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Shadows of the NewMoon

von
Koautor:  Caracola

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26. Kapitel

Je mehr er redete, desto weniger wusste Amanda, was sie antworten sollte. Es tat ihm leid. Das hatte er nun schon zum wiederholten Male gesagt. Und sie glaubte ihm sogar. Was sie allerdings nur noch trauriger machte.

Sie lehnte sich auf die Unterarme gestützt auf den Tisch und wandte ihren Kopf, um aus dem Fenster zu blicken. Ihre Stimme war völlig ruhig und ließ keine aufbrandenden Gefühle erkennen. Immerhin hatte sie oft genug darüber nachgedacht, was sie von der Szene am Fluss halten sollte.

Die ersten Tage, nachdem sie fortgegangen war, hätte sie ihn zu gern ausgefragt. Hätte im Detail mit ihm klären wollen, was passiert war …

Aber um zu glauben, dass man es wieder ungeschehen machen konnte, dafür waren sie wohl beide schon zu alt. Was passiert war, war passiert, aber Amanda hätte es damals nur zu gern verstanden.

Jetzt, wo sie die Gelegenheit hatte, war sie nicht mehr so sicher, dass sie seine damalige Sicht der Dinge wirklich hören wollte.

Also fing sie mit der einzigen seiner Fragen an, die sie auf Anhieb beantworten konnte.

„Deine Frage, warum ich dich gerettet habe, hast du dir doch selbst schon beantwortet. Ich hab dein Rudel gesehen, Nataniel. Sie sehen alle zu dir auf und brauchen deine Hilfe. Nachdem, was ich über die Moonleague erfahren habe, konnte ich doch gar nicht anders, als dir da raus zu helfen. Und ich werde dich auch zu ihnen zurückbringen.“

Als sie sich ihm wieder zuwandte, sah sie im Augenwinkel gerade den Kellner mit einem Tablett und ihren Getränken zurückkommen. Daher fügte sie nur kurz etwas an. „Außerdem warst du unschuldig.“

Sie hatte sich schon so lange auf den großen Milchkaffee gefreut, der nun verführerisch duftend vor ihr stand und unter ihrem Blick langsam kalt wurde.

„Was die Sache am Fluss angeht …“

Ihre hellbraunen Augen hatten fast die gleiche Farbe wie der Inhalt ihrer großen Tasse und erschienen beinahe völlig leer, als sie die von Nataniel trafen, hinter denen so viele Emotionen zu lauern schienen.

„Wenn du nur von mir willst, dass ich dir eine Szene mache, dich anschreie und dann damit abschließe, dann muss ich dich enttäuschen.“

 

Als der Kellner bei ihnen aufkreuzte, die Getränke vor ihnen abstellte und Amanda einen Blick schenkte, der um ein paar Sekunden zu lange war, als dass er rein geschäftsmäßig hätte sein können, verlor Nataniel für einen Moment den Gesprächsfaden.

Zum Glück schien Amanda es gar nicht zu bemerken, doch er sah dieses Lächeln sehr wohl und witterte auch den verlangenden Duft, den der Typ ausstrahlte, als hätte er darin gebadet und wolle damit ihre Instinkte ansprechen.

Allerdings war das Einzige, was der Kerl damit wirklich anlockte, Nataniels dominante Alphatierpräsenz, die er schon seit geraumer Weile nicht mehr so offen gezeigt hatte.

Augenscheinlich veränderte sich gar nichts. Er legte lediglich die Hände um seine heiße Schokolade und sah auf den dunklen Inhalt, doch mit einem Mal verkrümelte sich der Kellner schneller, als nötig. Ganz so, als wäre ihm erst jetzt Amandas Begleitung so richtig aufgefallen.

Damit konnte Nataniel sich wieder voll und ganz auf das aktuelle Gesprächsthema konzentrieren. Die Sache am Fluss ...

„Im Grunde will ich gar nicht von dir angeschrien werden. Aber es wäre eine Reaktion, mit der ich etwas anfangen könnte, auch wenn es jetzt im Nachhinein nichts mehr ändert. Es tut mir trotzdem leid, wie die ganze Sache gelaufen ist.“

 

Die Oberfläche des Milchkaffees bewegte sich träge unter den Kreisen, die Amanda mit dem Löffel darin zog.

„Ich glaube dir sogar, dass es dir leidtut. Aber das ändert doch nichts. Wir haben irgendwas versucht … Es hat nicht geklappt. Ich habe …“

Schnell schluckte sie den kleinen Kloß hinunter, der ihre Kehle zu verstopfen drohte, indem er schlagartig anschwoll, wenn sie weiter sprechen wollte.

„Ich habe dich abgestoßen. Dir ist jede Emotion abhandengekommen. Ich weiß nicht, wie ich es gemacht habe, aber das ist auch egal. Eigentlich muss es dir gar nicht leidtun. Das muss es keinem von uns beiden.“

Menschen und Wandler passten eben einfach nicht zusammen. Sie wollte nicht sagen, dass er doch keine Schwierigkeiten haben würde, jemanden zu finden. Sie wollte doch gar nicht, dass er jemand anderen fand. Vielleicht hatte er das schon.

Amandas Herz schlug schnell und schmerzhaft, als ihr der Gedanke kam.

„Es war die richtige Entscheidung zu gehen. Du hast mich ja auch gehen lassen. Du hast nicht mal versucht, Kontakt zu mir aufzunehmen.“

Diesen kleinen Vorwurf konnte sie einfach nicht unterdrücken, aber das war auch der einzige Satz, der ihren Schmerz außerdem im Tonfall beinhaltete.

 

„Du hast mich damals nicht abgestoßen, Amanda.“ Das musste er jetzt einfach klarstellen, so wie so manch anderes auch.

„Das absolute Gegenteil war der Fall und genau deshalb drohte die Situation mit einem Schlag gefährlich für dich zu werden. Der Panther …“

Nataniel zögerte nur kurz, aber es war keine geringe Entscheidung, die er da fällen musste. Immerhin würde er sich Amanda jeden Moment komplett offen legen.

„Es ist schwer zu erklären. Aber wenn ich es versuchen müsste, würde ich es eben mit jenem Tag am Fluss vergleichen. So wie ich deine beherrschten und kühlen Gefühle nicht richtig nachvollziehen kann, wirst du nie vollständig das Gegenteil davon verstehen können, mit dem ich tagtäglich zu kämpfen habe. Besonders an diesem verhängnisvollen Tag.“

Seine Finger schlossen sich enger um die Tasse.

„Ich weiß, dass die Menschen auch heißblütig, wild und ebenso auch brutal sein können wie wir. Nur haben sie nicht die körperlichen Voraussetzungen ohne Hilfsmittel auch so enormen Schaden anrichten zu können, wie ich zum Beispiel dazu in der Lage wäre. Darum hoffe ich, dass du mir glaubst, wenn ich dir sage, dass ich dich damals nur beschützen wollte.“

Den letzten Satz sagte er mit Nachdruck.

„Ich werde niemals kühl und gelassen sein können, wenn ich innerlich eigentlich das Gefühl habe, ich müsste explodieren. Das ist mir einfach nicht möglich, weil ich ein Wandler bin.“

An dieser Tatsache war einfach nicht zu rütteln.

„Der Panther ist ziemlich besitzergreifend, impulsiv und in seiner ungezähmten Leidenschaft oft auf unbeabsichtigte Weise wild und daher unberechenbar. Natürlich ist er ein Teil von mir, wie ich ein Teil von ihm bin. Aber bei starken emotionalen Regungen vermischen sich diese Eigenschaften so sehr, dass ich das Tier nicht länger im Käfig halten kann. Seine Gefühle, seine Wünsche, sein Verlangen greifen auf mich über. Weshalb ich stark aufwallende Gefühle nicht verbergen kann.“

Nataniel entkam ein Seufzer, ehe er einen Schluck von seinem Getränk nahm, da ihm der Mund trocken wurde.

„Du bist ein Mensch und somit mit all deinen Gefühlen, Instinkten, Sinneswahrnehmungen und Gedanken alleine. Ich trage auch noch ein Tier in mir herum, das ich nur selten ignorieren kann. Mir sind damals die Emotionen abhandengekommen, weil ich den Panther tief in mir einschließen musste, damit er nicht über dich herfällt.“

Zum ersten Mal blickte er hoch: „Du kennst doch den Spruch: Die Sau raus lassen? Nicht anders verhält es sich, wenn ich sage: Den Panther befreien.

Ich lass mich gehen, werde zu einem Wesen, das zwar menschlich aussieht, aber hinter seinen Augen kannst du ebenso ein Tier erkennen. Eines das dich mit seiner ungestümen Art unabsichtlich hätte verletzen können, auch wenn ich dir damit nicht sagen will, dass du schwach bist, aber eben weil du ein Mensch bist, war Vorsicht angebracht und gerade, weil ich dir all das verschwiegen habe, tut es mir umso mehr leid.“

 

So, wie Amanda es verstand, war Nataniel damals im Fluss dabei gewesen, die Beherrschung zu verlieren. Der Panther hätte die Oberhand gewonnen und sie eventuell verletzt. Um das zu verhindern, hatte Nataniel ihn wegsperren wollen und dabei wohl maßlos übertrieben.

Sie sah ihm direkt in die Augen, die jetzt vor Emotionen aufgewühlt schienen, als würde sich darunter eine stürmische See befinden. Damals hatten seine Augen so leer ausgesehen, es war rein gar nichts darin gewesen.

Um ehrlich zu sein, wusste sie nicht genau, was sie auf diese Offenbarung hin sagen sollte.

 

Bevor Nataniel weiter sprechen konnte, kam schon wieder der Kellner, der sich langsam zu einer lästigen Plage entwickelte, stellte rasch Amandas Bestellung vor ihr hin und verzog sich schleunigst wieder in die Küche.

Braver Junge.

Da der Geruch des Essens ihm vollauf reichte, wandte Nataniel seinen Blick von seinem Getränk auf die Aussicht vor dem Fenster. Inzwischen hatten sich zu dem einen Spatz mehrere andere Vogelkollegen dazu gesellt, die sich um ein Stück Brötchen stritten.

Mit vollkommen verändertem Tonfall begann er plötzlich, leise und bedeutungsschwer zu sprechen.

„Du hast Recht, ich hätte dich aufhalten können, tat es aber nicht. Aber wenn ich dich jetzt bitten würde, bei mir und dem Rudel zu bleiben, würdest du es tun?“

 

Amanda nahm endlich einen Schluck von ihrem Milchkaffee. Der Geschmack, den sie allerdings normalerweise so liebte, drang jedoch gar nicht bis zu ihr durch. Eigentlich nippte sie nur an dem heißen Getränk, um sich Stille zum Nachdenken zu verschaffen.

In den Wochen, die sie allein in ihrem winzigen Apartment und im Hauptquartier verbracht hatte, waren so viele Szenarien von dem entstanden, was passiert war.

Amanda hatte verzweifelt versucht, eine befriedigende Erklärung zu finden. Und irgendwann hatte sie beschlossen, es einfach aufzugeben. Nataniel hatte sich nicht bei ihr gemeldet, kein Lebenszeichen von sich gegeben, geschweige denn sie darum gebeten, zurückzukommen. Und jetzt bat er sie darum, beim Rudel zu bleiben?

Das erste Mal, seit sie ihn wieder getroffen hatte, gab Amanda auch ihren Emotionen nach und ihr Gesichtsausdruck wurde traurig.

„Um ehrlich zu sein, hab ich mir nur ein paar Gedanken darüber gemacht, was ich nun tun soll, nachdem ich im übertragenen Sinn das Haus meiner Familie in die Luft gesprengt habe.“

So fühlte es sich tatsächlich an. Amanda hatte sich befreit und etwas Gutes getan, indem sie die Moonleague sabotiert hatte. Dass sie ein Stück von sich dabei ebenfalls zerstört hatte, konnte Nataniel nicht verstehen. Er kannte ihre Geschichte nicht.

„Ich habe mir überlegt, mit Eric in den Untergrund zu gehen. Ihm zu helfen, die Wandler in der Stadt zu unterstützen.“

Ihr Daumen fuhr den Rand der großen Tasse entlang, an dem ein wenig Schaum klebte. Amanda kümmerte sich nicht darum, sondern wischte weiter geistesabwesend am Tassenrand hin und her, als wolle sie ihn polieren.

„Natürlich könnte ich auch mit dir kommen …“

Diesmal konnte sie ihn nicht ansehen. Wieder gönnte sie sich eine Pause, um zu überlegen, wie viele ihrer Gedanken sie preisgeben sollte.

 

Nataniel stützte sich mit den Armen am Tisch ab und hörte Amanda aufmerksam zu, während sich seine ganzen Sinne vollkommen auf sie und ihre Bewegungen richteten.

Er fand es seltsam, dass sie die Organisation als Familie bezeichnete, doch zugleich war ihm bewusst, dass sie sehr lange für die Moonleague gearbeitet hatte. Natürlich konnte mit der Zeit ein familiäres Betriebsklima aufgekommen sein, auch wenn das für Nataniel nur schwer vorstellbar war. Es war auf jeden Fall nicht unmöglich.

Der Panther schnaubte leise, als er Amandas Traurigkeit so schleichend zu spüren bekam, als würde ein Gewitter aufziehen und sich schließlich knapp über seiner Haut entladen. Es kribbelte jedoch nicht nur in seinem Nacken, sondern auch an Stellen, an denen es bei ihm noch nie gekribbelt hatte. Zugleich machte es ihn ebenfalls traurig.

Müsste er seiner eigenen Familie in den Rücken fallen, selbst wenn er wüsste, dass es richtig war, so wäre der Verlust trotzdem gewaltig. Wie musste es da erst Amanda gehen? Zum Glück hatte sie noch ihren Bruder und auch ihn und das Rudel. Aber wollte sie das überhaupt?

Nataniel sah ihr gespannt dabei zu, wie ihre Augen in weite Ferne schweiften, als würde sie intensiv über die zweite Option nachdenken. Er unterbrach sie nicht, spürte er doch, dass es wichtige Gedanken für sie waren, selbst wenn ihm zugleich ganz bang wurde. Was wenn sie sich tatsächlich gegen ihn und das Rudel stellte? Was wenn sie alleine mit ihrem Bruder unterwegs sein wollte?

Er würde sie ziehen lassen. Er würde es tun, weil er es müsste. Immerhin konnte er eine Frau, wie sie es war, nicht aufhalten. Aber er würde erst alles geben, ehe er es so weit kommen lassen würde. Das schwor er sich.

 

Ja, sie könnte mit ihm gehen. Das Familiengefühl des Rudels hatte ihr gefallen und sie hatte sich wohlgefühlt.

Sofort sah sie Nele vor sich, mit ihrer Zahnlücke, dem zuckersüßen Lächeln und den großen, schönen Augen. Aber Amanda traute es sich einfach nicht zu. Sie konnte nicht mit Nataniel zusammen sein, das hatte ihr seine Erklärung klar gemacht. Sie würde nicht von ihm verlangen, dass er seine Leidenschaften zügelte, denn das wäre Unsinn. Aber sie würde ihm diesbezüglich nie genügen können. Trotz ihrer Fähigkeiten, die sie immer von ihnen unterschieden hatten, fühlte Amanda jetzt, dass sie einfach NUR ein Mensch war. Sie würde nicht riskieren, dass Nataniel seine Gefühle wieder abhandenkamen, nur weil er sie beschützen wollte.

Vielleicht hatte er das sowieso schon ausgeschlossen. Sie traute ihm in diesem Moment zu, dass er vernünftiger war als sie und eine Beziehung jedweder Art, die über bloße Freundschaft hinausging, ausgeschlossen hatte. Und genau das war der Grund, warum sie nicht mit ihm gehen konnte.

Sie würde es nicht ertragen, ihn mit einer Anderen zu sehen.

Schon damals hatte es ihr einen Stich versetzt, als er dem Jaguarmädchen so nah gekommen war. Wenn er Rudelführer blieb, würde er früher oder später ein Alphaweibchen und Kinder haben. So gut hatte Amanda ihre Gefühle dann doch nicht unter Kontrolle, dass sie das hätte einfach wegstecken können.

„Ich weiß nicht, wie du das siehst. Aber ich muss leider zugeben, dass ich das nicht könnte.“

Er sah sie verständnislos an. Amanda hatte so gesprochen, als hätte Nataniel ihre Gedanken hören und ihr damit folgen können.

„Wir können uns beide nicht verleugnen. Ich kann nicht mehr sein als ein Mensch. Ich würde nicht zu euch …“

Sie unterbrach sich, und wenn es ihm jetzt noch nicht genug Emotion war, die er in ihren Augen und ihrem Gesicht lesen konnte, dann würde es nie genug sein.

Amanda war wütend.

Wütend, weil sie all das hier so traurig machte und sie nichts dagegen tun konnte. Bloß konnte sie mit der Wut, die sich gegen niemanden im Speziellen richtete, auch nicht umgehen.

 

War es das? Glaubte sie tatsächlich, sie könnte niemals ein vollständiger Teil der Gemeinschaft sein, nur weil sie ein Mensch war? Machte sie diese Unzugehörigkeit so wütend?

Denn dass sie auf einmal zu kochen begann, spürte er stechend in seiner Nase, genauso wie die salzige Bitterkeit ihrer Traurigkeit. Dazu musste er ihr noch nicht einmal in die Augen sehen, die leicht glasig wurden, als könne jeden Moment eine Träne über ihre Wangen rollen.

Nataniel wollte ihr ins Wort fallen, sie aufklären, dass es egal war, zu welcher Rasse sie gehörte. Er akzeptierte sie vollkommen, so wie sie war, denn sie war vollkommen. Niemals hätte er an ihr etwas ändern wollen!

Da sein Knoten im Hals jedoch immer größer und das dumpfe Gefühl in seinem Magen auch nicht kleiner wurde, hörte er ihr weiterhin schweigend zu, während er in seine leere Tasse starrte.

Oh Gott … ihre Emotionen waren so überwältigend intensiv. Wann hatte sie sich je auf diese Art vor ihm geöffnet?

Ihre Lust und Erregung kannte er, aber das hier hatte nichts mit körperlichen Reaktionen zu tun, sie öffnete sich ihm auf emotionaler Ebene. Sie ließ ihn einen winzigen Blick auf ihr Seelenleben erhaschen. Vermutlich sogar mehr, als sie sich bewusst war.

 

„Nataniel, ich hab mich damals auf dich eingelassen. Mehr, als ich eigentlich wollte. Dann ist diese blöde Sache passiert und ich bin ausgetickt und davon gelaufen. Für mich war es so, als wolltest du mich nicht.“

Wellten da etwa Tränen in ihren Augen auf? Verdammt, wann hatte sie das letzte Mal vor einem Mann geweint?

Sie konnte sich nicht erinnern.

„Und jetzt soll ich mit dir kommen? Ich kann dich noch nicht mal nach deinen Gründen fragen, weil mich das wahrscheinlich noch mehr fertigmachen würde.“

Ihre Stimme war so leise, dass er sich fast unmerklich vorlehnte. Oder gab es dafür andere Gründe, als dass er sie nicht hören konnte?

„Ich werde es nicht aushalten, mir anzusehen, wie du dir jemanden suchst, der zu dir passt. Spätestens dann werde ich gehen müssen. Und vielleicht ist mir das zu spät.“

Die Tür zur Küche schwang fast lautlos auf, aber da sonst niemand im Café saß, hörte Amanda es trotzdem und ihr wurde mit einem Schlag bewusst, was sie gerade alles von sich gegeben hatte.

 

Nataniel hätte am Liebsten den Tisch zur Seite gefegt und Amanda in seine Arme gezogen. Damit er ihr deutlich machen konnte, wie sehr er sie wollte und wie unrecht sie mit ihrer Vermutung hatte.

Natürlich konnte er das nicht tun, aber er kam trotzdem ein Stück näher. So nahe, wie er es wagen konnte, hier in der Öffentlichkeit und in Anbetracht der heiklen Lage.

Als wäre er jemals wieder dazu in der Lage, sich eine Gestaltwandlerfrau als Gefährtin zu suchen. Nicht, wenn Amanda alle anderen weiblichen Wesen in seiner und ihrer Nähe verblassen ließ.

Abermals wollte er endlich zu Wort kommen, um sich zu erklären und um Amanda zu beruhigen, aber da wurden sie auch schon unterbrochen.

In diesem Augenblick war der Drang, den Kellner auf der Stelle umzulegen, gewaltig!

Was dem Kerl keineswegs entging, denn er blieb abrupt stehen, als er Nataniels Miene sah.

 

Ihr Magen fühlte sich so an, als hätte er sich auch gerade überlegt auf Stichwort etwas von sich geben zu wollen.

Mit fahrigen Bewegungen stand Amanda auf und sah weder Nataniel noch den Kellner an, der neben der Küchentür stehen geblieben war.

Sie suchte verzweifelt das Schild, das zu den Toiletten zeigte, und folgte schließlich dem Pfeil, bis sie den stillen, kleinen Raum erreichte.

Die Tür der zweiten Kabine schepperte gegen die Trennwand, als Amanda sich hineinflüchtete, die Tür hinter sich sogar verriegelte und sich auf den Deckel setzte, um ihr Gesicht in ihren Händen zu vergraben.

 

Amanda war schon aufgesprungen, ehe er reagieren konnte und auf die Toiletten geflüchtet.

Jetzt wäre der richtige Augenblick gewesen, dem Typen Manieren beizubringen, doch stattdessen blieb Nataniel bewegungslos sitzen, starrte aus dem Fenster und wartete darauf, dass Amanda zurückkam. Doch das tat sie nicht. Auch nicht, als bereits einige Minuten vergangen waren, weshalb er sich ernsthaft Sorgen zu machen begann.

Schließlich stand er mit einem leisen Stuhlscharren auf und folgte ihr in Richtung Toiletten.

Vor dem Symbol für Frauen schrak er nicht zurück, doch er öffnete nur langsam die Tür, um zu sehen, ob die Luft rein war.

Als er niemanden sehen konnte, aber die zweite Kabinentür besetzt war, schloss er die Damentoilettentür hinter sich und ging zu den Waschbecken hinüber.

Er sah sich im Spiegel an, während seine Händen den Rand des Waschbeckens fest umklammert hielten.

Eine Weile sagte er nichts und blieb auch sonst vollkommen lautlos, während er lauschte. Doch er hörte nichts außer ihrer Atmung.

 

Ein paar Mal war sie fast so weit gewesen aufzustehen und ins Café zurückzugehen. Aber sie hatte es doch nicht getan. Amanda hatte Angst, Nataniels Antwort auf ihren Ausbruch zu hören.

Für ihre Verhältnisse hatte sie ihm sehr wohl eine Szene gemacht – es war in ihren Augen fast so schlimm, dass sie verstanden hätte, wenn er einfach ginge.

Stattdessen hörte sie die Tür aufgehen und dann wahnsinnig leise Schritte auf dem Linoleum.

Es konnte niemand sein, der hier auf die Toilette wollte. Dann hätte sich die Person in eine der freien Kabinen begeben oder das Wasser angestellt, um sich die Hände zu waschen. Irgendetwas hätte Amanda auf jeden Fall gehört und wenn es nur das Klicken eines Taschenspiegels gewesen wäre.

Da jedes Geräusch aber ausblieb, wusste sie, wer hereingekommen war. Und genau das machte sie völlig fertig. Es war so, als könne sich ihr Körper nicht entscheiden, was schlimmer war. Durch die Kabinentür von ihm getrennt oder ihm so nah zu sein. Warum konnte sie die Unterschiede zwischen ihnen beiden nicht einfach fortwischen und alles einfach machen?

 

„Ich kann dich nicht zwingen, dich wieder dem Rudel anzuschließen, erst recht nicht, da es noch immer in Gefahr ist. Jetzt mehr denn je“, begann er schließlich mit leicht bebender, aber ruhiger Stimme zu sprechen, wobei er sich selbst in die Augen starrte.

„Du … sollst nur wissen, dass du immer bei uns willkommen bist. Du bist ein Mensch Amanda und keinem ist das deutlicher bewusst als mir, aber …“

Sein Blick fiel auf seine Hände, dessen Fingerknöchel sich weiß unter seiner Haut hervorhoben.

„... zum einen fühle ich mich dir ebenbürtig. Nicht, was körperliche Stärke anbelangt, aber das ist im Vergleich dazu nur ein geringer Anteil und zum anderen bin ich der Meinung, dass, wenn man beim ersten Versuch Fahrrad zu fahren hinfällt, man dann auch nicht einfach aufgibt und es sein lässt.“

Nataniel holte schaudernd nach Atem.

„Amanda … ich bin mir bewusst, wie schwierig es ist, aber ich WILL aufstehen. Ich will keine Frau, die nicht einmal halb an dich heranreichen wird und bei der ich niemals das Gefühl haben werde, sie sei mir gewachsen. Wenn du also gehen musst, weil du nicht anders kannst, muss ich dich gehen lassen. Aber das wird nichts daran ändern, dass ich dich trotzdem bei mir haben will.“

Bevor er das Waschbecken mit bloßen Händen zerquetschen konnte, nahm er seine Hände weg und ließ sie leblos an seinem Körper hinab baumeln. Er hatte gesagt, was ihm auf dem Herzen lag. Ob sie es auch so verstanden hatte?

 

Als Nataniel den Vergleich mit dem Fahrrad anführte, musste Amanda tatsächlich lächeln. Zumindest hatte er nicht davon gesprochen, dass sie wieder in den Sattel steigen sollte.

Ihr Lächeln wurde noch breiter.

Endlich kam seine Nachricht in ihrem Hirn an. Er wollte sie bei sich haben. Das hatte er gerade gesagt. In genau diesen Worten.

Leicht zitternd stand Amanda auf, riss ein Stück Klopapier ab und wischte sich dicht unter den Wimpern damit entlang. Auf dem Weiß des Papiers zeigten sich schwarze Striche, die sich nun hoffentlich nicht mehr als Spuren ihrer Tränen unter ihren Augen zeigten.

Mit beiden Füßen fest auf dem Boden straffte sich Amanda und schloss die Tür auf.

Nataniel stand ihr gegenüber am Waschbecken. Da der Raum sehr klein war, hätte sie kaum an ihm vorbei gehen können, wenn sie es denn gewollt hätte.

„Hat dir deine Mutter nicht beigebracht, was das Symbol auf der Tür bedeutet?“

Amanda fühlte sich schwach in den Knien, als sie auf ihn zuging. In diesem Moment war es ihr völlig egal, ob jemand hereinkommen könnte. Vorsichtig legte sie ihre Hände auf seine Brust und lehnte sich kurz an seinen warmen Körper.

Sie hatte diesen warmen, herben Geruch wirklich vermisst und musste ihm schnell wieder entfliehen, um nicht tatsächlich loszuheulen.

Hätte sie jetzt ihrem Wunsch nachgegeben und sich an ihm festgekrallt, hätte sie ihn wahrscheinlich nie wieder losgelassen.

Es war nur eine kurze Umarmung gewesen, aber für etwas Anderes fühlte sich Amanda noch nicht bereit, sonst würden sie ihre Gefühle wahrscheinlich überschwemmen. Sie hatten geklärt, dass sie einander mochten. Aber es würde verdammt kompliziert werden.

 

Die Zeit, die er mit dem Warten auf eine Reaktion von Amanda verbrachte, schien sich unendlich in die Länge zu ziehen. Jede Sekunde schien ein ganzes Leben zu sein, das eine gute oder eine schlechte Wendung mit sich brachte. Er hätte nicht sagen können, wie Amanda reagieren würde. Was das anging, war Nataniel ein hoffnungsloser Fall in Sachen Verstehen. Zumindest wenn es um sie ging.

Er konnte ihren Geruch deuten, ihre Mimik beobachten und würde trotzdem nie genug über sie wissen. Aber verdammt noch mal, er würde nur allzu gerne ein ganzes Leben lang damit verbringen, sie kennenzulernen. Tag für Tag, Moment für Moment.

In diesem Augenblick, als in seiner Brust eine Flamme so heiß und kraftvoll wie ein Stern zu glühen begann, und ihm damit etwas sagen wollte, kam Amanda aus der Toilette, woraufhin er sich zu ihr umdrehte.

Das Gefühl verstärkte sich noch, als er sie sah. Ich Make-up war tadellos, aber er sah trotzdem, dass sie geweint hatte. Ihre Augen waren leicht gerötet, weshalb ihre nächsten Worte genauso wenig zu ihrem Gesicht passten, wie sein darauf folgendes Grinsen zu seinen Emotionen passte. Er wollte sie beschützend in die Arme ziehen und laut knurren, damit jeder wissen sollte, unter wessen Schutz sie stand.

Doch weder das eine noch das andere brachte er fertig. Erst als Amanda sich kurz an seine Brust schmiegte, schlossen sich seine Arme um sie.

„Ich höre nicht immer auf meine Mutter, weißt du?“, gab Nataniel flüsternd zurück, ehe er sie wieder entließ. Er würde sie nicht festhalten, auch wenn ihm im Augenblick nichts mehr am Herzen liegen würde.

„Glaubst du, ich könnte vielleicht einen Bissen von deinen Pancakes abhaben? Vorausgesetzt sie sind noch nicht schreiend davon gelaufen?“

Wieder ein Lächeln, dieses Mal eines der sanften Art, doch er wollte die Stimmung nicht noch mehr drücken, als sie ohnehin schon schwer war. Weshalb er Amanda zu zwinkerte und mit den Worten: „Ich hör wohl doch lieber auf meine Mom und warte am Tisch“, zur Tür ging.

Sicher wollte Amanda noch einen Augenblick lang alleine sein. Trotzdem drehte er sich noch einmal um und sah sie mit leicht bittender Miene an.

„Lass mich aber nicht zu lange warten, okay? … Sonst ist dein Frühstück am Ende noch wie vom Erdboden verschluckt.“

Verdammt war das alles schwierig, und auch wenn Amanda sich einen Moment lang an ihn gedrückt hatte, bedeutete das doch gar nichts. Weder wusste er, ob sie gehen würde, noch wie sich das alles entwickeln würde. Die Zukunft war so ungewiss, wie sie von Ängsten erfüllt war.

 

„Klar kannst du.“

Sie würde sich einfach noch eine Portion bestellen, wenn sie wieder an den Tisch kam.

Gerade wollte sie ihm sagen, dass er ihr was übrig lassen sollte, als er wohl ihre Gedanken gelesen hatte. Also nickte sie nur, und als die Tür hinter ihm zugegangen war, sah sie sich im Spiegel an.

Eigentlich sah sie recht in Ordnung aus. Was hätte sich auch ändern sollen. Ihre wohlweislich aufgebaute Schutzmauer hatte gebröckelt. Ziemlich sogar. Aber gegenüber Nataniel konnte sich Amanda das selbst durchgehen lassen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  mausi-caro
2011-06-27T18:32:55+00:00 27.06.2011 20:32
huhu :)
wollt mich mal melden und fragen wo die nächsten kapis bleiben :P :D hehe
nee ma im ernst, is jetzt schon länger her dass etwas on kam...is was passiert? 0.o
wie auch immer mich interessierts wirklich wie es weitergeht???!!! :)

würd mi freun bald wieder was zu lesen :)

lg


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