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Uns bleibt immer noch Amsterdam

Ryoki
von

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Zimmer Nr. 21

Kapitel 2Zimmer Nr. 21
 

14. April 2010

Rika
 

Ich packte meine Sachen zusammen. In einer Stunde ging mein Flug und ich war bereits viel zu spät dran, immerhin musste ich auch noch mein Gepäck aufgeben. Ein Quietschen an der Tür ließ mich aufhorchen. Rumiko. Ich wandte mich um.
 

Keine Minute später wurde meine Zimmertür geöffnet und sie blieb mit ihrem Rollstuhl darin stehen. „Ein neuer Auftrag? Du hast gar nichts erwähnt.“
 

Natürlich hatte ich nichts gesagt. Ich sprach mit ihr nie über meinen Job – uns beiden zuliebe. Schulterzuckend warf ich die restlichen Kleidungsstücke auf meinem Bett in den Koffer. Einen Preis für ordentliches Zusammenpacken musste ich ja schließlich nicht gewinnen.
 

„Es ist nichts Besonderes. Wir machen nur ein paar Fotos in London – eigentlich ist es eher ein Casting. Ich bin in der engeren Auswahl. Es geht um Eiscreme.“
 

Rumiko sah mich nachdenklich an. Ich konnte ihrem Blick nicht lange stand halten. Seit ihrem Unfall hatte sie sich verändert. Inzwischen hatte ich das Gefühl, dass sie zum ersten Mal richtig bemerkte, was in ihrem Umfeld vor sich ging und vor allem, wie sich die Menschen um sie herum wirklich fühlten. Als kleines Mädchen hatte ich mir das oft gewünscht, doch jetzt sehnte ich mich eher wieder nach ein wenig mehr Anonymität für meine Gefühlswelt.
 

„Es macht Spaß, oder? Fotos zu machen ist herrlich!“
 

Ihr Enthusiasmus war gespielt. Ich bemerkte die Fangfrage und lächelte sie lediglich an, obwohl ich genau wusste, dass Rumiko klar war, dass ich dabei log.
 

Eigentlich sollte sie jetzt ihren Koffer packen. Ich hatte es noch nie gemocht und inzwischen hasse ich es, weil es zu meinem Leben geworden war.
 

*

15. April 2010
 

„Du?“, fragte ich leise, obwohl es keine wirkliche Frage war. Mir war bewusst, dass ich Ryo Akiyama vor mir hatte.
 

Überrascht musterte ich ihn von oben bis unten. Ich musste mir eingestehen, dass er gut aussah, allerdings war das keine besondere Neuigkeit für mich. Neu für mich war jedoch, dass aus ihm ein richtiger Mann geworden war. Noch immer hatte ich ihn als den unerträglich perfekten 14-jährigen Jungen in Erinnerung, der er einmal war. Er lächelte mich an und merkwürdigerweise bemerkte ich in diesem Moment, dass ich Perfektion von ihm abgefallen war. Sein Erscheinungsbild war ein wenig mitgenommen. Ryo war nicht rasiert, man konnte ihm Erschöpfung ansehen und er sah auf eine gewisse Art und Weise traurig aus. Ich bemerkte, dass es ihn freute mich wiederzusehen, aber sein Lächeln war eher ein schwacher Versuch des verwegenen Grinsens von früher. Die kindliche Unbekümmertheit schien mit den Jahren von ihm abgefallen zu sein.
 

Ryo bemerkte, dass er noch immer seine Musikstöpsel in den Ohren hatte und zog sie heraus. „Wow, ich bin überrascht“, sagte er. „Woher kommst du denn?“
 

„Von zu Hause“, erwiderte ich und fügte dann „Tokio“ hinzu. Zuhause hätte immerhin inzwischen etwas ganz anderes sein können. „Und du?“
 

„London. Ich studiere dort.“
 

Vage erinnerte ich mich daran, wie Henry einmal erzählt hätte, Ryo würde jetzt im Ausland studieren. Mich hatte diese Information damals recht kalt gelassen. Bereits da hatte ich ihn schon ewig nicht mehr gesehen. Fukuoka war schon recht weit weg und mit London war er für mich im Grunde vollkommen aus der Welt.
 

„Und du fliegst jetzt nach Hause?“
 

Ryo nickte und schenkte mir wieder ein schiefes Lächeln. „Zumindest wollte ich das.“ Sein Blick glitt bedauernd zu einem der Fernsehmonitore und wieder zu mir zurück. „Jetzt hängen wir wohl beide hier fest.“
 

„So in etwa. Eigentlich wollte ich mir jetzt ein Zimmer nehmen. Ich habe gerade erfahren, dass heute kein Flug mehr gehen wird.“
 

Ryos Miene verfinsterte sich und er wirkte plötzlich besorgt. Erneut gewann ich den Eindruck, dass er seine Perfektion verloren hatte, und erkannte auch, dass ihn etwas zu belasten schien. Ich scheute mich davor, ihn zu fragen, ob alles in Ordnung war. In gewisser Art und Weise standen wir uns als Fremde gegenüber. Ich konnte nicht einmal genau sagen, wann ich ihn zuletzt gesehen hatte. Zumindest wusste ich aber, dass es mehr als fünf Jahre her war. Eigentlich wusste ich nicht einmal, ob wir jemals richtige Freunde waren. Außerdem widerstrebte es mir, Ryo nach seinem Befinden zu fragen. Zwischen uns hatte es schon immer diese gewissen Spannungen gegeben. Früher hatte mich seine Anwesenheit leicht auf die Palme gebracht. Alles an ihm reizte mich damals oft bis aufs Blut. Mittlerweile war ich allerdings erwachsen genug, um mit solchen Charakterzügen, wie er sie besaß, umgehen zu können und sie entsprechend zu ignorieren.
 

„Dann denke ich, dass ich dich begleiten werde. Hier halte ich es einfach nicht länger aus.“ Ryo seufzte und sah mich dann fragend an. „Oder stört dich das etwa?“
 

Ich schüttelte den Kopf. Falls es mir zu viel wurde, konnte ich ihm immer noch aus dem Weg gehen.
 

*
 

„Ein Doppelzimmer?“
 

Ryo klang überrascht und unsicher, während wir mit unserem Gepäck den Flur unseres Stockwerks entlang gingen und die Nummer 21 suchten.
 

„Natürlich“, erwiderte ich. „Einzelzimmer wären viel zu teuer. Wer weiß wie lange wir in Amsterdam festsitzen.“
 

Mich störte es bereits jetzt, dass ich überhaupt ein Zimmer nehmen musste. Nein, eigentlich störte mich die ganze Reise. Wegen eines bescheuerten Eiscreme-Werbespots war ich nicht einmal dort, wo ich ihn eigentlich drehen sollte, und kam dann auch nicht mal mehr nach Hause. Diese Reise war für die Katz und nur rausgeschmissenes Geld. Letzteres hatte ich natürlich auch im Überfluss. Zumindest konnte ich durch Ryos Anwesenheit wieder einiges einsparen und so hatte er schon mal seine Daseinsberechtigung.
 

Ich entdeckte die Raumnummer 21 auf der linken Seite und schloss das Zimmer auf. Uns erwartete ein spärlich eingerichteter, und auf den ersten Blick sauberer, Raum, ausgestattet mit zwei Einzelbetten, einem Tisch, zwei Stühlen und einem Fernseher. Sofort warf ich einen inspizierenden Blick ins Badezimmer und vergewisserte mich, dass nirgends Ungeziefer oder sich irgendwo anderes Ekel befand.
 

Vom Zimmer aus dröhnte bereits der Fernseher zu mir her. Ich ging wieder zurück und lehnte mich gegen die Wand, während ich Ryo dabei zusah, wie er einen englischen Nachrichtenkanal suchte. Wir hatten bereits das Hotelpersonal gebeten, dass sie uns Bescheid gaben, sobald die ersten Flüge wieder am Schiphol-Flughafen starteten. Tatsächlich empfing der Fernseher BBC und wir erkannten sofort, dass immer noch absoluter Stillstand herrschte. Was sollte sich auch in einer halben Stunde schon verändern?
 

„Mist“, fluchte Ryo leise und schaltete den Fernseher wieder aus.
 

Ich betrachtete Ryos Profil von der Seite und stellte fest, dass er mich zuvor nicht geirrt hatte. Er sah tatsächlich erschöpft aus. Plötzlich bemerkte ich auch, wie müde ich eigentlich war. Der lange Japanflug, bei dem es mir nicht gelungen war, ein Auge zuzumachen, steckte mir noch in den Knochen. Unwillkürlich musste ich bei dem Gedanken daran gähnen und brachte Ryo dazu, dass er sich zu mir umsah.
 

„Müde“, stellte er fest.
 

„Ja, ich werde mich hinlegen. Du siehst auch nicht besonders fit aus. Das würde ich dir ebenfalls empfehlen.“
 

Ich stieß mich von der Wand ab und ging auf das Bett am Fenster zu. Dabei spürte ich, wie Ryos Blick mir folgte.
 

„Ich habe viel eher einen riesigen Hunger“, meinte er schließlich. Er stellte seine Reisetasche auf den Tisch und kramte darin herum, ehe er sein Portemonnaie herauszog. „Dir würde ich ebenfalls empfehlen, etwas zu essen. Du siehst aus, als könntest du es gebrauchen.“
 

Ich verstand, dass sich seine Anspielung auf meine Figur bezog. In diesem elenden Metier musste man eben darauf achten, was man aß, dennoch brachte ich aber nicht so wenig auf die Waage, dass man sich tatsächlich Angst um meinen Gesundheitszustand machen musste.
 

„Scherzkeks“, zischte ich also lediglich giftig zurück.
 

*
 

Ich hatte mich nicht dazu breitschlagen lassen, essen zu gehen, also war Ryo allein gegangen und kam eine Viertelstunde später mit großen Nudelverpackungen vom Chinesen zurück, gerade als ich mit Pyjamahose und T-Shirt aus dem Bad kam und mich fertig fürs Bett gemacht hatte. Innerlich war ich doch etwas dankbar dafür, als er mir meine Nudelportion gab. Erst jetzt bemerkte ich, wie groß mein Hunger wirklich war.
 

Im Schneidersitz saß ich auf meinem Bett und begann zu essen. Ryo tat es mir gleich.
 

„Was machst du jetzt?“, fragte er mich nach einigen stillen Minuten. Neugierig flog sein Blick zu mir hinüber. „Du bist jetzt auch mit der Schule fertig, oder?“
 

Ich nickte langsam. „Seit zwei Jahren. Jetzt bin ich Model.“
 

Er zog überrascht die Augenbraue hoch. Diese Reaktion hatte ich bereits erwartet. Ich hasste es, wenn in Gesprächen mein Beruf zur Sprache kam. Unter denjenigen, die mich nicht kannten, bekamen Männer immer große Augen – wann lernte man schon einmal ein richtiges Model kennen, vielleicht läuft mit der auch was – und von Frauen oftmals einen abschätzenden Blick geschenkt – was hat die schon besonders an sich, dass ist es etwas machen kann? Diejenigen, die mich kannten, oder es zumindest glaubten zu tun, waren eher verwirrt.
 

„Habe ich damals nicht mitbekommen, dass du das eigentlich hasst? Deine Mutter modelt doch auch, oder?“
 

„Damals war ich auch noch ein Kind“, entgegnete ich schroff. „Jetzt liebe ich es, sonst würde ich es nicht tun.“
 

Mit Lügen kam man viel leichter durchs Leben, auch einem selbst gegenüber. Ich durfte nicht daran denken, wie sehr ich es hasste, anziehen zu müssen, was einem andere vorschrieben, auf Äußerlichkeiten reduziert zu werden oder wie eine Ware betrachtet zu werden. Ryo war sicherlich auch nicht derjenige, dem ich alles auf die Nase binden würde. Früher war er es schon nicht gewesen und jetzt, da man sich seit mehr als fünf Jahre nicht gesehen hatte, erst recht nicht.
 

Ryo merkte man nicht an, ob ihn meine knappe Antwort überzeugt hat. Er nickte lediglich stumm und nahm einen weiteren Bissen. „Und wie geht es denn andere so?“
 

„Takato hat eine Ausbildung bei seinen Eltern begonnen. Er wird nächstes Jahr damit fertig. Henry studiert Informatik, Jen Kunstgeschichte und Suzie wird nächstes Jahr ihren Abschluss machen. Und Kazu und Kenta haben sich vor zwei Jahren einen Rucksack geschnappt und gondeln jetzt irgendwo in der Weltgeschichte herum. Ich glaube zurzeit sind sie in Moskau. Ich möchte gar nicht wissen, was die anstellen, damit sie über die Runden kommen.“
 

Ein kleines Lächeln stahl sich über Ryos Lippen. „Mit dem Rucksack um die Welt. Die beiden sind doch verrückt, oder?“
 

„Das wusste ich schon immer.“
 

Ryos Lächeln wurde breiter. „Und seht ihr euch noch regelmäßig?“, wollte er wissen. Plötzlich wurde er wehmütig. „Ich habe euch nämlich vermisst, weißt du? Diese Zeit damals, sie fehlt mir.“
 

Mir auch, fügte ich stumm in Gedanken hinzu. Ich war nicht fähig es auszusprechen. Wir waren keine Kinder mehr. Diese Zeit war schon lange vorbei und ein wichtiger Teil fehlte, um es vollständig wieder zurückzuholen. Sie, die sie da in ihrer digitalen Welt lebten. Ob sie wohl auch inzwischen getrennt waren?
 

Es war nicht richtig sich an der Vergangenheit festzuklammern, die nicht mehr zurückzuholen war und ihn Sehnsüchten zu schwelgen. Unerfülltheiten machten einen nicht glücklich.
 

Ich ignorierte seine Bemerkung. „Wir sehen uns noch ab und an. Vielleicht einmal im Monat. Aber es fehlt immer jemand und ich bin auch ständig unterwegs.“
 

Diese Antwort schien Ryo traurig zu machen. „Das ist schade.“
 

Wieder stimmte ich ihm stumm zu.
 

*
 

Das laute Klingeln des Telefons weckte mich. Im ersten Moment war ich verwirrt. Meine Umgebung war mir fremd. Flughafen, Aschewolke, Hotelzimmer. Allmählich setzten sich die Puzzelteile wieder zusammen.
 

Ich schälte mich genervt aus dem Bett, ging zum Tisch und nahm den Hörer des Telefons ab. „Ja?“, fragte ich verschlafen auf Englisch hinein.
 

„Hier spricht die Rezeption. Tut mir leid, wenn ich Sie störe“, antwortete eine Frauenstimme ebenfalls auf Englisch. „Zu Ihnen gehört doch dieser junge Japaner, oder?“
 

Automatisch drehte ich mich zu dem anderen Bett im Raum. Decke und Kissen waren zerwühlt, doch es war leer. Ryo hatte sich nach dem Essen ebenfalls hingelegt. Ich konnte nicht sagen, wie lange ich geschlafen hatte, erst recht nicht, wie lange er schon weg war.
 

Ein unwohles Gefühl machte sich in mir breit. War ihm etwa etwas passiert? „Ja? Was ist mit ihm?“
 

*

Fortsetzung folgt …
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2010-11-30T15:27:39+00:00 30.11.2010 16:27
ich draf den nächsten kapi(3) nicht lesen *wein* T.T bin minderjährig >.<
SHITT
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ps: igal ich komm irendwie wieder rein xD
LG Kiken_na_Yuki

Von:  Astre
2010-11-18T12:21:17+00:00 18.11.2010 13:21
Asche über mein Haupt und zwar gewaltig. Es tut mir leid das ich bisher zu faul war dir ein Kommentar zu hinterlassen aber ich gelobe Besserung.^^

Die Geschichte fängt sehr vielversprechend an, das du genial schreiben kannst macht da den halben Preis. Die Grundstory gefällt mir. Ist mal etwas Neues. Bis jetzt zumindest aber ich denke das wird auch weiterhin so bleiben.:)

Was mir außerdem auch bereits bei deiner anderen Geschichte aufgefallen ist, ist das du, die Charakter so weit nicht Occ Gestalltest. Daumen hoch.

Du formst sehr schöne Sätze und schreibst nicht drum herum, was sehr wichtig nach meiner Meinung ist. Ich will schließlich nicht etwas lesen, wo ich mich kurz darauf selbst frage: " Was stand da jetzt?" Das machst du richtig gut. Man versteht sofort den Sinn dahinter.:)

Alles sehr schön flüssig zu lesen.^^

Das wars erst einmal du kannst dir sicher sein das ich die Story weiter verfolgen werde und schon riesig drauf gespannt bin wies weiter geht.

lg
Astre
Von: abgemeldet
2010-11-16T17:14:53+00:00 16.11.2010 18:14
ohh...du kannst doch nicht einfach beim spannenden moment auf hören... -.-

ich bin warscheinlich die einzige die das liesst bei animexx..ich hab nähmlich gesehen das du bei Fanfiktion.de bist.. >.<

vllt kommen ja noch paar kommi schreiber ^^

LG kiken_na_yuki


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