Kapitel 5
5. Kapitel
Deprimiert hockte Ray auf dem Sofa und starrte auf den Fernseher.
Er befand sich in einem der Gemeinschaftszimmer, die im Heim verstreut lagen. In ihnen standen Tische mit Stühlen, Sessel, Sofas und Regale mit Spielen, Büchern und Bastel- und Malsachen. Und in diesem Gemeinschaftsraum stand der einzige Fernseher des ganzen Heims.
Es gab wohl auch einige Kinder, die einen eigenen im Zimmer zu stehen hatten, weil sie ihn vererbt bekommen hatten, aber dieser hier war sonst der Einzige für alle zugängliche. Daher war das Programm auch festgelegt, das heißt, wann was geschaut wurde. Außerdem achteten die Betreuer streng darauf, dass niemand zu viel Fern sah.
Müde starrte er auf den Bildschirm, nahm aber nicht wirklich wahr, was dort lief. Ein plötzliches Rascheln ließ ihn hochschrecken.
„Ich geh ins Bett“, meinte ein braunhaariger Junge. Es war in Rays Alter und wohnte auch in der dritten Etage, doch dem Langhaarigen fiel der Name des Jungen nicht ein. Leicht nickte er und beobachtete, wie der Teenager ging. Jetzt war Ray alleine im Zimmer.
Ein Blick auf die Uhr verriet auch, warum: Es war 21.54 Uhr, in sechs Minuten war Sperrstunde, zumindest vor Schultagen. Ab dann mussten alle in ihren Zimmern sein.
Gähnend erhob sich Ray und angelte nach der Fernbedienung, um das nervige Gerät endlich auszuschalten, doch er erwischte die falsche Taste. Kurz flimmerte der Bildschirm auf, die Werbung machte einer Nachrichtensendung platz.
Neugierig drehte Ray den Ton etwas lauter. Mit Nachrichten hatte er sich noch gar nicht beschäftigt, aber es ist sicher interessant zu erfahren, was außerhalb dieses Stadtteils vor sich ging.
Doch als der zugeknöpfte, ernste Nachrichtensprecher anfing, die Ergebnisse der letzten Fußballspiele herunterzuleiern, verging Ray die Neugierde. Was interessierten ihn zwanzig Idioten, die hinter ein Ball her rannten und zwei, die dazu zu faul waren und einfach im Tor blieben und hofften, dass das verfluchte runde Ding nicht zu ihnen kam?! Okay, er gab’s ja zu, er konnte diese Sportart nicht leiden! Männlichkeit verpflichtete ja nicht zur Fußballliebe!
Plötzlich hielt Ray in seinen Gedanken inne.
Warum mochte er kein Fußball? Woher wusste er das? War das schon wieder so eine merkwürdige Art, sich zu Erinnern?
Leicht verwirrt schüttelte er den Kopf, gerade, als der Nachrichtensprecher unerwartet etwas lauter und aufgeregter nach einer kurzen Pause weiterredete:
„Soeben erreichte uns eine Sondermeldung aus New York, USA! Eine Gruppe von fünf Espern, sowie zwei Zeros wurden dort soeben aufgespürt und nach einer kurzen Jagd und einem heftigen Kampf gestellt und verhaftet. Sie hatten sich in der Kanalisation unterhalb einer Bank zu schaffen gemacht. Allem Anschein nach, handelt es sich hierbei um einen schon länger geplanten Überfall, der nur durch Zufall von ein paar Mitarbeitern der öffentlichen Stadtreinigung aufgedeckt werden konnte. Auf Grund ihres verbrecherischen Aktes werden zwei der Esper, die der Polizei bisher noch nicht bekannt waren, vermutlich ein paar Jahre inhaftiert, die anderen drei Esper sind bereits vorher straffällig geworden. Ihnen steht vermutlich das Urteil lebenslänglich vom Gericht bevor.
Die zwei Zeros sind die ersten, die man seit über drei Monaten ausfindig machen konnte. Einer wurde noch an Ort und Stelle exekutiert, der Andere wird direkt nach Alcatraz überführt, um dort seine Hinrichtung zu vollstrecken. Sobald uns weitere Informationen erreichen, werden wir sie sofort informieren.“
Exekutieren?!
Hinrichten?!
Was war denn das für eine Farce?!
Und was zum Teufel waren jetzt schon wieder Zeros?!
Gespannt und gleichzeitig sehr durcheinander starrte Ray auf den Fernseher.
Dort sah man einen ganzen Haufen von Polizeiwagen, dazwischen rannten Polizisten sowie einige gänzlich in weiß gekleidete Leute herum. Immer wieder schwenkte die Kamera zu einer Gruppe von zwei Jugendlichen und drei Erwachsenen, die jeweils von zwei bis drei Polizisten festgehalten wurden. Das mussten diese Esper sein.
Die Gesichter wirkten verzweifelt und fertig, keiner der Esper sah sonderlich gesund aus. Einer weinte und schluchzte heftig.
Ein eisiger Schauer durchfuhr Ray und erschrocken zuckte er zusammen, als einer der Polizisten einen erwachsenen Esper plötzlich und scheinbar grundlos niederschlug.
Der Chinese konnte nicht ganz fassen, was sich dort abspielte. Er wollte wegschauen, abschalten. Doch es ging nicht. Die Bilder hielten seinen Blick gefangen und sie kamen dem Schwarzhaarigen seltsam vertraut vor. Warum?
Schon wieder schwenkte die Kamera.
Kurz verharrte sie bei einem Krankenwagen, in den gerade eine Trage gehievt wurde, die Person darauf war mit einem schwarzen Tuch abgedeckt. Das musste der Verstorbene sein.
Doch die Kamera drehte sich weiter, bis bei einem anderen Haufen Leute stehen blieb.
Im Zentrum befand sich dieses Mal nur eine einzige Person. Der Mann trug feste Kleidung im Stil der Armee, sie war teilweise zerrissen und Blut rann ihm aus diversen Verletzungen. Er wurde nicht von Polizisten festgehalten. Ihn hatten diese weiß gekleideten Menschen in die Zange genommen, zwei hielten ihn von hinten und einer stand in einer bedrohlichen Position vor ihm. Ein weiterer Mann hielt dem Gefangenen eine Pistole an die Schläfe.
Der Mann, der vor dem Gefangenen stand, hatte die Hände zu Fäusten geballt und kleine Funken sprühten daraus hervor.
‚Ein Esper’, schoss es Ray durch den Kopf.
Tyson hatte ihm heute noch Mal in aller Ruhe erklärt, dass richtig gute Esper auch fähig waren, kleinere Mengen reine Energie zu bündeln. Damit konnte man wirklich Schaden anrichten, es wäre extrem gefährlich, hatte der Blauhaarige noch hinzugefügt.
Fasziniert starrte Ray auf die Hände des Espers, eine Faust hob dieser und öffnete sie. Tatsächlich, eine kleine leuchtende Kugel. In Rays Innerem kribbelte es. Die offene Handfläche richtete der Esper auf die Stirn dieses Zeros – was auch immer das jetzt sein mochte – und kurz darauf verschwand das Leuchten. Zeitgleich sackte der sich bis dahin immer noch windende Mann scheinbar bewusstlos zusammen.
Grob wurde er gegriffen und aus dem Sichtfeld der Kamera geschliffen.
„Schon furchtbar, nicht wahr?“
Erschrocken fuhr Ray herum. Sein Herz pochte heftig gegen seine Brust, er konnte das Adrenalin in seinen Adern beinahe spüren.
„Frau Koraja!“, rief er überrascht aus.
Die Heimmutter stand in der Tür, den Blick starr auf den Fernseher gerichtet. Ihre Miene war unergründlich.
„Endlich zwei weniger auf dieser Welt“, sagte sie schließlich und in ihrer Stimme schwang so viel Hass mit, dass Ray unwillkürlich einen Schritt zurück weichen wollte.
„Diese Zeros… sie sollten alle ausgerottet werden! Aber sie verkriechen sich feige wie Ratten in ihren Löchern und wenn sie sich doch zeigen, dann richten sie nur Schaden an!“
„Sie mögen sie nicht“, bemerkte Ray schlicht.
Ein stechender Blick fixierte Ray.
„Sie nicht mögen? Ich hasse sie! Mit Espern komme ich ja noch klar, doch diese … Kreaturen dort ... das ist doch … unnatürlich!“
Leicht schüttelte sie sich, als denke sie an etwas Widerliches.
„Eigentlich wollte ich dich nur ins Bett schicken, es ist bereits nach zehn. Auch wenn die Nachrichten spannend sind, morgen musst du in die Schule. Also los!“
Eilig nickte Ray und verließ hastig das Zimmer und die Gesellschaft der Heimmutter. Die Frau war ihm unheimlich.
Leise schlüpfte er in sein Zimmer und fand plötzlich Kai gegenüber. Dieser hatte bei seinem Eintreten aufgesehen und starrte ihn nun an.
Kurz erwiderte Ray den Blick.
‚Was will er von mir? Nach dem, was heute passiert ist?!’
Demonstrativ wandte Ray den Kopf ab und widmete sich einem Buch, das er für die Schule lesen musste. Kai ignorierte er absichtlich, doch dieser war bereits wieder in seinen eigenen Sachen vertieft. Etwas wurmte es Ray schon, dass der Russe sich von seiner Ignoranz nicht stören ließ, doch der Chinese verdrängte den Gedanken schnell. Ab jetzt würde er Kai konsequent ignorieren! Sollte der doch sehen, wo er blieb, ihn interessierte es nicht mehr!
Kurz musste Ray noch an den Beitrag denken. Er hatte den Eindruck, in dieser Welt ging Einiges nicht mit rechten Dingen zu. Exekution auf der Straße, Hinrichtung ohne Verurteilung durch ein Gericht… Wer oder was waren diese Esper, das die Regierung zu derart drastischen Maßnahmen griff? Was hatten sie getan, um eine solche Reaktion, einen solchen Hass und eine solche Abscheu bei der Heimmutter hervorriefen?
Am liebsten würde Ray einfach fragen, aber er war sich nicht sicher, ob das klug war. Zeros schienen etwas mit Espern zu tun zu haben, doch trotz der Tatsache, dass Tyson und Max ihm heute noch so viel über Esper gezeigt und erklärt hatten, hatte sie Zeros mit keinem Wort erwähnt. Ob es ein Tabuthema war?
Aber diese Bilder wollten ihn nicht loslassen. Sie setzten sich in seinem Kopf fest und zerrten an seinen Gedanken. Ob er früher gewusst hatte, was Zeros waren?
„Ahhh! Ich hab ja so was von keinen Bock!“
Leicht schimpfend starrte Ray dem gerade abgefahrenen Bus hinterher, der ihn eigentlich hätte nach Hause ringen sollen.
Warum hatte dieser doofe Lehrer ihn auch aufhalten müssen?
Jetzt hatte er Chinese die Wahl, entweder Warten oder Laufen. Er überlegte. Den Weg zum Heim hatte er vor zwei Tagen auch zu Fuß gefunden, warum also nicht Laufen? Das Wetter überraschend gut, die Temperaturen vergleichsweise hoch und die Sonne lachte vom Himmel.
Leicht nickte Ray sich selbst zu. Er würde zurück laufen. Nach einem kurzen Blick überquerte er die Straße und tauchte in das Gewirr von Gassen und Straßen ein, das sich jenseits der Hauptstraße erstreckte.
Als er an einer Kreuzung vorbei kam, stoppte er kurz und ließ seinen Blick schweifen.
Vor zwei Tagen hatte Kai hier eine Gruppe Jugendlicher ohne mit der Wimper zu zucken fertig gemacht und ihm dann noch gedroht. Zum wiederholten Mal.
Zwei Tage war das jetzt her. Seit dem hatte der Schwarzhaarige den Russen absichtlich ignoriert, ihn keines Blickes gewürdigt und seine Existenz schlicht übersehen.
Und Kai hatte es genauso gehalten.
Ray hielt sich meist eh nur noch im Zimmer von Tyson und Max auf, lediglich zum Schlafen ging er in sein eigenes Zimmer. Kai wiederum verschwand nachts gerne Mal, letzte Nacht hatte er wieder einen Ausflug unternommen, doch Ray war egal, was der Graublauhaarige trieb. Er sollte ihn nur in Ruhe lassen.
Gedankenverloren kickte der Langhaarige einen Stein und dieser kullerte ein Stück über den Boden, bis er scheppernd an eine Blechdose stieß.
Plötzlich erregte etwas seine Aufmerksamkeit.
Vor ihm standen drei Jungs. Aber sie standen nicht einfach nur da und plauderten miteinander, sondern sie hatten sich demonstrativ bedrohlich nebeneinander vor ihm aufgereiht und jeder von ihnen fixierte Ray mit seinem Blick.
Etwa fünf Schritte vor der Gruppe hielt Ray an und musterte die Fremden kritisch.
Ich hätte doch auf den nächsten Bus warten sollen, schoss es ihm durch den Kopf.
Einen der Jungs, den linken, erkannte er wieder, er hatte auch zu der Gruppe gehört, die Kai am Mittwoch angegriffen hatte. Die anderen zwei waren ihm fremd.
„Du bist Ray Kon“, sprach ihn da der ganz rechts stehende Junge an.
Überraschte wandte Ray sich dem Sprecher zu, der scheinbar auch der Gruppenführer war. Ungewöhnlich, sonst steht der Anführer doch immer in der Mitte, schoss es Ray durch den Kopf.
„Was wollt ihr von mir?“, fragte Ray gezwungen ruhig.
Er hatte keinen Bedarf auf eine erneute Prügelei, zwei in einer Woche waren schon zu viel, aber drei? Nein danke. Außerdem würde er auch hier den Kürzeren ziehen, denn seine Gegner waren eindeutig in der Überzahl.
„Ich bin Azat Zueva, Anführer der All Starz“, stellte der Junge sich vor. Er hatte kurze, rote Haare und war kaum größer als Ray selbst.
Fragend runzelte Ray die Stirn.
„All Starz?“
Die anderen beiden Russen begannen zu grinsen, während nun Azat an der Reihe war, die Stirn zu runzeln.
„Du weißt noch nichts über die Banden hier? Dann sollte ich dich aufklären, nicht wahr?“, sprach der Andere ziemlich selbstgefällig weiter, „Nun, es gibt viele, aber besonders drei große. Die einen sind die White Tigers, die anderen sind die All Starz, dazu gehören wir hier, sowie die Jungs, die du vorgestern kennen gelernt hast.“ Den letzten Teil betonte Azat stark.
„Die dritte Bande sind die Demolition Boys, sie ist die kleinste der stärksten drei Gruppen, doch sie besteht ausschließlich aus Espern. Hiwatari ist ihr Leader.“
„Aha“, dazu wusste Ray nichts zu sagen.
„Wir wollen dich um einen Gefallen bitten“, fuhr Azat unbeirrt fort, wobei es eher wie ein Befehl klang. „Du bist Hiwataris Mitbewohner, wie ich in erfahren habe, der erste seit langer Zeit. Und du eröffnest uns ungeahnte Möglichkeiten. Ich will, dass du Hiwataris Sachen durchsuchst und uns alles erzählst, was auf seine Schwäche hindeuten könnte oder was anderweitig interessant sein könnte.“
„Ich soll ihn ausspionieren“, fasste Ray Azats Worte zusammen.
Der Rothaarige grinste leicht.
„Nun, wenn du es so ausdrücken willst, dann ja. Du sollst ihn ausspionieren.“
Grimmig verzog Ray das Gesicht und ballte die Hände zu Fäusten.
„Und warum sollte ich das tun?“, fragte er provokant.
„Nun ja…“ Azats Blick fuhr musternd über den Körper des Schwarzhaarigen, „ich habe zufällig erfahren, dass du einige Probleme mit deinen Mitschülern hast. Als Gangleader könnte ich diese Probleme ohne Schwierigkeiten lösen.“
„Und was hilft mir das, wenn ich im Schlaf von meinem Mitbewohner gemeuchelt werde?“
Leicht blitzten die Augen des Bandenführers bei diesen Worten auf. Anscheinend hatte er das Gefühl, auf fruchtbaren Boden gestoßen zu sein.
„Keine Sorge“, meinte er beruhigend, „wenn du uns wirklich brauchbare Informationen lieferst, wirst du bald keinen Mitbewohner mehr haben.“
Hart schluckte Ray.
Diese Typen waren wirklich gefährlich und schienen vor nichts zurückzuschrecken. Wo war er da nur rein geraten?
„Nein“, erwiderte er dennoch.
„Was?“ Entgeistert starrte Azat ihn an.
„Ich sagte nein. Ich werde Kai nicht ausspionieren.“
„Ist dir klar, was passiert, wenn du das Angebot ablehnst?“
Der mittlere Junge begann, gefährlich mit den Fingerknöcheln zu knacken, der Linke grinste noch breiter.
„Ich kann es mir denken, doch ich werde trotzdem ablehnen. Spionage ist wirklich unter aller Würde.“
Nein, so tief würde Ray nicht sinken. Er mochte Kai nicht, doch das hieß nicht, dass er ihm zusätzliche Probleme machen musste. Er würde sich aus Kais Sachen raushalten, sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinne, das hatte er sich geschworen. Und er hatte nicht vor, diesen Schwur wegen einem Möchtegernanführer zu brechen.
Gefährlich funkelten Azats Augen.
„Du hast es ja nicht anders gewollt, los Jungs!“
Ruckartig drehte Ray sich um, um wegzulaufen, denn er wusste, ein Kampf wäre aussichtslos, doch prompt stolperte er in die Arme eines vierten Jungen. Micheal. Scheiße! Er war umzingelt.
Der Blonde stieß ihn zurück und zu dritt umkreisten sie den Chinesen.
Leicht panisch drahte Ray sich im Kreis, doch er konnte keinen Ausweg erkennen. Bei der Erkenntnis, dass er in der Falle saß, wurde sein Atem hektisch. Da schoss die erste Faust auf ihn zu.
Mit dem, was dann kam, hatte keiner gerechnet. Weder Azat, noch der Angreifer oder seine beiden Freunde und am allerwenigsten Ray selbst.
Wie aus Reflex duckte er sich unter dem Schlag weg, der ihn nur um Haaresbreite verfehlte, während sein eines Bein nach vorne schoss und dem Angreifer die Füße unter den Körper weg schlug.
Mit einem Aufschrei ging dieser zu Boden, während Ray sich eilig wieder aufrappelte.
„Nicht schlecht, das Kätzchen hat also Krallen“, murmelte Azat laut.
Wieso verglich ihn jeder mit einer Katze, fragte Ray sich. Kai hatte das ebenfalls schon getan.
Da zückten Micheal und der dritte Junge jeweils ein Messer, der zweite Junge rappelte sich gerade, ebenfalls ein Klappmesser in der Hand, stöhnend auf.
Scheiße!
Panisch riss Ray die Augen auf.
Schon schoss die erste Klinge auf ihn zu und Ray konnte nicht mehr rechtzeitig ganz ausweichen. Die Schneide schnitt ohne Probleme durch sein Oberteil und in seinen Oberarm. Erschrocken ob des plötzlichen Schmerzes stolperte Ray zurück und wurde von Michael heftig zu Boden gestoßen.
Verkrampft wartete Ray dort auf weitere Attacken, doch diese blieben aus. Überrascht öffnete er die Augen und sah vorsichtig auf.
Azat hatte sich vor ihm aufgebaut.
„Nun? Hast du es dir anders überlegt?“, fragte er freundlich lächelnd. Und das war beängstigend. Jeder andere hätte in seiner Situation vielleicht gegrinst, oder hönisch gelacht aber bestimmt nicht /gelächelt/!
Rays Atem ging leicht stoßweise, den Schmerz in seinem Arm nahm er kaum wahr, genauso wenig, wie das Blut, dass sein Oberteil durchnässte.
Rays Gedanken rasten. Ob diese Leute vor Mord zurückschreckten? Er war sich nicht sicher.
Dennoch schüttelte er leicht den Kopf, Azat dabei nie aus den Augen lassend.
„Nein“, wiederholte er, seine Stimme war dabei wesentlich dünner, als er es sich gewünscht hätte.
Der Rothaarige verzog grimmig das Gesicht.
„Du willst es ja nicht anders“, zischte er wütend und trat erneut einige Schritte zurück, damit seine – Freunde? – vor konnten. Selbst die Finger schmutzig machen wollte der Anführer sich also auch nicht, dachte Ray ironisch.
„Macht ihn fertig.“
Es waren nur drei Worte, doch sie klangen wie ein Urteilsspruch, der das Ende bedeutete. Und in den Augen der Schläger konnte Ray erkennen, dass diese drei Worte auch genau das bedeuteten. Zwei Jungen traten sichtlich erfreut noch näher auf ihn zu, Michael hielt sich ebenfalls im Hintergrund. Jetzt war es da. Das Ende.
Nein!
Das durfte nicht passieren!
Das wollte er nicht!
Um nicht hinsehen zu müssen, kniff Ray verkrampft die Augen zu, in Gedanken noch immer nach einem Ausweg suchend.
Er wollte hier nicht enden!
Weder wollte er ins Krankenhaus, noch auf den Friedhof!
Er weigerte sich!
Ein Schlag ließ seinen Kopf zur Seite fliegen, heftig zuckte Ray zusammen und schrie leise auf.
Er fühlte sich so beschissen. Es kribbelte schon wieder, aber dieses Mal war es sein ganzer Körper!
Noch ein Schlag.
Es sollte aufhören. Sie sollten ihn in Ruhe lassen.
Hört auf.
Hört auf!
„HÖRT AUF!“
…
Und plötzlich ging es ihm besser. Wesentlich besser.
Überrascht schlug Ray blinzelnd die Augen auf und starrte einen fassungslosen Azat an.
Die Schläge hatten aufgehört und auch das Kribbeln war auf ein erträgliches Maß zurückgegangen.
Doch wo waren seine Angreifer?
Verwirrt blickte der Chinese sich um. Da lagen sie, alle auf dem Rücken, Micheal saß schon wieder, versuchte jedoch, Abstand zwischen sich und Ray zu bekommen.
Ray begriff es nicht. Was war passiert?
„Zueva!“
Erschrocken fuhr Ray herum. Die Stimme kannte er doch! Und tatsächlich, da stand er.
Mit vor Wut sprühenden Augen schritt Kai langsam auf sie zu, rechts von ihm folgte ihm ein rothaariger Teenager, vielleicht ein Jahr älter als Kai.
„Wie tief kannst du sinken? Jemanden anzugreifen, der keiner Bande angehört ist gegen die Regeln und das weißt du!“
Der Schwarzhaarige hatte sich schnell gefasst.
„Du warst das also, Hiwatari. Misch dich nicht ein, das geht dich nichts an.“
„Und ob mich das was angeht! Und jetzt verschwinde, bevor ich gleich hier abrechne“, drohte Kai und plötzlich trat der Rothaarige vor, die Hand zu Faust geballt du leicht leuchtend.
Er musste auch ein Esper sein, schoss es Ray durch den Kopf.
Angespannt wich Azat zurück. Hasserfüllt kniff er seine Augen zusammen.
„Na gut, aber das war’s noch lange nicht, Hiwatari, ich kriege dich und deine beschissene Bande noch. Verlass dich drauf! Und den Kleinen hier“, dabei deutete er mit einem kurzen, ruckartigen Nicken auf Ray, welcher leicht zusammenzuckte, „kannst du auch nicht immer beschützen!“
Dann hastete er an Kai und dem Rothaarigen möglichst würdevoll vorbei, doch es war eindeutig eine Flucht. Seine Schläger folgten ihm gleich braver Hündchen, machten allerdings einen großen Bogen um Kai.
„Puh.“
Erleichtert atmete Ray auf. Gerade wollte er sich erheben, da ließ ihn ein heftiger Schmerz zusammenzucken und er keuchte erschrocken auf.
Bei der ganzen Aufregung hatte er den Schmerz in seinem Arm, der durch die Schnittwunde kam, nicht bemerkt, dafür wurde der Schaden jetzt richtig deutlich.
Leise fluchend kam Ray schwankend auf die Beine, wäre aber sofort wieder eingeknickt, hätte der Rothaarige nicht schnell zugegriffen und ihn gestützt.
„Na, dich haben sie aber fertig gemacht“, stellte er leise lachend fest.
„Schön, dass dir das so gefällt“, fauchte Ray bissig zurück. Dieser Kerl war ihm jetzt schon unsympathisch, denn der Langhaarige mochte es nicht, wenn man auf seinen Schwächen rumtrampelte.
„Ganz ruhig, Kleiner.“
Endlich hatte sich Rays Körper beruhigt, der Schmerz in seinem Arm war auf ein ertragbares Maß zurückgegangen und Welt um ihn herum hatte aufgehört, sich wie ein Karussell zu drehen. Langsam trat er einen Schritt von dem Rothaarigen zurück und sah zu Kai.
Dieser musterte ihn kritisch.
Nun, das an und für sich war nichts Ungewöhnliches, dennoch musste Ray schlucken.
Sonst hatten ihn die Augen immer nur kalt und abfällig angesehen, doch jetzt lag eher etwas Neugieriges und nun – fast Freundliches – darin.
„Danke“, brachte Ray schließlich leicht heiser hervor.
Kai zog eine Augenbraue in die Höhe und der Rothaarige grinste breit.
„Wofür?“, wollte der Graublauhaarige wissen.
Über diese Frage stolperte der Chinese doch kurz, da er sie nicht verstand.
„Also, … äh … vielleicht für deine Hilfe gerade?“, erwiderte er nach kurzem Zögern. Welches Spiel spielte der Andere jetzt schon wieder mit ihm?
Leicht schüttelte Kai den Kopf, ohne Ray aus den Augen zu lassen. Sein Gesicht war nachdenklich geworden.
„Ich habe Zueva nur an die Regeln erinnert“, sagte er schlicht, doch Ray lachte trocken.
„Ja, und mich mit deinen komischen Fähigkeiten nebenbei vor einem Totschlag gerettet!“
Plötzlich stand dieser Rothaarige vor Ray und starrte ihm tief in die Augen. Eisblau traf auf Berstein-Gold. Dann tippte der Russe Ray kurz auf die Nasenspitze, bevor er sich zu Kai umdrehte.
„Er scheint es wirklich nicht zu wissen“, bemerkte er sichtlich amüsiert.
Nun wurde es dem Schwarzhaarigen doch etwas zu bunt.
„Was nicht wissen? Wovon redet ihr?!“, wollte er fordernd erfahren.
„Nun…“, begann Kai, „ich habe mit meinen Esperfähigkeiten nicht eingegriffen.“
„Nicht?“ Rays Augen weiteten sich verständnislos, dann huschte sein Blick zu Tala, welcher wirklich Spaß zu haben schien. Als er Rays fragenden Blick auffing, schüttelte er den Kopf.
„Aber wer…?“
„Du“, sagte Kai schlicht, „du hast dich selbst gerettet. Es sieht ganz so aus, als wärst auch du ein Esper.“
Sorry wegen der Gangnamen, ich weiß, sie sind so nicht sonderlich passend, aber das hat einfach Beyblade-Wiedererkennungswert, deswegen musste ich die Banden nach den Teams benennen. Lasst euch nicht daran stören, ja?
Bis zum nächsten Kapitel,
eure achat