Zum Inhalt der Seite

Verloren in der Einsamkeit

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

20.2.2598

Heute war definitiv nicht sein Tag, das merkte Emilio Callahan schon beim Aufstehen. Er fühlte sich kaputt und unausgeschlafen, als hätte ihm jemand die ganze Nacht über mit seiner Tastatur auf den Kopf geschlagen. Ein verrückter Vergleich, aber Ähnlichkeiten konnte er nicht bestreiten, seitdem er vor wenigen Wochen von seiner Arbeitskollegin Meredith Rozier tatsächlich mit diesem Gegenstand attackiert worden war. Angeblich, weil er Unwahrheiten über sie an ihrem gemeinsamen Arbeitsplatz verbreitet hätte. Dass er unschuldig war, wollte sie ihm natürlich nicht glauben, dafür misstraute sie ihm zu sehr.

Seufzend bereitete sich Emilio trotz seines angeschlagenen Zustands auf einen weiteren anstrengenden Tag im größten Chemiekonzern von Nijagata vor. Eigentlich hätte er sich lieber wieder hingelegt, aber da jeder Krankheitstag einen schlechten Eindruck hinterließ, musste er da durch. Zum Schluss endete es damit, dass plötzlich jemand anderes an seinem Arbeitsplatz saß und er kurzzeitig informiert wurde, in eine niedrigere Abteilung versetzt worden zu sein.

Alles schon da gewesen im Celeris-Mors-Bereich, es wurde nicht einmal verschwiegen. Deswegen auch die ganzen Spannungen unter den Mitarbeitern, die Leitung glaubte so, die Arbeitsweise zu steigern. Emilio fand es einfach nur grauenhaft, in solch einem Klima zu arbeiten, aber das waren heutzutage die normalen Bedingungen. Hauptsachen, die Ergebnisse stimmten, auf die Mitarbeiter nahm man kaum Rücksicht. Wer sich nicht anpasste, landete auf der Straße.

Nachdem Emilio gefrühstückt, sich angezogen und im Bad Zähne geputzt und Gesicht gewaschen hatte, räumte er das Geschirr auf die Abstellfläche, wo sie vom Spülautomaten empfangen, gesäubert und später zurück in die unterschiedlichen Fächer in der Küche gestellt wurden, kontrollierte den Inhalt des Kühlschranks und verließ schließlich seine kleine Wohnung. Geld genug für ein Haus hätte er, nur was nutze ihm ein überdimensionales Wohnzimmer, wenn er doch nur allein dort herumsitzen würde? Frau oder Kinder hatte er nicht, seine Eltern waren schon vor einigen Jahren gemorst worden, wie man inzwischen den Prozess des vorzeitigen Sterbens nannte, und wirkliche Freunde gab es auch keine. Die Arbeit nahm dafür einen viel zu großen Platz in seinem Leben ein, immerhin hielt er einen sehr verantwortungsvollen Posten inne.

Auf den Straßen von Nijagata herrschte wie jeden Morgen ein wohlgeordnetes Chaos. Dutzende von kleinen Gruppen liefen in Richtung der großen U-Bahnknoten, um rechtzeitig zur Arbeit zu kommen, Schulkinder vertrieben sich die Zeit, bis um 13 Uhr der Unterricht begann und einige Polizisten achteten, dass alles nach seiner gewohnten Ordnung verlief. Keine Sachbeschädigung an öffentlichen Gebäuden, keine Übergriffe auf Mitmenschen, keine Arbeitsverweigerung und Streiks auf offener Straße, wie sie mindestens einmal in der Woche vorkamen.

Den Menschen gefielen einige Dinge in ihrem Leben nicht, aber sie besaßen nicht die Mittel, sich dagegen zu wehren. Emilio hatte es schon lange aufgegeben, sich todesmutig vor eine U-Bahn zu stellen, um so für die Lockerung der strengen Arbeitszeiten zu kämpfen. Fast vierzehn Stunden sechs Tage die Woche funktionierte nicht, selbst auf dem momentanen Stand der Medizin, durch den die Zahl der Krankheiten auf ein Minimum reduziert worden war und die Menschen fast die doppelte Leistung im Vergleich zu vor 200 Jahren bringen konnten.

Um kurz vor acht erreichte Emilio den Eingang des Celeris-Mors-Bereichs, verschaffte sich durch seine persönliche Karte und eine achtstellige Zahlenkombination den Zugang zu seinem Arbeitsplatz und atmete erleichter auf, als er seinen Schreibtisch leer vorfand. Man hatte ihn nicht über Nacht aus diesem Betrieb geworfen, trotz Merediths versuchten Racheakt gegen ihn, bei dem ihr Karineo Wheyn natürlich geholfen hatte. Dieser hatte es schon seit seinem ersten Arbeitstag vor einem Jahr hier auf Emilios Position abgesehen und unterstützte alle, die ihm bei diesem Ziel nützlich sein konnten. Meredith kam ihn da wie gerufen.

„Herr Callahan, wir sind heute im Labor“, sprach Arina Peek plötzlich Emilio an und deutete auf eine gut versteckte Tür neben einer Plastiktopfpflanze. „Haben Sie das schon vergessen?“

„Sieht so aus.“ Er war wirklich nicht mit seinen Gedanken bei der Sache, stellt Emilio unzufrieden fest. Hoffentlich bemerkte das niemand, sonst hätten Meredith und Karineo noch einen Beweis gegen ihn in der Hand. Zum Glück gehörte Arina nicht zu den Menschen, die sich an den Fehlern anderer bereicherte, dafür mochte sie ein entspanntes Arbeitsklima zu sehr.

Eilig folgte er ihr in den der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Raum und wäre am liebsten sofort wieder gegangen. Mit einer Miene, als hätte sie ein künstliches Zitronenaroma unverdünnt eingeatmet, stand Meredith an einem Tisch mit einigen Reagenzgläsern und erhitzte diese ganz vorsichtig in einem Glas mit heißem Wasser. Ganz auf die traditionelle Art, wie sie trotz modernster Technik noch gerne angewandt wurde.

„Da sind Sie ja endlich“, sagte sie unfreundlich zu Emilio und drehte sich halb zu ihm um, „ wir hatten abgesprochen, heute eine halbe Stunde früher zu beginnen, um das neue Mors vor elf Uhr fertig zu haben.“

Zwar erinnerte sich Emilio nicht an eine solche Abmachung, aber da sogar Arina zustimmend nickte, nahm er an, ausnahmsweise wirklich etwas verpasst zu haben. Nicht gut, zumindest für seine Sicherheit in dieser Abteilung, die mit jedem noch so kleinen Vergehen immer geringer wurde.

Die Kopfschmerzen trugen nicht unbedingt zu einer Besserung herbei, weshalb er nicht weiter auf Merediths versteckten Vorwurf der Unzuverlässigkeit einging und stattdessen die Flüssigkeiten innerhalb der Reagenzgläser betrachtete. Sie sahen schon fast fertig aus, dann konnte man sie gezielt weiterverarbeiten.

Während Arina wieder nach draußen ging, da sie noch kurz Bescheid geben musste, dass sie in wenigen Minuten mit der wichtigsten Phase beginnen konnten, musste sich Emilio mit den bösen Blicken Merediths anfreunden und sich gegen seine Kopfschmerzen wehren, die in diesem geschlossenen Raum mit den nicht ganz ungefährlichen Chemikalien deutlich verschlimmerten. Er durfte sich durch sie nicht beeinflussen lassen, sonst konnte es schlimme Folgen für sie alle haben. Und damit meinte er nicht nur den gesamten Chemiekonzern.

„Bringen Sie das Nekarulin her“, forderte Meredith in auf, „wir müssen eine kleine Probe davon unter dem Mikroskop untersuchen, ob es auch keine Kristalle gebildet hat.“ Sie winkte genervt mit der Hand und hantierte gleichzeitig an dem ihr am nächsten stehenden Regal herum.

Welches davon war noch einmal das Nekarulin gewesen? Emilio konnte es nicht auf Anhieb sagen, dafür sah alles vor seinen Augen so ähnlich aus. Was war nur mit ihm los? Sonst ließen ihn seine Sinne nicht so unvermittelt im Stich.

Kurz entschlossen hob er das Glas samt Inhalt von fünf Reagenzgläsern hoch, wobei er nicht Merediths überraschten Blick bemerkte, und steuerte auf sie und das Teleskop zu.

„Sie sollten nicht alles auf einmal bringen“, rief sie erschrocken, doch da war es schon geschehen. Vor Emilios Gesicht verschwamm endgültig das ganze Labor und seine Knie knickten ein. Das Glas glitt ihm aus der Hand und Meredith stieß einen erschrockenen Schrei aus. Einzeln brachten die Flüssigkeiten nicht viel, aber gemeinsam vermischt entfalteten sie eine Energie, die kein Mensch beherrschen konnte. Dafür waren sie natürlich gedacht, aber in einer abgeschwächten Form, die leider hier nicht vorlag.

„Oh mein Gott.“ Emilio spürte, wie ihm die Luft abgeschnürt wurde und warf noch einen letzten Blick zur völlig aufgelösten Meredith, die das Mikroskop fallen gelassen hatte und hysterisch schreiend am dem Boden hockte. „Das wollte ich nicht...“

Er hatte das Celeris Mors, mit dem alte Menschen aus der Gesellschaft herausgeführt wurden, in seiner ursprünglichen Form zum Wirken gebracht. Und es war äußerst aggressiv, er hörte schon draußen die ersten Mitarbeiter sich über Atemprobleme beschweren.

„Wie konnten Sie nur?“, zeterte Meredith in Todesangst, doch diesen Vorwurf nahm Emilio schon gar nicht mehr wahr. Sein Herz hatte schon aufgehört zu schlagen.

Keine Minute später lebte im Inneren des Chemiekonzerns kein einziger Mensch mehr. Und dabei blieb es leider nicht.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück