Zum Inhalt der Seite

Shadows of the NewMoon

von
Koautor:  Caracola

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

7. Kapitel

Nataniel konnte den Rest der Nacht nicht schlafen, weshalb er die Zeit zum Nachdenken nutzte, bis die Sonne aufging. Danach zog er sich an, ging kurz ins Bad, und als er wider kam, rüttelte er eher unsanft an Blondchens Schulter.

Die gestrige Reaktion auf seine sanfte Art war ihm eine Lehre gewesen. Sie konnte es also auch durchaus auf die harte Tour haben.

„Hey, wach auf. Du willst doch diesen Eric finden, dann komm mal langsam in die Gänge.“

Außerdem hatte er einen gewaltigen Hunger und wollte dringend etwas frühstücken gehen. In der Nähe gab es einen Laden, wo es sicher halbwegs erträgliches Essen gab. Zudem wurde es Zeit, der Stadt anzukündigen, dass er hier war. Vielleicht lockte er damit auch den ein oder anderen Gestaltwandler an. So würde er nicht lange nach ihnen suchen müssen. Allerdings war er nicht sehr zuversichtlich, was diesen Plan anging.

Als sie endlich wach war, ließ er von ihr ab und ging zum Fenster hinüber, um hinauszusehen. Viele Menschen waren noch nicht auf der Straße. Aber sehr viel mehr würden es wohl auch nicht werden. Soweit er das mit bekommen hatte, war diese Stadt ein Kaff.

Jeder kannte jeden und Personen von außen wurden sofort durchleuchtet. Es behagte ihm daher nicht wirklich, sich der Öffentlichkeit preiszugeben, aber da die Menschen für gewöhnlich kein allzu großes Risiko darstellten, brauchte er sich nicht zu viele Sorgen deswegen zu machen. Viel eher zerbrach er sich den Kopf darüber, was er tun sollte, wenn er wirklich anderen Gestaltwandlern über den Weg lief.

Vielleicht sollte er erst Blondchen befragen, was sie bisher herausgefunden hatte, denn dass sie eindeutig die bessere Ausrüstung dabei hatte, war ihm schon längst klar.
 

Als jemand an ihrer Schulter rüttelte, so dass die gesamte Matratze unter ihr erzitterte, schlug Amanda sofort die Augen auf und zog genervt die Schulter unter seiner Hand weg.

Ohne ein Wort stand sie auf und schnappte sich ein paar Klamotten, bevor sie ins Bad ging, eine kurze, kalte Dusche nahm und sich die Zähne putzte. Sie hatte es zwar genauso eilig wie er, aber das hieß nicht, dass sie auf ihre Morgentoilette verzichten würde.

Ihre hellen Augen blickten sie über dunklen Rändern aus dem Spiegel heraus an und Amanda drückte ihre Fingerspitzen kurz gegen ihre blasse Haut. Irgendwelche Bilderfetzen versuchten sich in ihrem Kopf zu etwas zusammenzusetzen, woran sie sich erinnern sollte. Da war vor allem der Eindruck von seelischen Schmerzen.

Hatte sie wieder einen der Albträume gehabt? Wenn sie sich nicht daran erinnern konnte, durfte es nicht so schlimm gewesen sein, wie einige Male zuvor. Allerdings passten ein paar Bilder nicht zusammen. Der große schwarze Kopf des Panthers und viel von seiner nackten Haut ziemlich nah vor ihren Augen.

Gott, vielleicht hatte sie auch von ganz anderen Sachen geträumt.

Mit beiden Handflächen klopfte sie sich ein wenig Farbe auf die Wangen, zog sich ihren Rock, einen hellen Strickpullover und die Stiefel an, von denen Mrs. Cauley ihr so nett abgeraten hatte.

Heute würde sie neben ihrem hünenhaften Begleiter sicher keine Blicke ernten.

Als sie ins Zimmer zurückkam und sich Geldbörse, PDA und Schlüssel schnappte, hatte er wohl schon mehr als ungeduldig auf sie gewartet.

„Guten Morgen.“

Irgendwie hatte sie das seltsame Gefühl, als würde er sie anders ansehen als gestern. Unangenehm prickelte es in ihrem Gesicht, als wüsste er etwas, das ihr selbst nicht klar war, als sich seine eisig blauen Augen auf sie legten.

„Kaffee.“

Das war ein Befehl und keine Frage. Wenn sie ihren Kreislauf nicht in Schwung brachte, würden sie schneller in einen Kampf verwickelt werden, als ihnen lieb sein konnte.

Da Amanda Mrs. Cauleys forschem Blick nicht begegnen wollte und ihr noch weniger erklären, woher auf einmal der Mann in ihrem Einzelzimmer kam, beschloss Amanda ihm über die Straße in das Café zu folgen.
 

Als sie wieder ins Zimmer kam, musterte er sie unverhohlen von Kopf bis Fuß.

Für eine Menschenfrau war sie wirklich sehr reizvoll und auch der Panther schnurrte bei ihrem Anblick in seinem Kopf. Aber er hatte auch nicht vergessen, welches Grauen sie in ihm auslösen konnte. Weshalb er schon darauf wartete, dass sie das Thema von letzter Nacht ansprach. Denn er würde es nicht tun. Immerhin war nicht er es gewesen, der plötzlich verschwunden und wieder aufgetaucht war.

„Morgen“, knurrte er leicht übelgelaunt zurück. Hunger war für einen Mann wie ihn noch nie ein Mittel für gute Laune gewesen. Weshalb er schließlich auch einfach voran ins Café marschierte, um dem Abhilfe zu schaffen.

Schon während er den Laden betrat, spürte er sämtliche Blicke auf sich ruhen und eine Stille trat ein, die ihm das Gefühl gab, er müsste jetzt auf der Stelle eine Rede halten. Doch stattdessen ignorierte er die Menschen einfach mit der Gleichgültigkeit einer Katze, die es gewohnt war, Prioritäten zu setzen. Seine drehten sich im Augenblick einzig und allein um seinen knurrenden Magen.

Nataniel setzte sich an einen Platz direkt ans Fenster, damit er die Straße beobachten konnte, aber zu gleich auch die Tür im Blick hatte, für den unwahrscheinlichen Fall, dass es jemand wagte, sein Frühstück zu stören.

Kaum hatte sich auch Blondchen gesetzt, kam eine junge Kellnerin an den Tisch, die sich wohl schwer für den Kragen seines T-Shirts interessierte, weil sie ihm kein einziges Mal in die Augen blicken konnte, dabei sah er sie noch nicht einmal an, sondern hielt die Speisekarte in der Hand und überflog sie kurz.

„Guten Morgen, was kann ich Ihnen bringen?“, fragte sie mit deutlicher Nervosität in der Stimme.

Sah sein Gesicht mit der frischen Narbe denn wirklich so beängstigend aus? Nun, das wertete er als positiv. Nach dem Umgang mit Teresa hatte er schon befürchtet, er würde sich in ein Schmusekätzchen verwandeln.

Ohne den Gruß zu erwidern, kam er sofort auf den Punkt: „Ich nehme einmal die Pfannkuchen mit Schokoladensirup. Zwei Spiegeleier mit Speck. Gebratene Würstchen. Zwei Croissants. Eine heiße Schokolade mit Sahne. Dazu noch einen Blaubeermuffin und ein Steak – blutig. Sagen Sie dem Küchenchef, dass es noch schreiend in der Pfanne springen soll, wenn er es herausnimmt. Ich hasse es, wenn es zu Tode gebraten wurde. Außerdem hätte ich noch gerne einen frischgepressten Orangensaft, wenn das geht. Das wär’s dann für den Moment.“

Zufrieden stellte er fest, dass die Kellnerin kaum mit dem Schreiben mitgekommen war. Unschuldig lächelnd wandte Nataniel sich an sein Gegenüber.

„Und was bestellst du?“
 

Die junge Kellnerin war so froh die Bestellung des Mannes aufgenommen zu haben, dass sie beinahe weggelaufen wäre, ohne auf die Frau an seinem Tisch zu achten.

War ja auch sehr charmant als Erster zu bestellen. Auf Manieren konnte man bei ihm wohl nicht hoffen.

Was für eine Überraschung, dachte sie sarkastisch und presste die Lippen leicht aufeinander.

Aber immerhin hatte er mit seiner Frage unabsichtlich die Kellnerin darauf aufmerksam gemacht, dass außer ihm noch jemand am Tisch saß. Die sah nun starr auf ihren kleinen Block und schrieb eilig mit, als Amanda sich ein Müsli mit Joghurt und Früchten bestellte.

„Und Kaffee. Groß.“ Mit den Händen deutete sie in der Luft etwa die Größe einer Badewanne an.

Ihre Augen waren so wahnsinnig müde, als hätte sie heute Nacht irgendwelche Fitnessübungen gemacht, anstatt zu schlafen.

Beinahe hätte sie einen verstohlenen Blick zu dem Felidae hinüber geworfen, konnte sich aber gerade noch beherrschen. Dafür lehnte sie sich zurück, sah kurz aus dem Fenster auf die Straße und in den grauen Himmel hinauf, bevor sie sich ihm zuwandte.

„Also, was hast du vor?“

Sie folgte seinem Blick zur Küche, in der ihr Freund der Canidae, heute anscheinend zur Frühschicht eingeteilt war, und schüttelte etwas amüsiert den Kopf.

„Da kannst du die Info genauso wie dein Steak vergessen. Er weiß nichts. Und ist noch dazu ein hundsmiserabler Koch. Keine Ahnung, wie man mit Fleisch umgeht. Da wundert man sich doch, oder?“

Diesmal konnte sie sich ein sarkastisches Lächeln nicht verkneifen.
 

„Hundsmiserabel trifft wohl voll und ganz ins Schwarze. Von einem Köter kann man aber auch nicht mehr erwarten.“

Immerhin jagten Wölfe meistens im Rudel und im Gegensatz zu ihm, waren sie wirklich nicht mehr als winselnde Hunde mit wildem Blut. Nataniel kannte zwar auch ein paar wirklich gefährliche Wölfe, die ihre Gestalt wechselten, aber mit dem hier hatten sie wirklich nichts gemeinsam.

Damit Nataniel aber nicht auf sein Steak verzichten musste, weil er das absolut nicht wollte, starrte er eine Weile zur Küche, bis der Koch wieder ein Menü herüberreichte, und schenkte diesem dann einen langen Blick.

Als auf der anderen Seite etwas zu Bruch ging, lehnte er sich zufrieden zurück. Der Köter hatte wohl verstanden, dass er keiner der Gäste war, der sein Fleisch durchhaben wollte.

Im nächsten Moment kam auch schon die Kellnerin an ihren Tisch geeilt, um Blondchen das Müsli und den Kaffee zu bringen und ihm den Orangensaft, die heiße Schokolade und die Pfannkuchen.

Wenn sein Gegenüber jetzt glaubte, er würde sich wie ein Tier über das Essen hermachen, hatte Blondchen sich aber gewaltig geschnitten. Nataniel nahm ordentlich das Besteck zur Hand und schnitt immer wieder ein mundgerechtes Stückchen ab, um es dann in die Schokolade zu tauchen. Dann schob er es sich in den Mund und schloss genießend die Augen. Das war einfach köstlich!

Als Raubkatze hatte er keinen Geschmackssinn für Süßes, dieses Privileg war ihm nur als Mensch vorbehalten und ja, er wusste es sehr zu schätzen.

Nachdem er ungefähr die Hälfte der Pfannkuchen verputzt hatte, konzentrierte er sich wieder auf ihr eigentliches Gespräch.

„Also, ich nehme an, du hast den Koch schon ausgequetscht. Hast du sonst noch irgendwelche Informationen über Gestaltwandler hier in der Gegend, von denen ich wissen sollte?“

Das fragte er nur, weil er verbergen wollte, dass er sich noch genau an den Namen William Hunter erinnerte. Garantiert würde er ihr nicht verraten, dass es sich hierbei um seinen ermordeten Vater handelte.

Ob sie ein Bild von ihm dabei hatte? Nataniel hatte ihn nie gesehen. Zumindest konnte er sich nicht mehr daran erinnern. Er wusste noch nicht einmal, ob sein Vater genauso schwarz aussah wie er, oder ob dieses Merkmal nur bei ihm aufgetreten war. Da die schwarze Fellfärbung bei Jaguaren völlig willkürlich auftreten konnte, war seine Mutter vermutlich auch normalgemustert gewesen.
 

Amanda ignorierte ihr Müsli zuerst einmal für den wirklich riesigen Pott Kaffee und seufzte begeistert, als ihr das heiße Getränk den Mund, die Speiseröhre hinunter und dann noch den Magen wärmte. Das war wirklich ein himmlisches Gebräu und noch dazu stark genug, so dass es sie bestimmt in den nächsten Minuten auf Arbeitsmodus hochpuschen würde.

Nachdem sie die Tasse abgestellt hatte, sie aber trotzdem noch in Händen hielt, sah sie dem Panther beim Essen zu.

Er schien ein echtes Schleckermäulchen zu sein, wenn man davon ausging, wie er genüsslich die Pfannkuchen in sich hinein mampfte. Das bekam er wenigstens einigermaßen kultiviert hin, aber Amanda war jetzt schon gespannt, wie er sich bei dem Steak anstellen würde. Vielleicht sollte sie ihr Müsli vorher beenden, um das Risiko zu vermeiden es bei dem Anblick seiner Tischmanieren nicht mehr genießen zu können.

Auf seine Frage hin zog sie ihren PDA aus der Tasche und tippte eine Weile darauf herum, bis sie die Umgebungskarte und die Liste der Wandler gefunden hatte. Immer noch nur ein Felidae und ein Canidae wurden angezeigt. Und keiner von beiden war derjenige, der vor ihr saß und dem gerade etwas Schokosauce an der Unterlippe klebte.

„Er hat mir nur gesagt, dass William Hunter hier lebt.“

Sie wartete seine Reaktion ab, die sich allerdings nur darauf beschränkte, dass er sich ein großes Stück Pfannkuchen zwischen die Zähne schob. Dann musste sie wohl härtere Geschütze auffahren. Denn irgendwie glaubte sie nicht, dass sie mit ihrer Vermutung falsch lag.

„Dieser William Hunter ist auch ein Felidae. Ein Jaguar. Wie du.“

Sie sah sich das kleine Bild auf dem PDA an und hielt ihn hoch, wobei ihre Augen prüfend das Gesicht auf dem Bildschirm mit seinem verglichen. Als ob diese blauen Augen nicht Beweis genug wären.

„Weiß ich damit zumindest deinen Nachnamen oder hast du den auch abgelegt, als du von hier weggegangen bist?“

Eigentlich wollte sie ihn nicht wirklich provozieren. Sie brauchte ihn. Vor allem, wenn sie recht hatte und er mit diesem Hunter verwandt war. Dann war er wahrscheinlich tatsächlich ihr Schlüssel, um Eric zu finden.

Bevor er also ausflippen und ihr das Buttermesser in den Hals rammen konnte, streckte sie ihm die Hand entgegen.

„Amanda.“
 

Sie wollte ihn definitiv aus der Reserve locken. Zum Glück hatte er seinen Vater nie persönlich gekannt, sonst wäre es ihm vermutlich nicht so leichtgefallen, die Worte an sich abprallen zu lassen. Immerhin war er ein Familienmensch. Nataniel streifte zwar gerne einsam und alleine durch die Wälder, aber seine Familie bedeutete ihm alles. Wer es wagte, jemanden davon auch nur ein Haar zu krümmen, konnte sich auf Einiges gefasst machen. Gestaltwandler waren nicht nur leicht zu provozieren, wenn man die richtigen Stellen traf, sondern auch sehr leidenschaftlich. Egal, um was es ging.

Als Amanda ihm die Hand hinstreckte, zögert er einen Moment, während er sich etwas Schokosauce von der Lippe leckte und leicht den Kopf schief legte.

„Wenn das wieder ein Versuch ist, mir eine Wanze anzudrehen, würde ich besser auf deine Hand aufpassen.“

Sein Tonfall klang so, als würden sie über das Wetter reden, aber die Drohung meinte er bitterernst. Dennoch ergriff er schließlich einen Moment lang ihre Hand.

„Nataniel und wenn du mich auch nur einmal – Nate – nennst, hast du bald ein paar neue Ziernarben.“

Den Namen hasste er bis aufs Blut.

Es war eben nicht immer leicht der Jüngste von einer Gruppe jugendlicher Gestaltwandlern zu sein. Zum Glück hatte sich das mit seiner ausgewachsenen Größe total geändert.

Nataniel nahm einen Schluck von dem Orangensaft und putzte mit dem letzten Pfannkuchenstück sein Teller sauber auf, damit ihm kein Schokoklecks entging. Kaum hatte er sein Besteck auf den Teller gelegt, kam auch schon die Kellnerin mit den Eiern, dem Speck und den Würstchen vorbei.

Gutes Mädchen. Er schenkte ihr ein zufriedenes Lächeln, was sie aus dem Tritt brachte, als sie davoneilte.

„William Hunter ist tot“, meinte Nataniel schließlich gelassen, während er sich erneut genüsslich über seine Bestellung hermachte. Auf Amandas andere Worte reagierte er gar nicht. Es ging sie absolut nichts an und er hatte auch keine Lust, darüberzureden. Sollte sie glauben, was sie wollte. Er würde ihr sicherlich nichts bestätigen.

„Und glaub nicht diesem Spielzeug in deiner Hand. Hier in der Gegend gibt es unter Garantie einige mehr von meinesgleichen. Vielleicht nicht die gleiche Art, aber bestimmt genau solche, die deine Organisation doch sucht, nicht wahr? Ich möchte wetten, dass sie alle unregistriert sind, wenn sie nicht auf deinem Display erscheinen.“

Fast hätte er gehässig gelächelt, doch er vergaß nicht die Schwere der Situation, weshalb er es für sich behielt.
 

Als nicht 'Nate'.

Das würde sie sich merken, wenn sie auch sicher keine Angst hatte, dass er ihr deswegen den Kopf abbeißen würde. Dafür müsste sie ihn wahrscheinlich nicht mit seinem Kurznamen anreden. In seinen Augen reichte bestimmt ihre bloße Existenz aus, um eine solche Aktion zu rechtfertigen. Und natürlich, dass sie ihm die Wanze angeheftet hatte. Das schien er ebenfalls persönlich zu nehmen. So wie alles Andere um ihn herum.

Gott, wie konnte er mit diesem riesigen Ego eigentlich herumlaufen? Das musste doch Tonnen wiegen?

Diesmal war sie es, die sich etwas von ihrem Frühstück zwischen die Lippen schob, um auf seine Aussage nicht allzu überrascht zu reagieren.

William Hunter war tot? Aber dafür gab es noch andere in dieser Gegend?

Amandas Augenbrauen wanderten leicht nach oben und eine Locke fiel ihr ins Gesicht, die sie mit einer automatischen Handbewegung hinters Ohr strich.

„Von wie vielen sprechen wir hier?“

Seltsamerweise glaubte sie ihm aufs Wort. Wenn er der Organisation bis jetzt entwischt war, warum dann nicht auch andere? Immerhin führte er sich nicht gerade unauffällig auf, was bedeutete, wenn ein anderer Wandler auch nur ein Quäntchen mehr Vorsicht walten ließ, konnte er dem Tattoo durchaus entkommen. Die Sammler konnten nicht überall gleichzeitig sein und die Wandler vermehrten sich zeitweise wie die Karnickel.

Mit einem boshaften Blick strafte sie den PDA, der immer noch auf dem Tisch lag und gerade das Licht herunterdimmte. Vielleicht ein wenig zu hastig griff Amanda danach, um das Gerät wieder in ihrer Hosentasche zu verstauen, bevor sich das Foto von Eric und ihr aufbaute, das sie als Bildschirmschoner eingestellt hatte.

„Ich nehme an, dass Eric deswegen hier war. Um sie zu finden. Allerdings ist er normalerweise ein Mensch, der Verstärkung ruft, sobald das Risiko zu groß wird.“

Frustriert riss sie ihren Blick von seiner Narbe los, die sie gerade unverwandt betrachtet hatte, und ließ ihre Wut an ihrem Müsli aus. Dabei schmeckte bei dem Gedanken, dass Eric inzwischen in kleinen Teilchen in den Mägen von ein paar räudigen Felidae liegen könnte, sogar das Obst wie Pappmaché.
 

Er mochte diese goldenen Locken. Vor allem, wenn die Sonne als Glanzlichter damit spielte. Das reichte sogar dazu aus, ihn einen Moment lang vom Essen abzuhalten und das mochte bei ihm wirklich etwas bedeuten. Der Panther in ihm schmiegte sich schnurrend an die Gitterstäbe seines gedanklichen Käfigs. Er war offenbar ebenso begeistert von dieser Haarpracht.

„Um ehrlich zu sein: Ich weiß nicht, wie viele es sind.“

Wenn er den Informationen des Raben trauen konnte, dann mussten es fast fünfzig Familien sein, die sich rund um die Stadt verstreut angesiedelt und sich aufs Land zurückgezogen hatten. Gestaltwandler versuchten grundsätzlich als Menschen durchzugehen, weshalb sie in Häusern wohnten und meistens auch völlig normalen Jobs nachgingen. Da man aber nie genau wissen konnte, wer seine Nachbarn waren, versuchte man natürlich in eine Gegend zu ziehen, die der gleichen oder zumindest ähnlichen Art angehörte.

Was von diesen fünfzig Familien für die sein Vater gesorgt hatte, übrig geblieben war, konnte er nicht sagen. Darum wusste er auch nicht, wie viele noch von ihnen lebten und vor allem wo. Aber dass sie alle unregistriert sein mussten, war Nataniel deutlich bewusst. Immerhin war sein Vater es gewesen, der sich gegen die Organisation einsetzte. Er versuchte, ihre Art verborgen zu halten und vor den Sammlern zu schützen.

Irgendwie würde es Nataniel nicht wundern, wenn Eric dem alten Alphatier zum Opfer gefallen wäre.

Wie schon gesagt, wenn es um jene ging, die man beschützen wollte, kannten Gestaltwandler keine Gnade. Nicht einmal mit Menschen, obwohl es für gewöhnlich leichtere Wege gab, sie zu vertreiben. Aber bei hartnäckigen Sammlern konnte das durchaus etwas anderes sein.

Nachdem Nataniels Teller wieder leer war, dauerte es noch eine Weile, bis sein Steak aufkreuzte. Die Zeit nutzte er dazu, Amanda beim Essen zu beobachten und sich so seine Gedanken zu machen.

„Ist Eric dein Partner?“, wollte er schließlich wissen, während er absichtlich nicht in der Vergangenheitsform sprach. Immerhin schien der Typ ihr etwas zu bedeuten, sonst würde sie ihn nicht so verbissen suchen.

Da kam auch schon sein Steak angetanzt und das Raubtier erkannte mehr als zufrieden mit dem Koch, dass dieser das Fleisch wohl nur einmal in die lauwarme Pfanne geworfen, einmal gewendet und wieder heraus genommen hatte. Nicht einmal die Oberfläche konnte als durch bezeichnet werden, sah aber zumindest nicht eindeutig roh aus.
 

Amandas Hand hatte kurz gezuckt und sich hart um die Gabel geschlossen, als er sie nach Eric fragte.

Nur die Tatsache, dass sie sich nicht sofort entscheiden konnte, ob sie die spitzen Zinken in die Tischplatte oder eine seiner Hände versenken sollte, rettete ihm den Pelz. Und die verschreckte Kellnerin, die gerade wieder zu ihrem Tisch gehuscht kam, um zitternd das noch halbrohe Steak vor ihm abzustellen und dann so schnell wie möglich wieder zu verschwinden. Dieses Mädchen hätte eine gute Sammlerin abgegeben, wenn sie die Aura des Mannes so aufdringlich als gefährlich erkannte. Schnell und leise war sie auch. Vielleicht sollte Amanda ihr ein Eintrittsformular unter die Nase halten, bevor sie dieses Kaff wieder verließ. Immerhin konnte gerade hier eine Sammlerin mehr nicht schaden. Selbst wenn es nicht stimmte, was Nataniel ihr da erzählte.

Der Blick, den sie ihm zuschoss, hätte eigentlich Ähnliches vermögen müssen, wie die Gabel, um die sich ihre Hand immer noch krampfhaft schloss, aber er reagierte zumindest äußerlich nicht darauf. Sogar ihre Stimme zitterte leicht vor Widerwillen, als sie sich schließlich doch zu ein wenig Ruhe und einer Antwort durchrang.

„Nein, er ist nicht mein Partner. Er ist … mir nur wichtig.“

Vielleicht war das genauso dumm, wie ihm zu sagen, dass er ihr Bruder war. Damit hatte sie diesem Wandler wahrscheinlich eine Waffe gegen sie in die Hand gegeben. Aber sie hatte ihm nichts erzählt, was ihm nicht schon durch ihr Auftauchen und ihre verbissene Suche aufgefallen sein musste.

Plötzlich und völlig unvermittelt schob sich ein Bild in ihre Gedanken, wie sich der Kopf des Panthers mit gebleckten Zähnen über sie beugte. Und irgendwie hatte das auch mit Eric zu tun.

Das Bild machte ihr Angst, löste sogar fast Panik aus. Aber diese Panik hatte nicht unmittelbar etwas mit dem Tier zu tun. Zumindest nicht mit dem Tier, das über ihr Gesicht leckte.

Die blauen Augen des Tieres, wie auch des Menschen, der ihr nun gegenübersaß, mischten andere Gefühle auf, die sie zwar zuordnen konnte, sich aber nicht zugestand. Wütend über sich selbst sah sie aus dem Fenster und nahm noch einen großen Schluck Kaffee. Wahrscheinlich würde es nur so aussehen, als wäre sie davon genervt, dass er sie mit seinem ausgedehnten Frühstück vom Gehen abhielt.
 

Auch wenn er sich am Liebsten in alter Manier auf das Kilo Fleisch gestürzt hätte, nahm Nataniel wieder das Besteck zur Hand, zu welchem ein scharfes Messer gehörte und schnitt sich durch das rote Fleisch.

Oh ja, das war lecker. Zwar nichts im Vergleich zu Süßem, aber dafür beinhaltete es ordentlich Proteine. Die konnte er auch gut gebrauchen, um wieder zu Kräften zu kommen. Immerhin hatten sie in nächster Zeit viel vor. Auch wenn Amanda noch nicht wusste, dass er sie mitnehmen würde. Nataniel hatte ihr seine Entscheidung noch nicht mitgeteilt. Aber das kam schon noch.

„Also, wenn wir herausfinden wollen, wie viele es nach dem Alphatierwechsel noch gibt, müssen wir wohl jedes Grundstück auf dem Land abklappern. Ein Kurzbesuch würde schon reichen.“

Immerhin erkannte er seinesgleichen sehr schnell anhand des Geruchs oder der Art, wie ihre Umgebung aussah.
 

Sie hörte ihm aufmerksam zu, obwohl sie den Blick immer noch nicht an ihn wandte. Was sie sehen würde, wenn sich ihre Augen trafen, war ihr jetzt schon klar und der gedankliche Anblick hatte ihr heute Morgen unter der kalten Dusche schon gereicht.

„Dann sollten wir schon nach dem Essen aufbrechen. Ich hab mir den Umgebungsplan angesehen, und wenn wir wirklich alles abklappern müssen, werden wir eine ganze Weile unterwegs sein.“

Von wegen Technik war zu nichts nütze. Ohne die Satellitenbilder wären sie auf der Suche nach der Nadel im Heuhaufen, selbst wenn es um die Häuser und Farmen in der näheren Umgebung ging. Sein Geruchssinn mochte gut sein, aber auf ein paar Kilometer Entfernung konnte er sicher auch keine Häuser oder andere Unterkünfte ausmachen. Und sie hatten nicht viel Zeit. Je länger Eric da draußen war, umso höher war die Wahrscheinlichkeit, dass er nicht mehr lebte.
 

Dass dieser Mann ihr sehr wichtig war, sah man ihr deutlich an. Wenn Blicke töten könnten, wäre er zumindest schon angebrutzelt. Aber es war schließlich nicht seine Schuld, das dieser Eric verschwunden war und genauso wie sie ihn immer wieder nach William Hunter gefragt hatte, sah er sich dazu berechtigt, auch sie darüber auszufragen, weshalb sie eigentlich hier war. Dass es hier nicht um Registrierungen handelte, hatte sie ihm schon letzte Nacht klar gemacht. Was ihn wieder auf den Gedanken brachte, wer oder was Amanda eigentlich war. Ein einfacher Mensch auf jeden Fall nicht.

„Es gibt da allerdings ein paar Dinge, die du wissen solltest, bevor wir uns auf die Suche machen.“

Okay, das war die offizielle Bestätigung, dass er es sich überlegt und ja gesagt hatte.

Innerlich zuckte er gelassen mit den Schultern und aß sein Steak in aller Ruhe auf, selbst wenn sie schon jetzt ziemlich genervt aus dem Fenster blickte. Was Essen anging, ließ er sich nicht hetzen und das traf auch auf andere Genussbereiche in seinem Leben zu.

„Die Gegend um die Stadt herum ist nicht sicher.“

Zwar glaubte er nicht, dass man sie schon anfallen würde, nur weil sie sich ein paar Grundstücke ansahen, aber dabei würde es stark auf den Besitzer ankommen. Die Gegenden gehörten zwar nicht zum Jagdrevier, weshalb man sie nicht gleich in der Luft zerreißen würde, aber es konnte dennoch hart auf hart kommen. Immerhin waren sie doch Eindringlinge, und wenn sie schon nicht Amanda anfielen, weil sie ein Mensch war, so würde Nataniel doch sicher für Unruhe sorgen.

Er sollte sich also schon einmal eine verdammt gute Ausrede einfallen lassen. Denn eigentlich müsste er erst einmal beim Rudelführer vorsprechen, um sich anzumelden. Da er aber ohnehin nicht wusste, wo dieser sich im Augenblick befand, könnte er so tun, als würde er ihn suchen. Was im Grunde sogar der Wahrheit entsprach, wenn auch aus vollkommen anderen Gründen.

Nataniel wollte Amanda nicht zu viele Informationen über das ehemalige Rudel seines Vaters geben, weshalb er sich sehr genau überlegte, was er zu ihr sagte. Sie war der Feind und das durfte er nicht vergessen. Erst recht nicht, da die Seite seiner Verbündeten gerade ziemlich leer war.

„Gerüchten zufolge gibt es hier in der Gegend ein neues Alphatier. Da es mit dem Alten nicht lange gefackelt hat, nehme ich an, dass man mit dem Kerl nicht gerade ein Kaffeepläuschchen halten kann. Du solltest dich also besser von ihm fernhalten. Menschen haben weniger zu befürchten als wir, aber wenn man dich am falschen Ort und zur falschen Zeit erwischt, kann das Folgen haben.“

Obwohl er sich nicht sicher war, ob sie sich nicht verteidigen könnte. Letzte Nacht hatte sie beeindruckende Fähigkeiten an den Tag gelegt, aber danach war sie vollkommen schutzlos gewesen. Er hätte sie töten können und sie hätte sich nicht gewehrt. Da war er sich sicher.

Der leere Teller mit dem Steak verschwand und ein Blaubeermuffin und die Croissants mit Butter erschienen. Als Dessert zu seiner halb ausgetrunkenen Schokolade war das einfach ein krönender Abschluss.

„Ich bin mir sicher, es ist auch in deinem Sinne, nicht gleich aufzufallen.“

Wenn sie erst einmal nähere Informationen hatten, würde Nataniel sich alleine auf die Suche nach dem neuen Rudelführer machen, damit er sich gegebenenfalls einschleichen konnte. Dabei war es aber verdammt wichtig, dass niemand seine wahre Identität kannte.
 

Nun warf sie ihm doch einen Blick und sogar ein Lächeln zu, das allerdings verriet, dass sie es nicht zu herzlich meinte. Sie hatte seine Entscheidung durchaus nicht überhört und war zufrieden, dass er sich so entschieden hatte. Das ersparte ihnen beiden eine Menge Arbeit und Energie. Er mochte zwar ein Einzelgänger sein, aber nicht so verbohrt, wie sie angenommen hatte.

Prima, für logisches Denken war sie immer offen.

„Ach, dann nimmst du mich also freiwillig mit?“ Sehr gute Nachrichten.

Nachdem er sich die Wanze am Hals entfernt hatte, wäre es sehr viel schwieriger geworden, ihm zu folgen. Die Informationen, die er ihr gab, waren auch nicht ohne, allerdings sollte er schon jetzt, da sie sich weniger als ein paar Tage kannten, davon ausgehen, dass sie sich nicht vor diesem Anführer verstecken würde.

Eine Felidae war im Grunde genauso gefährlich wie jeder Andere. Es mochten zwar ein paar dabei sein, die aggressiver waren als der Rest, aber Raubtiere waren sie alle. Und Amanda war durchaus klar, dass es nicht gesund war, sich unvorbereitet mit einem von ihnen anzulegen. So dumm würde sie nicht sein.

„Natürlich will ich nicht gleich auffallen. Aber ich kann durchaus auf mich aufpassen, danke.“

Sollte dieser Anführer oder auch ein ganzes Rudel Eric auch nur ein Haar gekrümmt haben, konnten sie was erleben. Sie konnte es durchaus mit ein paar Gegnern aufnehmen, wenn sie sich richtig konzentrierte und ausreichend Schatten nutzen konnte.

Beinahe wäre ihr die Tasse aus der Hand gefallen, als die Erinnerung mit einem Mal zurückkam. Das war kein Traum gewesen. Er hatte sich tatsächlich über sie gebeugt und an ihrem Gesicht geschleckt.

Klimpernd pfefferte sie die Tasse auf den Unterteller und sah ihn wütend an.

Dass die Wut eher gegen sie selbst gerichtet war, musste er ja nicht wissen.

„Was sollte das letzte Nacht?“

Da sich nun noch mehr Leute zu ihnen umsahen, dämpfte Amanda ihre Stimme etwas, behielt aber ihren Blick bei, der sich in Nataniels blaue Augen bohrte.

Er sah sie etwas überrascht an und kaute seelenruhig auf seinem Croissant herum, als wüsste er gar nicht, wovon sie da redete.

„Solltest du noch einmal versuchen, an mir rumzuschlecken, nagle ich dich mit dem Schwanz an die Wand, verstanden? Und zwar mit beiden!“
 

Als Amanda darauf hinwies, dass sie durchaus auf sich selbst aufpassen konnte, dachte er wieder an letzte Nacht und entschied, sich einen passenden Kommentar zu verkneifen. Es könnte eine Ausnahme gewesen sein, aber da war immer noch ihre Waffe. Trotzdem nahm er sich vor, sie im Augenblick noch nicht allzu ernstzunehmen. Sie würde sich in seinen Augen erst beweisen müssen, und zwar, wenn es wirklich ans Eingemachte ging.

Als Amanda auf einmal die Tasse auf den Unterteller pfefferte, glaubte er einen Moment, es würde irgendwo brennen, da sich ihre Wut aber auf ihn richtete, war es wohl falscher Alarm.

Weshalb er sich fragte, womit er das jetzt verdient hatte. Er hatte doch nichts Falsches gesagt und sich sogar relativ anständig benommen. Also völlig unbegründet.

Nachdem sie aber von letzter Nacht anfing, fragte er sich ernsthaft, wie sie jetzt darauf kam. Hätte sie ihm nicht schon am Morgen die Hölle heißmachen können? Obwohl, im Moment verspürte er nicht mehr, als ein warmes Lüftchen. Bei ihm brauchte es schon mehr als diese Drohungen, um ihn abzuschrecken. Weshalb er sich ebenfalls etwas über den Tisch beugte, damit nicht jeder ihr Gespräch hören konnte, und ihr dabei ungeniert in die Augen starrte.

Sie waren so hellbraun, wie seine eigentlich hätten sein sollen, wenn er nicht so sehr aus der Art schlagen würde.

„Tja, das kann ich dir leider nicht versprechen“, schnurrte er gelassen, als würde ihr wütender Blick ihn nicht regelrecht braten.

Immerhin wollte das Tier in ihm ganz andere Sachen mit ihr anstellen, als nur zu lecken und selbst das klang schon ziemlich gut.

Nataniel hätte diese Erkenntnis schockieren sollen, immerhin war sie der Feind, aber Amanda war wirklich ein Kaliber für sich. Er wusste so etwas zu schätzen, weshalb er gedanklich nur schmunzeln konnte.

Sollte sie doch versuchen, seine Schwänze an die Wand zu nageln. Das klang nach ziemlich viel Spaß, sofern sie das Endergebnis nicht erreichte.

„Außerdem würde ich gerne von dir hören, was das gestern Nacht war.“

Mit kühler Miene lehnte er sich wieder zurück und spielte mit seiner Serviette, während er auf die Straße starrte. Ihre nächtliche Ausstrahlung hatte er immer noch nicht vergessenen. Das fauchende Tier in ihm ebenfalls nicht.

„Werden solche wie du, auch registriert, oder kommt ihr euch besser vor, weil ihr menschlicher seid, als wir?“, fragte er mit einem leisen Knurren, empört darüber, dass jemand wie sie überhaupt für die Organisation arbeitete.
 

Es fühlte sich so an, als hätte er ihr einen Kübel Eiswürfel in den Magen geschüttet und damit ihre Wut sofort verrauchen lassen. Sein Seitenhieb mit der Registrierung traf sie nicht wirklich, denn was er nicht wusste, war, dass sie tatsächlich selbst ein Tattoo trug. Wenn auch nicht an einer so offensichtlichen Stelle wie die Wandler.

Genauso wie ihre Mutter eins gehabt hatte. Bloß die Nummern und Buchstaben hatten sich unterschieden, was Amanda schon als Kind lächerlich gefunden hatte. Immerhin war es die gleiche Fähigkeit, ob man nur Mond- oder Sonnenschatten besser nutzen konnte, war doch völlig gleichgültig.

Ein Stich in ihrer Brust ließ sie leicht zusammenfahren und das Eis in ihrer Magengrube legte eine Gänsehaut über ihre Arme. In dieser einen Nacht hatte es einen Unterschied gemacht. Amandas Mutter war nicht wieder aufgetaucht, weil ihre Fähigkeit im Mondlicht nicht so gut funktioniert hatte wie am Tage. Bei ihrer Tochter war es genau anders herum. Hätte sie damals den Tiger in die Schatten mitgenommen, wäre ihre Mutter bestimmt noch am Leben.

Langsam hob sie den Blick und sah Nataniel an, der immer noch aus dem Fenster schaute und an seiner Serviette herumfingerte.

„Das gestern Nacht war ein Unfall.“

Ihre Stimme klang leicht belegt, was sie aber durch ein kleines Räuspern behob.

„Da wir jetzt sozusagen Partner sind, solltest du wahrscheinlich tatsächlich wissen, was … ich bin.“

Mehr Mensch als er, das stimmte. Aber dennoch nicht Mensch genug, um diesen Makel, den man mit einem Tattoo für alle sichtbar gemacht hatte, jemals vergessen zu können.

„Irgendjemand hat sich einen albernen Namen für Menschen wie mich ausgedacht. Wahrscheinlich irgendein Freak, der normalerweise zu Hause sitzt und Fantasybrettspiele spielt.“

Es war so, als würde sie gegen eine Wand reden. Bloß ein kurzes Zucken seiner Augen in ihre Richtung brachte sie dazu, weiterzusprechen.

„Es ist eigentlich leicht zu erklären. Im Grunde ist es so, dass ich meinen Körper im Schatten auflösen kann, um im Licht wieder aufzutauchen und anders herum. Schatten und Schatten gehen auch, aber …“

Nein, das war genug. Was in den Fällen passierte, musste sie ihm wenn überhaupt erst erklären, wenn es einmal nicht anders ging.

„Sagen wir einfach, je mehr Schatten, desto größer die Wirkung.“

Aber nicht ihre Eigene. Als ihre Mutter sie damals ausgebildet hatte, war Amanda nur versehentlich dieses Missgeschick passiert. Es hatte ihr für einen Moment das Gefühl von Macht vermittelt, die grenzenlos, aber nur einen Hauch vom Wahnsinn entfernt war.

Heute, als erwachsene Frau würde sie selbst ein anderer, talentierter Schattengänger nicht mehr so leicht aus diesem Zustand herauszerren können. Aber Amanda würde sich auch nie zu diesem Experiment hinreißen lassen.
 

Ein Unfall also?

Ja, danach hatte es auch wirklich ausgesehen.

Er würde es eher eine Katastrophe nennen. Gut, er hätte sie vielleicht nicht wecken sollen und schon gar nicht in seiner Tiergestalt, aber so oder so. Egal was er getan hätte, es wäre ohnehin falsch gewesen. Immerhin hatte sie ihn noch nicht einmal in ihrem Zimmer haben wollen. Aber an gewisse Dinge musste man sich eben gewöhnen.

Nataniel war wirklich neugierig darauf, was sie ihm gleich sagen würde. Alleine die Vorstellung, dass er einen Partner, oder in diesem Fall eine Partnerin haben sollte, kam ihm ziemlich seltsam vor. Als eingefleischter Einzelgänger war das wohl auch kein Wunder. Dennoch, auch wenn er noch immer aus dem Fenster starrte, so hörte er ihr doch gespannt zu. Es war immerhin nur zu seinem Besten, wenn er den Feind näher kennenlernte. Somit war er nicht so sehr im Nachteil. Da Amanda bereits sehr viel über ihn zu wissen schien.

Als sie ihm ihre Fähigkeit erklärte, drehte er sich schließlich doch wieder zu ihr herum und lehnte sich lässig zurück, sah aber durchaus interessiert aus.

„Ist es dir in dem Fall egal, wie weit der Schatten weg ist? Ich meine, kannst du dich von hier in ein völlig anderes Land … ich weiß nicht, wie du das nennst … sagen wir einfach 'springen'? Oder nur kurze Distanzen?“

Vor allem würde ihn interessieren, was sie mit ihm gemacht hatte, als sie ihn regelrecht dazu gezwungen hatte, sich zu verwandeln. Zwar hatte er dank ihr sein Erinnerungsvermögen wieder, aber er würde sich sicherlich nicht dafür bei ihr bedanken. Wenn er daran dachte, war ihm eher das Gegenteil zu Mute.

„Und wie nennen die deine Fähigkeiten nun?“, wollte Nataniel weiter wissen, während er ihr in die Augen blickte.

„Außerdem hatte ich gestern das Gefühl, es würde sich nicht gerade angenehm anfühlen, wenn du in die Schatten gehst.“
 

Als er sich nun doch wieder zu ihr umdrehte und sich lässig gegen die Rückbank lehnte, zog Amanda automatisch ihre Füße zur Seite. Irgendwo musste er mit seinen langen Beinen schließlich hin, wenn er sich so ausstreckte.

„Ja, eigentlich ist die Distanz egal. Aber je weniger ich über den Ort weiß, an dem ich lande, desto gefährlicher ist es. Wenn ich beispielsweise von hier hinter die Theke da hinten in die Küche wechseln würde …“

Sie sah, wie sein Blick ihren Gedanken folgte und er ihn auf die Durchreiche zur Küche richtete.

„Dann muss ich abschätzen, wie groß die Entfernung ist. Außerdem könnte irgendetwas auf dem Boden stehen. Dann würde ich mich halb in irgendeinem Gegenstand wieder zusammensetzen.“

Auch dann konnte sie sich noch retten, wenn sie genug Zeit und Kraft zur Verfügung hatte. Aber ihre Ausbildung war nicht lang und ausreichend genug gewesen, um solche Dinge derart unter Kontrolle zu haben wie er seine Wandlung.

Ein wenig Neid stieg in Amanda auf, als ihr klar wurde, dass er sicher noch nicht einmal Schmerzen verspürte, wenn er sein Fell an- oder ablegte.

Wie schön für ihn.

„Du hast’s getroffen. Der Kerl mit der Zahnspange und den aufgeklebten Elfenohren war nicht unbedingt der Phantasievollste. Ich bin eine Schattengängerin.“

Als sie es aussprach, zeigten sich Lachfältchen um ihre Augen, die amüsiert aufblitzten.

„Nein, es fühlt sich nicht angenehm an. Aber das ist auch der Vorteil daran. Ich kann Anderen genau die gleichen Schmerzen bereiten, die ich durchlebe, sogar mehr, wenn es denn sein muss.“

Es war nicht einfach und sie tat sich dabei auch immer selbst weh. Aber es war eine Waffe, die ihr niemand nehmen konnte und das gab ihr ein einigermaßen sicheres Gefühl.
 

Beeindruckend, wenn sie sich wirklich von hier nach dort bewegen konnte. Das war sicher ziemlich nützlich, wenn man es gut beherrschte. So wie gestern, als sie sich einfach unter ihm weg verpufft hatte. Oder im Wald, wo sie plötzlich hinter ihm stand. Allerdings hätte er sie da erwischt, wenn sie ihn nicht so überrascht hätte. Nataniel war immerhin alles andere als langsam.

„Schattengängerin“, wiederholte er das Wort und ließ es sich auf der Zunge zergehen. Danach streckte er sich einen Moment, weil er nun wirklich angenehm satt war und eigentlich sehr viel Lust auf eine Stunde Schlaf hätte. Vielleicht auch mehr. Aber da das natürlich absolut nicht ging, stellte er sich schon einmal darauf ein. Es war immerhin nicht so, dass er es unbedingt nötig hätte.

„Ich finde den Namen passend.“

Das meinte er ernst. Daran war für ihn absolut nichts Verrücktes. Genauso wie Gestaltwandler. Im Grunde war es nur eine Bezeichnung für eben das, was es ist. Als Amanda allerdings mit den Schmerzen anfing, wurde er wieder ernst und er konnte gerade noch so ein Knurren unterdrücken.

„Wirklich sehr nett, diese Methode mit dem Schmerz. Leider nicht sehr wirkungsvoll bei Gestaltwandlern.“

Nataniel würde um nichts auf der Welt zugeben, dass sie ihn im Wald eiskalt erwischt hatte. Eine Verwandlung ohne Zutun eines Willens war kein Zuckerschlecken und zog sich nur unnötig in die Länge. Er konnte froh sein, dass wenigstens sein Körper genau wusste, wie er am Ende auszusehen hatte, sonst wäre ihm womöglich noch ein fünftes Bein aus dem Hintern gewachsen oder so etwas in der Art.

„Ich weiß nicht, ob es dir bewusst ist, aber wenn wir uns verwandeln, ist der Schmerz dem sehr ähnlich, den du mir im Wald zugefügt hast.“

Weshalb es jungen Gestaltwandlern schwerer fiel, sich oft zu verwandeln. Sie waren noch nicht so geübt darin und wollten dem Schmerz lieber entgehen. Doch in Nataniels Alter dauerte eine Wandlung nur wenige Sekunden und das war wirklich auszuhalten. Vor allem, da Erinnerungen an Schmerz sehr schnell verblassten. Es war, wie wenn man sich ein Pflaster mit einem Ruck von der Haut riss, als es langsam abzuziehen. Umso schneller, umso besser.
 

Amanda fühlte sich in die Defensive gedrängt von Nataniels Reaktion auf ihre Erklärung mit den Schmerzen. Sie war keine durchgeknallte Mörderin und ganz sicher genoss sie es nicht, anderen Schmerzen zuzufügen. Aber wenn sie sich verteidigen musste oder jemanden, der ihr etwas bedeutete, dann würde sie es tun, ohne zu zögern. Unter Garantie hatte er schon mehr Menschen wehgetan oder sogar getötet, als dass er sich ein Urteil über sie erlauben konnte.

Schon wieder hatte er es geschafft, sie nur mit ein paar Worten wütend zu machen. Sie würde mehr auf das achten müssen, was sie sagte, um diesem Kerl nicht noch mehr Angriffsfläche zu bieten.

Das mit den Wandlern war allerdings mehr als interessant, was sie auch die Ohren spitzen ließ. Waren sie sich vielleicht doch ähnlicher, als Amanda gedacht hatte?

Nein, was für ein Schwachsinn! Wie kam sie bloß auf so eine abwegige Idee? Bloß weil die Wandlung mit ähnlichen Schmerzen verbunden war wie ihre Gänge, verband sie das auf keine noch so kleine Weise. Ihre Körper lösten sich beide auf und setzten sich wieder zusammen. Auch wenn das Ergebnis vollkommen unterschiedlich ausfiel, war das Grundprinzip das Gleiche. Seltsam.
 

Nachdem er auch seinen Orangensaft ausgetrunken hatte und Amanda auch mit ihrem Kaffee fertig war, winkte er die Kellnerin zu sich, um zu bezahlen. Sie ratterte noch einmal seine ganze Bestellung hinunter, bis Nataniel ihr zwei Scheine in die Hand drückte und eine Summe nannte, die auch ordentlich Trinkgeld beinhaltete. Er fragte noch nicht einmal, ob er Amandas Rechnung begleichen durfte. Er tat es einfach. Immerhin hatte er in der Nacht auf ihre Kosten unter einem Dach schlafen können, und wenn es nach ihm ging, würde das auch so bleiben, bis sich ihre Wege wieder trennten oder sie sich gegenseitig zerfleischten.

„Hast du nähere Informationen über das nächstgelegene Grundstück hier? Besitzer, Eigentümer oder so etwas in der Art?“

Vielleicht konnten sie sich so schon einmal ein Bild machen, ehe sie persönlich hinfuhren. Aber eins war klar, er würde nicht mehr den Fahrer spielen.
 

Um sich von den Gedankengängen abzulenken und nicht weiter darüber zu grübeln, ob sie nun etwas gemeinsam hatten oder nicht, sah sie Nataniel dabei zu, wie er die Bedienung wieder zum Zittern brachte. Allerdings war sich Amanda inzwischen nicht mehr sicher, ob seine animalische Ausstrahlung die Bedienung ängstlich machte oder einfach nur erregte. Aber wäre Letzteres der Fall gewesen, hätte ihm das junge Ding sicher in die Augen gesehen und nicht nur auf den Kragen seines Shirts.

Das „Danke“ entkam ihr, ohne dass sie es hätte stoppen können, obwohl sie sich fast auf die Zunge biss, bei dem Versuch, es doch noch aufzuhalten, als es ihr schon über die Lippen war.

Sein süffisantes Lächeln machte sie beinahe wahnsinnig. Am liebsten hätte sie ihm unter dem Tisch gegen sein Schienbein getreten. Aber sie riss sich am Riemen. Immerhin waren sie hier in der Öffentlichkeit und so wie sie ihr Gegenüber einschätzte, würde er ihr noch genug Gründe bieten, um ihm ein paar blaue Flecken zu verpassen.

Ohne ihn anzusehen, schob sie ihre Hand in ihre Hosentasche und förderte den PDA zu Tage.

„Ach, jetzt ist dir mein kleines Gerät also gut genug?“

Sie tippte auf dem Display herum und überlegte, nach was sie suchen sollte.

Die Gestaltwandler waren nicht registriert, so viel wussten sie beide. Also würde eine direkte Suche über die Datei der Organisation nichts bringen. Aber ein Satellitenbild konnte ihr die Häuser im Umkreis der Stadt zeigen und wem das Grundstück gehörte.

„Die nächste Farm liegt nur zehn Minuten Fahrt von hier. Gehört einem Thomas Jeffreys mit seiner Frau. Keine Vorstrafen, keine Auffälligkeiten. Wie nah müssen wir ran, damit du erkennen kannst, ob er einer von … Ob er ein Gestaltwandler ist?“

Vielleicht konnte er es schneller erkennen, als es ihr möglich war. Immerhin musste es doch einen Vorteil haben, dass sie das zusammentaten.

Eine ihrer Augenbrauen kräuselte sich leicht, als sich ihr anscheinend zum ersten Mal die Frage aufdrängte, was Nataniel eigentlich davon hatte, sie mitzunehmen. Aus Gründen überschäumender Sympathie würde er es sicher nicht tun.
 

Nataniel kostete seinen kleinen Triumph über Amanda so richtig aus, auch wenn er sich äußerlich lediglich mit einem Lächeln zufriedengab. Er spürte genau, dass ihr das 'Danke' nur so herausgerutscht war.

Zum Glück war ihm das noch nicht passiert, sonst müsste er sich selbst in den Hintern treten. Als wenn er sich bei Amanda jemals bedanken würde. Die Frau war der Grund, wieso er überhaupt hier war. Auch wenn es wohl eher indirekt damit zusammenhing. Außerdem sollte sie sich nicht so für ihr Spielzeug einsetzen. Wenn er alleine wäre, hätte er sich eine Straßenkarte besorgt, die betreffenden Bereiche markiert und wäre einfach losgezogen.

Obwohl er zugeben musste, dass es leichter war, wenn man bereits wusste, wer auf den Grundstücken wohnte.

„Wir können es zuerst mit der einfachen Methode versuchen: Wir tun so, als hätten wir uns verfahren, wenden auf der Einfahrt, und während wir das tun, kann ich mich umsehen und Gerüche aufschnappen. Sollte das nicht genügen, steige ich ein Stück weiter entfernt aus und schaue mich unauffällig in der Gegend um, und zwar alleine. Einverstanden?“

Nicht, dass er viel auf ihre Meinung gab, aber bevor sie ihm wieder Probleme verursachte, und das im falschen Augenblick, wollte er lieber vorher die Sachlage klarstellen.

„Also, wenn du auch bereit bist, können wir dann los? Du fährst.“

Sein Tonfall duldete keine Widerrede, weshalb er seine Aussage auch noch einmal dadurch bekräftigte, dass er einfach aufstand und zur Tür ging, ohne auf Amanda zu warten.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück