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Dicembre

26 Tage Weihnachten
von

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Dreiundzwanzigster Dezember

Es war ihm nicht entgangen. Die Blicke im Gespräch, das Händeringen, die Angst. Natürlich hatte er das bemerkt. Sawada hatte Schiss, dass es ihm auffiel, und das zurecht. Es war schwer zu übersehen gewesen, fand Xanxus. Der Junge hatte eindeutig Gefallen an ihm gefunden.

Xanxus hatte angefangen, die Menschen zu analysieren, als sie Belphegor in die Varia gelassen hatten. Er und Squalo hatten damals Stunden damit verbracht, zu rätseln, was mit einem achtjährigen Massenmörder nicht stimmen konnte, und es war immer interessanter geworden. Xanxus hatte sich immer mehr damit beschäftigt, hatte Squalo und Levi und Lussuria analysiert und die Psychen seiner Gegner auswendig gelernt, bevor er ihnen entgegen getreten war. Nur von sich selbst hatte er stets abgesehen.

Und jetzt Sawada. Es war logisch. Es war so herrlich logisch. Es fügte sich dermaßen perfekt zusammen, dass Xanxus womöglich besser gelaunt war als er es seit den Ringkonflikten je gewesen war.

Er stand bei offener Tür auf seinem Balkon, es war kühl, aber das störte nicht. Xanxus hatte seine Hand verbunden und bewegte immer wieder vorsichtig seine Finger durch, damit die wieder voll funktionsfähig waren, wenn er zurück nach Italien kam. Die Brüche waren schon wieder fast verheilt, auch ohne Lussurias Hokuspokus. Wirklich gestört hatte es ihn eigentlich nicht, weil Xanxus sich ständig die Finger an irgendwelchen Wänden brach und man sich mit der Zeit daran gewöhnte, aber seit der Nacht mit Tsuna drückten sie wieder ein bisschen. Er hatte sie eben ein bisschen mehr und ein bisschen anders bewegt als sonst, deshalb musste der Verband sie jetzt doch noch stützen. Eigentlich gab er nicht viel auf Medizin, aber krumm verwachsen musste seine Hand ja nun auch nicht.

Es klopfte. Xanxus neigte den Kopf auf die Seite und betrachtete stirnrunzelnd das Balkongeländer. Squalo würde nicht klopfen. Den Rest der Varia hätte er längst lauthals gehört. Blieben nicht mehr viele übrig.

»Ist offen«, sagte er laut und drehte sich langsam um, als die Tür geöffnet wurde.

Im ersten Moment sah Tsuna ihm noch in die Augen, so, als sei er fest entschlossen, das von nun an immer zu tun. Dann verzogen sich seine Mundwinkel und der Blick fiel, noch bevor er die Tür wieder geschlossen hatte. »Ich will mit dir reden«, erklärte er Xanxus‘ Schuhen.

Xanxus zog eine Braue hoch, unterdrückte ein Schmunzeln und trat vom Balkon zurück ins Zimmer. Auch er schloss die Tür hinter sich, schob die nicht bandagierte Hand in die Hosentasche und beobachtete ihn aufmerksam. »Worüber?«

Kurz schloss Tsuna die Augen, schaffte es dann zumindest, seinen Oberkörper anzusehen. »Über Freitagnacht.«

»Wirklich?«, fragte Xanxus, ohne, dass es wirklich nach einer Frage klang. »Haben das Wasser und die Gurken geholfen?«

Jetzt sah er ihn wieder an, aber erst, nachdem er gut sichtbar die Augen verdreht hatte. »Das meine ich nicht.«

»Oh.« Er konnte ein Arschloch sein. Und er war es so gerne. »Sondern?«

»Das… Xanxus, das weißt du doch ganz genau!«

Natürlich wusste er das. Deshalb war er ja auch bereits jetzt so furchtbar amüsiert. »Sprich’s einfach aus, Sawada«, schlug er tonlos vor.

Tsuna holte Luft, sah ihn an, sah wieder weg, atmete aus und verzog das Gesicht. Xanxus sah, wie sein Bick ihn kurz streifte, dann runzelte der Junge die Stirn. »Was… Was ist denn mit deiner Hand passiert?«

Seine Hand. Xanxus gluckste. Okay, er konnte sich nicht einmal sicher sein, ob er das nun fragte, um vom Thema abzulenken, oder ob sich Tsuna tatsächlich um seine verbundenen Finger sorgte. Vielleicht war es ein bisschen von beidem.

Xanxus sagte nichts, wies stattdessen nur mit eben dieser Hand über Tsunas Schulter, wo neben der Tür noch immer ein großes Loch in der Wand prangte. Tsuna folgte seinem Deut mit dem Blick und brachte ein leises »Oh.« heraus, dann schwieg er wieder. Er schämte sich. Er traute sich nicht. Er bekam einfach den Mund nicht auf. Ein weiteres Mal fragte sich Xanxus, ob Tsuna wusste, dass er sich mit genau diesem Verhalten noch mehr in Schwierigkeiten brachte. Aber am Ende konnte ja nicht jeder über seine verkorkste Psyche Bescheid wissen.

»Du willst mit mir über Freitagnacht reden«, wiederholte Xanxus, der sich eigentlich von vornherein darüber bewusst gewesen war, dass Tsuna dazu nicht in der Lage sein würde. Langsam näherte er sich seinem Gegenüber, schmunzelte über den entsetzten Blick, der dafür kurz in sein Gesicht und direkt darauf wieder auf seine Schuhe huschte. »Ich nehme an, du wolltest mir sagen, dass es ungünstig für uns beide ist. Und nicht gesund. Und alles andere als vernünftig. Und dass wir es deshalb lieber nicht wiederholen sollten, wenn wir uns bald öfter sehen.«

Erst, als Xanxus direkt vor ihm stand, legte Tsuna den Kopf etwas zurück und sah mit gigantischen Augen zu ihm hoch. Dann ging er rückwärts. Und Xanxus folgte ihm.

»Und ich nehme an«, fuhr er fort, seine Stimme gesenkt und quälend belustigt, »du kannst mir nichts davon ins Gesicht sagen. Rede dir ruhig ein, dass es an der Angst vor mir liegt, Tsunayoshi. Rede dir ein, was du willst. Wir wissen beide, dass es nicht stimmt. Du kannst all das nur deshalb nicht aussprechen, weil du ein schlechter Lügner bist – und es nicht der Wahrheit entspricht.«

Tsunas Rücken stieß gegen die Tür, er schluckte schwer. Jetzt schien er den Blick gar nicht mehr von Xanxus‘ gesenkten roten Augen abwenden zu können, und Xanxus genoss diesen Moment. Er sprach wenig und ungern, aber diesmal konnte er eine Ausnahme machen. Weil es darum ging, Sawada von innen auseinander zu nehmen, ihn zu analysieren und damit buchstäblich an die Wand zu argumentieren, und ihm zu zeigen, dass es jetzt keinen Ausweg mehr gab.

»Du hast gehofft, dass das irgendwann passiert«, raunte Xanxus, den Kopf gesenkt und nunmehr ein schmales Grinsen auf den Lippen. »Wenn du es nicht sogar unterbewusst darauf angelegt hast – dass irgendjemand kommt und dich unterwirft. Dass es irgendjemand endlich wagt, zu nihilieren, was du in den letzten Jahren erreicht hast. Du wolltest diesen Job nie. Das weiß ich genauso gut wie es du und deine Wächter wissen. Du wolltest ihn nicht, aber du hast ihn angenommen und du meisterst ihn, du bist – zugegebenermaßen – nicht schlecht. Und jetzt? Jetzt fehlt dir etwas. Jemand.«

Xanxus machte eine Pause, betrachtete die haselnussbraunen Augen, die das Unheil kommen sahen. Er kam noch näher, zwischen ihren Körpern flimmerte die fehlende Berührung, und als er weitersprach, war er noch leiser.

»Ist nicht leicht, Boss zu sein, hm?«, sagte er mit einem unüberhörbaren Hauch von Spott in der Stimme. »Anstrengender Beruf. Gerade, wenn man es nicht gewohnt ist. Und wenn man ständig dieses hohe Maß an Kontrolle hat, kommt man irgendwann an den Punkt, an dem man wenigstens einen Teil davon abgeben will, nicht wahr? Du willst jemanden, der dir Entscheidungen abnimmt und dich nicht einmal fragt. Du willst jemanden, der vor dir läuft, statt dir hinterherzurennen, damit du dich wieder irgendwo orientieren kannst. Du willst jemanden, dem es am Arsch vorbeigeht, ob du die verfickte Vongola anführst oder nicht. Jemanden, der dich nicht halb so viel respektiert wie die anderen Idioten. Jemanden, der dich anführt.«

Wieder landete seine gesunde Hand neben Tsunas Kopf an der Tür, als Xanxus den letzten Rest Distanz zwischen ihnen nahm und sich so weit hinab beugte, dass sein Atem Tsunas Ohr streifte und der Junge spürbar erschauderte. »Du brauchst mich und du wirst mir nie sagen können, dass ich aufhören soll«, hauchte er. »Weil du nicht willst, dass ich aufhöre. Du weißt selbst genau, wie sehr du dir diesen Kontrollverlust gewünscht hast. Du willst nicht, dass ich gehe. Du willst, dass ich genau da bleibe, wo ich bin, und dir weiterhin genau das nehme, wofür sie dich da draußen anpreisen.«

Er konnte sein Herz hämmern hören, und seinen flachen Atem. Und er konnte spüren, wie er, ganz kurz, ganz zaghaft, den Kopf schütteln wollte. Und Xanxus schnaubte belustigt. »Du bist ungefähr zehn Zentimeter von der Türklinke entfernt, Sawada«, sagte er leise. »Du hättest die ganze Zeit gehen können. Wieso hast du es nicht getan?«

Für einen Moment stand die Welt still. Nichts regte sich, niemand tat etwas, niemand sprach.

Und dann löste sich Tsunas Körper aus der Verspannung, und sein Kopf fiel nach vorn, einfach so, als habe jemand eine Schraube gelockert. Seine Stirn berührte Xanxus‘ Schulter, und dann hoben sich seine dünnen Arme, zitternd, zögernd, bis sich seine Finger in den Stoff von Xanxus‘ Hemd krallten. Er sagte nichts. Aber das war auch nicht nötig.

Ein triumphierendes Grinsen legte sich auf Xanxus‘ Lippen, als seine bandagierten Finger ein weiteres Mal fest um Tsunas Haare griffen und die andere Hand bereits langsam von seiner Schulter aus auf dem Weg abwärts war.

Würde er sich heute eben doch nicht schonen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Lalonde
2010-12-27T20:04:10+00:00 27.12.2010 21:04
Aww, dieses Kapitel ist so toll..
Schon am Anfang war ich irgendwie weg.
Die Vorstellung, dass Xanxus‘ Schuhe vielleicht sprechen können und einen kleinen Dialog mit Tsuna starten war einfach zu geil(<- ja meine Fantasie ô.o)
Ich freu mich schon auf das nächste Kapitel :D


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