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Aus dem Leben eines Teddybären

Abschied
von

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Abschied

Für einen Moment lauschte er noch Meggies ruhigem Atem, dann schlich er zur Tür zurück. Er öffnete sie leise und schloss sie ebenso, ohne auch nur ein einziges Geräusch zu verursachen. Er wollte nicht, dass sie aufwachte und fragte, wo er hin wollte. Sie musste es nicht wissen. Niemand musste es wissen. Es war schließlich ganz alleine seine Entscheidung, was er tat und was nicht. Er war so frei; so frei wie der Wind, der unnachgiebig durch die Welt zog und sich von niemanden etwas vorschreiben ließ. Man konnte den Wind nicht einfangen und ebenso wenig konnte man ihn einfangen. Selbst Meggie konnte das nicht. Nicht einmal sie.

Seufzend lehnte er sich gegen die Wand im Flur und blickte durch diesen zurück zum Schlafzimmer. Er erinnerte sich an ihr friedliches Gesicht. An die weiße Haut, die Porzellan glich und die sie so zerbrechlich wirken ließ. An die wilden roten Locken, die ihr widerspenstig im schlafenden Gesicht hingen und über die sie sich immer so ärgerte. An die wilden grünen Augen, die ihn immer fasziniert ansahen, wenn er mal wieder ein scheinbar unmögliches Kunststück vollführt hatte. An ihr Lächeln, das stets dafür sorgte, dass ihm so unglaublich warm ums Herz wurde.

Er musste wieder seufzen. Er würde Meggie schrecklich vermissen, doch es ging nicht anders. Er musste weg. Meggie war inzwischen viel zu alt, um noch mit ihm zu spielen. Die Barbiepuppen auf der Kommode hatte sie schon gegen Schminke getauscht. Und ihre Bücher und Zeitschriften über Pferde waren Jugendmagazinen und Liebesromanzen gewichen. Er wollte nicht wissen, durch was sie ihn ersetzen wurde. Deswegen ging er, bevor sie ihn ebenfalls in einen Karton stecken konnte, nur um ihn dann auf den Dachboden versauern zu lassen. Nein, daran wollte er gar nicht denken.

Viel lieber war ihm die Erinnerung an den Moment, in dem er Meggie kennengelernt hatte. Er war ein Weihnachtsgeschenk für sie gewesen. Damals war sie zwei Jahre alt. Er erinnerte sich noch genau an ihre strahlenden Augen, die so hell funkelten wie zwei Sterne, als sie ihn erblickte. In diesem Moment wusste er endlich, warum er überhaupt erschaffen worden war, genau für diesen Moment und für alle anderen Momente, die danach noch kamen. Er und Meggie hatten so viel miteinander durchgemacht, dass es ihn jetzt nur noch mehr schmerzte, dass er weg musste. Er wusste nicht einmal genau, wohin er gehen sollte, aber er würde schon einen Ort finden. Einen Ort, wo man ihn vielleicht mit dem gleichen Strahlen in den Augen ansah. Auch wenn es nie an das Strahlen von Meggies Augen herankommen würde.

Er ließ den Kopf hängen und stieß sich mit dem Fuß von der Wand ab. Er tapste die Treppe hinunter und zur Haustür. Irgendwie schaffte er es sie zu öffnen. Es war eine laue Sommernacht und die Sterne schienen hell am Firmament. Ob Meggie ihn wohl vermissen würde?
 

Am nächsten Morgen erwachte Meggie und wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Suchend sah sie sich im Zimmer um. Sah unter ihrem Kopfkissen nach. Kroch unters Bett. Schob die Kommode ein wenig zur Seite. Riss alle Klamotten aus dem Kleiderschrank. Zog die Bücher aus dem Regal. Durchsuchte die Truhe vor ihrem Bett. Sie konnte ihn nicht finden.

Ihre Mutter, die die Unruhe ihrer Tochter aufgrund der dünnen Wände bemerkt hatte, kam ins Zimmer und fragte: „Was ist denn los? Suchst du etwas?“

Traurig sah Meggie auf und feine Tränen funkelten in ihren Augen. Mit leiser Stimme murmelte sie: „Mister Bär, mein Teddy, er ist weg.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Sencha
2011-06-01T20:12:54+00:00 01.06.2011 22:12
Wunderschön*-*
Du schreibst wirklich sehr schön, total süß!!
Ich liebe kurze Storys, die viel aussagen und deine erfüllt beides!!
Ist der Satz aus Tintenherz XD?




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