Let's play "Famiglia"!
Irgendwas ist komisch…
Das liegt aber nicht daran, dass du gerade mit Yamamoto Takeshi auf dem Weg zu dir nach Hause bist. Gut, komisch kann man diese Situation sowieso nicht nennen.
Die Hintergründe sind eigentlich recht simpel:
Ihr hattet einen Mathetest zurückbekommen, den er wie üblich versemmelt hat. Da du schon länger leichte Gefühle für ihn hegtest, hast du die Chance genutzt und ihn gefragt, ob er nicht Lust hätte, dass du ihm etwas Nachhilfe gibst. (dass deine Mathematikkenntnisse gerademal durchschnittlich sind ließt du außer Acht) An diesem Tag hatte das Glück dich anscheinend geküsst, denn deine Eltern waren auch nicht zu Hause, was dir die Möglichkeit Yamamoto näherzukommen vergrößerte.
Trotzdem lässt dich das Gefühl nicht los, dass du irgendetwas vergessen hast.
„Find ich echt nett von dir, dass du mir helfen willst“, unterbricht Yamamoto deine Gedankengänge.
„Ach was, mach ich doch gern“, gibst du mit einem fröhlichen Lächeln zurück.
Plötzlich wird eure „Unterhaltung“ unterbrochen:
„______ -nee-chan!!!“
Du drehst dich in die Richtung aus der der Schrei kam. Ein kleiner Junge mit schwarzen Haaren, den du nur zu gut kennst, kommt auf dich zugelaufen und wirft sich schließlich in deine Arme.
„Hallo, Taro-chan“, erwiderst du auf diese liebliche Begrüßung und tätschelst seinen Kopf. Yamamoto blickt währenddessen verwundert drein.
„Wir waren gerade auf dem Weg zu dir“, berichtet dir der Kleine fröhlich. Dir fällt jetzt erst auf, dass wenige Meter entfernt seine Mutter geht. Moment. Auf dem Weg zu dir?
„Da musst du dich irren, Taro-chan. Du kommst doch erst morgen zu mir“, willst du ihn aufklären.
„Nein. Heute ist Mittwoch. Am Mittwoch bin ich doch immer bei dir.“
Jetzt fällt es dir wie Schuppen vor den Augen. „Verdammt“, fluchst du und klatschst dir mit flacher Hand auf die Stirn.
„Das hatte ich total vergessen.“
„Tut mir Leid, _______-chan. Wenn es nicht geht, muss ich mir eben kurzerhand jemand anderes suchen“, kommt es entschuldigend von der Mutter.
„Nein, nein, das ist kein Problem. Oder?“ Fragend blickst du in Yamamotos Richtung. Du hoffst, dass er es nicht so versteht, dass ihr den Nachhilfetermin verschiebt. Schließlich kommt so eine Gelegenheit nur alle drei heiligen Zeiten. Es dauert einige Zeit bis er versteht, warum du ihn ansiehst.
„Klar, geht schon in Ordnung“, sagt er schließlich lachend.
Es sieht nicht so aus, als will er sich verabschieden. Wahrscheinlich brauchte er dringend Nachhilfe.
Schließlich zieht ihr drei, du mit Taro an der Hand und Yamamoto, ab.
„Woher kennst du _____-nee-chan, Onkel?“, ergreift Taro das Wort, ohne auf Yamamotos Privatsphäre zu achten.
„Wir gehen in dieselbe Klasse, Kleiner. Und ich heiße nicht Onkel, sondern Yamamoto Takeshi“, gibt er lachend zurück.
„Ich bin kein Kleiner, ich heiße Taro.“, erwidert Taro beleidigt. Taro starrt den Schwarzhaarigen länger an. Er kommt vielleicht, wie du, auf den Gedanken, dass die beiden sich verdammt ähnlich sehen.
„Gut, dann wird ich dich ab jetzt Yamamoto-nii-chan nennen“, gibt er lächelnd bekannt und nimmt auch Yamamotos Hand.
Yamamoto schaut anfangs erstaunt drein, scheint sich aber dann über diese Bezeichnung zu freuen.
Bei dir zu Hause angekommen bittest du Yamamoto sich eine Weile mit Taro zu beschäftigen während du Mittagessen machst.
Als ihr am Essen seid kommt die entscheidende Frage von Taro: „Seid ihr eigentlich zusammen?“
Die Direktheit und Unschuld kleiner Kinder ist unschlagbar. Während du damit ringen musst das Essen vor Schock nicht wieder auszuspucken versucht Yamamoto nicht daran zu ersticken.
„Nein sind wir nicht. Und so etwas fragt man nicht, das ist unhöflich“, antwortest du ihm auf seine Frage, nachdem du mit Müh und Not geschluckt hast.
„Ach so…“ erwidert er enttäuscht.
„Lasst uns ‚Familie‘ spielen! Du bist die Mama, du der Papa und ich euer Kind!“
Jetzt bist du dir sicher: irgendjemand muss dich gerade hassen und dem kleinen Bengel dumme Ideen ins Ohr flüstern. Oder er will euch allen Ernstes verkuppeln, was du aber für einen Jungen seines Alters unwahrscheinlich findest.
Jedenfalls schießt dir die Röte ins Gesicht und du starrst Yamamoto an. Dir fällt auf, dass auch auf seinen Wangen ein leichter Hauch von Rot liegt. Du willst dem Kleinen die Idee irgendwie ausreden, allerdings kommt aus deinem Mund nichts heraus. Taro beginnt schon eifrig eine Art Spielregeln aufzustellen. Für dich ein Zeichen, dass es heißt aufzugeben.
Der Kleine winkt Yamamoto zu sich herunter und flüstert ihm etwas ins Ohr. Der Rotschimmer verstärkt sich etwas. Yamamotos Blick wird zuerst überrascht, dann ernst. Er nickt Taro zustimmend zu. Du selbst fragst dich nur, was dieser kleine Teufel jetzt wieder ausgeheckt hat. Yamamoto zieht dich vom Stuhl und sagt dir, dass du einfach nur mitspielen sollst. Er zieht dich zu der Haustür. Taro beobachtet nur vom Türrahmen des Esszimmers aus.
„Also, ich gehe dann mal zur Arbeit“, sagt der Schwarzhaarige mit einem breiten Grinsen.
„Äh, ja. Hab…viel Spaß“, bringst du nur stammelnd hervor.
Plötzlich spürst du seine Lippen auf deinen, wenn auch nur kurz. Wahrscheinlich kann man deinen rasenden Herzschlag deutlich hören. Eure Gesichter sind nah beieinander. Einmal hebt er noch lächelnd die Hand bevor er aus dem Haus geht.
Du blickst nur entgeistert auf die geschlossene Tür und fasst dir an die kürzlich berührten Lippen. Soll das jetzt heißen, dass er dich auch mag? Oder macht er einfach nur bei den Spielchen von Taro mit?
Du kommst auf keinen grünen Zweig, also gehst du wieder ins Esszimmer und setzt dich an den Tisch. Taro gesellt sich zu dir, spricht aber seltsamerweise kein Wort. Er sieht dich einfach nur lächelnd an.
Nach kurzer Zeit hörst du wie die Tür wieder aufgeht.
„Ich bin wieder zu Hause!“
„Hurra! Papa ist wieder da!“, ruft Taro erfreut und läuft zur Tür. Dass er Yamamoto kurzerhand Papa nennt, gibt dir zu bedenken. Auch du erhebst dich wieder und gehst in den Flur. Die beiden gehen miteinander um, als ob sie wirklich Vater und Sohn wären. Die Ähnlichkeit der beiden trägt noch dazu bei.
„Jetzt musst du sagen ‚Willkommen daheim, Schatz‘!“, befahl Taro. Du wirst wieder rot. Auf was für Ideen kommt dieser kleine Balg, bitteschön?! Allerdings willst du ihn nicht enttäuschen und versuchst diesen Satz auszusprechen. Aber deine kehle scheint wie verschnürt. Kein einziges Wort will rauskommen.
„Also, wenn du das nicht schaffst, ____-nee-chan, müssen wir was anderes spielen“, beschwert sich Taro aufgebracht. Gott sei für diesen Satz gedankt. „Was hältst du davon, wenn du ein bisschen malst? Wir müssen noch was für die Schule machen“, schlägst du ihm lächelnd vor. Ein Glück, dass er sofort einverstanden ist. Das erspart dir weitere peinliche Momente.
Ihr sitzt wieder am Esstisch und du versuchst, so gut es deine Kenntnisse erlauben, Yamamoto eine der Aufgaben zu erklären. Währenddessen zeichnet Taro eifrig an einem Bild herum. Als Taro kurz auf die Toilette verschwindet fragt dich Yamamoto: „Gibt’s einen Grund, dass du auf den Kleinen aufpasst?“
Erstaunt darüber, dass ihn das interessiert, siehst du ihn kurz an, beginnst aber dann zu erzählen: „Seine und meine Eltern kennen sich schon sehr lange und sein Vater ist vor mehreren Jahren bei einem Autounfall gestorben. Seitdem muss seine Mutter eben hart für sein und ihr Leben arbeiten. Deswegen hab ich mich bereiterklärt, jede Woche zwei Nachmittage lang auf ihn aufzupassen.“ Yamamoto scheint klarzuwerden, warum der kleine Junge so versessen auf dieses Spiel war. Ebenso wie dir.
Nach einer halben Stunde sitzt ihr immer noch vor den Matheaufgaben, als ihr plötzlich von einem leisen Schnarchen unterbrochen werdet. Taro ist auf einer seiner Zeichnungen eingeschlafen. Du seufzt leise und nimmst Taro auf den Arm. Selbst im Schlaf klammert er sich an dich. Du musst lächeln. „Bald kann ich dich nicht mehr tragen, du wirst zu schwer.“
Du gehst in dein Zimmer, legst ihn in dein Bett und deckst ihn zu. Noch kurz bleibst du vor deinem Bett hocken und siehst dem kleinen, schwarzhaarigen Jungen beim Schlafen zu.
Plötzlich hörst du wie sich leise die Zimmertür öffnet. Yamamoto kommt rein und gesellt sich zu dir. Eine Weile sieht auch er Taro beim Schlafen zu, ergreift aber dann doch das Wort (flüsternd versteht sich): „Schau, das hat er die ganze Zeit gezeichnet.“
Er hält dir ein Blatt Papier entgegen.
Die Zeichnung zeigt dich, Yamamoto und Taro. Er muss seinen Vater schrecklich vermissen. Yamamoto weist wahrscheinlich auch eine gewisse Ähnlichkeit auf. Aber warum warst du auf dem Bild?
„Er scheint dich als seine zweite Mutter zu sehen.“
Kann er etwa Gedanken lesen? Überrascht siehst du ihm in sein sanft lächelndes Gesicht. Er hebt eine Hand und streicht dir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Was hältst du davon, wenn wir noch ein bisschen weiter ‚Familie‘ spielen?“, fragt Yamamoto, lässt dich aber nicht zur Antwort kommen, sondern zieht dich zu sich und gibt dir einen längeren Kuss.
Ob Taros Pläne aufgegangen waren hat er nie erfahren. Allerdings fragt er sich, warum Yamamoto immer öfter bei dir ist, wenn du auf ihn aufpassen sollst und ihn immer fragt, ob er wieder ‚Familie‘ spielen will…