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Ausgenutzte Liebe

von

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PROLOG

Ich wusste genau, dass Silvan auf mich stand, das konnte man gar nicht übersehen. Wie er mich in der Schule ständig anschaute, sich gelegentlich an mich hängte oder so oft es ging irgendwelche unsinnigen Treffen mit mir vereinbarte, deren tieferer Sinn mir bis heute verborgen geblieben war.

Dabei gehörte Silvan nicht unbedingt zu der Sorte von Typen, die einfache Anzeichen verdrängte, dass man vielleicht nicht dasselbe empfand wie sie selbst. Ein bisschen naiv war er manchmal schon, aber so hohl nun auch wieder nicht, dass er nicht verstand, das da nie wirklich was zwischen uns laufen würde.

Aber wahrscheinlich glaubte er, nur weil ich öfters mit anderen Jungs ins Bett stieg, dass ich schwul war und durch dauerhafte Belagerung mit der Zeit Gefühle für ihn entwickelte.

Dann kannte mich Silvan schlechter, als ich es von ihm gedacht hatte, immerhin hatte ich noch nie in meinem ganzen verkorksten Leben etwas für einen Typen empfunden und würde das auch so schnell nicht ändern. Auch nicht für ihn.

„Hey, Leon, hast du heute Zeit?“ Mit seinem bekannten Lächeln erschien Silvan in meinem Blickfeld und versuchte mal wieder, mich für den restlichen Nachmittag zu beschlagnahmen.

Eigentlich hätte ich ihn knallhart abblitzen lassen müssen, so wie ich sonst bei anderen nervigen Menschen tat, aber da ich aus irgendwelchen Gründen Silvans einzig näherer Bekannte war – als Freund würde ich mich nicht bezeichnen, dafür kannten wir uns noch nicht lang genug –, lehnte ich nicht ab. Vielleicht hätte ich es besser tun sollen, um mich vor weiteren schlechten Annäherungsversuchen seinerseits zu retten, aber da ich sonst den restlichen Tag nur gelangweilt in der Gegend herumgehangen hätte, schien es doch eine kleine Abwechslung.

„Dann könnten wir zusammen für Mathe üben.“

Langsam sollte er mal kreativer werden und nicht fast jedes Treffen damit begründen, für die Schule zu lernen, das taten wir sowieso nicht. Meistens hockten wir bei ihm vor der Glotze oder dem PC und ich überlegte in Gedanken schon, was ich machen würde, wenn ich wieder zuhause war.

„Wenns sein muss.“ Da wir in unterschiedlichen Mathekursen waren, brachte das sowieso nichts. „Wann soll ich kommen?“

„Kannst gleich mitkommen“, bot mir Silvan schnell an, was ich überhaupt nicht verdächtig fand. Oh Mann, der Kerl war so sehr in mich verschossen, das erschien mir schon fast unnormal. Hatte der denn sonst niemanden, an den er sich so extrem hängen konnte?

Da daheim sowieso niemand auf mich mit dem Essen warten würde, entschied ich mich für seinen Vorschlag und folgte ihm schweigen den Weg von der Schule bis zur Bushaltestelle, an der wir nicht lange warten mussten, bis der Bus kam. Eigentlich wohnte Silvan nicht allzu weit weg, aber wenn man fast bis vor die eigene Haustür transportiert wurde, nahm man es doch gerne in Anspruch. Hätte ich an seiner Stelle genauso getan.

Die Fahrt zog sich hin, weil anscheinend kein einziger Autofahrer einsah, zivilisiert durch die Straßen zu düsen und der Bus deshalb dauernd abbremsen musste. Wenn das so weiterging, kotzte ich wohl oder übel Silvan auf die Schuhe, dieses hin und her Geschaukel fühlte sich einfach nur bescheuert an.

Silvan schien damit kein Problem zu haben, er behielt seine gute Laune und versuchte, mir ein Gespräch über sein neues Fahrrad aufzuzwingen. Ich schwieg eisern, um mich nicht wirklich zu übergeben. Der Appetit auf das angekündigte Essen war mir eindeutig vergangen.

Nach einer scheinbaren Ewigkeit zwang mich Silvan, aus dem Bus auszusteigen – nicht, weil ich unbedingt noch länger dort drinnen sein wollte, mir war einfach so schlecht, dass ich kaum laufen konnte – und musterte besorgt mein unzufriedenes und sicher ziemlich blasses Gesicht.

Zum Glück verging dieses widerliche Gefühl dank der frischen Luft recht schnell und Silvan konnte sich wieder seiner Lieblingsbeschäftigung widmen, nämlich mir das Ohr abzuschwätzen.

Meine Fresse, der Kerl redete mehr als jedes Mädchen, was ich kannte, weshalb ich ihn schon öfters nur allzu gerne den Schnabel gestopft hätte.

Wieso benahm er sich aber auch insgesamt nicht wie ein normaler neunzehnjähriger? Manchmal kam ich mir wie der ältere von uns beiden vor, obwohl er über ein Jahr älter als ich war. An seinem Verhalten merkte man das kein Stück.

Bei ihm zuhause angelangt aßen wir zuerst einmal zusammen mit seiner Mutter und seinem kleinen Bruder Mittagessen – eine ziemlich bunte Mischung Gemüse und Kartoffelbrei –, bevor wir uns in sein Zimmer absetzten, um ungestört zu sein, sonst wäre uns sicher wieder sein kleiner Bruder gefolgt, der immer genau wissen wollte, was Silvan tat. Fand ich etwas nervig, aber ich konnte ihn wohl kaum verjagen, dass musste Silvan machen.

„Ähm, am besten machen wir als erstes unsere Hausaufgaben“, meinte er aus Mangel an kreativen Einfällen seinerseits und grinste verlegen.

Ich hatte nichts dagegen einzuwenden; wenn wir uns den gefährlichen Herausforderungen namens Textinterpretation und Gleichungen widmeten, sank die Chance, dass Silvan mir wieder zu nah auf die Pelle rückte. Das passierte leider mindestens zweimal die Woche – manchmal noch öfter – und jedes Mal sah ich mich gezwungen, ihn eher unsanft auf seinen ehemaligen Platz zurückzuscheuchen.

Solche Aktivitäten waren der weiblichen Bevölkerung vorbehalten und er würde nie ein Mädchen sein, egal was er tat.

Seufzend starteten wir unsere tollen schulischen Verpflichtungen, allerdings blieb Silvan selbst dabei nicht lange still, da er spätestens nach einer halben Stunde mich mit irgendwelchen Themen bombardierte, zu denen ich nur ab und zu nickte. Als könnte ich mich gleichzeitig mit Englisch und seinem Geschwätz beschäftigen.

Die Zeit verging schleichend, mich kotzen die Aufgaben an und das ununterbrochene Gerede meines Gegenübers verbesserte die Situation kein bisschen.

„Können wir mal eine Pause machen?“ Ansonsten hielten meine Nerven das nicht mehr aus; vor mir wasserfallmäßiges Geplapper und ein nicht enden wollender Berg Schulaufgaben.

„Klar.“ Ihm schien diese Unterbrechung ebenfalls nichts auszumachen, nur kam jetzt wieder die Frage auf, wie wir uns beschäftigen sollten. Dass ich nicht zu den kommunikativsten Menschen gehörte, wusste Silvan nur zu gut, dafür fand er jede Aktion, bei der man mehr als drei Schritte laufen musste, unzumutbar.

Wir gaben wirklich ein verdammt ungleiches Paar ab.

Aber nicht im Sinne von 'Wir sind zusammen' und dem ganzen Schrott, das würde sowieso niemals geschehen. Zumindest nicht in diesem Leben, vielleicht in irgendeinem abgefahrenen Paralleluniversum.

Schließlich entschieden wir uns nach ein wenig hin und her, uns einen Film anzusehen. Zwar würde es dann nicht lange dauern, bevor Silvans Bruder sich bei uns einschlich, aber solange er den Schnabel hielt und mir nicht das Ende des Films verriet, durfte er gerne dortbleiben.

Welchen Film wir uns angetan hatten, hatte ich schon nach drei Minuten vergessen und die Handlung interessierte mich so sehr, dass ich es schaffte, nach einer halben Stunde zu schlafen. Peinlich, aber so etwas passierte manchmal. Nicht unbedingt mir, aber da Silvan mich nicht sofort aufweckte, nahm er es mir wohl nicht übel.

Vielleicht war er sogar selbst eingepennt – bei dem Dummgeschwätz, was sich die Hauptfiguren da die ganze Zeit geliefert hatten, hätte mich das nicht gewundert – oder traute mich nicht zu stören, weiß der Geier.

Irgendwann wachte ich jedenfalls etwas verwirrt auf und wusste erst einmal nicht, was hier vorging, bis ich Silvan bemerkte, der immer noch neben mir auf der Couch hockte und ziemlich in einer dieser hochspannenden Fernsehzeitschriften vertieft war.

Durch einen zufälligen Blick auf die Uhr stellte ich geschockt fest, dass es schon fast halb neun war. Ich hatte doppelt so lange geschlafen wie dieser lahmarschige Film gedauert hatte.

Und mein Gastgeber hatte es wohl nicht für nötig gehalten, mich irgendwann zu wecken. Was für ein Idiot, meine Mutter würde vielleicht gerade die Polizei anrufen, weil ich schon so lange weg war. Sie vergaß gerne, dass ich nicht mehr zwölf war.

„Oh, du bist wach“, entdeckte Silvan ziemlich überrascht und knallte die Zeitung auf den Wohnzimmertisch.

„Ja, inzwischen schon.“ Hoffentlich merkte er, dass ich momentan nicht die beste Laune hatte. „Du hättest mich aufwecken können, als der Film zu Ende war.“

Etwas überrumpelt von meinem unfreundlichen Auftreten sah mich Silvan an, brachte aber keine gescheite Ausrede zu seiner Verteidigung heraus. Dann halt nicht.

„Ich muss jetzt gehen, es ist spät.“ Und noch irgendwie den letzten Rest Schulzeug beenden. „Sonst macht meine Mutter wieder Terror.“ Ich stand von der Couch auf, um meine Sachen, die noch in seinem Zimmer herumflogen, zusammenzupacken, doch er hielt mich am Arm fest.

„Musst du nicht... du kannst ja hier übernachten.“ Sein Lächeln sollte mich wohl zusätzlich dazu animieren. Wie immer eigentlich. Wäre nicht das erste Mal, dass er mir dieses Angebot macht.

Und nicht dass erste Mal, dass ich annahm, weil ich zu faul war, den ganzen Weg von hier bis zu mir nach Hause zu laufen. Genau diese Tatsache nutzte Silvan ständig schamlos aus.
 

Um kurz vor zwölf lag ich auf einer ziemlich harten Matratze in Silvans Zimmer und versuchte, in den nächsten Minuten einzuschlafen. Klappte nicht.

Erstens war ich kein Stück müde, da ich schließlich vorhin schon genug gepennt hatte, zweitens raschelte Silvan andauernd mit seiner Decke oder seinem Kissen und drittens hatte ich unpraktischerweise ein ziemlich nerviges Verlangen auf Sex.

Mein letztes Mal lag für meine Verhältnisse schon etwas länger zurück, fast vier Wochen, weswegen ich anscheinend unter irgendwelchen Mangelerscheinungen litt.

Vielleicht redete ich mir das auch nur ein, um das zu rechtfertigen, was mein Kopf innerhalb von wenigen Sekunden geplant hatte und mein Körper nun ausführen wollte.

Heftig mit Silvan zu ficken. Allein diese Vorstellung erregte mich im Augenblick unheimlich, eigentlich müsste ich mich dafür schlagen. Zwar war er so etwas wie mein persönlicher Fan, aber das bedeutete nicht automatisch, dass er mit mir ins Bett wollte. Und ihn zu zwingen kam erst recht nicht in Frage, es reichte schließlich, dass ich aus purem Egoismus seine Gefühle für mich ausnutzte.

Aber ich war einfach ein großes Arschloch und das wusste Silvan eigentlich genau.

„Silvan, bist du noch wach?“ Wenn er schlief, konnte ich die Aktion nämlich gleich vergessen, der Junge war nicht leicht zu wecken. Außerdem musste ich überhaupt mal testen, wie weit er ging, auf eine böse Überraschung am Abend hatte ich echt keinen Bock.

„Ja, irgendwie schon“, murmelte der Angesprochene vor sich hin, wirklich glaubhaft klang es nicht. Vielleicht redete er im Schlaf? Naja, eher unwahrscheinlich. Aber aufgrund der völligen Dunkelheit innerhalb des Raums konnte ich das nicht kontrollieren. Wollte ich auch nicht unbedingt, ich würde es früh genug merken.

„Weißt du, was wir machen könnten?“ Eine dieser arglosen Fragen, die in sehr interessanten Situationen endeten, wenn man sich anstrengte; das hoffte ich zumindest für mich und meinen inzwischen kaum noch zivilisiert denkenden Verstand.

Meine Fresse, manchmal waren Männer wirklich eher schwanzgesteuert als etwas anderes. Frühe Erkenntnis, dabei musste ich es doch am besten wissen.

„Nein, keine Ahnung.“ Typisch Silvan, hatte mal wieder keine Ahnung, was zu tun war, aber dieses Mal war es mir recht, da konnte ich die Initiative für meine Zwecke ergreifen.

„Ich aber.“ Vorsichtig stand ich von meinem provisorischen Nachtlager auf, tastete mich im Dunkeln auf Silvans Bett zu, fand es zum Glück problemlos und streckte meinen Arm so weit aus, bis ich etwas Weiches unter meinen Fingerspitzen fühlte.

Tat ich hier das richtige für mich? Alles in mir schrie so weit ich es mitbekam ein deutliches 'ja'.

Nach einigem Darüberstreichen kam ich zu dem Schluss, dass es Silvans Wange sein musste, doch um ganz sicher zu sein, untersuchte ich zaghaft die angrenzenden Zonen, um auch keiner Verwechslung zum Opfer gefallen zu sein.

„Leon“, Silvans Stimme klang leicht angespannt, „was tust du?“ Ihn schien es zu verwirren, dass ich plötzlich den Spieß umdrehte und ihm nahe kam. Mich wunderte es mindestens genauso, wie ich mich verhielt.

„Was wohl?“ Ihn dazu zu bringen, mit mir zu schlafen, nichts anderes.

Aber er sollte nicht erfahren, dass er nur als Mittel zum Zweck diente. Lieber ließ ich ihn vorerst in dem Glauben, nicht nur als reines Objekt nützlich zu sein; eigentlich hatte Silvan es nämlich nicht verdient, hineingelegt zu werden, doch die Erregung und der Wunsch nach Sex verdrängten jeden Zweifel und vernünftigen Gedanken in meinem Kopf. Böser Leon.

Er war ein Kerl, vielleicht konnte er das nachvollziehen, wenn ich es zu erklären versuchte.

Während ich weiter die Wange meines größten und wahrscheinlich einzigen Fans berührte, drückte ich meine Lippen auf seinen Mund und spürte, wie ein unterdrücktes Zittern durch Silvans Körper lief. Es schien ihm zu gefallen, das war gut.

Und gleichzeitig verdammt schlecht.

Zögerlich schob ich meine Zungen in seine Mundhöhle, spürte die leicht unebenen Zahnreihen und das kühle Metall der Zahnspange. Dass Silvan mit neunzehn immer noch so ein Ding tragen musste, verstand ich einfach nicht. Hatten diese tollen Kieferorthopäden nicht früher darauf kommen können, ihm so ein Ding einsetzen zu müssen?

Immer noch erhielt ich keine Reaktion oder sogar Gegenwehr auf mein Tun, bis auf das deutliches Erwärmen der Haut unter meinen Fingern. Das musste als Zeichen der Zustimmung für meine Tätigkeiten reichen und es animierte mich, weiter aktiv zu handeln.

Nach einiger Zeit löste ich mich von den unerwartet angenehm weichen Lippen. Normalerweise küsste ich keine Kerle und selbst wenn dann nicht so lang und ausgiebig. Immerhin wussten sie schon vorher, dass es nur Sex war, nicht mehr und nicht weniger.

Silvan ahnte das sicher nicht einmal. Dumm gelaufen.

In dieser Nacht unternahm ich mit Silvan mehr als mit allen Typen, denen ich je über den Weg gelaufen war, zusammen. Lag vielleicht daran, dass ich mich bei ihnen nicht lange aufhielt, bis wir zum eigentlichen Teil kamen, das störte auch nie einen.

Aber bei Silvan konnte ich das nicht bringen, deswegen ging ich alles Schritt für Schritt an. Und es schien ihm sehr zu gefallen.

Ganz, ganz schlecht.

Ich zog Silvan das Oberteil aus, was er still zuließ, und widmete mich den Brustwarzen, an denen ich eher schlecht als recht herum knabberte – ich hatte ganz ehrlich keinen Plan, wie das funktionierte und das fehlende Licht half mir wohl kaum –, bis mein Gegenüber ein heiseres Keuchen ausstieß und seine Finger in die Bettdecke krallte. Glück gehabt, ich hatte ihm also nicht unbeabsichtigt weh getan. Das kam noch.

Ätzend langsam arbeitete ich mich voran, bis endlich die Zeit für mein eigentliches Vorhaben gekommen zu sein schien. Jedenfalls spürte ich, dass Silvan inzwischen auch erregt war und hoffte einfach, er würde nichts gegen etwas Sex haben. Ansonsten wäre ich jetzt schrecklich frustriert und aufgeschmissen.

„Leon...“ Silvans Stimme zitterte leicht, als er mein Zögern bemerkte. „Bitte... mach weiter.“ So wie ich ihn kannte, musste ihm dieses Geständnis viel Überwindung gekostet haben, was meine Gedanken fast sofort positiv stimmten. Er wollte es also und ich würde es ihm geben.

Mit allen Konsequenzen, die morgen auf mich zukämen.

Hastig fischte ich aus einem Fach meiner Schultaschen, die ich zuerst nicht fand, das Gleitgel, das ich immer für alle Fälle bei mir trug; in einem anderen Fach entdeckte ich ein paar Kondome. Die hatte sicher meine Mutter dort hineingeschmuggelt. Sie wusste nämlich leider genau über mein nicht ganz so gesellschaftsfähiges Sexleben Bescheid und hatte dauernd Angst, dass ich mir irgendetwas einfangen könnte, weil ich die Teile meistens vergaß und darauf hoffen musste, dass der Typ, bei dem ich mich befand, welche dabei hatte.

Natürlich versuchte ich vorsichtig beim Eindringen zu sein, immerhin sollte Silvan nicht den Albtraum des Jahrzehnts erleben, aber trotzdem hörte ich ihn leise jammern und fühlte, wie er sich verkrampfte. Als ob ich darauf nun noch Rücksicht nehmen würde, wo ich doch schon so weit gekommen war.

Immer wieder stieß ich in Silvan, der versuchte, nicht die ganze Nachbarschaft und schon gar nicht seine Familie mit seinen Schmerzenslauten aufzuwecken. Hoffentlich gelang es ihm, bei mir war ich mir da nicht so sicher.

Eigentlich war es der schlechteste Sex gewesen, den ich bis jetzt gehabt hatte; man durfte so gut wie keinen Mucks von sich geben, ich hatte mir ziemlich das Knie am Bettgestell angeschlagen – Silvan wollte auf keinen Fall seine Nachttischlampe anschalten, vielleicht war ihm das alles doch zu peinlich – und der Gedanke, dass ich ihm morgen die Wahrheit erzählen musste, schlich sich immer wieder ein.

Am besten schlief ich das nächste Mal nur noch mit Leuten, mit denen ich nicht nichts am Hut hatte, um solche Dinge zu vermeiden.

Ziemlich erschöpft blieb ich neben Silvan in seinem Bett liegen, es fühlte sich deutlich weicher an als das Ding, auf dem ich schlafen sollte. Dreist wie ich war nahm ich mir vor, heute nach hier zu bleiben. Sicher hatte er nichts dagegen.

Zaghaft strich Silvan über meinen Oberarm und drückte sich schließlich eng an mich. Erschrocken zuckte ich zusammen, damit hatte ich eigentlich nicht gerechnet.

„Ich liebe dich“, flüsterte er mir leise ins Ohr und gab mir einen Kuss auf die Wange.
 

Scheiße.

ZWISCHENSTÜCK

Ich hatte relativ früh angefangen, mich für Mädchen zu interessieren, irgendwann in der Mitte der Grundschule hatte es begonnen. Und ich fands gut.

So kam es, dass ich mit elf meine erste feste Freundin mit nach Hause schleppte – meine Eltern dachten erst, es sei ein verspäteter Aprilscherz von mir –, mit zwölf schon bei Nummer vier angelangt war, mit dreizehn mit meiner neunten Freundin schlief – dass das in unserem Alter eigentlich noch nicht erlaubt war, ignorierten wir, merkte ja sowieso keiner – und mit fünfzehn schon berühmt-berüchtigt an meiner Schule für mein sehr abwechslungsreiches Privatleben war.

Als meine Eltern das über fünftausend Ecken auch endlich mal mitbekamen, waren sie sehr entsetzt, die Jungs aus meiner Klasse beneideten mich für meine Erfahrungen und ich fühlte mich verdammt cool. Also nichts Neues.

Vielleicht war ich schon damals ein egoistisches Arschloch gewesen, nur konnte ich das gut verstecken, indem ich nicht über meine Exfreundinnen herzog, sie weiterhin ganz normal behandelte und keins der Mädchen in unserer Beziehung zu etwas zwang, was sie nicht wollte, sonst hätte sich sicher keine mehr auf mich eingelassen und das wäre echt scheiße, was sollte ich sonst in meiner Freizeit machen?

Irgendwann reichte es meinen Eltern, weil sie ständig befürchteten, in absehbarer Zeit Großeltern zu werden, und verboten mir den Umgang mit 99% der weiblichen Bevölkerung, was mich ziemlich ankotzte. Was ging meine Eltern an, was ich in meiner Freizeit tat? Natürlich fand ich selbst die Vorstellung nicht besonders lustig, mit 17 achtfacher Vater zu sein, aber ich vertraute einfach mal den gängigen Verhütungsmitteln, etwas anderes blieb mir nicht übrig, außer ich ließ ab jetzt wirklich die Finger von Sex, worauf ich allerdings keine Lust hatte.

Also ging ich meinem Hobby nun mehr oder weniger heimlich nach, also wenn meine Eltern beide nicht da waren, und das bot sich ziemlich oft an und zur Not gab mir einer meiner Kumpel für ein paar Stunden ein Alibi.

Doch bei der Geburtstagsfeier zum 16. von einem meiner Kumpel änderte sich mein Sexleben dramatisch. Sicher nicht zum Positiven, aber wenigstens hatte ich nun eine Variante entdeckt, wie ich definitiv nicht plötzlich eine schwangere Freundin an der Backe hatte. Und meine Eltern noch mehr in die Verzweiflung stürzen konnte.
 

Wirklich viel erwartete ich von der Party nicht. Besonders viele Leute sollten nicht erscheinen, höchstens zehn, die ich sowieso alle kannte, außerdem waren es nur Jungs. Eigentlich könnte ich auch zu hause bleiben oder mir anderweitig eine 'Beschäftigung' für den Abend suchen.

Aber weil ich Lars nicht enttäuschen wollte, entschied ich mich gegen meinen vielversprechenden Plan und stand irgendwann nach acht Uhr vor seiner Haustür. Natürlich hatten meine Eltern erst gestreikt und Terror veranstaltet, weil sie eine Horde Mädchen versteckt bei Lars vermuteten, mit denen ich sofort etwas anfangen würde, aber das interessierte mich wenig. Ich wusste, dass da niemand zum Abschleppen da war und das genügte.

Die 'Party' fand größtenteils in Lars Wohnzimmer statt, wo schon einige Typen mit irgendwelchen Getränken in der Hand auf zwei Sofas verteilt saßen und sich gegenseitig anschwiegen. Lars, sein älterer Bruder Sky, der wahrscheinlich das ganze Szenario organisiert hatte, unsere Klassenkameraden Felix, Jakob, Valle, Passi und Lars Cousin Peter.

Lars war ziemlich in Ordnung, nur schaffte er es wirklich nie, seinen Schnabel aufzubekommen; Sky fand ich ziemlich cool, da er sich nie etwas sagen ließ, immer sein Ding durchzog und für seinen kleinen Bruder da war, obwohl er mit 21 gar nicht mehr zuhause wohnte. So einen Bruder hätte ich auch gerne gehabt, aber meine tollen Eltern hatten ja beschlossen, dass ich ein Einzelkind bleiben sollte.

Mit meinen Klassenkameraden verstand ich mich, aber wir waren definitiv nicht die besten Freunde, mein Lebensstil schreckte sie wohl ab. Vielleicht waren sie auch einfach nur neidisch.

Und dann war da noch Peter; eigentlich dachte man bei dem Namen zuerst an irgendeinen spießigen Typ über dreißig, was auf ihn ganz sicher nicht zutraf. Das merkte ich gleich aufs Neue, als er aufsprang, mich zu sich zerrte und mir verkündete, dass er sich morgen die Haare entweder grün oder blau färben wollte, weil ihm das schwarz langsam auf die Nerven ging. Mit fünfzehn durfte man das schließlich machen.

Ich nickte einfach nur, mehr musste man bei Peter nicht tun, damit er sich bestätigt fühlte. Nur leider wusste er manchmal nicht, wann er aufhören sollte, seine halbe Lebensgeschichte zu verbreiten.

„Wie findest du eigentlich Sky?“, fragte er mich unvermittelt und zwang mir zum dritten Mal einen Becher mit einem Mix aus Cola und irgendetwas Alkoholischem auf.

„Ganz cool, wieso?“ Peters Gedankengänge konnte ich öfters nicht folgen.

„Ach nur so“, meinte er leichthin, grinste mich schief an und stieß Lars neben sich einen Ellbogen in die Seite, damit er nicht einfach einschlief. „Mach mal was, Lars, sonst saufen sich deine Gäste aus Langweile zu und zerlegen dir die Einrichtung.“

Da Lars wirklich nicht zu den besonders kreativen Menschen gehörte, lief zehn Minuten später ein Film, den Felix ganz zufällig mitgebracht hatte, den ich sicher interessant gefunden hätte, wenn ich ihn nicht schon dreimal gesehen hätte. Oder sogar mehr.

Peter hatte es geschafft, mir noch so viel zu trinken anzudrehen, dass ich mich schon ganz seltsam fühlte. Vielleicht sollte ich das nächste Mal das Zeug ablehnen und es auch Peter verbieten, da er gerade an mir klebte und mir das Ohr abkaute, weil er befürchtete, dass seine Freundin ihn mit ihrem Nachhilfelehrer betrog. Als ob mich das interessierte, ich kannte sie nicht einmal.

„Leon, kommst du mal kurz mit?“ Sky war aufgestanden und winkte mich zu sich.

Etwas wackelig auf den Beinen machte ich mich von der Labertasche Peter los, der damit anscheinend kein Problem hatte, und versuchte unbeschadet Sky zu erreichen, ohne dabei über irgendwelche am Boden stehenden Becher zu stolpern. Anscheinend hatten ich und Peter die Wirkung dieses Zeugs unterschätzt.

Vorsichtig legte Sky mir seinen Arm um die Hüfte; eigentlich hätte ich ihn dafür im Normalzustand zur Schnecke gemacht, aber da ich ohne seine Unterstützung ziemlich sicher Bekanntschaft mit den Fließen im Flur gemacht hätte, ließ ich ihn gewähren, immerhin tat er mir nicht weh.

Der Rest – bis auf Peter natürlich – bemerkte weder unser Verschwinden noch Skys merkwürdige Art der Hilfe. Wahrscheinlich hatten sie noch mehr als ich getrunken und würden nicht einmal mitbekommen, wenn ihnen jemand das Sofa unterm Arsch wegklaute.

Sky führte mich die Treppe hinauf in Lars Zimmer und schloss die Tür hinter uns, was mich doch ein wenig wunderte. Was wollte er von mir? Warum mussten wir dafür in Lars' Zimmer? Wieso machte er keine Anstalten, endlich mit dem anzufangen, was er vorhatte? Und weshalb ging ich nicht einfach genervt wieder nach unten und ließ mich dort weiter von Peter abfüllen, bis ich kotzte?

Zumindest auf die ersten zwei Fragen bekam ich eine Antwort, als mich Sky nach fast einer Minute plötzlich auf Lars' Bett drückte und langsam begann, mich auszuziehen. Dass Sky nicht nur auf Frauen stand, wusste eigentlich jeder, ich natürlich auch, und es hatte für mich deswegen nie ein Problem bestanden. Immerhin hatte ich nie vermutet, dass ich mehr für ihn sein könnte als der Kumpel seines kleinen Bruders, aber da schien ich wohl daneben gelegen zu haben.

Warum Sky gezögert hatte? Vielleicht weil er befürchtete, dass ich ziemlich – mit gutem Grund – überreagieren würde, möglicherweise nichts mehr mit ihm oder auch Lars zu tun haben wollte. Es kam schließlich nicht sehr gut an, wenn man ohne Vorwarnung oder Andeutungen über einen anderen Kerl herfiel.

„Du musst das nicht tun“, erklärte mir Sky soeben zum fünften Mal, während seine Finger langsam meinen Oberkörper entlang strichen. „Wenn ich aufhören soll, sag es einfach, dann tu ich es natürlich auch.“

Aber ich hielt die Klappe. Nicht, weil ich Angst hatte, er könnte mir bei einer Abweisung etwas antun oder weil ich so zu war, dass ich keinen anständigen Satz mehr herausbrachte.

Ich war einfach neugierig, was als nächstes geschah, ob Sky tatsächlich mit mir schlief oder vorher abbrach, weil er mich nur verarscht hatte.

Ich war nicht in ihn verliebt, weswegen mir es nichts ausmachte, falls er vorzeitig das Handtuch warf. Außerdem hatte er noch nicht versucht, mir die Zunge in den Hals zu schieben, bis ich fast erstickte; hätte er es probiert, wäre ich so schnell mein bescheuerter Zustand es erlaubt hätte, geflüchtet. Diese Vorstellung fand ich wesentlich schlimmer als wenn er mich von hinten genommen hätte.

Küsse bedeuteten immer etwas intimes, während Sex für mich einfach nur Sex war. Nicht mehr und nicht weniger.

„Leon, hörst du mir überhaupt zu?“, wollte er wissen und zwickte mir in die Seite. „Wenn du es nicht magst...“

Ich blickte ihn so selbstsicher wie ich konnte an. „Ach, komm Sky, halt den Mund und fick mich einfach.“

Ich war schon mit so vielen Mädchen ins Bett gestiegen, da machte es doch keinen Unterschied, ob da auch einmal ein Typ dabei gewesen war. Immerhin wusste ich, dass ich nur auf Mädchen stand und vertraute Sky so weit, dass er sicher aufhörte, wenn ich doch plötzlich Panik davor bekam oder es mir zu sehr wehtat.

Etwas verwirrt über meine offene Ansage stoppte Sky in seiner Handlung, zuckte aber schließlich mit den Schultern und fuhr wie gefordert fort.

Da ich mir bis zu diesem Augenblick noch überhaupt keine Gedanken darüber gemacht hatte, wie zwei Jungs es miteinander treiben konnten – bis vor ein paar Jahren war ich nicht einmal auf die Idee gekommen, dass es auch Menschen gab, die nicht hetero waren – fand ich eigentlich alles irgendwie neu und auch etwas erschreckend.

Sky, der schon bald nackt über mir kniete.

Seine Hände an meinem Glied.

Mein schneller Atem, der ganz anders als sonst klang.

Seine Finger in mir.

Das schmerzhafte Gefühl, als er in mich eindrang.

Sein Keuchen ganz nah an meinem Ohr.

Und am Schluss seine Arme, die sich um mich schlangen und mich fest an ihn drückten.

Worauf hatte ich mich nur eingelassen? Was, wenn Sky mit mir geschlafen hatte, weil er wirklich in mich verliebt war? Dann hatte ich ein Problem.

Wie sollte ich ihm das nur erklären, dass ich nur meine Neugier befriedigt hatte?

HAUPTTEIL

Als ich am nächsten Morgen in Silvans ungemütlicher Umklammerung erwachte und mir das krasse Szenario von gestern Nacht wieder einfiel, wusste ich nicht, ob ich mich jetzt ziemlich schuldig fühlen oder wütend auf Silvan sein sollte.

Immerhin hatte ich mit keiner Silbe erwähnt, dass ich ihn gefickt hatte, weil ich volle Kanne und unendlich in ihn verschossen war, aber er musste mich dann noch mit seiner tollen Liebeserklärung schocken.

Nun fühlte ich mich endgültig wie ein überdimensionales Vollidiotenarschloch, na klasse. Ich hätte es mir gestern vielleicht doch verkneifen und einmal meinen Kopf über meinen Schwanz siegen lassen sollen, dann wäre ich nicht in diesem Dilemma.

Verdammt aber auch, verflucht sei das Leben.

„Morgen Leon.“ Silvan war zwar noch irgendwo im Halbschlaf, lächelte aber trotzdem glücklich vor sich hin und drückte mir einen Kuss auf die Wange, als hätte er mich seit Wochen nicht mehr gesehen.

Mein schlechtes Gewissen lachte mich hämisch aus und ich zwang ein nicht ganz überzeugendes Grinsen auf mein Gesicht. Ich konnte es ihm einfach nicht dreist ins Gesicht sagen, dass er für mich nur ein Kerl gewesen war, dem man benutzt hatte, weil kein anderer in der Gegend herumgestanden hatte.

Es ging einfach nicht, ich brachte es nicht übers Herz, wahrscheinlich zum ersten Mal im Leben. Sonst konnte ich so gnadenlos ehrlich sein, dass deswegen schon einige Mädchen geheult hatten – mein Gott, ich durfte ihnen ja wohl sagen, dass sie hässlich wie die Nacht waren, wenn sie sich an mich heranmachten und ich das nicht wollte.

Silvan näherte sich mir noch ein bisschen mehr, falls das überhaupt möglich war, so wie er völlig verknallt auf mir hing, und ich hätte ihn am liebsten genervt zur Seite geschoben und ihm erklärt, was eigentlich Sache war.

Freundschaft jein, Liebe kein bisschen, Sex von mir aus, obwohl ich ungerne mit einem Kerl öfter schlief, zum Schluss verstand der das falsch und wollte wirklich was von mir.

Aber ich ließ es über mich ergehen, selbst als er mir anfing zu erzählen, wie glücklich er doch war, dass ich seine Gefühle erwiderte und dass er mich ganz sicher nicht mehr hergeben würde und weiteres unnützes Dummgeschwafel, bei dem ich mich zeitweilig fragte, ob sich Silvan nur als männliches Wesen tarnte und in Wirklichkeit Silvia hieß.

So ein schwules Gefasel hatte ich bis jetzt nie erlebt, ich hatte nicht einmal geahnt, dass Jungs zu solchen Äußerungen fähig waren.

Vielleicht sollte ich aufhören, immer von mir auf andere zu schließen, bei Silvan funktionierte das nämlich gar nicht; wie gesagt, richtige Gemeinsamkeiten hatten wir eigentlich nicht, besonders bei unseren Charaktereigenschaften.

Ich warf einen Blick auf die Uhr auf seinem Nachttisch. „Komm, lass frühstücken gehen, bald müssen wir los.“ Klang dumm, aber ich hatte mich schon seit Langem nicht mehr so gefreut, in die Schule zu müssen. Dort konnte Silvan seine kranken Verliebtheitsanfälle nämlich nicht gnadenlos ausleben, besonders nicht während des Unterrichts.

„Wir können auch schwänzen“, schlug er vor und versuchte mich mit seinem Blick zu hypnotisieren. Klappte allerdings nicht, er brachte mich damit höchstens fast zum lachen, wenn die Lage nicht so unangenehm für mich gewesen wäre.

Ich wollte das alles nicht, verdammte Scheiße!

„Nein.“ Zu mehr äußerte ich mich nicht, sein leises Seufzen verriet mir, dass er verstanden hatte und mich nicht weiter überreden würde.

Während des Anziehens und beim Frühstück wich er mir kaum von der Seite, was ich besonders störend fand, da sein jüngerer Bruder noch mit uns am Küchentisch hockte und die Welt nicht mehr verstand.

Musste auch ein seltsames Bild abgeben, wie sein Bruder wie ein beklopptes Mädchen an mir klebte, meine Hand nicht mehr loslassen– wie sollte ich unter diesen Bedingungen mein Brötchen schneiden? Hallo? – und mich dauernd küssen wollte.

Er ging mir echt auf den Sack, ich stand kurz davor ihn anzufauchen, wie er auf die Idee käme, mich so zu belästigen, bis mir wieder einfiel, dass ich selbst schuld daran war. Mein innerer Konflikt spitzte sich von Minute zu Minute zu.

Der Weg zur Schule war furchtbar peinlich; Silvan konnte seine Gefühle einfach nicht unter Kontrolle halten und alle Schüler im Bus sahen uns teils entsetzt, teils belustigt an, während ich so tat, als machte mir das alles nicht aus, und in Gedanken Silvan den Hals umdrehte und ihn zum Mond schoss.

„Jetzt hör doch mal auf!“, platzte es schließlich aus mir heraus, als ich auf der Hälfte der Strecke zwischen Fenster und ihm so eingeengt war, dass ich mich wie in einer verfickten Konservendose fühlte.

Er sah mich an, als hätte ich ihm eine geknallt und ihn als ein absolut unnötiges Objekt bezeichnet; Alter, Mädchen konnten rumflennen, ohne dass es mich störte und er schaffte es, dass ich mir schon wieder mies vorkam. Dabei hatte ich nur meine persönliche Meinung geäußert, zu Recht!

Er rückte ein wenig von mir ab und richtete den Blick auf den dreckigen Boden vor dem Sitz, anscheinend befürchtete er, ich könnte noch nachlegen, wenn er mich auch nur ansah.

Na danke, jetzt wurde ich von ein paar Mädchen, die in der Nähe unserer Platze standen, gemustert, als wäre in ein Untier. Hallo, ich war hier das Opfer!

Das Opfer meiner eigenen Dummheit.

Was hätte ich nicht alles gegeben, um die letzte Nacht aus seinem und meinem Gedächtnis streichen zu können.
 

In der Schule wurden wir natürlich sofort Gesprächsthema Nummer eins, kaum dass wir zusammen ankamen und Silvan, der sich inzwischen etwas gefangen hatte, sich wieder an mich schmiegte, als wäre er ein Kätzchen.

Ich unterdrückte ein gereiztes Brummen und betete, dass der Unterricht schnell begann, damit ich mich in meinen eigenen Klassensaal zurückziehen konnte, da wir die ersten drei Stunden getrennte Kurse hatten.

„Sag mal, hab ich was verpasst?“ Lars kam in der kurzen Pause zwischen der ersten und zweiten Stunde zu mir an meinen Tisch und lehnte sich gegen die Kante.

„Hm?“ Vielleicht den schlechten Sex zwischen Silvan und mir, die unpassende Liebeserklärung, die unschöne Wendung heute Morgen, aber sonst nichts, was ihn interessieren musste. Das Thema Silvan würde ich so schnell wie möglich zu beenden versuchen, lange hielt ich das nämlich nicht aus, diese Aufdringlichkeit und das Süßholzgeraspel von ihm. „Schon irgendwie.“

„Und?“ Lars, der Mann der wenigen Worte. Aber verständlicherweise wollte er mehr erfahren.

„Ach, alles scheiße.“ Vor allem scheiße gelaufen. Was für ein Vollpfosten ich aber auch war, unbeschreiblich.

„Warum?“

„Weil halt, ich erzähls dir später, okay?“ Hier belauschten uns nämlich fünfzehn neugierige Menschen, die unbedingt wissen wollten, aus welchem verrückten Grund ich endlich mal mit einem Kerl zusammen war.

Wie gesagt, ich war nicht schwul und hatte es auch nicht vor, noch zu werden.

Er zuckte mit den Schultern, was man entweder als halbe Zustimmung und Gleichgültigkeit auslegen konnte und verschwand zurück zu seinem Platz und zu seiner Freundin.

Wenn Silvan sich nur ein kleines Beispiel an Lars nahm und nicht dauernd ohne Pause die Klappe aufriss, wäre ich ihm schon sehr dankbar.

Den ganzen Tag ging ich Silvan so gut und unauffällig wie es mir möglich war aus dem Weg und als er mich nach dem Unterricht wieder zu sich nach Hause holen wollte, wehrte ich das ab. Mit der schlechten Begründung, meine Mutter würde sich sonst Sorgen machen.

Das tat sie sowieso andauernd, bei meinem Lebenswandel kein Wunder.

Endlich allein und ohne anhängliche Begleitung ging ich nach Hause, musste mir dort eine Predigt von meiner Mutter anhören, da ich ihr gestern nicht Bescheid gesagt und sie sich deswegen riesige Sorgen gemacht hatte, und verschwand in mein Zimmer.

Entweder setzte ich mich nun an die Hausaufgaben und spielte den tollen Musterschüler vor, der ich nicht war, oder plante, wie ich aus der unfreiwilligen Beziehungsnummer mit Silvan entkam.

Zum Schluss tat ich weder das eine noch das andere, sondern gammelte auf meinem Bett, probierte mir mit TV auf niedrigstem Niveau das Hirn aus dem Kopf zu saugen und fluchte die ganze Zeit über mein eigenes Unvermögen.

Wer war denn auch zu dumm, um offen dazu zu stehen, dass man außer Sex nichts von seinem Gegenüber wollte? Anscheinend nur ich; aber auch nur heute.

Mein Gott, wenn das so weiter ging, klammerte Silvan noch in zehn Jahren an mir und ich schaffte es dann immer noch nicht, ihn loszuwerden.

Grausige Vorstellungen, ich musste handeln.

Mein Handy klingelte; als mögliche Anrufer kamen nur Lars und Silvan in Frage, sonst rief mich nie jemand an, denen reichte es, wenn sie mich in der Schule oder an anderen Orten sahen.

„Ja?“ Hoffentlich merkte man mir an, dass ich absolut keinen Bock auf Gelaber hatte, immerhin musste ich noch etwas vor mich hin leiden und selbst bemitleiden.

„Leon?“ Oh nee, mein Zukünftiger, auf den konnte ich ja so was von verzichten, das glaubte der kaum. „Kann ich vorbei kommen?“

Hielt er es nicht ohne mich aus? Armes Ding, wir waren ja auch schon so lange getrennt. Genau eine Stunde und vierzehn Minuten, wie schrecklich. „Wenns sein muss...“ Auf Deutsch: Bleib weg und wag es nicht, mir auch nur SMS zu schicken.

„Ich nerv dich etwas, oder?“ Er klang geknickt, aber wenigstens schien er es zu checken. „Aber ich freu mich halt so... dass du mich auch liebst.“

Los, ich musste es ihm sagen, am Telefon war es zwar verdammt arschlochmäßig und feige, aber die Situation bot sich dazu an wie eine Nutte am Straßenrand.

Kranker Vergleich.

„Aha.“ Es war endpeinlich, aber ich brachte es wirklich nicht übers Herz. Silvan wäre am Boden zerstört und so wie ich ihn kannte, würde er tagelang durchgängig heulen, immerhin plante er schon fast eine Hochzeit samt Flitterwochen mit mir.

Verdammt, verdammt, verdammt! „Freut mich.“

„Ich komm jetzt vorbei, bis gleich.“ Die gute Laune spürte ich durch das Handy hindurch.

Moment, was für eine Logik verfolgte der Junge? Besaß das Ganze überhaupt eine? Wenn ja, wo lag sie bitte versteckt? Und warum fragte er mich um Erlaubnis, wenn er meine Antwort trotzdem dreist ignorierte?

Seufzend drehte ich mich auf den Bauch, raufte mir in stiller Aggression die Haare, schimpfte auf alles, was mir in den Sinn kam und fragte mich, wie viel es kostete, seine Identität zu ändern.

Eine Viertelstunde später stand Silvan in meinem Zimmer; kaum dass er den Fuß über die Schwelle gesetzt und seine Jacke auf den Boden geworfen hatte, schaffte er es nicht mehr, die Finger von mir zu lassen. Plötzlich lag ich nämlich nicht mehr allein auf meinem Bett, sondern wurde ziemlich an die Kante gedrängt und drohte hinunter zu fallen.

Aus purem Egoismus hätte ich Silvan gerne selbst auf den Boden befördert, aber er rollte sich zusammen, kuschelte sich an mich und setzte sein liebstes Lächeln auf, bei dem sich so viele Mädchen ärgerten, weil so ein Kerl schwul war.

Mich bezauberte er damit garantiert nicht, das gelang einem bei mir mit ganz anderen Mitteln.

„Ich liebe dich“, flüsterte er mir immer wieder ins Ohr und schien auf eine Rückmeldung zu warten. „Ich liebe dich schon so lange, Leon, das glaubst du gar nicht.“

Doch, ich hatte es schon am ersten Tag, als wir uns kennen gelernt hatten, gemerkt, dass da irgendwas nicht stimmte. Vor mindestens eineinhalb Jahren; seitdem lebte ich mit einem persönlichen Fan an der Backe, bei dem immer die Sonne aufzugehen schien, wenn ich in seine Nähe kam.

„Du bist das Wichtigste in meinem Leben.“ Seine Hand stahl sich unter mein T-Shirt.

„Ohne dich ist alles irgendwie ziemlich sinnlos, weißt du das?“

Junge, bitte, hör auf damit, du machst mich wahnsinnig mit diesem emotionalem Gequake, das ich nicht erwidern kann und will. Ich steh nicht auf Kerle, egal wie feminin sie aussehen oder sich geben!

„Hm.“ Als Antwort sollte ihm das genügen, zu mehr würde ich mich nicht hinreißen lassen. Für ihn log ich hier nicht herum.

Vorsichtig setzte sich Silvan auf, beugte den Kopf zu mir hinunter und küsste mich auf den Mund, wobei ich mal wieder in den Genuss der Metalldrähte kam. Wenn die endlich raus waren, würde ich feiern, diese Fremdkörper waren einfach nur widerlich.

Kaum hatten wir den Kuss beendet, zog ich Silvan das T-Shirt aus und tat dasselbe bei seiner Hose.

Etwas verlegen ließ er das über sich ergehen – bei unserem ersten Mal hatte ich ihn schließlich wegen der Dunkelheit nicht gesehen – und wollte denselben Prozess bei mir fortführen, doch das ließ ich nicht zu, das tat ich wenn schon selbst.

Silvan zitterte bei jeder meiner Berührungen und ich musste mich zurückhalten, um nicht spöttisch zu fragen, ob er fror. Es reichte, dass ich ihn jetzt fickte und ihn in dem Glauben ließ, dass ich das tat, weil ich ihn liebte.

Das einzig Positive an diesem Müll: Es gab immer jemand, mit dem man ins Bett steigen konnte.

Obwohl es ihm eindeutig peinlich war, machte Silvan keinen plötzlichen Rückzieher und genoss schließlich sogar, was ich mit ihm anstellte; so sollte es auch sein. Seine anfängliche Scham verzog sich ein wenig und er schaffte es sogar, mir in die Augen zu sehen, während ich an ihm rumtastete, als wäre er absolutes Neuland für mich.

Ich durfte nur nicht länger darüber nachdenken, warum er das so widerstandslos über sich ergehen ließ; die Wahrheit brachte ihn um, das ahnte ich.

Als ich in ihn eindrang, krallten sich seine Hände so fest um meine Schultern, dass ich befürchtete, noch Wochen später Abdrücke von den Fingernägeln in meiner Haut zurückzuerhalten, aber dafür fühlte ich mich endlich von meinem nervigen Drang erlöst, den ich an Silvan ausgelassen hatte.

Nein, schlechtes Gewissen, verzieh dich, keiner will dich haben, vor allem ich nicht. Alles eine Fügung unglücklicher Zufälle, die mir einen willigen Jungen zugespielt hatte, dem ich nun die große Liebe vorgaukeln musste, ohne es explizit auszusprechen.

Und schon wieder dachte ich an das, woran ich nicht denken wollte. Ich war doch dumm im Kopf.

Silvans erhitzte Wange drückte sich aufmerksamkeitssuchend an meinen Hals und beförderte mich in die Wirklichkeit zurück; er wartete wohl mal wieder auf die drei Worte von mir, die ich ihm nie sagen würde, nicht für sein gesamtes Sparbuch und das seiner Eltern.

Stocksteif wie ein Holzbrett lag ich nun da, übersah mit voller Absicht seinen sehnsuchtsvollen Blick und starrte stattdessen abwechselnd an die Decke und an die Wand. Die musste auch mal neu gestrichen werden. Vielleicht sollte ich das als Vorwand nehmen, um Silvan nach draußen zu befördern? Kam auch gar nicht verdächtig rüber oder so, nein, kein bisschen.

Seufzend rang ich mit mir selbst, wie ich mich nun am besten verhielt, um ihn nicht wieder so herzlos wie heute Morgen zu verletzen – zu was für einen guten Menschen mutierte ich nur? –, rollte mich schließlich seufzend auf die Seite und blickte ihm direkt ins Gesicht.

Dort sah ich all das, womit ich nichts anfangen konnte: Freude, Nervosität, auch ein Teil Erschöpfung und diese verdammt erschlagende Masse an Zuneigung, an der ich immer noch stark zu knabbern hatte.

Verdammter Trottel, er sollte mich hassen und nicht lieben, aber bis ich das erreichte hatte, wäre das Jahrhundert wohl um oder er in einem andauernden Anfall von Trauer eingegangen.

Wir lagen bestimmt noch eine halbe Stunde auf meinem Bett herum, schauten uns nur an, sprachen kein Wort und hofften insgeheim, dass meine Mutter nicht zufällig hineinplatzte und einen kleinen Nervenzusammenbruch erlitt, wenn sie uns so sah.

Sie wusste zwar, in was ich öfter verwickelt war, hatte es aber noch nie live vor ihrer Nase erlebt, worauf ich auch nicht besonders scharf war. Solche Eindrücke verwehrte ich ihr lieber auf der Stelle.

Irgendwann wurde es mir zu dämlich und vor allem zu kühl, ich griff nach meinen Klamotten, streifte sie mir über und wartete ungeduldig, dass Silvan dasselbe tat und vielleicht auf die Idee kam, dezent zu verschwinden, um mich mein Leben ohne ihn leben zu lassen.

„Darf ich bei dir übernachten, Leon?“

Pustekuchen, nichts gabs. Er merkte wirklich nicht, wie ungern ich ihn länger als nötig in meiner Nähe aushielt, das war wirklich bedenklich. Seine kranke Verliebtheit machte ihn wohl für jedes noch so deutliche Anzeichen blind.

„Muss ich erst abklären.“ Oder zumindest behauptete ich das, um die angebliche Bosheit meiner Mutter als Alibi zu nutzen. „Wart mal, ich komm gleich wieder.“ Ich stand schon fast an der Tür. „Und zieh dir was an, okay?“ Ich klang schon wieder so gereizt, das ließ sich gar nicht unterdrücken. Sein kindisches Benehmen ging mir zu sehr auf den Zeiger als dass ich noch länger ruhig bleiben konnte.

Statt zu meiner Mutter zu gehen und sie ernsthaft zu fragen, blieb ich einfach eine Minute im Flur stehen, kehrte dann wieder zurück und verkündete ihm dreist, dass sein kleiner Wunsch sich nicht erfüllte, da meine Mutter aus irgendwelchen weiblichen Gründen nicht damit einverstanden war, ihn bis morgen früh hier frei rumhüpfen zu lassen.

Zerknirscht strich er sich sein T-Shirt glatt, das er sich in der Zwischenzeit wieder übergezogen hatte, und schaute mich bittend an; er wollte wohl seine nötige Portion Kuscheln bekommen, doch ich hatte darauf nun wirklich keine Lust, das musste er akzeptieren.
 

Irgendwie hatte ich das böse Gefühl, dass seine Anhänglichkeit von Tag zu Tag zunahm, sodass ich kaum noch einen Schritt ohne ihn an meiner Seite klebend ausführen konnte. Er steigerte sich wirklich extrem in diese 'Beziehung' hinein, es gruselte mich einfach nur noch. Fehlte nur, dass er aus Protest, weil er nicht permanent bei mir oder ich bei ihm schlafen konnte, vor unserer Haustür campte oder sich auf dem Rasen sein neues Heim einrichtete.

Ich traute es ihm zu und es störte mich fürchterlich. Der sollte sich ein Leben mit Hobbies und Freunden zulegen und nur ab und zu bei mir vorbeischneien und sich von mir nehmen lassen, aber für mehr fehlten mir einfach die Nerven und vor allem die Gefühle. Aus dem Nichts konnte ich die nicht zaubern und sah auch keinen Grund, wieso überhaupt.
 

Ich saß bei Lars zuhause auf dessen Bett, neben mir besagter Kumpel, der gerade am Handy von einer aufdringlichen Verehrerin, die seit Tagen nicht locker ließ, pausenlos zugetextet wurde, und auf meiner anderen Seite... hing meine persönliche Klette, grinste glücklich, hatte eine Hand vorsichtig auf mein Knie gelegt und erzählte mir gerade tiefgründige Erlebnisse aus seiner noch gar nicht so weit entfernten Kindheit. Allerdings bekam ich die nur am Rande mit, da es mich nicht sonderlich interessierte, wie oft er sich mit seinen Inlinern früher aufs Maul gelegt hatte, stattdessen wollte ich, dass Lars die Monologführerin wegdrückte und sich wieder uns zuwandte. Oder eher mir, mit Silvan kam er nicht so gut zurecht, der quasselte ihm dafür zu viel, das verwirrte Lars immer ein wenig. Er gehört einfach zu der schweigsamen Sorte.

Lars und ich hatten uns in letzter Zeit nur selten wirklich gesehen und wenn dann nur in Begleitung von Silvan, was mir nicht gefiel; ich brauchte endlich mal Zeit zum Durchatmen und vor allem einen Lars, der mit mir die Lage analysierte und mit vielleicht einen kleinen Tipp gab, wie ich heil wieder aus meiner selbstverschuldeten Dummheit herauskam.

„Leon, hörst du mir zu?“, unterbrach Silvan plötzlich seine totspannende Erzählung über einen seiner zehntausend Unfälle und zwickte mir etwas unsanft in die Seite. Anscheinend hatte ich etwas zu abwesend ausgesehen, um nicht aufzufallen, verdammt. „Ich kann es auch lassen, wenn du es zu langweilig findest.“

„Passt schon.“ Ich konnte ihm schlecht sagen, dass es mir am liebsten wäre, wenn er den Schnabel hielt und dezent Lars' Haus verließ, damit ich echte Männergespräche mit diesem führen konnte. Das wäre zu bösartig gewesen.

„Endlich.“ Seufzend drückte Lars die kleine rote Taste und warf das Handy erleichtert in die andere Ecke des Zimmers; das Mädchen auf der anderen Seite der Leitung hatte entweder genug geschwatzt oder ihre Handykarte hatte sich soeben von ihr verabschiedet. Im Endeffekt juckte es mich kein Stück, Hauptsache Lars war wieder präsent und rettete mich dadurch vor Silvans Redefluss.

„Ist sie tot?“ Diese makabere Frage konnte ich mir nicht verkneifen; Silvan schien sie nicht so lustig zu finden, zumindest sprach sein Blick Bände. Aber Lars ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen, er kannte meine nicht unbedingt ethisch korrekten Zwischenfragen bei nervigen Mädchen.

„Noch nicht. Aber wenn sie immer ohne zu atmen eine Stunde redet, wird das irgendwann passieren.“ Unglücklich machte ihn diese Möglichkeit augenscheinlich nicht, ich verstand das sehr gut. „Ist ja auch egal.“ Das sichere Zeichen, dass er gerne das Thema wechseln wollte. „Was machen wir?“

„Zocken“, beschloss ich im Alleingang. Ich durfte das, ich war hier schon oft genug gewesen, um darauf ein Recht zu haben. Gerne hätte ich noch beschlossen, Silvan zu knebeln und in den Schrank zu stecken.

„Geht klar.“ Zielsicher holte Lars seine zwei Controller aus einer Schublade und drückte mir aus Gewohnheit einen in die Hand; Silvan ging leer aus, zeigte aber nicht, dass es ihn extrem störte.

Den Grund dafür merkte ich schon bald: Jetzt fummelte er nämlich schamlos an mir herum, weil ich mich auf das Spiel konzentrieren musste und nicht nach ihm schlagen konnte. Augen zu und durch, sobald er mir zu sehr auf den Sack ging, hatte ich immer noch einen Mund, der ihn anschreien wollte.

Eine Hand an meinem Nacken, eine an meinem Bauch unter meinem Shirt; der war anhänglicher als jede Klette der Welt. Sicher wunderte sich schon Lars über das seltsame Theater neben ihm. Normal war das nicht für meine Verhältnisse.

„Leon, ich muss bald gehen, ich muss noch für die Klausur morgen lernen“, murrte Silvan nach einer halben Stunde, in der sich nur der Hintergrund auf dem Fernseher geändert hatte. Da brauchte jemand fett Aufmerksamkeit von mir, die ich ihm aber gerade nicht geben wollte. Zocken machte mehr Spaß als pseudosüßes Rumgeschmuse mit meinem Zukünftigen.

„Hörst du mir zu?“ Ein Zupfen an meinem Oberteil verstärkte die Aussage. Meine Fresse, ich war nicht blind und taub! Nur unmotiviert, mich mit ihm zu befassen.

„Ja, Silvan, ich mach gerade was, siehst du doch.“ Leon der ignorante Arsch Teil 536 oder so ähnlich. Sicher saß der Teufel höchstpersönlich auf meiner Schulter und lachte sich tot.

Genervt über die unnötige Diskussion neben ihm aktivierte Lars die Pause im Spiel, damit wir uns aussprechen und dann still sein konnten. Ihm gelang es nicht zu verbergen, wie wenig Silvan mit seinem Plappermaul ihm zusagte.

Als sich Silvan endlich mit schwerem Herzen von mir verabschiedet und das Haus verlassen hatte, feierte ich innerlich meine persönliche Houseparty und genoss es endlich richtig, meine Freizeit mit Lars statt mit Silvan zu verbringen. Einfachheit schlug halt Kompliziertheit um Längen und Lars ging niemanden auf den Geist.

Der wollte nur sein Leben leben und hielt sich aus den meisten Angelegenheiten heraus; er beobachtete es lieber von Weitem.

„Also, wie soll das jetzt weiterlaufen?“, fing er plötzlich an; er merkte, dass mich dieser ganze Abfuck ziemlich beschäftigte, und fühlte sich nun ein bisschen gezwungen, mir zu helfen. „Du liebst ihn nicht, stimmts?“

„Nee, nie im Leben, ich bin nicht schwul.“ Und würde es auch nie werden, das stand fest. „Weißt du doch.“

„Aber du willst mit ihm in die Kiste.“ Lars formulierte seine Feststellungen so nebenbei und sachlich, dass es fast schon lustig klang, wenn es nicht üble Realität gewesen wäre.

„Ich will es nicht unbedingt… es ergibt sich halt irgendwie immer.“ Und es war so widerlich verlockend, ich musste ihn nicht bestechen, ihn nicht dafür abfüllen, er warf sich mir ja freiwillig aufs Bett und wollte von mir gefickt werden.

„Willst du das alles wirklich?“ Souverän hämmerte Lars auf seinen Controller ein; genauso trafen mich auch seine Worte.

„Nein“, gab ich ehrlich zu. Allein die Vorstellung, jeden Tag diese übertriebenen Liebeserklärungen an den Kopf geknallt zu bekommen, schreckten mich unglaublich ab. „Ich will ihn nicht dauernd küssen. Ich will nicht dauernd von ihm begrabbelt werden. Sex ist okay, er hat halt keinen Plan davon. Ach, ist doch alles Scheiße. Aber wenn ich ihm jetzt nen Korb gebe, geht der mir kaputt und ich bin schuld.“ Bah, was für eine unschöne Situation, ich hätte schon wieder ausrasten können, weil Lars ungeschönt meine wahren Gedanken über das alles aus mir herausgekitzelt hatte.

„Du hast recht, klingt übel.“ Er fluchte leise, weil er seine Figur ausversehen gekillt hatte, und schaute mich zum ersten Mal heute direkt an. Bitte keine Psychospielchen, das hielt ich nicht aus. „Tu was, sonst schadest du euch beiden.“

„Und was denn? Ihn abknallen, damit Ruhe ist?“ Geile Lösung, die Polizei würde sich freuen über den Fall mit dem schlechtesten Tatmotiv des Jahres. „Super, ruiniert nur mein dummes Leben.“

„Nennt sich Wahrheit, hat bis jetzt immer geholfen, Leon.“ Unsanft stieß er mir mit seinen Ellbogen in die Seite. „Wenn du es zugibst, bist du ein Arschloch, das ist klar. Aber wenn du ihn belügst und was vorspielst, bist du ein größeres Arschloch, okay?“

Ja, er hatte ja leider Recht, mit einem guten Gefühl kam ich aus der aus Blödheit selbstverschuldeten Zwickmühle nicht mehr raus.
 

Die Tage verstrichen quälend langsam und ich schaffte es nicht, einen Schlussstrich zu ziehen; dabei wäre nun wirklich die beste Möglichkeit, bevor er sich noch mehr an mich gewöhnte und das Theater später noch größer wurde als es sowieso schon werden dürfte.

Ich saß neben Silvan auf einer halb vertrockneten Wiese am Rand von unserem ziemlich dreckigen See, in dem kein Mensch mehr freiwillig baden ging, und ließ mich von der Sonne verkohlen. Eigentlich hockte ich ja auf einem kleinen Deckchen und wurde zum Picknick gezwungen, aber das war zu gestört, um auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Wie unmännlich wurde Silvan denn noch? Hatte das nicht bald die Grenze zum schlechten Geschmack durchschlagen oder herrschte im Erdboden unter dem Niveau wirklich noch Platz für ihn?

Ich wusste es nicht, auf jeden Fall stresste es mich extrem, irgendwelche Muffins oder Schokokekse oder sonst was in mich reinzufressen, weil er sonst keine Hobbies hatte. Das war peinlich, hoffentlich sah uns keiner, sonst brauchte ich eine gute Erklärung, warum ich die Scheiße mit mir machen ließ; Picknick und ich vertrugen uns nicht so gut.

Mein angeblicher Freund bemerkte natürlich wieder nicht meine wahren Gefühle ihm gegenüber – er schien sich permanent Tomaten auf die Augen zu klatschen, das spürte man doch fast! –, sondern erfreute sich an seinem verdammten Pussyessen und der hässlichen Landschaft und war an sich wieder widerlich fröhlich.

Nein, ich hatte nichts gegen Menschen mit guter Laune, nur, wenn sie mir damit 24 Stunden ununterbrochen auf den Nerv gingen wie dieses Exemplar hier. Irgendetwas musste ich tun, um das hier zu beenden, sonst gab es nachher hier einen spontanen Mord und das wollte ich ihm dann doch nicht antun.

Wir sollten einfach getrennte Wege gehen, dann hatte sich die Sache erledigt; aber davor wollte ich ihn noch einmal vögeln, sozusagen als Ausgleich für diese Tortur, die ich seit Tagen ertrug ohne ihm eine zu klatschen. Nicht die netteste Art, ihn durchzunehmen und fallenzulassen, aber er würde mich sowieso hassen, da interessierte das auch keine Sau mehr.

„Willst du noch Cola?“, fragte er mich, während er in seinem Korb, den er den ganzen Weg mit sich mitgeschleppt hatte, nach den Plastikbechern suchte. „Hab auch Sprite oder Eistee oder…“

Sein überflüssiges Gelaber hielt ich nicht mehr aus, weswegen ich ihn auf seine dumme Decke drückte und abwartet, wie er darauf reagierte. Zu etwas zwingen wollte ich ihn ja nicht, so lief das hier nicht, aber ich musste ihm schon mal klar machen, dass ich mehr wollte als mich vollfressen. Und gerne auch direkt hier an diesem Wasserloch namens See.

„Was hältst du davon, wenn du mir einen bläst?“, schlug ich ihm vor; darauf hatte ich wirklich Lust, dann hatte das Rumsitzen sogar einen Sinn.

Wie versteinert schaute er mich an, als hätte ich gerade einen extrem dummen Gag gemacht, aber ich meinte es ernst. Musste ich ihm das erst demonstrieren, indem ich ihn hier auszog?

„Das geht nicht, Leon, wenn wer vorbeikommt, sind wir geliefert.“ Heftig schüttelte er mit dem Kopf. „Vielleicht zuhause, aber nicht hier…“

Auf solche Ausreden hatte ich keinen Bock; ich verwickelte ihn von mir aus – völlig untypisch für mich – in einen etwas missglücken Zungenkuss, weil er erst vor Überraschung gar nicht reagierte, aber als er endlich darauf ansprang, ließ er gar nicht mehr locker. Wenn mein Plan aufging, setzte ich am Schluss doch meinen Willen durch, Silvan konnte man irgendwie immer knacken, man musste sich nur halbwegs geschickt anstellen.

Spätestens als er kaum noch verstecken konnte, dass er ziemlich erregt war von dem bisschen Rummachen, klopfte ich mir innerlich stolz auf die Schulter und flüsterte ihm gleichzeitig leise ins Ohr, wie toll es nun wäre, wenn er meinem Wunsch nachgehen könnte. Einschleimen und sich verstellen half in solchen Situationen immer am meisten.

Wie benebelt nickte er – hatte er eben nicht noch einen ziemlichen Aufstand veranstaltet? – und begann, sich an meiner Hose zu schaffen zu machen. Ja, wir befanden uns immer noch am See und ja, ich war ein Arsch; aber das sollte inzwischen bekannt sein.

Silvan hatte mal wieder keine Ahnung, was zu tun war, so zögerlich wie er an mir leckte und immer wieder unschlüssig aufhörte. Da wäre es schneller gegangen, wenn ich mich selbst zum Höhepunkt gebracht hätte. Das frustrierte mich mal wieder.

Aus diesem Grund erlöste ich ihn von seiner unerfüllbaren Aufgabe, nur um ihn im nächsten Augenblick auf den Bauch zu rollen und auszuziehen. Er protestierte natürlich ein wenig, immerhin konnte uns hier jeder zusehen, wenn derjenige Lust dazu hatte, aber das störte mich nicht. Genug Menschen hatten mich schon nackt gesehen, da kam es auf einen oder zwei auch nicht an.

Kaum drang ich mit einem Finger in ihn ein, waren seine Zweifel wie weggewischt und er jammerte fast, bis ich endlich ganz in ihm war; wie ein kleines Kind, der wurde bestimmt nicht mehr erwachsen.

Ich stieß immer heftiger in ihn und er schrie dabei immer lauter auf; er hatte längst vergessen, dass und hier jeder Vogel als Liveporn benutzen konnte, aber was kümmerte es mich? Öfter mal was Neues, dem See gefiel es sicher genauso.

Endlich fühlte ich mich vollkommen befriedigt, immerhin wusste ich, was ich wollte und wie ich es erreichte, Silvan hatte noch sehr viel zu lernen, wenn er nicht dauernd unsicher auf gut Glück etwas austesten wollte.

Ich zog mich wieder an, versuchte ihm zu entgehen, da er sich mal wieder an mich drückte, als hätte er mich wochenlang nicht gesehen, und beschloss, nun böse und schmerzvoll das Ende unserer angeblichen Beziehung einzuläuten.

„Silvan, ich muss dir noch was sagen.“ Ich hatte keine Ahnung, wie ich es am besten formulierte. Erwartungsvoll sah er mich an, er machte es mir keine Spur leichter, der Vollidiot.

„Ich liebe dich nicht, ich hab nur mit dir geschlafen, weil ich gerade Bock drauf hatte und kein anderer in der Nähe war. Sorry, aber wir sollten es lieber bleiben lassen und getrennte Wege gehen.“ Ich wartete darauf, dass er mich anschrie, mir eine runter schlug und dann davon rannte, aber nichts geschah.

Er saß einfach wie betäubt da und fing an zu weinen.

ZWISCHENSTÜCK

Sky grinste mich an. „Und, hats dir gefallen?“

Ich nickte, zu mehr fühlte ich mich gerade nicht an der Lage. Es war wirklich eine ganz neue Erfahrung gewesen, anders als Sex mit den Mädchen bisher, weil ich den passiven Part übernommen hatte, aber wenn ich das hier jemals wiederholen würde, wäre ich doch lieber der Führende.

Bei Sky war das in Ordnung, er war älter und erfahrener als ich, aber noch einmal würde ich bestimmt nicht mit ihm schlafen, das wäre sonst extrem merkwürdig. Vor allem bestand immer noch die Gefahr, dass er auf mich stand…

Wir lagen noch eine halbe Ewigkeit auf dem Bett – ich ignorierte den Fakt, dass ich es gerade auf Lars' Bett mit seinem Bruder getrieben hatte – und er hielt mich fest, machte aber immer noch keinen Versuch, mich zu küssen; das beruhigte mich, es bedeutete, dass das Ganze wirklich ohne irgendwelche Gefühle abgelaufen war.

Fast wäre ich eingepennt, weil ich so müde und Sky so gemütlich war, doch wenn Lars uns zufällig erwischte, wäre das der Epic Fail des Universums.

Das würde er mir nie verzeihen. Sein Bett war ihm heilig.

Vorsichtig schob Sky mich schließlich von sich weg, grinste noch einmal wissend und stand dann auf; streckte mir seine Hand als Aufforderung hin, es ihm gleichzutun. Da dachte jemand noch mit, fand ich gut, obwohl ich gerne liegen geblieben wäre.

Etwas desorientiert torkelte ich hinter Sky wieder zu den anderen, die inzwischen auch halb pennten, sogar Peter quasselte nicht mehr am laufenden Band. Was für eine Seltenheit.

„Das war heute was Einmaliges, okay?“, flüsterte Sky mir ins Ohr. Total unnötig, uns hörte sowieso keiner zu, er hätte es also auch durch den ganzen Raum schreien können. Ich nickte nur dumm, froh darüber, doch noch einmal aus der Sache heil herausgekommen zu sein.

So endete mein erstes und einziges Mal mit Sky und dafür begann für mich ein ganz neuer Weg, wie ich meine Freizeit gestaltete. Ich musste ihn noch in zehn Jahren dafür dankbar sein.
 

Von diesem Tag an stieg ich tatsächlich auf Kerle um; nicht, weil ich schwul geworden war, sondern weil ich so wirklich kein Risiko eingehen musste, plötzlich mit einer Armee ungewollter Kinder am Hals meinen Abschluss zu machen. Das wäre echt übel gewesen.

Zwar bedeutete es nicht, dass ich nun ungeschützt durch die Gegend vögelte, ich wollte mir echt nichts einfangen, was ich nachher bereute, aber es befreite mich doch ein wenig. Und bei den Kerlen, die ich davon überzeugte, mit mir in die Kiste zu steigen, war auch zum Glück keiner dabei, der plötzlich mehr von mir wollte und schon eine Beziehung mit mir plante.

Mädchen waren da so schrecklich emotional und steigerten sich in Sachen rein.

Meine Mutter wäre fast gestorben, als sie mich zum ersten Mal mit einem Typen erwischt hatte, irgendeinen Vogel zwei Klassen unter mir, mit dem man für 20 € alles anstellen durfte. Aber ich verstand ihre Reaktion, ich hätte sie wenigstens vorwarnen können, dass ich nun alles abschleppte, was nicht bei drei geflohen war.

Zeitweise hatte ich fast jede Woche einen irgendwo augegabelt, den ich dann auch notfalls im Nachbargarten fickte, aber nie denselben zweimal, erstens war mir das zu langweilig und es bestand die Gefahr, sich eine unerträgliche männliche Klette zu züchten. Mir reichten die weiblichen absolut.

Besonders beliebt machte ich mich mit meiner neuen Vorliebe natürlich nicht, aber ironischerweise fand ich trotzdem immer wieder einen, der neugierig genug war, um auszutesten, wie es war, mit mir zu schlafen. Dass dann immer ich in sie eindrang und alles nach meinem Willen verlief, störte die wenigsten, für sie zählte hauptsächlich die Erfahrung.

Mein Ruf war also in kürzester Zeit extrem zweifelhaft geworden und das alles nur wegen Sky und dieser Party; der wusste nicht einmal, dass er mich inspiriert hatte, aber das war wohl besser so.

Irgendwann hatte meine Mutter genug von meinen nächtlichen Eskapaden mit fremden Kerlen im Holzschuppen – ja, das hatte ich auch schon gebracht –, weswegen sie mich bei einem dämlichen Kochkurs jeden Samstag anmeldete, damit ich ihrer Meinung nach etwas Sinnvolleres tat als rund um die Uhr meinen Trieben nachzuhängen.
 

Schon beim ersten Mal war ich genervt; der tolle Kurs fand am Arsch der Welt statt und die Mehrheit bestand aus kleinen, dummen Mädchen in der Pubertät, die rumkreischten. Die sollten Kochen und nicht mir auf den Sack gehen.

Eigentlich wollte ich direkt wieder heim gehen und meine Mutter verklagen, weil sie mir so einen Müll angehängt hatte, aber ich wusste, dass das fett Ärger geben würde und im schlimmsten Fall Taschengeldkürzung, worauf ich noch weniger Bock hatte; deswegen blieb ich da und ließ mir das Hirn raussaugen.

Die Leiterin, eine alte Schachtel kurz vor scheintot, ging mir schon nach fünf Minuten auf die Nerven, ich floh also in den hinteren Teil dieses ewig langen Küchenkomplexes und hörte ihr nicht zu. Wofür gabs Menschen, die das hier gerne machten, die arbeiteten sicher für mich mit.

„Hast du schon einen Partner?“, fragte mich plötzlich jemand hinter mir; einer der wenigen männlichen Wesen, die es irgendwie hierher verschlagen hatte. Etwas kleiner als ich, Ein Spargel in der Landschaft und wohl freiwillig hier, er schien nämlich nicht so übermäßig genervt wie ich zu sein.

Endlich hatte ich mal Glück, der unterstürzte mich bestimmt gerne.

„Noch nicht…“ Aber das änderte sich hoffentlich gleich, weil er mich sicher nicht so dumm gefragt hätte, wenn er keinen bräuchte.

„“Dann können wir ja zusammen arbeiten.“ Da hatte jemand berechtigte Angst vor den Kreischweibern. „Ich bin Silvan.“

„Leon.“ Mehr brauchte er für den Anfang nicht zu wissen, immerhin sollte er nur für mich mitkochen und nicht gleich meinen Lebenslauf aufschreiben können. Nur leider entpuppte sich der kleine Silvan, der sogar älter als ich war, was ich nicht für möglich gehalten hätte, als extreme Plaudertasche, die keinen Grund sah, nicht gleichzeitig Karotten zu schneiden und mir alles Mögliche über sich zu erzählen.

Das er unglaublich gerne kochte, dass er erst seit Kurzem hier wohnte, wie alt sein Bruder und seine Kanarienvögel waren… Interessant wie die Tageszeitung, am liebsten hätte ich den Pauseknopf gedrückt.

Aber wenigstens musste ich nichts tun, sondern durfte faul rumsitzen und mich von Marcin, der sich auch noch spontan uns beiden angeschlossen und ungefähr genauso produktiv wie ich war, permanent komisch angrinsen lassen.

Ich kannte ihn flüchtig, ich wusste aus Erfahrung, dass er was im Schilde führte. Nur Silvan blickte nicht durch, der ging lieber seiner Dauerbeschäftigung nach und bearbeitete unschuldiges Gemüse.

„Ich weiß, dass du gerne mit Kerlen vögelst“, raunte Marcin mir leise zu, während Silvan am Herd stand, die Gemüsesuppe versalzte und von unserem kleinen Gespräch nichts mitbekam.

„Na und?“ War doch meine Sache, was ich so tat. „Neidisch oder was? Oder willst du auch mal…“ Das ergäbe nämlich erstaunlich viel Sinn; bei Marcin wusste man sowieso, dass er nicht ganz hetero war.

Eine Antwort bekam ich nicht darauf, stattdessen packte er mich am Arm und zerrte mich hinter sich her, raus aus diesem Küchenchaos zur nächsten Toilette. Was für ein super Ort für eine schnelle Nummer, Marcin hätte nichts Besseres einfallen können. Hygiene pur.

Kaum hatte er mich an eins dieser gammlig aussehenden Waschbecken gedrückt, fing er an, mich aufdringlich zu küssen. Da hatte wohl jemand was verwechselt, ich wollte nicht mit ihm rummachen, dafür konnte er sich einen von seinen Freunden schnappen.

Ungeduldig vertrieb ich seine Zunge aus meinem Mund, um ihm klarzumachen, dass ich auf so etwas absolut keinen Bock hatte, und drückte ihn gegen die nächste Fliesenwand. Marcin ließ es widerstandslos mit sich machen, ihm gefiel es wohl, von mir herumgeschubst zu werden.

Wenn jetzt gleich jemand hier hinein kam, hätte derjenige was zu glotzen, man konnte mich nicht jeden Tag an öffentlichen Orten bei so was antreffen, sonst suchte ich mir Plätze, an denen man nicht vielleicht von irgendwelchen Deppen gestört wurde.

Marcin war schon geil, bevor ich ihn halb ausgezogen hatte; da hatte es wohl jemand extrem nötig, das machte die Sache noch lustiger. Für mich, er war mir ziemlich egal, den sah ich sowieso so schnell nicht wieder, außer wenn er sich jetzt immer an Silvan und mich hängte.

Kondome und Gleitgel hatte ich immer dabei, ich rechnete inzwischen mit allem; Marcin fand das eher lustig als beunruhigend, aber der konnte eh nicht mehr klar denken.

Es verlief alles ohne Störung; festhalten, eindringen, zum Höhepunkt kommen und sich wieder anziehen, aus mehr bestand es bei mir nie. Alles andere interessierte mich auch nicht.

„Das war der minimalistischste Sex, den ich je hatte“, kommentierte Marcin seltsam vergnügt und versuchte mich noch ein letztes Mal zu küssen. Fast hätte ich ihn dafür geschlagen, der kapierte es einfach nicht, aber es gab kein nächstes Mal, für das er sich das merken musste.

So ein Volltrottel.

Silvan schien sich gar nicht zu wundern, dass wir zusammen über eine Viertelstunde weggewesen waren; er blickte wirklich nichts im Leben. Marcins dumme Miene konnte man eigentlich nicht falsch deuten.
 

Die folgenden Wochen Kochunterricht gingen mir wie erwartet ziemlich auf die Nerven, aber dank Silvan musste ich mich wenigstens kaum betätigen und meinen Arsch bewegen. Marcin tauchte gar nicht mehr auf, was mich nicht ärgerte, der konnte ruhig nie wieder kommen.

Und irgendwann war auch der dämliche Kochkurs für Bescheuerte beendet und ich davon befreit. Doch Silvan wich danach nicht mehr von meiner Seite, eineinhalb Jahre lang, und mit jedem Monat wurde es eindeutiger, dass er in mich verknallt war.

Dabei hatte ich ihn nicht einmal gefickt.

EPILOG

Ich hätte mich so verdammt befreit und zufrieden mit meinem Schicksal gefühlt, wenn mir mein ultra schlechtes Gewissen nicht so einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte, es meldete sich in letzter Zeit zu oft.

Früher hätte es mir rein gar nichts ausgemacht, wenn irgendwer meinetwegen sich die Seele aus dem Leib geflennt hätte, ich hätte leise in mich hinein gelacht und wäre gegangen.

Heute ging ich auch, aber ohne Lachen, ohne ein affiges Triumphgefühl, ohne Zufriedenheit mit mir selbst; einfach mit dem Bewusstsein im Hinterkopf, gerade jemanden vielleicht bis ans Ende seines Lebens traumatisiert zu haben.

So eine Einsicht ereignete sich bei mir echt nicht oft; ehrlich gesagt heute zum ersten Mal.

Ich ließ Silvan einfach sitzen und zog davon, um wieder alles zu tun, außer ein netter Mensch zu sein. So endete also meine erste Scheinbeziehung mit einem Kerl.

Den ganzen Weg vom See bis zu unserer Haustür über dachte ich an alles, was mir gerade in den Kram passte, nur nicht an die letzten Minuten; ich brauchte Ablenkung von diesem Mist, sofort, und sei es nur durch irgendetwas Dämliches, über das ich mich aufregen konnte. Hauptsache, Silvans verzweifeltes Gesicht und sein furchtbares Heulen verschwand aus meinem Hirn, sonst bekam ich hier tatsächlich Aggressionen und zerlegte den Vorgarten samt Eingangsbereich.

In meinem Zimmer angekommen warf ich den Fernseher an, knallte mich aufs Bett und versuchte, durch den Ansturm von dummen, überflüssigen, und endlos bescheuerten Informationen über die Nichtigkeiten der Welt meine fehlende Aufmerksamkeit auf anderes zu richten. Es klappte sogar für zwei mickrige Stunden, lag bestimmt am „Titten TV“ Programm, wie man diese Tussies dort auch nennen konnte.

Dann rief mich Lars an, um mich nach meinen Fortschritten in Sachen notwendiger Trennung zu fragen und zerstörte meinen fast perfekten Plan. So ein bescheuerter Trottel, sonst wusste er doch auch immer, was er tun und lassen sollte. Nur heute spielte er da nicht mit und telefonierte sogar freiwillig.

„Wie lief es?“ Er klang schon so verboten skeptisch.

„Scheiße“, lautete meine knappe Beichte; und zwar auf allen Ebenen; von mir sollte man so etwas wie Einfühlungsvermögen oder Rücksicht nicht automatisch verlangen, ich besaß es nicht oder versteckte es so gut, dass ich selbst nur selten darauf zugreifen konnte. Ich schob diesen Umstand immer meinem Leben als Einzelkind zu.

Lars seufzte sorgenvoll. Er rechnete wohl mit dem Schlimmsten. „Was hast du getan?“

„Ihn gevögelt und dann mit ihm Schluss gemacht.“ Und inzwischen klang sogar für mich die Wahrheit wie die Tat eines absoluten Idioten, der nur Gemüsebrei im Kopf rumfliegen hatte; und das hatte was zu bedeuten, wenn ich anfing, mich selbst zu kritisieren. Ich hätte es wirklich bei diesem Blowjob belassen sollen, dan n wäre es nur halb so schrecklich für ihn gewesen.

„Was?“ Für den sonst so stillen Lars war es untypisch, mich so anzubrüllen. Langsam wurde meine Lage extrem bedenklich. „Du hast sie nicht mehr alle.“ Und mit diesen Worten beendete er einfach unser Gespräch. Ziemlich überrumpelt starrte ich mein Handy an und überlegte, ob ich zufällig auf eine Taste gekommen war, aber dieses Timing wäre zu perfekt gewesen.

In der ganzen Zeit, in der ich ihn kannte, hatte er nie so radikal gehandelt, egal wie sehr ich mich daneben benommen hatte.

Nun hatte ich es also auch von anderen Personen erfahren, dass ich es voll vermasselt hatte; am liebsten hätte ich aus Frustration in mein Kissen gebissen. Stattdessen richtete ich meinen Blick wieder auf die Moderatorin mit der riesigen und undübersehbar falschen Oberweite und hoffte auf ein kleines Wunder. Es konnte im Augenblick kaum schlimmer laufen.
 

Aus reinem Eigennutzen, weil ich jemanden zur Ablenkung brauchte, der mich hoffentlich nicht einfach so stehen ließ, auch wenn ich mich echt wie der Arsch der Nation verhalten hatte, überkam mich am nächsten Tag der Gedanken, mal wieder bei der Schwatztante Peter vorbeizuschneien. Ich hatte ihn schon verdammt lange nicht mehr gesehen, hoffentlich erinnerte er sich noch an mich. Und hoffentlich hatte ihn Lars noch nicht in irgendeiner Weise mit seiner Meinung manipuliert, die man als Cousin schließlich gerne mal ohne nachzufragen übernahm. Dann wäre ich nämlich aufgeschmissen und hätte den weiten Weg zu ihm umsonst hingelegt; eine halbe Stunde Busfahrt, was meine Laune nicht unbedingt steigerte.

Natürlich wunderte er sich, warum ich unangemeldet vor seiner Haustür stand und mit ihm labern wollte, er vermutete auch, dass es etwas mit Lars zu tun hatte, was ja indirekt auch stimmte. Den genauen Grund kannte er aber nicht.

„Okay, dann komm mal rein“, entschied er dann zu meinem Glück und wenig später saß ich bei ihm im Zimmer; davor war ich noch nie hier gewesen, hatte den Weg auch nur mit Google maps, etwas Glück und einem Passant gefunden. Sonst kam Peter nämlich immer zu Lars, dadurch kannte ich ihn ja auch.

„Ich habs voll versaut.“ Und zwar sowohl bei Silvan als auch bei Lars, so wie es schien. Wie talentiert ich auf einmal wurde, mich sogar bei Menschen, die mich eigentlich mochten, unbeliebt zu machen. „Hat er dir schon davon erzählt?“

„Nein, noch nicht.“ Peter schien hochgradig neugierig auf meine offizielle Auskotzstunde bei ihm zu sein; er wollte immer auf dem Laufenden bleiben und die Fakten aus erster Quelle hören.

„Ich hab gestern mit Silvan Schluss gemacht, davor hab ich ihn halt noch am See gefickt.“ Und war nun kein bisschen stolz auf meine Dummheit. „Das war echt ne scheiß Nummer von mir.“ Ich bereute es ja auch, obwohl Sex im Freien schon seine Reize hatte.

„Seit wann bist du mit Typen zusammen?“, fragte mich Peter teils erstaunt, teils entsetzt. „Ich dachte, du stehst nicht auf Jungs.“

„Tu ich auch nicht.“ Jetzt kam wieder diese stundenlange Erklärung, warum ich dies und das gemacht und dann sofort wieder bedauert hatte; Peter saß stumm daneben, gab keinen Piep von sich. Fast erwartete ich, dass er sich Notizen machte.

„Also nett ist was anderes“, lautete abschließend sein weltbewegendes Fazit über meine glorreiche Hirnlosigkeit, als ich endlich geendet hatte und auf seine Meinung wartete. „Entweder hast du Sex oder du machst Schluss. Beides zusammen ist nicht fair. Solltest du beim nächsten Mal vermeiden, kommt echt nicht gut an.“

„Beim nächsten Mal such ich mir auch keinen Kerl“, brummte ich; aus seinen Fehlern sollte man lernen. Keine Beziehung mehr mit Leuten, auf die man nicht stand und die keine Titten hatten.

„Lars wird sich wieder einkriegen, du kennst ihn, ewig wird er dir das nicht nachtragen. Aber er fühlt sich jetzt wohl schlecht, weil er dir geraten hat, schnell Schluss zu machen.“ Peter grinste mich aufmunternd an und klopfte mit der Hand auf die Schulter. Er musste es wissen, er kannte Lars besser als ich.

„Gut zu wissen.“ Es bestand also noch Hoffnung für mich, jemals wieder von Lars nicht ignoriert zu werden. Peter nahm trotzdem nicht die Pfoten von meinem Arm.

Die Situation war definitiv seltsam, er klebte wieder so unnötig nah an mir, genau wie an der Party vor zwei Jahren; musste ich mir Gedanken machen?

Auf keinen Fall wollte ich vom einen ins nächste Chaos schlittern, nicht mit Lars‘ Cousin, da wäre das mögliche Theater doppelt so furchtbar und ich endgültig weg vom Fenster.

War Peter nicht vor ein paar Jahren nach voll hetero gewesen oder verwechselte ich da wieder Details aus unterschiedlichen Lebensläufen? Vielleicht zwang ich Jungs auch allein mit meiner Anwesenheit zu homosexuellen Gedanken und Handlungen. War ja auch jedes Mal mein Ziel.

Irgendwie geriet mein dummes Leben momentan extrem aus den Fugen, noch mehr sonst, aber ich wehrte mich auch nicht aktiv dagegen, sondern ergriff die Chancen statt sie klugerweise zu umgehen. Bald verbrannte ich mir noch die Finger daran.

Er schaute mich minutenlang nur an und ich sah schon wieder diesen typisch verdächtigen Blick, den schon so einige Jungs bekommen hatten, wenn sie extrem neugierig waren, was ich mit ihnen anstellen konnte; bei Peter passte das auch noch perfekt zu seinem üblichen Verhalten.

Eigentlich müsste ich ihn nun von mir wegschieben, das Gespräch schnell beenden, nach Hause fahren und noch ein wenig Buße für meine Triebe in der Kirche leisten; es war nicht irgendjemand, er war Lars‘ Cousin. Es genügte, dass ich mich schon auf seinen Bruder eingelassen hatte, ich vögelte mich doch nicht durch die ganze Familie. Spätestens bei seinem Vater hörte der gute Geschmack auf.

„Komm, Leon“, flüsterte er mir leise zu, „es muss ja keiner wissen. Nur einmal und nie wieder. Mit Sky hast du es auch gemacht, ich weiß es.“ Seine Hand rutschte demonstrativ tiefer.

„Und deine Freundin?“ Nicht, dass ich nachher Morddrohungen erhielt, weil die es zufällig von Peter erfuhr, der wirklich nie den Schnabel halten konnte. Der gestand ihr sicher sogar unabsichtlich eine Affäre, weil er sie nicht für sich behielt, sondern stattdessen der Umwelt mitteilte.

„Die muss nicht alles wissen. Ich liebe sie ja trotzdem.“

Was für eine Logik, aber das war seine Angelegenheit, nicht meine.

Natürlich sagt ich nicht nein, dafür war die Aussicht, wenigstens für ein paar Minuten von diesem ganzen Scheiß Abstand zu gewinnen können zu gut; und Peter war ja auch kein hässlicher Troll, dem man so etwas aus Prinzip ausschlug.

Ich ging es langsam an, als ich begann, ihn auszuziehen; erst das Shirt, man musste ihn nicht gleich überfordern, Ahnung hatte er immerhin keine. Seine Freundin ließ ihn entweder selten oder gar nicht an sich ran, da wunderte mich seine kleine Ausschweifung auch nicht.

Ein wenig Nervosität spürte ich bei ihm, als ich mich über ihn kniete und an seiner Jeans herumfummelte, aber ich verstand das, beim ersten Mal war man einfach aufgeregt. Hatte bei mir auch nicht anders ausgesehen, obwohl ich ja sogar betrunken gewesen war.

Er zuckte leicht zusammen, als meine Finger schließlich seine nackten Oberschenkel berührten und sie auseinanderdrückten; ihm war es etwas peinlich, dass ich alles von ihm sehen konnte, aber da musste er durch, wenn er mit mir Sex haben wollte; für ihn hielt ich mir nicht die Augen zu. Das machte gar keinen Spaß und der war hier die Hauptsache. Aus reiner Gemeinheit spielte ich noch ein wenig an ihm herum.

Kaum war ich dann in ihn eingedrungen, krallte er sich an mir fest, als befürchtete er, ich könnte anhauen, und verpasste mir dabei die schmerzhaftesten Kratzer meines Lebens, aber er stellte sich um Weiten besser an als Silvan.

Und ich verfluchte mich, dass ich schon wieder an ihn dachte, obwohl ich das hier nur veranstaltete, um nicht an ihn zu denken, was für eine Ironie. Meine Gedanken sollten lieber daran hängen, wie geil es war, Peter in den Wahnsinn zu treiben, der klang nämlich so, als würde er jede Sekunde zusammenbrechen. Solange er nicht anfing zu flennen oder zu kotzen, war mir alles recht.

Immer wieder stieß ich in ihn vor, während ich mich fragte, ob ich auch irgendwann Lars abschleppte und es mit ihm trieb. Alle guten Dinge waren immerhin drei und ich ein Volltrottel, der sich endlich auf den Sex und nicht andere Sachen konzentrieren sollte, sonst hätte ich es auch gleich lassen und mit Peter nur reden können.

„Das war seltsam“, meinte Peter später ziemlich kaputt, als ich ihn in Ruhe ließ. Er bekam es nicht einmal mehr auf die Reihe, sich wieder anzuziehen; an nichts gewohnt, der Junge. „Findest du es besser als mit Mädchen?“

„Man kanns nicht vergleichen.“ Fand ich zumindest, vielleicht sahen das andere Leute anders. „Musst du selbst ausprobieren.“ Was ich bezweifelte, Peter wirkte auf mich nicht wie jemand, der unbedingt den aktiven Part übernehmen wollte. Insgesamt nahm ich nicht an, dass er noch einmal Sex mit einem Typen haben wollte, da lauerte immerhin noch eine Freundin um die Ecke.

„Na dann.“ Damit endete sein Versuch, eine Konversation über mein Sexleben zu führen, stattdessen schloss er die Augen, machte sich breit und schubste mich dabei fast aus dem Bett.

Und während er vor Müdigkeit wegpennte, lag ich dumm da und musste schon wieder an Silvan denken. Mein Plan war voll für die Tonne gewesen.
 

In den nächsten drei Tagen erschien Silvan nicht zum Unterricht, ich hatte mit nichts anderem gerechnet. Er wollte mich nicht sehen, das verstand ich ja, an seiner Stelle wäre es mir wohl nicht anders gegangen. Nur, dass ich mich nie in so eine Situation hineingebracht hätte.

Niemand sonst schien zu wissen, warum er zuhause blieb, die Geschichte hatte sich also noch nicht herumgesprochen. Dafür sollte ich wohl dankbar sein, weil ich ansonsten noch unbeliebter gewesen wäre als ohnehin schon. Mich fand man sowieso aus Prinzip gestört und die Aktion vom See rettete definitiv nicht mein Image.

Dass auch Lars mich deutlich ignorierte, störte mich ziemlich. Vorbildlich war das nicht gewesen, aber er tat ja so, als wäre er der Leidtragende und nicht Silvan, was ich doch übertrieben fand.

In der großen Pause wurde mir klar, dass es natürlich noch viel schlimmer werden konnte. Spätestens, als Silvans kleiner Bruder auf mich zugerannt kam und anfing, mich anzuschreien und mir fast eine reingehauen hätte, wenn ich ihn nicht mit aller Kraft davon abgehalten hätte.

Zuerst verstand ich ihn nicht. Okay, ich wäre auch extrem wütend, wenn man meinen Bruder – den ich gar nicht hatte – so verarscht hätte, aber deswegen musste man mich nicht zusammenschlagen.

Er sah das ganz anders. „Er wollte sich wegen dir umbringen!“

Ich starrte ihn verwirrt an. Der hatte sie doch nicht mehr alle, Silvan gehörte nicht zu diesen suizidgefährdeten Typen, dazu war er viel zu fröhlich und ausgelassen…

„Du bist so ein mieses Arschloch.“ Bei jedem Wort schien er noch aufgebrachter zu werden. „Weißt du eigentlich, was wir alles gemacht haben, damit es ihm besser geht, wie lange er in Therapie war? Und dann kommst du und machst alles kaputt. Ich hasse dich.“ Er verpasste mir noch einen heftigen Schubs und floh dann aus meiner Reichweite.

Vielleicht hatte ich mich tatsächlich getäuscht und Silvan hatte wirklich noch eine andere Seite, von der ich nie etwas mitbekommen hatte, weil er sie so gut versteckt hatte Das erklärte auch, warum sein Bruder immer so besorgt um uns herumgeschlichen und jeden seiner Schritte so aufmerksam beobachtet hatte.

Es musste also wirklich stimmen.

Ich hätte kotzen können; es wurde mir gerade alles zu viel.
 

Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte; eigentlich hätte ich mich bei Silvan entschuldigen müssen, aber was sollte ich denn dann sagen?

Sorry, dass ich so scheiße war, du hättest dich ja nicht gleich umbringen müssen?

Das ging ja gar nicht, gar nichts klang vernünftig. Außerdem hätte er es mir sowieso nicht abgekauft und sein kleiner Bruder ließ mich sicher auch nicht mehr in die Nähe von ihm, weil er jetzt für ihn die Beschützerrolle angenommen hatte.

Genervt und verzweifelt gleichzeitig schlich ich seit mindestens einer halben Stunde in der Straße, in der Silvan wohnte, auf und ab und überlegte, was ich tun sollte und ob es überhaupt sinnvoll war. Aber ich brachte nichts zustande, dafür fühlte ich mich momentan zu schuldig.

Ich hatte das nicht gewollt!

Und genau jetzt kam auch jemand die Straße hoch, den ich gar nicht sehen wollte: Marcin. Was für unpassende Zufälle sich dauernd ereigneten, das machte alles auch nicht einfacher. Marcin schien mich aber gar nicht zu sehen oder sogar absichtlich zu ignorieren, zielsicher ging er nämlich zu Silvans Haus und klingelte dort; im nächsten Augenblick öffnete ihm auch schon Silvans Bruder die Tür und ließ ihn rein.

Musste ich das jetzt verstehen? Vor allem diese besorgte Miene, die gar nicht zu ihm passte? Langsam beschlich mich das Gefühl, das alles durcheinander geriet und ich als einziger die Schuld dafür trug. Bald konnte ich mich auch nicht mehr schlechter fühlen.

Silvan wäre fast gestorben. Lars sprach nicht mehr mit mir. Marcin benahm sich untypisch.

Frustriert trat ich den Heimweg an; wenn Marcin da rumhing und sich wohl um Silvan kümmerte, wollte man mich da dreimal nicht haben.

In meinem Zimmer suchte ich Stift und Papier zusammen, hockte mich aufs Bett und begann, immer und immer wieder einen Entschuldigungsbrief an Silvan zu schreiben; ihm persönlich gegenüberzutreten traute ich mich ehrlich gesagt nicht.

Die zerknüllten und durchgestrichenen Zettel, die auf dem Boden landeten, nahmen dauernd zu, auch nach einer halben Stunde hatte ich immer noch nicht die Worte gefunden, die auch nur halbwegs echt und passend klangen.

Eigentlich kam immer nur das Gleiche bei mir raus und wurde auf das Papier gekritzelt. Einfach, weil es die Wahrheit war.
 

Ich wollte das nicht.



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von: abgemeldet
2011-11-14T21:00:52+00:00 14.11.2011 22:00
Schade, dass es schon zu Ende ist :(
Ich fand die Geschichte toll, da es nicht den üblichen Friede-Freude-Eierkuchen-Effekt hatte :)
alles liebeabgemeldet
Von:  Ma_Petite
2011-11-04T18:34:12+00:00 04.11.2011 19:34
Oo armer Silvan *keks geb*
aber so ne Nervensäge könnte ich auch nicht gebrauchen ^^'
Von: Karma
2010-01-25T08:50:44+00:00 25.01.2010 09:50
Ganz ehrlich: Ich mag Leon.
^____^
Jetzt gerade in diesem Kapitel mag ich ihn. Und Sky find ich einfach toll.
*hust*
Nee, ehrlich, diese Aufforderung à la "Halt die Klappe und mach schon!" kam so toll.
*lach*
So nach dem Motto: "Tu was, wenn Du nicht willst, dass ich mich langweile und deshalb einschlafe."
XD

Das Kapitel ist klasse. Man erfährt ein bisschen was über Leons Vergangenheit und sein Sexleben und auch über den Abend, an dem sich das eben ein bisschen geändert hat. Und das alles ist so schön locker-flockig verpackt und rübergebracht, dass ich beim Lesen immer wieder schmunzeln musste.
Nur brennt mir jetzt natürlich eine ganz entscheidende Frage auf der Zunge: Warum in aller Welt hat Sky Leon eigentlich angegraben und abgeschleppt? Steht/stand er auf ihn, war er nur scharf auf ihn oder hatte er noch einen anderen Grund dafür? Ich hoffe, Du löst das noch auf - oder beantwortest diese Frage sonst wie. Das kribbelt mir nämlich jetzt echt unter den Nägeln.
*rumhibbel*

So, und jetzt bin ich gespannt, was als nächstes passiert und wie Leon reagiert, wenn Silvan und er am nächsten Tag nach der Nacht aufwachen.
^______^
Weiter so!

Karma
Von: Karma
2010-01-08T16:30:43+00:00 08.01.2010 17:30
Autsch.
>.<
Das ist echt übel. Mir tut Silvan leid, aber seltsamerweise hab ich auch irgendwie Mitleid mit Leon. Klar, er ist - wie er ja auch selbst sagt - ein Arschloch, aber ein vollkommen gefühlloser Klotz ist er ja wohl nicht. Immerhin bereut er ja, was er getan hat (so interpretiere ich das zumindest) - wenn auch wahrscheinlich aus einem anderen Grund heraus als Silvan es (vielleicht) bereuen wird, wenn er die Wahrheit erfährt.
*Silvan schnapp und knuddel*
Der arme Kerl, echt.
>.<

Ich bin schon tierisch gespannt, wie's weitergeht.
*gleich mal den Favo-Button anklick*

Karma


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