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The Treehouse

von

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Freak

Kapitel 2
 

EPoV
 


 

Die Erinnerungen verschönern das Leben,

aber das Vergessen allein macht es erträglich.
 


 

Ich bin ein Freak. Ich meins ernst, bin ich wirklich. Ich übertreffe sogar Johnny Stephens aus der Parallelklasse, und der denkt er stamme von Aliens ab und sei daher entfernt mit dem Yeti verwandt, den sie mit ihm zusammen auf die Erde geschickt haben. Sein größter Traum ist es, eines Tages in den Himalaja zu reisen und dort die Überreste seines Raumschiffes zu finden, um gemeinsam mit seinem Kumpel dem Schneemenschen heimzukehren.

Wie ich es schaffe das zu überbieten?

Okay, nehmen wir irgendein beliebiges Datum innerhalb der letzten zehn Jahre, sagen wir, den 13. Juli, 1999. Ich trug an diesem Tag eine Jeans, die auf dem rechten Knie einen Flicken hatte und ein blaues T-Shirt mit einem kleinen Loch am linken Ärmel. Ich hatte Streit mit meiner Mutter, weil ich mein Zimmer nicht aufräumen wollte und habe laut mit der Tür geknallt, das war genau um 14.32 Uhr. Um 20:13Uhr kam mein Vater von der Arbeit, genau 43 Minuten zu spät. Ich habe meine Eltern durch die Tür streiten gehört. Um 21:24 Uhr schlief ich ein und träumte, dass ich fliegen könnte. Das war ein Sonntag.

Versteht ihr was ich meine? Mein Gedächtnis ist eine wandelnde Freakshow!

Es fühlt sich an, als ob ich immer mit einer Videokamera auf der Schulter herumliefe, die jede einzelne Minute meines Lebens aufzeichnet. Und später kann ich mir auf einem Bildschirm in meinem Kopf die Videos von jedem beliebigen Tag ansehen.

Klingt cool, was? Ist es aber nicht.

Weil ich meine Erinnerungen nicht kontrollieren kann. Ich sehe pausenlos irgendwelche Szenen aus der Vergangenheit vor mir, automatisch und durcheinander. Es ist so selbstverständlich für mich wie Atmen und Blinzeln. Die Erinnerungen sind wie ein endloser, wirrer Film, der mich völlig überwältigen kann. Und es gibt keine Stopptaste.

Als ich in klitschnassen Klamotten die Treppe zu meiner Haustür hinaufstieg und fröstelnd den Schlüssel ins Schloss steckte, spielte sich vor meinem inneren Auge die selbe Szene ab, wie immer wenn ich vor dem Haus stand, in dem ich lebte.
 

Das Gebäude kommt mir riesig vor, aber vielleicht bin einfach ich es, der unbedeutend klein ist. Ich spüre Esmes warme Hand auf meiner Schulter. Eine mütterliche Geste. Am liebsten würde ich sie abschütteln, mich umdrehen und fortlaufen. Fort von der Tür auf die sie mich zu führt und mich erwartungsvoll anzustarren scheint.

Als sie sich öffnet, blickt mir ein Mann entgegen, den ich nicht kenne und auch nicht kennen lernen will. Hinter ihm erkenne ich den hellen Flur, den ich betreten soll, aber nicht betreten will. Bilder hängen an der Wand, Bilder von einer Familie, zu der ich nicht gehöre und nicht gehören will.
 

Und wie jedes mal wieder, durchströmten mich die selben Gefühle wie damals, ohne jemals etwas an ihrer Intensität einzubüßen. Unsicherheit, Angst, Trauer, Wut.

Ich atmete tief durch, drehte den Schlüssel im Schloss und trat ein, möglichst leise und darauf bedacht keinerlei Geräusch zu verursachen.

Das Klick mit dem die Tür hinter mir zufiel, hallte gespenstisch im dunklen Flur wider. Bei Nacht wirkte alles hier auf mich kalt und leer und verursachte mir eine Gänsehaut.

Der nasse Pullover juckte unangenehm auf meiner Haut.

Auf leisen Sohlen schlich ich auf die rettende Zimmertür zu, gleich links neben der Treppe, als mich etwas, das ich aus dem Augenwinkel wahrnahm, zusammenzucken und erstarren ließ.

Dort, auf der untersten Treppenstufe, durch die Dunkelheit kaum zu erkennen, saß eine Gestalt, an das Geländer gelehnt und aus im Schatten liegenden Augen zu mir herüberstarrend.

Dieser eine kurze Moment des Schreckens, in dem das Adrenalin durch meine Adern schoss reichte aus, um dutzende von Bildern, wirre Erinnerungsfetzen durch mein Gehirn zu jagen, so dass ich mich mit einem Arm an der Wand abstützen musste, um gegen den Schwindel anzukommen.

Zahlen, Daten, Stimmen, Worte, Gesichter- alles schwirrte umher, verursachte mir Kopfschmerzen und Übelkeit.

Doch so schnell wie der Spuk begonnen hatte, so schnell war er auch wieder vorüber. Kaum hatte sich meine Atmung wieder beruhigt, kamen auch die Bilder zur Ruhe, so wie immer.

„Verflucht, Emmett! Was soll der Scheiß? Was machst du da?“, zischte ich wütend in die Dunkelheit hinein.
 

Wir stehen uns gegenüber und starren uns an, schwer hebt und senkt sich seine Brust, die Hände hat er zu Fäusten geballt. Er ist außer sich vor Wut und Fassungslosigkeit. Ich dagegen bin ganz ruhig. Ein verächtlicher Zug liegt in meinem Mundwinkel und als ich spreche,klingt meine Stimme kalt und endgültig.
 

Emmett erhob sich langsam. Ich konnte sein Gesicht noch immer nicht erkennen, seine große, massige Gestalt zeichnete sich vor dem schwachen Lichtschein, der aus dem oberen Stockwerk hinunterdrang, jedoch deutlich ab.

„Was heute Mittag passiert ist, tut mir Leid.“, sagte er leise.

Ich schnaubte verächtlich und machte Anstalten in meinem Zimmer zu verschwinden, als er sich mir in den Weg schob. Verärgert verzog ich das Gesicht.

„Was willst du?“, fragte ich. Meine Stimme war nicht länger wütend, sondern vollkommen ausdruckslos, gefühlskalt.
 

Ihr seid nicht meine Familie und du bist nicht mein Bruder.
 

Ich sah wie er zusammenzuckte, als er es hörte. Ich wusste, er verabscheute es wenn ich so war, wusste, dass ich ihn damit verletzte und obwohl mir dies ein dunkles Vergnügen bereitete, hasste ich mich gleichzeitig dafür.

„Mich entschuldigen. Mit dir reden.“ ,erwiderte er schließlich. „Ich hätte nicht zuschlagen sollen, aber du bist zu weit gegangen.“

Ich nickte knapp und wollte schon an ihm vorbei, als er mich am Arm packte und ein weiteres Mal aufhielt.

„Was?“, wollte ich schroff wissen und fuhr zu ihm herum, woraufhin er meinen Arm losließ.

Erst jetzt bemerkte ich den Ausdruck in seinen Augen. Er blickte...traurig.

„Wann ist es so weit gekommen?“, fragte Emmett leise und hob die Hände in einer hilflosen Geste. „Das alles meine ich. Wie konnte das passieren?“

Mein Inneres verkrampfte sich schmerzhaft und ich fuhr mir fahrig mit der Hand durch die Haare.
 

Mein Knie pocht schmerzhaft und ich kann nicht aufhören das Blut anzustarren, das aus der Schürfwunde quillt. Die Bilder in meinem Kopf überwältigen mich, reißen mich mit sich, bis ich spüre, dass jemand neben mir hockt und ich den Kopf hebe. Er hält mir wortlos ein Pflaster hin und wortlos nehme ich es an. Sein Lächeln ist offen und aufmunternd und wie von selbst lächle ich zurück.

„Danke.“, sage ich. Es ist das erste Mal, dass ich spreche, seit ich hier bin.
 

„Es tut mir Leid.“Meine Stimme klang ungewöhnlich rau in meinen Ohren. Ohne ein weiteres Wort öffnete ich dir Tür und diesmal ließ er mich gehen.

Ich lehnte mich mit dem Rücken an die geschlossene Tür und atmete einmal tief durch. Ein Blick auf den knallorangen Radiowecker neben meinem Bett verriet mir, dass es inzwischen nach Halb Fünf war. Es war eines dieser altmodischen, knubbeligen Geräte, bestimmt schon 20 Jahre alt. Die weißen Ziffern, die durch ein Licht im Inneren des Weckers beleuchtet wurden, blätterten sich wie kleine Karteikarten nach hinten um, wenn die Zeit, die sie anzeigten, verstrichen war. Dabei gaben sie jedes Mal ein leises Klacken von sich.

Er bildete mit seiner leuchtenden Farbe einen krassen Gegensatz zum Rest meines Zimmers, das in einem dunklen Grünton gestrichen war, der schon fast ins Graue überging. Nicht, dass man besonders viel von den Wänden erkennen könnte. Sie waren fast vollständig mit Regalen bedeckt, in denen sich CDs, Kassetten und vor allem Schallplatten nur so stapelten. Sie türmten sich auch auf dem Boden, lagen überall verstreut herum, auf dem Schreibtisch, unter dem Bett und in Kleiderstapeln vergraben. Auf einem Hocker in der Ecke neben meinem Bett, stand mein Plattenspieler, umgeben von meinen Lieblingsplatten, die fast ausschließlich von den Rolling Stones stammten.

Das einzige Fenster stand weit offen und ließ den permanent in der Luft hängenden Geruch von frischem Regen herein.

Ich schälte mich aus meinen triefenden Klamotten und schlüpfte in meine Pyjamahose, dann schmiss ich mich aufs Bett, langte hinter mich und warf den Plattenspieler an. Jumpin' Jack Flash von den Stones schallte leise durch den Raum und ich ließ mich seufzend in die Kissen zurück sinken.

Musik ist die beste Möglichkeit Erinnerungen zu speichern und dann wieder abzurufen, das ist sogar wissenschaftlich bewiesen. Doch bei mir schien das genaue Gegenteil der Fall zu sein. Die Musik half mir, meinen Kopf ganz leer zu machen, frei von den Bildern und Tönen die ihn normalerweise unaufhaltsam überfluteten und dann war da nur noch ich, vollkommen allein und ausnahmsweise mal in der Gegenwart, anstatt gefangen in der Vergangenheit.

Mein Handy wählte genau diesen Moment um zu klingeln und meine Augen, die ich erst wenige Sekunden zuvor geschlossen hatte, flogen auf. Mühsam rappelte ich mich vom Bett auf, ging zielstrebig auf ein Knäuel von Klamotten zu und fischte schließlich mein schwarzes Sony Ericson aus der Hosentasche einer Jeans, die ich das letzte Mal vor drei Tagen getragen hatte. Zugegeben, es war schon recht nützlich, dass ich nie vergaß wo ich meine Sachen hingelegt hatte.

Bella, blinkte es auf den Handybildschirm und ich lächelte. Den Spitznamen hatte ich ihr kurz nachdem wir uns kennengelernt hatten gegeben. Um es präziser auszudrücken, fast genau einen Tag nach unserem ersten Treffen.
 

Wir hocken nebeneinander auf dem Dach des Baumhauses, es regnet leicht, doch die Tropfen sind so fein, dass ich sie kaum auf der Haut spüre.

„Wir brauchen einen Spitznamen für dich.“, sage ich in die Stille hinein und zwischen ihren Augenbrauen bildet sich eine verwirrte Falte.

„Warum denn das?“, will sie wissen und sieht mich aus ihren kugelrunden Rehaugen an, die mich an Bambi denken lassen.

„Weil wir jetzt Freunde sind und Freunde einander Gefallen tun. Und glaub mir, dich von dem Namen Isabella zu erlösen ist ein Riesengefallen.“, erkläre ich ihr augenrollend.

Sie schnaubt beleidigt und verschränkt die Arme vor der Brust.

„Du bist so gemein.“, beschwert sie sich, aber ich zucke bloß unbeeindruckt mit den Schultern.

„Ich bin ehrlich, das ist ein Unterschied. Also, irgendwelche Vorschläge?“, frage ich sie mit einem schiefen Lächeln und seufzend löst sie ihre Arme voneinander, um mir zu zeigen, dass sie nicht wirklich wütend auf mich ist.

„Na ja, Mum nennt mich immer Izzy.“, erzählt sie mir schulterzuckend.

Ich schüttele den Kopf.

„Das passt nicht zu dir.“, entscheide ich kurzerhand. „Das klingt nach einer pinken Bubblegum kauenden Idiotin mit blonden Zöpfchen und glitzernden Rollschuhen.“

Sie zieht bloß die Nase kraus. „Na, wenn du meinst.“, sagt sie und wendet den Blick ab, „Weißt du was Besseres?“

Isabella, Isabella, Isabella, wiederhole ich ihren Namen immer wieder in Gedanken und dann fährt die Erinnerung durch mein Gedächtnis wie ein Blitz.

Cindy, meine Babysitterin, die auf der Couch sitzt, Kopfhörer auf dem Kopf und eine CD zum Italienisch lernen im Discman.

„Schön-Bella“

„Bella“, sagt mein Mund, bevor ich ihn davon abhalten kann und Bella lächelt.

„Ich schätze das geht.“, sagt sie nickend. „Was bedeutet das?“

„Was weiß ich denn“, fauche ich und spüre gleichzeitig wie ich rot werde, „es ist einfach die letzte Silbe deines Namens, da hätte jeder Idiot drauf kommen können.“

Doch insgeheim mustere ich sie aus dem Augenwinkel. Bella.
 

Ich schüttelte die Erinnerung mit einem Lächeln ab und klappte das Handy auf.

„Na Kleines, vermisst du mich schon?“, sagte ich in den Hörer und konnte förmlich spüren wie Bella am anderen Ende die Augen verdrehte.

„Träum weiter Cullen, ich wollte nur sicher gehen, dass du es unbeschadet nach Hause geschafft hast. Wie soll ich am Montag zur Schule kommen, wenn mein Chauffeur sich um nen Baum gewickelt hat?“, spöttelte sie amüsiert zurück. Grinsend setzte ich mich auf die Bettkante.

„Schon klar, Swan, versuch ruhig zu vertuschen, dass du dir Sorgen um mich machst.“

„Na schön, vielleicht habe ich mir ein klitzekleines bisschen Sorgen gemacht.“, gab sie mit einem Lächeln in der Stimme zu.

„Tja, wie du hörst lebe ich noch.“, informierte ich sie. „Und ist bei dir alles klar? Kein Stress mit dem Chief?“

„Der schläft wie ein Baby und schnarcht wie ein Renozeros.“, lachte sie.

Ich legte mich wieder aufs Bett, das Handy noch immer ans Ohr gepresst.

„Was hörst du da?“, fragte Bella. Ich wollte gerade antworten, als sie mir auch schon ins Wort fiel.

„Nein, warte, lasse mich raten, es ist von den Rolling Stones.“, vermutete sie. Ich musste sie nicht sehen, um zu wissen, dass sie grinste.

„Hörst du auch mal was Anderes? Deine Besessenheit von dieser Musik nimmt langsam beängstigende Ausmaße an.“

„Besessenheit? Ich bin nicht besessen. Diese Männer sind schlicht und einfach Genies.“, belehrte ich sie mit Inbrunst.

„Das sind doch keine Genies. Das sind alte Säcke, die sich hartnäckig ans Leben und die Bühne klammern.“, spottete Bella. Ich schüttelte bloß grinsend den Kopf. Dieses Gespräch führten wir so ziemlich jeden Tag.

„Bist du grad eigentlich allein, oder hat Jacob noch mal vorbeigeschaut? Du weißt schon, zu nächtlichen...Unterhaltungszwecken.“, lenkte ich neckend von Thema ab.

„Bah, Edward, könntest du endlich damit aufhören? Allein der Gedanke ist so eklig!“, quietschte sie in sehr bellauntypischer Stimmlage ins Telefon. Ich rollte mich auf den Bauch und unterdrückte ein Gähnen.

„Schon gut, Maria, wir wollen deine süßen unschuldigen Gedanken ja nicht verderben.“, erwiderte ich.

„Maria?“ Ich konnte sie förmlich vor mir sehen, wie sie auf dem Bett hockte, die Nase verwirrt gekräuselt und sich auf die Unterlippe beißend. Dann schien es Klick bei ihr gemacht zu haben und sie schnaubte.

„Oh, schon klar, wirklich witzig, Cullen! Biblische Beleidigungen, hm? Wie fortschrittlich.“

Ich lachte bloß.

„Tja, nur zu deiner Information, ich bin lieber die heilige Jungfrau, als ein notgeiler 15-Jähriger, der sich von Bethany, dem 17-jährigen Schulflittchen auf dem Rücksitz eines Cabrios hat entjungfern lassen.“, zickte sie ins Telefon, woraufhin mir das Lachen verging.

„Autsch, das saß.“, stellte ich trocken fest.

„Wie war noch mal ihr Spitzname? Nutten-Beth?“, sprach Bella weiter, doch ich hörte sie kaum noch.

„Schlampen-Beth.“ Meine Stimme klang weit entfernt.
 

Der schwere Vanillegeruch ihres Parfüms, vermischt sich mit dem, des an ihr haftenden Zigarettenqualms. Sie lehnt neben mir an der Heizung auf dem Jungenklo, ihre Schulter streift meine, ich kann ihre Körperwärme durch mein T-Shirt hindurch spüren.

„Willst du auch eine?“, fragt sie. Ihre Simme klingt anders als sonst, hat diesen nervig-näselnden Unterton verloren, der sie immer leicht dümmlich wirken lässt. Ich schüttele den Kopf.

„Ich hab Asthma.“, erkläre ich ihr und weiß schon wenige Sekunden danach nicht mehr, warum ich ihr das verraten habe.

„Asthma, hm? Heißt das, du hättest, als wir es vor nem Jahr getrieben haben einen Anfall kriegen und abnippeln können?“ Sie klingt nicht herablassend, als sie das sagt und ich habe keine Ahnung ob sie mich damit verspotten will, also schweige ich.

Sie sieht mir in die Augen und da fällt es mir auf- sie sehen anders aus, haben dieses metallische Blau verloren, das ihre Kontaktlinsen immer verursacht haben- jetzt sind sie mausgrau und schauen ungewöhnlich ernst drein.

„Ich hab Krebs.“, sagt sie dann. Die Stille zwischen uns dauert an und dauert an und dauert an bis ich meine Stimme wiederfinde.

„Warum erzählst du mir das?“, frage ich sie heiser.

„Weil du es nicht vergessen wirst.“

Die Tür schlägt laut hinter ihr zu, als sie die Waschräume verlässt und ich stehe da und schaue ihr nach.
 

Damals hatte ich sie das letzte Mal gesehen. Am nächsten Tag kam sie nicht in die Schule. Genausowenig am Tag darauf, oder dem darauf folgenden. Und dann hörte ich, dass ihre Familie weggezogen war aus Forks, über Nacht waren sie verschwunden und niemand wusste wohin. Nicht einmal Bella hatte ich von unserer letzten Begegnung erzählt.

Weil du es nicht vergessen wirst., hatte sie gesagt und ich hatte mich oft gefragt, woher sie das wusste. Ich hatte nie jemandem von meinem fotografischen Gedächtnis erzählt- das heißt, niemandem außer Bella.

„Edward? Hörst du mir überhaupt zu? Du bist doch nicht wütend auf mich, wegen dieser Bethany-Geschichte, oder? Das war bloß-“

„Schon gut.“, unterbrach ich sie besänftigend, „ich bin nicht wütend. Bloß müde, es ist schon spät. Ich glaub, ich hau mich jetzt aufs Ohr, okay?“

Zur Demonstration, gähnte ich einmal herzhaft in den Hörer.

„Na schön, aber ruf mich morgen an, okay?“

„Versprochen. Gute Nacht.“

„Gute Nacht.“, hörte ich sie noch murmeln, bevor es knackte und die Verbindung unterbrochen wurde. Ich klappte das Handy zu, pfefferte es auf einen T-Shirt Haufen und streckte mich gähnend.

Der Plattenspieler spielte noch immer leise im Hintergrund und ich ließ ihn laufen, während ich unter die dicke Bettdecke kroch. Meine Hand tastete umher, bis ich neben meinem Bett auf dem Boden liegend ein zusammengerolltes Paar Socken zu fassen bekam und es treffsicher gegen den Lichtschalter neben der Tür warf. Augenblicklich ergriff die Dunkelheit Besitz von meinem Zimmer.

She would never say where she came from, sang Mic Jagger in die Stille hinein, als ich die Augen schloss.

Dann kamen die Bilder. So wie sie es immer taten, wenn ich allein in der Finsternis lag, in diesem

seltsamen Zustand zwischen Wachen und Schlaf.
 

„Bleib in deinem Zimmer, Edward!“Ihre Stimme klingt anders als sonst, vollkommen ruhig, ohne jegliches Gefühl darin. Tot. Ihre Stimme klingt tot.
 

Yesterday don't matter if it's gone., drang es weiter aus dem Plattenspieler.
 

Rot. Der Boden, die Wände, die Möbel. Rot. Unheimliche Stille, das einzige Geräusch ist mein eigener Herzschlag. Dadumm, dadumm, dadumm, spüre ich ihn in meiner Brust pulsieren.

Und noch immer sehe ich nichts als Rot.
 

While the Sun is bright,

or in the darkest night,

no one knows,

she comes an goes.
 

Die Tür knarzt, als ich sie aufstoße. Meine Hand tut es ganz von alleine, während jede Faser meines Körpers sie anschreit, es zu lassen. Sie hört nicht darauf, immer größer wird der Spalt, durch den ich spähe. Und immer mehr Rot dringt an meine Augen.
 

Goodbye, Rubytuesday,

who could hang a name on you

when you change with every new day,

still I'm gonna miss you.
 

Da ist etwas, das meine Brust zusammenschnürt, mich nicht mehr atmen lässt. Die Wohnung dreht sich, dreht sich immer schneller, nur ich stehe still. Ich stehe still, während die Welt um mich herum erzittert.
 

Don't question why she needs to be so free,

she'll tell you it's the only way to be

she just can't be chained

to a life where nothing's gained

and nothing's lost

at such a cost
 

Ich schreie nicht, weine nicht. Ich wimmere nicht, jammere nicht. Fühle nicht. Ich stehe nur da. Stehe da, und schaue sie an.
 

Goodbye Rubytuesday,

who could hang a name on you,

when you change with every new day,

still I'm gonna miss you
 

Meine Beine drehen sich um, meine Füße machen einen Schritt nach dem anderen, mein Arm streckt sich, meine Hand schießt sich um den Türknauf.

Und alles ohne mein Zutun.

Mein Körper hat ein Eigenleben entwickelt, und ich kann nur hilflos von Innen seinen Handlungen zuschauen.
 

"There's no time to lose" I heard her say

cash your dreams before they slip away

dying all the time

lose your dreams and you

will lose your mind

ain't life unkind
 

Ich kauere in meinem Zimmer und starre die Tür an, ohne sie zu sehen. Ich sehe nichts. Ich höre nichts. Ich nehme nichts wahr. Doch vor allem fühle ich nichts. Ich will auch gar nichts fühlen. Will nie wieder fühlen müssen. Wünsche mir, für immer blind und taub und stumm zu bleiben.
 

Goodbye Ruby Tuesday

who could hang a name on you

when you change with every new day

still I'm gonna miss you
 

Die Stille beginnt, mir Angst zu machen. Und ich weiß, wenn ich die Angst zulasse, dann kommen auch die anderen Gefühle zurück, schleichen sich in meinem Körper ein, packen mich mit eisigen Krallen. Und so beschließe ich, die Stille zu füllen.
 

Goodbye Ruby Tuesday

who could hang a name on you

when you change with every new day
 

Der dünne Faden, der meinen Geist noch mit der Realität verbunden hatte, riss pünktlich mit dem Ende der Musik, befreite mich, ließ mich in die willkommene Leere des Schlafes hinabgleiten.
 


 

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Das Kursivgeschriebene sind immer Edwards Erinnerungen, ich hoffe das wird deutlich:P



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2010-10-28T21:16:18+00:00 28.10.2010 23:16
Schreib doch weiter, deine Geschichte ist super!!
Von:  simone123
2009-12-11T12:22:58+00:00 11.12.2009 13:22
Echt schön geschrieben, bitte schreib bald weiter :)
LG
Simone


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