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Amaltheas Tochter

Das letzte Einhorn - Alternatives Ende und Fortsetzung
von

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Der Junge mit dem Sehenden Auge

„Mary... du bist eine elende Bestie... nicht der Wolf ist es, denn er wurde nur gegen seinen Willen abgerichtet. Du... bist das wahre Monster!“ Mary wirkte ungerührt. „Verfluchter kleiner Zauberer, du bist der Nächste!!“, fauchte sie und ließ den Wolf auf Balian los.

„Keine Zähne mehr zum Reißen, kann der Wolf nicht mehr beißen... kommt der Wolf endlich zur Vernunft, wenn seine Zähne sind verstumpft!“

Der riesige Wolf – ohne scharfe Zähne – sprang auf Balian zu, dieser versetzte ihm jedoch einen kräftigen Schlag mit dem Arm, sodass er gegen den nächsten Baum prallte und dort reglos liegen blieb. Plötzlich fuhr Balian erschrocken um: Lucien war wieder aufgetaut. Er musterte den Jungen ziemlich interessiert, doch zum ersten Mal lag auch ein Stück Wut in seinen Augen. „Du bist wirklich außergewöhnlich stark, Junge... du trägst eine beeindruckende Magie in dir. Gut... man sollte wissen, wann man verloren hat. Fürs erste werden wir uns zurückziehen, solange gehört das Mädchen noch dir... aber mach nicht den Fehler, mich zu unterschätzen, hörst du?“ Balian blickte in die eiskalten grauen Augen des Mannes und wusste genau, dass er es hier mit einem sehr mächtigen Wesen zu tun hatte – was immer er oder es auch war...

„Was bitte meinst du mit wir gehen? Wir gehen überhaupt nirgendwo hin!!“ „Sachte, Mary... wir werden jetzt gehen.“ Lucien verschwand für den Bruchteil einer Sekunde und tauchte dann hinter Mary auf, schlang seinen Arm um ihre Taille und die beiden lösten sich in Luft auf.
 

„Meine Güte Balian... was ist denn bloß passiert??“

Balian, der ziemlich angeschlagen war, hatte sich und Kisara mit den letzten Kräften, die seine Füße noch hergegeben hatten, in Henrys Quartier befördert. In seinen Armen lag Kisara, die inzwischen heftig am Schluchzen war. Er ließ sie behutsam auf einem Stuhl ab, wo sie ihre Knie mit den Armen umschlang und das Gesicht vergrub. Henry fing Balian, dessen Knie endgültig unter ihm nachgaben, auf. „Balian, mein Junge...“ „Wir sollten sie eine Weile allein lassen, Henry... ich werde es Euch später erzählen...“ Doch mit diesen Worten verlor er das Bewusstsein.
 

Kisara konnte es nicht fassen, es konnte einfach nicht geschehen sein... ihr kleiner Chico, fort? Herzlos zerfetzt von einer brutalen Bestie – die Bilder hatten sich tief in ihren Kopf eingebrannt. Sie konnte schon lange nicht mehr rational denken und ihre Gedanken ordnen, denn ihr Gehirn wollte einfach nicht begreifen. Momentan wäre sie lieber gestorben als noch weiter das Chaos ihrer Gefühle zu ertragen...

Auf der verzweifelten Suche nach einem Ausweg kam sie immer bei Balian an. Ohne diesen wundersamen Jungen wäre sie schon längst tot... selbst nachdem sie ihm vor den Kopf geworfen hatte, seine Hilfe nicht zu brauchen, hatte er keine Scheu, sie weiterhin zu beschützen. Mehrere Male hatte sie wiederholt, dass sie nicht an Magie glaube, trotzdem hatte er sie nicht im Stich gelassen. Wenn sie etwas tun konnte... dann, ihm zu vertrauen. Denn der Gedanke an ihn nahm Kisara zumindest einen Teil ihrer beklemmenden Angst...
 

Nachdem Balian sich ein wenig ausgeruht hatte, erzählte er Henry, was geschehen war. Die Frage, was es mit Kisara auf sich hatte, was sie mit den Einhörnern verband, wurde immer lauter – ein unlösbares Rätsel? Henry seinerseits wusste zumindest mit dem Namen Lucien mehr anzufangen:

„ Ich glaube dir gern, dass du diesen Namen schon einmal gehört hast, Balian. Er ist ein Dämon, musst du wissen.“ „Ein Dämon?“ „Ja, in der Tat, ein Dämon, ein unsterbliches Wesen. Sagt man zumindest. Im Gegensatz zu Wesen wie den Einhörnern allerdings eher von schlechter Gesinnung. Aber ich denke, das war dir bekannt?“ Balian nickte nachdenklich. „Ich bin mir sicher... irgendwoher kenne ich ihn... vielleicht nicht persönlich, aber... ich frage mich vor allem... woher weiß er von meiner Gabe der Vorsehung?“ „Hm... wer weiß... aber so wie ich Lucien einschätze, wundert es mich nicht, dass er davon weiß... wir sollten vorsichtig sein... du glaubst gar nicht, wie erleichtert ich bin, mein Junge, dass ihr gerade noch so davongekommen seid. Lucien... ist ein mächtiges Exemplar eines Dämonen, glaube mir. Nun ja, andererseits zeigt es mir, wie außergewöhnlich du bist.“ „Henry-“ „Du magst ein Lehrling sein, aber dein Talent und Potenzial sprechen für sich. Du wirst einmal ein großer Zauberer... wenn du es nicht schon bist.“ Balian senkte den Kopf. „Zu viel der Ehre... Chico konnte ich nicht retten.“ „Es ist traurig... besonders für die arme Kisara. Das Problem ist jedoch, und das sollte dir klar sein, dass sie mit uns an einem Strang ziehen muss. Da bleibt ihr keine Wahl.“ „Ich weiß...“

Es klopfte zaghaft an der Tür. „Ja bitte?“ „Verzeihung...“ Die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet und zwei große blaue Augen erschienen. „Lady Kisara... komm doch bitte herein.“

Schüchtern trat Kisara ein. Sie schämte sich für das Theater, das sie veranstaltet hatte. Im Grunde war es doch ihre Schuld, dass Chico nicht mehr da war? Schließlich war sie weg- und der Jägerin direkt in die Arme gelaufen. „Nun setze dich schon, Milady.“ Henry lächelte sie warmherzig und aufmunternd an. Zögerlich nahm sie Platz. Den Kopf hielt sie jedoch gesenkt. Balian beobachtete sie aus den Augenwinkeln; sie tat ihm Leid – auch wenn sie sich durch ihre Sturheit selbst in große Schwierigkeiten gebracht hatte... im Grunde war sie einfach nur hilf- und orientierungslos. Plötzlich ging ein Zucken durch seinen Körper. Obwohl er wusste, was jetzt folgte, empfand er es nach wie vor nicht als besonders angenehm. Als nächstes verschwamm sein Blick und ihm wurde schwarz vor Augen.

Henry, der gerade frisch gebrühten Tee in Becher goss, entging, wie Balian vornüber vom Sessel kippte, nicht aber Kisara: Erschrocken sprang sie auf und stoppte seinen Fall.

„Balian... Henry, bitte kommen Sie her! Irgendwas stimmt nicht mit Balian!“, rief Kisara panisch; die handwerklichen Tätigkeiten in der Schmiede ihres Vaters hatten ihren Körper soweit gestärkt, dass sie unter dem Gewicht von Balians Oberkörper nicht zusammenbrach. Doch die Angst, die in ihr hochkroch, war groß. Henry stürmte herbei. „Beruhige dich, Kisara. Es ist alles in Ordnung“, beschwichtigte er sie mit ruhiger Stimme, als er die Situation registrierte. Er hob Balian hoch und legte ihn auf das Sofa.

Kisara verstand nicht: „Was meinen Sie damit, es sei alles in Ordnung?? Er-“ „Genauso ist es, Milady... es ist alles in Ordnung. Balian geht es gut. Er... träumt gewissermaßen.“ „Wovon bitte reden Sie...?“ Hilflos sank sie auf die Knie und starrte Balian an. Seine hellbraunen Augen hatte ein seltsames Blass angenommen und wirkten völlig leblos. Außerdem waren sie nur halb geschlossen, sodass es gar nicht wirkte, als würde er friedlich schlafen.

„Ich werde es dir erklären. Balian... ist ein Seher.“ „Ein Seher...?“ Kisara dachte unwillkürlich an Wahrsager mit Glaskugel, die in Wahrheit eh nur schwindelten, um den Leuten ihr Geld abzunehmen.

„Bestimmt ist dir dieser Begriff nicht fremd. Ein Seher kann in die Zukunft blicken. Mir ist durchaus bewusst, dass es gerade dir schwer fällt, das zu begreifen, aber es ist die Wahrheit. Die Gabe zu Sehen ist eine kraftvolle magische Fähigkeit. Der junge Balian wird von Vorsehungen heimgesucht, entweder in seinen Träumen im Schlaf, oder wie jetzt – ganz plötzlich, ohne Vorwarnung. Er verfällt in einen Trancezustand, der ihn so lange fesselt, bis die Vision vorbei ist, erst danach wird er wieder erwachen. So lange müssen wir warten.“

Mal wieder hatte Kisara das Gefühl, dass ihr Kopf platzte von den Eindrücken, die in letzter Zeit auf sie einprasselten. Und so ganz konnte der weise Zauberer sie nicht beruhigen; Balian so vollkommen nicht-ansprechbar da liegen zu sehen, machte ihr Sorgen. Doch zu ihrer Erleichterung kam Balian langsam wieder zu sich: Er zuckte leicht zusammen, seine Augenlider schlossen sich kurz und als er die Augen wieder öffnete, war der – so empfand es Kisara – gruselige Ausdruck aus ihnen verschwunden. Tief ein- und ausatmend drehte er den Kopf zu den beiden Personen, die ihn aufmerksam beobachteten.

„Tut mir Leid... ich hab... dich bestimmt erschreckt, oder...?“, fragte er Kisara mit müder Stimme. Als Balian sie so bekümmert anschaute, errötete Kisara mit einem Mal; seine weichen braunen Augen waren wirklich wunderschön... Sie wich seinem Blick aus, nickte und murmelte: „Mach dir keine Sorgen... so langsam wundert mich gar nicht mehr...“ „Aber... glauben... kannst du es immer noch nicht.“ Seine Stimme war toternst, aber, anders als Kisara es erwartet hatte, nicht anklagend oder vorwurfsvoll.

Balian versuchte, sich aufzusetzen, allerdings ohne Erfolg. „Bitte bleib liegen, Balian, ruhe dich aus... was hast du gesehen?“ „Ich bin nicht sicher...“ Er dachte angestrengt nach, wovon ihm jedoch ganz schwindelig wurde. „Oh verdammt- e-es war so verschwommen... ich glaube, ein Einhorn ist in großer Gefahr...“ Vor allem jetzt, in diesem Zustand war Balian sich nicht mehr ganz sicher, was er gesehen hatte, aber eine verschwommene Vorahnung hatte definitiv mit Einhörnern zu tun...

„Nun gut... du kannst dich erst einmal ausruhen, danach wird es dir sicher leichter fallen, deine Gedanken zu ordnen.“ Balian nickte kaum merklich, dann fielen ihm die Augen zu.

„Du musst wissen, Kisara... diese Visionen sind eine gar nicht so leicht zu verkraftende Angstrengung, wie du es hier beispielhaft sehen kannst. Aber mach dir keine Sorgen, er wird sich schnell wieder erholen. Da Balian keinen Zeitpunkt genannt hat, wird das Ereignis wohl noch ein wenig auf sich warten lassen...“

Ein Einhorn war in Gefahr? Ein Einhorn?? Kisara wusste damit immer noch nicht so recht etwas anzufangen. Auch wenn diese grauenhaften Leute sie für eines hielten – was hatte sie damit zu schaffen? Es war schon absurd genug, dass es überhaupt weiße Pferde mit einem Horn auf der Stirn geben sollte...
 

„Kannst du mir mal bitte erklären, was das sollte???“

Im Versteck der mysteriösen Einhornjäger war Mary außer sich. Sie empfand es als Frechheit, dass Lucien sie bei ihrer Arbeit gestört hatte.

„Nun komm mal wieder runter, meine liebe Mary... das war in dieser Situation das einzig Richtige.“ „Wie bitte? Wir hätten dieses seltsame Mädchen heute kriegen können!!“

Lucien sah sie mit ernstem Blick an. „Mary... das Mädchen war nicht das Problem. Der junge Zauberer, der sie beschützt... du hast es doch selbst gesehen. Er hat mich, Lucien, mit einem Zauber verflucht! Am Ende war er zwar nicht stark genug, um mich noch weiter zu fesseln, aber immerhin... dieser Junge ist keinesfalls gewöhnlich. Außerdem hat er die Gabe zu Sehen...“ Mary starrte ihn irritiert an. „Dieses Balg ist ein Seher?? Willst du mich auf den Arm nehmen?“ „Keineswegs. Ich weiß es.“ Er lächelte geheimnisvoll. „Die Zukunft voraussagen zu können, stellt für uns unsterbliche Wesen eine äußerst begehrenswerte Fähigkeit da... ich selber schließe mich davon nicht aus. Stattdessen... wird sie einem Magier geschenkt, der im Grunde auch nichts weiter ist als ein Mensch mit ein paar besonderen Kräften.“ Die Jägerin musterte ihren Kollegen argwöhnisch. Auch wenn es sich bei Lucien um einen gefährlichen Dämonen handelte, so hielt sie ihn einfach nur für ziemlich aufgeblasen, auch wenn er immer so höflich tat.

„Dennoch... der junge Balian ist in der Tat interessant... aber nicht so sehr wie dieses Mädchen. Ich konnte nicht feststellen, was in ihr steckt. Und ich möchte mich nicht auf das Urteil der Wölfe verlassen. Daher... werde ich mir die hübsche Kleine mal persönlich vornehmen.“ Nun platzte Mary beinahe der Kragen. „Sie ist mein Auftrag, verstanden?? Glaubst du, nur weil du arrogantes Etwas von einem Dämon dich vordrängelst, fallen dir alle Menschen vor die Knie? Du kotzt mich an!!“ Der Dämon lächelte überlegen. Es dauerte nicht länger als einen Wimpernschlag, dann stand er direkt vor ihr. „Aber, aber, du hast ja wirklich ein feuriges Temperament...“, flüsterte Lucien mit honigsüßer Stimme und blickte Mary tief in die Augen. Zornig funkelte diese ihn an. „Glotz mich gefälligst nicht so blöd an, verstanden?“, zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen, „Und rück mir nicht so nah auf die Pelle-“ Völlig unbeirrt hatte Lucien die Hand gehoben und berührte sanft ihre Wange, was Mary die Sprache verschlug. Sie wollte seine Hand wegschlagen, doch sein Blick war so hypnotisch, dass es ihr so langsam die Sinne vernebelte. „Hey... lass das, du verdammter-“ „Pscht... wer wird denn, Mary... hat die eigentlich schon mal jemand gesagt, dass du wunderschön bist?“ Seine rechte Hand war gefährlich nah an ihrer Brust. „Lass mich los... du widerlicher Perversling! Ich kann mich nicht daran erinnern, deine Frau zu sein!“ „Du bist eine begehrenswerte Frau, das reicht...“ Und mit diesen Worten küsste er sie. Mary protestierte die ersten Sekunden heftig, aber dann war sie nicht mehr in der Lage sich zu wehren. Sanft strich seine Zunge über ihre Lippen und schob sich dann fordernd zwischen ihnen hindurch. Sie hätte sich nicht noch länger gegen die Verführung dieses unwiderstehlichen Mannes wehren können...
 

Kisara war ziemlich aufgekratzt; zwar war sie ziemlich müde, aber eine innere Unruhe hinderte sie am Einschlafen. Stattdessen saß sie an Balians Bett und beneidete ihn richtig, denn er war im Tiefschlaf. Sie konnte es sich nicht erklären, doch in seiner Nähe fühlte sie eine Sicherheit, die sie davon abhielt, völlig den Halt und Verstand zu verlieren.

Irgendwann, als Kisara dann beinahe doch eingedöst wäre, schreckte sie mit einem Mal auf. Sie konnte es sich nicht erklären, doch irgendetwas ließ ihr eine Gänsehaut über den ganzen Körper wandern. Nervös schluckend erhob sie sich von der Bettkante und blickte sich zögerlich um. War es wohlmöglich nur Einbildung gewesen? Als die Beruhigte sich gerade wieder hinsetzen wollte, erschien etwas aus dem Nichts, direkt vor ihr. Nach ein paar Sekunden erkannte sie entsetzt: Es war dieser unheimliche Kerl, der schweben konnte und auch zu diesen komischen Jägern gehörte!

Kisaras erster Impuls, nämlich der zu schreien, kam nicht zur Ausführung. Blitzschnell zog Lucien das Mädchen an sich; ohne großen Kraftaufwand erstickte seine Hand jeden Laut der sich heftig Wehrenden. „Pscht... nicht so laut, ehrenwertes Fräulein, Ihr wollt Euren Freund doch nicht wecken, oder?“ Panisch starrte Kisara ihn an. Das hätte sie jedoch besser nicht gemacht, denn seine kalten dunklen Augen schienen eine hypnotisierende Wirkung zu haben... in eine tiefe Trance fallend, sank sie schließlich ohnmächtig in Luciens Armen zusammen.
 

Ein gewinnendes, eiskaltes Grinsen trat auf die Lippen des Unsterblichen...



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