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Fremd

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Kapitel 15

15. Kapitel

Nachdenklich starrte Ray an die Decke des Stalls, während er im Stroh lag. Sein Atem ging ruhig und er bewegte sich nicht - er blinzelte nicht einmal – und nur das Heben und Senken seiner Brust verriet, dass er noch lebte.

Im Gegensatz dazu, rasten seine Gedanken.

Es war alles so schnell gegangen. Schneller und unerwarteter, als er es je geahnt hätte, sich je vorgestellt hätte, je zu hoffen gewagt hätte!

In einem Moment hatten sie sich nur angestarrt – er und Kai – tief in die Augen des jeweils Anderen, im nächsten Moment hatten sie sich geküsst.

Nicht fordernd, nicht leidenschaftlich, wie man vielleicht denken würde. Nein, die Berührung war eher vorsichtig gewesen, geradeso als hätten sie Angst vor dem, was sie taten. Was in gewisser Weise wahrscheinlich auch stimmte.

Für Ray selbst war es so gesehen sein erster Versuch eines Kusses. Außerdem waren sie Freunde, gute Freunde. Freunde sollten sich nicht küssen. Und was, wenn man den Anderen missverstand?

Nur langsam hatten sie ihre Zweifel vergessen, ihre Ängste und Sorgen verdrängen können, nur langsam hatte Kai den Kuss intensiviert, geradezu als fürchte er, Ray würde weglaufen. Oder daran zerbrechen.

Aber Ray war nicht zerbrochen. Im Gegenteil. Er war regelrecht geschmolzen.

Diese Sanftheit der Berührung, diese Intimität – dabei war es nur ein harmloser Kuss, rief Ray sich in Erinnerung -, diese Nähe, all das hatte seine Sinne verrückt spielen lassen, sein Körper hatte sich erhitzt, seine Beine waren weich geworden. Er hatte nicht anders gekonnt, als den Kuss vorsichtig zu erwidern, sich darauf einzulassen. Es war ein wunderbares Gefühl gewesen.

Doch als sie sich getrennt hatten, als Kai sich sanft aber bestimmt wieder von Ray gelöst hatte, konnte der Chinese nicht anders, als beschämt und mit geröteten Wangen zu Boden zu sehen. Erst da war ihm bewusst geworden, was sie gerade getan hatten – und es kam ihm falsch vor.

„Ray…?“

Der Schwarzhaarige hatte die Unsicherheit in Kais Stimme hören können. Es tat ihm fast körperlich weh. Doch er konnte sich nicht dazu bringen, den Anderen anzusehen.

Er hörte, wie Kai leise von ihm wegrutschte. Das Rascheln des Strohs klang unnatürlich laut in seinen Ohren. Etwas in seinem Inneren schrie ‚NEIN! ‘, aber er unterdrückte das Gefühl.

„Es tut mir Leid…“, hörte er Kai, „Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Ich werde die Nacht wo anders schlafen, ich denke, das wäre besser.“

Ray war noch immer mit seinem inneren Gefühlschaos beschäftigt. Er hatte gerade einen Jungen geküsst…. Und es hatte ihm /gefallen/! Was hatte das zu bedeuten? Er war doch nicht schwul?

Woher willst du das wissen?

Leicht zuckte Ray zusammen.

Drigger war in letzter Zeit erstaunlich ruhig gewesen, warum meldete er sich gerade jetzt zu Wort? Und warum stellte er Rays Überzeugung, hetero zu sein, in Frage? Wobei Ray sich selbst fragte, woher er diese Überzeugung nahm. Bei allem Respekt, er wusste nicht mal seinen eigenen Namen, sondern musste ihn von einem Anderen gesagt bekommen. Sollte er ausgerechnet seine sexuelle Ausrichtung trotz seines Gedächtnisverlustes noch wissen? Das war doch absurd!

Und in den letzten Monaten, seit er in Moskau war, war so viel passiert. Viel Schönes, viel Unschönes. Aber alles hatte ihn voll eingenommen, seine gesamte Konzentration gebraucht. Über Liebe und eventuelle Freundinnen (oder Freunde?) hatte er nie nachgedacht. Es war ihm nie in den Sinn gekommen. Er hatte die Demolitionboys, mehr brauchte er nicht.

Ein leises Knarren holte ihn aus seinen Gedanken. Erschrocken blickte er auf, dachte, es kommt jemand.

Doch niemand kam.

Jemand ging.

Kai ging.

Erst jetzt sickerte die Bedeutung von Kais Worten in Rays Gehirn. Erschrocken sprang er auf.

Er wusste zwar noch nicht, wo er seine Gefühle für Kai einordnen sollte, aber er wusste, Kai sollte bei ihm bleiben.

Erschrockene rote Augen starrten ihn an, kurz flackerte etwas in ihnen auf, das der Langhaarige nicht direkt zuordnen konnte, bevor eine eisige Schicht das Rot zu überziehen schien. Jedes Gefühl aus den Seelenspiegeln verbannte. Wieder fühlte Ray einen Stich in seinem Herzen, denn er wusste, er war schuld daran.

„Bitte geh nicht...“, hatte er leise geflüstert.

So im Nachhinein musste der Chinese zugeben, dass es erstaunlich war, dass der Andere ihn überhaupt gehört hatte. Ray hatte kaum geflüstert.

Doch Kai hatte ihn gehört.

Und er war stehen geblieben, obwohl er deutlich verkrampft war. Seine Augen waren fragend.

Wieder wandte Ray den Kopf ab, doch dieses Mal schwieg er nicht. Er ließ auch Kais Arm nicht los, in der Angst, der Graublauhaarige würde verschwinden, sollte er dies tun.

„Ich wollte dich nicht verletzen… Nur… du hast mich verwirrt. Das kam… unerwartet…“, hatte Ray leise gestottert. Kai hatte sich nicht gerührt, keinerlei Reaktion gezeigt. Das gab Ray das Gefühl, seine Worte waren nicht ausreichend genug. Krampfhaft suchte er nach weiteren.

„Ich… hab nie über so etwas nachgedacht… bitte, bleib hier, ja? Ich… ich mein, es stört mich nicht, was du getan hast. Also, das wir uns... geküsst… haben. Es war sogar ganz schön…“ gestand er schließlich leise.

Als Ray klar wurde, was er soeben gesagt hatte, schoss sein Kopf hoch, rot vor Scham. Er sah gerade noch, wie Kai zweifelnd eine Augenbraue hob.

Der Russe legte den Kopf leicht schief, schließlich seufzte er leise.

„Schon gut…“, murmelte er leise und fuhr mit seiner Hand durch Rays schwarze Haare. Dann setzten sie sich wieder in das Stroh. Leicht fröstelte Ray. Trotz der Kleidung und der Tiere war es noch immer kalt im Stall. Plötzlich fühlte er, wie sich ein Arm um ihn wand. Erstaunt blickte er sich um, nur um erneut in Kais blutrote Augen zu sehen.

„Was…?“, fragte er verwirrt. Doch Kai schwieg auf seine Frage. Stattdessen drückte er Ray näher an sich heran, in seine Arme, an seine Brust, und vergrub sein Gesicht in dessen Halsbeuge.

Sofort verspannte Ray sich. Nicht aufgrund der plötzlichen Nähe, nein, viel eher wegen der plötzlichen Hitze, die in ihm aufstieg.

„Es hat dir also gefallen?“, hörte er da Kais raue Stimme hinter sich.

Und schon wieder spürte er diese angenehme, aber irgendwie auch peinliche, Hitze in ihm aufsteigen. Sein Gesicht glühte vermutlich wie ein eine 100 Watt-Glühbirne.

Er nickte.

Hinter ihm entspannte sich Kai deutlich. Und senkte seine Lippen erneut auf Rays Nacken, nur, um ihn dieses Mal zu berühren. Sanft fuhr die Zunge des Grauhaarigen über die entblößte Haut. Lauter kleine aber heftige Schauer jagten Rays Wirbelsäule hinunter, brachten ihn zum Erzittern. Er seufzte wohlig.

„Verführst du mich gerade?“, fragte er leicht neckisch. Er konnte Kais Grinsen förmlich spüren.

„Vielleicht…“, antwortete der Russe wage. „Würdest du dich denn verführen lassen?“

Kurz überlegte Ray.

„Vielleicht…“, entgegnete er dann genauso kryptisch.

Leise lachte Kai. Dann ließ er jedoch unerwartet von dem Chinesen ab, fast hätte jener enttäuscht geseufzt. Hinter ihm erhob sich der Graublauhaarige und ging um den Chinesen herum, nur, um sich vor ihm niederzuknien. Seine blutroten Augen starrten direkt in Rays goldene Opale. Plötzlich grinste er listig.

„Dann sollten wir es vielleicht ausprobieren.“

Und damit zog Kai Ray erneut zu sich und in einen tiefen Kuss.

Und dieses Mal ließ Ray sich fallen, dieses Mal hatte er keine Zweifel oder Angst. Dieses Mal genoss er es einfach.

Und dann lagen sie im Stroh, Kai über Ray. Schwer atmend und erhitzt hatten sie sich angesehen, Ray, die Frage in Kais Augen erkennend, war nur zu einem leichten Nicken fähig gewesen.

Vergessen war die draußen herrschende Eiseskälte, vergessen die Tiere, die mit ihnen im Stall standen und sich vermutlich über das merkwürdige Verhalten der Menschen wunderten und vergessen die dünnen Holzwände, die sie umgaben und kaum Lärmschutz nach außen boten. In diesem Moment hatten nur sie Beide gezählt, so kitschig es auch klingen mochte.

Während sie sich wieder aufsetzten hatte Kai vorsichtig Rays Jacke geöffnet. Der Schwarzhaarige hatte sich dann selbst den dicken Pullover über den Kopf gezogen und ihn achtlos beiseite geworfen. Ihm war heiß und er brauchte Abkühlung, schnell. Der Russe war seinem Beispiel gefolgt und nur wenige Sekunden später waren beide Teenager nur noch mit ihren Hosen bekleidet.

Neugierig inspizierte Ray Kais nackten Oberkörper, nahm jedes noch so winzige Detail auf. Sicher, er hatte den anderen schon oben ohne gesehen, doch damals … damals war halt damals. Jetzt betrachtete er den Graublauhaarigen in einem völlig anderen Licht, in einem Licht, über das er nie zuvor nachgedacht hatte.

„Und, gefällt dir was du siehst?“, fragte Kai rau. Ray nickte. Ja, im gefiel, was er sah. Die Muskeln zeichneten sich deutlich ab und die recht blasse Haut war fast makellos.

„Nun, mir gefällt auch, was ich sehe.“ Kai grinste.

Langsam hob er die Hand und berührte Rays Brust. Der Schwarzhaarige zitterte leicht, als die kühlen Finger auf seine heiße Haut trafen. Langsam fuhr Kai die Konturen ab, bis er plötzlich Druck auf Rays Brust ausübte, sodass dieser nach hinten ins Stroh fiel. Keine Sekunde später war Kai über ihm. Wieder küsste er Ray, doch schnell löste er sich wieder. Schon wollte der Schwarzhaarige protestieren, als er erneut Kais Lippen spürte, nur dieses Mal nicht auf den seinen, sondern auf seiner nackten Brust. Er stöhnte leicht.

„Kai…“, flüsterte er rau und leicht hilflos. Er wusste nicht, was er machen sollte. Er hatte keine Erfahrungen mit so etwas. Solche Berührungen waren ihm fremd.

Kai stoppte bei seiner Brustwarze, saugte dran, fuhr mit der Zunge darüber, und heftige Erregung wallte in Ray auf. Was machte sein Freund da mit ihm.

Er selbst fuhr haltsuchend mit seinen Händen über Kais Rücken, kratzte leicht an der Haut und krallte sich schlussendlich einfach fest. Kai beschwerte sich nicht.

Plötzlich spürte Ray flinke Finger an dem Verschluss seiner Hose. Und da wurde ihm bewusst, was sie eigentlich taten. Er spürte seine eigene Erregung, wie sie unangenehm drückte, er glaubte, auch Kais Erregung zu spüren, aber…

Da zog er Kai wieder hoch zu sich.

„Warte!“, sagte er zwar nach Luft schnappend aber bestimmt. Sofort erstarrte Kai. Unsicher sah er hoch.

„Was? Hab ich etwas falsch gemacht?“, fragte er besorgt.

Fast hätte Ray gelacht. Kai war hier der Erfahrene von ihnen und ausgerechnet er machte sich Sorgen, etwas falsch gemacht zu haben? Im Gegenteil, er machte seine Sache zu gut, das war das Problem.

„Nein“, antwortete Ray jedoch nur. „Aber… ich bin noch nicht …. also ich will noch nicht …“ Er wusste nicht, wie er es ausdrücken sollte, doch der Russe schien ihn auch so zu verstehen.

Er lächelte leicht und ließ von Rays Hose ab.

„Schon gut, du hast wahrscheinlich Recht. Wir sollten nichts überstürzen.“

Und dieses Mal war es Ray, der den Kuss initiierte.

Danach hatten sie lediglich noch etwas gekuschelt, nicht geredet, einfach nur nebeneinander gelegen und die Nähe zu dem jeweils Anderen genossen.

Es war schön gewesen.

Kai schlief inzwischen, aber Ray fand keine Ruhe. Zu viel schwirrte in seinem Kopf rum, als dass er sich in Morpheus Arme begeben könnte. Der ruhige und gleichmäßige Atem neben ihm beruhigte den Chinesen, nachdenklich betrachtete er Kai. Vorsichtig strich er eine Strähne aus dessen Gesicht und fuhr sanft Kais Wange hinab. Was würde nur aus ihnen werden? Aus ihrer Zukunft? Hatten sie eigentlich eine Chance, zu dritt gegen die ganze Welt? Und wenn er und Kai jetzt auch noch eine Beziehung starteten, würde das nicht eventuell Probleme in ihrer Gruppe heraufbeschwören, würde Tala sich ausgeschlossen vorkommen? War es klug was sie hier begonnen hatten?

Ray wusste es nicht, aber ihm war klar, dass er die Antwort heute Nacht auch nicht mehr finden würde.

Und ehe es ihm bewusst war driftete er in einen erholsamen Schlaf.
 

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2010-07-31T23:21:15+00:00 01.08.2010 01:21
Oh, hier ist ja auch noch kein Kommi >.<

Ich finde die Beschreibung des Kusses und die Gefühle sehr gut beschrieben in dem ersten Absatz.
Allerdings macht mir die sofortige penetrante Frage 'Bin ich schwul?' irgendwie alles kaputt.
Warum kann man nicht einfach sich Gedanken über den Kuss an sich und die andere Person machen, warum ist es wichtiger, herauszufinden, ob man schwul ist besonders in so einer Situation, wie sie sich gerade befinden, auf der Flucht und in irgendeinem Kaff in den Bergen?
Warum kann man nicht einfach den Kuss genießen und ausklingen lassen, glaub mir, wenn man das erste mal eine Person des gleichen Geschlechtes küsst, dann ist nicht der erste Gedanke 'Bin ich schwul?/lesbisch?'
Und btw. hat eine sexuelle Ausrichtung nichts mit dem Verstand zu tun, deshalb kann man es nicht einfach vergessen, das ist ein Gefühl, das da ist oder eben nicht. Und das kann ich mit Gewissheit sagen, weil ich selbst lesbisch bin und genug Leute kenne, die es auch sind und ähnlich darüber denken ;)
Oh, bitte, so romantisch ich diese Szene gerade finde, es ist langsam extrem nervig, dass Ray permanent errötet -.-
Insgesamt hat mir die Szene aber sehr gut gefallen, du hast es echt drauf Erotik gut rüberzubringen <3.
Ich war fast ein wenig enttäuscht, dass es nicht zu einem Lemon gekommen ist, ich finde, das hätte wirklich super gepasst xD.
Bin mal gespannt, wie das mit den beiden weitergeht und joar...
Ich weiß, ich hab mal wieder viel gemeckert, aber im Großen und Ganzen hat mir das Kapitel wirklich sehr gut gefallen :)


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