Die Regeln befolgen
In unserer Welt gilt es, bestimmte Regeln einzuhalten.
Ohne Regeln würde alles zusammenbrechen, was der Mensch sich in den Jahren seiner Existenz so mühsam erbaut hat.
Ohne Regeln würden Mord und Totschlag, Korruption und Hass die Welt regieren.
Um das Gleichgewicht zu wahren, um Gerechtigkeit statt Katastrophe herrschen zu lassen, wurden Regeln aufgestellt, die es einzuhalten gilt.
Wer genau sie aufgestellt hat, ist nicht weiter von Bedeutung. Der Mensch sehnt sich einzig und allein danach, sich nach etwas richten zu können, um nicht im heillosen, ungerechten Chaos der Anarchie zu versinken, in der nur die Starken überleben können.
Doch nicht immer stimmen dabei Regeln und Moralvorstellungen überein.
Die Tür öffnete und schloss sich so leise, dass Hayato anfangs dachte, er hätte sich verhört. Doch er konnte die Anspannung spüren, die von dem ungebetenen Gast ausging; ein Seufzen unterdrückend hielt er in seiner Schreibarbeit inne. Hayato musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer hinter ihm stand.
Er musste nicht fragen, was derjenige wollte, denn der Grund war nicht von Bedeutung.
Er musste nicht auf die leisen Atemzüge und den dumpfen Klang seines auf einmal schneller schlagenden Herzens hören. Dass er es dennoch tat, ließ ihn verärgert die Augen schließen.
Er musste auch nicht über seine Antwort nachdenken; das hatte er schon den ganzen Nachmittag lang getan. »Nein«, sagte er bestimmt, die Augen immer noch geschlossen. Von seinen Worten hing es ab, wie lange sie noch lebten. Fehler durften, konnten nicht passieren.
Ein Lächeln huschte über Takeshis Gesicht, als er einen unsicheren Schritt auf seinen Partner zuging. »Ich habe dir noch keine Frage gestellt, Hayato.«
»Das brauchst du auch nicht, Yamamoto. Meine Antwort wird sich nicht ändern.« Mit gespielter Geschäftigkeit fuhren seine Hände über den dunklen Schreibtisch, ordneten Dokumente, sortierten den Haufen Büroartikel, der verstreut auf der Tischfläche lag, taten alles Mögliche, um ihm einen Grund zu geben, sich nicht umzudrehen und Takeshi in die Augen zu blicken.
Das Schaben eines Stuhls, der zögernd über den hölzernen Boden gezogen wurde, ließ ihn innehalten. Dass dieser Vollidiot länger bleiben würde, hatte er bereits befürchtet, aber dass er ihm offenbar noch ein Kapitel aus seiner Lebensgeschichte erzählte, war definitiv nicht eingeplant gewesen. Als er Yamamoto hinter sich nervös auflachen hörte, musste er gegen den Drang ankämpfen, seinen Kopf gegen das nächste Regal zu rammen.
So unklar konnte Hayato sich ihm gegenüber nicht ausgedrückt haben. Erst an diesem Morgen hatte er ihm unmissverständlich klargemacht, dass er einmal mehr die gleiche Entscheidung getroffen hatte und sich nicht davon abbringen lassen würde.
Er war – so sehr das nun auch nach einem Klischee klingen mochte – wie ein Fels in der Brandung – stur, tapfer, unwillig, sich anderen zu beugen. Für ihn zählte nur, was er für richtig hielt, und eventuell noch das, was seiner Familie zugute kam.
Und wenn er der standhafte Felsen war, dann war Takeshi die ungestüme, stetige Welle, die an ihm zerschellte. Immer und immer wieder, und jedes Mal aufs Neue trug sie ein winziges Stück des Gesteins ab, bis nichts mehr davon übrig war. Doch soweit war es noch lange nicht gekommen.
Hayato ignorierte den Störenfried so gut es ihm möglich war. Angesichts des unmelodischen Pfeifens, des ungeschickten Trommelns zweier Füße und des andauernden Raschelns eines Anzuges fiel es ihm allerdings immer schwerer, sich auf seinen penibel geordneten Schreibtisch zu konzentrieren.
Keiner der beiden sagte etwas. Takeshi nicht, weil er darauf wartete, dass der Jüngere ein Gespräch anfing. Und Hayato nicht, weil ... warum eigentlich nicht? Weil er es leid war, ständig über die gleiche Frage zu diskutieren? Weil er wusste, dass es ohnehin zu nichts führen würde? Oder weil er fürchtete, Takeshi würde noch länger bleiben?
»Was denn noch?«, fragte er ruhig und darauf bedacht, seine wahren Gefühle nicht preis zu geben. Innerlich jedoch verpasste er sich selbst eine Ohrfeige, weil er einmal mehr nachgegeben hatte und ihr Schweigen als Erster gebrochen hatte.
»Nur ein Mal, Hayato. Nur ein einziges Mal.«
Gokudera konnte sich bildlich vorstellen, wie Takeshi sich auf dem Stuhl leicht vorgebeugt und die Ellbogen auf die Schenkel gestützt hatte, wie er den Kopf auf seine gefalteten Hände bettete und die Augenbrauen leicht zusammenzog. Ihn mit flehendem Blick ansah, obwohl er die Antwort bereits kannte.
Hayato schluckte. Seine Willenskraft wurde auf eine harte Probe gestellt. Während in seinem Inneren ein schrecklicher Orkan wütete, blieb er nach außen hin still und unbewegt, missachtete, wie die starken Böen an seinen Gliedern zerrten und seine Eingeweide in der Luft zerrissen. Versuchte erneut zu verdrängen, wie sehr ihn diese ständigen Lügen aufwühlten. »Nein.« Es war besser so, für sie beide.
»Und warum nicht?« Yamamoto war aufgestanden, hatte sich aber nicht die Mühe gemacht, den Stuhl an seinen üblichen Platz zurückzustellen. Langsam ging er auf die Tür zu, so wie all die anderen Male zuvor. Beinahe jeden Tag wiederholte sich dieses Szenario, sodass er keinen Zweifel an Hayatos Antwort auf seine Frage hatte, die die gleiche sein würde, die er ihm immer gab. »Weil ich dich nicht liebe.«
Takeshi seufzte, als er die schwere Tür hinter sich schloss. Jedes Mal die gleichen Antworten.
Jedes Mal die gleiche Lüge.
Seit seinem Besuch waren kaum fünf Minuten vergangen.
In dieser Zeit hatte Hayato nur an seinem Schreibtisch gesessen und stumm aus dem Fenster gestarrt. Hatte sich gefragt, warum das alles geschehen musste. Warum er und Takeshi ausgerechnet diese Art von Gefühlen füreinander hegen mussten. Warum er nicht verstand, dass ein Geständnis seinerseits oder gar eine Beziehung viel zu riskant war.
Ob sie vielleicht glücklich werden könnten, wenn sie nicht Mitglieder der Vongola wären.
Wieder fiel die Tür leise klickend ins Schloss, und schleichende Schritte verrieten seinen geschulten Ohren, dass niemand anderes als das Auge und das Ohr ihres hochgeschätzten Bosses sein Zimmer betreten hatte.
»Was war das denn eben, Hayato?« Mit einer fließenden Bewegung ließ der Italiener sich auf dem Stuhl nieder, auf dem zuvor noch Takeshi gesessen hatte. »Hatten wir schon wieder Besuch?« Einmal mehr hatte er das Gefühl, sämtliche Räume ihres Hauptquartiers wären verwanzt. Woher sonst konnte dieses Wiesel wissen, was sich beinahe täglich in seinem Zimmer abspielte?
Gokudera machte sich nicht die Mühe, auf die rhetorische Frage zu antworten. »Verschwinde, Arturo«, adressierte er den schlanken Mann, als er sich ihm widerwillig zuwandte, »ich muss noch einige Berichte fertig stellen.« Natürlich durchschaute Arturo diese halbherzige Lüge, nachdem seine schmalen Augen Hayatos Schreibtisch fixiert hatten. »Du wirkst so aufgewühlt. Hast du dein Köpfchen wieder zu sehr angestrengt?«, spöttelte sein Gegenüber weiter, doch Hayato ließ sich nicht provozieren. Nicht durch solch nichtige Seitenhiebe.
Auffordernd sah er Arturo an und hätte ihm am liebsten das hinterlistige Grinsen mit einem gezielten Schlag vom Gesicht gefegt.
»Was willst du hier?« Anstatt ihm sofort zu antworten, tippte Arturo sich nur gespielt nachdenklich ans Kinn und legte den Kopf schief. »Hmm, irgendetwas wollte ich dir sagen, Hayato. Es war sogar etwas äußerst Wichtiges, aber dummerweise will es mir gerade nicht einfallen.« Nachdem er ein wenig auf dem Stuhl hin und her gewippt war, schnellte sein zuvor gesenkter Kopf wieder hoch. Er strahlte Hayato mit einem so ätzend fröhlichen Grinsen an, dass dieser sich am liebsten übergeben hätte.
»Du weißt aber schon, dass ein Verhältnis mit Takeshi fatale Folgen haben wird?«
Für ein paar Sekunden schien es Hayato, als hätte sein Herz zu schlagen aufgehört, aber zu seinem eigenen Erstaunen fing er sich schnell. »Hätte, Arturo«, sagte er bemüht gleichgültig, »Ein Verhältnis hätte fatale Folgen. Und ja, das ist mir durchaus bewusst.« Sein Gesichtsausdruck war monoton und zeigte nicht einmal ansatzweise, wie sehr er vor Wut kochte. Als ob er all das nicht schon wüsste.
Dieses Denken war doch der Grund dafür, dass er seine Lügen Tag für Tag so beharrlich aufrechterhielt.
Mittlerweile war Arturo aufgestanden. Die linke Hand spielerisch in die Hüfte gestemmt, hatte er seine rechte erhoben und schaute sein Gegenüber mahnend an. »Das wird dem Boss aber ganz und gar nicht gefallen...« Um das Gesagte zu unterstreichen, bewegte er seinen Zeigefinger im Takt der Worte und wirkte wie ein Vater, der sein ungezogenes Kind tadelte. Oder wie ein Lehrer, der seinem Schüler beizubringen versuchte, was richtig und was falsch war.
Richtig. Falsch. Wie konnte dieses dreckige Wiesel (oder auch sein Boss; schließlich war Arturo höchstwahrscheinlich auf dessen Befehl bei ihm) es sich herausnehmen, zu bestimmen, was in dieser verrotteten Welt als angemessen galt und was nicht?
Besagtes Wiesel grinste ein wenig herausfordernder und schien darauf zu warten, dass Hayato auf seine Provokation ansprang, doch als Antwort erhielt er nur ein wütendes Zischen. »Das ist mir klar, verdammt noch mal!« Ich weiß es nur zu gut.
Dass Arturo sich nicht einmal die Mühe machte, sein amüsiertes Kichern zu verbergen, brachte ihn noch mehr in Rage. Allmählich begann seine über Jahre hinweg aufgebaute Fassade zu bröckeln.
Mit federleichten Schritten war der Italiener schneller an Gokuderas Seite, als dieser erwartet hatte; sein Gegenüber hatte seine schmalen Schultern fest im Griff, drückte ihn von hinten weiter in das weiche Leder. »Höre mir gut zu, Hayato«, säuselte Arturo ihm ins Ohr, die Stimme leise und unverhüllt schadenfroh, »das Ganze muss beendet werden, bevor es beginnt.«
Irritiert ruckte sein Kopf nach hinten, aber Arturo war bereits an der Tür; grinste so selbstzufrieden, dass Hayato ihn am liebsten auf der Stelle in tausende Fetzen gesprengt hätte. »Du weißt, was das bedeutet, nicht wahr?« Es war vielmehr eine Feststellung, eine Drohung, als eine Frage.
Für einige Zeit schwieg Gokudera, kämpfte um seine Selbstbeherrschung. Dann nickte er steif, wandte sich von dem anderen ab. »... sì.«
Die Tür schloss sich. Es war wieder still.
Zitternd erhob Hayato sich aus dem dunklen Ledersessel. Ungläubigkeit schnürte ihm die Kehle zu. Sein Herz setzte zu viele Schläge aus. Auf wackeligen Beinen stolperte er hinüber zum einzigen Fenster in seinem Zimmer. Als er vielmehr auf als durch die Scheibe sah, konnte er erkennen, wie sehr der Schock und das Entsetzen seine Gesichtszüge erobert hatten:
Die Augen geweitet, der Mund offen stehend und mit einem Mal wie ausgetrocknet. Ein Hustenanfall kam so plötzlich, dass es ihn in die Knie zwang; er fühlte sich ausgedörrt und noch schlechter, ausgelaugter als zuvor.
Es dauerte einige Minuten, bis er sich erholt hatte. Beklommenheit ergriff Besitz von ihm, als er sich wieder aufrichtete, seinen Schrank fixierte, in dem er seine einzige Schusswaffe aufbewahrte. Hayatos Körper bewegte sich wie von selbst, öffnete die Schranktür, griff nach der Waffe, lud sie, sicherte sie. Festigte den Griff um das kühle Metall, als wäre es das Einzige, das ihm in dieser Welt noch Halt gab. Während er sich zögernden Schrittes auf die Tür zu bewegte, tobte der Sturm in ihm immer stärker. Riss sein Innerstes noch wütender auseinander, warf die Fetzen seiner Seele noch spottender zwischen den Böen umher.
Toste so aufbrausend, dass es Gokudera nicht länger gelang, ihn zu verleugnen.
Mit einem verzweifelten Aufschrei schlug er seine linke Faust gegen die Wand neben der Tür, sackte zusammen und versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken. Es gelang ihm knapp.
So schnell, wie sie gekommen war, verflog die Wut schon wieder. Machte Platz für Unwissen, für Panik, für nackte Angst.
Die Lüge, die er so sorgfältig aufgebaut hatte, war in sich zusammengefallen wie ein Kartenhaus. War klirrend zersprungen und hatte nur Scherben zurückgelassen, durch die sein Todesmarsch führen würde.
Hayato wusste, dass Takeshi hier auf ihn warten würde. Er tat es jeden gottverdammten Tag, egal, wie oft er ihm bereits gesagt hatte, dass er sich niemals auf ein Treffen einlassen würde. Doch dieses Miststück von Schicksal hatte sich dazu entschieden, zwei Leben eine ganz kranke Wendung zu verpassen.
Während er durch die hohen Gänge gewankt war, hatte er das vor ihm liegende Ereignis zig Mal in seinem Kopf durchgespielt. Unzählige, abwegige Szenarien waren ihm eingefallen, wurden jedoch im selben Moment durch eine beharrliche Stimme in seinem Kopf verbannt, die gehässig und im schrecklich schönsten Arturo-Tonfall schrie: Es ist doch eh alles sinnlos, Hayato. Natürlich wird er dort auf dich warten, wie jeden Tag. Er konnte den Italiener praktisch vor sich sehen. Dennoch klammerte er sich an das letzte Bisschen Hoffnung, das ihm blieb; wenn er Takeshi nicht fand, konnte er zurück in sein Zimmer, die Waffe zurück in seinen Schrank sperren und die Einrichtung zertrümmern, um seinem Frust Luft zu machen.
Der große Aufenthaltsraum wirkte kalt und hohl. Hayato schien es sogar, als wäre die Temperatur um einige Grad gefallen, seit er ihn betreten hatte. Vielleicht war es aber auch nur Einbildung. Immer noch flehte er stumm, dass Yamamoto unauffindbar sein würde. Doch als er einen weiteren Schritt in den grauen Raum machte und den Blick geradeaus richtete, wurde seinem Hoffen ein jähes Ende bereitet.
Als er ihn dort stehen sah, einen Strauß Rosen in der Hand, fragte er sich unwillkürlich, wie viele dieser roten Blumen er schon sinnlos gekauft hatte, nur um sie wieder wegzuwerfen. Am liebsten hätte Hayato laut losgelacht. Wenn er wirklich jeden Tag hier stand, dann war es keine Kunst für Arturo und seinen Boss gewesen, die ganze Sache aufzudecken.
Yamamoto war schon immer so viel leichtsinniger und offener gewesen als er selbst.
Erschöpft seufzte er, fühlte sich auf einmal furchtbar müde. Wieder handelte sein dummer, nutzloser Körper ohne sein Zutun. Mit jedem Schritt, den er auf den Größeren zuging, wurde dessen Lächeln breiter und breiter.
Bis er die Pistole sah.
Hayato blieb stehen. Sah ihn mit matten grünen Augen an.
Wortlos hielt Takeshi ihm den Strauß Rosen entgegen. Stupide, einfallslose rote Rosen, wie sie schöner nicht hätten sein können. Auf der einen Seite bewunderte Hayato ihn für seinen Mut, die Regeln mit einem Lächeln brechen zu können. Dankte ihm dafür, dass er ihn nicht aufgab.
Hasste ihn dafür, dass er nicht locker ließ und sein Leben für ihn so achtlos wegzuwerfen drohte. Verabscheute sich selbst für seine Feigheit und Unfähigkeit, nicht zu seinen Gefühlen stehen zu können.
Zögernd hob er seine Hand, ignorierte den dumpfen Schmerz und das Blut, als er langsam nach dem Strauß griff. Kurz vorher stoppte er; senkte den Blick, um seine leicht geröteten Wangen zu verbergen. Letzten Endes jedoch akzeptierte er die Blumen.
»So kann es nicht weitergehen, Yamamoto.« Sein linker Arm hing schlaff an seiner Seite.
Hayato konnte nicht ganz verstehen, wie sein Gegenüber angesichts ihrer aussichtslosen Situation immer noch so selig lächeln konnte. »Was kann wie nicht weitergehen, Hayato?«, fragte er, den aufrichtigen Unterton so perfekt nachahmend, dass Hayato sich wieder an ihre halbwegs unbeschwerten Kindertage zurückerinnert fühlte, in denen Takeshi tatsächlich von nichts eine Ahnung hatte.
Aus heutiger Sicht gesehen hätte jedoch nicht viel gefehlt, und er hätte ihm für diese unverschämte Scheinheiligkeit sein gesamtes Magazin in den Kopf gefeuert.
»Das weißt du ganz genau, du Vollidiot«, knurrte er darum bemüht, seine Selbstbeherrschung wiederzuerlangen. Sie musste irgendwo zwischen dem Gespräch mit Arturo und seinem Weg hierhin abhanden gekommen sein. Unzuverlässiges Stück.
Er bemerkte zu spät, dass Takeshi einen Schritt auf ihn zugekommen war. Reflexartig ruckte seine Hand hoch, als er dem Größeren den kalten Stahl an den schlanken Hals presste.
Obwohl er ein wenig überrascht wirkte, lächelte Yamamoto weiter. »Du würdest mich nicht umbringen.« Karamellbraun traf auf Mintgrün, suchte in den stumpfen Tiefen nach der Wahrheit.
Statt mit Worten zu antworten, verstärkte er den Druck der Waffe. Entsicherte sie.
»Okay, vielleicht würdest du es doch tun.« Wie konnte er in solch einer Situation eigentlich noch so herzhaft lachen? Hayato hatte Takeshi in dieser Beziehung noch nie verstehen können, und hatte er sich anfangs noch Mühe gegeben, sein Handeln nachzuvollziehen, hatte er sich doch sehr schnell eingestehen müssen, dass es praktisch unmöglich war.
»Du weißt, warum ich das tun muss, Yamamoto«, begann er mit heiserer Stimme. Der Angesprochene stoppte in seinem Lachen, hörte ihm aufmerksam zu. »Du hast es zu weit getrieben.« Takeshis Gesicht wurde ernster, Hayatos Stimme brüchiger, bis sie nichts weiter als ein leises Flüstern war. »Wir waren unvorsichtig.«
Der Druck der Waffe verschwand.
Statt auf Yamamotos Hals zu zielen, richtete er die Pistole nun auf dessen Brust. Sein Finger am Abzug zitterte. Er musste ein ziemlich erbärmliches Bild eines Mafioso abgeben; konnte nicht einmal einen einzigen Menschen töten.
»Was willst du tun, Hayato?«, fragte Takeshi leise. Gokudera zitterte jetzt am ganzen Körper, verfluchte sich wahrscheinlich selbst dafür, sich vor ihm so eine Blöße zu geben. »... ich weiß es nicht.« Nicht mehr als ein Wispern.
Obwohl Yamamoto wusste, dass Hayato ihn dafür auf der Stelle ein Loch in die Brust reißen könnte – ob nun, weil es ein Befehl von ihrem Boss war, oder weil er seine geheiligte Privatsphäre verletzte hatte –, hob er die Hand und fuhr ihm einmal durch den silbernen Haarschopf. »Ein echter Vongola weint nicht.«
Damit sprach er nicht auf die zahllosen, ungeweinten Tränen an, sondern bezog sich vielmehr auf die Unfähigkeit, auferlegte Pflichten zu erfüllen. Hayatos Lachen klang verbittert. »Dann bin ich wohl kein echter Vongola.« Und will keiner mehr sein.
Allmählich gelang es Gokuderas Stolz, wieder die Oberhand zu gewinnen. Als er den Kopf hob und gespielt furchtlos in die braunen Augen seines Gegenübers blickte, meinte Takeshi hören zu können, wie der Andere sämtliche Gefühle, die seinem Pflichtbewusstsein in die Quere kommen könnten, hinter einer undurchdringbaren Tür verschloss. Er ließ seinen Arm wieder sinken, ohne sich jedoch die Chance entgehen zu lassen, Gokuderas Wange leicht mit den Fingern zu streifen.
»Du brauchst keine Angst zu haben, ich bin dir nicht böse.« Hayato nahm den Finger vom Abzug, starrte mit leeren Augen, die mit einem Mal dunkler schienen als sonst, zu ihm auf. »Ich habe keine Angst«, meinte er. Der beherrschte Unterton entging Yamamoto nicht. »Außerdem«, setzte der Kleinere erneut an; sein Griff um die Rosen festigte sich, ein wenig Blut rann seine Hand hinab, »interessiert mich deine Meinung herzlich wenig.« Ich liebe dich auch nicht.
Wie von ihm erwartet, lächelte Takeshi einfach weiterhin. Dann seufzte er, fuhr sich kurz durch die schwarzen Strähnen. »Das war’s dann wohl, was?« Hayato wünschte sich, sein Herz würde zu schlagen aufhören. Für einen kurzen Moment starrte er Yamamoto fassungslos an, und während er versuchte, seine ausdruckslose Maske wieder aufzusetzen, blickte Takeshi an ihm vorbei. Stoppte sein Lachen für einen Augenblick, bevor er wieder Hayato ansah. Zwinkerte er ihm zu, oder bildete Gokudera sich das nur ein?
»Arturo schaut schon so komisch, Goku. Bist du bereit?« Der letzte Teil war nur ein Flüstern, und doch schien es dem Angesprochenen so, als hätte Takeshi ihm die Worte ins Ohr geschrieen. Nein, bin ich nicht.
Sein Blick war wieder stur gen Boden gerichtet. »Chiaramente, idiota.« Alles Lügen.
Ein flüchtiger Blick nach oben.
Das Szenario ein letztes Mal gedanklich durchgespielt.
Es tut mir so leid, Takeshi.
Er lächelte immer noch. Das weiß ich doch.
Für einen quälend langen Moment stand Hayato nur da. Überlegte. Wog all seine Möglichkeiten gegeneinander ab. Es gab nur eine.
Rote Rosen fielen achtlos zu Boden.
Dann glitt sein Finger zurück zum Abzug.
-=-
Nachwort:
Offenes Ende – ja, ich weiß, ich kann gemein sein. xD
Aber es soll euch selbst überlassen sein, wie die Geschichte enden soll. Ob Hayato nun auf Takeshi schießt, auf die Wand hinter ihm oder gar auf sich selbst – denkt, was ihr gerne wollt. Einen Schuss gibt es aber auf jeden Fall, auch wenn das nicht explizit geschrieben wurde.
Eigentlich ist es ja schon ein wenig AU. Tsuna gibt’s nicht, die Vongola ist korrupter als je zuvor, Box Weapons und Dying Will Flame fallen komplett weg. Die Charaktere wurden also einzig und allein dazu genutzt, eine anfangs ziemlich grobe Idee umzusetzen. Shishishi~ toll gemacht. x3
Die ‚10 Gebote der Mafia’ besagen übrigens nicht, dass Liebe unterhalb der Mitglieder verboten ist. Im Gegenteil – die Ehefrauen werden beispielsweise sehr respektiert, und ebenso wird derjenige bestraft, der sich an der Frau eines Anderen vergeht.
Generell kann ich mir gut vorstellen, dass Liebe in einem gewissen Maße willkommen ist, sollte sie den Zusammenhalt der Familie stärken.
Aber ist die Mafia gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe tolerant?
Ich weiß es nicht; und weil es das gesamte Konzept von ‚Codex’ durcheinander werfen könnte, wenn ich die Antwort wüsste, will ich auch gar nicht so genau darüber nachdenken. ^^’
Zwei Dinge noch:
1. Ja, ich musste das ‚sì’ und das ‚ chiaramente, idiota’ einbringen. xD Kommt doch irgendwie viel authentischer rüber. Letzteres heißt übrigens ‚Natürlich, Idiot’, aber ich denke, da sind die meisten von euch selbst drauf gekommen ;b
2. Und Arturo ... hach ja, ist er nicht ein ganz reizendes kleines Ekelpaket? :)
Liebe Grüße~