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Rewind And Reflect

[Caleb x Cornelia | canon-sequel | enemies to lovers]
von

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The Other Sister


 

… 
It's always like together

we can overcome everything
 …
 

S I E B E N
 

„Schieß los, wir sind ganz Ohr“, forderte Will in reserviertem Ton. Sie waren alle sichtlich schlecht auf Caleb zu sprechen, doch dieser ließ sich davon nicht beirren.

„Um euch zu erklären, was es mit dem Ganzen auf sich hat, muss ich etwas weiter ausholen.“

„Tu dir keinen Zwang an“, murmelte Cornelia verstimmt. Caleb ignorierte auch diese Bemerkung.

„Vor fünf Jahren, als ich auf Elyons Bitten hin bei ihr am Hofe blieb, war mein Aufenthalt nur von kurzer Dauer. Mein Freiheitsdrang und meine Abenteuerlaune vertrugen sich nicht mit der gesetzten Etikette des Palastarrangements. Ich bat Elyon, mich freizustellen, und mich meine Wege gehen zu lassen. Sie gewährte mir diesen Wunsch. Von da an streifte ich ziellos durch die Wälder und Städte Meridians, um eine Aufgabe für mich zu finden. Ich weilte nie lange an einem Ort, obgleich ich wunderschöne Landschaften entdeckte, in denen ich mich gerne niedergelassen hätte.

Auf meinen Reisen kamen mir viele Gerüchte zu Ohren – dass es neue Wächterinnen gäbe, dass es Männer sein sollten, dass in der Stadt grüner Regen vom Himmel gefallen wäre, und dass Phobos eine zweite Schwester hinterlassen haben soll; unglaubwürdiges Gerede der Leute. Doch insbesondere das letzte Gerücht kam mir öfters zu Ohren denn die anderen. Dass Phobos tatsächlich eine zweite Schwester haben soll, wurde mit jedem Tag wahrscheinlicher. Sie sei schöner als jedes menschliche und nichtmenschliche Wesen, stärker als die jüngere Schwester und besessen davon, Meridian zu beherrschen und somit Elyon vom Thron zu stürzen.“

„Schwachsinn, wenn ihr mich fragt“, warf Irma ein. Sie lehnte sich gelangweilt zurück und hob skeptisch die Augenbraue.

„Ich glaube das auch nicht“, stimmte Cornelia zu. „Wenn er noch eine Schwester hätte und sie dasselbe Ziel verfolgt wie er es einst getan hat, hätten sie gemeinsame Sache gemacht.“

„Eben weil sie dasselbe Ziel hatten, stellte sie die größte Bedrohung für ihn dar“, unterbrach Caleb. „Überlegt doch mal. Phobos strebte nach Macht und zwar nach der absoluten, nach der alleinigen. Eine Schwester, die eben das genauso wollte, hätte entweder seine Pläne vereitelt, um selbst die Alleinherrschaft zu erlangen, oder er hätte diese mit ihr auf Basis einer Regentschaft teilen müssen. Aufgrund dessen raubte er ihre Kräfte und versiegelte sie in einem Berg, fernab jedweder Zivilisation. Neunzehn Jahre lang suchte Phoebe nach einem Weg, ihre Macht wieder zu erlangen und nun hat sie sie endlich wieder.“

„Wer glaubt denn so einen Blödsinn?“, rief Irma.

Mrs. Lin übernahm es, für Caleb zu antworten. „Das Gerücht, dass Phobos eine zweite Schwester haben soll, hält sich hartnäckig seit vielen, vielen Jahren. Es gibt eine Geschichte, nach der, als Phobos und Phoebe als Zwillinge geboren wurden, die Kräfte der beiden zusammen so stark waren, dass sie durch viele hundert Kilometer voneinander getrennt aufgezogen werden mussten. Der hohe Rat des Königreiches erkannte die Gefahr und beschloss, dass nur einer der beiden in Meridian bleiben konnte, aus Angst, die beiden könnten gemeinsam zu stark werden und das Gleichgewicht der Welt stürzen. Phoebe, mit der Schönheit einer Göttin gesegnet, sollte niemals erfahren, dass sie die Prinzessin war. Doch wie der Zufall spielte, drang das sorgsam gehütete Geheimnis als Gerücht bis an die verwinkeltsten, abgelegensten Orte. So auch nach Sinistra, einem kleinen Landstrich am Rande des Königreichs, wo Phoebe in Frieden mit sich lebte.

Sie war sechzehn Jahre alt, als die Lüge aufflog und damals waren ihre Kräfte bereits sehr groß. Sie sah nicht ein, wieso ihr Zwillingsbruder Phobos in Saus und Braus in einem Schloss leben durfte und sie selbst, ihrer Meinung nach zu einer Königin geboren, ihr Dasein als armes Bauernmädchen fristen musste. Zu dieser Zeit dachte sie nicht daran, Herrscherin zu werden. Sie wollte nur den Wohlstand, der ihr zustand. Doch als sie die schwere Reise zum Schloss geschafft hatte und ihr Bruder bereits die Macht an sich gerissen hatte, wuchs die Gier nach ebendieser Macht.

Sie, vom Wesen her gerissener und hinterlistiger als Phobos, schaffte es, unbemerkt ins Schloss zu gelangen und ihn fast zu töten. Der verunglückte Anschlag zeigte Phobos auf, zu was Phoebe fähig war und so beschloss er kurzerhand, ihre Fähigkeiten zu rauben, zu versiegeln und sie als gewöhnliches Straßenmädchen in den Bergen auszusetzen, denn töten konnte er sie nicht. Durch ihre Adern floss immerhin dasselbe Blut, das auch ihn am Leben erhielt.“

Will war die erste, der die Sache nicht völlig aus der Luft gegriffen erschien. „Also hat es Phoebe, nun, da sie ihre Macht wieder hat, darauf abgesehen, Elyon ihrer Herrschaft zu entheben?“

„Nicht direkt“, sagte Caleb. „Es geht das Gerücht um, sie sei geschwächt. Ihre Fertigkeiten sind nicht mehr so machtvoll wie einst, da sie durch Phobos’ Siegel und die lange Zeit, die sie unter dem Bann gestanden hatten, viel an Stärke eingebüßt haben. Um sie zu regenerieren, benötigt sie ein wichtiges Artefakt.“

„Und da kommen wir ins Spiel“, setze Will fort. Sie hatte verstanden. „Sie braucht das Herz von Kandrakar, um ihre Macht wieder aufzuladen. Doch das Herz haben wir und wir haben es versteckt, nachdem es nicht mehr gebraucht wurde. Aber wie wollte sie es finden?“

Dafür hatte Caleb wieder eine Erklärung: „Phoebe hat die Fähigkeit, Portale zu kreieren. Sie sandte die wenigen Diener, die sie hat, in eure Welt und setzte sie darauf an, das Herz von Kandrakar zu finden.“

„Armand!“, schrie Irma plötzlich und fuhr auf. „Darum hat er diese Show mit dem Amulett abgezogen.“

„Oder“, wandte Cornelia ein, „er hatte tatsächlich einfach nur eine ausgeprägte Affinität für diese Sachen, Phoebe – oder wie auch immer – ist tatsächlich nur ein Gerücht und wir interpretieren alle tatsächlich einfach nur so viel in die ganze Sache hinein, dass das Amulett glaubt, es würde wirklich gebraucht werden.“

„So einfach ist das nicht.“ Mrs. Lin lächelte verzeihend. „Das Herz von Kandrakar ist nicht so leicht zu täuschen.“

„Außerdem habe ich Beweise.“ Caleb ging ein paar Schritte auf den Tisch zu, entschied sich aber dann doch, sicherheitshalber etwas weiter weg stehen zu bleiben. „Jemand, egal ob es Phoebe ist oder nicht, möchte das Herz von Kandrakar und deshalb beobachtet dieser jemand euch.“ Er zeigte auf Will, Cornelia und Hay Lin.

„Das ist doch Schwachsinn“, wandte Irma ein. „Totaler Stuss, wenn ihr mich fragt. Gib es zu, du wolltest Cornelia einfach nachstellen, weil du weißt, dass du einen Fehler gemacht hast!“

„Irma!“, schalten Will und Cornelia sie gleichzeitig aus verschiedenen Gründen – Will, weil sie glaubte, Irma hätte Cornelias Gefühle verletzt, und Cornelia, weil sie nicht wollte, dass diese Geschichte aufgewärmt wurde.

„Fakt ist“, setzte Caleb fort, den es nicht berührt zu haben schien, „dass wieder Portale geöffnet sind, sonst wäre ich nicht hier. Diejenigen, die das Herz wollten, mussten unweigerlich auf euren Fersen bleiben, also blieb ich soweit als möglich in eurer Nähe, was sich allerdings als ziemlich unmöglich herausstellte. Ihr geht echt viel rum und drei auf einmal konnte ich nicht im Auge behalten.“

„Das heißt, du hast uns nachspioniert?“, fragte Will entrüstet. „Du hättest zumindest etwas sagen können! Das ist eine Sache, die uns alle betrifft!“

„Solange ihr eure Kräfte nicht hattet, hättet ihr mir sowieso nicht geglaubt und ich war mir nicht einmal sicher, ob ihr überhaupt noch Wächterinnen werden konntet, oder ob diese Aufgabe bereits einer anderen Generation übertragen wurde. Solange ihr keine Wächterinnen wart, hat euch die Sache eben nicht betroffen. Aber, um nun auf den Punkt zu kommen, beim Feuerwerk hat euch jemand aus dem Dickicht beobachtet.“

„Also warst das nicht du?“ Cornelia schien enttäuscht zu sein. Sie hätte dafür die Hand ins Feuer gelegt. Auch für die Sache am Balkon zu Weihnachten.

„Nein und ja“, korrigierte er. „Ich war dort, aber ich habe nicht euch beobachtet, sondern auf den gewartet, der euch beobachten wollte. Ich wusste, er würde an diesem Tag wieder da sein. Mein Ziel war es, seine Identität herauszubekommen und ihn unschädlich zu machen, bevor ihr aktiv in die Sache involviert werdet. Als die erste Rakete explodiert ist, hab ich ihn dann gesehen. Aber noch bevor ich mich anschleichen konnte, hat Cornelia mich entdeckt und ist in meine Richtung gestürmt, sodass ich keine Wahl hatte, als zu flüchten. Natürlich war ich schneller, also brauchte ich keine Angst zu haben, gefasst zu werden, doch ich hatte die Rechnung ohne den Feind gemacht, der viel gerissener ist, als ich dachte. Er wusste, dass ich seine Spur aufgenommen hatte –“

„Wie ein Hund“, warf Irma böswillig ein.

„– und stellte mir eine Falle. Es war klar, dass ich Cornelia und Will nicht aus den Augen lassen würde, daher passte er den perfekten Zeitpunkt ab, ließ mich ihn entdecken und lockte mich an eine von ihm präparierte Stelle.“

Will verstand als erste: „Dahin, wo das Feuer ausbrach?“

„Korrekt. So wie ich das sehe, hatte er es genau geplant. Ein Helfer sollte um eine ausgemachte Uhrzeit einen Feuerpfeil genau zu der Stelle schießen, die mit Brandbeschleuniger versehen war. Aber es lief schief, denn ich bemerkte ihn ein paar Minuten zu früh und als nicht nur ich zu früh die Verfolgung aufnahm, sondern auch Cornelia mich verfolgte, war der Plan hinüber.“

Irma hatte Zweifel: „Aber es ist doch schon ziemlich seltsam, dass sich Will und Cornelia genau an dem Ort befinden, wo genau zu der Zeit ein völlig anderer umgebracht werden soll. Das scheinen mir recht viele Zufälle zu sein. Logischer wäre es, wenn die zwei das Ziel gewesen wären. Findest du nicht?“ Caleb ignorierte den gehässigen Unterton in ihrem offenen Angriff gegen ihn und wollte eben seine Theorie zum Besten geben, als ihm Cornelia zuvor kam.

„Der einzige Zufall war, dass ich Caleb gehört habe“, erklärte sie. „Und das war kein wirklicher Zufall, sondern eher ein vorhersehbares Ereignis – bei der Lautstärke, die er an den Tag gelegt hat.“

„Aber wieso seid ihr gerade an dem Ort gewesen, an dem das Feuer war?“, wollte Irma immer noch skeptisch wissen.

„Weil jeder geschehene Schritt seine Ursache in dem eigentlichen Plan hatte“, fuhr Cornelia fort. „Will lief mir hinterher, ich lief Caleb hinterher und Caleb lief dorthin, wohin ihn dieser ominöse neue Feind lockte, also zu den benzingetränkten Bäumen. Folglich kam auch ich zu dieser Stelle, allerdings um ein paar Minuten zu früh als geplant, da Caleb ja auch früher losgelaufen war.“

„Und warum seid ihr dort geblieben?“ Irma war immer noch nicht überzeugt.

„Hast du es schon vergessen? Ich bin gegen den Baum gelaufen.“

„Und gegen den zweiten“, ergänzte Will.

„Hat übrigens ziemlich heftig ausgesehen“, kommentierte Caleb.

„Danke für deine Fürsorge“, gab Cornelia bissig zurück. „Ich bin also gegen den Baum gelaufen, weil ich zu schnell und die Umgebung zu dunkel war. Als ich an der Stelle vorbeigekommen bin, habe ich einen Geruch wahrgenommen und war ganz kurz abgelenkt. Durch diese Ablenkung konnte ich den dicht zusammenstehenden Bäumen nicht ausweichen und bin logischerweise dort liegen geblieben. Als Will kam, haben wir noch geredet und ich musste mich erst erholen, weil mir alles wehtat. Das waren etwa fünf Minuten, bis das Feuer ausbrach.“

„Um das ganze abzukürzen“ – Irma hob einen Zeigefinder – „Phoebe will wissen, wo das Herz von Kandrakar ist, schickte Spione, die es finden sollten, und unser Mister Superheld hat uns beobachtet, damit er die Helfer finden konnte, um zu verhindern, dass sie das Herz stehlen. Soweit korrekt?“ Einverstandenes Nicken. „Dann bleibt immer noch die Frage, was wir jetzt tun, wie wir es tun und inwiefern wir überhaupt etwas tun können.“

„Dort anfangen, wo wir den neuesten Hinweis entdeckt hatten?“, schlug Cornelia vor. „Armand wäre eine Möglichkeit.“

„Willst du etwa nach Frankreich fliegen?“

„Wieso nicht? Es wäre ein Anfang und ich war noch nie auf der Rue du Faubourg Saint-Honoré!“, schwärmte sie.

„Was ist das? Ein monumentales Gebäude aus dem ersten Weltkrieg?“, fragte Hay Lin.

„Eine Einkaufsstraße.“ Cornelia erntete böse Blicke. „Schon gut, war doch nur Spaß! Aber was sollen wir eurer Meinung nach sonst tun?“

„Auf Taranee warten und bis dahin schlafen“, beschloss Will. „Ich bin hundemüde, durchgefroren und dreckig. Ihr Flug kommt heute Mittag an, bis dahin sollten wir uns ausruhen und vor allem etwas essen!“ Der Vorschlag fand allgemeinen Anklang und sie standen mit schweren Gliedern auf, nun, da die Müdigkeit die Aufregung übertrumpfte.

„Wo wollt ihr hin?“ Caleb schien verwirrt. Er sah den jungen Frauen fragend nach.

„Nach Hause?“, ätzte Cornelia. Mit einer lässigen Handbewegung warf sie ihr Haar zurück und ließ ihren Mantel um die Schulter gleiten. „Wir haben nämlich eigene Wohnungen mit gemütlichen Betten, in die wir uns nun legen werden. Ich habe ja keine Ahnung, wo du schlafen wirst, aber –“

„Bei uns“, unterbrach Will sie. Ihre Miene gefror im Sprechen.

Was? Kommt nicht in Frage!“

Will setzte ein entschuldigendes Lächeln auf, zog Cornelia grob zur Seite und senkte die Stimme zu einem bedrohlichen Zischen. „Jetzt hör mal zu, ich habe keine Ahnung, was dein Problem ist, aber ehrlich gesagt haben wir gerade größere Sorgen als dein Verhalten, das ich zugegebenermaßen überhaupt nicht nachvollziehen kann. Aber es ist mir auch egal. Sieh zu, dass du das in den Griff bekommst!“ Sie ließ sie wieder los. Sanfter fügte Will hinzu: „Sobald wir zuhause sind, reden wir darüber, ja?“

„Aber wieso ausgerechnet bei uns? Er kann doch auch bei Hay Lin übernachten oder hier“, flüsterte Cornelia beinahe flehend.

Will senkte die Stimme erneut: „Es hat Eric schon nicht gefallen, dass seine Freundin mitten in der Nacht von drei hysterischen Frauen geweckt wird und beim Niesen die Wohnung demoliert und ich bin mir sicher, dass er auch nicht darüber erfreut sein wird, wenn besagte Freundin einen Meridianer mit nach Hause nimmt, also reiß dich zusammen – du bist keine vierzehn mehr! Und ehrlich mal, willst du es riskieren, dass er etwas anstellt, wenn er alleine hier ist?“

Cornelia erwiderte nichts, sondern verzog nur den Mund und stolzierte aus dem Restaurant.
 

Die Fahrt mit dem Taxi von der Main Street in Pivally bis zur Laverelley Lane am East End war eine ausgesprochen schweigsame, angespannte und unbequeme. Irma hatte sich dazu breitschlagen lassen, vorübergehend bei Hay Lin zu nächtigen, um Caleb den Platz auf der Schlafcouch zu überlassen und während dieser abwesend mit verschränkten Armen auf die Rückenlehne des Beifahrersitzes starrte, über die Teile von Wills flammend rotem Haar ragten, saß Cornelia wie auf Nadeln so weit an die Türe hinter dem Fahrersitz gepresst, dass es beinahe weh tat. Die einzige, der die Situation nach außen hin herzlich egal war, war Will, doch auch sie machte sich still Gedanken darüber, was das alles zu bedeuten hatte.

„Laverelley Lane achtzehn, bitte sehr die Damen und der Herr.“ Die schwere, dunkle Stimme des Taxifahrers war das einzige, das außer dem Radio Geräusche gemacht hatte. Umso erleichterter waren alle Insassen, als drei von vieren ausstiegen.

„Laverelley Lane am East End!“, flötete sie gezwungen fröhlich. „Ich liebe diese Alliterationen! Wir haben die Wohnung nur genommen, weil der Straßenname so schön ist.“ Doch niemand reagierte angemessen auf ihre Bemerkung.

Als sie die dunkle Wohnung betraten, wurde es auch nicht besser. Die schwere Stille lastete wie tausend Kilo Wasser auf der gedrückten Atmosphäre und ließ die Minuten, die sie aufgrund der Sparlampe im Halbdunkeln verbringen mussten, unendlich lange erscheinen.

„Caleb, du kannst in einem Shirt von mir schlafen, ich müsste noch ein paar Männersachen haben – schau mich nicht so an, ich schlafe gerne in weiten Sachen! Ich hole sie schnell, Cornelia wird dir in der Zwischenzeit etwas zu Trinken anbieten. Nicht wahr?“ Der letzte Teil war eine unterschwellige Warnung, welche die Gewarnte nur mäßig befriedigend zur Kenntnis nahm. Sie lehnte lässig mir verschränkten Armen am Türstock zwischen Küche und Wohnzimmer und machte erst keinerlei Anstalten, irgendetwas zu tun, doch dann gab sie ihren inneren Kampf zwischen Sturheit und Heulkrampf auf.

„Möchtest du etwas trinken, essen, rauchen, schnupfen? Wir haben Wasser, Kaffee, Tee, wobei ich glaube, dass der über die Jahre lebendig geworden isz, also eher nicht zu empfehlen. Dann haben wir noch Cola, Fruchtlimonaden, Apfelsaft, Blutorangensaft, Milch, Medikamente jeder Art, Tabak –“

„Ich denke, ich habe verstanden, auf was du hinaus willst“, unterbrach Caleb sie. „Ich wäre mit einem Wasser glücklich.“ Und als er diesen Satz ausgesprochen hatte, war er froh, nicht Irma gegenüber zu stehen.

„Kommt sofort.“ Der harte Unterton war nicht zu überhören, die Abfälligkeit übertünchte jede gespielte Höflichkeit. „Hier.“ Sie drückte ihm das Glas in die Hand und dann schwiegen sie wieder. Es dauerte unnachvollziehbar lang, bis Will mit einem passenden Schlafgewand wiederkam, doch als sie es endlich tat, fand sie ein etwas verstörendes Bild vor: Caleb, nach den vielen Jahren nur mehr knapp einen halben Kopf größer als Cornelia, stand einen Meter von dieser entfernt, die Finger um das unschuldige Glas geklammert, während sie immer noch mit verschränkten Armen am Türrahmen lehnte und zu ihm sah. Die Art, wie sie sich ansahen, und das war das Verstörende, war eine Mischung aus verachtender Abneigung auf der einen und ratlosem Missmut auf der anderen Seite.

„Ähm, hier.“ Will wedelte vor Calebs Augen mit dem Oberteil herum, um den bohrenden Blickkontakt zu unterbrechen. „Da ist eine finnische Death Metal Band drauf, darum sieht es ein wenig, ähm, wild und zerstört aus, aber lass dich von dem blutenden Totenkopf und dem Typen mit der triefenden Axt dahinter nicht irritieren, die sind alle ganz lieb. He-he.“ Das gekünstelte, verlegene Lachen ging in einem Murmeln unter und damit war die Konversation der drei Parteien erledigt. Caleb dankte für das Shirt und wurde danach von den beiden Frauen alleine zurück gelassen.
 

In dieser Nacht schlief keiner der drei gut, und das aus ziemlich ähnlichen Gründen, wenn man die Sorgen, die in ihren Köpfen herumschwirrten, auf die fundamentale Ursache zurückführte.

Caleb, besonnen und kontrolliert wie er nun einmal war, hatte seine äußerste Verwirrung über Cornelias Verhalten nicht nach außen getragen, doch gerade das machte ihm verständlicher Weise am meisten zu schaffen. Nicht, dass er gehofft hätte, eine neue Chance geboten zu bekommen, das war weder wünschenswert noch möglich, doch er hätte niemals mit einer so tiefgreifenden Bitterkeit, einer so grundlegenden Verhärtung ihrerseits gerechnet. Dass er ihr damals das Herz gebrochen hatte, wusste er. Ihre Gefühle waren offensichtlich gewesen und seine Absichten, wenn auch ehrenwert, für ein Mädchen ihres damaligen Alters untragbar. Er wusste, dass es nicht funktioniert hätte. Sie war zu jung gewesen, aus einer anderen Welt, aus einem anderen Leben. Die kurzweilige Überschneidung ihrer Wege war eine Unvermeidlichkeit gewesen, doch sie hatte etwas Besseres verdient, als eine Liebe, die auf der Basis von Unterschieden gediehen war.

Und nun musste er sehen, dass sie ihn hasste; dass gerade das, was er zu verhindern versucht hatte, eingetroffen war: Verbitterung und Schmerz. Seine einzige Intention war es gewesen, ihr das lange, tiefe Leid zu ersparen, das eine Beziehung mit den damaligen Gegebenheiten gebracht hätte. Sie hätten nicht in der Welt des anderen leben können und die Portale hatten sich mit dem Erlischen des Herzens von Kandrakar geschlossen. Es hätte nur Möglichkeiten verbaut, wenn sie damals im Geiste zusammen geblieben wären. Doch nun, so unglaublich es war, legte die Frau, die er vor langer Zeit als Mädchen geliebt hatte, eine solche Aversion gegen den an den Tag, den sie vor langer Zeit geliebt hatte, sodass er sich fragte, ob es wirklich dieselbe Person war.

Natürlich, sie war erwachsen geworden, keine Frage. Ihren veränderten Körper und Lebensstil, die wohlgeformten, perfekten Rundungen und die hart erarbeitete Eigenständigkeit hatte sie sehr effizient und deutlich gezeigt, aber nicht eine Sekunde hatte er geglaubt, dass ihr ehrlicher, aufrichtiger, liebevoller Charakter so in Mitleidenschaft gezogen werden und sich so stark verändern würde. Er hatte sie verletzt, ja, aber das war lange her und er hatte es auf eine ehrenwerte Art getan, der nichts vorzuwerfen war. So behandelt zu werden, das hatte er nicht verdient.
 

Über eben dieses Thema machte sich auch Will Gedanken. Es machte sie verrückt, sie nicht zu verstehen. All die Tränen, all die Aufregung und der Schmerz – für was? Für was war das alles gut gewesen, wenn Cornelia, nun, da der Verursacher wieder da war, so reagierte? Es ließ ihr keine Ruhe.

„Hey, wach auf!“, rief Will im Flüsterton, nachdem sie es meisterhaft geschafft hatte, den Hindernissparcour durch das Wohnzimmer zu meistern und ohne weltbewegende Laute in Cornelias Zimmer zu gelangen.

„Wasn loos?“ Sie rieb sich verschlafen die Augen. „Will? Was machstn du hier?“ Das Murmeln mündete in einem herzhaften Gähnen, dann war Cornelia endlich völlig wach. „Oh Mann, wieso weckst du mich um –“ Ihre Augen flitzten auf den LED-Wecker. „- fünf Uhr früh? Ich bin gerade erst eingeschlafen!“

„Also bist du die ganze Zeit wach gelegen? Ich konnte auch nicht schlafen.“

„Und das ist ein Grund, mir den Schlaf zu rauben?“ Cornelia hob eine Augenbraue. „Ich brauche meinen Schönheitsschlaf!“

„Schöner wär eh kitschig, also reg dich ab“, komplimentierte Will. Sie ließ sich im Schneidersitz auf Cornelias Bett nieder, nachdem diese die Füße angezogen hatte, um Platz zu schaffen. „So. Wir reden jetzt. Du hast einiges zu erklären.“

„Du spielst auf Caleb an?“

„Unter anderem. Also, was ist dein Problem?“

Cornelia seufzte und fuhr sich gedankenverloren durch die Haare. Ihre Miene wurde weicher und nachdenklicher. „Ich weiß es nicht, ganz ehrlich. Was auch immer in den letzten Stunden passiert ist, ich dachte nicht, dass ich so reagieren würde. Ich habe die ganze Zeit nachgedacht und es passt gar nichts zusammen. Jahrelang heul ich mir wegen ihm die Augen aus, wünsche mir im tiefsten Inneren, dass er zurück kommt, und nun, da ich ihn wieder sehe, fühle ich mich, als wäre ich in tausend Teile zersprungen.“

„Was meinst du denn damit?“ Will legte den Kopf schief. „Es hat nicht gerade so ausgesehen, als würde dich das sonderlich berühren – eher nerven.“

„Das ist es ja gerade.“ Sie biss sich auf die Lippen. „Als ich ihn gesehen habe, hat mein Herz einen so großen Sprung gemacht, dass ich nicht dachte, ihn auch nur ansehen zu können, ohne zusammenzubrechen, aber nichts! Nicht einmal annähernd. In der einen Sekunde verspüre ich das Bedürfnis, ihm um den Hals zu fallen und in derselben Sekunde legt sich auch schon das Bedürfnis darüber, ihm meine Faust ins Gesicht zu schlagen – verstehst du, was ich meine? Als würdest du einen Teppich über eine Pflanze legen.“

„Blight hat wirklich ganze Arbeit geleistet, aber gesund hört sich das nicht an. Und vor allem nicht normal.“

„Aber es ist genauso!“, warf Cornelia ein. „Du hast doch gesehen, wie er mich ansieht.“

Will verdrehte die Augen. „Ja, wow, er sieht dich an, als hätte er dich seit Jahren nicht gesehen und würde mit der Situation nicht umgehen können, wie kann er nur? Ich möchte nicht sagen, dass er an der Gesamtsituation unschuldig ist, aber du machst es ihm nicht gerade leichter, sich mit diesen Gegebenheiten zurechtzufinden.“

„Ich weiß, ich weiß.“ Sie ließ den Blick aus dem Fenster schweifen. „Damals alles abzubrechen war die einzig reale Lösung, die sich uns geboten hat und daran tragen wir beide keine Schuld, sondern die vielen Hindernisse, wie andere Welten und so ein Kleinkram eben. Ich liebe ihn ja nicht mehr.“

„Aber erst seit du Blight aufgesucht hast.“

Cornelia schüttelte den Kopf. „Ich habe ihn schon lange nicht mehr geliebt, aber ich konnte die Erinnerungen nicht loslassen. Dr. Blight hat mir nur dabei geholfen, die Vergangenheit hinter mir zu lassen. Aber jetzt, wo ich Caleb lebendig vor mir habe, da sollte es wehtun und das tut es auch, aber während ich eigentlich in Tränen ausbrechen sollte, wünsche ich ihm die Pest an den Hals.“

„Das wird sich legen, ich bin mir sicher.“ Aufmunternd legte Will ihre Hand auf Cornelias Knie. „Sobald die Situation nicht mehr ganz so neu ist und die natürlich Hysterie vergangen ist, die entsteht, wenn man um Mitternacht solche Dinge erlebt, wird sich alles bessern und ihr könnt als Freunde zusammenarbeiten.“ Und noch während Will das sagte, wusste sie, dass es so nicht ablaufen würde. Es würde nicht so einfach sein, vor allem, da sie ahnte, wie Cornelias wahre Gefühle aussahen. Jeder Blinde mit Krückstock sah, wie sehr es die beiden quälte, zusammen und doch getrennt zu sein. Aber das musste nun hinten anstehen, solange das Damoklesschwert über ihnen schwebte. Es würde noch früh genug zu dem Punkt kommen, an dem die beiden den Bogen überspannten – egal in welche Richtung.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2011-01-26T19:27:42+00:00 26.01.2011 20:27
Heyhey, wie versprochen ist das Kapitel ja schon da :D
Das sieht mein Kommentatorenauge wirklich gerne!

Das erste, was ich mich gedacht habe, ist: Wow, der Kerl spricht ja geschwollen.
Als ich dann aber meinen ersten Anfall von Amüsement bezwingen konnte, hab’ ich aber festgestellt, dass das ziemlich gut zu Caleb passt; immerhin lebt er ja in einer Welt, die ans Mittelalter angelehnt ist.

Wie toll, Sinistra :D
Ich kenne dieses Wort zwar aus dem Italienisch- und Lateinunterricht („links“ und „finster“, wie das erste wohl aus dem zweiten entstanden ist?), und als Frauenname, aber noch nicht als Stadtname. Wirklich schön!
Dass Phoebe schön wie eine Göttin sein soll... Ich hatte immer schon meine Probleme, „göttliche Schönheit“ als schön zu interpretieren. Ich stelle sie mir mal als meine Definition von „schönem Äußeren“ vor.

Super, dass du Caleb endlich mal ausreden lässt. Ich habe schon befürchtet, dass wir wieder nicht ganz erfahren, was er denn zu sagen hat.
Cornelia und der Baum. Pardon, die Bäume. Ich hab’ wirklich gedacht, ich hau’ mich weg, als ich das gelesen habe. »Hat übrigens ziemlich heftig ausgesehen«? Nein, wie mitfühlend! xD

Will scheint mir auch mit jedem Kapitel emotionsreicher zu werden. Wenn auch logisch denkender. Ich mag es, wie sie Cornelia im Bezug auf Caleb auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Allerdings verstehe ich nicht ganz, wie sie mit Cornelia »darüber reden« möchte, wenn sie zuhause sind – ich könnte mir vorstellen, dass Cornelia diese Dinge ganz gerne (wenn überhaupt) in trauter Zweisamkeit besprechen wollte, und nicht mit Caleb direkt vor der Nase.
Der Caleb-nehmen-wir-mit-Part ist übrigens eine nette Überraschung! Wieder einmal so ein ich-hätte-es-mir-eigentlich-denken-können, hab’s-aber-trotzdem-nicht-kommen-sehen. Daumen hoch :)
»Trinken, essen, rauchen, schnupfen«? Braucht keine weitere Ausführung, denke ich xD
Will ist also ein Metal-Fan? Wie toll! Da wird sie mir gleich noch sympathischer! Wobei ich ja eher weniger mit Death-Metal zu tun habe...
Aber ehrlich mal: Was hat Will erwartet? Dass Cornelia Caleb um den Hals fallen würde? Vielleicht auch noch „ich hab’ immer gewusst, dass du zurückkommen würdest“ schluchzend?

Ich finde es verständlich, dass du Calebs Seite erzählen und erklären möchtest, allerdings finde ich es nicht allzu richtig, es auf diese Weise zu tun. Er hört sich an, als wäre er irgendein kleiner Junge, der keine Verantwortung für sein Handeln übernehmen möchte, und das passt nicht zu dem Caleb, den du uns in deiner fanfiction vorstellst.

Der Abschusssatz ist wieder einmal perfekt gewählt. So schön zweideutig, und man hat nicht mehr das Gefühl, in Wills Gedanken zu sehen. Eine kleine Voraussage zwischendurch macht das ganze noch spannender.

Meine kleinen Meckereien:

»Ich bat Elyon, mich freizustellen, und mich meine Wege gehen zu lassen.«
Jemand geht „seiner Wege“, wenn du hier eine Redewendung verwenden wolltest. Wenn du allerdings meintest, dass Caleb einfach nur wieder durch die Gegend streunen wollte, ist an diesem Satz nichts auszusetzen :)

»[...] dass es neue Wächterinnen gäbe, dass es Männer sein sollten, [...]«
Erstens: Die armen Kerle, die diese Kostüme tragen dürfen. Zweitens: Solltest du dann nicht gleich im ersten Teil „Wächter“ schreiben anstatt die weibliche Form?

»Einverstandenes Nicken.«
Wirklich „einverstandenes“? Ich hätte eher „einstimmiges“ gewählt.

»Wir haben Wasser, Kaffee, Tee, wobei ich glaube, dass der über die Jahre lebendig geworden isz, also eher nicht zu empfehlen.«
Hier geht’s nur um das „isz“.

»[...] die Portale hatten sich mit dem Erlischen des Herzens von Kandrakar geschlossen.«
„mit dem Erlöschen“?

»Ihre Augen flitzten auf den LED-Wecker.«
Ich hätte eher geschrieben, dass sie „zum“ Wecker huschten. Besser noch, „zum Display des LED-Weckers“.

Mehr als weniger im Großen und Ganzen war das wieder ein gelungenes Kapitel. Allerdings kommt es mir eher als ein kleiner Filler vor, den du für die Leser eingefügt hast, um sie nicht komplett außen vor zu lassen. Du erklärst sehr viel, gibst neue Denkanstöße, aber es passiert eigentlich nichts in diesen rund viertausend Wörtern.
Zuletzt noch; ja, Meisterleistung xD
Du könntest solche Kommentare öfter machen – schließlich schreibst du kein Buch, sondern eine fanfiction, und da ist es zumindest mir als Leser ganz recht, den schreibenden Fan ein wenig kennenzulernen ;)

Liebe Grüße


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