druck nicht standhalte, dass sie mich nicht akzeptieren, und dass ich flüchte. Aber ich kann das und ob sie mich akzeptieren ist mir egal. Ich mag dich und nicht deine Welt. Aber deine Welt ist ein Teil von dir und ich denke, dass ich das ertragen werde. Und hättest du mich gefragt, ob ich es könnte, hätte ich immer ja gesagt—"

"Du weißt nicht, was du redest!", unterbrach sie ihn bestimmt. "Du hast keine Ahnung, wie es in einem goldenen Käfig ist. Das möchte ich dir nicht antun."

"Sei einmal egoistisch. Ich verspreche dir, abzuhauen, sobald es mir zu viel wird. Du musst keine Angst haben, mich gegen meinen Willen einzusperren. Beantwortest du nun endlich meine Frage?" Er zwinkerte ihr zu und reckte den Daumen in die Höhe. Hinata begann erneut unwillkürlich zu lächeln.

"Meine Antwort lautet ja."

Naruto atmete erleichtert aus, dann begann er zu grinsen. "Das ist das erste und hoffentlich letzte Mal, dass ich zwei Monate auf eine Antwort waren musste!"
 

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Irgendwann, zwischen Funktionen und dem Zeitpunkt, an dem sie Gaaras Gesicht zu Brei schagen wollte, seilte Sakura sich von ihrer erfolglosen Lerngruppe ab. Sie wollte unbedingt wissen, ob Naruto tatsächlich die Konsequenz besessen hatte, mit Hinata zu sprechen. Es ließ ihr einfach keine Ruhe.

Ungeduldig klopfte sie an seine Zimmertür im vierten Stock und trat ein, noch ehe sie hereingebeten wurde. Das machte sie seit der ersten so. Dass allerdings nur Sasuke anwesend war, hatte sie nicht erwartet. Er saß in Jogginghose und Shirt an seinem Schreibtisch.

Ohne von seiner Zeitschrift aufzusehen, sagte er: "Du bist heute überpünktlich. Sonst lässt du immer eine viertel Stunde auf dich—Sakura. Ich dachte, du wärst Karin." Beim Anblick seines überlegenen Gesicht hätte sie ihm noch vor einem Monat am liebsten eine Breitseite verpasst. Heute ließ es sie kalt. Es berührte sie nicht im Geringsten.

"Ich wollte zu Naruto."

"Der ist nicht hier. Soll ich etwas ausrichten?"

"Würdest du doch sowieso nicht, oder?"

Sie drehte sich zum Gehen um, da sagte er mit einem selbstgefälligen Lächeln auf den Lippen: "Hättest du ein wenig längere Haare, hättest du vielleicht eine Chance bei mir gehabt. Ich mag Mädchen mit langen Haaren. Karins sind um mindestens zehn Zentimeter länger." Er erwartete eine bissige Bemerkung, aber als sie sich ihm wieder zuwandte, sah sie ihn bloß gelangweilt an, als hätte er sie nicht gerade beleidigt.

"Weißt du, Sasuke, wenn zehn Zentimeter deine Liebe zu einem Mädchen verändern, dann bist du nicht der Mensch, für den ich dich gehalten habe, sondern ein sehr viel dümmerer. Sag nichts, ich weiß genau, dass du mich nur ärgern wolltest. Das macht dir Spaß, obwohl du deine Abneigung gegen mich ja bei jeder Gelegenheit öffentlich bekundet hast. Das ist okay. Wenn es dir Befriedigung verschafft, habe ich nichts dagegen. Im Gegenteil; wenn du sie dir bei mir holen musst, obgleich du Karin zur Freundin hast, ist das wohl mehr mein Triumph als der deinige oder gar ihrer. Lass sie das lieber nicht wissen."

"Woher denn dieser eilige Sinneswandel?", fragte er süffisant. Dass er ihr nicht glaubte, war klar zu sehen. Zu ihrer großen Erleichterung ließ es sie kalt.

"Eilig war der Wandel meiner Gefühle sicherlich nicht. Ich war nie ein oberflächlicher Mensch, aber doch oberflächlich genug, um mich auf den ersten Blick in dich zu verlieben. Auf den stimmt nämlich alles bei dir. Ich habe mich in deine schillernde Fassade und dein einnehmendes Auftreten verliebt; ich habe für einen Uchiha geschwärmt. Aber nicht für Sasuke. Deine Art, deine Ansichten und Wünsche kotzen mich an. Alles, was dich auf den zweiten Blick ausmacht, ist nichts, in das ich mich verlieben könnte. Du bist ein anderer Mensch, als ich erwartet hatte. Das zu erkennen hat lange gedauert, aber ich habe es schlussendlich fertiggebracht. Du kannst mich weiterhin beleidigen und es wird mich weiterhin verletzen. Aber sei dir gewahr, dass es mich nicht mehr und nicht weniger verletzt, als es einen jeden Menschen verletzt, der von einem Mitmenschen beleidigt wird."

Sasuke erwiderte nichts. Darum sprach sie mit fester Stimme weiter.

"Ich muss keinen Herzschmerz verarbeiten und auch nicht über dich hinwegkommen, denn die Trauer über den Verlust einer perfekten Fassade habe ich schon lange überwunden. Uchiha Sasuke, du bist ein Schüler dieser Schule für mich. Nicht mehr und nicht weniger. Ich werde dich nicht auf gemeine Weise behandeln und ich bitte dich, es mir gleichzutun. Du hast keinen Grund mehr, mir Böses zu wünschen. So wie ich dir heute versprechen, mich nicht aufzudrängen oder dir absichtlich über den Weg zu laufen, so verspreche ich dir auch, dir nicht aus dem Weg zu gehen. Wann immer wir uns sehen wirst du ein Mitmensch bleiben und nur ein Mitmensch."

"Du verlangst von mir, dich neutral zu behandeln?"

"Ich verlange es nicht", korrigierte sie. "Ich erwarte von dir den Respekt, den du all deinen Mitmenschen zollen solltest; kurzum: Ich möchte in deinen Augen weder Luft noch Unmensch sein. Verstehst du?"

"Ich denke schon."

"Ein schönes Leben noch, Uchiha Sasuke-san."
 

Sasuke sah ihr nach, als sie das Zimmer verließ, Karin beim Betreten sogar flüchtig die Tür aufhielt und um die Ecke verschwand.

"Was war das eben? Denkt die Kuh etwa, dass sie dich bekommen kann, wenn sie nett zu mir ist, oder was soll ich davon halten?" Karin zog sich die Weste aus und Sasuke aufs Bett, wo sie sich auf ihn setzte.

Er wehrte ihren ersten Kussversuch ab. "Sie hat ihre Egalität mir gegenüber bekräftigt. Scheinbar sind wir sie los."

"Und das glaubst du ihr? Sie ist ein falsches Biest. Warum sollte sie dich plötzlich in Ruhe lassen, wenn sie monatelang von dir bessessen war?", fragte Karin. Sie war sichtlich verärgert darüber.

"Sie hatte überzeugende Argumente. So wie ich das sehe, ist sie nicht mehr von Interesse."

"Ist sie das?", wiederholte Karin zischend, ehe sie ihn leidenschaftlich küsste. In ihrer Geste lag mehr Besitzergreifung als jemals zuvor. Die spürbare Wut äußerste sich in einer Hitzigkeit, die Sasuke seltsam vorkam. Ihre Versuche, ihn mit allen Mittel der Kunst abzulenken, scheiterten kläglich. Während sie ihn boykottierte, dachte er weiterhin über Sakuras Worte nach, deren Sinn er nicht recht deuten mochte und als er sich endlich sicher war, nichts missverstanden zu haben, begann er, sich leise Vorwürfe zu machen.
 

"Der Idiot zerstört unseren Plan. Das gefällt mir nicht", murrte Karin. Sie hatte den Tag über damit zugebracht, herauszufinden, wieso Sasuke während ihres Treffens immer wieder abgelenkt gewesen war. Er hatte sich schneller als üblich entschuldigt, um einigen Lernstoff zu bewältigen.

Suigetsu verdrehte die Augen. "Wieder die alte Laier…Ihr Weiber macht mich fertig."

"Er denkt an sie. Fortwährend. Sein dämliches Ego macht sich Vorwürfe, jemandem Unrecht getan zu haben, der es nicht verdient hat. Sie hat ihn zum Nachdenken gebracht. Das ist nicht gut."

"Könnte es sein, dass du in Sasuke verliebt bist und nur so tust, als würdest du ihn ausschließlich für Harunos Vernichtung benutzen?"

"Blödsinn. Der geht mir langsam einfach auf die Nerven. Haruno hat alles kaputt gemacht. Wir müssen härtere Geschütze auffahren!"

"Karin, du hast Sasuke zum Freund und zwei Menschen verlobt, die nicht einmal in einer Beziehung waren, indem du zweimal die Presse geschmiert hast. Was zum Henker willst du noch?" Suigetsu riss theatralisch die Arme hoch.

"Ich will die Schlampe richtig leiden sehen! Sasuke war nur ein Teil des Plans. Was will ich schon mit dem anfangen? Ich muss ihm dauernd hinterherlaufen und ihm einreden, dass er in mich verliebt ist, damit das nicht auffliegt. Scheiße. Dass Haruno so gerissen ist, hätte ich nicht vermutet."

"Warum lässt du Sasuke nicht einfach sein, wenn du Haruno damit nicht verwunden kannst?", wollte Suigetsu wissen. Er hatte den Überblick schon lange verloren.

Karin winkte ab. "Ist doch egal. Jetzt hab ich ihn schon, also kann ich ihn genauso gut behalten."

Er setzte einen wissenden Blick auf. "Hast du dich etwa wirklich verliebt?"

Sie sah mit geröteten Wangen zu Boden. "So ein Schwachsinn. Er ist nur Mittel zum Zweck. Wir müssen mit dem Miststück eben noch einen Schritt weitergehen. Harunos Ruf ist noch viel zu positiv. Die Verlobung haben wir ganz falsch aufgezogen. Es hat sich in den Köpfen der Schüler zu einer lieblichen Romanze entwickelt und Inuzukas offizielle Entschuldigung hat dem Gerücht sowieso ein Ende gesetzt."

"Was willst du dann bitte tun?", fragte Suigetsu alibihalber. Sie würde es ihm ja sowieso gleich verraten.

"Wir machen uns das zunutze. Erst einmal lassen wir die Sache ruhen, damit sie sich in Sicherheit wiegen und alles so aussieht, als wären sie kein Paar. Nach den Winterferien holen wir dann zum Schlag aus. Die werden sich noch wundern."

"Und was machst du bis dahin mit Sasuke? Willst du weiter dieses Theater aufrecht erhalten? Oder gibst du endlich zu, dass du tatsächlich verknallt bist?"

"Halt deine Klappe."
 

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"D-Du hast was?" Sakura hatte große Mühe, ihre Erregung im Zaum zu halten. Die leise Schärfe ihrer Stimme hätte sogar Holz zerschnitten. Am übernächsten Morgen nach ihrem Gespräch mit Sasuke hatte sie eigentlich nichts mehr erschüttern können. Sie hatte das Frühstück mit einem dauergrinsenden Naruto verbracht und auch Temari, Sayuri und Gaara waren bester Laune gewesen—vielleicht lag etwas in der Luft. Nur Shikamaru hatte das Essen versäumt und war auch zu spät zum Unterricht gekommen. Sakura hatte sich die Frage nach dem Grund nur bis zur ersten Pause verkneifen können, die ihr so unendlich weit weg vorgekommen war.

"Ich hab einen Anruf von meinen Eltern bekommen. Sagte ich doch gerade", wiederholte Shikamaru flüsternd, damit seine Klassenkollegen es nicht hören konnten. "Sie haben mich fast eine halbe Stunde lang bequatscht und mich gefragt, ob ich einen Vollknall habe, weil ich mich in dem Alter schon verlobe."

"Ich wundere mich gerade, dass meine Eltern noch nicht angerufen haben", überlegte Sakura. "Vielleicht haben sie die Zeitung auch noch nicht gelesen. Deine Eltern verbieten diese Beziehung also? Dann sind wir raus aus der Sache. Wäre doch ziemlich perfekt."

"Das ist ja das Problem; sie heißen sie gut, nur mit einem solchen Schritt soll ich noch warten, bis ich im Berufsleben stehe. Ist das zu fassen? Und das ist noch nicht einmal das Schlimmste."

Sie sah ihn ungeduldig an. "Rück schon raus damit!"

"Meine Mutter ist vor Freude fast in die Luft gegangen, als sie erfahren hat, dass du die Harunotochter bist."

"Hä?" Sie verzog verwirrt den Mund. Gab es denn noch eine Harunotochter außer ihr und Sayuri, von der sie nichts wusste?

"Die Tochter einer ihrer wichtigsten Klienten. Meine Eltern kennen deinen Vater seit Jahren als ihren Kunden und haben ihn schon öfters bei Rechtsberatungssitzungen gesehen. Sie halten viel von ihm. Nun wollen sie auch deine Mutter und deine Schwester und natürlich dich kennenlernen."

"Ach du heilige Scheiße", fluchte Sakura laut. Sie schlug sich entsetzt die Hand auf den Mund. Leiser fügte sie hinzu: "Du hast ihnen das doch sicherlich ausgeredet."

Er nickte. "Jetzt kommt die schlechte Nachricht. Sie meinten, sie würden dich ohnehin auf der Anwaltsgala Mitte Dezember kennenlernen."

"Das ist nicht gut. Was sollen wir tun?"

Shikamaru verschränkte nachdenklich die Arme vor der Brust. "Wir lassen es ruhen. Wir tun nicht so, als wären wir zusammen und tun auch nicht so, als hätten wir uns getrennt. Wir lassen alles, wie es wirklich ist, stellen nichts richtig und ignorieren einfach alles. Bald wird sich das Gerücht zerstreuen und die Schüler wie auch Eltern und Lehrer werden Inuzukas offizielle Entschuldigung nicht mehr als Vertuschungsaktion sehen. Das tun sie nämlich, was man so hört."

"Also machen wir nichts?"

"Richtig. So interessant sind wir auch wieder nicht. Bald haben sie's alle vergessen."
 

Naruto hatte anfangs versucht, das Gespräch zu belauschen, dboch nachdem die beiden so leise getuschelt hatten, dass er nichts verstehen hatte können, war er zu Hinata gegangen, die neben Ino Däumchen drehte.

"Guten Morgen, Hinata-chan", grüßte er sie. Damit kassierte er den ersten bösen Blick von Ino. "Es wäre an der Zeit, etwas zu klären, nicht wahr?"

Hinata nickte leicht, aber Ino fuhr ihr über den Mund, ehe sie ansetzen konnte. "Was willst du hier, Verräter? Geh zu unserem Traumpaar und halte dich endlich fern von uns. Und richte Sakura meine Glückwünsche aus, dass sie mir und Hinata die Kerle weggenommen hat."

"Ino, das ist nicht fair", unterbrach Hinata sie. "Sakura hat das nicht mit Absicht getan. Wir sollten das Kriegsbeil langsam begraben. Willst du wirklich weiterhin auf stur schalten, nur damit du deiner besten Freundin nicht verzeihen musst, was sie nicht mal wirklich verbrochen hat?"

"Eine schöne beste Freundin hatte ich da, wenn sie mir nie von ihrer heimlichen Beziehung mit Shikamaru erzählt hat—drei Jahre lang! Und eine Verlobung!"

Nun mischte sich Naruto wieder ein. "Du glaubst, was unser Käseblatt schreibt? Das hat Karin eingefädelt. Hast du Kibas Entschuldigung nicht gelesen?"

"Th", war ihre einzige Antwort. Sie wandte provokant den Blick ab, riss den Kopf aber sofort wieder rum, als Hinata mit scharrendem Sessel aufstand. "Was soll das, Hinata?"

"Ich werde meine beste Freundin um Verzeihung bitten. Naruto-kun?"

"Ich geleite dich zu ihrem Platz", scherzte Naruto und streckte der mit einem Schlag bleich gewordenen Ino im Weggehen die Zunge raus. Vor Sakura angekommen, unterbrach er Sakuras und Shikamarus Konversation mit einem Räuspern. "Sakura-chan? Jemand will mit dir reden."

"Hinata?", erkannte Sakura irritiert. Davon hatte Naruto also gesprochen.

"Könnten wir kurz raus gehen? Wir haben gleich Japanisch mit Kakashi-sensei, also haben wir ein wenig Zeit, ehe der Unterricht beginnt. Ich möchte das nicht hier besprechen."

Sie führte Sakura vor die Tür, schloss sie hinter sich und noch ehe ihre Freundin etwas sagen konnte, brach es aus Sakura heraus: "Es tut mir so leid, Hinata! Du musst mir glauben, ich wollte das alles nicht! Nichts davon war böse gemeint oder mutwillig dazu verwendet, dir zu schaden!"

"Das weiß ich", meinte Hinata. "Es hat sich einfach hochgeschaukelt. Ich war dir nicht einmal am Anfang böse, sondern nur wütend auf mich und mein Leben. Du hast es immer nur gut gemeint und ich habe das nicht erkannt. Ich wollte schon so lange mit dir reden, aber Ino—sie ist sehr verletzt. Du darfst ihr das nicht übel nehmen, immerhin weißt du, wie sie ist. Aber ich werde mit ihr reden und ihr erklären, dass sie sich zusammenreißen muss. Sie ist ohnehin mit Sai zusammen, da wird sie wohl schnell über Shikamaru hinwegkommen." Sie machte eine kurze Pause. Sakura waren inzwischen Freudentränen gekommen. "Naruto-kun hat mich gefragt, ob ich mit ihm ausgehe."

"Das ist toll! Was hast du geantwortet?" Sakura dämmte ihre Euphorie schnell. "Darum haben wir uns ja zerstritten; weil das mit dir und ihm nicht funktionieren würde."

Hinata schüttelte den Kopf. "Naruto-kun und ich haben das geklärt. Er hat mir Mut gemacht, an mich zu glauben, denn er glaubt ebenfalls an mich. Genau wie du, nicht wahr?"

"Natürlich glaube ich an dich!" Sakura konnte sich nun nicht mehr beherrschen. Sie fiel Hinata schluchzend um den Hals. Tränen der Erleichterung drangen aus ihren Augenwinkeln. "Ich bin so froh, so unendlich froh, dass ich dich wiederhabe!"

"Ich auch", lachte Hinata. Auch sie weinte. "Und Ino wird sich nicht mehr lange wehren können. Sie vermisst dich und Temari, auch wenn sie es nicht zugeben will. Wieder Freunde?"

"Beste Freunde!"
 

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Karin beobachtete mit Bangen die neuen Entwicklungen. Das verlief gar nicht so, wie sie es wollte. Beim Mittagessen kam Sakura mit all ihren Freunden. Mit wirklich allen. Naruto, Shikamaru, Hinata, Gaara, Temari, Sayuri, Tenten, Neji und sogar Ino, wenngleich diese bloß gute Miene zum bösen Spiel machte. Da saßen sie fröhlich vereint und mussten sogar zwei Tische zusammenschieben, um alle Platz zu haben.

"Das ist sowas von zum Kotzen!", fluchte sie grimmig.

"Könntest du sie endlich in Ruhe lassen, Karin? Das geht mir auf die Nerven", wies Sasuke sie tonlos an. Er warf einen Blick auf die Runde. Sie hatten eindeutig Zuwachs bekommen, was ihn nicht neidisch machte. Sogar dieser Sai aus seiner Fußballmannschaft war dabei. Scheinbar war er nun mit Ino zusammen. Der Ärmste. "Lass sie glücklich sein, wenn sie möchten. Warum interessiert dich das?"

"Sasuke, ich tue das für uns. Haruno hat mehr drauf, als du denkst, so ungern ich das zugebe. Sie plant etwas."

"Karin. Es reicht." Seine Worte zeigten Wirkung; zumindest dachte er das. Bis nach den Winterferien sagte sie nichts mehr in die Richtung, sondern konzentrierte sich bloß noch darauf, ihm eine perfekte Freundin zu sein.
 

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"Ich sitze nur hier, weil ich keine Lust habe, alleine zu sitzen, nachdem du Hinata wieder auf deine Seite gezogen hast, klar? Nicht, dass ich dir Shikamaru nachtragen würde, immerhin habe ich jetzt Sai, aber ich finde es einfach unverzeihlich, dass du mir nichts von deiner Verlobung erzählt hast!" Das waren Inos erste Worte, als sie wieder in der üblichen Frühstücksrunde saß.

Sakura schlug sich die Hand gegen die Stirn. "Ino, wie oft denn noch? Wir sind nicht verlobt und waren es nie." Sie wollte ihr bereits die ganze Wahrheit sagen, aber etwas hielt sie zurück. Inos Ausbruch wollte sie nicht mitten in der Mensa während dem Mittagessen erleben—falls sie ihr überhaupt glauben würde. Sie würde es im Sand verlaufen lassen, so wie auch jedem anderen gegenüber. Ino war vielleicht gar nicht mehr in Shikamaru verliebt; wie es um seine Gefühle stand, wusste Sakura auch nicht. Der Stress um ihre Beziehung hatte sie so sehr in Anspruch genommen, dass sie ihre beiden üblichen Ziele schlichtweg vergessen hatten.

"Weißt du, Sakura, ich bin nur hier, weil Hinata mich darum gebeten hat. Ich bin immer noch sauer auf dich."

"Schon klar", meinte Sakura nur leichthin. Der gröbste Ärger war erst einmal gebannt. Nun konnte sie wenigstens mit ungetrübter Sorge der verfluchten Gala entgegen zittern, bei der sich herausstellen würde, wie lange sie noch mit Shikamaru in einer Beziehung stecken musste. Hoffentlich verplapperte sich keiner der Eingeweihten, die inzwischen eine beachtliche Zahl maßen.

"Mal ein kleiner Themenwechsel", warf Temari dazwischen. "Du solltest Karins Tat bei Tsunade-sama melden, Sakura. Was sie getan hat, nennt man Verleumdung. Das ist strafbar, wenn es Konsequenzen für dich hat." Sie wandte sich an Shikamaru. "Man kann sie doch verklagen, oder?"

"Nicht wirklich", schränkte er ein. "Soweit ich weiß, ist es keine Verleumdung, sondern eine Lüge und lügen ist nur strafbar, wenn es wirtschaftliche oder soziale Konsequenzen hat. Würde dein Vater also den Investor nachgewiesenermaßen deswegen verlieren, könntest du rechtliche Schritte einleiten. Aber sowas zu beweisen ist schwierig und der Investor wäre trotzdem weg. Schlimmer noch, es wäre ein öffentlicher Prozess gegen ein Mitglied der Kaiserfamilie und das würde Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Selbst wenn du gewinnen würdest, würdest du bei vielen Menschen untendurch sein."

"Die kommt also damit durch?", empörte sich Temari. "Das ist nicht fair!"

"In solchen Belangen genießen Verwandte der Regierung ein bestimmtes Maß an Immunität und in vielen Fällen komplette Unanfechtbarkeit. Ich müsste meine Eltern fragen, ob es eine reelle Chance gäbe, was gegen sie zu tun, aber vermutlich nicht. Außerdem würden sie dann misstrauisch werden." Er drehte sich nun Sakura zu, die Ino zuliebe darauf geachtet hatte, ihm gegenüber zwischen Naruto und Sayuri zu sitzen. "Du könntest jedoch die Sache hier in der Schule publik machen."

"Nein, lieber nicht", wehrte Sakura ab. "Ich will nicht noch mehr Aufmerksamkeit."

"Ist das dein Ernst?", rief Temari. "Mit diese Schlampe hattest du schon seit der Ersten nichts als Probleme! Wir wissen alle, dass sie nur mit Sasuke zusammen ist, weil sie dir eins auswischen wollte. Jetzt hast du die Gelegenheit, ihr alles heimzuzahlen und du verzichtest darauf?"

Sakura nickte ungerührt. "Sasuke ist mir egal. Selbst wenn sie ihn nur benutzt, ist es seine Sache. Wer weiß, vielleicht ist sie wirklich verliebt. Sie sieht jedenfalls fröhlich aus in seiner Nähe. Eine richtige Beziehung führen sie sowieso nicht. Habt ihr sie jemals händchenhalten oder flirten gesehen? Sollte es wirklich nur eines ihrer Spiele sein, lassen wir ihr die Freude."

Die Zustimmung kam von allen Ecken. Wie wahr, es tat keinem weh. Sollten sie zusammen sein, es störte keinen. Wenigstens war Karin beschäftigt und Sasuke ebenfalls. Mit Naruto redete er ja ohnehin nicht mehr, selbst nicht beim Fußballtraining.
 

Karin brachte ihre Zeit tatsächlich damit zu, Sasuke eine bessere Freundin zu sein. Wieso? Das wusste sie nicht richtig. Sie wollte es einfach und das war das Abstruse daran. Ihre unterkühlte, berechnende Art war genau von jenem Charme, der Sasuke angenehm war. Sie war seit dem Beginn ihrer Beziehung distanziert gewesen, wenngleich sie sich unterhalten und geküsst hatten. Nun hatte sie die Hemmschwelle überwunden. Das Wohltuende dabei war für Sasuke, dass sie nicht ganz aus ihrer Haut konnte—nicht zu aufdringlich, aber doch irgendwie immer da. Er konnte seine Ruhe haben, aber er konnte auch ihre Anwesenheit genießen. Das war seine Vorstellung von einer funktionierenden Beziehung. Er verabscheute ihre Gesellschaft nicht. Herzklopfen und Erröten beim Anblick des andern waren Kinderkram in seinen Augen. In Karins scheinbar auch.

Es lief irgendwie alles gut—für jeden von ihnen. Selbst bei Sakura und ihren Freunden war wieder alles im Lot. Die Gerüchte um sie und Shikamaru interessierten bald keinen mehr und den Rest der Woche konnte Sasuke beobachten, wie sie wieder enger zusammenwuchsen. Karin schien das nichts auszumachen. Sie gab ihm zumindest keinen Grund, das anders zu sehen. Mit ihrer Rolle als perfekte Freundin, verblassten auch bald seine Gedanken an Sakura. Sie war glücklich, er war glücklich, alle waren glücklich. Warum also über Dinge sinnieren, die weit zurücklagen?.
 

Ja, wirklich, alles schien ein perfektes Ende genommen zu haben. Zu perfekt. Das Schuljahr war noch lange nicht zu Ende.
 

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Trysts And Confessions


 

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Freitag war der Tag der Wahrheit. Der Tag, an dem sich alles entscheiden würde. Hinata konnte dem Unterricht kaum folgen. Englisch, Geographie und Japanisch war ein bloßer Kampf gegen ihre Blutzirkulation, die noch nie so verrückt gespielt hatte. Sie hatte diese Stunden zusammen mit Naruto und da sie nun wieder mit Sakura sprach, saß sie auch wieder in ihren Kreisen, zu denen Naruto als omnipräsenter, leuchtender Punkt gehörte. Er und Shikamaru hatten den beiden Mädchen wieder die Plätze neben Sakura überlassen und sich dafür in die hintere Reihe verzogen. Wann immer Hinata einen schüchternen Blick nach hinten warf—was sehr oft der Fall war während dieser drei Stunden—bemerkte Naruto es und zwinkerte ihr aufmunternd zu oder reckte den Daumen in die Höhe. Dabei spürte sie jedes Mal, wie ihr heißer wurde und das Blut in ihre Wangen schoss.

"Du musst etwas dagegen tun", bat sie Sakura nach Unterrichtsende. Sie waren zusammen auf die Toilette geflüchtet, um Hinata weitere Peinlichkeiten zu ersparen.

"Was genau denn? Wenn ich deinen Blutfluss stoppe, hast du weit größere Sorgen als gerötete Wangen. Du hast es für heute überstanden. Kopf hoch!"

"Er denkt sicherlich, ich wäre ein naiver Freak!"

"Tut er nicht", schwor Sakura ihr. "Naruto fallen solche Dinge nicht auf. Er war schon immer etwas…anders. Und selbst wenn, ist es ihm egal. Er kennt dich nicht anders."

Hinata ließ sich davon nur wenig beruhigen. "Wenn wir freitags wenigstens Modulunterricht hätten, dann würde ich mich ablenken können. Was soll ich bis sieben Uhr bloß machen?"

"Sei lieber froh, dass wir endlich einmal keinen Unterricht haben. Ich mache dir einen Vorschlag: wir lassen das Mittagessen ausfallen, treffen uns in deinem Zimmer und machen dich hübsch für dein Date. Du siehst ohnehin nicht aus, als könntest du etwas essen. Temari, Ino und ich bestellen uns einfach eine Ladung Sushi."

"Ist das denn okay, wenn du mit Ino in einem Raum bist?"

Sakura machte eine wegwerfende Geste. "Du siehst doch, dass sie nur mehr geringfügig sauer ist. Die Sache mit Sai scheint ihr Ablenkung genug zu sein und langsam glaubt sie auch, dass Shikamaru und ich nichts miteinander haben."

Hinata lachte leise. "Und das alles in nur wenigen Tagen. Am Montag waren wir noch Feindinnen. Es ist schön zu sehen, dass unsere Freundschaft wirklich nichts erschüttern kann. Sogar Tenten ist wieder mit von der Partie."

"Oh, die hab' ich ja ganz vergessen!", rief Sakura. "Ich sage Temari, dass sie sie mitnehmen soll. Sayuri auch."

"Dass Ino und ihr euch wieder so gut versteht, grenzt an ein Wunder."

"Gar nicht wahr", wehrte Sakura lächelnd ab. Sie richtete sich ihre Haare, während sie in liebevollem Ton weitersprach. "Ino und ich sind ein typisches Hollywoodliebespaar. Wir können nicht mit, aber auch nicht ohne einander. Unsere Freundschaft ist nicht so wie die zwischen dir, Temari und mir. Wir waren schon immer Konkurrentinnen und das hat sich nie wirklich geändert. Solange wir konkurrieren, sind wir auch befreundet."

"Das verstehe ich nicht ganz", gestand Hinata.

"Du bist ja auch die perfekte beste Freundin. Wir beide haben noch nie gestritten. Bei Ino und mir kracht es andauernd. Aber ebenso schnell wie wir uns verkrachen, vertragen wir uns auch wieder. Sie wird noch ein paar Spitzen gegen mich haben, dann ist das vom Tisch. Mach dir keine Sorgen. Sturköpfe wie wir weigern sich, eine so enge Freundschaft einfach aufzugeben."

"Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, dass wir jemals zerstritten waren."

"Das ist der Vorteil an einer Freundschaft wie unserer", meinte Sakura zwinkernd. "Was wir haben, erlischt nicht einfach bei einem kleinen Problem."
 

Exakt zwanzig Minuten später, sah Inos Zimmer aus wie ein Schlachtfeld. Wenn vier Mädchen auf fünfundzwanzig Quadratmetern zu Werke gingen, konnte keine Ordnung bleiben. Diese hatte ohnehin nur auf Sakuras ehemaliger Seite ihr sauberes Antlitz gezeigt. Hinata es ebenfalls nicht geschafft, die blonde Chaotin zum Aufräumen zu bewegen.

"Warum fangt ihr jetzt schon an?", erkundigte sich Hinata. "Es ist gerade einmal halb eins und Naruto-kun holt mich erst um halb sieben ab!"

"Ruhe und still sein", forderte Ino. Sie war ganz in ihrem Element, darum ließen die anderen ihr den Spaß. Vor allem Sakura hatte sich dafür eingesetzt, Ino die Rolle der Anführerin zu überlassen. Das zeigte durchaus Wirkung. Inos Schärfe ihr gegenüber hatte deutlich nachgelassen. Sakura hatte letzten Endes doch Recht behalten: sie und Ino konnten sich einfach nicht endgültig verkrachen.

"Könnte mir bitte jemand endlich eine Antwort geben?", forderte Hinata erneut. Sie beobachte skeptisch das rege Treiben um sie herum.

"Weil", begann Ino ungeduldig, "wir erst alles vorbereiten müssen und das dauert. Wir können von Glück reden, wenn wir um halb sieben fertig sind! Das wird ein hartes Stück Arbeit!"

"Vielen Dank auch! Bin ich denn so hässlich?" Hinata begann schon zu zweifeln, ob die Verabredung eine gute Idee gewesen war.

"Du bist wunderschön", half Sakura aus. "Ino meint damit, dass wir dich einfach umwerfend machen wollen. Sie übertreibt gerne, wie du weißt. Bis sieben schaffen wir das locker. Lass unsere Miss Theatralisch einfach machen."

"Sakura hat Recht", mischte Ino sich ein. Ihr fehlten nur mehr Klemmbrett und Headset zur vollkommenen Kosttmbildnerin. Sie sah umwerfend professionell aus. "Wir brauchen einen Schlachtplan. Temari kümmert sich um das Make-Up, Sayuri um Hände und Nägel, Sakura nimmt sich der Haare an, Tenten passt auf das Gesamtbild auf und ich mache das Wichtigste. Das Outfit."

"Ino", piepste Hinata zwischen ihre Euphorie. "Ich kann meine Kleidung selbst aussuchen. Ich weiß schon, was ich anziehen will."

"Papperlapapp! Mädchen, an dir Arbeit!" Sie riss enthusiastisch den Arm hoch. "Das wird super!"

Und das wurde es. Temari legte Hinata dezentes Make-Up auf, Sakura zauberte eine perfekte Frisur, Sayuri feilte und lackierte die Nägel und Ino fand das—ihrer Meinung nach—passende Outfit, das an Hinata allerdings sehr komisch aussah.

"Es passt nicht", stellte Sakura trocken fest. "Hinata hat einen zu kleinen Busen dafür. Und zu schmale Hüften. Sie ist zu zierlich."

"An mir sieht es gut aus", kommentierte Ino ihre Kreation.

"Weil du auch weiblicher bist als wir alle zusammen. Schau nur." Sakura zupfte an den Sachen herum. "Der Rock steht da unten weg, die Bluse ist zu groß und die Schuhe—woher hast du die schon wieder? Die kenn ich gar nicht!"

"Frustshoppen", murmelte Ino halblaut. "Dann nehmen wir eben, was Hinatas Schrank hergibt. Sogar meine Mutter hat einen jugendlicheren Modegeschmack als sie."

"Das ist klassische Eleganz", empörte sich die Beleidigte. "Ich wusste von Anfang an, was ich tragen will. Das und das mit diesen Schuhen und dieser Kette."

"Du willst echt eine Hose bei einem Date tragen?", fragte Ino skeptisch.

"Selbstverständlich! Es ist Mitte November und eiskalt! Ich habe keine Lust auf eine Erkältung, nur weil du mich zwingst, in einen Rock zu schlüpfen, der nur ein wenig breiter ist als meine Gürtel!" Sie wollte sich gerade den Zippverschluss aufziehen, da klopfte es an der Türe. "Oje, das ist Naruto-kun! Haben wir so lange gebraucht?" Sie warf einen Blick auf die Uhr.

"Nein, das ist wahrscheinlich Sai. Ich wollte, dass er nach dem Fußballtraining vorbeikommt." Ino behielt Recht. Sie bat den Hahn im Korb herein, drückte ihm einen Kuss auf und verschwand tänzelnd im Bad.

"Habt ihr etwa eine Verabredung?", fragte Temari den Neuankömmling. Er nickte nur. "Und dann lässt sie dich mit vier Mädchen davor alleine? Du tust mir echt leid."

"Das ist schon okay", versetzte Sai gütig lächelnd. "Ich komm gut mit Mädchen aus. Ihr seid mir lieber als Typen wie Uchiha. Ich rede normalerweise nicht schlecht über andere, aber der… ich hatte gerade Training mit ihm. Mann, der geht einem vielleicht auf den Senkel."

"Wieso das denn?" Temari präzisierte ihre Frage vorsichtshalber: "Dass er nervt, ist klar, aber gibt's einen bestimmten Grund für dich?"

Sai verdrehte seufzend die Augen. "Er spielt hinten in der Verteidigung, da alle anderen Positionen bereits vergeben sind. Uchiha ist gut, keine Frage, aber er hat seit Jahren nicht mehr gespielt. Seine Technik ist super, dafür lässt sein Teamgeist und allem voran seine Kondition zu wünschen übrig. Dauernd belästigt er Gai-sensei damit, dass er als Stürmer spielen will. Heute hat er ein riesen Theater abgezogen, nur weil Gai-sensei ihm mal wieder erklärt hat, dass er nicht genügend Ausdauer hat für diese Position und auch noch nicht so gut ist. Außerdem spielen Naruto und ich im Sturm. Wir haben uns mühsam hochgearbeitet und trainieren jede Woche drei Mal. Uchiha kommt nicht mal immer zu den wöchentlichen regulären Trainingseinheiten."

"Das ist Sasuke wie wir ihn kennen", meinte Sakura grinsend. "Wird er bei der Schulmeisterschaft im März dabei sein?"

"Wenn er sich aufstellen lässt, sicherlich", erklärte Sai düster. "Nach dem Stammspielerwechsel vor zwei Jahren sind inzwischen sechs der elf in der Abschlussklasse. Weder Naruto, noch Hisoka, Iwao, Daiki und ich werden unseren Anspruch auf den Stammspielerrang geltend machen. Einige Spiele werden sehr eng bei den Abschlussprüfungen Anfang April sein, darum können wir es uns nicht leisten, Zeit mit Training zuzubringen. Fünf Plätze sind in der Mannschaft also frei. Wenn Uchiha-sama so intelligent ist, wie er immer tut, wird er kaum lernen müssen."

"Würde zu ihm passen, diesem eingebildeten Pfau", maulte Temari. "Ich hasse den Kerl. Hoffentlich spielt er mit, bricht sich ein Bein und versaut die Abschlussprüfung."

"Ganz ruhig, Temari", beruhigte Sakura sie. "Lass uns lieber nicht zu schlecht von Leuten reden, sonst kommt dein Wunsch noch auf jemanden von uns zurück." Sie seufzte und besah stattdessen Hinata, die sich ihre Ketten argwöhnisch begutachtete. Sie sah so schön aus mit der einfachen Hochsteckfrisur, die ihren Nacken sinnlich betonte wie den einer vollendeten Geisha.
 

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Endlich war es soweit; es klopfte. Diesmal schubsten ihre Freundinnen Hinata selbst zur Tür. Hinter ihr grinste Naruto in legerem Hemd und Jeans.

"Bist du fertig?"

Hinata nickte, ergriff seinen Arm und ließ sich zum Taxi bringen, das zweifelsohne Sakura oder eine andere ihrer Freundinnen bezahlt hatte. Naruto ließ sich nichts anmerken, hielt ihr zuvorkommen die Autotür und nannte dem Fahrer eine Adresse am Stadtrand. Sie gehörte einem charmanten Café, das mit seinem Holzfußboden und den cremefarbenen Sesseln einen Charme versprühte, der kaum seinem Geschmack entsprungen sein konnte. Hatte sich also wieder jemand eingemischt? Ganz sicher sogar.

"Ist etwas, Hinata-chan?", erkundigte Naruto sich von der Getränkekarte aufsehend.

"N-Nein, alles in Ordnung." Sie senkte den Blick hinab auf die Buchstaben vor ihr. Was sollte sie bloß nehmen? Ihr Kopf war wie leergefegt. Tee? Kaffee? Ein Wasser? Wenn sie Kaffee nehmen würde, könnte das Narutos Geldbörse belasten, aber ein Wasser wäre schnell getrunken und das könnte er missverstehen.

"Geht es dir wirklich gut?", wiederholte Naruto. "Du siehst so blass aus. Kippst du gleich um?"

Obwohl sie sich genau danach fühlte, schüttelte sie entschlossen den Kopf. Keine Schwäche zeigen! Zum Glück kam die Kellnerin und Naruto bestellte in seiner vollsten Geistesgegenwart für beide zwei alkoholfreie Cocktails. Damit war Hinata gerettet. Vorerst. Sie beruhigte sich, sprach sich in Gedanken gut zu und bemerkte dabei nicht, dass Naruto seine Frage bereits zum vierten Mal wiederholt hatte.

"War meine Wahl so schlimm, dass du mich nicht mal einer Antwort würdigst? Echt jetzt, Hinata-chan, bist du wirklich nicht krank?"

"Mmm, mir geht es gut", wiederholte sie.

"Wir können das hier auch verschieben, wenn du dich schlecht fühlst. Das ist kein Drama, ehrlich."

"Nein!"

"Okay, okay." Er hob abwehrend die Hände. Die Verneinung war das erste halbwegs laute Wort, das sie soweit gesagt hatte.

Die Cocktails, die zehn Minuten später kamen, wurden in peinlichem Schweigen getrunken, ebenso die zweite Runde, die sie bestellten. Naruto amüsierte sich still über Hinatas Schüchternheit; es war genau der Grund, warum er sie so süß fand, aber irgendwie süß ging einem zwangsläufig irgedwann auf die Nerven. Zwanzig Minuten lang still dazusitzen gehörte nicht gerade zu seinen Lieblingsbeschäftigungen an einem Freitagabend.

"So wird das nichts", stellte er nach einer halben Stunde fest. "Sei einfach locker. Du brauchst nicht verkrampft dazusitzen, als wären Nadeln auf deinem Sessel. Wir konnten doch bisher immer gut miteinander reden, selbst beim Nachsitzen. Das hier ist nichts anderes, nicht wahr? Warum sollte sich unser Verhältnis also plötzlich ändern?"

Hinata musste schwer schlucken. Ein Kloß steckte fest in ihrem Hals, doch sie bezwang ihn mit viel Mühe. "Davon hängt alles ab."

"Was meinst du damit?"

"Wir waren bisher immer nur als Freunde zusammen, aber nie als werdendes Paar", flüsterte sie mit Blick auf den Tisch. Sie wagte nicht, ihn anzusehen. "Wie es hier läuft zeigt uns auf, ob wir eine Zukunft haben, oder ob alles nur ein dummer Wunschtraum in meinen Gedanken war. Das ist das, wovor ich mich so lange gefürchtet habe. Dass ich aufwache und wir eigentlich gar nicht zusammenpassen."

"Aha", machte Naruto bloß. "Dann sollten wir jetzt gehen."

Hinata konnte gerade noch verhindern, dass ihr Tränen in die Augen stiegen, so enttäuscht war sie von sich. Nichts war nach Plan verlaufen. Ehe sie sich versah, saß sie neben Naruto im Taxi und brachte die letzten Minuten ihres Dates damit zu, sich im Stillen zu schelten, mahnen und zu hassen. Sie hatte ihre Chance vertan. Das ganze Theater mit Sakura hätte sie sich sparen können. Alles wäre weitergegangen wie gehabt, denn im Endeffekt war es doch egal, ob sie nun die Realität hatte oder nicht; weiterträumen würde sie, wenn auch ohne Hoffnung, dass Wünsche wahr werden können.

Wenigstens schien es Naruto nichts auszumachen, dass sie ihm einen Abend seines Lebens gestohlen hatte. Er saß grinsend neben ihr, lächelte in sich hinein und schien sich köstlich über etwas zu amüsieren, das sie nicht verstand. Beim Aussteigen hielt er ihr sogar erneut die Türe auf und brachte sie anschließend bis vor ihr Zimmer. Es war noch nicht mal neun, als sie zum Abschied wandte.

"Warte, Hinata-chan", hielt er sie milde lächelnd zurück.

"Es tut mir leid, Naruto-kun." Sie deutete eine leichte Verbeugung an. "Es war langweilig und unlustig, aber so bin ich nun einmal: schüchtern, leise, wortkarg und absolut unamüsant. Der Abend war schlimm, darum verzeih mir. Ich hoffe, wir können trotzdem noch Freunde bleiben."

Naruto rang das ein belustigtes Lachen ab. "Ja, schlimm war er wirklich. Das Date war mies. Das mieseste, das ich jemals hatte. Nicht, dass ich schon einmal mit einem Mädchen ausgegangen wäre, aber dieses würde durch jede Abschlussprüfung für Dates fallen." Sie sah betroffen zu Boden. "Das tut trotz alledem nichts zur Sache. Und zwar zu der Sache, dass ich dich mag, Hinata-chan. Ich mag dich sogar sehr. Du meinst, dieser Abend würde über unsere Chancen entscheiden, aber ich sehe das nicht so. Wir kennen uns schon ziemlich lange. Ich weiß, wie du wirklich bist und darum hält mich dieser Reinfall nicht davon ab, dich mehr zu mögen als jemals zuvor."

Es war keine Schamesröte, die ihr in die Wangen schoss, sondern eine angenehme Nebenwirkung ihres pochenden Herzens. Das erste Mal wagte sie es, ihm richtig in die Augen zu schauen.

Naruto genoss den Anblick ihrer hellen Iriden eine Weile, bis er sich zu ihr hinunterbeugte, sie flüchtig auf den Mund küsste und ihr damit beinahe einen Herzinfarkt bescherte.

"Bis dann, Hinatachan!"
 

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"Hat er nicht!"

Hinata hatte solche Neuigkeiten nicht lange vor ihren Freundinnen geheim halten können. Schon früh am nächsten Morgen waren sie in ihr Zimmer gestürmt und hatten sie ausgefragt, wie es gelaufen war. Hinata hatte es mit einem seligen Lächeln bis ins kleinste Detail erzählt, während sie Aruko, ihre Maus, gefüttert hatte.

"Ich glaub's ja nicht!", rief Sakura freudig. "Oh, Hinata! Ich wusste, dass ihr füreinander bestimmt seid. Seid ihr denn jetzt offiziell zusammen? Wirst du ihn in den Winterferien zu dir einladen, um ihn deinem Vater vorzustellen?"

"Bist du verrückt? Nein! Gar nichts ist offiziell. Das heißt, wir haben noch nicht darüber geredet. Ich denke nicht, dass eine so große Aufhebung wie bei Shikamaru und dir verursachen wird." Sie hielt sofort die Luft an und sah zu Ino, die allerdings wenig berührt davon schien. "Tut mir leid."

"Sakura kann zusammen sein, mit wem sie will, das haben wir doch schon geklärt", meinte diese schulterzuckend.

"Wir sind nicht zusammen, Ino, das haben wir doch schon geklärt. Wir haben nur Spaß gemacht und dann haben es plötzlich alle geglaubt." Den Teil mit der eigentlichen Absicht, Ino eifersüchtig zu machen, ließ Sakura vorsichtshalber weg. Ino würde ihren alten Schwarm damit bloß aufziehen, also hätte es keinen Sinn. Sakura wollte die alten Themen nicht noch einmal aufwärmen.

"Also macht ihr es nicht publik?", lenkte Temari vorausschauend von diesem heiklen Thema ab. "Naruto und du, ihr würdet doch schon für recht viel Aufregung sorgen."

"Wir müssen es erst besprechen. Ich weiß nicht, ob es gut wäre, wenn wir es überstürzen. Vielleicht wird das ja auch gar nichts."

"Natürlich nicht", meinten ihre Freundinnen synchron sarkastisch. Sakura fuhr fort: "Er hat dich sicherlich nur so geküsst, weil er das ja mit jeder so macht. Er will mit dir zusammen sein, glaub es mir einfach. Er ist nicht der einzige, dem die Hormone grade zu Kopf steigen."

"Wem denn noch?", fragte Hinata. Sakura ließ ein missmutiges Stöhnen hören, woraufhin Hinata sich die Frage selbst beantwortete. "Gaara und Sayuri-chan."

"Leider ja. Der macht mich echt fertig. Erst macht er Schluss mit ihr, dann beachtet er sie nicht und jetzt ist er so freundlich zu ihr, dass man ihn am liebsten durch den Fleischwolf drehen könnte—" Sakura zuckte abwehrend die Schultern. "—was? Ich zumindest würde es gerne! Er ist mir ein Rätsel. Sayuri ist gerade erst über ihn hinweggekommen. Es war ein harter Weg bis dahin; ich will nicht, dass sie das wieder durchmachen muss."

"Das hat einen Grund", bemerkte Temari schuldbewusst. Sie sah Sakura entschuldigend an.

"Du weißt etwas über Gaaras seltsames Verhalten? Raus mit der Sprache! Warum sagst du das erst jetzt?" Sakura schüttelte sie aufgebracht. "Hat es etwas damit zu tun, dass er sich in letzter Zeit über unsere Finanzen erkundigt hat?"

"Nein, nein, gar nicht. Es ist was anderes. Aber es wird dir nicht wirklich gefallen. Du musst mir versprechen, dass du nicht sauer auf mich oder Gaara wirst. Versprich es, Sakura!" Diese tat, wie ihr geheißen, wenn auch nur widerwillig. Temari sammelte sich einen Moment, dann begann sie zögerlich zu erklären. "Der Grund, wieso mein Bruder damals mit deiner Schwester zusammen war, ist der, dass unser Onkel plante, sich als Hauptaktionär in euer Krankenhaus einzukaufen."

"Hä? Was hat denn das damit zu tun?"

Temari biss sich auf die Lippe. "Ich wusste ja selbst nichts davon, bis ich vor einigen Tagen durch Zufall mit Gaara auf dieses Thema kam. Er meinte, unser Onkel wollte damals in das Aktiengeschäft eurer Klinik einsteigen, da der Kurs ziemlich hoch war. Gaara hatte damals schon ein Auge auf Sayuri geworfen—Gott weiß wieso und seit wann er kein Herz aus Stein mehr hat—und bot unserem Onkel darum an, sich auch auf einer sozialen Ebene wieder anzunähern. In den Jahren davor war der Kontakt zwischen unseren Familien ja durch die Wirtschaftskrise sehr minimalistisch. Vermutlich schlug Gaara es ihm vor, weil er sonst keine Entschuldigung dafür gehabt hätte, jemanden auf diese Art zu mögen. Keine Ahnung, was er sich damals einbildete. Jedenfalls zwang ihn unser Onkel, schlusszumachen, nachdem eure finanzielle Notlage bekannt geworden ist. Aber zu dem Zeitpunkt war Gaara schon total in sie verknallt und konnte sie nicht ansehen, ohne halb in Tränen auszubrechen—okay, der letzte Teil mit den Tränen ist erfunden. Aber sonst stimmt alles. Er hat es mir vor zwei Tagen gebeichtet."

"Und das sagst du mir erst jetzt?", fauchte Sakura. "Das ist doch einfach unglaublich! Und viel zu einfach! Es klingt wie in einem schlechten Roman, das kann ich einfach nicht glauben. Soll das bedeuten, die beiden werden wieder zusammenkommen? Ohne Drama, ohne Tränen, ohne sonst etwas?"

"Nennst du das, was davor passiert ist, etwa nicht Drama? Ich gönne es den beiden jedenfalls", sagte Temari. "Du wirst sehen, auf der Gala Mitte Dezember sitzen sie nebeneinander und zu Silvester werden sie wieder ein Paar sein. So einfach ist das. Vielleicht haben wir diesmal ja wirklich einen Liebesroman im wirklichen Leben. Drama hatten wir in den letzten Wochen genug."

Die Vorstellung über eine banale Lösung eines solchen Problems entlockte allen ein betroffenes Lächeln, sowie den Gedanken, dass sie alles heil überstanden hatten. Wie selbstverständlich hatte sich alles aufgelös.

"Da wir das geklärt haben, entschuldigt mich bitte", unterbrach Sakura die selige Stimmung. "Ich muss noch etwas in der Bibliothek erledigen."

"Lernst du etwa schon wieder? Wir haben doch erst im Jänner die nächsten Prüfungen!"

"Sowas ähnliches wie lernen, ja." Die anderen sahen sich fragend an.

"Denkt ihr, sie will Gaara verprügeln?", fragte Temari in die Runde.

Hinata verzog mitleidig den Mund. "Zuzutrauen wäre es ihr."
 

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Change And Cheer


 

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Sakura wollte Gaara natürlich nicht verprügeln. Sie hatte dafür ja auch gar keine Zeit. Dass er sich in ihre Schwester verliebt hatte—von ihr aus! Sie hatte Wichtigeres zu tun und zwar in der Bibliothek. In der war nämlich am Wochenende nie jemand, weswegen sie den idealen Ort für Besprechungen bildete. Shikamaru wartete bereits auf sie.

"Wir müssen uns noch überlegen, was wir wegen der Gala tun", sagte sie ohne Umschweife. Zur Tarnung hatte sie einige Bücher mitgenommen. "Hier glaubt keiner mehr, dass wir zusammen sind, aber unsere Eltern? Sie haben sich schon seit dem Abendessen nicht mehr gemeldet. Ich denke, wir müssen ihnen alles nüchtern beichten."

"Es wird deiner Mutter das Herz brechen", bemerkte Shikamaru trocken.

"Soll mir recht sein. Mein Vater bricht es ihr jeden Tag. Sie wird es schon verwinden können."

"Das hört sich nicht gut an. Willst du drüber reden?"

Sie zuckte die Schultern. "Wozu? Sayuri und ich sind selten Zuhause. Wenn wir da sind, ist alles Eitelsonnenschein. Kinder haben sich in Angelegenheiten ihrer Eltern nicht einzumischen. Meine Mutter würde es nicht dulden." Sakura legte traurig den Kopf in die Hände. "Das stimmt so nicht", gab sie schließlich zu. "Es ist, wie es ist."

"Du kannst dich bei mir ausweinen, wenn du möchtest." Shikamaru wirkte unbeholfen, überspielte sein sichtliches Unbehagen jedoch fachmännisch mit einer einladenden Geste.

"Weinen hilft nichts", versetzte Sakura. "Ich habe die beiden nie als Ehepaar angesehen. Mebuki ist meine Mutter und Kizashi mein Vater. Schon als ich klein war, verstanden sie sich nicht mehr allzu gut. Wenn sie sich scheiden lassen, ist es keine Überraschung. Wenn ich ehrlich bin, wäre es vielleicht sogar besser. Sie stehen sich gegenseitig nur im Weg. Aber eine Scheidung wäre ja ein Fauxpas …" Der zynische Unterton ließ Shikamaru schmunzeln.

"Vielleicht haben sie geheiratet, weil sie aus einem Scherz wie unserem nicht mehr herausgekommen sind?"

Sakura boxte ihm mahnend gegen die Schulter. "Mal doch nicht den Teufel an die Wand! Himmeleins."

"Bist du etwa abergläubisch?"

"Jedenfalls nicht leichtfertig. Lass uns einfach klarstellen, dass wir kein Paar sind, okay? Und am besten klärst du es ebenso mit Ino."

"Wieso?", fragte er rhetorisch. "Sie ist doch so glücklich mit Sai. Warum alte Gefühle wieder aufflammen lassen?"

"Du weißt genau, dass sie nur aus Trotz mit Sai zusammen ist." Sakura sah ihn eindringlich an, aber Shikamaru ließ sich nicht in seinem Standpunkt beirren. Er war verletzt, das sah sie durch seine genervte Fassade. Sie jedenfalls war nicht diejenige, die Amor spielen würde—nicht schon wieder. Bei Gaara und Sayuri hatte sie sich herausgehalten und auch bei Naruto und Hinata war erst ohne Zutun ein großer Schritt geschafft worden. Das würden sie unter sich ausmachen müssen.

"Gut", sagte sie schließlich. "Mich geht es nichts an. Wir haben schon genug angerichtet. Unser Plan hat nicht funktioniert; im Gegenteil: Ino ist mit Sai und Sasuke mit Karin zusammen."

"Glückpilze sind wir nicht gerade", sagte Shikamaru zynisch lächelnd. "Was soll's. Mit Ino wäre es sowieso anstrengend geworden. Weiß der Teufel, was mich da geritten hat."

"Nennt man Hormone. Aus dem Altgriechischen hormān, was 'Antreiben' bedeutet. Es ist der Sammelbegriff für biochemische Botenstoffe –"

"Schon okay", unterbrach er abwehrend. "Ino soll ruhig Sais Nervenseile kappen. Sie ist kindisch, unreif und uneinsichtig. Jemanden wie sie könnte ich nicht ertragen. Versprich mir einfach, dass du ihr nichts sagst."

"Ich wollte mich nicht einmischen", behauptete Sakura.

"Ich kenne deine wortklauberische Auslegung. Nicht einmischen bedeutet bei dir nicht, dass du nicht mit ihr sprichst. Halte dich einfach raus. Bitte."

"Ich verspreche es." Sakura hob andächtig die Hand. "Fingerschwur. Wenn ich lüge, werde ich eintausend Nadeln trinken und mir den kleinen Finger abschneide. Zufrieden?"

"Wenn wir im Kindergarten wären, vielleicht. Du könntest noch auf die japanische Flagge schwören—schon gut." Er stand auf. "Naruto, Gaara und ich wollen uns gleich draußen treffen und dann nach Miyazu fahren. Kommst du mit?"

"Lieber nicht. Ich bleibe noch ein wenig, um zu lernen." Sie hob zur Unterstreichung ein Buch hoch und wedelte damit vielsagend herum.

"Du bist schlimmer als unsere hässlichsten Streber", murmelte Shikamaru kopfschüttelnd und drehte ihr winkend den Rücken zu. "Mach nicht zu lange, sonst platzt dein Hirn."

"Wenn ich für den Spruch jedes Mal hundert Yen bekommen würde, wäre ich reich!"
 

Shikamaru war weg und Sakura widmete sich beinahe eine Stunde lang ihrer Lektüre aus der Biologieabteilung, welche sie inzwischen auswendig kannte. Sie hatte sich zwei Bücher über Aids geholt, die sie mit steigendem Interesse las. Hin und wieder drangen vergnügte Laute von der Wiese draußen durch das geöffnete Fenster, denn es war der erste Schnee gefallen und überall lieferten sich die unbeschwerten Schüler jenseits ihres Abschlusses erbitterte Schneeballschlachten mit den winzigen Flecken Schnee, die liegengeblieben waren.

Exakt zweiundfünfzig Minuten, nachdem sie das erste Buch angefangen hatte, stieß Sakura auf zwei merkwürdige Dinge. Erstens, eine sehr komplizierte Erklärung eines Testverfahrens, die sie anderswo nachschlagen würde müssen, und zweitens, ein Rumpeln und Stöhnen aus den hinteren Gängen, etwa auf Höhe der Sprachabteilung. Sakura konnte sich schon denken, was jemand dort tat, und sie wollte es ignorieren, doch als sie eindeutig Karins Stimme erkannte, die Sasukes Namen zischte, klappte sie genervt ihr Buch zu.

Nicht, dass es sie störte, wenn Sasuke Karin gleich hier in der Bibliothek gänzlich zu der Seinen machen würde, aber sie würde sein dummes Gesicht sicherlich genießen, wenn sie mitten reinplatzte. Sie wollte ja ohnehin etwas nachschlagen.

Vorfreudig grinsend stand sie auf und ging dem Gestöhne neugierig nach. Sie wartete einen Augenblick, bis sie sich in den Gang hinein traute, in dem sich Sasuke und Karin gerade einen zu höchst erotischen Kampf mit ihren Zungen lieferten. Seine Hände waren unter ihr Shirt gewandert und die ihren hatten sich tief in sein Haar vergraben. Irgendwie war Sakura einem Brechreiz nahe. Sie waren so vertieft in einander—wortwörtlich—dass sie gar nicht bemerkten, wie Sakura geschlafene dreißig Sekunden neben ihnen stand, den Blick auf die beiden gerichtet.

Mit in die Hüften gestemmten Händen räusperte sie sich schließlich. Einen besseren Effekt hätte sie sich gar nicht vorstellen können! Sasuke und Karin fuhren erschrocken auseinander. Sie hatten den Störenfried eindeutig für einen Lehrer gehalten. Ihre Augen waren geweitet und ihre Herzen hatten sicherlich gerade den Schock des Tages erlebt.

"Was willst du hier, Haruno?", fauchte Karin.

"Lesen." Sakura schob sie mit ihrem Arm zur Seite und griff sich irgendein Buch, das sie demonstrativ vor Karins Nase herum wedelte. "Siehst du? Ich bin schon wieder weg. Nur in eurem Interesse; erotische Handlungen jedweder Art sind auf dem gesamten Schulareal streng verboten."

Sie wandte ihnen den Rücken zu und begab sich selig grinsend wieder auf ihren Platz zurück. Hinter sich hörte sie die Turteltauben aufgeregt murmeln, dann verließen eilige Schritte die Bibliothek. Sakura interessierte es sehr wenig. Sie hatte ein Buch und ihre Ruhe.

Über diesen Zwischenfall innerlich noch immer amüsiert, ließ sie sich wieder an dem vorderen Lesetisch nieder, um sich ihrer Lektüre zu widmen. Plötzlich hörte sie Sesselrücken und jemanden, der sich ihr gegenübersetzte.

"Ich werde euch nicht verpfeifen, also verschwinde", sagte sie tonlos. Sie wusste, dass es Sasuke war, der vor ihr saß.

"Hat's Spaß gemacht?"

"Was meinst du?", fragte sie, ohne aufzusehen. "Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen und weiterhin Karins Mundhöhle erkunden? Übrigens, weißt du, wie viele Bakterien durchschnittlich darin befindlich sind? Ist echt widerlich, wenn man darüber nachdenkt."

"Karin muss zu einer Besprechung der Schülervertretung. Warum wolltest du ein Buch über—" Er beugte sich über den Tisch, um den Titel zu sehen. "—griechische Silbentrennung der Antike?"

"Geht’s dich was an? Vielleicht wollte etwas nachschlagen."

"Auf Altgriechisch?" Er runzelte die Stirn und lehnte sich wieder zurück. "Warum liest du über diese konfuse Sprache?"

Sakura sah genervt auf. "Damit Leute wie du mich danach fragen können. Wenn du also nicht zufällig Altgriechisch kannst, denn lass mich in Frieden."

Er hob demonstrativ den Zeigefinger. "Ta Kaisaros apodote Kaisari kai ta tou theou tō theō. Darf ich jetzt bleiben?"

Sakura sah ihn verdutzt an. "Hä?"

"Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist. Das habe ich vor geraumer Zeit irgendwo aufgeschnappt. Das und Staurōson auton—Ans Kreuz mit ihm."

"Jaaa", machte Sakura langgezogen, unschlüssig, ob sie beeindruckt sein oder sich verarscht vorkommen sollte. "Wie auch immer." Sie wandte sich ihrem Buch zu, doch Sasuke machte keinerlei Anstalten zu gehen. Er sah sie einige Minuten lang schweigend an, erst dann erhob er seine Stimme.

"Ich habe über das nachgedacht, was du gesagt hast."

Sakura sah sich gezwungen, erneut aufzusehen und gereizt zu seufzen. "Ich habe in meinem Leben schon viel gesagt. Vieles davon war mehr oder weniger sinnvoll, also könntest du dich präzisieren? Natürlich nur, wenn es dir keine Umstände macht." Der sarkastische Unterton in ihrer Stimme ließ in kalt.

"Dass du nicht mehr in mich verliebst bist. Das Zeug mit der Fassade und dem wahren Charakter. Weißt du, ich bin kein Arschloch."

"Wenn du meinst." Das Desinteresse war ein wenig gespielt. Woher der plötzliche Sinneswandel kam, wollte sie zwar wissen, aber sie wollte ihre Überlegenheit nicht zunichtemachen. "Gibt es sonst noch was, außer dieser Erkenntnis? Mit der solltest du dich nämlich eher an einen Verhaltenspsychologen wenden."

Sasuke schüttelte den Kopf. Er wollte bereits aufstehen, da fiel sein Blick auf das Buch neben ihr. "Aids? Kennst du jemanden, der das hat?"

"Nein. Warum?"

"Niemand liest ein Buch über Aids, wenn er nicht in irgendeiner Weise davon betroffen ist. Altgriechisch versteh ich ja noch, aber eine Krankheit?"

"Ist Lernstoff."

"Wir haben keine Prüfungen."

"Kam im Unterricht vor."

"Kann ich mir nicht vorstellen."

Sakura reichte es vollends. Das Glas, das erst halbvoll, dann halbleer und im letzten Drittel gänzlich leer gewesen war, war schlussendlich übergeschwappt. Dieser Mensch machte sie noch fertig! Nicht in ihn verliebt zu sein, war noch anstrengender, als es zu sein! Wer hätte das gedacht? Mit letzter Beherrschung unterdrückte sie den Impuls, ihm das Buch an den Kopf zu schleudern. "Warum interessiert dich das überhaupt?"

"Das nennt man doch Smalltalk, oder?"

"Das nennt man nerven. Seit wann machst du sowas? Du willst es doch in Wahrheit gar nicht wissen, also spar dir dein scheinheiliges Getue. Du hast Karin und Suigetsu als deine Freunde ausgewählt, damit bist du für uns andere gestorben. Wenn du deiner Spielgefährten überdrüssig wirst, sieh zu, wie du alleine zurechtkommst. Niemand von uns hat Lust, dich wieder aufzunehmen."

"Das war auch nicht meine Absicht. Wenn du mir wieder einen Vortrag halten willst, dass Karin mich manipuliert, spar dir das. Sie ist verliebt in mich."

"Bist du es auch in sie?" Sakura sah ihn durchdringend an. Er antwortete nicht, was ihr Antwort genug war. Ernster fuhr sie fort: "Das dachte ich mir. Sie ist dir egal. Du willst nur nicht wahrhaben, dass sie dich in etwas gedrängt hat, das du nicht willst. Dann wärst du nämlich schwach. Aber ein Uchiha darf nicht schwach sein. Richtig?"

"Das geht dich nichts an."

"Ha! Da ist ja wieder der unterkülte Eisklotz, dem alles egal ist, und der keinen an sich heran lässt. So gefällst du mir schon besser."

"Warum Aids?"

"Weil ich für die Aufnahmeprüfung lerne." Sakura biss sich ertappt auf die Lippen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Er hatte sie überrumpelt. All die Geheimhaltung umsonst! Von allen Menschen hatte sie sich vor gerade Uchiha Sasuke verplappern müssen.

Er sah sie verwirrt an—nun, so verwirrt die gelassene Fassade eines schwarzhaarigen Schönlings eben sein konnte. "Ich dachte, dass der Abschluss dieser Schule die Zugangsberechtigung für alle Studienrichtungen wäre?"

"In der Regel stimmt das auch. Nicht so bei Medizin."

"Du willst Medizin studieren?"

"Ja. Aber sag es keinem."

"Wieso?"

Sakura sah schuldbewusst auf den Tisch. Ihre Finger spielten unruhig mit dem Einband des Griechischbuches. Sie seufzte resignierend. Jetzt war es auch schon egal. "Weil—und warum ich dir das erzähle, weiß ich nicht—ich dann niemanden enttäuschen kann. Das Medizinstudium ist ein Klacks, wenn du erst einmal drin bist. Die Aufnahmeprüfung ist das wirklich Schwere. Zumindest, wenn du sie an der Teikyō machst. Zehntausend Bewerber für nicht einmal hundert Studienplätze. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich es schaffe, ist also sehr gering. Wenn keiner weiß, dass ich es machen will, wird am Ende keiner enttäuscht sein."

"Wann ist diese Aufnahmeprüfung?"

"Irgendwann Mitte Mai. Es wird sehr viel verlangt, darum geben sie uns sehr viel Zeit zum Lernen."

Sasuke verstand die Logik nicht recht, darum versuchte er, das Gespräch weiterzuführen, ohne aufdringlich zu wirken. Sakura hatte ihm ja bereits mehr als deutlich gemacht, dass sie seine Anwesenheit nicht schätzte. "Warum willst du Medizin studieren? Es ist ein anstrengender Job, der im Verhältnis nicht gut bezahlt wird."

"Den Unterton kannst du dir sparen. Hier geht es nicht um Geld und auch nicht darum, dass mein Vater einflussreiche Leute kennt. Ich werde nicht in der Klinik anfangen, die er leitet." Sie sah auf ihre Fingerspitzen und ihr Mund bewegte sich plötzlich von ganz Alleine. "Als Sayuri kleiner war, war sie ein echter Wildfang. Das waren wir das beide. Wir spielten und tollten und rauften, wo es nur ging. Wir dachten uns kleine Mutproben füreinander aus. Aber einmal ging was schief."

"Was ist passiert?"

"Ich sagte Sayuri, sie sei ein Feigling, weil sie sich nicht bis auf die Spitze eines Baumes traute. Sie war damals acht und natürlich hatten wir beide keine Ahnung, dass die Äste weiter oben schnell abbrechen können. Ich stichelte immer weiter, als sie wieder runterkommen wollte, ohne die Spitze erreicht zu haben. Es war alles nur ein Scherz, einfacher Spaß zwischen zwei Schwestern. Sayuri ließ es sich nicht nehmen, mir das Gegenteil zu beweisen. Also kletterte sie bis ganz hinauf. Der Baum war gut fünf Meter hoch, aber vielleicht kommt er mir in meiner Erinnerung höher vor, weil ich damals jünger war. Jedenfalls brach ein Ast ab, als Sayuri danach langte. Sie verlor das Gleichgewicht und fiel durch die dickeren Äste zu Boden. Dabei schlug sie mit dem Hinterkopf gegen einen Ast, mit dem Rückgrat gegen einen weiteren und kam gewissermaßen ungünstig auf dem Boden auf. Ich lief nach Hause und holte meinen Vater, der sie umgehend ins Krankenhaus brachte."

Sie sah mit geläutertem Gesichtsausdruck auf.

"Was sich dort abspielte, war phänomenal. Überall lange weiße Kittel, komplizierte Fremdworte, geschäftige Hektik und in jedem Arzt dieser ernste Gesichtsausdruck. Das hat mich wohl irgendwie geprägt. Als der behandelnde Arzt meiner Schwester zu uns kam, um uns zu erzklären, dass sie trotz ihrer Verletzungen nichts davontragen würde, wurde mir klar, dass auch ich irgendwann einmal einem kleinen Mädchen eine gute Nachricht überbringen wollte. Das mag unspektakulär klingen, aber ich war damals neun Jahre alt. Für mich war das alles unglaublich. Bis heute hat es mich nicht losgelassen. Ich bin gerne im Krankenhaus. Darum besuche ich oft meinen Vater, spreche mit Ärzten und schaue ihnen bei der Arbeit zu."

"Das klingt gar nicht unspektakulär", meinte Sasuke aufrichtig. "Du hast wenigstens ein Ziel."

"Du etwa nicht?"

"Nicht von Belangen", wehrte er ab.

Sie schüttelte den Kopf. "So funktioniert das nicht, Sasuke. Du kannst nicht einfach meine halbe Lebensgeschichte verlangen und mit meinem erfolglosen Argument die deine abblocken. Gleichberechtigung ist der Grundstein unserer modernen Zivilisation."

Er begann zynisch zu grinsen. "Du kannst gut reden."

"Und du kannst gut ablenken. Raus mit der Sprache."

Sasuke zögerte eine Weile und Sakura wollte es bereits aufgeben, als er plötzlich doch noch den Mund öffnete. "Mein Leben", begann er unheilvoll, "ist nicht typisch. Wenn du mit einem reichen Sohn redest, dann klagt er immer über das Leid, die Bürde, die mit dem Reichtum kommt. Die Nachkommen erben ein Unternehmen, ob sie wollen oder nicht. Sie müssen die gesellschaftlichen Regeln lernen und leben, sie haben keine Freiheiten und alles ist bestimmt. Aber nicht bei mir. Itachi ist derjenige, der unsere Firma übernehmen wird, also bin ich aus dem Schneider. Ich werde als Aufsichtsrat danebensitzen, ja und nein sagen und bei großen Veranstaltungen auf Firmenkosten fürstlich speisen. Dafür bekomme ich dreißig Prozent des effektiven Gewinns und einen Haufen Firmenaktien."

"Klingt doch gut", bemerkte Sakura ein wenig neidisch.

"Ja", erwiderte er zischend. "Du kannst dir nicht vorstellen, wie dein Leben aussieht, wenn du alles bekommst, ohne etwas dafür zu leisten." Ein Wehmütiger, verbissener Ausdruck trat in sein Gesicht. Unwillkürlich ballte sich seine Hand zu einer lockeren Faust. "Ich hab Geld und damit schon ausgesorgt. Eigentlich müsste ich nicht mal hier zur Schule gehen. Aufsichtsrat werde ich so oder so. Es macht sich bloß besser, wenn du jemanden mit Abschluss hast. Dann kann dir keiner vorwerfen, Vetternwirtschaft zu betreiben. Da liegt das Problem. Ich hab keinen Antrieb, keine Motivation, keine Ziele und keine Pläne."

"Klingt weniger gut." Sakura unterdrückte gekonnt den Drang, seine Hand zu nehmen. "Also streifst du orientierungslos durchs Leben und hast Angst, dich selbst zu verlieren, weil du nichts hast, für das du lebst?"

"Mach mal halblang", gebot er ihr schnell Einhalt. " Ich komme ganz gut zurecht. Ich hab Fußball und meine Familie. Zumindest meinen Bruder. Vielleicht werde ich nebenbei studieren, wenn ich etwas finde, das mich interessiert. Es ist nicht so, dass ich ein antriebsloser, arbeitsloser Alkoholiker wäre, der sich in einem billigen Motel betrinkt, weil er das Leben nicht erträgt."

"Aber du hast Angst, einer zu werden", resümierte Sakura. Sasuke wagte nicht, sie anzusehen. Er hatte das bisher noch niemandem erzählt; nicht einmal—oder schon gar nicht—Karin. Das war unheimlich. Sakura fuhr unterdessen fort: "Ich sage dir etwas. Nicht jedem ist das Glück vergönnt, das machen zu können, was er möchte. Die überwiegende Mehrheit muss einen Job annehmen, der ihnen möglichst ausreichend Geld einbringt. Aber du—du kannst alles ausschöpfen, was das Leben dir bietet. Du könntest Sport studieren oder Kunst oder ein anderes Fach, das dir absolut nichts bringt. Du kannst Bücher darüber schreiben oder ehrenamtlich einen Fußballverein eines Waisenhauses trainieren. Ich sage das nicht gerne, Sasuke, aber dir steht alles offen. Du kannst alles machen, ohne dir Gedanken machen zu müssen. Es muss dir nur Spaß machen."

"Hauptsache du nimmst meinen Aufmunterungsversuch nicht an", beschwerte er sich trocken über ihre gedämmte Euphorie angesichts seiner Lage. "Ich hab dir auch gesagt, dass du das schon schaffen wirst."

"Hast du nicht", wandte sie kopfschüttelnd ein.

"Dann sag ich's dir eben jetzt. Du schaffst das schon."

Zweifelnd sah sie ihn an. "Hör lieber auf, freundlich zu sein, das steht dir nicht. Vor allem, wenn du es nur tust, um dein Ego zu beruhigen, weil es wegen meiner Abfuhr immer noch angeschlagen ist. Ich habe dir doch gesagt, dass es okay ist, wie es ist." Sakura schüttelte unwirsch den Kopf, packte mit einem Handgriff all ihre Sachen zusammen und verließ sich wundernd die Bibliothek.

Das war irgendwie … schräg gewesen.
 

Sasuke verstand die Welt nicht mehr, als er plötzlich alleine dasaß. Hatte er wirklich nur gespielt? Eigentlich nicht. Er kannte seine Absichten besser als jeder andere—logischerweise—und es war ehrlich gemeint. Vielleicht hatte er sich nicht ganz geschickt angestellt, aber sie war darauf eingegangen und er hatte ihr sogar—wieso auch immer—von seinen tiefsten Ängsten erzählt. Nun, mehr oder weniger, aber jedenfalls hatte er etwas von sich preisgegeben. Nachdem er es getan hatte, musste er sich fragen, wieso er es getan hatte. War er betrunken? Oder hatte er wirklich unbewusst nur seinen Stolz beruhigen wollen, weil sie ihn abgewiesen hatte? War sein Kalkül etwa schon so ausgereift, dass er es nicht einmal mehr merkte?

Nein. Es war ehrlich gemeint. Aber da beschlich ihn ein anderer Gedanke. Wenn seine ehrlich gemeinte Freundlichkeit auf andere Menschen wie eine Farce wirkte, wie wirkte dann seine offensichtliche Abneigung?
 

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"Ich töte ihn!", kreischte Sakura, während sie auf den Sandsack vor ihr eindrosch. "Das macht der doch mit Absicht!"

"Wer denn?", wollten Temari und Sayuri wissen, die sie auf ihrem Weg in die Sporthalle getroffen und brutal mitgeschleppt hatte.

"Uchiha", keifte Sakura. "Uchiha Sasuke!" Bei seinem Vornamen warf sie sich mit ihrem ganzen Gewicht auf den Sack, dessen Kette mitleiderregend quietschte. "Absolute Absicht! Jetzt, wo ich ihm verklickert habe, dass ich nie in ihn verliebt war, schleimt er sich bei mir ein! So ein Vollidiot!"

"Beruhige dich doch", bat Temari sie beschwichtigend. "Wann hast du ihm denn gesagt, dass du nicht mehr in ihn verliebt bist und was hat er jetzt schon wieder gemacht?"

"Vor ein paar Tagen, als ich zufällig in Narutos Zimmer kam und ihn alleine vorfand. Ich sagte ihm, ich sei nur in sein Aussehen verliebt gewesen, während ich ihn als Mensch nicht leiden könne." Sie drehte sich um und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ihr Atem ging unregelmäßig, trotzdem sprach sie schnell und aufgeregt. "Er—dieser miese Hund—kommt heute plötzlich zu mir und redet mit mir. Nett. Er war freundlich. Könnt ihr euch das vorstellen? Uchiha Sasuke-sama hat sich nach meinem Befinden erkundigt und ein wenig von sich erzählt."

"Kann ich nicht glauben", warf Temari verwirrt ein.

"Ich schon", unterbrach Sayuri besserwisserisch nickend. "Da liegt eindeutig was in der Luft. Sagt bloß, ihr habt es noch nicht gemerkt! Ich glaube, sie versprühen Pheromone hier in der Schule, die Jungs romantisch machen. Überlegt doch mal!"

Sakura und Temari fassten sich gleichzeitig an die Stirn. "Wir überlegen, aber wir kommen nicht drauf", sagte Sakura sarkastisch. "Erklär es uns, Schwesterherz."

"Und da sagen sie alle, du bist die Klügere von uns! Menschenkenntnis hast du absolut keine. Resümiert das ganze kurz. Naruto ist mit Hinata zusammen—nicht überraschend, aber er ist keine Ausnahme. Sai ist mit Ino zusammen und er sieht schon ziemlich verliebt aus. Du erzählst uns hier gerade, dass Sasuke nett ist. Und, ob ihr es glaubt oder nicht, Gaara ist in letzter Zeit äußerst zuvorkommen."

Sakura und Temari tauschten kurz vielsagende Blicke aus, die Sayuri übersah. Sie fuhr unbeirrt fort.

"Ich meine, er hält mir die Türe auf, er fragt alle paar Minuten, ob es okay ist, wenn er in meiner Nähe ist, wenn er es denn mal ist. Er erkundigt sich nach meinem Wohl, nach meiner Familie und er sieht mich immer so an. Irgendwie…ach, er sieht mich einfach an. Ohne Grund! Das ist doch seltsam."

"Du bildest dir da nur was ein, Sayuri-chan", behauptete Temari, ohne allzu überzeugend zu klingen.

"Wen interessiert das?", rief Sakura dazwischen. "Gaara soll machen, was er will. Sayuri wird ihn abweisen oder wieder in ihr Herz aufnehmen –"

"Was soll das denn heißen?"

"Wie? Was? Ich weiß von nichts! Könnten wir bitte wieder über mich reden? Ich habe nämlich einen Plan, wie ich Sasuke einen Strich durch jede nur erdenkliche Rechnung mache." Sakura verschränkte zufrieden die Arme. Die fragenden Blicke der anderen beiden kurz genießend, band sie ihre lange Haarpracht zu einem Pferdeschwanz. "Bevor ich Sasuke sagen konnte, dass ich nichts mehr für ihn übrig hab, meinte er, ich hätte um ein paar Zentimeter längere Haare haben müssen, wenn ich seine Freundin sein wollte."

"Und das heißt?", fragte Sayuri bedeutungsvoll.

"Ich schneide sie mir ab."
 

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Cut And Crab Cake


 

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Sasuke traute seinen Ohren kaum. Und er traute seinen Augen kaum. Sein Bruder, sein dummer Bruder! Er hätte schwören können, dass Itachi ihn angelogen hatte, damals vor drei Wochen, als er gemeint hatte, sie würden zusammen mit den Harunos und den Naras an einem Tisch sitzen bei dieser vermaledeiten Gala, zu der er sich gezwungen sah, hinzugehen. Ohne Karin. Wenigstens das.
 

"Du kannst sie nicht leiden", bemerkte Itachi mit Blick auf die Straße. Er hatte Sasuke mit dem Auto abgeholt, damit er auch ganz sicher zu dieser Gala kam, auf der er ihn nicht alleine lassen durfte.

"Wen meinst du?"

"Dieses rothaarige Ungetüm, das sich was auf sich einbildet. Du bist nicht verliebt in sie."

"Ich hab's ihr noch nie gesagt, aber ich bin trotzdem mit ihr zusammen."

"Weil du keine Ahnung hast, Brüderchen."

Sasuke verschränkte desinteressiert die Arme vor der Brust. "Ich werde Nara heute fragen, ob ich meinen Bruder wegen Einmischung und Verleumdung verklagen kann. Du sprichst mir Gefühle ab, die ich eindeutig haben muss, wenn ich in einer Beziehung bin."

"Ich sag's ja nur ungern, aber du hast keine Gefühle. Seltsam, dass gerade jemand wie sie welche in dir wecken sollte. Ich glaube dir kein Wort. Du bist nur mit ihr zusammen, weil du keine Ahnung hast. Du könntest es genauso gut sein lassen, nicht wahr?"

Sasuke antwortete nicht. Er mochte nicht mit seinem ach so perfekten Bruder über eine Beziehung reden, die er selbst nicht verstand. "Ich habe recht, das sehe ich dir an. Karin ist nicht dein Typ. Sie ist herrisch, autoritär, autark und ein Mannsweib. Auf sowas steht kein Uchiha. Also muss der Sex sehr gut sein."

"Wir haben noch nicht miteinander geschlafen."

Itachi schwieg einen Moment, dann schüttelte er mitleidig den Kopf. "Dann verstehe ich nicht, warum du mit ihr zusammen bist. Ehrlich nicht. Noch nicht miteinander geschlafen—pf! Ihr seid nun schon fast drei Monate zusammen. Schande über dich."

"Halt den Rand, sonst verreiß ich dir das Lenkrad und wir stürzen zusammen in den Straßengraben."

"Das würdest du nicht tun. Ich wette mit dir um eine Essensschlacht."

Sasuke wandte den Blick aus dem Fenster. Seine Gedanken schweiften ab. Warum eigentlich? Sie war hübsch, klug, freundlich…warum zum Teufel war er dann mit Karin zusammen? Er versuchte immer wieder an sie zu denken, an ihr rotes Haar, an ihr Lächeln, aber er hatte sie nie ehrlich lachen sehen. Sie hatte stets gespielt unschuldig oder süßlich gelächelt, niemals herzhaft einfach um des Lachens willen. Im Gegensatz zu ihr. Dieses verdammte Mädchen! Was hatte Haruno Sakura ihm nicht alles an den Kopf geworfen. Es stimmte ihn nachdenklich. Und es gefiel ihm nicht. Doch als Sakuras Gesicht vor ihm auftauchte, wandte er sich wieder seinem Bruder zu. Das war doch verrückt…er konnte nicht—nein. Er war mit Karin zusammen. Solche Gedanken wollte er sich gar nicht erst einreißen lassen!
 

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Sakura war bereits am Vortag zusammen mit Sayuri nach Tokio gefahren, um den nächsten Tag in Ruhe beginnen zu können. Außerdem wollte sie endlich ihren Plan umsetzen und sich die Haare schneiden lassen. Diese Aufgabe traute sie nur ihrem Stammfrisör zu. Sie hätte ihn nicht vor den Kopf stoßen können. Seit Jahren predigte er ihr, dass kurze Haare ihr Gesicht betonen würden und das war nun einmal zauberhaft. Er hatte recht. Das kaum mehr schulterlange Haar umrahmte in kecken Stufen geschnitten ihre Züge.

"Das wird eine Überraschung für ihn werden, diesen eingebildeten Hammel", murmelte Sakura zufrieden mit dem Ergebnis, das sie stolz ihrer Schwester in deren Zimmer vorführte. Ihren Eltern war es gar nicht aufgefallen, was sie nicht störte. "Damit dürfte bewiesen sein, dass ich nicht mehr an Sasuke interessiert bin."

"Wer's glaubt. Du reagierst auf seine Aussagen, das ist Zeugnis deines Interesses. Vielleicht kein romantisches, aber immerhin zeigst du ihm damit vor allem eines: Dass du ihm zuhörst. Die kurzen Haare stehen dir trotzdem."

"Danke, das wollte ich hören." Sakura fuhr sich erneut über ihr neues Haar. Sie fand es klasse. Es war in leichten Wellen nach außen geföhnt, sodass die teure Diamantkette schön zur Geltung kam. "Welches Kleid ziehst du an?", fragte sie

"Das gelbe vielleicht. Ich weiß nicht. Kann ich deine Perlohrringe dafür haben?"

"Wenn du mir deine roten Schuhe leihst. Die satinbespannten mit den Steinen."

"Sag bloß du willst—"

"Ganz recht." Sakura drehte sich schwungvoll um. "Ich zieh das Rote an."

"Tu das nicht. Je hübscher du aussiehst, desto mehr wird Uchiha denken, dass du es seinetwegen machst, wenn er wirklich so eingebildet ist wie du immer sagst, woran ich keinen Zweifel habe." Sayuri schritt zu ihrer Schwester und drehte sie wieder dem Spiegel zu. "Du bist so schön. Er hat dich nicht verdient. Du solltest ihn nicht länger zu einem Teil deines Lebens machen. Selbst wenn er heute mit uns an einem Tisch sitzt."

Sakuras Miene gefror zu Eis. "Bitte? Die Uchihas sitzen mit uns und den Naras an einem Tisch? Wieso hat mir das keiner gesagt?" Sayuri zuckte die Schultern und ihre Schwester seufzte ergeben. "Natürlich. Es wäre ja auch lächerlich einfach gewesen, einfach nur an ihm vorbeilaufen zu können und ihm zu zeigen, was er verpasst hat. Verdammt."

"Du machst das schon."

Sakura war sich gar nicht so sicher. "Er hat mich mit seiner Freundlichkeit ganz schön durcheinandergebracht. Wenn es vorgetäuscht war, was ich annehme, hat er sicherlich irgendwelche Hintergedanken. Vielleicht macht es ihm Spaß, mich zu quälen. Das wäre eine Möglichkeit. Irgendwas stimmt mit ihm nicht."

"Das wussten wir von Anfang an", scherzte Sayuri lächelnd. "Die Erklärung liegt auf der Hand. Er hat eingesehen, was er hätte haben können. Und ganz ehrlich, neben Karin sieht jeder wie die perfekte Freundin aus, du ganz besonders."

"Hm." Das konnte Sakura guten Gewissens negieren. Sasuke und sie mögen—also ehrlich! Er würde nicht einmal ansatzweise an sie denken, wenn es um sein Leben ginge! Nein, es musste eine andere Erklärung geben.
 

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Der Saal, in dem die Gala stattfand, war reichlich dekoriert. Überall wanden sich Rosengirlanden und goldene Akzente vermischt mit zurückhaltender Eleganz, die zusammen einen angenehmen Charme vermittelten. Mittelpunkt des Raumes war ein Rednerpult an dessen Kopf, das geschmückt war mit teurer Dekoration. Mittelpunkt der Gala selbst war niemand anderer als die hochwohlgeborene Familie Uchiha, die sofort alle Aufmerksamkeit auf sich zog, sobald sie den Saal betrat. Bei den Mädchen brach Getuschel aus, denn es schickte sich nicht, offenkundig jemanden anzuhimmeln. Sie besaßen Stil und das machte es Sasuke angenehm. Er spürte Blick auf sich ruhen, bedeckte Finger auf sich zeigen, aber man ließ ihn zu seiner großen Überraschung in Ruhe. Vielleicht hatte sich ja rumgesprochen, dass er eine Freundin hatte.

Ihm war es egal, warum, wieso oder weshalb. Sein eigener Blick schweifte unwillkürlich zu dem Tisch, an dem er bald sitzen würde. Zusammen mit den Harunos und den Naras. Sie waren alle schon da und unterhielten sich.
 

Fünf Minuten vor der Ankunft der Uchihas waren die Naras gekommen. Haruno Mebuki hatte sich von ihrem Mann vorstellen lassen und war sofort mit Nara Yoshino in ein angeregtes Gespräch verfallen, das sich um dies und das drehte. Es gab viel zu bereden, da die Kinder irgendwie verbandelt waren.

Shikamaru stieß Sakura unsanft in die Rippen. Sie hatte ihm das alles eingebrockt, also musste sie es auch wieder gradebiegen. "Mach jetzt", forderte er ungeduldig.

"Schon gut, reg' dich ab", giftete Sakura zurück. "Mama, kann ich kurz deine Aufmerksamkeit haben und die aller anderen hier Anwesenden?" Schlagartig wanderten alle Köpfe zur ältesten Harunotocher. "Wir wollten es eigentlich nicht unbedingt am Anfang des Abends machen, aber uns bleibt wohl keine andere Wahl." Sie holte tief Luft. "Shikamaru und ich sind kein Paar."

Sekunden des Schweigens umhüllten den Tisch. Dann seufzte Mebuki erleichtert. "Ein Glück! Wir dachten schon, ihr meint es ernst mit der Verlobung und machten uns schon Sorgen, ob du vielleicht schwanger seist."

"Wir dachten dasselbe!", gestand Yoshino. Sie umfasste die Hand ihres Gatten. "Nicht, dass wir euch nicht alles Glück dieser Welt wünschen würden, aber es war schon sehr seltsam. Ihr seid doch noch so jung."

"Wir sind kein Paar", wiederholte Sakura ernst. "Hört ihr? Wir waren nie zusammen. Das war alles nur eine Phase, bis wir bemerkten, dass es nicht funktionieren würde. Es war ein Experiment, nichts weiter. Wir wollten es wissen und dann hat es sich zu einem Gerücht entwickelt. Wir konnten nicht mehr aus!"

"Es ist okay, Schatz." Mebuki langte über Sayuri zu ihrer Tochter und tätschelte ihr die Hand. "Wir verstehen das. Aber warum hast du es nicht schon früher gesagt?"

"Wollte ich ja!", rief Sakura aufgebracht mit Empörung in der Stimme. "Ich habe es versucht, aber ihr habt mich nie zu Wort kommen lassen und wenn, dann habt ihr euch zurechtgebogen was ihr es hören wolltet! Die einzigen, die daran schuld tragen—" Sakura verstummte augenblicklich. Vor den Uchihas musste das nicht breitgetreten werden und gerade diese waren eben an den Tisch getreten und wurden den Naras vorgestellt.

Sasuke machte einen ordentlichen Eindruck. Sein natürlich maßgeschneiderter Anzug saß perfekt, die Fliege stramm und sein Blick wie der eines Königs. Er grüßte die Naras mit gelassener Zurückhaltung, schenkte den anderen einen nicht minder höflichen Gruß und als Sakura an die Reihe kam, hellte er sich merklich auf. Zumindest für Itachi merklich, der schlagartig in seiner eleganten Vorstellung innehielt, mit der er die Anwesenden bedacht hatte. Im Gegensatz zu seinem Bruder wirkte er wie ein Lebemann schlechthin. Er besah selbigen skeptisch, sagte aber schlussendlich doch nichts mehr. Sasuke musste selbst wissen, was er tat.

Und das tat er nicht. Wie die Selbstverständlichkeit selbst nahm Sasuke Sakura gegenüber Platz. Sie hatte kurze Haare, was ihr sehr gut stand. Und er hasste sich für diese Gedanken. Wieso hatte sie sich die Haare geschnitten? Aus Provokation, weil er die Länge von Karins Mähne erwähnt hatte? Wollte sie ihn etwa auf die Palme treiben? Ein Zeichen setzen? Das funktionierte sowas von gar nicht, denn seine Aufmerksamkeit lag mehr auf ihr denn je. Er war scheinbar verrückt geworden. Sasuke konnte nicht umhin, sie noch eine Weile anzusehen, ehe er den Blick Itachi zuwandte, der schwungvoll auf dem Nebensessel landete.

"Starr sie nicht so an", zischte er mahnend. "Sonst merkt sie es noch."

"Was soll sie den merken?", brummte Sasuke missmutig. Sakura hatte sich Shikamaru zugewandt.

"Dass du sie anstarrst zum Beispiel, Brüderchen. Was auch immer du an Karin findest, Sakura scheint mehr davon zu haben. Ich habe diesen Blick noch nie an dir gesehen. Außerdem hast du sie sehr höflich begrüßt. Das ist sehr ungewöhnlich."

"Sie hat mir eine Standpauke erteilt, aufgrund derer habe ich mir vorgenommen habe, netter gegen andere zu sein. Ein wenig zumindest. Schaden kann's ja kaum."

Itachi starrte ihn fassungslos an, dann nahm er Sasukes Arm und schüttelte ihn mit flehendem Blick. "Was hast du mit meinem Bruder gemacht? Wieso? Wieso musstest du ihn töten und dich als er ausgeben? Mein armer Bruder!"

Sasuke entriss ihm den Arm ruppig und fauchte: "Lass den Scheiß! Und hör auch mit dem ganzen anderen Blödsinn auf! Karin ist meine Freundin—Gott weiß wieso, aber sie ist es. Damit basta, kapiert?"

Sein Bruder hob abwehrend die Arme. War ja auch nicht sein Problem. Aber dass die Sandpauke eines Mädchens den jüngsten Uchiha so maßregeln konnte, damit gar Erfolg hatte? Beim besten Willen mochte er das nicht glauben. Dass Sasuke es nur als Vorwand vorgeschoben hatte, um sein plötzlich entfachtes Interesse an Sakura zu vertuschen, entging ihm wie geplant.

Selbige beobachtete die Szene mit Skepsis. So kindisch kannte sie Sasuke gar nicht. "Hey, Shikamaru, weißt du, was mit ihm los ist? Er verhält sich so eigenartig."

"Vor allem starrt er dich an", ergänzte Shikamaru mit einem Kopfnicken in Sasukes Richtung, der eben von seinem Bruder gepackt wurde. Sakura sah provokant weg. Von ihr aus konnte er starren bis er schwarz wurde!

"Ich habe sein Ego verletzt", erklärte sie leise. "Ich dachte, damit sei die Sache gegessen, aber seit dem verhält er sich mir gegenüber irgendwie…freundlich, möchte man sagen. Jedenfalls ist es gruselig."

"Womöglich mag er dich wirklich."

"Blödsinn", versetzte Sakura. "Sasuke ist kein Mensch, der blitzartige Kehrwendungen hinlegt. Er ist stur, arrogant, besserwisserisch und egoistisch. Ich möchte nicht die Anerkennung eines solchen Menschen haben." Damit wandte sie sich den kleinen Menükärtchen zu, die liebevoll die Gänge des heutigen Abends anpriesen. "Schon wieder amerikanisch! Wo bleibt bloß die traditionelle Küche in diesem Land?"
 

Die Väter sprachen über Aktien, die Frauen über den neuesten Tratsch und die Stereotype frönten sich ihrer Anwesenheit in höchstem Maße. Es war so klischeehaft, so vorhersehbar, so typisch. Jeder mochte es. Das war der Grund, wieso sich hier jeder verstand. Alle hatten dieselben Themen, die sie immer und immer wieder durchkauten. Bis man dann auf die Kinder zu sprechen kam.

"Shikamaru wird natürlich als Juniorpartner in unsere Kanzlei einsteigen, nicht wahr, Schatz?", sagte Nara Yoshino stolz in die Runde. "Er wollte schon immer Staatsanwalt werden, schon als kleines Kind, aber erst wird er sich in unserer Rechtskanzlei einen Namen machen. Staatsanwalt kann er ja dann noch immer werden. Und Sasuke-kun wird ins Familienunternehmen einsteigen?"

Uchiha Fugaku nickte weniger stolz. "Mein Ältester wird die Firma übernehmen. Für Sasuke wird ein Platz im Aufsichtsrat sein, aus dessen Position er maßgeblich über unsere Geschicke bestimmen wird. Er überlegt auch, zu studieren, um sich mehr Fachwissen anzueignen. Wir erwarten Großes."

Sakura sah Sasuke zischen. Sie hätte seinem Vater seine Worte abgekauft, hätte sie nicht die eigentliche Version von Betroffenem selbst gehört.

"Er kann sich mit Sakura zusammentun", warf Haruno Kizashi ein. Ein subtil strafender Blick ereilte seine Tochter, abgeschottet vom Aufmerksamkeitsradius der anderen Anwesenden. Sie verstand die Mahnung. "Sie ist so übereifrig. Ihr Problem ist, dass sie in so vielen Dingen begabt ist. Sie kann sich gar nicht entscheiden, was sie werden möchte. Ihr steht ja so viel offen! Entscheidungsfreude ist eine ihrer wenigen Schwächen", sprach er scheinbare Ziellosigkeit schön.

Sakura verstand die Warnung, die darin mitschwang. Es schickte sich nicht, planlos durchs Leben zu stolpern oder zu versagen. Es war gleichschlimm in dieser Welt. Die hochlobenden Reden ihrer Väter waren eine vielschichte Farce.

"Ja, ja, unsere Sakura weiß einfach nicht wohin mit ihren vielen Talenten! Nicht wahr, Sakura?"

Aus den Augenwinkeln konnte sie beobachten, wie Sasuke aufsah. Sie selbst hatte sich ihrem Teller zugewandt. "Ja, Vater", flüsterte sie gescholten.

"Sayuri ist da ganz anders. Sie ist auch so ein kluges Kind. Sie strengt sich wirklich sehr an. In unseren Zeite ist Fleiß sehr viel wichtiger als gute Noten. Der Weg ist das Ziel, pflege ich immer zu sagen."

Sayuri wurde es langsam peinlich. Sie nahm Sakuras Hand, doch diese entzog sie ihr schnell wieder und stand mit gesenktem Haupt auf. "Entschuldigt mich bitte, ich muss kurz an die frische Luft."

Alle Blicke folgten ihren Schritten, auch Sasukes. Zum ersten Mal fiel ihm ihre schmale Gestalt auf. Das rote Kleid schmiegte sich elegant um ihren schlanken Körper, ihre kurzen Haare wippten bei jedem Schritt. All das konnte ihn nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie deprimiert war.

Ohne zu überlegten, legte Sasuke seine Besteck beiseite. "Würdet ihr mich auch kurz entschuldigen? Ich muss mir die Hände waschen."

"Mitten unterm Essen?", fragte Mikoto vorwurfsvoll. Sein Vater sagte etwas, aber Sasuke hörte achtete nicht darauf. Er ging schnellen Schrittes aus dem großen Saal, steppte eilig die Steintreppen herab und lief, ohne zu wissen, wohin sie gegangen war, durch die vergoldete Flügeltüre nach draußen.

Die Kälte der Dezembernacht kroch klirrend unter seine Kleidung, woraufhin er sein Sakko enger anzog. Bereits jetzt klapperten seine Zähne. Sakura konnte unmöglich hinausgelaufen sein. Es war beißend kalt, das würde sie in dem schulterfreien Kleid nicht lange ertragen.

Trotzdem ging er ein paar Schritte geradeaus. Er sah sich um, konnte aber in der Dunkelheit nichts erkennen. Es war bereits acht Uhr abends. Gerade, als er wieder Kehrt machen wollte, erhaschte er auf der anderen Straßenseite einen Blick auf eine regungslos dasitzende Gestalt. Es war eine Frau mit kurzen Haaren. Das musste sie sein.
 

Sakura hatte die Hände in den Schoß gelegt. Sie spürte die Kälte nicht, nur die Nachwehen des Stichs, der mitten in ihr Herz getroffen hatte. Wie Sasuke sie angesehen hatte. So fragend, so verständnislos. Wenigstens hatte er dicht gehalten. Eine Diskussion vor all diesen Leuten hätte sie um keinen Preis gewollt. Es war doch alles zum Kotzen. Und doch wurde ihr plötzlich warm.

Sakuras Augen weiteten sich irritiert. Sie starrte noch immer deprimiert auf ihre Knie, aber auf ihren Schultern spürte sie ganz deutlich leichten Stoff. Er schmiegte sich an ihren Rücken, spendete Wärme. Keine Sekunde später saß Sasuke neben ihr. Sie brauchte nicht aufzuschauen, um ihn zu erkennen.

"Warum hast du es ihnen nicht gesagt?", wollte er wissen. Sein Atem verging an der kalten Luft zu Rauch.

"Danke, dass du ggeschwiegen hast."

"Das ist keine Antwort."

"Ich weiß." Sakura seufzte schwer. Sasuke kapierte schnell, dass er keine richtige Antwort zu erwarten hatte, also ließ er das Thema fallen. Sie saßen einige Minuten schweigend nebeneinander, dann sagte Sakura: "Du musst das nicht tun."

"Hm?"

"Nett sein." Ihre Stimme zitterte leicht vor Kälte. Sie hatte einen bitteren Beigeschmack, vermengt mit ehrlicher Dankbarkeit. "Ich hab dir ja gesagt, dass es okay ist, wenn du mich einfach in Ruhe lässt."

Sasuke zischte zynisch. Als ob er das könnte. Sie in Ruhe lassen. "Das ist es nicht. Nicht nur."

Sie sah überrascht auf.

"Versteh mich nicht falsch, ich laufe dir nicht hinterher oder so. Ich will ein paar Dinge wiedergutmachen. Meine Art war nicht korrekt, das habe ich eingesehen. Ich kann das nicht so stehen lassen. Ich hatte nicht das Recht, dich so geringschätzig zu behandeln. Es tut mir leid."

"Entschuldigung angenommen. Wenigstens hast du einen Anhaltspunkt, wie man sich Mitschülern gegenüber zu verhalten hat, was dir das soziale Leben auf der Universität erheblich erleichtern wird. Und ich kann den Erfolg für mich verbuchen, was meinem Ego sehr schmeichelt. Wir profitieren beide davon." Sie lächelte ihn freundlich an, wandte dann aber wieder den Blick geradeaus. "Seltsam bleibt es trotzdem."

"Was genau meinst du?"

"Na, dich!" Sakura schnalzte tadelnd mit der Zunge. Sie zog die Anzugjacke fester um sich. Langsam spürte sie die eisige Nachtluft auf ihren taubwerdenden Gliedern. "Jemand wie du ändert sich doch nicht binnen einer Sekunde. Ich hab dich zusammengestaucht und—bumm! Plötzlich bist du nett zu mir."

"Tz", machte Sasuke nur. Ganz so rasant war es ja doch nicht gegangen. Immerhin waren seit ihrer Neutralitätserklärung fünf Wochen vergangen. Sakura schien sich daran nicht zu stören und ihren Triumph auch nicht wegen solch Nichtigkeiten schmälern zu wollen. "Du solltest ihnen trotzdem sagen, dass du Medizin studieren willst."

Sakura verdrehte genervt die Augen. "Klar doch. Noch so hochtrabend intelligente Vorschläge, Superschlau-sama? Wenn du weiterhin deine kostbare Zeit damit zubringen willst, mir dumme Ratschläge zu erteilen, dann beleidige mich lieber wieder. Das ist nämlich weniger nervenaufreibend."

"Natürlich", meinte er in alter Manie—ein wenig selbstgefällig. "All meine Beleidigungen prallen an dir ab, weil du ja nicht mehr in mich verliebt bist, was du mir eindringlich klar gemacht hast. Aber die Ratschläge ärgern dich, weil du weißt, dass ich recht habe."

"Halt einfach deine Klappe."

"Gerne."

"Warum redest du dann noch?"

"Hn."

"Auch 'hn' ist ein Wort."

"Ist es nicht."

"Wohl! Es ist ein Neologismus, den ich soeben eingeführt habe. Spiel Scrabbel mit mir, dann beweise ich es dir."

"Weißt du, dass du echt nerven kannst, Sakura?"

"Musst du gerade sagen…"

Sie verstummten jäh ohne Grund. Vielleicht konnte sie doch noch eine vernünftige Basis erreichen?

"Was ist mit Karin?", erkundigte Sakura sich nach einer Weile. Sie sahen noch immer geradeaus, sich nicht an.

"Was soll mit ihr sein?" Sasuke rümpfte missmutig die Nase. Als sie ihm keine Antwort gab, wollte er ihr selbige ebenfalls enthalten, doch seine Zunge machte sich selbstständig. "Karin ist…eine gute Alternative zu allen anderen Optionen. Dank ihr lässt mich die Mädchenschaft Misos in Ruhe. Sie ist nicht aufdringlich und lässt mir Raum. Aber sie ist da, wenn ich—" Er brach schlagartig ab. Wenn ich sie brauche, hätte er fast gesagt. Das sagte man in den Filmen. Aber brauchte er sie? Eigentlich…Sakura interpretierte sein Schweigen jedenfalls auf ihre Art.

"Wenn du körperliche Bedürfnisse hast", ergänzte sie leichthin.

"So hab ich das nicht gemeint. Sie ist da, wenn sie eben da ist. Ich bin nicht der Beziehungsmensch, also passt es zwischen uns ganz gut."

"Das sollte so nicht sein", bemerkte sie wehmütig. "Liebe ist verbunden mit Leidenschaft, mit Verliebtheit, mit Harmonie und auch mit Streit. Jemand aus Bequemlichkeit als seine Freundin zu bezeichnen ist nicht sehr klug. Ich werde dich mit dem Manipulatorengefasel in Ruhe lassen, zumal du mir sowieso nicht glauben wirst. Dass Karin eine falsche Schlange ist, steht nicht zur Debatte. Sie hat es nie lange mit jemandem ausgehalten und an dir scheint ihr wirklich etwas zu liegen, also gönne ich euch das Glück. Zudem lässt sie mich deswegen in Ruhe, was sehr angenehm ist, da ich größere Probleme habe, als ihre ständigen Attacken."

Sasuke spitzte die Ohren. Ihr schien wirklich nicht mehr viel an ihm zu liegen, wenn sie so freimütig über seine Beziehung zu Karin sprach. "Danke."

Sakura hob ihre Augenbrauen und wandte sich ihm fragend zu. Sasuke sah sie ebenfalls an, sagte jedoch nichts. Seine Augen funkelten, aber nicht boshaft, sondern erwartungsvoll. Hinter ihnen spielte sich unsichtbar für die Außenwelt große Verwirrung ab. Er dachte an Karin, an Sakura, an die Worte seines Bruder, an Karin, an Sakura und schlussendlich konnte er nicht sagen, wie ihre beiden Gesichter so nah zueinander gefunden hatten. Er hatte den meisten Weg zurückgelegt, sie starrte ihn ungläubig an, fast versteinert. Sasuke konnte ihren Atem spüren, beinahe ihren Herzschlag hören. Er hatte die Augen bereits halb geschlossen, während ihre weit aufgerissen waren.

Sie kamen sich noch näher. Zwischen ihre Lippen passte maximal ein Blatt.
 

Ein Klingeln zerriss den Moment.
 

Es schellte durch die nächtliche Stille, wie ein Warnsignal. Sasuke fuhr zurück, Sakura saß weiterhin wie auf Nadeln in ihrer Paralyse fest. An ihrer Seite vibrierte es unangenehm. Wortlos beobachtete sie, wie Sasuke mit einer gemurmelten Entschuldigung an ihrer Hüfte vorbei ins Innere seiner Jacke griff, sein Telefon herausfischte und den Anruf annahm. Während Sakuras Herz vor Aufregung pochte, ihr Gesicht kalkweiß war und sie keiner Worte fähig war, lehnte Sasuke sich zurück, als wäre nichts gewesen.

"Hallo, Karin."

Sakura konnte nur eine verzerrte Stimme vernehmen, die kaum hörbar aus dem Lautsprecher des Telefons kam. Sie beobachtete Sasuke weiterhin mit aufgerissenen Augen.

"Mhm, ja. Nein, ich bin noch auf der Party…Frischluft schnappen…mhm…Sonnabend… wenn du willst…okay. Gute Nacht." Er legte auf.

Sakuras Kopf war die ganze Zeit leer gewesen. So leer wie er eben sein konnte, wenn jemand wie Uchiha Sasuke drauf und dran war, jemanden zu küssen. Erst jetzt brachen Gefühle über sie herein. Gefühle, die sie nur schwerlich im Zaum halten konnte.

Wortlos stand Sakura auf. Ihre mechanischen Bewegungen verhießen große Selbstbeherrschung, ohne die sie ihn längst verprügelt hätte—Uchiha hin oder her! Wie gerne hätte sie ihm ihre Faust ins Gesicht gerammt. Doch sie wusste sich zu beherrschen.

Nicht minder wortlos zog Sakura seine Jacke von ihren Schultern, warf sie ihm in einer beinahe beiläufigen Geste entgegen und ging.
 

"Du bist ein Idiot, Sasuke."
 

Und das meinte sie so, wie sie es sagte.
 

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Daylight And Doom


 

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Sasuke konnte nicht recht glauben, was eben geschehen war. Er hätte um ein Haar Sakura geküsst—Haruno Sakura! Dabei war er mit Karin zusammen. Das Gespräch mit Sakura hatte ihm wieder in Erinnerung gerufen, warum er mit ihr zusammen war! Und es hatte ihm klar gemacht, dass seine fortwährenden Gedanken an Sakura nur eine dumme Phase waren, die seiner Neugierde entsprangen. Karin war gut für ihn. Und doch traf es ihn, dass Sakura ihn so kaltherzig sitzen gelassen hatte. Einfach so. Nur mit einer Beleidigung. Das tat nicht nur seinem Ego weh.

Sei's drum, dachte er seine Gedanken zu Ende. Das Totschlagargument schlechthin. Was auch immer gerade eben zwischen ihnen gewesen war, es war vorbei. Und er war zu pragmatisch, um dem Moment nachzutrauern.
 

Sakura war sauer. So sauer, dass sie sich wegen angeblicher Migräne von der Gala entschuldige, noch ehe die Spendenaktion angelaufen war. Sayuri erbot sich, mit ihr den letzten Zug um zehn nach Miyazu zu nehmen, damit sie so schnell als möglich nach Hause kommen konnten. Dass diese Aussage ihre Eltern, insbesondere ihre Mutter, schwer kränkte, war ihr herzlichst egal. Ihrer Schwester ging es schlecht und sie wollte für sie da sein.

Nach langen Diskussionen hatten sie die Einwilligung und die Naras forderten ihre Sohn auf, ebenfalls mitzugehen. Man könne zwei junge Mädchen doch kaum spätabends alleine herumfahren lassen! Es war immerhin schon neun Uhr! Shikamaru tat das von Herzen gerne. Als sie den Saal verließen, kam Sasuke ihnen über die Stufen entgehen. Sakura sah ihn nicht einmal an, obwohl er ihr sehr wohl einen unmöglich zu deutenden Blick schenkte. Er war emotionslos und zugleich ratlos. Eine eigenartige Mischung.

"Hat deine Migräne zufällig was mit dem da zu tun?"

Sakura zischte nur abfällig, was Antwort genug war. Ihre Schwester legte schützend den Arm um sie und streichelte ihre Schulter. "Er ist ein Idiot. Belassen wir es dabei."

"Mhm", war Sakuras einziger Kommentar dazu.
 

Die ganze Zugfahrt über schwirrte ihr der Kopf. Uchiha Sasuke hatte sie fast geküsst! War das eine neue Gemeinheit, ein perfider Plan, den er mit Karin ausgeheckt hatte, um sie zu quälen und zu triezen? Karin war normalerweise stets zu sehr darauf erpicht, mit ausgeklügelten Schachzügen zu fungieren, als dass sie sich auf derartig Profanes einlassen würde. Sie konnte einfach nicht dahinter stecken. Das war unter ihrer Würde, unter ihrem Intellekt. Aber von Sasuke ausgegangen konnte es auch nicht sein. Es steckte etwas dahinter. Und sie wusste auch schon, wie sie es unterbinden konnte.

Während zu ihrer Rechten das Meer um Takahama an ihr vorbeizog, und ihre Begleiter stillschweigend den Blick darauf gerichtet hatten, entschuldigte Sakura sich kurz auf die Toilette. Dort war sie fern von unerwünschten Zuhörern. Entschlossen zog sie ihr Mobiltelefon aus der Handtasche. Karins Nummer fand sich leicht, denn die hatte sie zur Sicherheit eingespeichert, für eben jene Fälle. Es ertönten vier Freizeichen, ehe sich eine Frauenstimme am anderen Ende der Leitung meldete.

"Hallo?"

"Was für Regeln dein krankes Spiel auch immer haben mag, hör auf damit, denn ich spiele nicht mit."

"Sakura? Woher hast du meine Nummer?"

"Irrelevant", fauchte sie. "Jetzt hör mir gut zu. Ich habe lange Zeit gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Aber Sasuke auf mich zu hetzen und ihn so tun zu lassen, als wolle er mich küssen, ist echt eine Nummer für sich! Das hätte sogar ich dir nicht zugetraut! Hör endlich auf mit deiner Paranoia und lass mich verdammt noch mal in Frieden, sonst sorge ich dafür, dass du von der Schule fliegst!"
 

ɣ
 

Karins Herz bekam einen heftigen Stich, dann raste es vor Erregung. Was hatte das zu bedeuten? Sie hatte gar nichts gemacht! Nicht einmal ansatzweise! Zumindest noch nicht.

"Was bildet sich die Schlampe ein?", zischte sie mit zusammengepressten Zähnen. "Will die mich verarschen?" Wütend auf Sakura, Sasuke und vor allem sich selbst, wählte sie eine wohlbekannte Nummer. Er hob nicht ab. Wollte sich der Feigling nicht einmal dazu äußern? Er hätte sie um ein Haar betrogen! Diese Erkenntnis versetzte ihr eine Ohrfeige. Er war Teil des Plans gewesen, ihr Gespiele. Und nun sollte es sich ins Gegenteil verkehren? All die Mühen, ihm glauben zu machen, sie wäre wirklich in ihn verliebt, sollten letzten Endes eben dazu geführt haben? Es traf sie. Sie war in Sasuke verliebt. Und das aufrichtig.

Trotzdem hatte Sasuke beinahe ein anderes Mädchen—ausgerechnet Haruno!—geküsst. Das machte man nicht mit ihr, das konnte er nicht machen!

Dass Karin es wusste, bekam Sasuke montagfrüh zu spüren, als ein Wirbelsturm in sein Zimmer fegte, ihn aus dem Bett zerrte und Naruto einen Heidenschreck einjagte.

"Du bist tot!", fauchte sie.

"Bitte?"

"Du hast Haruno geküsst!"

Sasuke sah sie bloß verschlafen an, dann nahm er sie an den Schultern und schob sie auf eine weniger bedrohlich wirkende Distanz. "Ich habe nichts dergleichen getan. Von wo auch immer du das her hast, glaub es nicht. Wieso sollte ich sie küssen?"

"Warum sollte sie lügen?"

"Sakura hat es dir also gesagt?", folgerte er. "Lass mich das regeln. Seit wann interessiert es dich, was sie sagt, hm? Du bist meine Freundin, nicht sie."

"Dann verlass dieses Zimmer zieh zu Suigetsu."

"Von mir aus."

"Fein!"

"Fein!"

Den Kuss, den er ihr aufdrückte, spürte sie kaum.
 

ɣ
 

Warum Sakura draußen in der Eiseskälte spazieren ging, wusste sie selbst nicht. Sie hatte eine dicke Haube auf, ihre Finger in Wollhandschuhe gehüllt und ausnahmsweise keinen Gedanken an Sasuke verschwendet. Sogar jetzt, zwei Tage nach dem Fast-Kuss, ließ es sie nicht los. Abschalten konnte sie nur im Unterricht, der dieser Tage leider spärlich ausfiel. Die Winterferien kamen bald, darum hatten die Lehrer die Güte besessen, sämtliche Hausaufgaben mit einem Abgabedatum im Jänner zu versehen. Sie hätte sie also erst in den Ferien machen müssen. Hätte, wenn sie bis dorthin Besseres zu tun gehabt hätte. Aber dem war nicht so, denn Ino und Sai gaben ein nervtötendes Pärchen ab, das sie mied, wo es nur ging, zumal Ino sie immer noch manchmal mit spitzen Kommentaren auf die Palme brachte. Hinata und Naruto waren mindestens genauso nervtötend—wenn sie denn mal aus ihrer Traumwelt erwacht waren. Temari hatte genügend mit Gaara zu tun, den sie über Sayuri ausfragen wollte und Sayuri klebte förmlich an Temaris Fersen, um jedwede Information aufzusaugen, wo Gaara einen Tropfen freiließ.

Alles in allem ging jeder seinen Beschäftigungen nach, bis auf Sakura, die somit Muße hatte, über Sasuke zu sinnieren, was ebenjenes leidige Thema war, das sie tunlichst zu vermeiden versuchte, womit sie wieder bei ihrem Anfangsdilemma war: Hausaufgaben. Diese waren viel zu schnell gemacht und für Prüfungen lernen konnte sie noch nicht. Sie war also quasi gezwungen, über Sasuke nachzudenken.

Darum ging sie im Schneefall spazieren. Die Landschaft hatte etwas Beruhigendes an sich. Es mummelte sie ein in viel angenehmere Gedanken, wenn auch nicht fortwährend. Der Schnee lenkte sie letzten Endes bloß genügend ab, um nicht in stumme Verzweiflung zu verfallen. Ihre Gedanken waren immer dieselben.

Wieso hatte er sie fast geküsst?

War es Karins perfider Plan oder dem Zwecke seiner Belustigung dienlich?

Empfand er, gesetzt dem unwahrscheinlichsten Fall, etwas für sie?

Und wenn dieser schier unendlich unlogische Wahnwitz tatsächlich in einer demnach kranken Realität existent wäre—was würde sie dann tun? Diese Gedankengänge waren ihr die unliebsten, denn auf sie hatte sie die meisten paradoxen Antworten. Ja, nein, vielleicht, ich mag Kuchen.

"Ich mag Kuchen."

"Was du nicht sagst, Naruto."

Ach ja, sie war ja gar nicht alleine hier. Sakura hatte für einige Minuten tatsächlich vergessen, dass Naruto es war, der sie unbedingt hatte begleiten wollen. Sie hatten nicht viel Zeit miteinander verbracht, seit er mit Hinata zusammen war. "Wie kommst du jetzt schon wieder darauf?"

"Hast du mir nicht zugehört, Sakura-chan? Ich wollte wissen, ob Kuchen oder Kekse besser wären für die Feier unseres einmonatigen Jahrestags."

"Wenn, dann wäre es das einmonatige Jubiläum. Ein einmonatiger Jahrestag ist ein Paradoxon für sich, Himmel, du gehst auf die teuerste Privatschule Japans und dann sowas! Schande über dich. Nimm die Kekse, die sind erschwinglicher und außerdem steht Hinata total auf diese komischen Apfelcracker. Sie verfüttert sie immer an Aruko."

"Bitte wen?"

"Ihre Ratte, Aruko. Hamster…Maus, was weiß ich. Nejis Schlange wollte sie fressen, aber sie hat sie gerettet. Warum planst du überhaupt jetzt schon euer Einmonatiges? Ihr seid doch erst eine Woche zusammen. Das ist nicht der wahre Grund, wieso du mit mir kommen wolltest, nicht wahr?"

Naruto zuckte ertappt zusammen, sah peinlich berührt zu Boden und murmelte eine fahrige Entschuldigung. "Mir sind da einige Dinge zu Ohren gekommen, bei denen ich nicht weiß, was ich von ihnen halten soll." Er seufzte niedergeschlagen. "Weißt du noch, als wir damals in Tsunade-obaachans Büro mussten und so ein aristokratischer Kerl rauskam?"

Sakura musste kurz überlegen, denn sie konnte sich nur mehr vage daran erinnern. "Mhm."

Naruto nickte. "Scheinbar war das Hyūga Hiashi, Hinata-chans Vater. Ich…ich weiß nicht, was er genau wollte, aber es gibt Gerüchte, dass es um Hinata-chans Zukunft gehen soll."

Sakura schluckte schwer. Wusste er etwa, dass Hinata mit Sasuke verlobt war? "Naruto, hör zu, egal was du gehört hast, ich glaube nicht, dass wir—"

"Sie ist mit Sasuke verlobt", platzte es aus ihm heraus. Also wusste er es doch. "Zumindest sagen ein paar Leute das. Ich weiß nicht, ob ich es glauben soll. Ich weiß auch nicht, ob ich mit ihr darüber sprechen soll. Sie ist immerhin erst seit einer Woche meine Freundin. Es ist nur…ich kenne sie schon so lange."

"Naruto, wir sollten uns wirklich nicht einmischen", flüsterte Sakura unschlüssig, ob es das Beste wäre. "Rede mit Hinata darüber. Sie wird dir sagen, wie es ist und wie es wird oder werden könnte. Tu nichts ohne Gewissheit darüber."

"Es ist nur—sie ist vielleicht verlobt. Und dann auch noch Sasuke. Mein bester—ehemals bester Freund, der auch noch dich am laufenden Band verletzt."

Sie lachte hohl und gekünstelt. "Was meinst du denn damit schon wieder? Er verletzt mich gar nicht! Keine Sorge!"

Er schien ihr nicht zu glauben. Narutos ernster Blick war weiterhin auf den rauen Sand zu seinen Füßen gerichtet, auf dem er eng beieinander liegende Abdrücke neben Sakuras kleinen Füßen hinterließ. So ernst hatte sie ihn selten erlebt. "Ich habe heute Morgen was gehört."

"Und das wäre?"

"Du weißt doch, dass Sasuke bislan noch in meinem Zimmer gewohnt hat. Heute Morgen kam Karin fuchsteufelswild herein und hat ihn angeschrien. Angeblich hätte er dich geküsst. Dann hat sie ihn gezwungen, zu Suigetsu umzusiedeln."

Sakura wich seinem fragenden Blick gekonnt aus. Ihre Lippen schmeckten kalt, wie Eiswürfel, als sie darauf biss. "Es ist nicht wichtig."

"Doch, ist es. Ich dachte, du wärst darüber hinweg. Und dann macht er so einen Scheiß? Ich werde nicht zulassen, dass Sasuke meinen Freunden wehtut. Was ist passiert?"

"Das, was du gehört hast. Er hat versucht mich zu küssen, doch dann hat Karin angerufen. Ich bin aufgestanden und weggegangen. Es ist nichts passiert."

"Ja, außer dass Sasuke versucht hat dich zu küssen, Sakura-chan! Du kannst das nicht so auf dir sitzen lassen! Ich werde mit ihm reden und ihm klar machen, dass er dich nicht so behandeln kann! Dass er niemanden so behandeln darf! Er ist vielleicht reich, aber Herrgott nochmal, das gibt ihm keine Sonderprivilegien!"

"Leider doch, Naruto", unterbrach Sakura seine aggressive Ansprache. "Wer so viel Geld und gutes Aussehen hat, kann es sich zu jeder Tageszeit leisten, andere zu brüskieren. Lass es ruhen. Es macht mir nichts aus."
 

ɣ
 

Sasuke hatte knapp eine Stunde nach ihr gesucht. Das Problem war, dass ihm niemand helfen wollte. Sakuras Freunde waren wenig gewillt, ihm ihren Aufenthaltsort zu verraten, zumal sie ihn selbst nicht kannten. Nur durch Zufall hatte er sie an der Seite eines bekannten Blondschopfs Richtung Strand gehen sehen. Der Weg von dritten Stock ins Erdgeschoss über den Rasen und nach hinten raus zur rauen Küste kamen ihm trotz seiner hervorragenden Kondition länger vor als gewöhnlich. Als er unten ankam, waren die beiden bereits einige hundert Meter weitergekommen. Die Kälte brannte in seiner Kehle, sein Hals fühlte sich an wie ein Kühlschrank, dann erreichte er sie endlich.

"Sakura!"

Sie drehte sich überrascht um. Naruto neben ihr tat es ihr gleich. Während ihr Gesicht nicht mehr als Verwunderung preisgab, war seines von Wut durchzogen.

"Kann ich mit dir reden, Sakura?"

"Sprich sie nicht an!", fauchte Naruto, ehe sie antworten konnte. Er trat vor sie und hob schützend seinen Arm. "Ich möchte nicht sehen, wie du noch einmal in ihre Nähe kommst, klar? Halt dich fern von ihr und von uns allen! Überall wo du auftauchst richtest du Schaden an, also verzieh dich!"

"Ich habe nicht mit dir geredet", meinte Sasuke unberührt. Er hatte seine Fäuste zum Aufwärmen in seine Jackentasche gesteckt. Ein schwerer Fehler.

Der Schlag kam plötzlich, unvorhergesehen und hart. Sasuke fand sich mit pochender Wange im kalten Sand der Buch wieder, der unangenehm auf seiner Haut kratze. Naruto stand schwer atmend mit erhobener Faust über ihm.

"Ich weiß]", zischte er aufgebracht. Nur mit Mühe konnte er sich zurückhalten. Sakura hatte hinter ihm die Hände vor den Mund geschlagen. "Aber ich rede mit dir, verstanden? Ich möchte nicht, dass du meinen Freuden wehtust. Und das tust du gerade mit jedem Atemzug, den du nimmst. Wenn ich dich jemals wieder in irgendeiner Weise Unfrieden stiften sehe, schwöre ich bei allen Göttern, dass ich dich auseinandernehmen werde, so wahr mir meine Wut die Kraft dazu verleihe—und du weißt, dass du keine Chance gegen mich hast!"

In Sasukes Kopf schwirrte alles. Noch ehe er sich versah, ließ Naruto ihn mit dröhnendem Schädel zurück, Sakura mit sich zurück ins Internat zerrend.
 

"Was sollte das? ", hauchte sie fassungslos über das eben Geschehene. "Naruto! Lass mich los, du tust mir weh!"

Abrupt entließ er sie aus seinem strammen Griff um ihren Oberarm. In Narutos Augen brannte es heiß. Er hatte seinen ehemals besten Freund geschlagen. Seine Finger fühlten sich taub an, irgendwie falsch. "Ich will nicht, dass er dir wehtut, Sakura-chan."

"Naruto …"

"Versprich mir, dass du zu mir kommst, wenn er wieder gemein zu dir ist, okay? Du bist mir wichtiger als er und wirst es immer bleiben."

Sakura konnte nicht mehr an sich halten. Tränen brachen aus ihr heraus, während Naruto stumm mit gesenktem Blick und geballten Fäusten neben ihr herging. Sie weinte schweigend, ohne traurig zu sein. Sie war so vieles in dieser Sekunde—gerührt, aufgewühlt, verwirrt, aufgelöst, sprachlos—aber nicht traurig. Doch Naruto war es. Als sie damals traurig gewesen war, hatte er sie in den Arm genommen, sie getröstet und selbst wenn er nicht verstanden hatte, was mit ihr los gewesen war, ihr Mut gemacht und das Gefühl gegeben, dass alles wieder gut werden würde.

"Naruto …"

Sakuras Umarmung tat ihm gut. Auch wenn er sie kaum spürte, kaum ihre Arme um seine Brust wahrnahm, er wusste, dass sie da war. Die Wut auf Sasuke verebbte. Er hätte ihn sicherlich nicht geschlagen, hätte er nur Sakura Leid zugefügt. Aber er war mit Hinata verlobt—scheinbar—und das konnte er nicht ertragen. Selbst wenn Sasuke zumindest dafür keine Schuld traf. Er hatte alles so kompliziert gemacht, so schwer und so unhaltbar für sie—sie, die nichts mehr waren als in Watte gepackte Schüler, deren einzige Sorgen aus Schulnoten und den neuesten Schuhen bestehen sollten. Es war zu viel.
 

ɣ
 

Temari und Sayuri sahen Sakura sofort an, dass Sakura schlechte Laune hatte, als sie ins Zimmer kam. Sie wussten beide von dem Kussversuch, also fragten sie nicht nach.

"Ich hasse mein Leben!", murmelte Sakura niedergeschlagen, schlug die Zimmertüre zu und ließ sich auf ihr Bett fallen, neben dem auf ihrem Schreibtischsessel Sayuri wie auf Nadeln saß.

"Sag es endlich! Bitte, Temari! Was hat er gesagt?"

"Ich dachte, du würdest ihn nur mehr als Freund sehen?", neckte Temari sie. "Ich weiß von gar nichts, damit das klar ist. Gaara erzählt mir nie etwas, was an und für sich schon ziemlich frustrierend ist, aber in solchen Belangen schweigt er wie ein Grab. Tut mir leid, Sayuri, aber du musst ihn wohl selbst fragen."

"Um was geht es?", mischte Sakura sich neugierig ein. Jede Ablenkung war ihr recht.

Sayuri konnte sich ein dickes Grinsen nicht verkneifen. "Gaara hat mich heute vor dem Unterricht gefragt, ob ich in den Feiertagen zwischen Weihnachten und Silvester zu seiner Familie ins Ferienhaus komme. Als ich ja sagte, schien er erleichtert zu sein. Ich habe das Gefühl, dass die Sache zwischen uns noch nicht vorbei ist."

"Wenigstens das! Ich durfte heute mit ansehen, wie Naruto Sasuke verprügelte."

"Ja! Geschieht ihm recht!", jubelten Temari und Sayuri zugleich. Sie rissen die Fäuste in die Höhe, doch als sie Sakuras deprimierten Gesichtsausdruck sahen, stellten sie ihre Jubelrufe wieder ein. "Alles in Ordnung mit dir?"

Sakura grummelte, zog sich die Decke über den Kopf und schloss die Augen.

Ihr war nicht wohl. Diese ständigen Wechselkurse setzten ihr mehr zu, als sie gedacht hatte. Sasuke sollte doch für sie gestorben sein! Trotzdem war er präsenter, näher als jemals zuvor. Sie ertrug es nicht. Wie hätte sie auch, wenn ihr in diesem Jahr keine Minute Ruhe vergönnt sein mochte?

Wie lange sie so dagelegen hatte, wusste sie am Ende nicht mehr. Irgendwann war sie eingeschlafen und wachte erst wieder durch eine unbekannte Ursache auf. Der Mond stand hell am oberen Rand des Fensters, Temari schlief, Sayuri war gegangen und Sakura trug noch immer ihre Freizeitsachen, bestehend aus einer Jeans und einem dicken Pullover. Irgendjemand hatte die Heizung sehr hoch eingestellt, denn ihr war heiß in den dicken Sachen.

Gähnend schälte sie sich aus ihren Sachen, um in ihr Nachtkleid zu schlüpfen, da entsannt sie sich wieder, was genau sie geweckt hatte. Es war ein rhythmisches, seichtes Klopfen gewesen, das nur von der Türe gekommen sein konnte. Dorthin warf sie einen Kontrollblick und zog ihre müden Augenbrauen hoch, als sie einen weißen Umschlag am Boden liegen sah. Sofort beschlich sie ein ungutes Gefühl. Die letzten Male hatten dort Zeitungen mit nicht allzu erfreulichen Nachrichten gelegen—zweifelsohne von Karin drappiert. Welche Gemeinheit hatte sie diesmal wohl ausgeheckt?

Ohne recht zu wollen, tapste Sakura auf den an sie addressierten Umschlag zu. Ihr Name, der darauf geschrieben war, war eindeutig keiner Mädchenhandschrift entsprungen. Allerdings war sie auch nicht Narutos heilloses Geschmiere, der eher lautstark ins Zimmer gesprengt wäre. Sakura wusste nichts damit anzufangen, also machte sie im Halbschlaf das Kuvert auf, um seinen Inhalt zu entfalten. Es war ein schlichter Zettel, den sie flüchtig durchlas, ohne zu verstehen, was darauf stand. Schlaftrunken ließ sie sich wieder ins Bett fallen, den Brief achtlos in der oberen Lade ihres Nachttisches verstaut.
 

ɣ
 

Der nächste Tag begann damit, dass Sakura sich an einen wirren Traum erinnerte. Sie hatte einen Brief von Sasuke gefunden, in dem eine Entschuldigung stand. Das konnte nur ein abstruses Produkt ihrer realitätsfernen Fantasie gewesen sein. Damit war es gewiss: Sie war verrückt geworden. Der Traum hatte so echt gewirkt! Unfehlbar real! Hatte sie sich das wirklich nur ausgedacht und in ihrem Wahn als Wahrheit betrachtet?

Den ganzen Tag über war sie sich furchtbar unsicher. Sie konnte Sasuke im Vormittagsunterricht nicht einmal ansehen, ohne ein mulmiges Gefühl zu bekommen. Er warf ihr immer wieder auskundschaftende Blicke zu, als würde er eine Reaktion von ihr erwarten—als fürchte er sich vor einer. Vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. Hinata und Shikamaru schienen jedenfalls nichts zu bemerken. Als Sakura sie danach fragte, verneinten beide vehement.

Sakura war von ihrer eigenen Wahrnehmung wenig überzeugt. Und wenn es nur eine Millisekunde war, die sein Blick länger auf ihr ruhte, als nötig—es war mehr als notwendig! Sasuke machte das nie! Er machte nie mehr als nötig! Warum also?

Es ließ sie nicht los. Bildete sie es sich wirklich nur ein? War es vermutlich sogar reines Wunschdenken, das ihr eine Wandlung seiner Sympathie ihr gegenüber implizierte? Das konnte nicht sein. Sie war über ihn hinweg. Und doch war es nicht genug, um ihre Gedanken auf anderes zu lenken.

Das Ende des Unterrichts ließ lange auf sich warten. Sakura konnte es kaum erwarten, endlich aus Sasukes Blickfeld zu verschwinden. Es war ihr unangenehm, von ihm angestarrt zu werden, als sei sie es, die etwas Falsches gemacht habe—als hätte sie die Macht, etwas dagegen zu tun.

Als sie endlich vom letzten Glockenschlag erlöst wurde, hatte sie nicht einmal mehr Lust, etwas zu essen. Die Situation schlug ihr aufs Gemüt. Sie entschuldigte sich vom Essen, um sich vor dem Nachmittagsunterricht hinzulegen.

"So etwas Dummes", murmelte sie in ihrem Zimmer. "Warum sollte er dich anstarren, Sakura? Du bildest dir nur ständig solches Zeug ein, weil ein Teil von dir sich wünscht, dass du dich an ihm rächen kannst für seine grausamen Spiele. Und was wäre geeigneter, als wenn du seine Aufmerksamkeit oder gar noch mehr hättest? Aber so spielt das Leben nun einmal nicht, hörst du? Ich rede mit mir selbst. Wie traurig."

Sie seufzte und zog ihre Schublade aus, um sich den Roman zu nehmen, den sie las, wenn sie nicht einschlafen konnte. Doch da war kein abgegriffenes Taschenbuch, zumindest nicht auf den ersten Blick. Da war ein Umschlag, auf dem ihr Name stand. Ihr Traum! Dann hatte sie es sich also doch nicht eingebildet!

Wagemutig hob sie, sich mit der einen Hand ans Herz fassend, mit der anderen das Kuvert auf. Sie las den Inhalt aufmerksam mehrmals, ehe sie fassen konnte, was darin stand. War das sein Ernst?
 

Ich hätte nicht versuchen dürfen dich zu küssen; ich weiß nicht, warum ich es tat. Wenn es ginge, würde ich es ungeschehen machen. Es tut mir leid.

Sasuke.
 

Was genau sie daran traf, wusste sie nicht. War es die Unfassbarkeit, dass Uchiha Sasuke sich entschuldigt hatte? Oder war es die Tatsache, dass es für ihn als Fehler anmutete, sie fast geküsst zu haben? Sie hätte es zu gerne gewusst. Aber sie hatte eine Entschuldigung und das ließ ihr Herz in freudiger Erwartung schlagen. Sie hatte einen weiteren Sieg gegen Sasuke errungen. Er hatte sich für einen Fehler entschuldigt, den er begangen hatte! Das hatte sie schwarz auf weiß.

Als sie verstand, was das bedeutete, war es plötzlich egal, wieso er sich entschuldigt hatte. Sollte er sie als Fehler gesehen haben, was kümmerte es sie? Sie hatte alles, was sie in den letzten Monaten gewollt hatte: Sie hatte seine übersteigerte Arroganz gebrochen und ihm die perfekte Fassade voll anmaßendem Stolz vom Gesicht gezerrt! Oh ja, das war besser als eine Endorphinspritze!
 

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Night Calls And More Doom


 

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Sakura verbrachte die nächsten Tage in dieser fortwährend andauernden Hochstimmung, die all ihren Freunden ein Dorn im Auge war. Zu gerne hätte jeder den Titel des glücklichsten Menschen in Miya-So für sich beansprucht; das Recht dazu hatten sie allesamt.

Hinata war noch immer auf Wolke Sieben, auf der auch Naruto den Großteil seiner Freizeit verbrachte, wenn er nicht von irgendjemandem zum Lernen getreten wurde. Ino hatte in Sai einen guten Zuhörer gefunden, der sich ihren Fängen kaum mehr entziehen konnte, was ihrem Ego und damit ihr selbst mehr als nur Balsam auftrug. Sai konnte sich im Gegenzug damit rühmen, das heißeste Mädchen des Internats an seiner Seite zu haben, was an und für sich keine ausreichende Entschädigung für diesen Typ Frau darstellte, mit dem seine stille Art nur mäßig konform ging. Ihm war es letzten Endes egal, womit auch er glückselig seine Tage fristete. Shikamaru war endlich aus den Fäden dieser vermaledeiten Liebesgeschichte mit Sakura freigekommen, ohne großen Schaden zu nehmen und Gaara—nun ja, Gaara war sein eigenes Buch mit vielen Kapitel auf Althochchinesisch geschrieben, das kein Mensch auch nur annähernd verstand. Er und Sayuri verbrachten neuerdings mehr Zeit miteinander, als es sich gehörte, aber die Allgemeinheit störte sich kaum daran. Im Gegenteil vermutete sie sogar ein neuerliches Aufkeimen alter Gefühle, was Sakura und Temari von vornherein klar gewesen war. Ach ja, Temari…sie sonnte sich einfach in den Glücksgefühlen ihrer Mitmenschen und genoss es, Sakura womöglich irgendwann als Schwägerin begrüßen zu dürfen.

Ehe man sich versah, waren die Zimmer des Wohnheims leer, die Weihnachtsferien angebrochen und ehe man sich ein zweites Mal versah, war alles auch schon wieder vorbei. Nur mehr die Weihnachtsdekoration und ein Foto auf Sakuras Mobiltelefon, erinnerte sie an die harmonische Zeit, die ihre Mutter mit so viel Hingebung und Liebe ausgestattet hatte, dass alle Eheprobleme und Familienkrisen für wenige Tage beiseitegeschoben worden waren.

Dieses Foto sah sie seit über einer halbe Stunde an. Sie hatte zu Weihnachten eines dieser überteuerten Touchscreen Handys mit weiß der Teufel wie vielen Farben und unmenschlich guter Auflösung geschenkt bekommen. Ein Geschenk, auf das sie gerne verzichtet hätte, denn es diente dem Zweck der Videotelefonie mit ihren Eltern, was sie als wenig wünschenswert erachtete und mehr noch als überhaupt gar nicht erst erstrebenswert. Einen Vorteil hatte das edle—und unnötige—Teil wenigstens: Sie konnte die Fotos, die sie zuvor geschossen hatte, stundenlang anstarren. Das Foto, dem nun gerade ihre Aufmerksamkeit gehörte, war ein Gruppenfoto, dass die Sabakunos und die Harunos zeigte, wie sie friedlich um einen reich gedeckten Frühstückstisch saßen. Gaara, der das Foto nicht mitbekommen hatte, saß an Sayuris Seite und bedachte sie mit einem dieser Blicke, was gleichzeitig auch der Grund für Sakuras Starrorgie war. Sie konnte sich nicht recht entscheiden, ob sie es gut finden sollte. Sayuri jedenfalls machte ein großes Geheimnis aus allem, was während des Aufenthalts im Ferienhaus passiert war. Dass etwas geschehen war, war klar ersichtlich. Was, war hier die einzige Frage. Sayuri würde schon wissen, was sie tat und Gaara war kein schlechter Kerl.

Sakura vertrieb die ins Nichts führenden Gedanken mit einem resignierenden Seufzer. Wieso dachte sie darüber nach? Ach ja, richtig. Wenn sie sich nicht damit ablenkte, müsste sie über etwas anderes nachdenken und das wäre zweifelsohne Sasuke—ein für sie längst leidig gewordenes Thema. Ob er gerade mit Karin in Tokio die Ferien verbrachte? Sakura bildete sich ein, beiderlei Elternhäuser in der Hauptstadt zu wissen. Natürlich, immerhin wohnte fast jeder hier. Nun, nicht gerade aus ihrem Freundeskreis—das waren nämlich nur die Sabakunos, Shikamaru und sie selbst—aber einen Uchiha konnte sie sich nirgends anders vorstellen, als im nobelsten Viertel des teuersten Stadtteils der kostenintensivsten Stadt Japans.

"Ah!", grummelte sie missmutig und drehte sich auf ihrem Himmelbett zur Seite. Genau das hatte sie gemeint! Nun sinnierte sie schon, wo Sasuke wohl leben mochte. Als wäre ihr das nicht sowas von egal! Mit sich selbst schimpfend, zog Sakura sich ihr Nachthemd an, warf sich in das breite Bett zurück und verbarrikadierte sich unter ihren beiden Decken vor der Außenwelt. Unter dem Schutz des Stoffpanzers, spürte sie ihren warmen Atem auf ihrem Handrücken, mit dem einhergehend auch die gesamte Temperatur um sie herum anstieg. Ihre Augen geschlossen haltend, genoss sie die wohlige Wärme, als ihre Gedanken erneut abschweiften—diesmal in eine andere Richtung, die sie später nicht mehr rekonstruieren konnte.
 

Eingeschlafen war sie schlussendlich gegen neun Uhr. Eine sehr frühe Zeit mochte manch einer meinen, aber wer sogar in den Ferien für eine schier nicht zu schaffende Prüfung lernte, der durfte sich diese Freiheit herausnehmen. Viel mehr Glück als das, war ihr ohnedies nicht vergönnt.

Ein Klingeln bahnte sich seinen Weg durch sämtliche Decken und Kissen, die Sakura über sich gelegt hatte. Es drang schleichend an ihr Ohr, wo der bekannte Klingelton, den sie bereits seit Jahren hatte, im satten Klang ihres neuen Telefons ihre wohlverdiente REM-Phase unterbrach und sie sanft aus dem Traumland lockte.

Sie warf kraftlos allen Stoff über sich zur Seite, um zu eruieren, woher das Klingeln kam. War es denn schon Morgen? Hatte sie sich einen Wecker gestellt? Nein. Es war dunkel, stockfinster mochte man sagen. Erschöpft von dem schweißtreibenden Unterfangen der Deckenbeseitigung, gab sie selbiges schnell wieder auf und ließ sich stöhnend zurück auf die Matratze fallen, die sie sanft auffing und in neuen Schlaf führte.

Das Klingeln hörte nicht auf. War sie überhaupt wach? Erst dachte sie, es würde einer wirren Träumerei entspringen, doch die Vibration konnte sie sich nicht einbilden. Es dauerte acht Töne lang, bis sie schlaftrunken nach dem Mobiltelefon langte, das friedlich surrend auf dem Nachttisch neben ihrem Bett lag. Die ersten beiden Greifversuche schlugen fehl; sie war es einfach nicht gewöhnt, Zuhause aufzuwachen. Der dritte Versuch war ein Erfolg. Mit kaum geöffneten Augen, erhaschte sie eine verschwommene Sicht auf eine ihr unbekannte Nummer.

"H-Hallooo?", murmelte sie gähnend in den Lautsprecher. Sie hatte das Gerät falsch herum zum Ohr geführt, was sie nicht bemerkte. Erst kam keine Antwort, sondern nur ein seltsames Brummen vor Straßenlärm.

"Hallo-o?", nuschelte sie erneut. So richtig wach war sie immer noch nicht. Wenigstens bekam sie endlich eine Antwort.

"Sakuraaa?"

Es war eindeutig Sasukes Stimme. Ohne groß zu überlegen legte Sakura auf. Das war doch ein schlechter Scherz! Wieso rief er sie bitte um—ihr Blick huschte zum Wecker—zwei Uhr morgens an? Der konnte was erleben, sobald sie morgen früh wieder zurechnungsfähig war! Ihr einfach so den Schlaf zu rauben—der hatte ja Nerven! Wenn er jemanden verarschen wollte, dann bitte jemand anderes!

Es vergingen drei Minuten, in denen Sakura keinen Schlaf fand; im Gegenteil: Sie wurde immer wacher und langsam beschlichen sie Sorgen. Wieso hatte er angerufen? Warum hatte er so komisch geklungen? Sasuke war nicht der Typ, der Menschen auf die Schippe nahm. Er besaß so gut wie keinen Humor. Wenn er sie um zwei Uhr früh anrief, musste etwas dahinterstecken.

Die Verwirrung wurde immer größer, bis sie keine vier Minuten später nach dem Telefon langte und die Wiederwahl drückte. Es ertönten fünf Freizeichen, ehe jemand abhob, ohne sich zu melden. Statt seinen Namen zu sagen, ließ Sasuke scheinbar sein Handy fallen, denn Sakura hörte nur ein Scheppern und einen laute Fluch am anderen Ende der Leitung.

"Sasuke, bist du das?"

"Mnm …"

"Sasuke?"

"Ja?" Er nuschelte und lallte und murmelte und das alles zugleich. "Saaakura-chan?"

"Spar's dir. Was willst du? Bist du etwa betrunken?" Er gab keine Antwort. "Jetzt hör mir mal zu, du sagst mir jetzt sofort, was du willst, sonst hau ich dir eine rein, wenn wir uns das nächste Mal sehen. Wer mich grundlos aus dem Schlaf klingelt, sollte mich nicht auch noch zum Narren halten!"

Auf der anderen Seite war es kurz ruhig, dann ertönten beinahe zeitgleich ein Knallen und wieder ein Fluch, diesmal aus Schmerz. Dann fiel eine Tür zu. War er etwa gegen eine Tür gelaufen? Das Handy hatte er jedenfalls noch, denn sie konnte seinen schweren Atem hören.

"Sagst du mir jetzt bitte, was los ist?"

"Hol—Hol mich bitte ab." Sasukes Stimme klang ein wenig klarer, beherrschter, aber er musste sich scheinbar stark konzentrieren, denn er sprach langsam. "Bitte."

"Wo bist du?"

"Vor einer Bar." Ein leichtes Lallen war trotzdem noch zu hören. Außerdem hörte er sich an, als müsse er sich gleich übergeben.

"Vor welcher?"

"Tokio."

"Ha-ha." Sakura war drauf und dran, wieder aufzulegen, aber sie konnte ihn doch jetzt nicht einfach im Stich lassen. "Tokio ist groß. Wo ist Karin? Warum rufst du sie nicht an?" Darauf gab er keine Antwort. "Klasse. Deine Freundin lässt du schlafen, aber ich bin dir ja nicht wichtig genug, dass du mir meinen Schlaf gönnst. Herzlichen Dank. Wie heißt die Bar? Nein, vergiss es, ich kenne mich mit Bars sowieso nicht aus. In welchem Stadtteil bist du?"

Sasuke schien zu überlegen; sehr lange. Es dauerte beinahe eine Minute, ehe er einer Antwort fähig war. "Shinjuku. Glaub ich."

"Welcher Bezirk?"

"Shinjuku."

Ihr Griff um das Telefon verfestigte sich. "Willst du mich verarschen oder meinst du direkt den Bezirk Shinjuku Stadt?"

"Stadt."

"Gut." Sie atmete tief ein, um nicht die Kontrolle über sich zu verlieren. "Bist du vor einer Bar?" Keine Antwort. "Sasuke, wenn du nickst oder den Kopf schüttelst, dann sehe ich das nicht durch das Handy."

"Ja. Ich wollte reingehen, aber es ging nicht." Also war er doch gegen eine Tür gelaufen. Herrlich, einfach herrlich. Und sowas um zwei Uhr früh!

"Was siehst du auf der Straße? Sag mir einen markanten Punkt. Ist da ein großes Gebäude, das du kennst, oder ein Straßenschild?", fragte sie ungeduldig. Shinjuku war groß. Auf gut Glück loszugehen, wäre sinnlos.

"Da ist ein…ein…großes Haus." Nun bekam er auch noch Schluckauf. "An einer Ecke. Es ist grau und hat Fahnen oben drauf."

"Sasuke, alles ist bei Nacht grau." Sie unterdrückte erneut den Drang, einfach aufzulegen. Da fiel ihr etwas ein. "Meinst du das Kaufhaus von Isetan im dritten Viertel?"

"Möglich."

"Okay. Versuch wieder in diese Bar reinzugehen, ich hole dich von dort ab. Sasuke, hörst du? Geh in diese Bar und warte auf—"

Er hatte wortlos aufgelegt.

Sakura wollte keine Gedanken daran verschwenden, ihn als unhöflich oder undankbar zu bezeichnen. Shinjuku war zwar eine teure Gegend, aber sie war genauso gefährlich wie jede andere. Ein Betrunkener war leichte Beute für Straßenräuber oder ein herannahendes Taxi. In Windeseile griff sie sich die erstbeste Kleidung, warf sich Schal und Mantel um und rief ein Taxi. Vielleicht hatte sie ja Glück und er lief genau vor ihres …
 

ɣ
 

Die Harunos wohnten in Hibiya, einem schönen Bezirk in Chiyoda, der nahe dem kaiserlichen Garten lag, auf den sie aus ihrem Wohnzimmer direkten Blick hatte. Der nächste Vorteil Chiyodas war, dass es gleich an Shinjuku grenzte, weswegen sie nicht lange brauchte. Das Kaufhaus von Isetan war ein beliebtes Ziel von ihr und ihrer Schwester, wenn sie in den Ferien den Fängen ihrer gluckenhaften Mutter zu entkommen versuchten. In nur einer viertel Stunde war sie endlich angekommen, nachdem schlicht alle Ampeln gegen sie gewesen waren.

"Warten Sie bitte hier", wies sie den Fahrer an, der freundlicherweise sogar das Taxameter abstellte, während er warten musste. Sakura deutete eine leichte Verbeugung an, dann suchte sie die Umgebung nach einer Bar ab, die noch geöffnet war. SAsukes war nicht schwer zu finden, denn es war die einzige, vor denen seltsame Abdrücke im Schnee waren.

Sakura fasste sich ans Herz. Sie war noch nie um solch eine Uhrzeit in eine Bar gegangen. Was das wohl für einen Eindruck machen musste? Vor allem in ihrem Aufzug. In ihrer Hektik hatte sie blaue Schuhe zu einem braunen Mantel angezogen—ein modischer Fauxpas! Andererseits, wer hier um diese Zeit noch saß, hatte entweder einige Promille oder ganz andere Probleme—oder erstes wegen zweiterem. Daran mochte Sakura gar nicht denken! Sasuke in einer solchen Gesellschaft! Selbst wenn sie ihn nicht leiden konnte.
 

"Hey, ist das deine Freundin, die du anrufen wolltest?"

Sasuke hob seinen schweren Kopf, der Minuten zuvor geräuschvoll auf dem Tisch gelandet war. Auf seiner Wange war ein Bierdeckel, der sich mithilfe klebriger Flüssigkeiten mit seiner Haut zu verbinden versuchte.

"Ist sie das?", wiederholte der Barkeeper mit Nachdruck. Solche Gäste waren nicht selten. Er wandte den Blick zu der jungen Dame, die suchend den Blick schweifen ließ. "Entschuldigen Sie, Miss! Ist das Ihrer?" Er deutete auf Sasuke. Der jungen Dame schlief schlagartig das Gesicht ein. Ein Ausdruck des Entsetzend huschte darüber, begleitet von Wut und Empörung, die im Gegensatz zu dem Schock präsent blieb. Das war Schema F; genau das, was er jeden Abend mit diesen reichen Kerlen durchmachen musste. Und zwar nicht nur einmal pro Nacht. Was tat man nicht alles, um in einer solch edlen Bar in einem solch noblen Bezirk arbeiten zu dürfen.
 

Sakura wusste nicht genau, wie sie sich fühlen, geschweige denn verhalten sollte. Was tat man mit einem Betrunkenen? Jedenfalls musste sie zu ihm gehen. Sich einfach umzudrehen war keine Lösung, wenn der Barkeeper sie schon bemerkt hatte.

"Haben Sie vielen Dank, dass Sie auf ihn aufgepasst haben", meinte sie mit einer seichten Verbeugung, als sie neben Sasuke stand. Er war bereits wieder in sich zusammengesunken und schlief schnarchend.

"Hab' ich nicht, Miss. Diese Betrunkenen haben einen eigenen Gott, der sie beschützt. Solchen Leuten passiert nie etwas."

Sakura verzog den Mund zu einem zynischen Lächeln. "Ja, so ist es wohl. Sasuke?" Sie stupste ihn sachte an, doch es half nicht viel. "Hey, Sasuke, wach auf. Komm schon, wir gehen jetzt nach Hause. Sasuke!" Mit mehr Kraft in der Faust schlug sie ihm gegen den Kopf, der sofort hochzuckte. Sasuke sah sie aus trüben, zittrigen Pupillen an. Es fiel ihm sichtlich schwer, seinen Blick zu fokussieren.

"Sa…ku…ra", nuschelte er.

"Welch Erkenntnis!", konterte sie erbost. "Steh auf. Kannst du das denn überhaupt?" Ohne eine Antwort abzuwarten, zerrte sie ihn grob am Arm hoch. Sasuke half nur wenig mit, aber immerhin genug, um nicht wieder hinzufallen.

"Wohin…gehen wir, Saku…" Der letzte Teil ging in einem Schluckauf unter, der sich hielt, bis Sakura ihn mit einem unsanften Stoß auf die Rückbank des Taxis verfrachtet hatte.

"Wir gehen jetzt heim, verstanden? Sag mir deine Adresse." Zu sich konnte sie ihn immerhin nicht lassen. Ihre Eltern würden ausflippen!

Sasuke wusste seine Adresse nicht. Er brabbelte irgendwelche Zahlen und Buchstaben, die wenig bis gar keinen Sinn ergaben und in ihrer Gesamtheit nutzlos waren. Verzweifelt wandte sie sich an den Taxilenker. "Wissen Sie, wo die Privatklinik in Chiyoda ist?"

"Natürlich", brummte der dickliche Mann mit Bart vom Fahrersitz. "Haben Sie denn genügend Geld dafür dabei? Zehntausend Yen werden es wohl mindestens werden."

"Das ist okay. Die Schnapsdrossel in Krawatte zahlt."

"Sake", murmelte Sasuke plötzlich im Halbschlaf. "Hab' Sake getrunken."

"Ja. Und Sake ist kein Schnaps?" Sakura fuhr sich an die schmerzende Stirn, ohne weiter darauf einzugehen. Was hätte es auch gebracht? Der Taxifahrer dachte sich seinen Teil ohnehin schon und sie selbst gab sich gerade auf. Zumindest für diese Nacht.
 

Uchiha Sasuke zu irgendwas zu bewegen, war eine Schwierigkeit an sich. Doch einen betrunkenen Uchiha Sasuke dazu zu bringen, still auf einer Wartebank im Empfangsbereich der Privatklinik zu sitzen, überstieg ihre Vorstellungskraft bei weitem—zumindest, wenn sie sich jemals eine solche Situation vorgestellt und ihren Schwierigkeitsgrad bemessen hätte.

Die einzige Lösung, die ihr auf die Schnelle eingefallen war, war Sasukes Unterbringung in einem unbelegten Krankenbett dieser Klinik. Niemand würde etwas erfahren und die Schwestern hatte sie bereits vor Jahren als zuckersüßes Kind um den Finger gewickelt. Welcher Krankenpfleger konnte einem kleinen Mädchen denn schon widerstehen?

"Suzume-san, kannst du mir wohl einen Gefallen tun?", fragte sie die braunhaarige Empfangsdame im Flüsterton. Entschuldigend lächelnd warf Sakura einen Blick zu Sasuke nach hinten. "Mein Bekannter kann nicht zu sich nach Hause und bei uns kann er auch nicht bleiben. Könnte ich ihn wohl hier für eine Nacht unterbringen? Es geht ihm nicht gut und in der Nachtschicht kommen doch ohnehin kaum neue Patienten hinzu."

Suzume sah die Bittstellerin überlegend an. "Du weißt, dass ich großen Ärger deswegen bekommen kann. Ich möchte nicht, dass mit fünfundzwanzig meine Karriere endet. Zimmer 312 ist frei. Aber lass dich bloß nicht erwischen, hörst du?"

"Danke! Du hast was bei mir gut." Sakura nickte dankend, ehe sie zurück zu Sasuke ging, der drauf und dran war, wieder einzuschlafen. "Hier wird nicht geschlafen. Los, steh auf."

Sie zerrte an seinem Unterarm, um ihn aufzuziehen. Sein leblos schunkelnder Kopf fiel knacksend zur Seite und sie dachte schon, sie hätte ihm das Genick gebrochen. Doch der reißende Schmerz schien ihn wachgerüttelt zu haben, denn er sah Sakura aus rot unterlaufenen Augen an.

"Ich schwöre dir, Sasuke…", murmelte sie säuerlich.

Nach einer schieren Endlosigkeit—gut einer viertel Stunde—lag Sasuke schmatzend in einem frisch bezogenen Krankenbett. Es dauerte keine weitere Minute und er war friedlich eingeschlafen.

"Wie ein Kleinkind", stellte Sakura matt fest. Ob sie damit sein Benehmen oder sein unschuldiges Schläfchen meinte, wusste sie selbst nicht. Wenigstens war sie ihn los. Sie konnte endlich ihren wohlverdienten Schlaf fortsetzen. Doch erst musste sie sich in den cremefarbenen Sofasessel an der Wand fallen lassen. Ihre Füße waren schwer wie Blei, ihre Arme lasch wie Gummi und ihre nervliche Stabilität bei null. Wenigstens hatte sie einen hervorragenden Vorgeschmack auf das Arbeiten als Ärztin. Das machte sie innerlich irgendwie stolz. Sie hatte Geistesgegenwart bewiesen, hatte gut reagiert und dabei noch nicht einmal einen Moment lang ans Aufgeben gedacht. Ob das nur an ihrem Wunsch Ärztin zu werden lag?

"Natürlich!", mahnte sie sich leise. "Was sollte es denn sonst sein? Dieser betrunkene Vollidiot, dem Spucke aus dem Mundwinkel rennt etwa? Niemals. Und sowas schimpft sich Uchiha. Ich wette, so hat ihn noch nie jemand gesehen."

Das brachte sie auf eine Idee. War sie wirklich so gemein? Natürlich. Wer hätte der süßen Versuchung schon widerstanden nach alldem, was sie heute Abend durchgemacht hatte? In Windeseile und schleichend wie ein Ninja—obwohl sie trampeln hätte können wie ein Nilpferd, Sasuke schlief felsenfest—pirschte sie sich an und hörte wenig später selig mit sich und der Welt ein Klickgeräusch. Dieses Foto—neues Handy sei Dank!—würde ihr sicherlich öfters die Tage versüßen.

Stöhnend ließ Sakura sich nach vollendeter Missetat in das bequemen Polstermöbel zurückfallen. Sie fasste sich an die Stirn, was nur mäßig gegen das müde Pochen in ihrem Kopf half. Sie war so müde, so erledigt, so kaputt. Alles tat ihr weh und Sasuke beim Schlafen zu beobachten, machte auch sie träge. Nur fünf Minuten. Nein! Das durfte sie nicht! Sie wollte einfach nur nach Hause, bevor sie hier in unbequemer Pose nächtigte. Der Konfrontation mit Sasuke mochte sie lieber aus dem Weg gehen.

Schweren Beines erhob sie sich. Dennoch kam sie nicht umhin, Sasuke einen Kontrollblick zu schenken. Er schnarchte schwer vor sich hin, seine alkoholgetränkten Stirnfransen klebten an seiner Stirn und der dünne Speichelfluss benetzte in ekelhafter Kontinuität den weißen Bettüberzug. Jetzt wusste Sakura wenigstens, dass sie lieber Ärztin werden wollte, denn Krankenschwester.

"Schlaf gut", hauchte sie zweifelnd, ob man das mit solch einem Alkoholpegel überhaupt konnte.

"S…Sakura…" Es war ein leidvoll in die Länge gezogenes Gähnen, viel eher einem Verzweiflungsruf ähnlich, als einem Namen. "Bleib…bitte", nuschelte er in sein Kissen.

Sakura wandte den Blick gemeinsam mit ihrem Körper ab. Sie dachte ja gar nicht daran! Aber da hatte Sasuke bereits ihr Handgelenk gepackt—zugegeben, er berührte es leicht. Dass er getroffen hatte, war für sich ein Wunder des Herrn.

"Sasuke, lass mich los", forderte Sakura ihn griesgrämig auf. Sasukes Hand blieb. Sie hätte sie mit Leichtigkeit abschütteln können, sein Griff war noch nicht einmal geschlossen. Etwas hielt sie davon ab. Etwas in ihr stieg auf die Bremse. Es war ihr Gewissen und ihre Empathie. Wenn sie in einer solchen Situation wäre, würde sie auch nicht alleine irgendwo aufwachen wollen.
 

Also blieb sie.

Sie zog sich den Couchsessel ans Bett und nur wenige Minuten später sackte ihr Kopf auf Sasukes Bett und ihr Bewusstsein ins Land der Träume, ihr Handgelenk haltsuchend von Sasukes kraftlos erschöpften Fingern umfasst.
 

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Tang And Talk


 

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Was genau Sakura erwartete, als sie am nächsten Morgen erwachte, wusste sie beim besten Willen nicht. Sasuke schlief seelenruhig und sie langweilte sich zu Tode. Sie war die ganze Nacht hier gewesen, da konnte sie auch warten, bis er aufwachte. Sie war immerhin kein Unmensch und für Narutos Ausraster wollte sie sich auch entschuldigen. Die Sache mit dem Brief war ebenfalls noch im Raum. Sie wollte es endlich klären. Und es gab noch einen weiteren Punkt, den sie gerne besprochen gehabt hätte.

Bis Sasuke aufwachte, musste noch eine Ewigkeiten vergehen. In der einen klingelte Sakuras Mobiltelefon. Dabei erhaschte sie einen kurzen Blick auf die Uhr—bereits halb neun!

"Hallo Schwesterherz. Was ist los?"

"Mir scheint, du bist los!", fauchte Sayuri durchs Telefon, sodass Sakura die Augen zusammenkniff. Die Schelte ging weiter. "Mama rennt wie eine Wilde durch unser Appartement und will die Polizei anrufen, weil du nicht da bist, ohne gesagt zu haben, wohin du gehst! Sie hat bereits bei den Sabakunos angerufen, weil sie dich bei Temari vermutet hat, aber da warst du nicht! Und du kannst dir denken, dass Gaara wenig geneigt war freundlich zu sein, wenn ihn eine verrückte Henne in den Ferien um acht Uhr aufweckt und ihm ins Ohr brüllt!"

"Warum hast du ihn nicht angerufen?" Schlagartig wurde es auf der anderen Seite ruhig. Sayuri räusperte sich und murmelte, das habe nun gar nichts damit zu tun. Sakura nutzte die neu gewonnene Ruhe. "Es war nicht geplant. Sasuke rief mich an, um ihn abzuholen. Er war betrunken, also hab ich auf ihn aufgepasst. Erzähl das bloß keinem. Ich habe ein Foto gemacht. Was hast du Mama gesagt?"

"Dass du einen Spaziergang machst, weil du nicht schlafen konntest. Du hast es mir gesagt, weil du Mama und Papa nicht wecken wolltest. Ich hoffe, das war in deinem Sinne. Wo bist du überhaupt?"

"In Papas Krankenhaus. Sasuke schläft noch. Ich werde ihn gleich wecken und wegbringen, dann komme ich nach Hause. Triffst du dich heute mit Gaara?"

"Okay, das ist gut, sonst rastet Mama völlig aus und ja, ich tre—hey! Was geht dich das an und woher weißt du das?"

"Sayuri, mein Herz, das weiß jeder, der Augen im Kopf hat. Hast du Temari wenigstens ausrichten lassen, dass ich mich heute mit ihr treffen wollte? Wir brauchen beide neue Schuluniformen wegen den Abschlussfotos und wollten heute hingehen."

"Für was hältst du mich denn? Ich vergesse sowas nie! Beeil dich bitte. Mama ist total am abdrehen. Tschüß."

Sakura drückte den Anruf mit einem Lächeln im Gesicht ab. Sie drehte sich um, um Sasuke zu wecken—beim Telefonieren war sie aufgestanden und herumgegangen—aber er war schon wach. Nun, zumindest bei Bewusstsein.
 

Sasuke ging es elend und so sah er auch aus. Seine Augen waren noch immer gerötet, seine Lider geschwollen, sein Haar verlegt und sein sonst schon unnatürlich heller Teint aschfahl bis leichenblass.

"Du lebst ja wieder. Auch wenn du nicht so ausschaust", stellte Sakura trocken fest. "Wie geht's dir?"

Sasuke schien mit so viel Input überfordert zu sein. Er hatte es nur geschafft sich ein stückweit aufzusetzen. Sein träger Blick wanderte seine Umgebung langsam ab, bis er an Sakura hängen blieb.

"Wo bin ich?"

"Im Krankenhaus. Nicht offiziell, du hast hier nur geschlafen. Wenn wir ohne Aufsehen verschwinden, wird es keiner erfahren. Was hast du getrunken?"

Sasuke versuchte sich zu erinnern; es schlug offensichtlich fehl. "Keine Ahnung", antwortete er langsam. Das Sprechen schien ihm viel Mühe abzuringen. "Mir ist schlecht."

"Darf ich dich zitieren? Es ist nicht so, dass ich ein antriebsloser, arbeitsloser Alkoholiker wäre, der sich in einem billigen Motel betrinkt, weil er das Leben nicht erträgt. Deine Worte."

"Wieso merkst du dir so einen Schwachsinn?"

"Nennt man Intelligenz. Betrunken bist du nicht mehr, oder?" Er nickte. "Gut. Dann kann ich dir ein paar Fragen stellen?" Erneutes Nicken. "Der Brief, in dem du dich entschuldigt hast—warum hast du es mir nicht persönlich gesagt?"

"Ich wollte, aber …"

"Naruto. Natürlich. Es tut mir leid, was er getan hat. Du hast einiges verdient, aber bestimmt nicht das. Selbst wenn Naruto es nicht zugibt, auch ihm tut es leid. Ich hoffe nur, du verstehst, warum er es tat." Sasuke nickte wieder. Das war die einfachste Bewegung, die er zustande brachte. "Dann hab ich noch eine Frage. Was ist mit dir und Hinata?"

"Was soll sein?"

Ah, er stellte sich dumm. Sakura hatte nicht vergessen, dass Hinata mit Sasuke verlobt war. Aber ob auch er das wusste? "Hinata hat mir vor einiger Zeit etwas erzählt, das eine mögliche…Verbindung zwischen euch beiden betrifft."

"Die Verlobung?"

Er kapierte schnell, also konnte es ihm nicht allzu schlecht gehen. "Das meine ich. Du weißt, dass sie mit Naruto zusammen ist. Sie sind das ideale Paar, also werden sie irgendwann heiraten und Kinder kriegen. Allerdings nicht, wenn ihr bereits verlobt seid. Noch ist es kein Problem, immerhin denkt keiner von euch beiden ans Heiraten, aber ich möchte nicht, dass die Situation mal eskaliert."

"Was meinst du damit?" Sasuke sah sie fragend an.

"Ich meint nicht, ich verlange", korrigierte Sakura streng. "Wir sind nicht mehr im Mittelalter, in dem der Vater die Tochter irgendjemandem versprechen konnte. Hinata kann heiraten, wen sie will. Aber es wäre sehr viel angenehmer, wenn du die Verlobung lösen würdest. Immerhin bist du mit Karin zusammen und für einen Mann ist es immer leichter, solche Dinge zu beenden—"

"Halt mal die Luft an", unterbrach Sasuke sie unwirsch. Er hielt sich schnell eine Hand vor den Mund, unterdrückte den Drang, sich zu Übergeben, aber mindestens genauso schnell. "Entschuldige. Mein Magen rebelliert gegen den Sake. Was ich sagen wollte, ist, dass du das alles überbewertest. Sakura, wach auf. Du machst ständig solch ein Drama um alles. In Amerika gehen sie viel lockerer damit um. Da bedeutet eine Verlobung selbst mit einem Ring noch nicht viel. Unsere Väter haben mal darüber geredet, dass es eine gute Idee wäre, ihre Sprösse zusammenzubringen, aber von einer offiziellen Verlobung war nie die Rede. Glaub mir, dagegen hätte ich bereits angekämpft. Hinata interpretiert das genauso über wie du ständig die gesellschaftlichen Normen übertreibst. Wie du bereits klugerweise angemerkt hast, leben wir nicht mehr im Mittelalter, sondern im einundzwanzigsten Jahrhundert. Ich werde Hinata nicht heiraten, es sei denn, ich verliebe mich in sie. Da das nie vorkommen wird, überlasse ich Naruto gerne diesen Part, und wenn es hilf, spende ich ihm sogar fünfhunderttausend Yen, damit er sich die Hochzeit leisten kann."

Es klang ehrlich, was Sakura schier überraschte. Sie brauchte einige Momente, um sich zu sammeln. "Also war der ganze Streit, den Hinata und ich hatten, eigentlich für nichts und wegen wieder nichts? Warum bist du nicht schon früher damit herausgerückt?!"

"Wusste ich denn, dass sie es dir gesagt hat? Hinata ist ebenso theatralisch wie du und Karin. Ihr Weiber seid das alle. Und ihr nervt mich damit."

"Ach, das ist also dein Dank dafür, dass ich in aller Herrgottsfrühe den Babysitter für dich gespielt habe—" Sie hielt schlagartig inne und sah ihn ernst an. "Wieso überhaupt? Wieso hast du dich betrunken? Kein normaler Mensch sitzt in den Ferien alleine in einer Bar und säuft sich die Besinnung weg, wenn er mit seinem Leben zufrieden ist."

"Das geht dich nichts an", konterte er beherrscht. Er konnte sie dabei nicht einmal ansehen.

"Ich denke schon", wandte Sakura bestimmt ein. "Wenn du meine Hilfe willst, habe ich ein Recht darauf zu erfahren, wieso du dich dir die Kante gegeben hast! Das ist ernst, Sasuke! Mit Alkohol ist nicht zu spaßen, wenn er aus den falschen Gründen getrunken wird."

"Das meine ich mit theatralisch!" Er wollte wütend auffahren, doch sein brummender Schädel hielt ihn davon ab. "Ihr Mädchen macht aus allem eine Soap! Dann habe ich mich eben einmal betrunken, na und? Musst du gleich annehmen, dass es wegen etwas Bestimmten war? Vielleicht stand mir der Sinn danach!"

Sakura starrte ihn verdutzt an. Der Sinn danach? Sie kannte diese Art von Blicken. Es waren die der Lügner. Etwas beschäftigte ihn. Aber dann siegte die Wut über seine Worte über die aufkeimende Sorge. "Das ist echt die Höhe! Sasuke, du bist so ein Idiot! Ruf das nächste Mal deine ach so geliebte Karin an und nicht mich! Sieh zu, wie du alleine klarkommst!"

Sakura drehte sich auf den Ballen um und schritt strammen Ganges zur Tür. Als sie die Hand auf die Klinke legte, sagte Sasuke: "Es tut mir leid. Und…danke."

"Ach", versetzte Sakura verärgert, "lass mich doch einfach in Ruhe!"
 

Der Ärger war groß, aber durch seinen aufrichtigen Dank gemildert worden. Mit dieser verwirrten Stimmung traf Sakura am Nachmittag nach einem langen Streit mit ihrer Mutter auf Temari, die nicht grüßte, sondern nur den Finger hob, um Sakura zu bedeuten, dass diese still sein sollte.

"Mhm", machte sie ins Telefon. Dabei erhob sie sich von der Parkbank, auf der sie gewartet hatte. "Ja, ja, natürlich. Ich kann dir die Unterlagen schicken, wenn du möchtest. Richte deinen Eltern schöne Grüße aus." Ihr Gesprächspartner schien etwas Witziges gesagt zu haben, denn Temari begann zu lachen. "Das denke ich nicht, aber ich werde es in Erwägung ziehen. Für tausend mehr ist das eine ganz schöne Leistung. Ich denke darüber nach und gebe dir Bescheid. Brauchst du sonst noch was?"

"Temari, wer ist das?", wollte Sakura neugierig wissen. Sie spitzte die Ohren, um etwas von dem Gespräch mitzubekommen, aber sie hörte nur eine verzerrte Männerstimme.

"Shht", machte Temari mit wilder Gestikulation. "Ja, auch das kann ich mitschicken. Heute Abend hast du es. Ich muss jetzt auflegen, Sakura ist gerade gekommen. Werd ich gerne machen. Bis Montag dann." Temari legte auf, küsste Sakura auf die Wange und verdrehte die Augen. "Schöne Grüße von Shikamaru."

"Shikamaru?", wiederholte Sakura ungläubig. "Was hast du denn bitte geschäftlich mit ihm zu tun?"

"Mein Onkel." Temari seufzte. "Die Kanzlei der Naras ist die bekannteste in Tokios Wirtschaftskreisen. Sie sind ausgezeichnete Rechtsbeistände und unterhalten neuerdings auch eine Abteilung für Privatklagen."

" Wen hast du denn umgebracht?" Sakura zog fragend die Brauen hoch und kassierte einen bösen Blick von ihrer Freundin.

"Du bist ja witzig!", brummte Temari sarkastisch. "Da ich bald volljährig werde und somit im vollen Maße strafbar, verlangt mein Onkel, dass ich mir einen Rechtsbeistand im Standbymodus anschaffe. Also falls mal was passiert, kann ich wie in den Agentenfilmen sagen: 'Besprechen Sie das mit meinem Anwalt!'."

"Ähm…gratuliere?" Mehr wusste Sakura darauf nicht zu sagen. "Lass bloß Ino nichts davon wissen, sonst tickt sie völlig aus. Ich denke nämlich nicht, dass sie mit Sai zusammen ist, weil sie ihn liebt. Sie möchte Shikamaru damit nur eines reinwürgen."

"Wenn sie das wirklich will, hat sie kein Recht darauf, böse zu sein", wehrte Temari ab. "Ich mag sie, aber Shikamaru hat sie nicht verdient nach den vielen Dingen, die sie sich geleistet hat."

"Was auch immer. Ich kann am allerwenigsten dafür. Shikamaru hat sie abgeschrieben, so viel steht fest. Ich denke nicht, dass es jemals zwischen den beiden warm wird. Sie hat sich mit ihren Ausrastern seine gute Meinung nicht gerade redlich verdient. Apropos gute Meinung, Sayuri und Gaara sind nicht zufällig wieder zusammen, oder?"

Temari verdrehte die Augen, was Antwort genug war. Wenigstens eine Haruno, die Glück in der Liebe gehabt zu haben schien. "Und du? Shikamaru wäre jetzt natürlich frei. Und verlobt seid ihr immerhin bereits."

"Bitte!", rief Sakura theatralisch. "Verschone mich bloß mit diesen alten Geschichten. Das war letztes Jahr, bestimmt haben es alle schon wieder vergessen. Bin ich froh, dass es endlich vorbei ist. Ich mit Shikamaru? Nein, nein. Mit jemandem wie ihm könnte ich nicht glücklich werden. Welche Frau könnte das schon?" Sie begann zu kichern, doch als Temari nicht einstimmte, riss sie sich schnell wieder zusammen. "Jetzt schau nicht so, Temari. Ich weiß, dass ihr euch gut versteht, aber sei mal ehrlich: Würdest du jemals mit ihm ausgehen? Er würde keine Komplimente geben, dich nicht zum Tanzen auffordern, dir den Stuhl nicht zurechtrücken und flirten würde er schon gar nicht. Sowas will doch niemand."

"Da hast du recht", gestand Temari schlussendlich. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, doch es versiegte sogleich wieder. "Wo warst du heute Morgen eigentlich? Ich hab deine Mutter bis in mein Zimmer durch den Hörer schreien hören. Gaara hat die Krise bekommen. Sein Pech, wenn er als erster im Halbschlaf zum Telefon stürmt, weil er denkt, dass es Sayuri ist. Und noch mehr sein Pech, wenn es die selbe Nummer ist, aber leider jemand anderer dran ist."

Sakura konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sie skizzierte den Vorfall von heute Nacht schnell, rang Temari Geheimhaltung ab und fand sich eine Stunde später noch immer in einer Diskussion darüber wieder, wieso Sasuke wohl betrunken gewesen war.

"Streit mit Karin, ganz sicher", behauptete Temari. "Wer die zur Freundin hat, muss ja unweigerlich ein Alkoholproblem bekommen. Oder Suizid begehen. Das kommt sicher noch."

"Sag doch sowas nicht!", mahnte Sakura mit zusammengezogenen Brauen. "Ich mache mir wirklich Sorgen."

"Dafür, dass du schon das zweite Mal sagst, Sasuke wäre dir egal, tust du das ziemlich häufig." Temaris Stimme hatte etwas Tadelndes. "Ich würde nichts darauf geben. Lass ihn einfach, in vier Monaten bist du ihn ohnehin los. Ihr werdet euch nie wieder sehen nach der Schulzeit, ebenso wie Karin. Mach dir keine Gedanken darüber." Sakura nickte, doch so recht vergessen konnte sie es nicht. Sasuke…er hatte so anders gewirkt.
 

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Die Tage in Sorge zu verleben, war auf Dauer keine Lösung. Irgendwann schob sie die beklemmenden Gedanken einfach beiseite, um Platz für ihren baldigen Aufnahmetest zu schaffen. Der war Ende April, bald nach den Abschlussklausuren. Außerdem war da noch Sayuri, die sie als ideale große Schwester bei jeder Gelegenheit mit Gaara aufzuziehen hatte, bis dem Opfer der Kragen platzte und gestand, wieder mit ihm zusammen zu sein.

In dieser Stimmung schlichen die letzten paar Ferientage dahin, bis Sakura sich wieder häuslich in ihrem Zimmer im Wohnheim einquartiert hatte, das sie sich noch immer mit Temari teilte. Da Ino mit Sai zusammen war und sie ohnehin seit jeher eine Freundschaft basiert auf Feindschaft geführt hatten, war erstere wieder hergestellt worden, aber so richtig grün waren sie sich immer noch nicht. Das Gefühl der Verbundenheit war in seinen Grundfesten erschüttert worden und vermutlich würde niemals mehr eine solche Vertrautheit zwischen ihnen bestehen können, wie sie einst geherrscht hatte. Darum hielt Sakura es für das Beste, bis zum Schluss mit Temari im Zimmer zu bleiben.

Mit Hinata war es anders. Sie verstanden sich besser denn je. Hinata war immerhin die Liebenswürdigkeit in Person. Da sie mit Naruto zusammen war, der sich als hervorragender, wenn auch teilweise schusseliger und unbeholfener Freund herausgestellt hatte, war sie glücklicher denn ja, was nicht zuletzt auch teilweise Sakuras Verdienst gewesen war.

"Schon wieder am Lernen?"

Sakura drehte sich nicht um. Sie kannte Shikamarus Stimme sehr gut und sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich gleich ihr gegenübersetzen würde. Das tat er auch nach ein paar Minuten mit einem Buch über japanische Geschichte.

"Wozu?" Sakura deutete auf sein blau eingebundenes Exemplar. Er seufzte missmutig—wie so oft.

"Temari hat mich dazu genötigt, ihr beim Lernen zu helfen. Nachhilfe quasi. Nachdem Ino und Naruto noch weniger verstehen als sie, Gaara mit Sayuri völlig vereinnahmt ist und Hinata bereits mit ihrem Schatz in Mathe beschäftigt ist, bleibe nur mehr ich übrig."

Sakura verzog fragend das Gesicht, sagte aber nichts darauf. Temari hätte zuerst sie fragen sollen. Sie hätte gerne mit ihr gelernt, immerhin war Geschichte nach ein paar anderen Fächern ihr Lieblingsfach. Zugegeben, sie hatte beinahe nur Lieblingsfächer, aber Temari wusste das!

"Und wieso trifft man dich schon wieder in der Bibliothek an? Es ist gerade mal der dritte Tag nach den Ferien. Die Hausaufgaben sind einfach."

"Recherche für dies und das", versetzte Sakura, ohne weiter darauf einzugehen. Sie klappte ihr Buch zu, streng darauf bedacht, den Titel nicht zu zeigen. Es ging darin um chemische Zusammensetzungen diverser Medikamente, die nicht einmal annähernd im Schulstoff vorkamen. Sakura sammelte ihre restlichen Sachen ein, stand auf und wollte bereits gehen, da fiel ihr etwas ein und sie drehte sich wieder um. "Sag mal, Shikamaru, was ist mit dir und Ino?"

"Was meinst du?"

Sie trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Es war ihr unangenehm, darüber so offen zu sprechen, nachdem passiert war, was nun einmal passiert war. "Du sagtest doch, dass du in sie verliebt seist. Nur darum haben wir unsere Pseudobeziehung eingefädelt. Das ist jetzt vier Monate her. Wie steht es um deine Gefühle? Sie ist jetzt immerhin mit Sai zusammen. Auch wenn ich nicht denke, dass sie viel füreinander übrig haben."

Shikamaru schwieg und sah ausdruckslos auf den Einband seines Buches herab. Seine Antwort ließ lange auf sich warten. "Kannst du nicht einmal Ruhe geben? Wirklich, Sakura, lass es gut sein. Es ist unerheblich, denn—"

"Sie ist ja mit Sai zusammen, ja", wiederholte Sakura resignierend. "Trotzdem will es mir nicht einleuchten, wieso. Er schien nie an ihr interessiert zu sein, ebenso wenig überhaupt an Mädchen. Er war immer so schweigsam und still und dann sucht er sich gerade Ino als Freundin aus? Klar, er sieht gut aus, aber ist Ino wirklich so oberflächlich? Mir scheint er nicht der Typ für große Gefühle zu sein."

"Wenn selbst du ihn nicht einschätzen kannst, wird es keiner können. Du und Naruto ward immerhin ein Jahr lang mit ihm in derselben Leichtathletikgruppe."

"Ah!" Sakura schlug sich die Hand gegen die Stirn. "Erinnere mich nicht daran. Das war das schlimmste Jahr meines Lebens. Warum ich mich auch dazu bereiterklärt habe! Nur weil die beiden ihre Körperbeherrschung verbessern wollten!" Sie schüttelte den Kopf. "Zum Glück ist das vorbei. Viel Glück mit Temari, in Geschichte ist sie wirklich schlecht."

"Und das sagst du mir erst jetzt?!"
 

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Sakura streckte die Arme zur Seite, als sie tief einatmend über den Schulhof ging. Es roch nach frisch gefallenem Schnee und nur wenige Fußspuren hatten Löcher in die weiße Decke gerissen, über die sie lächelnd schlenderte. Auch wenn es erst Jänner war, freute sie sich schon wieder auf den Frühling. Dann wäre der Lernstress bald vorbei, sie bräuchte nicht mehr frieren, wenn sie von der Bibliothek ins Wohnheim ging, und bald wäre sie auch alles los, was sie als unliebsam erachtete: Karin, Suigetsu, Zickereien und diese vermaledeiten Noten, die ständig wie das Damoklesschwert über ihr schwebten. Dann wäre es alles vorbei. Und sie wäre Sasuke los.

Das war leider nur kein allzu befreiender Gedanke.
 

Sakura kam den Rest der Woche dennoch nicht umhin, Sasuke genauer zu beobachten. Karin schwänzelte ständig um ihn herum, liebkoste ihn und brachte ihn immer häufiger zur Weißglut. Was anfangs auf Distanz beruht hatte, hatte sich komplett ins Gegenteil verkehrt. Dass Sasuke nicht mehr wollte, war ihm klar anzusehen, aber sie hatte ihn in ihren Fängen und er merkte es nicht einmal mehr. Ihm schien egal zu sein, was zwischen ihnen geschah. Das war Karin nur recht. Sie ließ sich auch nicht abwimmeln. Selbst wenn sie bereits wieder die nächste Gemeinheit plante.

"Und das wäre?", fragte Sakura in die Runde. Sie saßen dicht gedrängt um einen Tisch im Kampai, den sie sich bitter erkämpf hatten.

"Was weiß ich! Womöglich ein Zaubertrank! Wer würde es schon länger als eine Woche an Inos Seite aushalten?" Temari machte eine wegwerfende Handbewegung, verstummte aber sofort, als eben Genannte mit Sai an der Hand zu ihnen stieß. Um ihren Finger wand sich ein schlichter Silberring, den sie stolz als eben bekommenes Geschenk ihres Freundes präsentierte.

"Er ist viel zu gut zu ihr", zischte Sakura missmutig.

"Hauptsache du darfst fies sein."

"Ist halte mein Privileg", versetzte Sakura schulterzuckend. "Schau mal, Sasuke und Karin sind auch da. Der arme Suigetsu wird scheinbar total außenvorgelassen. Ich sehe ihn nur mehr selten bei Karin. Dabei war sie seine einzige Freundin. Er ist in letzter Zeit viel mit Yūgo unterwegs, der Ärmste." Die Blicke ihrer Tischpartner richteten sich allesamt kurz auf Karin, die aufgetackelt hinter Sasuke hertrippelte.

"Yūgo ist ein Freak", meinte Temari.

"Sieht er eurer Meinung nach glücklich aus?"

Naruto rümpfte die Nase bei diesen Worten. "Wen interessiert schon Yūgo?"

"Sasuke!"

"Na, der hat 'ne Allergie gegen Glücklichsein. Ich hab ihn noch nie richtig lächeln sehen. Wir sollten ihn einfach seiner Wege ziehen lassen. Wenn er sich von Karin manipulieren lassen möchte, ist das sein Kaffee."

"Wo du recht hast…", murmelte Sakura. Richtig zustimmen konnte sie aber nicht. Ihr Blick wanderte den ganzen Abend immer wieder zu Sasuke und Karin und es bot sich ihr immer wieder dieselbe Szene: Karin redete auf Sasuke ein, dieser hörte gelangweilt zu—oder tat gekonnt so—und ließ seine Blicke immer wieder schweifen.

Gegen elf trafen sie sich schließlich für eine winzige Sekunde.

Sakura schlug sofort die Augen nieder, Sasuke hob die Hand zum Gruß. War das sein Ernst? Als Sakura den Blick wieder hob, hatte er jedenfalls die Hand noch erhoben und sie nickte zaghaft zurück. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie Karins böse verengten Augen der Linie folgen, die Sasukes eingeschlagen hatten, und einen stummen Tobsuchtsanfall bekam, als sie Sakura am anderen Ende erblickte.
 

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Karin war wütend. Sehr wütend. Da tat sie alles für Sasuke und alles gegen Sakura und trotzdem war er freundlich zu ihr! Trotz all ihrer Bemühungen, sie schlecht dastehen zu lassen! Vermutlich waren Worte alleine nicht genug. Ihre schlanken Finger fuhren in ihre Jackentasche und stießen gegen ein flaches Aluminiumkästchen. Sie hatte es zwar geplant gehabt, aber sich bis jetzt nicht getraut, den Plan umzusetzen. Das wäre doch sehr weit aus dem Fenster gelehnt und es könnte ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen. Das Vorhaben hatte sie schon wieder ad acta gelegt gehabt, aber nun erbot es sich ihr als einzige Handlungsmöglichkeit.

"Ich gehe mal eben auf die Toilette", rief sie über die tönende Musik hinweg. Sasuke nickte desinteressiert und wandte sich dem Fernseher zu, der an der Wand ihm gegenüber ein Freundschaftsspiel zwischen Japan und Südkorea zeigte. Es hatte ihn die ganze Zeit mehr interessiert als Karins Gerede.

Karin wusste das und es ärgerte sie. Sie biss sich auf die roten Lippen, schlug den Weg zur Damentoilette ein und bog vorher links zur Bar ab, als sie sich sicher war, dass Sasuke ihr keinerlei Aufmerksamkeit schenkte. Das tat er sowieso nie. Sie bestellte zwei alkoholfreie Limonaden, nahm sie an sich und schützte sie vor den Augen des Barkeepers, indem sie der Bar den Rücken zuwandte. In der dichten Menge schenkte ihr niemand sonderliches Beachten, darum fiel auch keinem auf, dass sie eine weiße Tablette in eines der Gläser schnippte, die sich unter Blasenwurf auflöste, bis sie nicht mehr zu sehen war. Karin kontrollierte das Glas ein letztes Mal, dann schmiegte sie sich an den Tanzenden vorbei zum Tisch beim Fenster, an dem Sakura mit ihren Freunden saß.

Sakura erschrak heillos, als eine Hand aus dem Nichts heraus ein Getränk vor ihr abstellte. Naruto war bereits in Schimpftiraden ausgebrochen, ehe sie noch sah, wer hinter ihr stand. Er konnte nur mit Mühe von Shikamaru und Gaara zum Schweigen gebracht werden. Alle Aufmerksamkeit lag nun auf Karin, die sich warnend zu Sakura hinab beugte und ihr ins Ohr zischte: "Sasuke gehört mir, ist das klar? Du kannst ihm so viel zuwinken wie du magst, das wird dir nichts nützen. Er ist Mein und daran können weder du noch deine Hand etwas ausrichten."

"Was denkt er, was du gerade tust? Es wird ihm nicht gefallen, wenn du wahllos Leuten drohst", erwiderte Sakura trocken. Ihr Blick ruhte auf dem Glas.

"Ich habe mich netterweise erboten, dir in seinem Namen etwas zu trinken zu spendieren. Ich soll dir ausrichten, dass du es dir schmecken lassen sollst. Das andere gehört ihm. Er wollte ja selbst kommen und es dir bringen, aber natürlich bin ich so freundlich und möchte mit dieser netten Geste unsere neu aufkeimende Freundschaft begründen."

"Das wird dir nichts nützen." Sakura senkte den Blick auf die Tischplatte und drehte ihren Kopf in Karins Richtung, deren Lippen dicht an ihrem Ohr gelegen hatten. "Sasuke ist nicht an mir interessiert, falls das dein Beweggrund ist. Frieden zwischen uns interessiert ihn so wenig wie der Frieden zwischen Südkorea und Nordkorea. Ebenso lang und ebenso lange scheint ja unser Krieg schon zu gehen. Wenn du mir drohen willst, dann tu es wenigstens offenkundig und nicht hinter Sasukes Rücken, versteckt hinter einer scheinheiligen Geste, mit der du dich bei ihm einzuschleimen versuchst."

"Denk, was du willst, Haruno. Cheers."

Karin richtete sich auf und ging mit dem zweiten Glas zu Sasuke zurück, der es ohne Dank annahm. Sakura beobachtete, wie sie ihm etwas sagte und er daraufhin sein Glas zu Sakura erhob. Er hatte sie tatsächlich geschickt. Das wurde immer merkwürdiger. Aber vorerst triumphierte die Freude, endlich mit ihm im Reinen zu sein. Sakura erhob ihr Glas ebenfalls, prostete ihm zu und nahm den ersten Schluck.

"Wenigstens hat er Geschmack", sagte sie. Ihre Freunde hatten sie die ganze Zeit über fragend angestarrt. "Sasuke wird scheinbar doch noch nett. Vielleicht würdigt er nun endlich aufrichtige Freundlichkeit, wenn er ständig mit Karin zusammen ist."

Das rang allen ein amüsiertes Lächeln ab und man wandte sich wieder erfreulicheren Themen zu.
 

Es wurde elf und Sakura immer heißer.

"Du schwitzt abartig", bemerkte Temari vierzig Minuten, nachdem Sakura ihr Glas geleert hatte. "Hast du Fieber?" Prüfend legte sie die Handfläche auf Sakuras Stirn, zuckte aber sofort wieder zurück. "Himmel, du glühst ja! Schnell, wir bringen dich an die kalte Luft!"

Sakura nickte. Alles schien ihr plötzlich wie in Watte gepackt. Oder war sie in Watte gepackt? Die Geräusche drangen nur mehr dumpf an ihre Ohren, alles schwirrte und drehte sich und ein monotones Summen breitete sich in ihrem Kopf aus. Die Umgebung verschwamm allmählich und als Temari sie aufzog, knickten Sakuras Beine plötzlich ein.

"Sakura!"

Die Schüler am Tisch sahen mit erschrockenem Entsetzen wie Sakura in sich zusammenfiel, einem Kartenhaus im Wind gleich. Temari hielt sie völlig perplex immer noch fest und wurde mit ihr herabgezogen. "Sakura! Was ist los mit dir? Sakura!"

Sie war nicht mehr ansprechbar. Schweißtropfen rannen ihre Stirn herab, ihre Atmung war schnell und flach und sie stöhnte schmerzvoll in ihrem Fieberwahn.

"Wir brauchen einen Krankenwagen!"
 

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Impact And Implication


 

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Sakura erwachte mit Kopfschmerzen und knurrendem Magen. Ihre Lider waren schwer, ihre Arme schwach und überhaupt hatte sie keinen blassen Schimmer, wo sie sich befand. Was war das Letzte, an das sie sich erinnern konnte? Sie hatte im Kampai gesessen. Karin hatte mit ihr geredet, Sasuke ihr zugeprostet und ab dann war alles verzerrt. Sie erinnerte sich an Lachen, an Gesang, aber ein echtes Bild hatte sie nicht im Kopf.

Nach schier endlosen Sekunden, schaffte sie es endlich, ihre Augen zu öffnen. Das Weiß über ihr strahlte ihr schmerzhaft entgegen, weswegen sie sie sofort wieder zusammenkniff.

"Sie ist wach!", rief eine weibliche Stimme. Sie klang verstört, heiser, besorgt. Keine Sekunde später wanden sich einige Paar Arme um Sakuras schwachen Körper.

"Sie ist noch immer ziemlich heiß", bemerkte eine männliche Stimme. Eindeutig Gaara—Moment, Gaara? Was tat er denn hier? Besser gefragt: Wo war sie überhaupt?

Sakura konnte letzten Endes nicht umhin, ihre Augen langsam zu öffnen. Das Licht blendete, aber es war erträglich, nachdem die erste stechende Helligkeit verebbt war. Nur verschwommen zeichneten sich die über sie gebeugten Gesichter ab. Nach ein paar Mal blinzeln erkannte sie schemenhaft Gaara, Temari, Sayuri, Hinata und Naruto.

"Was ist passiert?", murmelte sie erschöpft. Ihr Kopf fühlte sich an wie Blei—nein, eher wie Trinitrotoluol. Jedes Blinzeln explodierte etwas und hämmerte schmerzhaft gegen die Innenseite ihrer Schädeldecke. Unwillkürlich fuhr Sakuras Hand zu ihren Schläfen. Die Schläuche und Infusionen an ihren Unterarmen schockierten sie. "Was soll das?"

Temari atmete erleichtert aus. "Ein Glück, dass du wach bist! Wir haben uns Sorgen gemacht!"

"Klärt mich jemand auf?" Sakuras Stimme war leise, aber klar. Sie fühlte sich gerädert.

"Du bist umgekippt. Einfach so!", erklärte Hinata mit bangem Entsetzen in den Augen. Sie hatte den Schock sichtlich noch nicht überwunden. Narutos Hand hielt ihre tröstend fest.

"Wir riefen sofort einen Krankenwagen", setzte Temari fort. "Dir wurde der Magen ausgepumpt. Sie sagten etwas von Blutvergiftung, aber Genaueres wollten sie nicht verraten, da du volljährig bist und sie dafür deine Einwilligung brauchen."

Sakura nickte als Zeichen, dass sie verstanden hatte. "Aber wieso? Ich habe nichts Falsches gegessen und auch nicht getrunken. Bloß Mineralwasser und diese Limonade von Sasuke—nein, Leute, schaut mich nicht so an! Sasuke hat sicherlich nichts damit zu tun! Er würde nicht soweit gehen!"

"Sakura!", rief Temari streng. "Ich sage es nicht gerne, aber Uchiha ist zu vielem fähig."

"Andererseits", wandte Gaara ein, "tut er nichts, ohne dabei Vorteile herauszuschlagen. Worin läge seine persönliche Begünstigung? Er hätte nichts davon, Sakura zu vergiften. Diese Aktion ist für sein privates Vergnügen zu ernst. Er macht sich strafbar."

"Falls er es war, was außer Frage steht." Sakuras Finger krampften sich in das Leinenbettlaken. "Ich weiß, dass er mir das nicht antun könnte. Wir verstehen uns besser in letzter Zeit. Außerdem habe ich etwas gut bei ihm. Er würde nicht—"

"Aber Karin!"

"Temari, nein! Selbst für Karin ist das zu heftig. Sie kann mich nicht leiden, okay, aber dass sie so weit gehen würde, halte ich nicht für möglich. Sie ist ein Biest und eine falsche Schlange, aber Straftaten zu begehen, wäre sogar für sie eine Nummer zu groß."

"Ich weiß nicht, Sakura", meldete sich Naruto überlegend. Hinata neben ihm nickte stumm. "Karin scheint die Kontrolle darüber zu verlieren. Sie ist verzweifelt. Sasuke war ihr großer Triumph. Vielleicht will sie nicht riskieren, Sasuke an dich zu verlieren."

Sakura schüttelte energisch den Kopf, zuckte dadurch jedoch schmerzvoll zusammen. Das TNT prallte in seiner vollen Wucht gegen ihre Schädeldecke. "Sasuke und ich, das wird es niemals geben."

"Das weiß sie ja nicht", beharrte Naruto. "Sie ist empfindlich, aufbrausend und reagiert schnell über. Jede Bedrohung, sei sie noch so klein, ist für sie der Weltuntergang. Wenn sie nun wirklich total abdreht?"

Sakura schlug den Blick auf ihre Fingerspitzen nieder, die noch immer das Laken festhielten. Dass Karin derartiges tun könnte, erschien ihr für sehr weit hergeholt. Feinschaft schön und gut, aber das? Sie hatte immerhin—wenn sie es gewesen war—eine Straftat begangen. Andererseits warf sich nun die Frage auf, was sie denn—wenn sie es gewesen war—überhaupt getan hatte. Sakura wusste nicht mehr als eine vermutliche Blutvergiftung. Und wenn Karin es gewesen war, was war dann mit Sasuke? Würde sie auch bei ihm so weit gehen? Würde sie ihn verletzen, um eines ihrer absurden Ziele zu erreichen?

Plötzlich erschienen Sakura all ihre bis jetzt so lächerlichen Sorgen als äußerst berechtigt. Sasuke war vielleicht mehr in Gefahr, als alle wahrhaben wollten. Sie musste ihn unbedingt im Auge behalten. Glauben würde er ihr nämlich ganz sicher nicht.
 

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Am Sonntag wurde Sakura entlassen. Ein Taxi fuhr sie von Miyazu ins Internat zurück. Während der Fahrt las sie sich wieder und wieder ihre Krankenakte durch, von der man ihr eine Kopie ausgehändigt hatte. Die Substanz, die man ihr verabreicht hatte, war ein Kokaingemisch gewesen. Das Gefährliche daran und der Grund, wieso man Sakura zwei Tage lang zur Beobachtung dabehalten hatte, war, dass es unprofessionell gestreckt und mit Benzodiazepinen vermischt worden war. Sakura konnte von Glück reden, dass das Gemisch nur eine geringe Konzentration gehabt hatte. Knock-Out-Tropfen vermischt mit Aufputschmitteln. Es hätte noch viel schlimmer ausgehen können.

Nachdem sie ihre Akte an die zwanzig Mal gelesen hatte, war ihr noch flauer im Magen als zuvor. Die Möglichkeit, dass Karin es gewesen sein könnte, erschien ihr mit jedem Tag glaubwürdiger, selbst wenn sich seitdem nichts geändert hatte. Damit stieg auch die Sorge um Sasuke. Wie weit würde Karin letzten Endes noch gehen? Bisher hatte immer eine Grenze ihrer Angriffe existiert. Sie waren nie über den Grad seelischer Attacken hinausgegangen. Dass sie nun vielleicht sogar körperlich agierte, war bedenkenswert; mehr als das. Es war besorgniserregend.

"Du isst ja nichts", bemerkte Naruto beim Frühstück. Er und alle anderen hatten Sakura minutenlang dabei zugesehen, wie sie lustlos in ihrem Essen herumgestochert hatte. Nun ließ sie von den hilflosen Lebensmitteln ab und legte seufzend ihre Essstäbchen zur Seite.

"Hab' keinen Hunger", murmelte sie bedrückt.

"Du musst essen, sonst fällst du durch ein Kanalgitter."

"Hm." Sie sah missmutig auf ihr Essen herab, aber einen Bissen zu nehmen brachte sie nicht übers Herz. Ihr war elend zumute. "Ich werde mich wieder hinlegen. Sagt den Lehrern bitte, dass es mir nicht gut geht. Ich brauche dringend Schlaf und Ruhe. Gute Nacht."

Schwerfällig erhob Sakura sich, schlug sämtliche Begleitungsangebote aus und schleppte sich über den Schulhof zurück in ihr Zimmer, das sie erst vor einer halben Stunde verlassen hatte.

Als sie die Türe öffnete, erbot sich ihr eine Überraschung. Heute war der fünfzehnte Jänner, also kam die neue Ausgabe der Miya-So-News Monthly heraus. Sie las dieses Käseblatt normalerweise nicht, ebenso wenig wie Temari oder irgendjemand sonst, der Wert auf korrekte Informationen legte, also wunderte sie sich berechtigterweise, was ein Exemplar der lächerlichsten Zeitung überhaupt auf ihrem Fußboden verloren hatte. Vor einer halben Stunde war es jedenfalls noch nicht dagewesen.

Das erinnerte sie an etwas…etwas Negatives. Die letzten beiden Male, als eine Ausgabe der Zeitung hier gelegen hatte, hatten keine allzu erfreulichen Nachrichten darin gestanden. Ob Karin wieder…

Sakura brach ihre Gedanken ab. Zögernd nahm sie die Zeitung auf und erschrak. Das Titelbild war ein Foto. Ein Foto von ihr. Und was darüber stand, war noch viel schlimmer. Abschlussklässlerin bricht zusammen.

"Oh, nein!" Völlig entgeistert war Sakura zuerst nicht fähig, irgendetwas zu tun. Mit zittrigen Fingern faltete sie die Seiten nach einer schieren Ewigkeit auseinander, nur um mit geweiteten Augen das Schlimmste zu lesen.

In der Nacht von Freitag auf Samstag, fand die Feierlaune einer Schülergruppe in der örtlichen Bar Kampai ein jähes Ende, als ein Mädchen mitten im Raum aus scheinbar unerklärlichen Gründen zusammenbrach. Haruno Sakura aus der Abschlussklasse wurde erst am darauffolgenden Sonnabend aus dem Krankenhaus entlassen. Folgeschäden sind laut Ärzten auszuschließen—zumindest theoretisch, denn wo alle ahnungslos sind, haben Reporter der Miya-So-News Monthly die Wahrheit über den Kollaps herausgefunden.

Bereits vor zwei Monaten berichteten wir über ein aufkommendes Verhältnis zwischen Haruno Sakura und ihrem Klassenkollegen Nara Shikamaru. Die Gerüchte, die sich um dieses Paar rankten, stellten sich jedoch als vermeintlich unwahr heraus. Auch die angebliche Verlobung wurde von beiden Seiten heftig dementiert.

Nachdem es nun ruhig um das Paar geworden war, tun sich neue Vermutungen auf, denen zufolge eine Verlobung keineswegs abwegig ist. Harunos Zusammenbruch könnte die Folge einer heimlichen Schwangerschaft sein! Der Vater, so Insider, soll Nara Shikamaru sein und die Verlobung, so der Insider weiter, wäre eine Maßnahme, um kein uneheliches Kind zur Welt zu bringen. Haruno, nun vermutlich im vierten Monat, soll Nara nach ihrem Abschluss am Miya-So Ende April heiraten.

Die Redaktion gratuliert und wünscht alles Gute!

"Das darf doch nicht wahr sein!"

Sakura fiel aus allen Wolken. Nicht, dass sie in den letzten Monaten jemals geschwebt wäre. Insider? Natürlich! Derselbe Insider, der auch diese Verlobung inszeniert hatte—Karin. Nun war Sakura sich sicher. Alles passte zusammen.

"Sakura!" Sie fuhr erschrocken herum. Hinter ihr standen ihre Freunde, Sayuri ganz vorne mit einer weiteren Ausgabe der Schülerzeitung. "Wir haben es gerade gelesen! Diesmal ist sie fällig! Wir werden sie anzeigen!"

Sakura ließ sich mit Tränen in den Augen aufs Bett fallen, dabei war ihr gar nicht nach Weinen zumute. "Ich möchte nicht, dass meine Schwester so redet. Selbst wenn sie Karin meint. Zweifelsohne, sie war es. Es passt alles zusammen. Die Zeitung erscheint immer am fünfzehnten und zwei Tage vorher kippe ich wegen einer Vergiftung um. Das ist ein zu großer Zufall meiner Meinung nach."

"Verklagen wir sie! Lassen wir sie von der Schule schmeißen! Sakura, tu doch bitte etwas, sonst tu ich es! Wenn Tsunade-sama—"

"Wenn sie es erfährt?", beendete Sakura Sayuris Satz. "Sie weiß es sicherlich schon. Sie wird dem Geschreibsel keinen Glauben schenken. Ich gehe später zu ihr und erkläre ihr den Sachverhalt. Aber Karin werde ich nicht anschwärzen. Wir haben keine Beweise, nicht mal annähernd. Was könnten wir schon tun?"

"Erkläre zumindest deinen Verdacht! Du kannst ihr das nicht einfach durchgehen lassen! Wir müssen es richtig stellen!" Sayuri setzte sich neben Sakura auf das Bett und nahm ihre Hand. "Sie wird weitermachen, bis sie jemand stoppt. Irgendwann bringt es dich ins Grab, wenn sie durchdreht."

"Wenn ich keine schwangere Hure bin, bin ich eben ein dreckiger Junkie. Sollen sie denken, was sie wollen. Ihr glaubt mir, nicht wahr?" Die Anwesenden nickten wie selbstverständlich. "Das ist alles, was zählt. In drei Monaten sind die Abschlussprüfungen, danach werde ich sie alle nie wieder sehen. Und Karin auch nicht. Wenn ihr mich jetzt entschuldigt, ich will ein wenig alleine sein. "

"Denkst du, dass die Einsamkeit dir mehr bringt, als mit deinen Freunden zu reden?", fragte Temari, nachdem die anderen gegangen waren.

"Ja", meinte Sakura trocken, besann sich jedoch schnell wieder. "Tut mir leid, ich meinte das nicht so. Dieses Schuljahr ist einfach nur ziemlich stressig und so gar nicht, wie ich mir vorgestellt hatte."

"Weißt du…ich denke, du solltest die Sache mit Shikamaru aufklären. Alle Welt glaubt der Presse und wenn du nicht bald was dagegen tust, wird es bloß schlimmer werden. Sofern nichts an den Gerüchten dran ist."

"Was soll das heißen?", fuhr Sakura sie wütend an. Ihre Augen funkelten, für einen Moment war sie wütend. "Unterstellst du mir etwa tatsächlich, etwas mit Shikamaru zu haben? Oder bist du bloß eifersüchtig?"

"Eifersüchtig?", wiederholte Temari fassungslos. "Das bin ich sicherlich nicht! Ich habe keine Lust, mit dir darüber zu streiten. Ich habe kein Interesse an Shikamaru! Ino würde mich kalt machen."

Sakura sah mit Tränen in den Augen zu Boden. Alles kam wieder hoch. Alle alten Schwierigkeiten, die überwunden zu sein schienen, trieben der Reihe nach zurück an die glatte Oberfläche, über die sie reißerische Stürme brachten. Die friedliche See der Harmonie war zu zerstörerischen Fluten verkommen—wieder einmal. Ohne nachzudenken, warf Sakura sich Temari in die Arme und begann zu weinen. Wegen Karin, wegen Sasuke, wegen der Unterstellung einer Schwangerschaft, wegen allem, was gewesen war und was noch kommen würde. Sie war verzweifelt.
 

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"Kann ich mit dir reden?"

"Da dein Mund, wie du gerade demonstriert hast, einwandfrei funktioniert, wirst du das wohl können. Die nötige Intelligenz besitzt du ja hoffentlich."

"Vielen Dank auch." Ino verdrehte genervt die Augen und beugte sich im gleichen Moment bedrohlich zu ihrem Gegenüber. Shikamaru beobachtete es mit unbeeindruckter Miene. "Lass Sai in Ruhe."

"Was soll das denn jetzt?"

Sie fuchtelte wild mit den Armen vor seinen Augen umher. "Sai ist ein netter Kerl und ich bin verliebt in ihn. Du bist schon lange passé, also vergiss uns beide, alles klar? Sai ist der, mit dem ich zusammen sein will. Du hattest deine Chance und hast sie eindrucksvoll mit kindischen Spielereien vertan—gerade du, der eigentlich immer alles kalkuliert. Das schmeichelt mir, aber du bist bloß nur ein Freund für mich. Verstanden?"

"Ich weiß nicht, was du meinst", blockte Shikamaru ab. Er hatte seiner Meinung nach nie viel mit Sai zu tun gehabt, geschweige denn Einwände gegen ihn erhoben. "Wie kommst du darauf, dass du mich interessierst?"

Ino zuckte leichtfertig die Schultern. "Nur so ein Gedanke. Sai hat mir erzählt, dass er deine Blicke bemerkt hat, die ständig auf mir ruhen. Lass es. Und lass vor allem ihn in Ruhe. Er meinte, du hättest nie anders als höflich gegen ihn agiert, aber er sagt das immer, um keinem Unannehmlichkeiten zu bereiten."

"Du spinnst doch", versetzte Shikamaru genervt. "Ich habe Sai nie was getan. Wenn er es selbst gesagt hat, glaub ihm besser, als mich hier mit haltlosen Vermutungen zu konfrontieren. Ich habe besseres zu tun. Und wenn du versuchst mich eifersüchtig zu machen, dann sei versichert, dass du mir vollkommen egal bist. Deine kindische Art hat mich mit Erfolg davon kuriert, in dich verliebt zu sein. Darf ich jetzt gehen?"

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Shikamaru an ihr vorbei. Sie hatten am Ende des Ganges der zweiten Mädchenetage gestanden, an dem sie ihn aufgehalten hatte. Dort ließ er sie einfach so stehen. Sollte sie doch denken, was sie wollte! Er war fertig mit ihr. Absolut fertig.
 

Es dauerte nicht lange, da wurde Sakura ins Tsunades Büro gerufen. Sie wurde von Shizune abgeholt, der Sekretärin der Direktorin, und unter Argusaugen und besorgten Blicken ins Direktorat geführt. Tsunade wartete bereits hinter ihrem Schreibtisch, auf dem sie wie üblich hunderte Formzettel stapelten.

"Hör auf zu starren. Das alles würde nicht liegenbleiben, wenn ich nicht ständig die Hände mit euren Zankereien voll hätte", sagte Tsunade streng, als sie Sakuras Blick auf die Papierberge bemerkte. "Ich höre?"

"Es war Karins Schuld."

"Diese Antwort war mir klar. Ich hätte gerne Einzelheiten."

Also erzählte Sakura sorgfältig und akribisch, wie alles begonnen hatte: wie Karin sie und Shikamaru verlobt, sie vermutlich vergiftet hatte und was am Ende dabei herausgekommen war.

"Das ist eine ernst Angelegenheit", resümierte Tsunade überlegend. "Die Eltern meiner Schüler werden es nicht gerne sehen, wenn solche Machenschaften in der Schule ihrer Kinder vorgehen, sei es nun, dass sie die Wahrheit erfahren oder nicht. Beide Versionen sind schlecht, die eine für dich, die andere für Karin. Sollte Karin tatsächlich Drogen in dein Getränk geschüttet haben, werde ich sie der Schule verweisen. Ich habe sie bereits rufen lassen."

"Bitte nicht!", rief Sakura. "Ich möchte ihr nicht gegenübertreten. Zwingen Sie mich bitte nicht dazu, Tsunade-sama. Ich glaube nicht, dass ich das verkrafte."

"Hm." Tsunade legte nachdenklich die Fingerspitzen aufeinander. "Das kann ich natürlich verstehen. Sollte es zu einer Anhörung kommen, wirst du aussagen müssen. Du bist immerhin unsere Kronzeugin. Möchtest du rechtliche Schritte einleiten? Deine Anschuldigungen sind schwerwiegend, also muss ich dir—egal ob ich dir glaube oder nicht—einen Anwalt anbieten."

Sakura schüttelte entschieden den Kopf. "Ich habe keine Beweise und will keinen Ärger. Ich möchte einfach nur meinen Abschluss. Ob Karin zu so etwas fähig ist, bleibt fraglich. Soweit würde selbst sie nicht gehen, oder?"

Tsunade gab keine Antwort. Stattdessen klopfte es an der Türe und Yoshida Karin wurde von Shizune hereingeführt. "Du darfst gehen, Sakura. Shizune bringt dich hinaus. Würdest du, Shizune?"

"Natürlich. Komm mit, Sakura." Shizunes Blick war weit weniger streng als beim Herbringen, was Sakura wenig Trost spendete. Selbst die warmherzigen Berührungen auf ihrer Schulter, konnten sie nicht darüber hinwegtrösten, dass selbst die Direktorin, die über Jahre wie eine Art Mutterfigur für sie geworden war, ihr nicht entschieden geglaubt hatte—zumindest hatte Tsunade es nicht ausgesprochen. Dass es ihrer Funktion als unparteiischer Richter zuwider laufen würde, Partei zu ergreifen, ohne die Fakten beider Seiten zu kennen, war ihr ein ebenso geringer Trost.

"Kommst du klar?", fragte Shizune. Sie schirmte Sakura gekonnt von den giftigen Blicken Karins ab, die vermutlich dachte, Sakura habe gepetzt. Mit eiserner Entschlossenheit trennte Shizunes Rücken die beide Mädchen. Karins warnender Blick erreichte Sakura trotzdem und deren Geknicktheit ließ Karin innerlich triumphal auflachen.

"Es geht schon", antwortete Sakura leise, nachdem sie aus dem Sekretariat geführt worden war. Sie verbeugte sich zum Abschied vor Shizune und wartete, bis diese die Türe geschlossen hatte. Als sie sich zum Gehen wandte, erblickte sie eine gelassene Gestalt mit schwarzem Haar auf den Stühlen neben dem Büro.

"Was wolltest du da drinnen?", fragte Sasuke, bemüht, nicht allzu interessiert zu klingen. "Sie haben Karin auch gerufen. Gibt es Probleme?"

Sakura schüttelte den Kopf. Karin schlechtzumachen lag ihr ferner denn je, denn es würde das schlechte Licht der Missgunst auf sie selbst zurückwerfen und Sasukes Selbstgefälligkeit darüber könnte sie beim besten Willen nicht ertragen. Darum gab sie bloß zur Antwort: "Was Tsunade-sama von Karin will, weiß ich nicht, und was sie von mir wollte, ist meine Sache."

"Ich wollte nur höflich sein."

Sakura war wenig geneigt, seine gespielte Höflichkeit als schmeichelhaft zu empfinden. Sie war einfach nicht dazu in der Stimmung, sich mit ihm herumzuschlagen. Sie wollte bereits gehen, als ihr etwas einfiel.

"Was hat Karin gesagt? Immerhin hast du die Nacht mit einem anderen Mädchen betrunken in einem Zimmer verbracht. Weiß sie davon oder hältst du es geheim? Ich würde nur gerne wissen, ob etwaige Andeutungen in die Richtung bloß auf meine Demütigung abzielen oder ob sie ihrer Kränkung entspringen."

"Ich hab's ihr nicht gesagt und das Wort Demütigung ist doch wohl etwas weit hergeholt, nicht?"

Sakura lächelte zynisch in sich hinein—natürlich sah er nicht, was wirklich an den Fronten geschah. Karin hielt ihn von allem fern, wohlweißlich, dass er es nicht billigen würde. Ohne Sasuke weiterhin zu beachten, ging sie an ihm vorbei, aber sie hatte die Rechnung ohne seinen neuen Gerechtigkeitssinn gemacht, der so fehl am Platz wirkte, wie ein Papagei in einem Taubenschlag.

"Wieso antwortest du nicht? Hat Karin dir was getan?"

"Das ist kaum deine Sorge. Sie ist deine Freundin und nicht deine Tochter. Du hast nicht die Verantwortung für ihre Taten."

"Also hat sie was getan?"

"Das impliziert das Wort 'Taten' ja wohl irgendwie, nicht? Sie tut viele Dinge. Atmen, essen, schlafen wären Beispiele. Wenn du mich entschuldigen würdest, du bist anstrengend und das kann ich gerade nicht brauchen."

Sasuke fasste ihre Schulter im Gehen. "Ich hab's gelesen. Die Schwangerschaft."

Sakura schossen augenblicklich die Tränen in die Augen. Sie biss sich auf die Lippen, um sie bei sich zu behalten, aber in Sasukes Gegenwart war das schwerer als üblich.

"Ja", sagte sie bemüht gefasst. "Genau darum."

"Jetzt bleib doch mal stehen!" Sie waren so schnell gegangen, dass sie bereits auf dem Schulhof waren. Sasuke hatte noch immer die Hand auf ihrer Schulter, mit der er sie um die Ecke des Schulgebäudes zog und mit beiden Armen ihre Flucht versperrte. "Ich wollte dir nur sagen, dass ich nicht daran glaube."

Sakura sah ihn erstaunt an. Sie war nicht fähig, etwas zu sagen, also sprach er weiter.

"Du denkst, dass dir nur deine Freunde glauben. Aber ich will, dass du weißt, dass es nicht nur sie sind, die es für ausgemachten Schwachsinn halten, was Inuzuka in seinem blöden Klatschblatt schreibt. Verzweifle nicht, bloß weil einige Idioten über dich reden."

Sakura war unfähig, etwas zu sagen. Solche Worte und das von Sasuke. Das ließ in ihr etwas brechen. Er hatte schon so viel zerbrochen, aber noch nie waren ihr Scherben so lieb gewesen. Die Blase, die sie sich gesponnen hatte, in der sie sich befunden hatte, wo alles nur halb so schlimm war, in der sie wie in Trance den ganzen Tag herumgeschlendert war, die war zerplatzt. Ohne nachzudenken machte Sakura einen schnellen Schritt nach vorne und noch ehe sie sich darüber klar wurde, was sie tat, hatte sie Sasuke so fest umarmt, als wäre er ihr letzter Halt, eine Säule im Sturm. Ihr war egal, was er von ihr hielt; zumindest in diesem Moment. Sie war hier und heute egoistisch und wollte einfach nur diesen Halt, den ihr sonst keiner zu geben vermochte. Und selbst wenn Sasuke nicht etwas unbeholfen, aber dennoch schützend seine Arme um ihren Rücken gelegt und sie fester an sich gedrückt hätte, hätte sie in diesem Augenblick Scham empfunden. Ihr ging es besser und nur das zählte in dieser Sekunde und in den kommenden zwei Minuten, die sie letzten Endes umschlungen dastanden; Sakura bitterlich schluchzend.
 

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Curse And Current


 

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Der Weg ins Klassenzimmer kam ihnen beiden sehr lang vor. Die dritte Stunde würde in ein paar Minuten anfangen und weder Sasuke, noch Sakura, hatten ein besseres Gesprächsthema als den Unterricht gefunden. Keiner von beiden verspürte sonderlich große Lust auf Ibikis Mathematikosyssee, aber nachdem die Peinlichkeit der vergangenen Umarmung sich wie ein schwerer Mantel um sie gelegt hatte, hatten sie keine bessere Alternative gefunden.

So gingen sie über die dünn begangenen Gänge in ihr Klassenzimmer: schweigend, ratlos, verwirrt. Sakura konnte sich nicht ordnen und Sasuke schon gar nicht. Was war eben geschehen? Keiner konnte es zu sagen.

"Sakura…" Sasuke stoppte vor dem Klassenzimmer, in dem sie zwanzig Augenpaare neugierig beobachten würden, wenn sie zusammen eintreten würden. Sakura sah ihn scheu an. "Ich habe keine Ahnung, was da in mich gefahren ist. Du hast mir leid getan und aus irgendeinem absurden Grund will ich nicht, dass du traurig bist. Du bist die erste, die mir ins Gesicht gesagt hat, dass ich ein Idiot bin—meinen Bruder ausgenommen. Du hast mich ein wenig zurückgestutzt, aber…"

"Schon gut", versetzte Sakura kopfschüttelnd. "Du bist immer noch mit Karin zusammen. Ich weiß, dass du in Erklärungsnot stecken würdest, wenn sie dich fragen würde, darum werde ich nichts sagen. Trotzdem danke, dass du für mich da warst. Es wird nicht wieder vorkommen."

"Okay. Naruto ist wohl besser geeignet für solche Dinge."

Sakura lächelte leicht, sagte aber nichts mehr darauf. "Wollen wir reingehen oder möchtest du ein wenig warten, damit niemand denkt, dass wir zusammen hergekommen sind?"

Sasuke rollte die Augen. "So schlimm ist das nun auch wieder nicht."

Er ging voran, hielt ihr die Türe auf und nickte ihr zum Abschied zu, bevor sich ihre Wege trennten. Sakura erwiderte den Abschiedsgruß flüchtig, dann ließ sie sich in der vordersten Reihe zwischen Naruto und Shikamaru nieder, während Sasuke sich ganz nach hinten in die linke Ecke verzog.

"Was wollte der denn von dir? Und wieso bist du hier, Sakura-chan? Du sagtest doch, du würdest dich nicht gut fühlen."

"Danke für deine Freude mich zu sehen, Naruto", sagte Sakura eingeschnappt. "Ich dachte mir, dass vom Unterricht fernzubleiben, vermutlich mehr Furore um meine Person macht, als an ihm teilzunehmen. Mir wirddie Ablenkung gut tun, außerdem möchte ich nicht zu viel versäumen. Mathe ist so schon schwer genug. Wenn ich anwesend bin, höre ich wenigstens, was so über mich geredet wird."

"Und was wollte Sasuke von dir? Er wirkte…zuvorkommend", hakte Naruto skeptisch nach. Dabei warf er einen warnenden Blick zu Sasuke nach hinten, der den Faustschlag ins Gesicht wohl noch nicht vergessen zu haben schien; er wandte sich ohne Reaktion ab.

"Er wollte gar nichts von mir", erklärte Sakura seufzend. "Lass ihn einfach in Ruhe, wie alle anderen auch. Wir haben uns nur zufällig getroffen, nachdem Karin von Tsunade-sama zu sich ins Büro gerufen worden war. Er hat sie begleitet und ging dann mit mir zurück ins Klassenzimmer."

Ino musste sich ein Grinsen verkneifen. "Ohne auf Karin zu warten? Das nenne ich eine gute Nachricht. Sie wird dastehen wie ein begossener Pudel."

"Sag das nicht, Ino!", warf Hinata mit immerleiser Stimme ein. "Wir sollten alle nicht so gemein sein."

"Ihr gehören noch viel schlimmere Gemeinheiten angetan, wenn du mich fragst!", brüskierte Ino sich erbittert. "Allein wegen dem, was sie Sakura angetan hat! Seht sie euch nur einmal an! Sie zerstört ihr Leben systematisch und wir sollen nicht gemein sein?"

"Ich meine ja nur, dass wir…"

"Papperlapapp, Gemeinheit ist das einzige, das gegen Karin auch nur im Ansatz effektiv ist!"

"Es reicht jetzt, Ino", mahnte Sakura. "So etwas zu sagen bringt uns nicht—" Sie wollte weiterreden, doch Morino Ibiki unterbrach in gewohnt eindrucksvoller Manier die trauten Gespräche seiner Schüler, die erschrocken zusammenfuhren, als er den dicken Zahlenwälzer aufs Lehrerpult knallte.
 

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Mathe war ein Arschloch—dies nur nebenbei bemerkt—doch wenn Sakura die Wahl gehabt hätte, hätte sie viel lieber den ganzen Vormittag, Nachmittag und Abend Ibikis endlosen Rechenaufgaben gegenübergestanden, als zu ertragen, was durch das Ende seiner furchteinflößenden Präsenz seinen Anfang nahm. Sobald der stämmige Lehrer seinen Schützlingen den Rücken zugewandt und in strammen Schritten den Klassenraum verlassen hatte, brach das Getuschel aus, das in vielen Fällen dem Lautstärkepegel nach gar nicht mehr das Synonym eines Getuschels verdient hatte. An allen Tischen war Sakura Thema Nummer eins. Shikamaru vergaß man dabei geflissentlich. Überall hieß es nur "Ich wusste schon immer, dass sie nicht so unschuldig ist" oder "Meistens haben es die Streber faustdick hinter den Ohren" und "Wenn ich ihre Mutter wäre, hätte ich sie längst von der Schule genommen!".

Sakura versuchte diese Kommentare mit aller aufzubringenden Willenskraft zu überhören, aber es ihr mehr ab, als sie hatte. Dass Naruto, Shikamaru und Ino abwechselnd jede neu anbrechende Minute mit Elan aufspringen wollten, um 'den tratschenden Hühnern gehörig die Federn zu rupfen', machte es auch nicht besser.

Folglich musste sie Babysitterin spielen und zusammen mit Hinata ständig neue Unruhen schlichten, bevor sie eskalieren konnten. Die Stunden zogen sich, die Pausen noch mehr. Unter den strengen Augen der anderen Lehrer konnten die Klatschgierigen zwar nicht operieren, dafür waren ihre bohrenden Blicke in Sakuras Nacken schlimm genug.

Erlösung fand sie auch nicht nach dem Vormittagsunterricht. Der Weg zur Mensa gestaltete sich als gefährlicher Spießrutenlauf durch hohle Vorwürfe, missbilligende Blicke und gezielt gezischte Beleidigungen. Nur mit Naruto und Shikamaru, die sie abschirmten, gelang es Sakura, wohlbehalten in die Mensa zu kommen.

Dort war die Stimmung noch eisiger.

Als sie den großen Raum betrat, lastete jedes Augenpaar tonnenschwer auf ihr. Die tadelnden Blicke durchbohrten sie. Sakura musste ihr Haupt senken und von Naruto am Arm zum Tisch geführt werden. Von alleine hätte sie keinen Schritt machen können.

"Es ist schlimmer als ich dachte", resümierte sie niedergeschlagen. Gerade ging eine Mädchentraube vorbei, die lautstark darüber redeten, wie unschicklich eine Schwangerschaft in diesem Alter nicht wäre. Sie taten es hinter vorgehaltener Hand in der Lautstärke eines vorbeidüsenden Flugzeugs.

"Kopf hoch, Sakura-chan, das legt sich schon wieder", versuchte Naruto sie aufzumuntern. Mit der einen Hand hielt er Hinatas, die anderen lag auf Sakuras Unterarm.

Seine Freundin stimmte ihm entschlossen zu. "Sie werden sich beruhigen, sobald es nicht mehr brandaktuell ist. Heute ist der erste Tag. Schon bald wird es vergessen sein."

"Du bist zu gut, Hinata", meinte Ino kopfschüttelnd. Sie ließ ihr Tablett von Sai tragen, der wortlos wie ihr Anhängsel hinter ihr herging. "Karin muss gestoppt werden. Kiba auch. Wieso druckt er derart haltlose Geschichten?"

"Ich glaube nicht", sagte Sakura ernst, "dass er sich der Auswirkungen bewusst war. Die Schülerzeitung ist sein Leben. Er schreibt alles, was sich gut lesen lässt, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Dass er mir damit Schaden zugefügt hat, weiß er vermutlich gar nicht."

"Er hat selbst einen Schaden, wenn ihr mich fragt", meinte Ino halblaut. "Klein ist der aber nicht. Und im Kopf hat er auch nichts. Wenn ich den in die Finger kriege, werd ich ihn platt machen, das schwöre ich!"

"Das hilft jetzt auch nichts mehr. Karin scheint es auch nicht gut zu gehen. Schaut." Sakura deutete auf den hinteren Tisch, an dem sich Karin zwischen Sasuke und Suigetsu niedergelassen hatte. Sie war kalkweiß und wütend; zumindest wütender als sonst, denn eine gewisse Grundwut hatte sie in der Öffentlichkeit immer zur Schau getragen.

"Tsunade-obaachan hat sie hoffentlich ordentlich zusammengestaucht", freute sich Naruto.

Dieser Gedanke zauberte ihnen allen ein Lächeln auf die Lippen und hätten sie gewusst, dass es wirklich der Tatsache entsprach, hätten sie sich ein halbes Bein ausgefreut.
 

"Diese Ziege", zischte Karin halblaut. Ihre schlanken Finger wanden sich fester um das unschuldige Glas, in dem verdünnter Orangensaft sein trostloses Leiden fristete. "Droht mir mit dem Rausschmiss, wenn sich rausstellt, dass ich das wirklich war."

Sasuke aß neben ihr seelenruhig sein Mittagessen und sagte ohne sie anzusehen tonlos: "Du warst es doch nicht, also beruhige dich."

Karin biss sich brummend auf die Lippe. Sie leerte ihr Glas in einem Zug, ehe sie sich verplappern konnte. "Natürlich war ich es nicht. Wieso auch?"

Sie warf Suigetsu einen strengen Seitenblick zu. Er starrte mahnend zurück. Natürlich wusste er sehr wohl von ihrer Schuld, aber Karin hatte ihm strikt verboten, jemandem davon zu erzählen—verständlicherweise.

"Dann reg' dich ab und iss, bevor du verhungerst. Du hast seit Tagen nichts Anständiges mehr gegessen."

"Schon gut. Ich frage mich nur, warum Haruno mich beschuldigt, obwohl sie genau weiß, dass ich es nicht war." Der warnende Blick auf Suigetsu wurde strenger; pah! Als würde er sie verraten. Ihre Missetaten, in die er eingeweiht war, waren sogar ihm unzählbar und noch nie hatte er den Mund aufgemacht.

Sasuke zuckte indes nur die Schultern.

"Was soll das denn jetzt? Stehst du etwa auf ihrer Seite?"

"Nein", verteidigte Sasuke sich genervt. Ihm war der Grund dieser Diskussion gerade gar nicht bewusst. "Ich bezweifle nur, dass Sakura das tun würde. Vielleicht hat Tsunade einfach eure Zankereien als Basis für ihre Verdächtigung hergenommen, was weiß ich. Jedenfalls hat Sakura keinen Grund, dir derartiges zu unterstellen. Das ist meine Meinung."

Karin wandte beleidigt den Blick ab. "Fein", zischte sie kaum hörbar. "Sie ist nicht so toll wie du denkst und sie ist gerissener, als du ihr zutraust. Ich spreche aus Erfahrung. Dieses Bist will mich fertigmachen. Das ist meine Meinung."

"Mach dich nicht lächerlich."

"Was geht da eigentlich zwischen dir und ihr ab?"

Ertappt von dieser direkten Frage, so unscheinbar wie eine Bemerkung übers Wetter vorgebracht, verschluckte Sasuke sich fast an seinem Tee. Nur mit Mühe konnte er seinen Schreck verbergen, ehe er sich wieder gefasst hatte. "Was soll vorgehen? Sie ist ein nettes Mädchen. Muss ich sie hassen, nur weil ihr seit Jahren streitet?"

Karin erwiderte darauf vorsorglich nichts. Egal was sie gesagt hätte, sie hätte verloren, also beließ sie es dabei, ohne seinen Groll auf sich zu ziehen oder ihm ein Freiticket zu geben. Die Sache war eindeutig aus dem Ruder gelaufen. Wenn sie nicht bald die nächste Stufe ihrer Beziehung erreichte, würde sie ihn vielleicht bald verlieren. Selbst wenn es riskant war.
 

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Die Tage zogen ins Land, ohne dass es für Sakura besser wurde. Vorwurfsvolle, angewiderte Blicke erreichten sie immer noch jeden Tag und obgleich das Gemurmel weniger geworden war, schien das Thema noch lange nicht erschöpft zu sein.

Ihre Freunde machten sich große Sorgen um sie, aber obwohl sie ihr in jeder freien Minute beistehen wollten, gab es für sie auch noch andere Dinge außer den Missständen ihrer Freundin. Zum Beispiel Geschichtenachhilfe in der Bibliothek, in der Shikamaru beinahe verzweifelte.

"Noch einmal von vorne. Die Schlacht von Sekighara fand wo statt?", fragte Shikamaru, den Impuls unterdrückend, sich die Haare zu raufen. Temari mochte ja nett und gescheit sein, aber mit Namen und Zahlen hatte sie es wirklich nicht.

"Bei Sekigahara", antwortete sie stolz.

"Und das liegt wo?"

"Damals in der Präfektur Mino, die heute die Präfektur Gifu ist."

"Schön. Welche zwei Kontrahenten standen sich gegenüber?" Er drückte im Geiste hundert Daumen, dass es diesmal richtig war. Noch einmal stand er das einfach nicht durch.

"Ähm, Oda Nobunaga und… Mozart?"

"Mozart ist doch keine Antwort, zum Teufel, Temari!" Shikamaru Kopf knallte lautstark auf die Tischplatte. Seit zwei Stunden bemühte er sich, ihr die Schlacht von Sekigahara hinreichend zu erklären.

Gemerkt hatte sie sich nicht viel.

Ihre Standardantwort, wenn sie etwas nicht wusste, war unerklärlicherweise dieser Komponist. Auf den Tisch murmelnd fragte er: "Wie kommst du auf Oda Nobunaga? Das war einer der drei Reichseiniger am Ende der Sengoku Periode! Das war fast hundert Jahre früher! Und was hast du überhaupt mit diesem Mozart?!"

Temari streckte ihm genervt die Zunge raus. "Weiß ich doch. Ich wollte nur dein Wissen testen. Mozart war übrigens ein österreichischer Komponist aus Salzburg."

"Du machst mich echt fertig. Wir gehen es noch einmal durch, okay? Mozart war übrigens Deutscher. Er hat nur in Salzburg gelebt."

Also erklärte er es ihr noch einmal. Wie die Schlacht begonnen hatten, warum es dazu gekommen, wer beteiligt gewesen und was am Ende dabei rausgekommen war. Richtig konzentrieren konnte er sich nicht. Er konnte es Temari nicht übel nehmen, dass sie wenig von seinem Unterricht verstand. Seine Gedanken kreisten ständig um etwas anderes. Um etwas, das ihm partout nicht aus dem Kopf gehen wollte.

Ino.

Mit ihrer unverschämten Anschuldigung, eifersüchtig auf Sai zu sein, ihn sogar zu triezen, hatte sie ihn verärgert, zugegeben. Leider war es genau das, was er an ihr mochte. Ihre Verrücktheit, ihre Spontanität, ihre Zerstreutheit. Er mochte diese Seiten an ihr, selbst wenn sie sich damit ständig in die Bredouille ritt.

"War das richtig?"

Temari riss ihn abrupt aus seinen Gedanken. Er gähnte und nickte, auch wenn er keine Ahnung hatte. Andererseits, wenn sie es jetzt noch nicht kapiert hatte, brachte alles andere auch nichts mehr. Der Geschichtstest war immerhin morgen.

"Sehr gut. Willst du noch etwas durchgehen oder reicht es für eine positive Note?"

Mit Ino hätte er sicherlich noch weitere acht Stunden hier verbracht. Zumindest damals, als sie noch in ihn verliebt gewesen war. Sie hätte sein Angebot schamlos ausgenutzt, bloß um Zeit mit ihm zu verbringen.

"Shikamaru? Hörst du mir zu?"

"Hm, was?" Er sah müde auf.

"Wo sind deine Gedanken?", fragte Temari verwundert und gleichzeitig besorgt. "So kenne ich dich gar nicht. Ist etwas passiert? Ist es wegen Sakura?"

"Es geht nicht um sie", korrigierte Shikamaru in einem unbedachten Moment. Nun hatte er verloren. Temari würde so lange nachfragen, bis sie eine Antwort hatte. Sie hatte es sogar zu Halloween geschafft, ihn in ein Kostüm zu zwängen, da war ein Geständnis eine leichte Aufgabe. Er wollte es trotzdem drauf ankommen lassen.

"Wenn nicht um sie, um wen dann?"

"Niemanden. Es ist nichts Wichtiges. Ich bin bloß müde." Runde eins—ein Sieg für ihn.

"Du bist faul. Man muss dir kräftig in den Arsch treten, um etwas von dir zu bekommen, das weiß ich. Sag die Wahrheit."

"Vergiss es einfach." Runde zwei—unentschieden.

"So kannst du mich nicht abspeisen, mein Lieber. Sag es, oder ich werde dir die Knochen brechen!" Temari machte eine Drohgebärde in seine Richtung. "Los!"

"Nein!"

"Sag es!"

"Nein!"

"Mach schon!"

"Es geht um Ino."

Temari war plötzlich leichenblass. Ihre Lippen, vorhin noch von einem süßen Lächeln umspielt, waren zu einer harten Linie verkommen. Shikamaru zuckte bloß die Schultern.

"Sie meinte, ich wäre eifersüchtig auf Sai. Wie es scheint, hat dieses Weib sogar recht damit. Vermutlich bin ich mehr in sie verknallt als ich dachte."

"Oh." Temari packte mit mechanischen Bewegungen ihre Bücher zusammen. "Ich gehe dann besser."

Aber Shikamaru hielt sie zurück. "Kannst du mir vielleicht einen Rat geben?" Sie hielt für einen Moment inne, ohne eine Antwort parat zu haben. Mit gesenktem Blick sagte sie ernst: "Frag mich das lieber nicht. Ich bin der Meinung, dass du jemanden verdient hast, dem du wichtig bist und der nicht ständig Spielchen mit dir spielt. Aber mach was du willst. Wenn sie es dir wert ist, schmeiß deine Ansprüche ruhig über Bord."

Shikamaru sah ihr ratloser nach, als er zuvor gewesen war.
 

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"Er ist ein Idiot!", brach es aus Temari heraus. Sie hatte sich auf ihr Bett geworfen und malträtierte den Kopfpolster mit einer groben Umarmung.

"Was ist denn passiert?", wollte Sakura neugierig wissen. Sie saß hinter ihrem Schreibtisch, der sich unter den vielen Büchern bedrohlich bog.

"Nichts." Temari setzte sich auf und sah mit geschürzten Lippen zu Sakura, die sich wohlweißlich, dass ihre Freundin trotzdem alles beichten würde, auf ihrem Sessel in Temaris Richtung drehte. "Shikamaru hat mir gerade erklärt, dass er eifersüchtig auf Sai ist."

"Ist nicht wahr!", entfuhr es Sakura. Sie schlug sich die Hand vor den Mund. "Er meinte doch, sie hätte seine Sympathien verspielt hätte?"

"Sscheinbar doch nicht. Er wollte einen Rat von mir."

"Und, was hast du gesagt?"

"Dass er mich besser nicht fragen soll. Und dass er etwas Besseres verdient hat als Ino."

"Das ist ziemlich hart, weißt du das?", erklärte Sakura behutsam. Sie sah den Zorn in Temaris Augen und die Enttäuschung, konnte sich aber nicht erklären, von wo diese beiden Gefühle kamen. "Ino ist immerhin unsere Freundin. Du solltest nicht so hart mit ihr ins Gericht gehen. Wir alle haben Fehler."

"Aber sie hat doch jetzt Sai!", fuhr Temari ihr dazwischen. Sie wandte schnell den Blick ab, ehe Sakura die Tränen in ihren Augen sehen konnte. "Sie soll sich mit ihm begnügen. Das ist nicht fair."

"Temari?" Sakura stand auf und setzte sich neben Temari aufs Bett. Sachte legte sie ihr den Arm um den Rücken. "Kann es sein, dass du in Shikamaru verliebt bist?"

Als sie das sagte, begann Temari hemmungslos zu schluchzen. Ihre Schultern zuckten unaufhaltsam, während dicke Tränen ihren Weg nach draußen fanden. Sakura hatte Temari noch nie weinen sehen; diese starke, unbeirrbare Persönlichkeit. Sie sah so elend aus, so bemitleidenswert, dass es ihr in der Seele wehtat.

"Wie lange schon?" Aber Temari konnte unter ihren Tränen keine Antwort geben. "Als du vor vier Monaten sagtest, du wärst in ihn verliebt, um mich zu testen, da war es keine Lüge?"

Temaris Nickten ging unter ihren heftigen Zuckungen beinahe unter, aber Sakura sah es.

"Keine Ahnung, wann es angefangen hat", presste Temari hervor. Ein Schluchzer unterbrach sie. "Eines Tages habe ich ihn angesehen und da war es schon zu spät. Ich wollte nicht…ich konnte nicht…wegen Ino!"

"Denkst du denn, dass er dich liebt? Oder lieben könnte?"

Dabei brach Temari noch heftiger in Tränen aus. Sie weinte minutenlang, ehe sie einer Antwort fähig war. "Er liebt doch sie!"

Sakura wusste darauf nichts mehr zu sagen. Egal was sie auch zur Antwort gehabt hätte, es hätte nichts gebracht. Darum verblieb sie stumm tröstend neben Temari, bis sie sich wieder gefangen hatte.
 

Temari war noch nie ein Kind von Traurigkeit gewesen und sie hatte ihre Gefühle für Shikamaru lange verdrängt, sodass sie wieder zu verstecken, keine großen Umstände bereitete. Sie selbst hatte einst alle Kraft darin gesteckt, Shikamaru und Ino zu versöhnen, obwohl sie damals in ihn verliebt gewesen war. Sie konnte es gut kaschieren indem sie sich einredete, dass es bloß eine Phase war.

Sakura sah das Ganze etwas problematischer. Verdrängte Gefühle waren nie gut, aber Temari wollte das nicht hören. So blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Mitbewohnerin mit jenen Samthandschuhen anzufassen, mit denen ihre Freunde sie selbst betätschelten, denn der Aufruhr um Sakura hatte noch nicht einmal ansatzweise nachgelassen, selbst nicht nach zwei Wochen. Inzwischen gab es sogar einige, die behaupteten, einen Babybauch zu sehen oder schwörten, Sakura mit Morgenübelkeit auf der Toilette gesehen zu haben.

Sie hatte anfangs gedacht, dass es ihr mit der Zeit egal sein würde, aber das war es nicht. Alle paar Tage tauchte ein neues Schauermärchen auf, das sie als verantwortungslos, berechnend oder sogar als Flittchen darstellte. Karin beobachtete das alles aus dem Hintergrund mit genügend Genugtuung, um Sakura in stumme Rage zu versetzen. Gegen Karin waren bislang keine Beweise vorgebracht worden und sie würde wieder einmal ungeschoren davonkommen. Das ärgerte Sakura so maßlos, dass es den Ärger über ihre Schwangerschaftsgerüchte um ein Vielfaches überschattete. Und dass Sasuke nach alledem weiterhin zu Karin hielt, machte sie sogar noch sehr viel wütender, selbst wenn sie sich das auszureden versuchte.

So verliefen die Tage zu einer scheinbar endlosen Prozedur, die mit jedem Tag mehr an ihren Nerven zehrte—bis zum Donnerstag, fast drei Wochen nach der Veröffentlichung des Artikels.
 

Sakura kam erst später zum Frühstück. Während sie immer wieder versucht hatte, Temari zu einem Geständnis zu überreden, hielt diese fest an ihrer Verdrängungsmethode fest, die auch noch Erfolg zu haben schien. Sie wirkte fröhlich, normal, so wie immer eben. Die Nachhilfestunden mit Shikamaru verliefen in gewohntem Maße auf einer Schüler-Lehrer-Basis und ihre Reserviertheit fiel ihm nicht auf. Shikamaru ging es ganz ähnlich mit Ino. Sie würdigte ihn kaum eines Blickes, noch seltener eines Wortes, und dass er immer öfters in ihrer Nähe war, fiel ihr nicht auf.

Über diese Dinge unterhielt sich niemand bei Tisch, natürlich nicht. Sie schwebten in der Luft, unberührt von allen Gesprächsthemen, die sich um so vieles und auch nichts drehten. Naruto und Hinata planten mal wieder eine Verabredung, Ino prahlte mal wieder mit den Dates, die Sai und sie schon gehabt hatten, Temari und Shikamaru schwiegen sich einvernommen an, Neji und Tenten aßen friedlich nebeneinander und Gaara und Sayuri—die inzwischen wieder ein Herz und eine Seele waren—plapperten über einen nichtigen Quatsch, der keinem außer ihnen etwas bedeutete.

"Morgen, Sakura", murmelte Tenten verschlafen.

"Morgen", erwiderte sie und setzte sich mit gesenktem Blick. Sie stach fester als nötig auf ihr Frühstück ein.

"Was ist los, Sakura-chan?"

"Ich habe einen neuen Rekord aufgestellt. Acht Beleidigungen und drei Fragen, in welchem Monat ich wäre—und das bloß auf dem Weg von der Essensausgabe hierher. Langsam reicht es mir." Ihr Griff um das Besteck festigte sich, während sie in mechanisch abgehakten Bewegungen aß. "Das ist so was von zum Kotzen, ich krieg die Krise. Anfangs hat es mich verletzt, aber inzwischen nervt es einfach nur—"

Sie wurde von drei vorbeigehenden Mädchen unterbrochen, die ihr mitleidig die Hände auf die Schultern legten. "Es tut uns ja so leid", sagte die eine. "Du wirst nicht auf die Universität gehen können, wenn das Kind einmal da ist. Dabei wärst du dort gut aufgehoben gewesen mit deiner Intelligenz!"

"Ja", stimmte die zweite zu. "Aber so intelligent kannst du ja doch nicht sein, wenn du in diesem Alter schwanger wirst." Die drei brachen in schallendes Gelächter aus, das Sakura dazu brachte, ihre Augen konzentriert zu schließen. Ein falsches Wort…

"Dann ist wenigstens kein Talent vergeudet", setzte die dritte im Bunde nach und das war das falsche Wort.

Wie von einer Tarantel gestochen, fuhr Sakura auf, schüttelte grob die Mitleidsgesten der drei Drittklässlerinnen ab und stellte sich wütend auf den Tisch mitten in der Mensa. Der Tumult hatte das erreicht, was sie gewollt hatte: Aufmerksamkeit. Sie konnte sehen, wie alle Blicke sich ihr zuwandten; auch die von Sasuke und Karin.

"Jetzt hört mal alle zu!", fauchte sie außer sich vor Zorn. Ihre Augenbrauen hatten sich wütend zusammengezogen. "Ich sage es euch ein für allemal! Ich! Bin! Nicht! Schwanger! Und ich werde es gewiss auch noch lange Zeit nicht sein! Glaubt nicht alles, was Inuzukas Käseblatt schreibt! Wenn ihr etwas wissen wollt, fragt die Betroffenen selbst und tuschelt nicht wochenlang herum! Das geht mit tierisch auf den Geist! Ich wünsche, in Ruhe gelassen zu werden! Der Grund für meinen Zusammenbruch war kein Kind, sondern ein einfacher Schwächeanfall! Im Gegensatz zu den meisten unterbelichteten Hühnern hier, lerne ich nämlich für meine Noten und habe nicht nur Lipgloss und Gucci im Hirn! Wenn jemand ein Problem damit hat, soll er es mir jetzt sagen!"

Sie sah auffordernd auf die Schüler herab, die allesamt in ihren Bewegungen innegehalten hatten. Als keiner etwas sagte, nickte sie zufrieden.

"Fein. Danke für eure Aufmerksamkeit und einen schönen Tag noch. Ich empfehle mich." Sie stieg mit pochendem Herzen vom Tisch, nahm schwungvoll ihre Tasche und ließ ihr Essen achtlos auf ihrem Platz zurück. Ihr nächster Weg führte sie nach draußen, wo sie erst einmal verarbeiten musste, was eben geschehen war.
 

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Sense And Spring


 

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Sakura starrte auf die reißenden Wellen, die im aufkommenden Sturm gegen die kleine Klippe prallten, auf der sie stand. Die Gischt spritze hoch und an ihr vorbei. Sie hatte den Kopf in die Hände gelegt. Hoffentlich hatten sie es jetzt alle verstanden. Sie war nicht schwanger, kein Drogenjunkie und erst recht nicht mit Shikamaru liiert. In keiner Weise und aus keinem Grund. War es so schwer gewesen, das endlich zu kapieren? Zum ersten Mal seit Monaten fühlte Sakura Erleichterung. So viele Missverständnisse, so viele Hetzen gegen sie—das alles hatte endlich ein Ende.

"Nette Ansprache."

"Danke."

Ohne sich umzudrehen, hatte Sakura die tiefe Stimme erkannt. Sie wollte nicht reden, vor allem nicht mit ihm. Ob er weggehen würde, wenn sie ihn darum bitten würde? Wohl kaum. Er setzte immer seinen Willen durch. Also versuchte sie es erst gar nicht.

"Drinnen tobt ein Orkan."

"Soll mir recht sein", gab sie trocken zurück. Der stärker werdende Wind fuhr ihr durchs Haar und sie fröstelte leicht. Vor ihr prallte eine Welle gegen die zerklüftete Steinwand und hinterließ an ihrem Rand flaumige Gischt. "Es sieht schön aus, wenn Wellen gegen die Küste schlagen. Die Gischt wirkt wie Wolken im Wasser."

"Hm", machte Sasuke. Er trat dicht an sie heran, um ebenfalls hinab zu schauen. "Du hast recht. Aber die Wolken im Himmel sind friedlich. Weiß und flauschig. Der weiße Schaum im Wasser sieht aus, als wäre er zerschlagen worden."

Sakura musste lachen. "Das Wort flauschig aus deinem Munde zu hören ist eine verstörende Sache."

Sasuke grinste, doch sie sah es nicht. "Sie reden in der Mensa alle darüber, wie dumm man nicht war, dass man dir nicht geglaubt hat. Sie machen Kiba dafür verantwortlich und auch Karin. Jeder vermutet sie als den wahren Übeltäter."

"Klischee", bemerkte Sakura und fügte hinzu: "Du hältst zu ihr, nicht?"

Sasuke nickte. "Sie ist meine Freundin."

"Tolle Antwort. Deine Patentlösung für alles, hm?"

"Kannst du auch mal einen Satz ohne ein Fragezeichen beenden?"

"Stört dich das etwa? Fragezeichen."

Sasuke fuhr sich durch die vom Wind zerzausten Haare. "War ja klar. Ich kenne dich seit einem halben Jahr. Langsam weiß ich, wie du tickst."

Sakura lachte hohl. "Wow, ein halbes Jahr, was für eine Ewigkeit", meinte sie sarkastisch. Dann besann sie sich. "Du hattest noch nie einen Freund länger als ein paar Wochen. Diesmal war es keine Frage, möchte ich nur anmerken. Ich weiß nicht, wie das ist. In diesem goldenen Käfig zu sitzen, immer auf sein Geld reduziert zu werden. Aber du darfst kein Mitleid von mir erwarten. Meiner Ansicht nach bist du selbst schuld. Wo immer du die Chance hättest, Freunde zu finden, verbaust du dir diese Möglichkeiten in perfekt einstudierter Manier. Auch wenn ich es nicht gerne zugebe, du bist bei uns nicht alleine schuld. Wir waren gewiss nicht die beste Gesellschaft für jemanden wie dich; mit unseren Kommentaren, unseren Vorurteilen und unseren Spielchen."

"Ich weiß, auf was du hinauswillst, Sakura. Und ich danke dir. Für so vieles."

"Dank mir lieber nicht zu früh", versetzte sie mit abwinkender Handbewegung. "Du hast dich nicht verändert. Du bist etwas höflicher, aber im Grunde bist du so wie du warst. Wir haben dir bloß einen kleinen Dämpfer versetzt. Sobald du deinen Abschluss hast, wirst du es vergessen haben. Du wirst wieder der Alte sein, als hätte es uns nie gegeben. Das ist okay. Niemand verlang von dir, dich zu ändern." Nun wandte sie sich zu ihm um und lächelte leicht. "Aber ich danke dir von Herzen, dass du mir Einblicke in dein Leben gegeben hast. Und Einblicke in dein wahres Ich, das gar nicht so schlecht ist, wie du es gerne hättest."

Sie hob den Arm, zögerte kurz und berührte ihn dann doch sanft an der Schulter.

"Du wirst niemals die gutmütige Frohnatur sein, die zu sein sicherlich einfacher wäre. Aber immerhin bist du du und bleibst dir treu. Das ist, was zählt, denn es ist eine Eigenschaft, die in unserer Zeit viel zu selten vorkommt. Ich bewundere das an dir und ich wünschte, ich könnte auch einfach ich selbst sein."

Dann ging sie mit so viel melancholischer Erleichterung, dass sie ihr klopfendes Herz gar nicht erst wahrnahm.
 

Sakura stieß niedergeschlagen Luft aus ihren Lungen, um die sich ihre Eingeweide zusammenzogen. Sie dachte nach, wie so oft dieser Tage. Auf dem Nebenbett lieferten sich Sai und Ino einstweilen eine erbitterte Diskussion, derer sie mit halbem Ohr lauschte und die von Temari misstrauisch beäugt wurde.

"Wie wäre es mit einem Liebesfilm?"

"Das ist Klischee."

"Eine romantische Komödie?"

"Langweilig."

"Sai?"

"Ja?"

"Du bist ein schlechter Freund."

"Ich tue mein Bestes."

"Merkt man."

"Könntet ihr bitte aufhören? Ihr kotzt mich an", meckerte Temari zwischen die abgehackte Konversation. "Seit einer halben Stunde geht das schon so! Wie lange seid ihr bitte zusammen? Zwei Monate oder Zwanzig Jahre? Ihr macht mich fertig!"

Ino und Sai sahen erst sich verdutzt an, danach wandten sie sich ratlos an Temari, ehe sie sich wieder einander zuwandten und sich flüchtig küssten. "Wir verstehen uns eben", bemerkte Ino.

"Genau", stimmte Sai nickend zu. "Muss doch nicht immer alles romantisch sein."

"Wohl, wohl. Kitsch ist out."

Das war ein gekonnter Seitenhieb auf Shikamaru, was Temari verärgert zischen ließ. Sie wandte sich mit verschränkten Armen ab und murmelte unverständliche Beschwerden.

Das beleidigte Paar zuckte bloß die Schultern und Ino fuhr fort: "Shikamaru war sowieso nur eine Phase." Dabei hatte sie die Hand auf Sais Knie gelegt. "Inzwischen weiß ich, dass ich nie wirklich auf ihn scharf war. Wer könnte denn schon mit dieser trägen Lustlosigkeit zusammen sein? Nein, ich auf keinen Fall."

"Halt doch mal die Klappe", brummte Temari. "Sakura! Sag doch auch mal was!"

Die Angesprochene drehte sich lethargisch auf dem Bett zu den Streithähnen. "Was ist denn los? Tut mir leid, ich war in Gedanken."

"Sag bloß", meinte Temari sarkastisch. "Ino ist bloß eingeschnappt, weil Shikamaru nichts von ihr will! Und jetzt macht sie ihn runter, damit sich ihr Ego besser fühlt!"

"Gar nicht! Nimm das zurück!"

Doch Temari dachte gar nicht daran. Sie stand auf, ohne Ino eines weiteren Blickes zu würdigen und ging mitsamt der entspannten Stimmung aus dem Zimmer. Sakura beobachtete die Szene erst teilnahmslos, dann erhob sie sich ebenfalls—allerdings mehr wehmütig seufzend denn ernsthaft verstimmt. "Ich geh ihr nach und bieg das wieder grade. Viel Spaß heute Abend im Kino, was auch immer ihr euch anseht."

"Einen Liebesfilm."

"Einen Actionfilm."

"Was heißt hier bitte Actionfilm? Vergiss es!"

"Vergiss du mal lieber deinen Liebesfilm! Ich bin ein Kerl und keine weinerliche Mimose!"

"Wenn du dir nicht den Film mit mir ansiehst, mach ich dich fertig und dann wirst du eine sein!"

Sakura bekam nicht mehr von diesen koketten Diskussionen mit, mit denen sich die beiden immer zu unterhalten wussten. Ino und Sai waren wirklich ein seltsames Paar. Ihre einzige Gemeinsamkeit war die Anzahl der Buchstaben des Vornamens und das I darin. Und trotzdem funktionierte es. Vielleicht war es so vorherbestimmt. In vielen Beziehungen konnte man beobachten, dass die größten Gemeinsamkeiten zu Schwierigkeiten führten und die ärgsten Gegensätze ein Pärchen enger zusammenschweißten. Und dann gab es wieder die Bilderbuchbeziehungen, in denen Gemeinsamkeiten Harmonie und Gegensätze Streit implizierten. Sie hatte sich nie viele Gedanken darüber gemacht—wieso auch? Es hatte sich nie ergeben und sie auch nie interessiert—doch langsam war sie der Meinung, dass kein einziges Sprichwort eine funktionierende Beziehung vorhersagen konnte. Es musste vermutlich einfach passen.

Ob es zwischen Sasuke und Karin auch einfach passte? Der Gedanke versetzte ihr einen heftigen Stich. Wenn es zwischen den beiden gut lief, dann hatte das wohl seinen Grund. Sie war stoisch genug, um sich damit abzufinden. Und sie war egoistisch genug, um das Schicksal dafür zu hassen.
 

Es war alles gesagt und man widmete sich den angenehmen Dingen des Lebens. Um ehrlich zu bleiben, konnte man Lernen kaum zu den angenehmen Dingen des Lebens zählen, doch im Vergleich zu allen verfügbaren Alternativen—Liebesdramen, Anschläge, verhängnisvolle Leidenschaften—besann man sich gerne auf die fundamentalen Aufgaben und auf die Grundidee dieser Schule, die seit Monaten für einige ihrer Schüler keine Stätte der Bildung mehr gewesen war, sondern viel eher ein Vorraum der moralischen Hölle. Aber das war nun vorbei und der restliche Jänner, sowie auch der Februar verliefen langweilig und trist oder mit freundlicheren Worten ausgedrückt: ruhig und friedlich.

Ino und Sai waren—welch Wunder—noch immer ein Paar, das fester denn je zusammen war. Nichts konnte ihre Beziehung erschüttern, wieso auch immer. Auch Naruto und Hinata waren ein Herz und eine Seele und Sayuri machte mit Gaara erhebliche Fortschritte. Temari behielt Stillschweigen über ihren Vorzug gegenüber Shikamaru und Sakura ging das alles am Allerwertesten vorbei. Sie konzentrierte sich ausschließlich auf ihre Prüfungen und den Aufnahmetest fürs Medizinstudium, waren erstere doch bereits in drei Wochen und zweites in zwei Monaten. Ihre seltsamen Gefühle für Sasuke hielt sie dicht verschlossen hinter einer dicken Barrikade aus Büchern. Das funktionierte sehr gut, bis auf die wenigen Minuten, in denen sie Sasuke und Karin zusammen sah.

So verstrich der Februar in ereignisloser Monotonie, ohne dass die Schülerzeitung etwas zu schreiben gehabt hätte. Wer für das Attentat auf Sakura verantwortlich gewesen war, wusste man noch immer nicht—es gab weder zwingende Beweise gegen Karin noch gegen jemand anderen—woraufhin das Interesse dafür abebbte. An eine mögliche Schwangerschaft verschwendete niemand mehr einen Gedanken, ebenso wenig an eine Hochzeit; Sakuras Ausbruch war eindrucksvoll genug gewesen, um die nach Skandalen lechzende Meute für immer zum Schweigen zu bringen.

"Hättet ihr in den letzten Monaten gedacht, dass es noch einmal so ruhig sein würde?", fragte Hinata in die Runde. Sie lernten mit ihren Freundinnen zusammen japanische Geschichte in Inos Zimmer.

"Niemals", antwortete Sakura mit einer wegwerfenden Handbewegung.

"Ärgert es dich nicht, dass Karin nicht bestraft wurde?", bemerkte Ino fäusteschwingend. "Dass ausgerechnet der ach so intelligente Uchiha Sasuke dann auch noch mit ihr zusammenbleibt, weil er nicht kapiert, was für eine Schlange sie ist, finde ich außerdem wirklich bedenklich. Scheint doch nicht so klug zu sein, der Gute."

"Das denke ich weniger", wandte Sakura ein, den Blick auf ihr Buch gesenkt. Wenn Sasuke zum Thema gereichte, versuchte sie immer, sich nichts anmerken zu lassen—was auch immer es war, was man ihr anmerken hätte können. "Ihn interessiert es wohl einfach nicht, was sie tut, solange er mit ihr klarkommt. Solange er ihrer nicht überdrüssig wird und sie sich nichts beweisbar zu Schulden kommen lässt, was seine Meinung über sie zerstört, wird er weiterhin mit ihr zusammen sein, bis das Schuljahr zu Ende ist."

"Und dann nicht mehr, glaubst du?"

"Denk doch mal nach, Temari, wieso sollte er? Er hat dann viel bessere Mädchen zur Auswahl. Der Kontakt wird sich schnell verlieren. Sie verkehren nicht in denselben Kreisen. Sie ist adelig und er der Sohn eines Wirtschaftsmoguls. Sie wohnen in völlig anderen Bezirken, wenn er nicht sogar zurück nach Amerika geht. Wer weiß, was er vorhat. Ich denke jedenfalls nicht, dass Karin in seinem Leben bleiben wird."

"Denken oder hoffen?", murmelte Temari halblaut, doch Sakura ignorierte es. Dann verbesserte sie sich: "Ich stimme dir zu. Egal ob Wunschdenken oder nicht, Sasuke wird sich für sie kein Bein ausreißen. Man kann ihm nur wünschen, dass er irgendwann mal jemanden findet, der seinen Charakter zum Positiven verändert."

Sakura lachte hohl auf. "Man wird seinen Charakter nicht verändern können." Sie fügte jedoch schmunzelnd hinzu: "Aber vielleicht kann die richtige Frau ihn in einem etwas weicheren Licht erscheinen lassen." Sie lächelte selig über diesen Gedanken, der so unwahrscheinlich schien und schlug sich zugleich dafür, dass sie sich insgeheim als diese Frau sah. Zumindest für einen kurzen Augenblick.
 

Mit derartig erfolglosen Gesprächen lockerte man die ultimative Langeweile der Lernerei auf. Meist lenkte Sakura selbst die Themen in diese Richtung, denn danach war ihr Eifer immer wieder aufs Neue geweckt. Nur so konnte sie ihren Gedanken Luft machen, den Gefühlen Raum schaffen, die sie in unbedachten Momenten fehlender Selbstkontrolle innerlich vor sich selbst in die Knie zwangen, wo sie mit schweren Lasten auf den Schultern nicht die Kraft fand, sich zum Lernen aufzuraffen. Aber wenn sie kurz über Sasuke geredet hatte, dann war die Welt wieder gut, die Last nicht mehr da—zumindest für eine kurze Zeit—und sie war wieder sie selbst. Verrückt, wie sehr sie Uchiha Sasuke plötzlich brauchte, um ihr wahres Ich zu finden. Um es zu behalten. Niemals hätte sie das gedacht, nicht einmal geahnt und schon gar nicht gehofft. Es fiel ihr schwer, sich einzugestehen, dass ihr derzeitiges Glück von ihm abhing und er sich offenkundig gerade darum keine Sekunde lang scherte. Es war hart, das zu wissen und doch gleichzeitig genau das Gegenteil der Wahrheit annehmen zu müssen, um nicht in stille Verzweiflung zu verfallen, wo Sakura doch genau darüber in Kenntnis gesetzt worden war, welchen Stellenwert ihr Seelenfrieden oder gar sie selbst bei Sasuke innehatte. Nämlich gar keinen. Ironisch, wie sich die Dinge zu einem Kreis nicht enden wollender, repetitiver Muster schlossen, aus dem es kein Entrinnen gab. Da biss sich die Katze in den Schwanz. Ironisch. Und verrückt. Und so gar nicht nach Sakuras Geschmack, doch sie konnte nichts dagegen machen. Sie war verliebt, mehr noch, sie liebte den jungen Mann, der sie am wenigsten verdient hatte.
 

"Ich muss ein Buch holen…", seufzte sie erschlagen von diesem wirren Gedankengang, der ihr selbst nicht ganz eingehen wollte. Es war Ende März, draußen schien die Frühlingssonne und die Nerven der Abschlussklassen lagen blank. In zwei Wochen waren die Abschlussprüfungen und ausschließlich jeder hatte bisher zu wenig gelernt. Wenn man für sowas überhaupt genug lernen konnte.

"Schon wieder zu viel nachgedacht?", wollte Temari grinsend wissen.

"Hör bloß auf", zischte Sakura und erhob sich mit ächzenden Gelenken. Das stundenlange Sitzen tat ihrem Körper nicht gut. Sie brauchte Ferien—sie, der Superstreber. Und das wollte was heißen. Nun, sie brauchte eher Ferien von sich selbst, aber das ging ja nicht, also nahm sie mit dem Vorlieb, das sie bewerkstelligen konnte. "Mir platzt gleich der Schädel. Ich denke sogar schon im Lehrbuchstil, das ist echt nicht mehr schön."

"Welches Buch brauchst du denn?"

"Keine Ahnung. Das weiß ich, wenn ich da bin", gab Sakura zu. "Aber irgendeines werde ich schon brauchen." Sie zuckte sie Schultern und verließ die traute Runde, die sich, wie so oft, in Inos Zimmer eingefunden hatte.

"Sie braucht doch immer ein Buch", maulte Naruto. "Das kann nicht gut sein. Dieses ständige Denken."

Ino verpasste ihm mit der flachen Hand einen Schlag auf den Kopf. "Das genaue Gegenteil, das du fortwährend praktizierst, ist aber mindestens genauso schlecht!"

"Hey, was soll das, wieso schlägst du mich?", brüskierte sich Naruto, sich die schmerzende Stelle haltend. "Hinata, sag was! Das darf sie doch nicht so einfach!"

"Und ob ich das darf! Würde mich wundern, wenn du es durch die Abschlussprüfungen schaffst! Dass du bei den Vortests überhaupt so gut warst, ist echt ein Wunder! Hinata hätte dir nicht so viel helfen sollen. Wenn Sai und ich lernen, kommt es immer eher zu—"

"Ino!", schalt Hinata sie streng und wandte den Blick betont kühl ab. "Über so etwas redet man nicht in der Öffentlichkeit. Mir liegen meine Noten am Herzen und solange Naruto mit mir zusammen ist, lernt er auch mit mir. Du bist nur eifersüchtig, weil du bloß um einen Grad besser bist als er. Und das bei den Vortestungen."

Ino ballte die Hand zur Faust, besann sich dann aber. Ebenfalls den Blick abwendend, murmelte sie: "Eine Drei ist nichts, mit dem man angeben kann."

Anderswo vertrieb man sich seine Zeit nicht viel anders, wenn auch irgendwie komplett gegenteilig. Bei Karin, Sasuke und Suigetsu herrschte ein Frieden vor, den man nirgends anders finden konnte. Allerorten stritten sich die gestressten Gemüter wegen Kleinigkeiten, wegen Nichtigkeiten oder einfach nur so, um für ein paar Minuten den Blick von den Büchern heben zu können. Nicht so in Suigetsus Zimmer, das eine heilige Stätte willkommender Ruhe und Ernsthaftigkeit geworden war. Hier herrschte Streitverbot und sogar Sprechverbot, solange ein einziger Anwesender die Augen in einem Lehrtext versenkt hatte. Das war das oberste Gebot.

Heute war ein angenehmer, lauer Tag, weshalb Karin die Fenster weit geöffnet hatte und ermüdet den dicken Wälzer beiseitelegte, den sie bereits seit Tagen durchackerte. "Langsam nervt mich das", sagte sie und stand auf, um ihre steif gewordenen Glieder zu lockern. "Wenn ich nicht so hart arbeiten müsste, um an einer guten Universität aufgenommen werden zu können, würde ich das alles abblasen."

"Als ob du nicht sowieso überall mit Handkuss aufgenommen werden würdest", gab Suigetsu beiläufig zurück. "Wir wissen alle, wie scharf sämtliche Dekane darauf sind, die Verwandte der Kaiserin an ihrer Institution zu haben. Alleine dem Prestige wegen würden sie dich mit schlechten Noten nehmen."

"Papperlapapp, das ist nicht wahr. Wir sind hier nicht in Amerika!", empörte Karin sich, wirkte aber gleichzeitig zu höchst geschmeichelt. Sie warf Sasuke einen abwartenden Blick zu, doch dieser ließ sich nicht einmal ansatzweise dazu herab, einen dazu passenden Kommentar abzugeben. "Fein." Sie warf eingeschnappt ihre Haare zurück, ging auf ihn zu und beugte sich hinab. "Für was lernst du gerade?"

"Altgriechisch", sagte er knapp.

"Bitte?"

Er sah nun gezwungener Maßen auf und schlug das Buch zu. "War bloß ein Scherz. Ich lerne für Japanische Geschichte. Diese ganzen Jahreszahlen sind doch unmöglich alle zu merken. Und unnötig obendrein."

"Wohl wahr…", seufzte Karin. "Wieso lernst du überhaupt so viel? Dir kann es doch erst recht egal sein, mit welchen Noten du aussteigst. Nach dem Abschluss wirst du als Vorstandsmitglied das Unternehmen deines Vaters mitleiten und daran dein gutes Geld verdienen."

Sasuke stand nun ebenfalls auf, um sich zu strecken. Er ging an ihr vorbei, ohne sie anzusehen und sah aus dem Fenster auf die azurblauen Weiten des Himmels. "Vielleicht nicht. Vielleicht will ich mein eigenes Leben leben. Ohne das Geld meines Vaters, ohne dessen Berufswahl für mich. Ich möchte studieren. Glaube ich."

"Ach", machte Karin ernüchtert. "Was du nicht sagst. Und woher dieser plötzliche Sinneswandel? Wenn ich mich recht entsinne, hast du es nie darauf angelegt, ein Individualist zu sein."

"Als ob du mich schon so lange kennen würdest."

Karins Gesichtszüge erschlafften. Sie sah kurz zu Suigetsu und bedeutete ihm, zu verschwinden. Er verstand und verabschiedete sich unter einem durchschaubaren, fadenscheinigen Grund.

"Ich kenne dich, Sasuke", sagte Karin steif. Sie trat von hinten an ihren Freund heran und umarmte ihn. "Ich kenne dich besser als jeden anderen. Du bist wie ich, das haben wir bereits geklärt. Du benutzt Leute, betrügst und lügst, um dir deine Vorteile zu sichern."

"Vielleicht will ich nicht länger so sein."

"Wir sind, was wir sind. Und wir können uns nicht ändern. Wieso willst du anders sein? Dein Leben ist schön. Was kümmert dich die Meinung anderer Leute? Was kümmert es dich, ob du ihnen wehtust, wenn du dadurch glücklich wirst?"

Sasukes Blick verweilte weiterhin starr auf dem Horizont. Er hätte ihr zu gerne geantwortet, doch auf was hinauf? Sie würde seine Meinung nicht gelten lassen. Also beließ er es dabei und fragte sich im Stillen, wessen gute Meinung ihm wirklich am Herzen lag—die der anderen, oder bloß die dieses einen Mädchens?

Karin deutete sein Schweigen als ihren Triumph, was sie dazu veranlasste, sich enger an seine Brust zu schmiegen und mit den Fingern unter sein Shirt zu gleiten. Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um das Kinn auf seinen Schultern ablegen zu können und ihm verführerisch ins Ohr zu hauchen. "Wir kennen uns nun schon so lange, Sasuke. Wir sind schon so lange zusammen. Ich will nicht länger warten."

Er antwortete nicht und sie lächelte.

"Es ist Zeit für den nächsten Schritt. Für den entscheidenden Schritt. Sasuke." Karin küsste seinen Nacken, während ihre Finger seine Brust hinab wanderten, das Shirtareal verließen und in seine Hose glitten.

Plötzlich stoppte sie. Sasukes Griff hatte sich um ihr Handgelenk gelegt und zog ihre Hände wieder an die Oberfläche. "Ich muss lernen."

"Weist du mich zurück?", zischte sie wütend und wich zurück. Ihre Augen funkelten ihn verletzt an. "Sag bloß, du bist noch immer scharf auf diese Haruno-Schlampe!"

"Das hat nichts mit Sakura zu tun", zischte er zurück. Wieso er sich angegriffen fühlte, konnte er leicht vermuten.

"Ach, nein? Mit wem dann? Etwa mit mir? Bin ich nicht hübsch genug? Nicht sexy genug? Oder war ich für dich bloß Zeitvertreib, um Haruno zu ärgern?"

"Karin, hör auf mit diesem Blödsinn! Das hat nichts mit dir oder ihr zu tun. Wir sind im Prüfungsstress, wir sind in einen Raum, zu dem jeder sofort Zugang hat. Ich habe keine Lust darauf, mich erwischen zu lassen, bloß weil du dir gerade einbildest, mit mir schlafen zu wollen!"

Karin wich ein weiteres Stück schockiert zurück. "Also schön. Jetzt weiß ich wenigstens, was ich davon zu halten habe. Herzlichen Dank auch. Sag mir Bescheid, wenn du dich wieder normal benimmst. Ich für meinen Teil würde das, was wir miteinander haben, nämlich gerne auf eine höhere Ebene bringen. Weil ich dich liebe."

Damit stürmte sie zornig aus dem Zimmer, in dem sie Sasuke ratlos zurückließ.
 

Sakura war noch nicht weit gekommen, als sie am anderen Ende des Flurs ein rotes, tobendes Monster sah, das einen unschuldig wirkenden Blauhaarigen wütend mit sich zog. Sie konnte unschwer erkennen, dass es Karin und Suigetsu waren. Sie verdrehte hoffnungslos die Augen. Der arme Suigetsu. Er konnte am wenigsten für Karins schlechte Laune. Was sie wohl diesmal verärgert hatte? Sie war von jeher neugierig, was sie stets als Wissbegierde bezeichnet hatte, doch für diese Art von Themen war sie plötzlich sehr wohl zu haben. Sie hätte sich selbst nie zugetraut, dass sie den Mut hatte, Karin zu folgen.

Wieso ihr dabei die Knie zitterten, wusste Sakura nur allzu gut. Sie ahnte, dass es etwas mit Sasuke zu tun haben musste. Was genau sie hoffte zu hören, wusste sie hingegen nicht. Einen fatalen Streit? Eine unbedachte Äußerung, die Sakura Genugtuung verschaffen würde? Alles hätte sie erraten können, bis auf das, was ihre Ohren tatsächlich wahrnahmen.

"Sei nicht dumm! Willst du alles aufs Spiel setzen, bloß weil er heute nicht mit dir schlafen wollte?", fuhr Suigetsu Karin an. Er packte sie am Handgelenk und zerrte sie in eine der vielen Abstellkammern, die so gut wie nie benutzt wurden. Dabei zog er die Türe so fest zu, dass sie unbeachtet wieder aufsprang. Sakura pirschte sich unter seinen geflüsterten Beschwichtigungen weiter vor, direkt vor die Tür, um ja nichts zu verpassen.

"Dumm? Für wen hältst du dich? Es geht nicht darum, dass er nicht mit mir schlafen wollte—es geht darum, wieso er es nicht tun wollte!", fauchte Karin zurück. Es entstand eine kleine Pause, ehe ihr Gegenüber fortfuhr.

"Der Grund? Er hat ihn dir sicherlich genannt. Ich würde auch nicht mit meiner Freundin am helllichten Tag hinter einer unabgeschlossenen Tür schlafen wollen; noch dazu hinter Wänden, durch die man alles hört! Nicht so kurz vor dem Abschluss. Jeder Nerv liegt blank, da verspürt kein normaler Mensch den Drang zur Erotik. Und du auch nicht!"

Karin biss sich auf die Lippe. Sie senkte ihre Stimme bedrohlich, sodass Sakura draußen Mühe hatte, ihrem schnellen, zischenden Wortschwall folgen zu können. "Jetzt hör mir zu, du Vollidiot, es geht kaum darum, ob er sich der Erotik hingeben will oder nicht! Es geht darum, dass ich etwas brauche, um ihn behalten zu können!"

"Nicht das schon wieder! Karin, bitte, hör endlich auf! Du machst nicht nur sein Leben kaputt, sondern deines obendrein!"

"Das ist nicht wahr!", behauptete Karin empört. "Ich liebe ihn. Wenn wir diese Schule verlassen haben, wird er mich vergessen. Für ihn bin ich nicht mehr als ein willkommener Mädchenschreck, um ihn aus seiner Misere zu befreien, gut auszusehen. Seit er mit mir zusammen ist, hat ihn keine mehr angeschmachtet. Aber wir wohnen in unterschiedlichen Vierteln, vielleicht sogar bald in unterschiedlichen Städten—Gott weiß, an welcher Universität er studieren wird! Ich kann ihn nicht so einfach gehen lassen."

"Also willst du ihn erpressen? Karin, das ist kein Spiel mehr!", beschwor Suigetsu sie, doch sie schien strikt den Kopf zu schütteln. "Hör mir zu, Karin, das kann alles sowas von in die Hose gehen! Der Spaß hat aufgehört, als du Haruno dieses Zeug in den Drink geschüttet hast! Ich weiß, dass du das nicht wirklich wolltest, aber wenn es jemand herausfindet, bist du dran! Dann ist dein Leumund dahin und du kannst niemals Rechtsanwältin werden! Belass es einfach so, wie es ist, bitte!"

"Du verstehst das nicht", versetzte Karin ungerührt. "Ich will Sasuke. Und ich werde dafür sorgen, dass er bei mir bleibt."

"Erpressung ist kaum die richtige Möglichkeit", stellte Suigetsu fest. "Wer sagt dir, dass er sich erpressen lässt? Ein Foto, das ihn beim Sex mit seiner Freundin zeigt, ist kaum ein geeignetes Druckmittel."

Karin fuchtelte wild mit ihren Händen umher. Zumindest vermutete Sakura das, denn plötzlich fiel etwas scheppernd zu Boden. "Das vielleicht nicht, aber wenn ich das Foto erst einmal habe, werde ich ihm drohen, es mit einer hübschen kleinen Geschichte an die Zeitungen zu verkaufen. Ich werde einfach etwas erfinden—eine Schwangerschaft, eine Affäre, etwas in der Richtung. Das hat schon einmal geklappt, wie du weißt."

"Ja", sagte er, setzte aber nach: "Aber die Miya-So Monthly ist nicht die Japan Times und Miya-So ist nicht ganz Japan! Das alles ist viel größer. Hier war es ein Streich, der ein wenig ausgeartet ist, aber in der echten Welt nennt man das Betrug, Erpressung und im schlimmsten Fall Rufmord! Dafür kannst du ins Gefängnis gehen!"

"Ich mach das schon, okay? Misch dich einfach nicht ein."

Sakura ahnte das Ende des Gesprächs herbei und drehte sich leise auf den Zehenspitzen um, um so leise und schnell als möglich ein Versteck hinter einer Ecke zu finden. Das konnte einfach nicht wahr sein! Karin hatte gerade ein komplettes Geständnis abgelegt und sie hatte damit gedroht, Sasuke zu erpressen! Sakuras Herz klopfte wie verrückt. Sie musste schwer schlucken, doch ihre Kehle fühlte sich trocken und staubig an, als könne sie nie wieder ein Wort sagen. Aber sie musste! Sie musste Sasuke warnen! Also rannte sie los. Was blieb, waren Schritte, die in den leeren Gängen verhallten, und Zweifel, ob Sasuke ihr auch nur annähernd glauben würde.
 

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Shrifts And Veritys


 

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Es heiß an diesem Apriltag. Der Fünfundzwanzigste. Sakura starrte in den Himmel, der ihr noch nie so klar vorgekommen war. Sie hatte kein Recht dazu, sich in Karins Angelegenheiten einzumischen. Schon gar nicht in Sasukes. Wer war sie denn? Sie war keinem der beiden Rechenschaft schuldig, so viel stand fest. Sollte Karin doch tun, was sie nicht lassen konnte. Dann konnte Uchiha Sasuke wenigstens am eigenen Leib erfahren, wie es war, mit einer Lüge zu leben, die man nicht selbst gesponnen hatte. Es würde sogar interessant werden, ihm zuzusehen, wie er auf dem dünnen Drahtseil balancierte, das Karin für ihn über den Schluchten von Verzweiflung und Fingerzeig aufgespannt hatte. Sasuke war kein filigraner Mensch, der sich lange darauf würde halten können. Irgendwann musste er danebentreten und alle würden gegen ihn sein. Sein Bruder vielleicht nicht, dafür der Rest seiner Familie umso mehr. Die Geschäftsleute des Konsortiums seines Vaters, sämtliche Leute, die in diesen Kreisen verkehrten. Die oberen Zehntausend waren eine kleine Kohorte, in der sich Gerüchte noch schneller verbreiten konnten als ein Lauffeuer in dürrem Steppengestrüpp.

Sakura seufzte. Was machte sie sich vor? Sie würde es ihm sagen. Ihn in die Höhle des Löwen laufen zu lassen war vertretbar; lachend dabei zuzusehen, wie er die rote Mähne des Raubtieres liebevoll tätschelte, vielleicht nicht unbedingt die feine englische Art; aber dabei zuzusehen, wie der Löwe ihn in eine soziale Hölle stieß, war eine ganz andere Sache. Das würde sie nicht zulassen. Sasuke hatte viel verdient, aber gewiss keine öffentliche gesellschaftliche Mazzolata, bei der der Geldadel Japans mit spöttischen Wortkeulen auf ihn einschlugen. Vielleicht war Karin blind für die Lawine, die sie damit auslösen konnte, Sakura war es nicht. Ein Skandal war nichts Neues in einem sozialen Umfeld, das seit jeher seine etikettierte Gepflegtheit vor die inneren Abgründe schob und sich dabei auch noch gut vorkam. Ein Skandal dieser Tragweite allerdings, für welche Version ihrer Lüge sich Karin auch immer entscheiden mochte, konnte die Insolvenz für das gesamte Unternehmen der Uchihas bedeuten.

Eine Wolke in Form einer verkrüppelten Banane schob sich an einem Wolkenesel vorbei und vermengte sich zu einem kafkaesken Konstrukt, das Sakura wegschauen ließ. Irgendwie erinnerte sie dieses unförmige Ding an ihr Leben: formlos, wirr, der einzige störende Fleck auf einem ansonsten perfekten Himmel. Sie spielte mit dem Gedanken, Shikamaru einzuweihen oder Naruto oder Ino. Irgendjemandem davon zu erzählen, doch sie scheute davor zurück. Shikamaru hatte genügend gelitten. Naruto war zwar Sasukes obligatorischer letzter Freund, aber in letzter Zeit nicht unbedingt gut auf ihn zu sprechen. Ino würde Karin auch noch dabei unterstützen, schmutzige Details zu ersinnen. Mit den anderen konnte sie nicht sprechen.

"Das ist zum Verzweifeln!", fluchte sie und warf die Haare zurück. "Eine Katastophe! Ein Drama! Ein katastrophales Drama! Eine dramatische Katastrophe!"

"Na, gehen dir langsam die Kombinationsmöglichkeiten aus?"

Sakura zuckte zusammen. Für einen Augenblick hatte ihr Herz aufgehört zu schlagen. Obwohl sie die Stimme genau zuordnen hatte können, hatte sie für den Bruchteil einer winzigen Sekunde gehofft, Sasuke könnte sich neben sie setzen. Dann wäre der Teil des Ansprechens wenigstens erledigt. Stattdessen setzte Naruto sich. Der, den sie gerade am wenigsten sehen wollte. Oder zumindest einer von zweien. Temari und er sahen ihr immer sofort an, wenn sie etwas bedrückte und Naruto war ein Mensch, dem man sich einfach anvertrauen musste.

"Ich möchte nicht reden", unterbrach sie ihn murmelnd, ehe er zu einer Predigt über Freundschaft ansetzen konnte. "Sei mir nicht böse, Naruto, aber ich habe etwas Wichtiges zu erledigen."

Mit wehendem Haar rannte sie an ihm vorbei in Richtung Internat. Hoffentlich war Sasuke in seinem Zimmer—alleine. Sie wusste nicht, wo sie ihn hätte sonst suchen können. Das Glück war ihr hold. Auf dem ganzen Weg über die Treppen nach oben, kam ihr keine einzige Menschenseele entgegen. Jeder Kopf war damit beschäftigt, für die Abschlussprüfungen zu lernen, als würden die letzten Jahreszahlen und Formeln, die sie in den letzten Stunden vor den Tests in ihre Gehirne pressten, etwas ändern.
 

ɣ
 

"Sakura!"

Sie sah Sasuke vom Bett aufschrecken, was sie ihm nicht verübeln konnte. Immerhin war sie ohne anzuklopfen in sein Zimmer geplatzt. Er hätte nackt sein können, mit Karin zusammen, weiß Gott was! Doch daran dachte sie nicht. Sakuras Kehle brannte, ihre Beinmuskeln schmerzten aufgrund des Sprints, den sie hingelegt hatte. Sie befürchtete, wenn sie zu viel Zeit verstreichen lassen würde, den Mut zu verlieren.

"Du wirst…mir…zuhören!", keuchte sie völlig außer Atem, eine Hand an ihren Brustkorb gepresst, während ihre andere Halt am Türrahmen suchte.

"Was soll das?", fragte Sasuke verwundert, als sie die Tür hinter sich schloss und absperrte.

"Das hier…ist nicht…für…fremde Ohren…bestimmt…Sasuke." Das Schnaufen war ihr peinlich, ebenso wie ihr gesamter Auftritt. Ihr Haar war zerzaust, ihr Hemd aus dem Bund ihres Rockes gerutscht, ihre Stirn klebrig vom Schweiß, der aus Angst und Erschöpfung transpirierte.

"Du machst mir langsam Angst. Ich muss lernen, also sag, was du zu sagen hast und dann verschwinde. Ich habe keine Zeit für deine Spielchen."

Für einen Augenblick spielte Sakura mit dem Gedanken, ihm wortlos den Rücken zu kehren. Seine Stimme, so abweisend und kalt, rief alles wieder hervor, was sie sorgsam versucht hatte zu verdrängen. Seine Schikanen, seine Demütigungen.

"Ich bin nicht diejenige, die mit dir spielt", sagte sie entschlossen. Ihr Puls hatte sich wieder normalisiert. Was machte sie sich vor? Sie war kein nachtragender Mensch; und Sasuke hatte dieses Ende nicht verdient.

"Aha", machte er desinteressiert. Verdammt, wieso verstand er nicht, was auf dem Spiel stand?!

"Das ist wichtig!", kreischte sie wutentbrannt. Diese laxe Art, mit der er an die Ernsthaftigkeit dieser Situation herantrat, machte sie rasend vor Zorn. Mit voller Wucht schlug sie gegen die Wand, deren Verputz an der Stelle, wo sie ihn lädiert hatte, leicht zu bröckeln begann. Sie wusste, dass die Zimmer seit Langem nicht mehr renoviert worden waren, jede geringere Erschütterung hätte diesen Schaden verursachen können. Sasuke hatte diese Informationen nicht und starrte entgeistert in ihre zornig funkelnden Augen, die ihn auf dem gesenkten Haupt ansahen.

"S-Sakura…"

"Du wirst. Mir. Zuhören. Sasuke. Und du wirst dir bis zum Ende anhören, was ich zu sagen habe, hast du das verstanden?"

"O-Okay. Willst du dich setzen?"

Sie überging sein Angebot. Es gab viel zu besprechen. Vorerst jedoch starrten sie sich minutenlang an. Sie wollte seine Haltung ihr gegenüber überprüfen. Ihr Auftritt schien jedenfalls den nötigen Eindruck auf ihn gemacht zu haben, sodass er gewillt war, sie ernst zu nehmen.

"Fein", sagte sie trocken, richtete sich auf und formte die Hände zu Fäusten. "Es fällt mir nicht leicht, dir zu sagen, was ich über die letzten Monate erfahren habe. Zuerst möchte ich, dass du weißt, dass ich das nicht tue, um dich in irgendeiner Weise für mich zu gewinnen oder von Karin zu trennen. Ich gebe lediglich weiter, was ich weiß, denn ich werde, trotz unserer zwiespältigen Vergangenheit, nicht dabei zusehen, wie du gesellschaftlichen Seppuko begehst."

"Von was zum Teufel redest du?"

"Lass mich ausreden, Sasuke", forderte sie schneidend. In düsterem Tonfall nahm sie den Faden wieder auf. "Ich bin niemand, der sich gerne in die Angelegenheiten anderer einmischt, soweit solltest du mich kennen. Was du mit Karin tust oder nicht tust, war mir—nun, vielleicht nicht immer komplett egal, aber vornehmlich ist es deine Sache und ich respektiere deine Entscheidungen."

"Wie großzügig", murmelte er. Sakura überging seinen Kommentar.

"Deshalb habe ich mich nie angeschickt, dir die Wahrheit über einige Vorkommnisse zu erzählen, an denen Karin schuld trägt. Ich will auch nicht länger um den heißen Brei herumreden."

Sie machte eine melodramatische Pause, um ihre Gedanken zu sortieren und die Ereignisse zeitlich einzuordnen. Dann fuhr sie fort.

"Erstens, Karin hat die Presse geschmiert, um die Verlobung zwischen mir und Shikamaru zu erfinden. Sie wusste, dass wir aus der Sache nicht mehr herauskämen, ohne uns der Lächerlichkeit preiszugeben. Frag mich nicht nach ihren Gründen. Dass sie es getan hat, ohne die Konsequenzen zu bedenken, spricht für sich. Zweitens, und das ist noch viel Schlimmer, war sie diejenige, die mir die Droge vor einigen Wochen untergejubelt hat."

"Das würde sie nicht tun", unterbrach Sasuke sie. "Ja, sie hat ihre Fehler und sie ist bei Gott keine Heilige, aber sie würde niemals jemanden vorsetzlich—"

Sakura war nicht gewillt, sich unterbrechen zu lassen. "Anschließend hat sie das Gerücht in die Welt gesetzt, ich sei schwanger und wäre nur deshalb die Verlobung mit Shikamaru eingegangen, weswegen ich beinahe von der Schule geflogen wäre! Sie hat mich in einen Teufelskreis aus Lügen und Verleumdung gestoßen, dessen Konsequenz den Ruin meines Lebens bedeuten hätte können!" Sakura presste ihre Finger fester aufeinander, bis sie zu schmerzen begannen. Etwas stahl ihr die Luft zum Atmen, ihr Hals schnürte sich in banger Verzweiflung zu. "Sie hat das alles ohne zu zögern in Kauf genommen und nun hat sie dasselbe mit deinem Leben vor!"

"Das ist unglaublich!", blaffte Sasuke sie an.

"Ja, das ist es!", presste sie hervor. Das Atmen fiel ihr unendlich schwer.

"Deine Anschuldigungen grenzen an Verleumdung, was ironischer Weise genau das ist, wessen du sie bezichtigst! Hörst du dir überhaupt zu?"

"Ich habe ihr zugehört! Vor nicht einmal zwei Stunden sprach sie mit Suigetsu, dass sie heimlich ein Foto von dir mit ihr in verfänglicher Pose schießen wollte, um dich erpressen zu können!"

Sasuke breitete seine Arme ungläubig aus. "Erpressen? Karins Familie ist reicher als meine! Sie hat eine höhere gesellschaftliche Stellung als ich! Was würde sie von mir erpressen können, mit dem sie nicht bereits geboren worden ist?"

"Dich!", brüllte Sakura mit rauer Stimme. Der Faden um ihre Kehle platzte angesichts dieser schmerzlichen Wahrheit, die sie endlich ausgesprochen hatte. Der Schmerz, den sie empfand, machte ihr bewusst, wie sehr sie ihn liebte, und dass es keine Rolle spielte. Darum ging es lange nicht mehr.

"Sie will dich", setzte sie leiser, trauriger fort. "Sie fürchtet, du würdest dich von ihr trennen, sobald dir deine Beziehung zu ihr nicht mehr von Nutzen ist. Sobald die Schule vorbei ist, ihr wieder in unterschiedlichen Stadtteilen wohnt und auf verschiedene Universitäten geht, wirst du sie fallen lassen. Diese Angst ist nicht unbegründet, Sasuke. Jeder würde sie verspüren. Sogar…ich…" Sie brach ab. Es war nicht wichtig, ob er ihre Gefühle ihm gegenüber kannte. "Du bist eine eindrucksvolle Persönlichkeit. Karin ist eine Motte, die es monatelang gewohnt war, in deinem zwielichtigen Schein aus Selbstherrlichkeit und Verwegenheit zu baden. Sie ist süchtig nach dir. Alleine der Gedanke, von dir getrennt zu sein, bringt sie um. Du weißt, wie weit sie geht, um ihre Ziele zu erreichen."

"Das kann nicht sein. Das kann nicht sein", wiederholte Sasuke mit einer eigenartigen Mischung aus Ungläubigkeit und Zweifel. Erleichtert atmete Sakura aus. Er glaubte ihr offensichtlich endlich. Seine vor Erschrockenheit geweiteten Augen ließen keinen Einspruch zu.

"Die Wahrheit ist hart, ich weiß das besser als jeder andere. Sasuke, du musst mir vertrauen, nur dieses eine Mal. Sie wollte dich benutzen, aber schlussendlich hat sie sich wirklich in dich verliebt. Ich möchte ihr diese Gefühle nicht absprechen, denn niemand würde so viel für eine Person auf sich nehmen, für die er keine tiefen, ehrlichen Gefühle empfindet. Aber ihre unlauteren Mittel…"

"Das reicht. Ich habe genug gehört. Hör endlich auf, Sakura."

Sie war so weit gekommen. Endlich hatte er realisiert, woran er bei Karin war. Wie gefährlich sie war. Sakura war zufrieden. Wenn er jetzt ins Verderben rannte, konnte er nicht behaupten, er hätte es blind getan. Seine Augen waren geöffnet; sie hatte sie geöffnet. Erleichtert langte sie tröstend nach seiner Hand.

"Es ist nicht deine Schuld…" Das nächste, das sie spürte, war eine Stuhllehne, die sich in ihre Wirbelsäule presste und die Kante des Bücherregals, gegen das ihr Kopf prallte. Er hatte ihre Hand so impulsiv weggestoßen, dass sie nach hinten gekippt, gegen den Stuhl getaumelt und samt ihm zu Boden gefallen war. Erst realisierte sie nicht, was geschehen war. Sasuke blickte sie kreidebleich von oben herab an, als würde er nicht verstehen, was eben passiert war. Dann setzte der Schmerz ein. Er hämmerte gegen ihren Hinterkopf und stach in ihr Bein, das in einer ungesund aussehenden Art und Weise mit den vier Stuhlbeinen verschlungen war. Perplex rappelte sie sich auf, in ihren Ohren rauschte das Blut.

"Sakura …", hauchte Sasuke. Das Geräusch schien unendlich weit weg, ebenso wie er.

Sakura brauchte einen Moment, um aufzustehen. Sie hätte Sasukes Hilfe nicht angenommen, selbst wenn er nicht wie versteinert in der Mitte des Raumes gestanden hätte. Sie hatte ihre Fassung längst nicht wieder, stattdessen bewegte sich ihr Körper automatisch aus dem Zimmer auf den Flur und vor dort in erschreckender Langsamkeit in ihr eigenes Bett. Als ihre Zimmergenossinnen eintraten, schlief sie bereits und als man sie am nächsten Morgen fragte, warum sie humpelte, erfand sie eine Ausrede, die sie bereits wenige Minuten später nicht mehr wusste.
 

Sasuke stand noch minutenlang in seiner Versteinerung. Selbst als die Tür schon lange ins Schloss gefallen war, starrte er sie an, als käme Sakura gleich wieder zurück, um ihm lachend zu erklären, dass alles nur ein Scherz gewesen sei, um ihm seine Gemeinheiten zurückzuzahlen. Aber sie kam nicht wieder und ihr Humpeln war echt. Am nächsten Tag beobachtete er sie heimlich, um sich einen Reim auf die Geschehnisse von gestern machen zu können. Die Dinge, die sie gesagt hatte…sie waren so weit hergeholt. Oder nicht? Niemand konnte so viele Emotionen in ausgedachten Lügen transportieren. Er vertraute Sakuras Aufrichtigkeit, die außer Frage stand. Darum kam er nicht umhin. Aber war ihre Realität auch die wahre? Hatte sie in das Gespräch zwischen Karin und Suigetsu, das sie belauscht hatte, mehr interpretiert, als es bedeutet hatte? Was war das mit Karin überhaupt? Liebte er sie?

Er konnte es nicht sagen. Wieso war er mit ihr zusammen? Auch in diesem Punkt musste er Sakura recht geben: Die Beziehung zu Karin war komfortabel gewesen. Kein Mädchen hatte ihm währenddessen ernsthaft schöne Augen gemacht. Aber er musste zugeben, sich bereits Gedanken darüber gemacht zu haben, wie er sich am einfachsten von ihr trennen konnte, wenn die Schule zu Ende war. Wenn er ehrlich war, hatte er niemals gespürt, mit ihr auf derselben Wellenlänge zu sein.

Sie hatte oft von der Zukunft geredet: Rechtsanwältin werden, heiraten, sich ein Leben aufbauen, eine Familie gründen. Das waren nicht seine Vorstellungen. Er wollte reisen, die Welt entdecken, Neues ausprobieren. Vielleicht mit seltenen Kunstgegenständen handeln. Er würde selten zuhause sein, sobald er mit dem Kunststudium fertig war, für dessen Anmeldung er bereits ein Formular in der obersten Schublade bereitgelegt hatte. Vielleicht aber würde er dieses Studium abbrechen und sich als freier Reporter oder Dokumentarfilmer versuchen. Er wusste es immer noch nicht. Auch die Anmeldebögen für das Studium der Medienwissenschaften und der Publizistik lagen in der obersten Schublade. Womöglich würde er auch gar nicht studieren und erst einmal versuchen, ohne Hochschulabschluss ein paar Inspirationen für eine Reportage zu finden. Was also band ihn an Karin?

Nichts.

Er spürte keine Verbundenheit zu diesem Menschen und eine Freundin wäre ihm nur im Weg. Wie hatte es überhaupt angefangen? Wieso war er mit ihr zusammen?

Er war damals, als er Karin das erste Mal geküsst hatte, nicht einmal in sie verliebt gewesen. Das war er nie, wenn er jetzt darüber nachdachte. Sie hatte ihm damals die Worte in den Mund gelegt.

Was wolltest du nicht? Mich küssten? Dich in mich verlieben? Das hast du ja ganz toll hinbekommen.

Er war damals so verwirrt gewesen, so gedankenleer, dass er ihre Unterstellung einfach als wahr angenommen hatte. Auch die Monate darauf hatte er kein einziges Mal gesagt, dass er sie liebte. Es war immer sie gewesen, die dies festgestellt hatte. Noch am Abend der Halloweenparty, als alles begonnen hatte, hatte er geglaubt, sie seinem Willen gebeugt zu haben; sie, die Unwillige, zu der Seinen gemacht zu haben. Dabei hatte er sich selbst unbewusst zu dem Ihren gemacht. Er hatte sich manipulieren lassen.

Sie war von Anfang an hinter ihm her gewesen; das alleine machte ihm nicht viel zu schaffen. Wer war das denn nicht irgendwann mal gewesen? Auch, dass er doch eine Freundin gehabt hatte, obgleich er Beziehungen für überbewerteten Schwachsinn gehalten hatte, traf ihn nicht so sehr wie die Erkenntnis, dass Karin ihn nicht seinetwegen in eine Beziehung gelotst hatte, sondern alleine aus dem Grund, weil sie Sakura, ihrer Erzrivalin, zum Schulschluss die finale Gemeinheit zollen wollte. Ebenso schwer tat er sich mit dem Eingeständnis, Naruto und Sakura unrechtgetan zu haben—vor allem Sakura. Noch bevor Karin ihren Plan ausgeführt hatte, hatte Sakura ihm erklärt, dass er ihre Marionette war. Und er hatte es aus Blindheit ignoriert; einfach deshalb, weil es Sakura gesagt hatte, weil er der Meinung war, dass sie ein naives Dummchen war.

Wie dumm und naiv war er schlussendlich?
 

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Die letzten Tage bis zu den Abschlussprüfungen vergingen in beklemmender Monotonie. Sasuke begann damit, Karins Art genau zu beobachten. Wie sie mit ihm sprach, was sie sagte, wie sie es sagte, auf was sie damit abzielen könnte. Je mehr er darauf achtete, desto schmerzlicher wurde ihm bewusst, wie falsch und egoistisch und perfide sie war. Egal was sie zu ihm sagte, jetzt, wo er genauer darüber nachdachte, wurde ihm klar, was für Sakura und vielleicht auch jeden anderen offensichtlich gelegen hatte. Sie manipulierte ihn in einer meisterhaften Art, die an Gehirnwäsche grenzte.

Wann immer er nicht peinlichst darauf aufpasste, was er ihr antwortete, verfing er sich in eindeutigen Situationen. Erst passierte es unbewusst, dass er Karins harten, launischen Charakter mit der liebevolleren, sanfteren Art Sakuras verglich, dann tat er es absichtlich. Wann immer er dazu Gelegenheit hatte, beobachtete er beide gleichzeitig. Sakuras warmes Lachen, ihre niedergeschlagenen Blicke, ihren Eifer, mit dem sie zig Bücher mit sich trug, trotz ihres verletzten Fußes.

Es tat ihm leid. Nicht nur, dass er sie der Lüge angeklagt und sie verletzt hatte, alles tat ihm leid. Jedes grausame Wort, das er zu ihr gesagt hatte, jede Gemeinheit, die er ihr ungerechtfertigt angetan hatte. Sakura war eine wahre Freundin. Sie war diejenige, die er angerufen hatte, als er betrunken gewesen war, die ihm Mut gemacht hatte, sein Leben zu leben, die ihm eine Richtung gewiesen hatte. Und er … er hatte sie von sich gestoßen. Alle hatte er von sich gestoßen, die ihm jemals freundlich gesinnt gewesen waren.

Sakura schien fest entschlossen zu sein, ihn nicht bemerken zu wollen, wann immer sie sich trafen und Sasuke wagte es nicht, sich in ihre Nähe zu begeben, solange sie von ihren Freunden umringt war, was ständig der Fall war. Das war der krasseste Unterschied, der ihm an ihnen auffiel. Sakura und Naruto, die einzigen Menschen, die ihm außer seiner Familie jemals etwas bedeutet hatten, hatten eine schier lächerliche Anzahl an Leuten, denen sie vertrauten, mit denen sie lachten und scherzten, und er, Sasuke Uchiha, stand alleine da. Er, der immer von schwärmerischen Mädchen und ihn bewundernden Jungen umgeben war, der naive Kinder wie Sakura und Naruto immer belächelt hatte, musste erkennen, dass er die ganze Zeit über das naive Kind gewesen war, das geglaubt hatte, alleine stärker zu sein.

Und ehe er sich versah, war Mittwoch angebrochen. Der Tag der Prüfungen und der letzte Tag am Miya-So-Internat für die Schüler der Abschlussklasse.
 

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Farewell And Good Bye


 

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Es geschah noch am Morgen vor den Abschlussprüfungen. Sie sollten um elf Uhr beginnen. Um halb neun klopfte Sasuke an Karins Zimmertür. Ihm wurde geöffnet, wie er es erwartet hatte: Karin präsentierte sich in einem seidenen Morgenmantel, unter dem absichtlich Teile ihres Spitzenbüstenhalters hervor blitzten. Sie tat, als wäre sie eben erst aufgestanden, ihr Gesicht war allerdings bereits perfekt geschminkt und ihre Haare lagen in konstruiert lasziver Unordnung auf ihrem Kopf.

„Ich muss mit dir reden, Karin.“

„Okay“, machte sie verwundert, aber nach wie vor selbstsicher. Sie trat einen Schritt zur Seite, um ihn einzulassen. Sasuke ging nicht auf ihr Angebot ein, was sie merklich verunsicherte. „Was ist los, Sasuke?“

„Ich werde es kurz machen. Karin, ich trenne mich von dir. Ich verlange nicht, dass du die Lügen, die du über Sakura verbreitet hast, richtigstellst. Das würdest du nie tun, wir beide wissen das nur zu gut. Außerdem möchte ich nicht, dass der Dreck dieser Schlammschlacht wieder aufgewirbelt wird, nachdem endlich Gras darüber gewachsen ist. Aber ich will, dass wir uns nie wieder sehen. Wann immer wir uns zufällig begegnen, werde ich dir höflich aus der Distanz zunicken und du wirst es mir gleichtun. Danach werden wir unserer Wege gehen.“

Karin hatte sich bereits ihre Unterlippe blutig gebissen. „Diese Schlampe“, zischte sie.

„Wenn du Sakura damit meinst, hüte deine Zunge, wenn du nicht möchtest, dass einige schmutzige Details über dich in die Öffentlichkeit gelangen. Wir wissen beide Dinge voneinander, mit denen wir uns sozial vernichten können, was bedeutet, dass wir uns gegenseitig in der Hand haben. Versuchst du mich zu erpressen, wie du es vorhattest, werde ich auf der nächsten Gala alles preisgeben, was du mir jemals erzählt hast. Deine schmutzige kleine Affäre mit dem Sohn des Ministerpräsidenten, deinen sexuellen Exkurs mit der Tochter des Premiers, mit dessen detailreicher Schilderung versucht hast, mich zu erregen, den Diebstahl der Juwelen der Schwester der Kaiserin, alles.“

„Wenn du das tust, Uchiha Sasuke, werde ich das Netz aus belastenden Beweisen gegen dich hochziehen. Und keiner wird daran zweifeln, dass es wahr ist. Du kennst deinen Ruf.“

„Weißt du, wie egal mir das ist? Vernichte mich, Karin, wenn du den Mut dazu hast. Schände mein Ansehen, bis ich aus der Welt der Reichen und Schönen verbannt bin. Es kümmert mich nicht, wenn ich dadurch die Menschen beschützen kann, die immer ehrlich zu mir waren, denn ich bin es ihenn schuldig. Das schließt Sakura mit ein, ebenso wie Naruto. Aber sei versichert: Ich werde dich ohne Rücksicht auf Konsequenzen bloßstellen, solltest du mir oder ihnen schaden wollen.“

Karin biss sich in den Daumen, den sie an ihre blutende Lippe gelegt hatte. „Das nennt man dann wohl eine Pattsituation“, zischte sie zornig.

„Nein. Das ist ein Schachmatt, Karin. Leb wohl.“ Er ließ sie stehen, wie er sie vorgefunden hatte: Wütend und verbittert. Als er den Gang entlang in Richtung Treppenhaus ging, hörte er eine Tür zuknallen. Es war vorbei. Es war endlich vorbei.
 

Karin brach schluchzend zusammen. Der Knauf ihrer Zimmertür drückte in ihren Rücken, doch sie spürte den Schmerz nicht. Kraftlos sank sie zu Boden, die heißen Tränen der Verzweiflung flossen ungehindert ihre geröteten Wangen entlang.

Sie hatte ihn geliebt. Mit jeder Faser ihres Körpers hatte sie ihn geliebt und begehrt. Sie hatte so viel getan, geopfert, riskiert, um ihn an sich zu binden. Letztendlich war der Schuss nach hinten losgegangen. Sie war alleine. Alles Vergangene schien wie ein Traum aus längst vergangenen Tagen, unwirklich und fremd. Ihr Herz war in tausende kleine Stücke zersprungen. Nur mit Mühe hatte sie vor Sasuke ihre Fassade halten können. Nun kniete sie vor den Scherben dieser Maske. Ihr Brustkorb fühlte sich an, als lägen hundert Kilo auf ihm, sie rang nach Luft, röchelte wie kurz vor dem Erstickungstod. Für ein paar Monate hatte sie gedacht, alles zu haben, was sie jemals wollte.

Nun war der Traum vorbei.

Erschöpft fiel sie vornüber und gab sich dem Schmerz ihrer Niederlage hin. Als sie das Zimmer zwei Stunden später verließ, um zu den Abschlussprüfungen anzutreten, war ihre Fassade der tadellosen Schulsprecherin perfekt wie eh und je.
 

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„Kaum zu glauben, dass dieser Affe im mündlichen Teil einen besseren Schnitt als ich erreicht hat!“, brüskierte sich Ino. Sakura tätschelte ihr mitleidig den Kopf. Schlechter abgeschnitten zu haben als Uzumaki Naruto, wenn auch nur vorläufig, war wahrlich ein Grund zur Frustration. Das schien sogar Naruto so zu sehen, denn Hinata hatte alle Mühe, seine Schadenfreude im Zaum zu halten.

„Deine Gesamtnote ist gerade mal durchschnittlich!“, rief sie ihm in Erinnerung. „Wenn du im schriftlichen Teil negativ bist, kannst du trotzdem noch durchfliegen!“

„Ach, das wird schon, Hinata-chan!“, wehrte er ab, hob sie hoch und küsste sie freudestrahlend.

„Sei doch nicht so überschwänglich!“, rief sie mit geröteten Wangen.

„Lass ihn doch, wenn er sich freut! Dieser Tag ist generell ein Grund zur Freude!“, sagte Sakura erleichtert. Sie hatte im mündlichen Abschnitt zweiundneunzig Punkte erreicht. Eine glatte eins vorerst. Besser waren nur Hinata und Gaara gewesen. Die offiziellen Noten würden erst in drei Wochen bekanntgegeben werden, wenn sie alle bereits zuhause im Schoße ihrer Familien waren. Vorerst allerdings hatten sie es geschafft. Zum ersten Mal seit Wochen konnte Sakura wieder herzhaft lachen. Sie war mit sich im Reinen. Sie hatte mit Sasuke abgeschlossen, ebenso wie mit der gesamten Schulzeit hier im Miya-So-Internat. Es war vorbei. Alles war vorbei. Und alles ging so furchtbar schnell.

Noch am selben Abend hielt die Jahrgangsbeste, Hinata Hyūga, in der zum Festsaal umdekorierten Mensa die Abschlussrede, der nicht nur die Schüler, sondern auch deren Eltern berührt lauschten. Tagelang hatte Hinata an diesen Worten gefeilt, die ihr an manchen Stellen nur schwer über die Lippen zu kommen schienen. Sie hatte fortwährend mit Tränen zu kämpfen, doch sie war nicht alleine. Allerorten ertönten im Publikum trauriges Schluchzen, wehmütiges Weinen.

„Unser letztes Jahr begann, wie auch alle anderen begonnen hatten. Doch nichts sollte so sein, wie es immer gewesen war. Alles, was wir taten, sollte unser letztes Mal sein. Ein letztes Mal den ersten Schultag nach den Ferien erleben, ein letztes Mal die erste oder letzte Klausur in Mathematik, das letzte erste Mal Nachsitzen in diesem Jahr.“ Dabei sah sie Naruto an, der peinlich berührt errötete.

Sakura, die in der zweiten Reihe neben ihm saß, stieß ihm neckisch mit dem Ellenbogen in die Rippen. Eine Reihe vor ihr saß am äußeren Ende Sasuke. Er hatte sie nicht eines Blickes gewürdigt, aber ihr war zu Ohren gekommen, dass er sich noch am frühen Morgen von Karin getrennt hatte. Ob sie sich freute, war sogar ihr ungewiss. Jedenfalls war sie erleichtert, dass er aus ihren Fängen entkommen war.

„Je mehr dieser letzten Male uns widerfuhren, desto trauriger wurden wird aber auch. Uns wurde mit jedem Tag mehr bewusst, dass bald nichts mehr so sein würde wie einst. Wir alle sind hier erwachsen geworden. Unsere Freunde und der Lehrkörper sind unsere zweite Familie geworden. Wir haben Abenteuer erlebt, Schwierigkeiten überstanden, sind an unseren Problemen gewachsen und haben einige unserer schönsten Momente hier erlebt. Manchmal mussten wir Regeln brechen, um zu erkennen, was wirklich wichtig ist. Manchmal mussten wir gegen Unrecht ankämpfen und haben nachher erst erkannt, wie schwierig die Welt doch eigentlich ist. Diese Schule hat uns stark gemacht. Gewiss empfindet ihr alle denselben Schmerz wie ich, wenn ich daran denke, dass sich ab heute alles ändern wird. Wir werden auf verschiedene Hochschulen gehen, verschiedene Karrieren einschlagen, werden an unterschiedlichen Orten wohnen und Leben beginnen, die weit voneinander entfernt sind. Doch lasst uns heute ein letztes Mal gemeinsam durch diese Tore gehen, auf dass uns die Verbundenheit, die hier entstanden ist, auf ewig in Erinnerung bleibt. Lasst uns als Freunde diesen Ort verlassen, und lasst uns versuchen, zu bewahren, was uns Miya-So gelehrt hat: Dass wir, egal wo wir sind, egal was wir tun, immer Menschen haben, die an uns denken und die uns nie vergessen werden. Dass wir alleine stark sind, aber in der Gruppe noch viel stärker. Und dass wir unser Leben selbst bestimmen können, uns aber manchmal auch einfach nur treiben lassen müssen, um das zu bekommen, was uns glücklich macht. Wir lassen heute einen Anker los, verlassen die sichere Werft, in der wir gebaut wurden, die uns vor allen Stürmen beschützt hat, und hissen die Segel, um endlich in See zu stechen. Aber denkt immer daran: Selbst wenn ihr einsam seid, wenn euer Leben gerade nicht so verläuft, wie ihr es euch vorgestellt habt, ihr seid nicht alleine. Denn hier haben wir Freunde fürs Leben gefunden, und Freunde fürs Leben wollen wir für immer sein. Wir haben es geschafft, Leute!“

Tosender Beifall brach über den Festsaal herein. Schwarze Kappen flogen in die Lüfte und buntes Konfetti regnete vom Himmel herab. Weinende Mädchen fielen sich in die Arme, rivalisierende Schüler schlossen Wetten ab, wer zuerst was erreicht haben würde, Töchter und Söhne fielen ihren Eltern und Geschwistern glücklich in die Arme.

„Ich will nicht, dass wir gehen!“, schluchzte Ino mitleiderregend. Sie hatte Sakura und Temari in eine Gruppenumarmung gezerrt. „Ich will nicht, dass es vorbei ist!“

„Wir werden uns wiedersehen, Ino“, versprach sie auch Temari. „Du wirst sehen, im Handumdrehen wohnen wir alle in einem schicken Stadtviertel Tokios Tür an Tür in einem überteuerten Appartement.

„Was wirst du wegen Sasuke tun?“, fragte Naruto plötzlich. Er hatte schon von Anfang an geahnt, wer für ihre Beinverletzung verantwortlich gewesen war. „Soll ich ihn versprügeln?“

„Lass mal lieber“, lehnte sie kopfschüttelnd ab. „Es ist gut, so wie es ist. Miya-So ist jetzt Vergangenheit, so sollten wir es auch behandeln. Nun bricht eine neue Zeit für uns an, mit neuen Problemen, da sollten wir die alten lieber vergessen.“

„Weise gesprochen, Sakura!“, pflichtete ihr Shikamaru bei, neben dem Sayuri und Gaara in einen tiefen Kuss versunken waren. „Hey, nehmt euch ein Zimmer!“

„Lass sie doch, Shikamaru, immerhin werden sie sich nach den Ferien länger nicht mehr sehen“, sagte Ino mit einem Hauch Mitgefühl. „Aber heute lasst uns feiern!“
 

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Die Regeln des Internats besagten, dass Schüler ab dem Morgen nach den Abschlussprüfungen nicht mehr als Schüler galten. Sie waren demzufolge dazu angehalten, bis spätestens neun Uhr früh des Folgetags ihre Zimmer zu räumen und das Schulgelände zu verlassen. Die Direktorin hatte nach Hinata noch eine kräftige Abschlussrede gehalten, in denen sie ihren Schützlingen viel Glück für die Zukunft gewünscht hatte. Dann waren die Feierlichkeiten ausgeschritten und am nächsten Tag war die Hälfte der Nicht-mehr-Schüler verkatert.

Sakura war es nicht schwer gefallen, ihre Habseligkeiten in die beiden Koffer zu verfrachten, die ihre Familie vorausgeschickt hatte. Ihr Vater hatte gestern noch einen Termin mit einem potenziellen Investor gehabt, deshalb waren er und ihre Mutter bei der Abschlussfeier nicht zugegen gewesen. Sakura konnte nicht behaupten, sonderlich traurig darüber gewesen zu sein. Nun, da der Abschied jedoch zum Greifen nahe war, packte die Melancholie sie und als sie mit gepackten Koffern am Rand der Auffahrt stand, wo bald ihre Eltern eintreffen sollten, konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.

„Du schreibst mir jeden Tag eine SMS“, verlangten Ino.

„Und mich rufst du jeden Tag an, verstanden?“, forderte Naruto.

„Das wird wohl ein wenig viel werden, findet ihr nicht?“ Sakura wischte sich die Tränen aus den Augen. „Vielleicht werden wir ja an derselben Universität angenommen! Dann können wir uns jeden Tag am Campus sehen, ja? Also strengt euch an, habt ihr verstanden?“

Shikamaru trat vor und umarmte sie. „Pass auf dich auf, meine Scheinverlobte“, murmelte er. Die Umarmung war kurz, doch für Sakura bedeutete sie nur noch mehr Tränen. Hinata, Gaara und Temari waren bereits vor einer Stunde abgeholt worden. Auch ihre Abschiede waren tränenreich gewesen. Vielleicht hatte man sich bei den letzten endlich daran gewöhnt … wenn sie sich ihre Freunde so ansah, wohl eher nicht.

Selbst wenn sie es sich nicht eingestehen wollte, hatte Sakura den ganzen Morgen noch nach Sasuke Ausschau gehalten. Sie wollte ihm Lebwohl sagen, ihm alles Gute wünschen, weil sie dies von Herzen tat. Sie wollte ihn bitten, all die Geschehnisse zu vergessen, um sich vielleicht beim nächsten Krabbencocktail in der Tokioer High-Society als Freunde zu begegnen, aber er war nirgends aufzufinden gewesen. So war sie gezwungen, es zu belassen, wie es war und mit einem Gefühl der Wärme und aufrichtigen Freundschaft an Uchiha Sasuke zu denken, durch den sie so viel über sich selbst gelernt hatte.

Der Wagen ihrer Eltern fuhr vor und nun war der Abschied gekommen. Der Himmel war bewölkt und trüb, als würde es jeden Moment zu regnen beginnen, doch das Wetter hielt sich tapfer. Sakura war weniger tapfer mit ihren Tränen, als ein eigens für heute angeheuerter Page ihre Koffer in den Kofferraum verfrachtete. Sie hätte noch viel länger geweint, hätte ihr Vater nicht liebevoll zur Eile gedrängt. Ehe sie sich versah, saß sie auf dem Rücksitz des Mercedes und ihr wurde bewusst, dass jetzt alles vorbei war.
 


 

Drei Monate später
 

Der Tag war unendlich schön. Sakura schlug die Bettdecke von ihrem Körper, schwang die Füße aus dem Bett und trat an die Fensterfront ihres Kinderzimmers, das noch für eine Weile länger ihr Kinderzimmer bleiben sollte.

„Guten Morgen, Schwesterherz!“, flötete Sayuri fröhlich. Im Pyjama stellte sie sich neben ihre Schwester. „Du bist sehr gut gelaunt heute.“

Sakura zuckte die Schultern. „Das Leben ist nicht zu Ende. Im Gegenteil, es hat gerade erst angefangen. Ich habe gestern Abend Naruto angerufen, aber sein Vater meinte, er wäre mit Hinata an der Ostküste.“

„Es scheint gut zwischen den beiden zu laufen.“

Sakura zuckte lächelnd die Schultern. „Alles andere wäre auch verwunderlich gewesen. Sie sind Gutmenschen, daran lässt sich nichts ändern. Sie werden sich mit ihrer gegenseitigen Herzlichkeit irgendwann so auf die Nerven gehen, dass sie aus lauter Frust heiraten. Ino hat mir vor einigen Tagen ebenfalls eine Postkarte geschickt. Sie ist wohl mit Sai in Okinawa, um seine Familie kennen zu lernen. Ihre Worte waren ›Weil dieser eingebildete Fatzke ja unbedingt einen auf Schwiegersohn machen musste, darf ich die brave Schwiegertochter mimen! Aber das kann er vergessen!‹.“

„Also auch dort alles in Ordnung, wie man hört.“

„Scheint so. Wann holen Gaara und Temari uns ab?“

Sayuri sah auf die Uhr, die zwischen Kommode und Bett hing. „In etwa vier Stunden. Wir haben noch genügend Zeit für ein ausgiebiges Schwesternfrühstück. Was meinst du?“

Sakura legte ihrer Schwester den Arm um die Schulter und drängte sie hungrig in die Küche. „Oh, ja! Ich will Croissants, Schinken, Brot und Käse! Und Kaffee! Ein richtig europäisches Frühstück!“

„Davon wirst du nur fett!“

„Na, ich habe nach den Ferien ja genügend Zeit, abzunehmen! Pass lieber auf, dass du nicht zunimmst, wenn ich in deinem letzten Schuljahr nicht da bin, um auf deine Ernährung zu achten! Stell dir vor, Gaara sieht bei der Abschlussfeier in einem Jahr, dass du ein hässlicher Fettkloß geworden bist!“

„Jetzt halt mal den Ball flach, Sakura! Ich bin zierlicher und schlanker als du! Außerdem, wer sagt, dass Gaara und ich nächstes Jahr noch zusammen sind?“

Sakura legte den Kopf schief, während sie ein Brötchen sorgfältig mit Schinken belegte. „Gibt es denn Streit?“

„Nein. Aber ich setze nicht voraus, bedingungslos mit ihm zusammenzubleiben. Schon gar nicht für ewig. Manchmal wünschte ich mir, ich wäre so romantisch wie du. Du kannst dir nicht vorstellen, dass Naruto und Hinata oder Sai und Ino sich jemals wieder trennen, nicht wahr?“

Sie biss nachdenklich von ihrem Brötchen ab. „Kann schon sein. Sehr wenig ist für die Ewigkeit gemacht, damit hast du recht. Wir können nicht wissen, was die Zukunft bringt, aber wir werden es irgendwann erfahren.“
 

Es dauerte eine Stunde, bis die beiden Harunoschwestern endlich gesättigt waren. Zwei weitere dauerte es, bis sich Sakura für ein blassrotes und Sayuri für ein tiefblaues Kleid entschieden hatten, das sie sorgsam mit wertvollen Accessoires dekorierten. Heute fand ein Straßenfest statt, das sehr viel weniger ein Straßenfest denn ein Wohltätigkeitsfest war. Es ging um das Sammeln von Spenden für Schmetterlingskinder. Die drei Fälle dieser fürchterlichen Krankheit, die in den letzten Monaten in den Medien immer präsenter geworden waren, hatten Kampagnen zur Unterstützung der kranken Kinder ins Leben gerufen. Eine davon wurde angeführt von jener Privatklinik, die Sakuras Vater leitete. Das Event war keineswegs exklusiv. Der durchaus leistbare Eintritt wurde als Grundspende verwendet und alle zusätzlichen Einnahmen durch Essensbuden, Getränkestände oder Kirmesattraktionen gingen zur Hälfte ebenfalls in den Topf. Sakura und Sayuri gingen diesmal jedoch nicht als Repräsentanten zu diesem Fest, sondern als einfache Gäste, die den vollen Eintrittspreis bereitwillig bezahlen würden.

Eine halbe Stunde nach dem Ende der Ankleideprozedur, standen Gaara und Temari vor der Tür. Gaara begrüßte seine Freundin mit einem leidenschaftlichen Kuss und entführte sie sogleich die Stiegen hinab zum Taxi. Die beiden Zurückgebliebenen ließen sich absichtlich viel Zeit, um Sakuras Tasche einzusammeln, die Wohnungstür zu versperren und nach unten zu schlendern.

„Muss schwer sein, seine Freundin für die nächsten fünf Monate nicht sehen zu können“, sagte Temari mitleidig.

„Sayuri sieht das nicht so eng. Sie will sich auf die Schule konzentrieren, um mit möglichst guten Noten sofort einen Studienplatz zu ergattern, sagt sie zumindest.“ Sakura kicherte wissend. „In ein paar Wochen wird sie Rotz und Wasser heulen, weil sie ihren Schatz nicht sehen kann. Er wird gerade jetzt am Anfang viel zu tun haben, vermute ich.“

Temari nickte. „Er hat entschieden, doch nicht zu studieren, sondern sofort in einer Unterabteilung bei unserem Fernsehsender anzufangen. Von dort will er sich hocharbeiten. Unser Onkel wird ihn vom ersten Tag an richtig einspannen, damit er ja kein Geld verliert. Mir tut mein Brüderchen jetzt schon leid! Er ist der erste Sabakuno, der mehr für den Sender tut, als bloß Geld zur Verfügung zu stellen und im Vorstand zu sitzen.“

„Selbst schuld, dafür bekommt er von mir kein Mitleid.“ Sie sah in den azurblauen Julihimmel, der so klar und hell war, dass Tokio nahezu pittoresk wirkte. Als sie das Taxi erreichten, saßen Gaara und Sayuri bereits eng umschlungen auf der Rückbank. Sakura verlor das Duell um die knutschfreie Zone am Vordersitz. Zu ihrem Glück rissen sich die beiden Verliebten beim Riemen und unterstanden sich die Fahrt über, Hand aneinander zu legen.

Das Fest selbst war nicht minder pittoresk. Bunte Girlanden waren über die eigens zu diesem Zweck abgesperrte breite Straße gespannt worden, schillernde Ballons mit Helium versuchten sich die Freiheit zu erkämpfen, Menschenmassen drängten sich von einem Stand zum anderen, um Köstlichkeiten zu erwerben, die sie auf den mit weiß gedeckten Picknicktischen, die auf dem angrenzenden Grünstreifen unter seitlich geöffneten Partyzelten verspeisen würden.

„Euer Vater hat ganze Arbeit geleistet“, lobte Gaara anerkennend, nachdem er für alle vier Besucher gezahlt hatte. Sie bekamen nach der Reihe jeweils einen dunkelgrünen Stempel auf den Handrücken.

„Es war weniger Vaters als die Arbeit der Promotionschefin und ihren Mitarbeitern. Für die Stände sind die jeweiligen Eigentümer verantwortlich, aber das Partyzelt auf der Wiese war Mutters Idee. Es gibt dem ganzen einen gewissen Charme von Picknick im Freien“, erklärte Sayuri. Zufrieden griff sie seine Hand und zerrte ihn sogleich in die Richtung einer besonders auffälligen Bude. „Wir treffen uns bei Tisch eins vier acht!“

„Wollen wir uns auch umsehen?“ Temari nickte zustimmend. Zusammen kämpften sie sich durch die immer mehr werdenden Menschenmassen, bis sie alles gesehen hatten und erschöpft zwei der freien Plätze, die sie Wochen im Voraus für gutes Geld reserviert hatten.

„Was macht Shikamaru nun eigentlich?“, erkundigte Sakura sich mit einer harmlosen Frage, die Temari mit einem tadelnden Blick quittierte.

„Ich weiß, auf das du hinauswillst, aber daraus wird nichts. Shikamaru und ich sind Freunde. Wir werden unterschiedliche Fächer an derselben Universität studieren, mehr nicht.

„Ach soooo“, machte sie langgezogen und ließ den Blick über die dichte Menge schweifen. „Das glaube ich jetzt nicht“, rief sie plötzlich erstaunt aus. Dabei ließ sie fast den Dango fallen, den sie sich gekauft hatte. Temari wandte sich um, um ihrer Fingerspitze zu folgen, die auf einen jungen Mann mit schwarzem Haar deutete. „Das ist Sasuke“, fügte sie leiser hinzu.

„Blödsinn“, wehrte ihre Freundin ab. „Sasuke in Jeans und T-Shirt mit abgewetzten Turnschuhen auf einem Straßenfest für das niedere Volk.“

„Sag das nicht so abwertend, immerhin sind wir auch hier!“

„Wir sind ja auch keine Uchihas. Außerdem sind seine Haare zu hell, seine Statur zu schmal und seine Haut zu dunkel. Was sollte er hier schon wollen? Wenn die Uchihas Interesse daran hätten, etwas zu spenden, würden sie einen Scheck ausstellen und ihn an das Büro der Klinik schicken.“

„Damit hast du zwar recht, aber…“ Sakuras Einwand verlief sich. Es gab eigentlich keinen. Temari hatte recht, Punk. Jetzt, wo sie genauer hinsah, war der Mann, der Sasuke ähnlich sah, tatsächlich zu hellhaarig und dunkelhäutig. Dann tauchten plötzlich Gaara und Sayuri neben dem Unbekannten auf, schüttelten ihm die Hand und deuteten auf Sakura. Der Mann drehte sich um.

„Temari, sag mir, dass ich spinne.“

Temari hatte alle Mühe, nicht loszulachen. „Normalerweise würde ich dieser Bitte gerne nachkommen. In diesem Fall allerdings…Hallo, Sasuke. Es ist lange her.“ Sie reichte ihm die Hand, die er bereitwillig schüttelte. Als er sie Sakura entgegenstreckte, nahm sie sie erst nach kurzem Zögern an.

„Ich hatte wirklich Mühe, euch hier zu finden.“ Er ließ sich wie selbstverständlich Temari gegenüber auf dem freien Platz nieder. „Als ich Gaara anrief, sagte er mir zwar die Nummer eures Tisches, aber es gibt hunderte davon! Und überall stehen Leute, durch die man die Tischkärtchen nicht erkennen kann.“

„Es ist wirklich etwas überfüllt“, pflichtete Sakura bei. Sie war sich nicht sicher, wie sie ihm begegnen sollte. Sauer sein? Neutral? Freundlich? Sie entschied sich spontan für letzteres. Die Schule war vorbei, sämtliche Vorfälle vergessen.

„Du siehst sehr gut aus“, sagte er an sie gerichtet.

„D-Danke. Ich hatte genügend Zeit, um auszuspannen. Wir mussten unsere Kreuzfahrt dieses Jahr aufgrund dieses Events ausfallen lassen, dafür waren Sayuri und ich mit Mutter für ein paar Tage in Kamakura. Leider habe ich nicht allzu viel Sonne abbekommen“, gestand sie als Hinweis auf seine unnatürliche Bräune. Sasuke verstand, ging aber nicht darauf ein. Stattdessen verwickelte er sie zusammen mit dem Rest der Gruppe in ein belangloses Gespräch über alles Mögliche.

Sakura konnte nicht umhin, sich zu wundern. Sasukes Charakter hatte sich nicht großartig verändert. Er glaubte noch immer, alles besser zu wissen, was zu mehreren Diskussionen mit Gaara führte, der sich mit Aktien weit besser auskannte; er machte keine Komplimente, was nicht sonderlich charmant oder zuvorkommend, aber die Grundstimmung … das war der Grund, wieso Sakura diese Situation unwirklich vorkam. Sasuke war nach wie vor der Uchiha-Spross, den sie vor einem Jahr kennen gelernt hatte. Andererseits auch nicht. Seine Einstellung hatte sich keine Spur verschoben, doch seine Ansichten kamen ihr sehr viel gelassener vor. So verstrichen Stunden, in denen einmal Temari und Gaara neues Essen besorgten oder Sayuri und Sakura ihrem Vater einen kurzen Besuch hinter der Bühne abstatteten, auf der seit dem frühen Nachmittag eine Liveband nach der anderen spielte. Die Zeit verging schnell, sie raste förmlich dahin, und noch ehe sich Sakura versah, tauchte die untergehende Sonne die Straßen Tokios in orangerotes Licht. Als die Band ihr nächtest Lied anspielte, fand Sakura sich plötzlich von Sasuke zum Tanzen aufgefordert in der Realität wieder.

Es war eine seltsame Realität, in die sie hineingeworfen wurde, doch sie fühlte sich realer an als das letzte Jahr. Sasuke führte sie nach vorne auf die Tanzfläche, wo ein langsamer Wiener Walzer begonnen hatte.

„Wo warst du nach unserem Abschluss?“, erkundigte sie sich. Es war die unverfänglichste Frage, die ihr eingefallen war.

„In Südafrika“, antwortete er schlicht. Erst dachte sie, er würde es bei dieser fast einsilbigen Antwort belassen, doch er fügte hinzu: „Mein Flieger ist erst vorgestern gelandet. Ich wusste lange nicht, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich es noch immer nicht genau. Aber Südafrika hat mich in eine interessante Richtung geworfen. Ich war dort, um mit einem skandinavisch-französischem Kamerateam einige Aufnahmen zu drehen. Sie haben mich als Packesel und Moskitobekämpfer missbraucht, aber es war sehr spannend. Wir haben Alligatoren gefilmt und Unterwasser nach Haien gesucht.“

„Darum also diese äußerliche Veränderung.“

Er ließ kurz ihre Hand los, um eine Strähne seines Haares missmutig durch die Finger zu ziehen. „Die Sonne hat es ziemlich stark aufgehellt. Sie scheint fast achtzehn Stunden am Tag, da hat leider auch mein Teint etwas abbekommen.“

„Es steht dir gar nicht so schlecht“, gab Sakura schmunzelnd zu. Der Walzer klang aus. An seiner Stelle erklang ein schneller Foxtrott mit englischem Text. „Du wirst also Dokumentarfilmer?“

„Wohl eher nicht.“ Sasuke lachte. „Es ist viel zu anstrengend. Ich werde ein paar Monate verschiedenes ausprobieren, um endlich herauszufinden, was ich wirklich will.“

„Du bleibst also nicht hier?“

„Irgendwann schon.“ Es klang fast wie ein Versprechen. „Ich habe Tokio wirklich liebgewonnen. Inzwischen kann ich mir nicht vorstellen, irgendwo anders mein Leben zu verbringen. Aber erst will ich etwas von der Welt sehen. In drei Tagen fliege ich nach Ghana, danach nach Malaysia, Brasilien und Grönland. Ich wollte schon immer mal Wale sehen. Sakura“, er machte ein kurze Pause, um ihren Blick zu suchen. „Wenn du mir deine Emailadresse gibst, verspreche ich dir, dir von jedem Ort, an dem ich war, ein Foto und eine Nachricht zu schicken.“

Sakura spürte, wie sie unwillkürlich errötete. Wie hatte sie sich jemals einreden können, nichts für Sasuke zu empfinden? Sie war in diesen Zeiten naiv gewesen, nun war sie es nicht mehr ganz so sehr. Anstatt ihre geröteten Wangen zu kaschieren, trug sie sie offen zur Schau. Er konnte ruhig wissen, wie sie fühlte. Sie wollte nicht länger lügen. Nicht mehr, wo sie nun endlich verstand, dass Uchiha Sasuke nicht alles auf der Welt war. „Das wäre sehr nett, doch ich denke nicht, dass es viel nützt.“

„Sakura, es tut mir leid, was geschehen ist. Ich war ein Idiot, als ich –“

Sie lachte herzhaft. „Um das geht es nicht. Diese Dinge sind längst vergessen. Wir waren Kinder. Lassen wir die Vergangenheit Vergangenheit sein, damit wir mit offenen Augen in unsere Zukunft sehen können. Ich habe das von Karin und dir gehört.“

„Es scheint mir töricht gewesen zu sein, dir nicht geglaubt zu haben.“

„Lassen wir es ruhen.“

Sasuke drückte ihre Hand für einen Augenblick fester, als es zur Führung der Dame notwendig gewesen wäre. Ein Lächeln erstrahlte in seinem Gesicht. „Du meintest, es würde nichts bringen, dir zu schreiben? Als Medizinstudentin hast sicher alle Hände voll zu tun, aber wenn du vielleicht nur einmal die Woche Zeit fändest…“

„Ich habe es nicht geschafft“, unterbrach sie ihn. „Oh, Sasuke, sieh mich nicht so an! Es ist in Ordnung so glaub mir! Am Anfang war ich enttäuscht, aber dann habe ich verstanden, welch andere Möglichkeiten es mir eröffnet.“

„Es war doch dein großer Traum!“

„Davon geht die Welt nicht unter“, sagte sie. Das Lied endete und sie sah in den orangefarbenen Himmel. „Ich kann es nächstes Jahr erneut versuchen. Schon als ich den Test geschrieben habe, hatte ich das Gefühl, noch zu wenig gesehen zu haben, um sagen zu können, was ich wirklich möchte. Weißt du, Sasuke, für mich war es lange Zeit unvorstellbar, nicht mehr das zu wollen, was ich schon immer wollte. Ich konnte mir nicht ausmalen, meine Meinung zu ändern. Inzwischen denke ich nicht mehr so. Ich habe mich für ein freiwilliges Auslandsjahr in Kenia und Äthiopien gemeldet.“ Ihre Augen leuchteten vor Begeisterung. „Wir werden Trinkwasserbrunnen in Dörfern errichten und Schulen aufbauen, um den Menschen dort ein besseres Leben zu ermöglichen. Was danach kommen wird? Ich weiß es nicht. Ich will es gar nicht wissen. Vielleicht werde ich die Aufnahmeprüfung zum Medizinstudium erneut machen, oder ich studiere etwas anderes. Oder ich bemühe mich um eine Stelle als Botschafterin oder, ich weiß nicht, Model für Zahnpflegeprodukte!“ Sie sah Sasuke euphorisch an. Ihr Enthusiasmus ließ ihr Herz höher schlagen. Oder war es der Mann, der ihr gegenüber stand? Es war nicht wichtig. „Ich habe endlich verstanden, was du schon immer wusstest: Die Welt biete so vieles. Ich werde erst entscheiden, wenn ich mehr gesehen habe als die oberen Zehntausend Japans.“

„Das klingt nach einem Plan“, meinte Sasuke zustimmend. „Und, Sakura –“ Er streckte ihr seine Hand entgegen. „–wenn wir beide wieder in Tokio sind, werden wir uns wiedersehen und uns erzählen, was wir erlebt haben.“

„Und was die Zukunft bringt.“ Sie nahm seine Hand an und schüttelte sie mit einem festen Händedruck. Es war ein Versprechen, den Kontakt zu halten. Ein Versprechen, sich wiederzusehen. Weil sie beide wussten, dass irgendwann vielleicht, wenn sie beide erwachsen geworden waren, eine Zukunft bestand, die sie sich jetzt noch nicht vorzustellen wagten. Mit neuen Perspektiven, neuen Wünschen, neuen Zielen und als zwei neue Menschen, die noch irgendwann noch einmal von ganz vorne anfangen wollten.
 

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Return And Reunion


 

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Sakura wischte sich den Schweiß von der Stirn. In Äthiopien war sie Hitze gewöhnt gewesen, deswegen hatte sich ihre Transpiration zu ihrem Leidwesen schwer verstärkt, um ihren Körper besser kühlen zu können. Sie hatte viel erlebt. Die Tage waren nicht immer einfach gewesen, manchmal hatte sie Heimweh nach Tokio gehabt, nach Sayuri, Temari, Naruto und all ihren anderen Freunden. Die Internetverbindung in jenen Teilen von Kenia und Äthiopien, in denen sie ihr Tagewerk vollbracht hatte, ließ sich nur mit einem Wort beschreiben: Nichtig. Nur einmal im Monat, wenn sie mit einigen Kollegen nach Nairobi oder Addis Abeba fuhr, um frische Kleidung und Toilettenartikel zu kaufen und mit ihrer Schwester zu telefonieren, konnte sie ihre Emails auf ihrem Telefon abrufen. Jeden Monat aufs Neue wunderte sie sich, wie viel im Leben ihrer Freunde geschah, die ihr stets jedes Detail schrieben, oft sogar dieselben. Auch Sasuke hatte sein Versprechen gehalten: Mehrmals die Woche schickte er ihr Bilder von sich in immer anderen Posen vor den verschiedensten Szenerien. Sakura quittierte diese wann immer sie konnte mit Handyfotografien ihrer Arbeit.

Nun, anderthalb Jahre später, stieg sie aus dem Flugzeug, das eben in Tokio gelandet war. Sie hatte bis wenige Stunden vor dem Abflug noch an einer Wasserleitung gearbeitet, nachdem diese während des Abschiedsfestes, das die Dorfbewohner des letzten von vielen Dörfern, in dem sie geholfen hatte, gebrochen war. Sie war verschwitzt, ihre Haare waren unordentlich, nachdem der Wüstenwind ihren Hut vom Kopf geblasen hatte, und sowieso sah sie mit ihren beigefarbenen Shorts, den dunkelbraunen Wanderstiefeln und der einst weißen Bluse mehr wie ein verrückter Archäologin aus, als wie die Tochter einer wohlhabenden Familie.

Als ihre Füße endlich die kühle Halle des Narita International Airport berührten, warf sie die Arme in die Luft, um sich nach dem langen Flug endlich zu strecken. Ihre Reisetasche ließ sie achtlos zu Boden fallen. Zum ersten Mal seit achtzehn Monaten sah sie wieder die vertrauten japanischen Schriftzeichen auf den Anzeigetafeln. Die japanisch sprechende Stimme der Lautsprecherdurchsage machte ihr Glück perfekt. Hinter ihr strömten die Menschen zum Ausgang, hinter dem noch mehr Menschen standen, um ihre heimkehrenden Familienmitglieder in Empfang zu nehmen.

Sakura schulterte ihre Tasche wieder und folgte ihren Mitreisenden. Sie erwartete nicht, jemanden hier anzutreffen. Sie hatte ihren Freunden natürlich das Datum ihrer Ankunft gemailt, jedoch hatte sie ausdrücklich gebeten, keine große Sache aus ihrer Rückkehr zu machen. Sie würden alle in zwei Wochen in Tokio für eine Art ausgewähltes Klassentreffen zusammenkommen, bis dahin brauchte sie Zeit, um sich zu regenerieren.

Dann stach ihr ein Schild ins Auge. Es war schlicht gehalten, aber auffällig groß und galt eindeutig ihr. ›Willkommen Zuhause, Sakura‹, stand darauf, was an sich kein Hinweis war. Es gab viele Sakuras in Japan. Aber jemand hielt es, den Sakura nur zu gut kannte. Ihre Erschöpfung war wie weggeblasen, ihre schmerzenden Gliedmaßen waren wieder voller Energie, und mit einem freudestrahlenden Lächeln lief sie auf Sasuke zu.

Anderthalb Jahre waren vergangen, in denen sie sich verändert hatten. Und das war gut so, denn nun hatten sie alle Zeit der Welt, sich endlich richtig kennen zu lernen.
 

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Kommentare zu dieser Fanfic (415)
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Von:  Cosmoschoco1209
2019-04-02T09:05:41+00:00 02.04.2019 11:05
So nachdem ich nun alles Kapitel von dieser Fanfic gelesen habe. Fange ich mal mit meinem Kommentar an, es dir hier zu hinterlassen.
Ich lese eigentlich weniger, solche Teenie Fanfics, wo die meisten Szenen in der Schule sind. Und auch wenn, mir Sakura zum Anfang ziemlich unsympathisch war mit ihrer naiven Schwärmerei für Sasuke, bin ich froh das die beiden, nicht die ganze Zeit im Vordergrund standen. Die Streitereien von der Clique wären, ab einem gewissen Punkt auch nicht mehr auszuhalten... Aber umso überraschter war ich von der Entwicklung einzelner Charaktere, ich glaube auch, das dass der Grund war, warum ich bis zum Schluss gelesen habe und es auch nicht bereue.
Die traurigste Szene für mich, war tatsächlich die Abschlussrede von Hinata. Ich habe geweint wie ein Schlosshund. :D Auch wenn du mich mit der Fanfic von Anfang an abgeholt hast, kann ich dennoch nicht leugnen, dass es mich ab einem bestimmten Punkt, dann doch mitgerissen hat. :)
Von:  twunicorn
2018-08-08T18:24:40+00:00 08.08.2018 20:24
Hallo,
ich habe diese FF vor Jahren schon mal gelesen und gestern Abend noch einmal. Damals fand ich den Schluss schade und hatte auf ein romantisches "Sakura ich liebe dich bitte komm zu mir" Ende von Sasuke gehofft :'D
Inzwischen muss ich allerdings sagen dass diese FF mir genau deshalb so gefällt, weil sie eben nicht ist wie diese ganzen 0815 Sasusaku Geschichten. Und auch Sasukes Charakter und dass er nicht weiß wohin mit sich usw hast du super beschrieben!
Habe gelesen dass du dir 2015(?) vorgenommen hattest in den nächsten 5 Jahren noch eine Fanfic zu veröffentlichen. Ich hoffe sehr darauf! :D
LG :)
Von:  Desiree92
2018-06-21T15:48:17+00:00 21.06.2018 17:48
Eine sehr schöne FF. Ich hatte am Anfang gedacht, dass eine Liebesgeschichte über Sakura & Sasuke auf mich zu kommt. Zwischendurch fand ich es schon schade, dass die beiden nicht wirklich zueinander gefunden haben. Aber du hast mich zum Ende hin nochmal sehr überrascht. Ein sehr schönes Ende. Vielleicht gibt es ja doch noch eine Art Fortsetzung, bei der es dann um die Beiden als Paar geht, würde mich sehr interessieren wie es mit den Beiden weitergeht. 🤗

Dein Schreibstil ist sehr schön. Lässt sich super lesen. 👌🏻👍🏻
Von:  Sakura2100
2017-06-08T19:40:51+00:00 08.06.2017 21:40
Sehr tolle fanfiktion die dur geschrieben hast. Langweilig war sie nie :D
Jedoch hätte ich mir ein süßeres ende gewünscht :( - ich hätte gerne gewusst ob sie es nun wirklich geschafft haben zusammen zu sein/kommen. Und was itachi und alle anderen von deren beziehung halten und was sie letztendlich wirklich aus ihrem leben gemacht haben. Für welchen beruf haben sie sich entschieden ?
Von:  Jinja2
2015-12-15T16:59:03+00:00 15.12.2015 17:59
Das War eine wunderschöne FF. Es gab Momente da war ich am verzweifeln und Momente wo ich vor Freude beinahe geschrieben hätte (was ich nicht gemacht habe weil ich krank bin😃😷). Das ist so toll. Ich weiß gerade eingach nicht genau was ich schreiben soll aber ich will was schreiben, denn ich will sagen das diese FF DER HAMMER WAR😢😀👍👍💖💖💖💕💕💓💓💜💛💚💗💘💝💞💟
Von:  Kerstin-san
2015-09-07T16:20:17+00:00 07.09.2015 18:20
Hallöchen,

so, dann hab ichs jetzt auch geschafft.
Erstmal zum Epilog: Hach, den fand ich ganz zauberhaft. Er war kein bisschen übertrieben, sondern du hast das Ende sogar noch recht offen gehalten, sodass sich jeder selbst überlegen kann, ob sie jetzt zusammenkommen werden oder nicht. Das gefällt mir sehr gut.

Insgesamt muss ich sagen, dass das doch eine FF mit vielen Höhen und Tiefen war (besondes gegen Ende hin hat sich das doch etwas gezogen). Ich kann verstehen, warum du ihr so skeptisch gegenüberstehst, aber ich finde trotzdem, dass sie sich trotz meiner ganzen Kritikpunkte von der Masse an Internats-/Schul-FF's abhebt.

Was mir sicherlich am negativsten in Erinnerung geblieben ist, war dieses kindische Verhalten von allen. Du lieber Himmel, ich hab mich zwischenzeitlich echt in meine Realschulzeit zurück versetzt gefühlt. Da hat sich keiner auch nur annähernd seinem Alter entsprechend verhalten. xD

Dann fand ich es noch sehr schade, dass Karin im Endeffekt doch als die ultimative Böse dargestellt worden bist, obwohl du sie am Anfang so toll aufgebaut hast. Sie war zwischenzeitlich echt mein Lieblingscharakter dieser FF.

Und dann waren da noch allgemein so ein paar Logikfehler, die mich gestört haben. Na ja. Ich will hier nicht nur rummeckern, du hast auch vieles gut gemacht.

Das du Sayuri eingebaut hast, fand ich zum Beispiel super. OC's sind ja immer so eine heikle Sache, aber ich fand sie hat hier wirklich reingepasst.

Generell fand ich es gut, dass du nicht auf ein gezwungenes Happy End für alle gesetzt hast, sondern vieles offen gelassen hast. Ich bin kein Fan von Happy Ends für alle.

Liebe Grüße
Kerstin
Von:  Kerstin-san
2015-09-07T16:04:18+00:00 07.09.2015 18:04
Hallo,

du liebe Güte, da fährst du aber allerhand schweres Geschütz auf. Es ist mir alles zu viel. Affären mit mehreren Leuten? Diebstahl? Und sie erzählt natürlich alles Sauske? Finde ich sehr unpassend.

Irgendwie tut sie mir dennoch leid. Sie hat ihn wirklich geliebt und jetzt hat sie all das verloren, wofür sie so hart (und unfair) gekämpft hat.

Es überrascht mich schon, dass das zwischen Naruto und Hinata jetzt so problemlos zu funktionieren scheint und ihre Familie sich da nicht quer stellt.

Aber ansonsten finde ich das Ende allererste Sahne. Es passt, dass die beiden nicht zusammengekommen sind und sich momentan neutral gegenüberstehen. Alles andere wäre mehr als unrealistisch.

Liebe Grüße
Kerstin
Von:  Kerstin-san
2015-09-07T15:52:23+00:00 07.09.2015 17:52
Hallo,

tja, war ja zu erwarten, dass das Gespräch nicht von Erfolg gekrönt sein würde.Ich kanns Sasuke nicht verübeln, er hat von Karins Seite aus nie irgendwelche Intrigen wahrgenommen. Wieso sollte er sowas glauben?

Immerhin ist er dadurch mal aus seinem Traum aufgewacht und sieht jetzt klarer. Er beginnt zu begreifen, was die ganze Zeit schief gelaufen ist. Das ist doch schon mal ein guter Anfang.

Liebe Grüße
Kerstin
Von:  Kerstin-san
2015-09-07T15:43:15+00:00 07.09.2015 17:43
Aloha,

tja, wie kommen die ganzen Leute jetzt auf einmal drauf, dass es Karins Schuld war? Sie ist ja schließlich ein Insiderinformant und hat nicht überall offen rumerzählt, dass Sakura schwanger ist.
Und woher wissen die, dass es ein Attentat war? Sakura hat ja schließlich von einem Schwächeanfall wegen zuviel Schulstress gesprochen. Das passt alles nicht so ganz zusammen..

Tja, ansonsten verläuft das Kapitel bis zum Ende hin ja eher ruhig. Karins toller Plan ist ja mehr als wackelig und ich teile Sakuras Bedenken, dass Sasuke so einer abstrusen Geschichte glauben schenken wird, aber man kanns ja mal probieren.

Liebe Grüße
Kerstin

Von:  Kerstin-san
2015-09-07T15:31:03+00:00 07.09.2015 17:31
Hallöchen,

auweia, Sakura muss hier einiges mitmachen. Ich glaub ich hätte nicht den Mumm, um mich in das Haifischbecken Klassenzimmer zu begeben..

Schade, dass du Karin letztendlich doch zu so einem gemeinen Biest gemacht hast. Hättest du dir die krasse Aktion aus der Bar geschenkt, wäre sie eigentlich ganz in Ordnung gewesen.
Ihre Unschuldstour finde ich natürlich verdammt dreist.
Allerdings erkennt sie natürlich völlig richtig, dass sie dabei ist Sasuke zu vergraulen.

Ach, Männer.. Die sind doch alle blind. Shikamaru ist zwar ansonsten ein helles Köpfchen, aber das er das nicht versteht..
Temari tut mir echt leid. Blöder Liebeskummer..

Klasse Aktion von Sakura. Das passt absolut zu ihrem Temprament und ihrem Charakter. Angriff ist immer noch die beste Verteidigung!

Liebe Grüße
Kerstin


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