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Wider Willen und Plan

Pokémon-Geschichte mit eigenen Charakteren.
von

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Lohgock

Mikko zog sich die Mütze tiefer ins Gesicht und vergrub die Hände in den Hosentaschen. War aber auch eiskalt. Missmutig trat er eine leere Getränkedose vor sich her, die laut scheppernd über den Asphalt klapperte. Die sonst selbst bei kaltem Winterwetter belebten Straßen Wiesenflurs waren heute fast leer und die wenigen Menschen und Pokémon, die ihm dennoch begegneten, waren schweigsam und hatten es zumeist einfach zu eilig, um zu einem Gespräch irgendwo stehen zu bleiben.

Das lag nicht etwa am Winter, der Mikko dieses Jahr viel strenger vorkam als im Vorjahr, sondern daran, dass der Held der Stadt gestorben war, und man um ihn trauerte. Eljas, seines Zeichens Pokémon-Trainer, hatte seine Reise einst hier in Wiesenflur begonnen und hatte ihren Namen berühmt gemacht, als er Champion der Pokémon-Liga wurde. Er war das große Vorbild jedes Kindes gewesen, der liebste potentielle Schwiegersohn aller Eltern und seit kurzem sogar Ehrenbürger.

Und heute trug man ihn zu Grabe.

Mikko zuckte mit den Schultern. Nicht, dass es ihm nicht leid tat, aber schließlich hatte er den Kerl nicht mal gekannt. Jeden Tag starben Menschen, die er nicht kannte, da konnte er doch nicht jedes mal trauern. Und nur weil einer Pokémon-Meister war, war er doch nicht mehr wert, als andere Menschen. Oder?

Außerdem war nun mal nicht jeder total verrückt danach, Pokémon-Trainer zu werden. Mikko zum Beispiel nicht. Er wusste noch überhaupt nicht, was er mal werden wollte. Als er klein war, hatte er ein Astronaut werden wollen, aber das hatte er sich inzwischen aus dem Kopf geschlagen. Vielleicht auch Comic-Zeichner, das wäre richtig cool, auch wenn sein Vater immer sagte, das sei eine brotlose Kunst (womit er meinte, das man damit kein Geld verdienen konnte).

Jedenfalls wandte Mikko sich betont in die dem Friedhof entgegengesetzte Richtung, während der Rest der Stadt dem gefallenen Helden ihren Respekt erwies. Sogar schulfrei hatte es dafür gegeben, obwohl sie heute eine Mathe-Arbeit hätten schreiben sollen.

Die inzwischen arg lädierte Blechdose prallte laut gegen eine Mülltonne, hinter der mit lautem Fauchen ein schmutzbedecktes Mauzi hervor schnellte, nur um auf flinken Pfoten um die nächste Hausecke zu verschwinden.

Er dachte an sein zu Hause, wo es vor Katzen-Pokémon nur so wimmelte, da seine Eltern diese züchteten. Ein edles Snobilikat und Enekoro neben dem anderen, ganz zu schweigen vom überall neugierig herum wuselnden Nachwuchs. Pokémonhaare fanden ihren Weg in Ecken des Hauses, von denen Mikko nicht einmal gewusst hatte, dass es sie gibt (bevor er sie sauber machen musste).

Insgeheim mochte Mikko Hunde-Pokémon viel lieber (wenn überhaupt), die waren nicht so stur und eigensinnig, sondern loyal und folgsam. Aber wenn er es ganz genau nahm, kam er auch ohne Pokémon ganz gut zurecht. Klar, im Alltag waren sie durchaus nützlich, keine Frage, aber losziehen und mit ihnen Kämpfe austragen musste er deswegen nicht, und in die Fußstapfen seiner Eltern treten wollte er noch weniger.

Ohne es zu merken war er bis zum Ende der breiten Hauptstraße gegangen, die sich von dort aus zu Feld und Wäldern öffnete. Früher hatten ihm seine Eltern stets eingeschärft, bloß nicht allein im hohen Gras zu spielen, da ihn wilde Pokémon angreifen könnten. Aber wie die meisten Jungen waren ihm derlei Warnungen ziemlich egal gewesen, schließlich waren die Spielplätze drinnen in der Stadt schnell langweilig und draußen konnte man Verstecken spielen und Baumhäuser bauen. Eins dieser geheimen Verstecke gab es immer noch, auch wenn er heute nicht mehr so oft dort spielte. Allein machte das einfach nicht so viel Spaß, und nachdem Lasse und Ilari beide vor einem halben Jahr mit ihrem ersten Pokémon losgezogen waren, war er nur noch selten her gekommen.

„Wilde Pokémon“, brummte er während er den Waldweg entlang ging und den Schal enger zog, „Als wenn die einen bei jeder Gelegenheit anspringen wür--“

Er brachte den Satz nicht zu Ende denn genau in diesem Moment brach ein Rattfratz aus einem nahen Gebüsch und ihm auf dem Fuß folgten ein Schwalbini und, was die Sache nicht gerade besser machte, ein Schwalboss. Ersterem wich er gerade noch aus, das andere kollidierte laut kreischend mit seiner Schulter. Vom Aufprall zu Boden geworfen konnte er kaum die Arme heben, um sich gegen das ärgerliche Vogel-Pokémon zu wehren, dass nun anstelle des Rattfratz ihn in die Mangel nahm. Wild und unkoordiniert nach dem Angreifer tretend kam es einem Wunder gleich, dass er wieder auf die Beine kam, um die Flucht anzutreten.

In der Hoffnung, die Flügelspannweite gegen das Schwalboss einsetzen zu können, stürzte er geradewegs ins nächstbeste Gebüsch und ins dichtere Unterholz, doch die Strategie schlug fehl; den großen Vogel störten die kleineren Äste nicht im Geringsten. Wäre ja auch zu schön gewesen. Da traf man Jahrelang auf nichts gefährlicheres als Raupys und dann so was!

Als sich eine widerspenstige Wurzel in seinen Weg stellte und er unsanft erneute Bekanntschaft mit dem Waldboden machte und er gerade dachte, dass er seinem hartnäckigen Verfolger erlegen war, erklang ein lauter, seltsam hohler Schrei und gleich darauf schoss eine Feuerlanze knapp über seinen Kopf und direkt auf das attackierende Schwalboss zu.

Mit vor Schreck und Überraschung geweiteten Augen riss er sich die leicht angekokelte Mütze vom Kopf (immerhin waren die ohnehin schon kohlrabenschwarzen Haare verschont geblieben) als der Urheber des Feuers hinter einem Baum hervorschoss. Das Lohgock, denn um ein solches musste es sich handeln, verlor keine Zeit und griff das verletzte Vogel-Pokémon an. Dieses hob nur mühsam und unter lautem Kreischen wieder ab, kreiste kurz über dem aufmerksam aufsehenden Feuer-Pokémon und setzte dann urplötzlich zum Sturzflug an.

Zu Mikkos Entsetzen machte das Lohgock keine Anstalten auszuweichen. Stattdessen machte es einen gewaltigen Satz, dem Angreifer entgegen und ein heftiger, gezielter Hieb holte den Vogel aus der Luft, schleuderte ihn zu Boden. Lohgock landete, bedachte seinen Gegner für einen Moment mit einem Prüfenden Blick und entschied dann, dass der Kampf zu Ende sei. In der Tat zuckte das Schwalboss bestenfalls noch, die Schwingen zum Schutz um sich gelegt.

Nun richtete sich das Lohgock zu seiner vollen Größe auf, womit es Mikko deutlich überragte; es musste an die zwei Meter groß sein. Mikko rappelte sich ebenfalls auf. „Danke.“, murmelte er, schließlich hatte das Pokémon ihm aus der Patsche geholfen. Aber wo kam es überhaupt her? Mikko sah sich um, konnte aber keinen Trainer entdecken. Trotzdem. Lohgocks liefen nicht einfach wild durch den Wald, also musste es wohl irgendwo hingehören.

„Loh, Lohgock!“, gurrte es nun und wies mit einer Krallen besetzten Pranke auf das verletzte Schwalboss. Ja, was sollte er mit ihm tun? Er konnte es schwerlich fangen, denn als überzeugter nicht-Trainer trug er keine Pokébälle mit sich, und selbst wenn, er wollte das Pokémon ja gar nicht haben. „Loh!“, wiederholte das Feuer-Pokémon mit Nachdruck.

Zögernd näherte Mikko sich dem Schwalboss. Die dunkelblauen Federn waren matt, staubig und großteilig angesengt, seine Augen waren geschlossen und der mächtige Vogelleib zitterte mit jedem Windzug. Nein, liegen lassen konnte er es kaum. Vorsichtig, schon um nicht gleich wieder den seinen Zorn auf sich zu ziehen, hob er das Pokémon hoch. Es war unhandlich und schwer, wenn auch leichter als er erwartete hatte. Er würde es einfach ins Pokémon-Center schaffen, dann war er das Problem los.

Erst als er es durch das Dickicht und zurück auf den Weg geschafft hatte bemerkte er, dass das Lohgock ihm folgte. Ob es sich versichern wollte, dass das Schwalboss versorgt wurde? „Wo ist denn dein Trainer?“, fragte Mikko irritiert, was sofort bewirkte, dass das Pokémon stehen blieb. Er sah sich um, ruckte das nicht leichter werdende Pokémon auf seinem Arm zurecht. Das Lohgock hatte den Blick gesenkt. Es sah... ja, es sah traurig aus. Niedergeschlagen.

Ein leises Krächzen seitens des Schwalboss erinnerte ihn daran, dass er gar keine Zeit zu verlieren hatte. Der Trainer des Lohgocks würde sich schon finden, womöglich sogar im Pokémon-Center.
 

Schwester Joy sah ihn tadelnd an, als er ihr das verletzte Pokémon präsentierte. Bevor er auch nur ein Wort einer Erklärung loswerden konnte, hatte sie es ihm schon abgenommen und auf eine Trage gelegt. „Unverantwortlich!“, schimpfte sie, „Wisst ihr Jungs denn nicht, wann Schluss sein muss? Manchmal muss man einen Kampf eben aufgeben, bevor es so weit kommt!“, meinte sie, doch ihr Blick war voll Sorge für das Pokémon, dessen Behandlung sie sofort begann.

Die anderen Trainer hatten ihm dagegen kaum Beachtung geschenkt; im Center war ein reges Kommen und Gehen, selbst jetzt da die Stadt in Trauer war. Vielleicht gerade jetzt.

„Es ist gar nicht mein Pokémon!“, schaffte er es endlich zu erklären, „Es war im Wald, also, es hat mich angegriffen und...“

„...und du hast gleich dein Feuer-Pokémon zur Verteidigung gerufen.“, beendete Schwester Joy seinen Satz.

„Nein! Ich meine, es war nicht mein Lohgock!“, irgendwie wurde die Begründung nicht neuer. „Es ist einfach so aufgetaucht.“

Die Schwester antwortete nicht mehr, sondern schickte ihn einfach aus dem Behandlungszimmer. Großartig. Andererseits konnte er ja genauso gut nach Hause gehen; der Nachmittag war praktisch vorbei und das verletzte Schwalboss war versorgt. Mehr konnte man nun wirklich nicht von ihm verlangen.

Aber Mikko hatte nicht mit der Anhänglichkeit des Lohgocks gerechnet, dem er vor dem Pokémon-Center wieder begegnete. Scheinbar hatte es seinen Trainer hier nicht gefunden. Ob das hieß, dass er sich darum auch noch kümmern musste? Er hatte nicht wirklich Lust, sich erneut mit Schwester Joy auseinander zu setzen, aber wo sollte er sonst nachfragen, ob jemand wusste, wo das Lohgock hingehörte?

„Schau, ich hab mich um das Schwalboss gekümmert, okay? Und noch mal danke, dass du mir geholfen hast, aber... also, ich geh jetzt nach Hause. Such deinen Trainer, oder was auch immer.“, damit wollte er sich abwenden, doch die Klauen des Lohgocks gruben sich unbarmherzig in den Stoff seiner Jacke und hielten ihn fest. Er konnte nur froh sein, dass die Flammen um sein Handgelenk nicht fröhlich loderten. „Hey--“, setzte er an, doch der Ausdruck im Gesicht des Pokémons ließen ihn inne halten.

Wie vorhin, als er nach seinem Trainer gefragt hatte, ließ es auch nun den Kopf hängen, auch wenn seine Schultern ärgerlich bebten. „Tut mir Leid.“, sagte er, hauptsächlich weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte.

„Loh...“, gurrte es unglücklich zurück, die tiefe Stimme klang plötzlich ganz anders als zuvor im Kampf. Zögernd ließ es Mikko los und trat einen Schritt zurück. Dann dämmerte es Mikko. Aber das konnte doch nicht sein...! „Bist du... bist du Eljas’ Pokémon?“, fragte er ungläubig, und der Schrei des Lohgocks war Antwort genug.

Eljas’ berühmtestes Pokémon war sein Lohgock gewesen, es war immer mit ihm abgebildet worden, in allen Zeitungen, auf der Website der Stadt, auf Postern – und jetzt war er tot, gestorben bei einem Unfall, einem Steinschlag im Gebirge, zusammen mit einem weiteren Trainer, der immer noch bewusstlos im Krankenhaus lag. Mikko hatte es in den Nachrichten gesehen.

Und was geschah eigentlich mit Pokémon, wenn ihr Trainer starb? Gerade wenn es so früh war, so unerwartet? Mikko hatte keine Ahnung.

„Es tut mir so Leid.“, flüsterte er, und endlich, zu guter letzt, trauerte er doch wie alle anderen in der Stadt, vielleicht sogar noch mehr.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Kalliope
2009-12-20T20:23:28+00:00 20.12.2009 21:23
Hey :)
Ich finde das 1. Kapitel schonmal gut, man fühlt mit Lohgock und am Anfang des Kapitels hat mir besonders gut gefallen, wie du Mikko beschrieben hast. Lohgock scheint ja ein ziemlich anhängliches Kerlchen zu sein, wenn es Mikko gleich folgt. ;)
Liebe Grüße, Radieschen
Von:  UniverseHeart
2009-11-20T21:02:51+00:00 20.11.2009 22:02
..ich habe mir auch mal deine anderen FFs zur Gemüte geführt und... ich bin echt froh, dass dies hier meine allererste Pokemon FF ist die ich jemals gelesen habe, denn sie ist ein echter Glücksgriff. Das Konzept greift, und ist spannend, und man fühlt richtig mit dem Lohgock mit.
Von:  Pandir
2009-09-27T23:02:24+00:00 28.09.2009 01:02
Nach dem Gespräch auf lj über Lieblingspokemon und Lohgock bin ich doch mal neugierig geworden!
Ich lese ja normalerweise keine Pokemon-FFs, weil mir nie klar war, was denn bitte Interessantes in einer fanfic zu Pokemon passieren soll. ^^"

Also, erstmal hast du mich jetzt mal eines Besseren belehrt!
Ein Junge, der mal kein Trainer sein will, und ein Pokemon, das seinen Trainer verloren hat, sind ein interessantes Konzept. *likez*

Außerdem witzig, was auf deutsch von dir zu lesen. Im positiven Sinn! :D
Sehr schönes Pokemonfeeling bisher und ein sehr ernster Anfang - aber für weiteres Feedback les ich erstmal weiter. :)


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