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All you read and wear or see and hear on TV is a product begging for your fatass dirty dollar.

Ich fühlte mich immer noch ziemlich groggy von dem Wochenende. Eddy hatte vormittags seinen Vater angerufen, jetzt konnten wir am Mittwoch mit dessen Auto den Sperrmüll zur Müllverbrennungsanlage bringen. Laut den Aussagen von Eddys Vater, war das auch nicht so teuer, wie ich erwartet hatte. Wir hatten den restlichen Sonntag damit zu gebracht das Zeug so klein zu machen, dass man es leicht in ein Auto unterbringen konnte und aus dem Weg geräumt, um weitere Verletzungen zu vermeiden. Ich sah sowieso schon demoliert genug aus.

Warum ich das Ganze gemacht habe, hatte Eddy nicht gefragt. Er wusste vermutlich sowieso an was es lag. Ich hätte aber auch nicht darüber reden wollen, nicht mal mit ihm.

Nachmittags hatte er mich zu sich nach hause geschleppt, mit der Begründung, dass es bei mir nichts zu essen gab und ein Mensch Nahrung zum Leben brauchte und Kaffee als Nahrungsmittel wollte er nicht anerkennen. Als wir wieder in meiner Wohnung waren, war ich allerdings nach ein paar Minuten auf meinem Bett eingepennt und als ich aufwachte, war Eddy nicht mehr und drei Uhr in der Nacht. Wenigstens war er so nett gewesen und hatte mich zu gedeckt.

Mir wäre es lieber gewesen, wenn er übernachtet hätte. Aber seine Mutter mochte es nicht, wenn er unter der Woche auswärts schlief und wenn man ehrlich war, mochte er es auch nicht. Er schlief immer lieber in seinem eignen Bett, hatte er mir mal erklärt.

Die verbleibenden Stunden bis ich zur Schule musste hatte ich mit Fernsehschauen zu gebracht. Zwischen vier und fünf Uhr nachts kamen nicht mal mehr Softpornos, aber ab fünf fingen zumindest die Wiederholungen vom Nachmittagsprogramm an. Wobei man sich natürlich fragen konnte, ob das eine erhebliche Verbesserung des Niveaus im Vergleich zu einem Softporno war. Mir war es eigentlich ziemlich egal, ich zeichnte nebenher und war nur froh, dass es nicht still war. Da konnte man selbst den verzweifelten Moderator ertragen, der die Zuschauer zum Anrufen motivieren wollte.

Das der ganze Tag nicht so werden würde, war mir schon klar gewesen, als ich in meiner dunklen, einsamen Wohnungen aufgewacht war. Aber welche Dimensionen an Nervigkeit dieser Tag einleiten würde, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht klar gewesen. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich gar nicht erst aus dem Haus. Ein Fehltag mehr oder weniger, wäre auch nicht mehr so tragisch gewesen.

Aber ich war zur Schule gegangen, was auch daran lag, dass es in meiner Wohnung alles andere als gemütlich war und habe damit prompt eine weitere Misere in meinem Leben verursacht. Naja, eigentlich, wenn man es genau nahm, hatte Nico dafür gesorgt.

Nico. Wir waren in der zehnten in der gleichen Klasse gewesen und ich fand ihn damals schon lächerlich, vor allem lächerlich klein. Das ganze Metall, dass er schon damals im Gesicht hatte, fand ich einfach übertrieben provokant und das er ständig dumme Sprüche riss, eigentlich generell ein viel zu gu großes Maul für so einen winzigen Körper hatte, machte es nicht besser.

Er war schlichtweg eine Nervensäge und ich war froh gewesen, nie näher mit ihm zu tun zu haben. Aber gerade eben, hatte dieser Winzling beschlossen mir auf den Geist zu gehen. Der Typ reichte mir gerade mal bis zur Brust und er hatte auch noch ratzekurze, blonde Haare, die eigentlich jede Möglichkeit nahmen, ihn größer wirken zu lassen. Das er klein war, war nicht mal das schlimmste an ihn. Eigentlich fand ich es viel schlimmer, dass er nie klein wirkte. Ich war mit meinen 1,95 vermutlich einer der größten Schüler hier, aber wenn ich einen Raum betrat, schaute nicht mal jemand auf, nicht das es mich stören würde. Aber wenn dieser Zwerg in ein Klassenzimmer kam, galt ihm sofort jede Aufmerksamkeit und ich war mir ziemlich sicher, dass es ihm egal war, ob diese Aufmerksamkeit negativ oder positiv war. Er schien einfach den ganzen Raum für sich zu beanspruchen, so als gehöre ihm schlichtweg die Welt. Arrogantes Arschloch. Sein Charakter war in den letzten zwei Jahren auch nicht besser geworden...

Gah, er nervte mich.

„Komm schon, Enni, das wird doch für dich kein Problem sein.“ Da stand er nun mit seinen lächerlichen, kurzen Haaren und das Gesicht voller Blech und erwartete von mir, dass ich ihn zeichnen sollte. Wer war ich denn? Hatte ich Zeit, Nerven, Lust so etwas zu machen? Gott, ich hatte genug andere Sachen, um die ich mir gerade Sorgen machen musste. Außerdem nervte es mich, dass er mich Enni nannte. Eddy durfte mich so nennen, aber den kannte ich schon seit dem Kindergarten.

„Nein.“, wiederholte ich nochmals. Ich wollte nicht und da konnte er noch soviel betteln und flehen und was weiß ich, ihn würde ich bestimmt nicht zeichnen und jetzt sowieso nicht.

„Gott, warum nicht? Ich geb dir doch auch Kohle dafür.“ Er hatte seine gepiercten Augenbrauen ärgerlich zusammgen gezogen und macht einen Schmollmund mit seiner gepiercten Lippe. Bei soviel Metall im Gesicht musste einem doch im Winter echt kalt werden, oder?

„Kein Bock.“, gab ich nonchalant zurück und fand, dass damit das Gespräch einfach beendet war, deswegen wandte ich mich auch ab und ging. Ich wollte heim und eigentlich konnte Nico von Glück reden, dass ich überhaupt stehen geblieben war. Ich hatte mir keinen Kaffee mit in die Schule genommen und festgestellt, dass mein Kleingeld auch nicht mehr für einen aus dem Automaten reichte und war deswegen sowieso schon ziemlich gereizt. Zum Glück hatte ich Montags nur vier Stunden Schule, eine Doppelstunde Englisch und eine Doppelstunde Mathe, das war noch eingermaßen zu ertragen. Im Gegensatz zu dem Knirps gerade eben,

„Fick dich, bist du ein arrogantes Arschloch.“, rief er noch hinter mir und vermutlich zeigte er mir gerade den Mittelfinger. Aber das war mir egal, war doch schön, dass wir uns beide einig waren, dass wir uns nicht mochten. Dann könnten wir in Zukunft wieder auf unsere Gesellschaft verzichten.
 

Ich hatte der ganzen Angelegenheit eigentlich nicht viel beigemessen. Es kam immer wieder mal vor, dass ich für Leute aus meiner Stufe etwas zeichnen sollte, meistens für lau und in der Regel lehnte ich ab, einfach weil ich keine Lust hatte etwas für Leute zu machen, die ich nicht mal kannte. Außerdem hatte ich im Moment wirklich viel um die Ohren. Ich müsste immer noch meine Mutter anrufen...

Zum Glück hatte Eddy die Angelegenheit mit meinem zerlegten Wohnzimmer geregelt. Am Mittwoch stand er pünktlich um vier mit seinem Vater auf der Matte und zusammen luden wir das Gerümpel ins Auto, in dem auch noch alter Kram von ihnen war, den sie entsorgen wollten. Sein Vater hatte mir auch beigepflichtet, dass die Möbel viel zu altmodisch für so einen jungen Kerl wie mich waren und er sie auch schon längst entsorgt hätte. Ich verkniff es ihm zu sagen, dass mich bei der Aktion keine „Schöner wohnen“-Ambitionen geleitet hatten, sondern nickte nur und pflichtete ihm bei. Das war sowieso die beste Art mit seinen Mitmenschen umzugehen. Nicken, lächeln, einfach Ja sagen. Menschen ohne eigene Meinung waren langweilig und wenn man langweilig war, wurde man in Ruhe gelassen und das war genau das, was ich wollte. So wenig Kontakt wie möglich mit anderen und so wenig Aufmerksamkeit erregen, wie es ging. Im Mittelpunkt stehen, hattte ich schon immer als unangenehm empfunden und als meine Oma erkrankt ist und es zweifelhaft war, ob sie sich wirklich ordentlich um mich kümmern konnte, war es mir noch wichtiger, nicht aufzufallen.

Und ehrlich, ich war wirklich gut darin nicht bemerkt zu werden.

Es hätte mich knapp fünfzehn Euro gekostet den Müll in der Anlage entsorgen zu lassen, aber Eddys Vater hatte wohl einen großzügigen Tag und meinte, er würde das einfach zahlen. Mir war das Recht, ich hatte gerade sowieso ein kleines Geldproblem. Eigentlich wusste ich nicht mal genau, wie ich mir nächste Woche noch den Kaffee leisten sollte und in drei Wochen war wieder Strom, Wasser und Gas fällig. Vielleicht hätte ich doch den Zeichen-Auftrag von dem Knirps annehmen sollen. Oder ich sollte einfach mal bei meiner Mutter melden. Fragt sich nur, was das geringere Übel war.

Ich bedankte mich noch bei Eddys Vater und ließ mich bei ihnen zum Essen einladen. Ich hatte sowieso nichts mehr im Kühlschrank und die Familie schien mir immer gerne was zu kochen. Ich könnte mich wie ein Schmarotzer fühlen, allerdings war Eddy bis er zwölf war, eigentlich jeden Tag bei mir daheim gewesen und hatte mit uns gegessen. Sie hatten in der Wohnung über mir gewohnt und seine Eltern hatten große Ziele, wie ein eignes Haus am Stadtrand, eine Familiekutsche, Urlaube und dafür musste man arbeiten.

Meine Großmutter hatte den Gedanken furchtbar gefunden, den armen Jungen ganz allein in der Wohnung zu lassen und so war man überein gekommen, dass er solange bei uns war, bis seine Eltern von der Arbeit kamen. Eddy und mir war es recht gewesen, wir hatten uns schon immer gut verstanden. Auch wenn das die Erwachsenen immer etwas irritiert hatte.

Ich war das gewesen, was man gemeinhin als Stubenhocker bezeichnen würde. Ich lag am liebsten im Wohnzimmer auf dem plüschigen Teppich und hatte dort gezeichnet. Eddy hatte meistens neben mir gesessen und hatte mir irgendwelche Dinge erzählt, einfach irgendwas. Ich hatte ihm immer gerne zu gehört. Manchmal hat er mich auch gebissen oder mir an den Haaren gezogen, was mich wohl dazu animieren sollte, mit ihm nach draußen zu gehen. Ich fand, wir hatten uns schon immer gut ergänzt.

In den Gedanken an unsere gemeinsame Kindheit schaute ich zu Eddy, der gerade mit seiner Mutter über etwas debattierte und konnte nicht anders, als zu grinsen. Ich wollte gar nicht wissen, wie mein Leben jetzt aussehen würde, wenn ich Eddy und seine Familie nicht hätte.

„Nimm dir ein Beispiel an Ennoah.“, kam es plötzlich von Eddys Mutter und ich schaute verwirrt auf. Um was ging es? Ich hatte nicht aufgepasst.

„Mama, das kannst du nicht vergleichen.“ Eddy verdrehte nur die Augen und ich wusste nicht genau, was ich davon halten sollte.

„Ennoah, du bist doch auch nicht jedes Wochenende weg, oder?“, wandte sich diesmal seine Mutter direkt an mich.

„Äh...“ Natürlich nicht, ich hatte zum Einen kein Geld dafür, um genau zu sein, hatte ich gerade generell kein Geld für irgendwas, zum Anderen war mir zur Zeit wirklich nicht nach Party zu mute. Eigentlich war mir sowieso selten danach, mich groß unter Leute zu mischen, aber meistens war ich Eddy zu liebe mitgekommen. Aber das konnte ich ihr schlecht sagen. Ich spürte das Gewicht der Gabel in der Hand, die ich zwischen meinen Finger hin und her wippen ließ. Seine Familie war daran gewöhnt, dass ich selten still halten konnte.

„Mama, lass Enni da raus, okay?“ Eddy wirkte irgendwie aufgebracht und ich bereute es ein bisschen, dass ich bei ihrer Diskussion nicht richtig zu gehört hatte. Vielleicht würde ich dann verstehen, warum Eddy sich so komisch verhielt. Aber so war die Diskussion beendet, seine Mutter wollte wohl einen möglichen Streit vermeiden. Generell wurden sie bei Eddy daheim nie laut, aber es war auch nie so leise, wie bei mir daheim...
 

Meine Wohnung kam mir seltsam fremd vor, als ich durch den engen Flur ging und das leere Wohnzimmer betrat. Die Tapete hing immer noch in Fetzen da, ich hatte keine Lust gehabt, sie richtig abzuschaben. In der Ecke unter dem Fenster lag ein Stapel mit Büchern und daneben hatte Eddy ein gerahmtes Foto von mir und meinen Großeltern gelehnt. Der Raum roch nach Staub und Alter und ich merkte, wie mir schlecht wurde.

Ich zog die Tür hinter mir mit einem Knall zu, stolperte den Gang entlang ins Badezimmer und übergab mich dort ins Waschbecken. Ich hing schwer atmend über dem Becken und versuchte den erneuten Würgereiz niederzuringen. Mein Magen schmerzte und der Geruch der Kotze in meiner Nase, machte es nicht besser.

Ich atmete mehrmals tief ein und aus, während ich Wasser in das Becken laufen ließ, um alles wegzuspülen. Langsam beruhigte sich mein Körper wieder und ich spritze mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht.

Schade, um das gute Essen.

Ich ließ mich auf den Klodeckel nieder, weil ich meinen Beinen nicht ganz traute. Ich traute meinen ganzen Körper nicht mehr und noch viel weniger mir selbst. Zur Zeit war alles so komisch, verschoben, als wäre ich im falschen Leben. Ich verstand einfach nichts mehr und mich am wenigstens. Ich schüttelte leicht den Kopf und erhob mich schließlich, um das Bad zu verlassen. Es brachte nichts, sich in seinem Elend zu suhlen und sich verloren in der eigenen Gedankenwelt zu fühlen, das machte es doch nur schlimmer, oder?

Ich ging in die Küche, machte mir einen Kaffee und ging damit in mein Schlafzimmer. Ich schaltete meinen Fernseher ein und fühlte mich mit der Geräuschkulisse wohler. Meine Oma hatte es nie gemocht, dass dieses Gerät ständig lief. Sie fand, man sollte sich nicht das Leben der anderen ansehen, sondern selbst etwas tun. Naja, zumindest war das früher so gewesen. In den letzten Jahren war es ihr einfach egal gewesen...

Mein Stift kratzte über das Papier und ich dachte darüber nach, dass ich an meiner Uni-Mappe arbeiten sollte. Ich war jetzt in der 12., ich würde also in einem Jahr mein Abitur haben und wenn ich wirklich etwas aus meinem Leben machen wollte, blieb mir nicht mehr wirklich Zeit. Eigentlich war ich mir nie sicher gewesen, ob ich wirklich meinen Abi machen wollte. Ich war ehrlich gesagt ein ziemlich schlechter Schüler. Faulheit, Unvermögen, keine Ahnung, meine Noten reichten immer nur gerade so, dass ich das Schuljahr bestand und ich würde vermutlich mein Abi nur mit Hängen und Würgen schaffen.

Ich versuchte meine schlechten Noten damit zu rechtfertigen, dass es für meinen Studiumswunsch ziemlich egal war, was für ein Schüler ich war. An einer Kunst-Uni zählte nur, was ich konnte und wie gut meine Mappe aussah.

Ich hatte mir erst vor kurzem wirklich mal konkret Gedanken darüber gemacht, was aus meinem Leben werden sollte. Man konnte nicht ewig nur in den Tag hinein leben und hoffen, dass alles schon irgendwie gut wurde. Das passierte nämlich nicht, es wurde alles nur schlimmer.

Vielleicht war „Künstler“ werden eine brotlose Kunst. Aber hey, Brot hatte ich noch nie sonderlich gemocht und lieber ein unlukratives Ziel im Leben, als gar keines, oder? Außerdem hatte ich es wenigstens schon mal so weit geschafft, eine eigene Wohnung zu besitzen, naja zu erben. Eine Wohnung in der mir schlecht wurde und die ich in manchen Momenten nur noch nieder brennen wollte. Aber es war vielleicht nur eine Gewohnheitssache. Ich musste mich nur noch an die Stille hier gewöhnen...

Ich war froh, dass ich etwas sinnvolles hatte, worauf ich meine Gedanken lenken konnte. Aber anstatt nur random etwas zu zeichnen, sollte ich wirklich mal über Inhalte meiner Bewerbungsmappe nachdenken. Ich hatte bis jetzt einfach nur gezeichnet, nicht weil ich ein schönes Bild machen wollte, oder ich etwas damit aussagen wollte. Einfach gezeichnet, weil ich es konnte, was zu tun hatte und dabei abschalten konnte. Es war etwas ganz anderes, plötzlich Gedanken dahinter zu stecken.

Es gab drei Fragen, die bekam man von irgendwelchen Leuten, die einfach keine Ahnung haben vom Zeichnen, eigentlich standardmäßig gestellt:

1.Das hast du selbst gemalt?!

2.Wen zeichnest du da?

3.Wie machst du das? Ich würde das auch gerne können.

Meistens machte ich mir da nicht mal die Mühe aufzusehen und dachte mir meinen Teil dazu. Es war schon nervig genug, dass Leute dachten, bloß weil ich wo saß und zeichnete, wäre es legitim mich einfach anzusprechen und mich mit dummen Fragen zu belästigen. Die meisten schienen sowieso eine komische, verträumte, idealisierte Vorstellung vom Zeichnen zu haben. Nicht alles, was man anfasste wurde zur Kunst und manchmal arbeitete man doch einfach nur für die Technik, damit man besser wurde.

Ich dachte mir absolut nichts dabei, wenn ich einen Mann in der Hocke zeichnete, der nach unten schaute. Ich wollte einfach nur wissen, ob ich es so aussehen lassen konnte, wie ich mir das vorstellte. Manchmal klappte es und manchmal nicht, dann übte ich, bis ich es hinbekam. Vielleicht war ich auch einfach nicht sonderlich kreativ. Eigentlich hatte ich mich nie so damit befasst.

Das sollte ich allerdings tun, wenn ich wollte, dass mich irgend eine Kunst-Uni nahm. Da ging es nicht nur um Technik, da ging es darum, sich als kreative Künstlerpersönlichkeit zu verkaufen und das in einer Mappe zu zeigen. Keinen Schimmer, wie ich das machen sollte.

Ich seufzte und kritzelte weiter in mein Skizzenbuch, ich hab mir sagen lassen, dass Skizzenbücher immer ein guter Anfang waren und von denen hatte ich zum Glück schon mehr als genug...

Als ich meinen Magen ärgerlich knurren hörte, entschloss ich mich, dass ich nochmal neuen Kaffee brauchte, weil mein Kühlschrank nach wie vor leer war.

In der Küche schenkte ich mir die letzte Tasse aus der Kanne ein und bereitete die Kaffeemaschine gleich vor, dass ich sie mir morgenfrüh nur noch anschalten musste. Ich hasste es nämlich morgens irgendwelche komplizierten Tätigkeiten zu machen, wie Kaffeemaschine mit Pulver zu befüllen. Dabei bemerkte ich leider, dass in der Kaffeedose sich das braune Pulver auch ziemlich rar machte. Verdammt, ich hatte gedacht, es wäre noch mehr dagewesen... Ich trank zu viel von dem Zeug.

Und ich brauchte wirklich wieder Geld. Scheiße, ich wollte mich nicht bei meiner Mutter deswegen melden. Ich löffelte in den lauwarmen Kaffee wieder meinen Tonnen an Zucker und während ich umrührte, überlegte ich, welche Optionen ich sonst noch hatte. Ach, so ein Dreck.

Klirrend stellte ich die Tasse auf die Küchenanrichte und stapfte zu dem Telefon im Flur. Es führte doch nichts drum herum und ich sollte mich nicht mehr so kindisch gegenüber meiner Mutter verhalten.

Ich tippte die viel zu lange Nummer von dem Notizzettel am Pinboard ab und lauschte, wie eine knisterende Verbindung hergestellt wurde. Den Anruf würde ich mir auch definitiv von ihr zahlen lassen. Nach mehrmaligen Tuten meldete sich endlich jemand.

„Helloooo!“, meldete sich eine helle Kinderstimme und ich seufzte entnervt. Nicht auch noch das...

„Hey, it´s me, Ennoah. Can I speak your mom?“, haspelte ich in meinem schlechten Englisch und dem deutschen Akzent. Meine Halbschwester verstand kein Deutsch, kein einziges Wort, genauso wenig wie meine zwei Halbbrüder. Ich hasste es mit ihnen sprechen zu müssen.

„Darling, who´s on the phone?“, hörte ich im Hintergrund die Stimme meiner Mutter. Gott, konnte die sich nicht mal beeilen? Nach Übersee telefonieren war alles andere als billig.

„Dunno...“, antwortete meine Halbschwester, deren Namen mir spontan auch nicht einfiel. Ja, wir hatten eine unglaublich familiäre Verbindung.

„Hello?“ Na endlich, meine Mutter war dran. Ich verdrehte die Augen, ihre Stimme klang noch unangenehmer, wenn sie nicht Deutsch sprach.

„Ich bin´s, Ennoah.“, wiederholte ich mich nochmal, dabei trommelte ich mit den Fingern auf dem Telefontischchen und wünschte mir, das Gespräch wäre schon vorrüber.

„Oh.“, sie klang wenig begeistert. „Wie geht’s dir?“, fragte sie schließlich nach einer kurzen Pause.

„Geht so. Ich brauch Geld.“, kam ich gleich zum Punkt. Ich hatte nämlich keine Lust auf Smalltalk, schon gar nicht, wenn ich mir den im Moment nicht leisten konnte.

„Wie viel denn? - Sarah, stop it!“, rief meine Mutter, während sie wohl den Hörer kurz bedeckte. Ich wusste, warum ich die Gespräche mit meiner Mutter nicht mochte „Sorry, wie viel meintest du?“

„Ich brauch mindestens hundert Euro mehr im Monat.“ Ich hatte mir alles nachgerechnet und ich würde das mit den Versicherungen, den Nebenkosten der Wohnung und anderen Kram, den ich brauchte, nur alles hinkriegen, wenn sie mir hundert Euro mehr im Monat zukommen lassen konnte und dann wäre es trotzdem noch realtiv knapp.

„100 Dollar mehr?“, fragte sie und ich wusste nicht mal genau, wie ihr Gesicht aussah, als ich mir vorzustellen versuchte, wie sie gerade schaute. Sie klang jedenfalls etwas überrascht.

„Nein, 100 Euro! Schick mir bitte keine Dollar mehr, ich muss den Dreck hier immer umtauschen und der Wechselkurs ist auch gerade ziemlich Scheiße.“ Gott, das nervte mich immer noch. Sie schickte mir alle drei Monate einen Brief, in dem ein bisschen über die Familie stand, von der ich nichts wissen wollte und dann lag dem Brief noch ein Bündel Dollarscheine bei. Ihr Mann verdiente nicht schlecht und anscheinend konnten sie es sich leisten, mich hier finanziell zu unterstützen. War auch das mindeste... im Gegenzug ließ ich ihre Familie in Ruhe.

„Das muss ich erst mit Derrick besprechen und schlag bitte einen anderen Ton an.“, erklärte sie mir schließlich. Ich merkte, wie ich mir bei dem Satz zu fest auf die Lippe biss, auf der ich gekaut hatte, was mir erst in dem Moment auffiel, als es weh tat. Gott, war ich angepisst.

„Ich hab hier kein Essen mehr! Ich krieg kein Geld hier, weil ich leider kein Waisenkind bin und ganz ehrlich, findest du es angebracht, dich plötzlich mütterlich aufzuführen?!“, brüllte ich aufgebracht. Dumme Schlampe, was dachte die sich eigentlich?

„Ennoah!“, sie war empört. Als hätte sie jemals Grund dazu gehabt... Mit was hatte ich eigentlich so eine Mutter verdient?

„Schick mir einfach das Geld und dann hörst du die nächsten Jahre nichts mehr von mir.“, knurrte ich frustriert. Wenn es nicht so dringend gewesen wäre, hätte ich mich bestimmt nicht bei ihr gemeldet und ihren Familienfrieden gestört. Ihr Mann wusste, dass sie ein Kind in Deutschland hatte, aber ich bezweifelte, dass sie es ihren „neuen“ Kindern erzählt hatte. Gut, die Zwillinge waren wahrscheinlich sowieso noch zu jung, um überhaupt irgendwas zu verstehen. Aber ich sollte ihr kleines, schmutziges Geheimnis in Deutschland bleiben, dass wusste ich. Deswegen kam auch regelmäßig das Geld.

„Du könntest ruhig etwas dankbarer sein!“ Ich unterdrückte den Impuls, das Telefon vor lauter Frust gegen die Wand zu schmeißen und knurrte stattdessen nur aufgebracht. Ich sollte dankbarer sein? Wofür? Für was zur Hölle, sollte ich in irgendeinerweise dankbar sein? Das sie mich zurück gelassen hat? Das sie lieber eine neue Familie ohne mich hatte? Dafür das mir schnell lieblos hingekritztel Briefe schickte, in denen sie mir nur immer wieder zeigte, was sie hatte und wovon ich niemals ein Teil sein würde?

Meine Hand, in der ich den Hörer hielt, zitterte vor unterdrückter Wut. Ich brauchte das Geld, ich brauchte Essen. Mit den 150 Euro Kindergeld, die ich bekam, konnte ich gerade mal die Krankenkasse und irgendwelche komischen, anderen Versicherungen zahlen und mehr Kohle, wollte mir der Staat nicht zugestehen, da ich ja noch meine ach so liebevolle Mutter hatte, die mir helfen konnte.

„Ich bin dir nichts schuldig.“, zischte ich nur und war mir nicht sicher, ob man das durch das Knacken und Knistern in der Leitung überhaupt hörte.

„Ich kann dir diese Woche die 100 Dollar schicken. Ob das immer geht, werd ich mit Derrick besprechen müssen.“ Sie klang jetzt etwas abgehetzt, vielleicht auch, weil Sarah wieder angefangen hat wie eine Verrückte zu schreien und das auch eine gute Ausrede war, aufzulegen.

„Sorg dafür, dass es eine Eilsendung ist.“, fügte ich noch hin zu. Ich hatte zwar nie verstanden, warum sie das nicht mit Überweisung machen wollte, aber solange das Geld hier ankam, war mir das egal.

„Ja, ja, bis dann.“ Damit hatte sie aufgelegt und ich hörte nur noch ein Tuten in der Leitung. Es schien durch den Flur zu hallen und ich legte auf, weil es mit jedem Tut unerträglich einsamer wurde. Das Gespräch war anstrengender gewesen, als erwartet und ich wünschte mir, dass jetzt Eddy hier wäre und mich einfach im Arm halten würde. Aber ich konnte mich nicht dazu bringen, ihn anzurufen. Ich hätte es nicht ertragen, wenn er meine Bitte abgelehnt hätte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von: abgemeldet
2010-09-05T15:14:52+00:00 05.09.2010 17:14
Humm. Dem Jungen wird zwar ziemlich übel vom Leben mitgespielt, aber du schaffst es noch gerade so, nicht über die Grenze zur Übertreibung zu schlittern. Es geht nicht ins Abgehobene. Zumindest noch nicht - ich frage mich zwar, welchen Anlass es dafür gibt, dass die Mutter in der Tat so herzlos ihrem deutschen Kind gegenüber ist, wenn sie doch offensichtlich fähig ist, den anderen eine zumindest kümmernde Mutter zu sein, aber vielleicht klärt sich das ja alles im Laufe der Geschichte noch auf und da ist ein sehr guter Grund. Davon bin ich sogar ziemlich überzeugt.

Jedenfalls - es ist sehr beklemmend, sehr schlimm, wie es ihm geht, und ich schätze, dass man das trotzdem nicht ächzend als zu viel des Guten (wohl eher Schlechten...) weglegen will, liegt einfach daran, dass du ihn dabei so auf dem Boden bleiben lässt. Er ergeht sich nicht in irgendwelchem Selbstmitleid, sondern schildert lediglich relativ trocken seine Umstände, und solche Umstände kommen eben vor, so kann das Leben tatsächlich sein. Er geht sein Dasein mit einem gewissen Realismus an und hat einfach 'echte' Sorgen, nicht nur irgendeine unbegründete Traurigkeit. Wie das Geld für Strom/Wasser/Gas und Essen, seine Bewerbungsmappe... er sieht das alles auch sehr nüchtern und versucht sich an praktischen Lösungen, statt nur alles schwarz zu malen oder sich absolut gehen zu lassen. Zumindest will er das nicht. Zeitgleich läuft aber seine Psyche ziemlich aus dem Ruder, also der nicht kontrollierbare Teil davon, den er mit seinem bodenverhafteten, nüchternen Verstand nicht beherrschen kann - wie beispielsweise dann, als er in einem Moment das Kontrollverlusts das Zimmer zerlegt. Oder plötzlich Kotzen muss. Es geschieht von selbst, dass er diese Zusammenbrüche hat, dass er trotz seiner Versuche, über die Runden zu kommen, einfach ab und an nicht mehr kann, weil das zu viel Belastung ist, und man hat nicht das Gefühl, dass er sich darin irgend wie ergeht, sondern er macht kein Drama daraus, er managed diese Situation einfach irgendwie. Darum ist das wirklich gut zu lesen und eben nicht das schreckliche Emo-Drama, vor dem du in der Kurzbeschreibung gewarnt hast. Wenn das so weitergeht, ist das einfach klasse.
Von:  Tali
2009-11-30T21:39:36+00:00 30.11.2009 22:39
Wow~! Ganz ehrlich! Ich bin begeistert von dieser Erzählung!
Diese Hingabe, mit der du von Ennoahs Leben schilderst! Ich möchte noch viel tiefer in die Geschichte versinken!
Von:  felitastic
2009-11-04T03:05:59+00:00 04.11.2009 04:05
Sie singen "Ällabätsch ällabätsch nänänänännäää!"

Uhm.

Von: abgemeldet
2009-11-03T22:23:48+00:00 03.11.2009 23:23
Wow, jetzt wird mir ein Stück weit klar was der arme Enni alles durchmachen muss, bei so einer 'liebevollen' Familie würde es wohl jedem beschissen gehen. Da frage ich mich echt was das denn bitte für eine Mutter ist... aber er scheint ja auch keinen großen Wert darauf zu legen Kontakt mit ihr zu haben, kann man ihm aber echt nicht verübeln.

Hmmm, ich habe eigentlich auch garnicht viel mehr dazu zu sagen, was ich für mich selbst wirklich schade finde, vielleicht hole ich den ausführlichen Kommentar noch am Wochenende nach, aber im Moment ist mein Kopf einfach nur leer und unproduktiv und hat keine Meinung...

LG Rhiska
Von:  snowwhitedoll
2009-11-03T22:18:19+00:00 03.11.2009 23:18
Warum sollte er seine Bitte ablehnen?
Ich glaube nicht, dass Eddy das tun würde!
Ennoah hat leider so eine negative Einstellung...obwohl die ja eigentlch gerade Kreativität fördern sollte ^^ (ich will damit jetzt aber nicht sagen, dass er noch negativer werden soll haha!)
Ich mag ihn nach wie vor! Es tut mir Leid, dass er so eine schlimme Familie hat...

Bin gespannt, welche Richtung die Story einschlagen wird!

hugs


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