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Angel Hunter

Der Pfad der Rache
von

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Das Ende von Weiß

Das eiserne Rolltor des Blumenladens wurde halb nach oben gezogen. Darunter schlüpften Aya und Birman zuletzt hindurch.

„Wo ist Manx?“, richtete Aya die Frage an Ken.

„Sie holt Dilara“, war seine kurze Antwort.

„Ihr solltet euch gut überlegen, was ihr jetzt macht.“ Birman blickte in die Runde.

„Das werden wir besprechen, wenn Dilara-chan wieder da ist.“ Ken setzte sich auf einen Hocker hinter den Tresen.
 

Es dauerte nur eine Viertelstunde, bis Manx mit Dilara eintraf, aber den Wartenden kam es wie eine Ewigkeit vor.

„Hallo Leute“, sagte Rose matt. Sie sah noch immer nicht gesund aus. Birman räusperte sich, bevor sie anfing zu sprechen: „Ich hoffe, du bist über alle Umstände aufgeklärt, Dilara.“

Das Angel Hunter Mitglied nickte nur. Pershas Sekretärin wandte sich wieder der Gruppe zu. „Manx und ich, wir werden nach diesem Gespräch untertauchen. Ihr müsst euch nun entscheiden, was ihr tun wollt. Wir werden kein Wort über euch verlieren, falls ihr vorhabt ebenfalls die Stadt zu verlassen.“

„Was wird aus Aya?“ Ran blickte sie an.

„Wir sorgen dafür, dass sie ins Ausland gebracht wird. In ein Spezialkrankenhaus.“

„Ich kann das nicht!“ Alle Köpfe drehten sich in Aikas Richtung.

„Ich mache weiter. Notfalls allein. Es gibt wahrscheinlich nur noch diese eine Möglichkeit für mich. Heute Nacht!“

Ran stand auf und ging zu ihr. „Ich bin dabei. Solange Aya in Sicherheit ist. Takatori muss sterben!“ Die anderen schwiegen betreten.

Aika und Aya hoben das Rolltor an. „Es...“ Ken erhob sich: „Es tut uns Leid. Viel Glück!“

Angel und Abyssinian nickten. „Aber ihr könnt sie nicht so einfach gehen lassen! Sie sind nur zu zweit! Sie werden sterben!“ Dilaras Kampfgeist erwachte. Sie wollte den beiden Rächern nacheilen, aber Ken hielt sie fest.

„Lass sie. Das ist nicht mehr unser Bier. Weiß existiert nicht mehr und Angel Hunter auch nicht. Du bist nicht verpflichtet, dein Leben zu opfern. Wir sollten untertauchen!“
 

Aya und Aika waren derweil auf dem Weg zur Villa des korrupten Politikers.

„Wir sterben heute Nacht. Es ist eigentlich unmöglich, in diese Festung von Haus zu kommen!“ Aika warf ihr Haar in den Nacken. Aya schwieg.
 

Im Blumenladen verabschiedeten sich Manx und Birman von den verbleibenden Weiß-Mitgliedern.

„Denkt daran, eure Waffen in Omis Wohnung zu deponieren, einer unserer Mitarbeiter wird sie verschwinden lassen.“ Manx strich verdrossen über eine der Rosenblüten.

„Die Flugtickets liegen in einer Stunde im Briefkasten. Für die nächsten Wochen werdet ihr alle getrennt verreisen. Am besten wäre es, wenn ihr euch für immer verabschiedet. Sollten die Geheimdienste je eine Spur von euch bekommen, oder wider Erwarten die Mafia euch suchen, dann seid ihr schwerer zu finden. Macht euch keine Mühe, Kontakt mit uns aufzunehmen. Alle E-Mail Konten sind schon gesperrt, die Kritiker aufgelöst.“ Birman schaute abermals in die Runde.

„Dann ist es also wirklich vorbei.“ Omi lehnte sich an die Theke.

„Ja, Mamoru. Ihr dürft keine Zeit mehr verlieren!“

„Nenn mich nicht so!“ Das jüngste Weiß-Mitglied erhob die Stimme.

„Entschuldige bitte“, lenkte Birman ein.

„Wir müssen jetzt gehen. Machts gut und viel Glück für eure Zukunft!“ Manx gab jedem die Hand.

„Ihr wollt Aika und den Rotschopf einfach im Stich lassen?“, blaffte Dilara Birman an.

„Sie haben gewählt. Ihre Rache hat sie auf den Weg des Blutes geführt, den Pfad der Hölle, den sie bis zum Ende gehen müssen. Jeder, der sich gegen die beiden stellt, ist des Todes.“ Die Sekretärin schob das Rolltor hoch. „Wir müssen jetzt gehen. Ich hoffe, ihr schafft es unentdeckt zu bleiben. Lebt wohl!“ Sie hob die Hand zum Gruß, bevor Birman mit Manx verschwand.

Viele Straßen weiter standen Aya und Aika vor der Grundstücksmauer der Takatori Villa. Mittlerweile war es so spät, dass keine Menschenseele in diesem Teil der Stadt sich mehr auf der Straße aufhielt. Die langen Mäntel flatterten im Wind, als die beiden Attentäter sich auf die Mauer zogen.

Angel hatte noch einige Gerätschaften aus ihrer Wohnung mitgebracht, darunter auch die Drahtseilpistole. Eben diese zückte sie und platzierte einen Haken am höchsten Punkt der Fassade. Der zweite bohrte sich tief in den großen Kirschbaum, dessen Stamm nur einige Meter entfernt vom fahlen Licht Kontur erhielt. Zu ihrer Überraschung nahm Aya ihr die Pistole ab.

„Äh, was?“ Sie glotzte ihn an. Im selben Augenblick hielt sein Arm Angel fest an seine Brust gedrückt. Beinahe lautlos schwebten sie auf den Baum. Mit einem leisen Klicken löste sich das Drahtseil aus dem Haken in der Rinde. Aya spannte die Zugvorrichtung um, sodass die beiden sich auf das Dach der Takatori Villa ziehen lassen konnten.

Aika blickte ihren Partner tief in die Augen. Ein Windstoß ließ ihr Haar flattern. Ran fing eine der Strähnen des glatten blonden Haares und sah zu, wie sie ihm durch die Finger glitt.

„Es ist soweit“, hörte er ihre Stimme flüstern. Abyssinian nickte nur. Angel machte sich fertig, um durch das Dachfenster in das mehrstöckige Gebäude einzusteigen. Im letzten Moment überlegte sie es sich anders, wirbelte herum und drückte ihre Lippen auf die seinen: „Für alle Fälle.“
 

In der Wohngemeinschaft der Weiß-Mitglieder herrschte derweil totales Chaos. Jeder schmiss eilig seine Habseeligkeiten in Koffer und Taschen. In einer der Wohnungen kramte Dilara gerade alle ihre Klamotten zusammen, als ihr ein kleines Kästchen vor die Füße fiel. Ein Zettel klebte auf der reich verzierten Schatulle: „Alles Gute zum Geburtstag, Dilara-chan!“
 

Hoch über den Dächern verzogen sich die letzten Wolken und der Vollmond beschien den Weg der Rache für Angel und Abyssinian. Die goldenen Ohrringe, Rans Andenken an seine Schwester, funkelten im schwachen Licht, bevor die zwei Gestalten ins Innere der Villa schlüpften.
 

„Das gibt es doch nicht!“ Dilara hielt den kleinen Anhänger in Augenhöhe. Es war ein kleines silbernes Herz. Sie öffnete den Verschluss auf der rechten Seite. In filigranen Buchstaben waren folgende Worte eingraviert: „Solltest Du Dich einsam fühlen, verlassen und ganz allein, solltest Du Hilfe brauchen, würde ich gern für Dich da sein! Deine Aika“

Ihr Gesicht fing an zu brennen. Sie konnte nicht einfach verschwinden, während ihre neue Freundin dem Tod ins Auge blicken wollte. Sie verstaute den letzten Rest ihrer Besitztümer in einem ihrer Koffer, zog sich ihre Arbeitskleidung über und rannte in Kens Wohnung.

„Dilara! Bist du schon fertig?“, lächelte er gutmütig.

„Ich werde Aika nachlaufen! Wo ist diese verdammte Takatori Villa?“ Sie ließ sich nicht einwickeln.

„Was? Ich dachte, das hätten wir geklärt?“ Seine Miene verfinsterte sich.

„Du musst ja nicht mitkommen!“ Dilara erhob die Stimme.

„Was ist denn hier los? Du schreist, dass man dich drei Blocks weit hört!“ Omi stand in der offenen Tür. Ken zeigte auf seine Freundin: „Sie will Aika hinterher. Ich kann es ihr einfach nicht ausreden!“

Omi seufzte. „Dilara. Wenn du wirklich hinterher willst, zeige ich dir den Weg.“

Kens Mund fiel auf: „Aber, aber, du kannst sie doch nicht einfach in ihr Verderben rennen lassen!“

„Scheinbar ist es bei ihr etwas anderes als bei Aya und Aika.“ Das jüngste Weiß-Mitglied drehte sich um und ging. Dilara warf Ken noch einen flüchtigen Blick zu, bevor sie Omi folgte. Verdattert blieb dieser allein zurück.

Einige Sekunden verstrichen, bis Yoji um die Ecke kam. „Was wird denn das? Der Knirps will doch nicht etwa deine Karre kurzschließen?“ Er beugte sich über das Geländer zur Straße.

„Damit kommen sie glücklicherweise nicht weit… Die beiden wollen zur Villa. Völlig hirnrissig!“ Ken schmollte. Yoji schnippte den Zigarettenstummel weg. „Hört sich gut an. Ich geh dann mal und hol meinen Wagen.“

„Aber wieso macht ihr das? Ihr könntet alle verschwinden und friedlich leben!“, rief Siberian.

„Hm. Dieser allerletzte Job ist ziemlich gefährlich.“ Yoji machte eine theatralische Pause. „Aber das erhöht die Chancen, dass der Hitzkopf auf der Strecke bleibt und ich mir mein Schätzchen wiederbeschaffe!“ Er zwinkerte neckisch, dann verschwand auch Yoji.

Ken drehte sich wütend um und stopfte seine Hosen in die Ledertasche auf seinem Bett. „Macht doch was ihr wollt!“ Mit einem Zug schloss er den Reißverschluss. Danach betrachtete Ken den Haufen mit seiner Habe. Die Sekunden verstrichen. Der Motor von Yojis Wagen heulte auf.

„Ahhh, verdammt! Warum lass ich mich immer in so was mit reinziehen!“ Er packte seine Buguk und stürmte aus dem Haus.
 

In der Villa waren Aika und Aya nicht lange unentdeckt geblieben. Jedoch hatten sie ihre Entdecker immer schnell und fast lautlos ausschalten können. Bis jetzt hatte noch niemand Verdacht geschöpft. Das Dachgeschoss war nicht besonders gut bewacht gewesen. Auf dem roten Teppich, der im gesamten Gang verlegt worden war, fielen die Blutflecken kaum auf. Die dunklen Flächen sahen eher aus, als hätte jemand Wasser verschüttet.

Am anderen Ende öffnete sich der Flur zu einem Treppenhaus. Zwei Wendeltreppen verbanden die Angestelltenzimmer mit dem dritten Stock. Sie trafen sich auf einer erhöhten Ebene, von der einige flache Stufen in einen kalten, spartanischen Raum führten. Eine Art Konferenzraum, oder Büro. Weit im hinteren Bereich standen ein Schreibtisch aus Teakholz und ein Chefsessel aus dunkelbraunem, sehr gepflegtem Leder, die sich vom weißen Marmor wie Pfefferkörner auf einem Häufchen Salz abhoben.

Aika ging langsam an den Stühlen und der langen Tafel in der Mitte des Saales vorbei. Die Leuchten an der Decke verbreiteten nur gedämmtes Licht. Auf lackierten Sayas an Angels Rücken spiegelte sich der schwache Schein der Lampen. Ihr Blick fiel auf die blank polierte Tischplatte. Wie gerne würde sie diesen perfekten Gegenstand zerstören. Aber sie durfte nicht. Keiner sollte auf das Motiv der Tat aufmerksam werden.

Aya bedeutete ihr zu gehen. Aika starrte ihn an, bewegte sich aber keinen Millimeter.

„Was ist denn? Wir müssen weiter!“ Die Anspannung machte ihn reizbar. Einen Wimpernschlag später verstand Abyssinian, was geschehen war. In der geschwungenen Klinge von Angels gezogener Katana spiegelten sich zwei Wachmänner, die gleich durch den Durchgang links hinter ihm kommen würden. Es war zu spät um zu entkommen. Augenblicke später hatten die beiden Männer Aya und Aika entdeckt. Einer von ihnen schoss ohne Vorwarnung, die Kugel ging vorbei. Fast im selben Moment landete eines von Angels Wurfmessern in der Kehle des anderen. Aya nutzte die darauf folgende Verblüffung des Schützen, um ihn ebenfalls auszuschalten.

„Verdammt, der Schuss hat uns garantiert verraten!“

Wie um Ayas Aussage zu unterstreichen, heulte im nächsten Moment die Alarmanlage auf. Kurz entschlossen rannten die beiden in den Raum, aus dem die Wächter gekommen waren.

„Volltreffer!“ Angel zog ihre Pistolen. Sie waren in einem fensterlosen Gang gelandet. Rücken an Rücken erwarteten die Rächer ihre Gegner. Als diese dann von beiden Seiten in den Raum eindrangen, fiel kein Schuss. Zwischen den mit schwarzen Anzügen gekleideten Bodyguards drängte sich Takatori nach vorne.

„Wer wagt es, in meine Villa einzudringen?“ Mit zornigem Blick musterte er die Angreifer. „Der Bengel von diesem Fujimiya, wie interessant. Ich dachte, du wärst tot! Genau wie der Rest deiner treulosen Familie!“ Aya blickte seinem Erzfeind in die Augen.

„Was gibt einem Nichts wie dir das Recht, mir in die Augen zu sehen?!“ Einer der Anzugträger befahl den beiden, die Waffen nieder zu legen. Ihnen blieb keine andere Wahl, als die Schwerter und Pistolen fallen zu lassen. Mit hämischem Grinsen schlenderte Reiji Takatori um die Entwaffneten herum, beschützt durch ein dutzend Maschinenpistolen.

„Blondes Haar...“ Er packte Angels Schopf. „Eine dieser Gaijin Mädchen, die unser Land ins Unglück stürzen! Keine Ehre im Blut, keine Anmut im Leben, Dreck aus dem Westen!“ Er ließ sie los.

„Was führt einen gesichtslosen Menschen wie dich in mein Haus?“ Angel blickte ihm abermals direkt in seine Augen: „Sagt Ihnen der Name de Montal Ban etwas?“ Bei diesen Worten weiteten sich Takatoris Augen. „Ich erinnere mich. Der Journalist und seine Frau. Aber das ist eine Ewigkeit her..“

„Fünf Jahre“, fiel ihm Angel ins Wort.

„Und was hat das mit deiner Anwesenheit zu tun?“, knurrte er gereizt.

„Mein Name lautet Aika de Montal Ban!“ Sie trat einen Schritt nach vorne.

„Das ist unmöglich. Sie ist in den Flammen umgekommen und restlos verbrannt!“ Aya hatte vergessen, dass sie umstellt waren und starrte seine Partnerin an. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er nichts über sie wusste, außer ihr Herkunftsland und dem, was sie zusammen erlebt hatten.

„Ich stehe leibhaftig vor Ihnen, Takatori!“, schrie Angel ihn an.

„Verschone mich mit deinem Gebrüll. Ich werde mich jetzt zurückziehen und mir überlegen, wie ich euch ein für allemal aus dem Weg räume. Da mein Bruder mittlerweile das Zeitliche gesegnet hat, habe ich nichts mehr zu befürchten. Aber ihr werdet an seiner Stelle für den Tod meiner Söhne büßen! Und wenn ich mit euch fertig bin, werdet ihr den Abgrund, in den ich euch schicke als Paradies sehen!“ Reiji Takatori schlenderte den Gang hinunter, nachdem er seinen Leuten ein Handzeichen gegeben hatte. Nicht ohne Widerstand ließen sich Aika und Aya abführen.
 

Zur selben Zeit rasten die vier anderen durch die Innenstadt. Auf der Rückbank zankten sich Dilara und Ken immer noch.

„Wir hätten einfach abhauen können! Jetzt werden wir alle draufgehen!“, schrie er sie an. „Ach ja! Aber unsere Freunde willst du sterben lassen? Ist das nicht egoistisch?“, gab sie Kontra.

„Nein! Es wäre klug!“

„Ich komme eh für meine Taten in die Hölle! Aber ich will mir nicht die Schuld aufladen, meine Freunde in der Stunde ihrer Not im Stich gelassen zu haben!“ Dilaras Stimme überschlug sich fast.

„Ja?! Und ich soll wohl die Schuld auf mich nehmen, meine Liebste einfach dem sicheren Tod zu überlassen?“ Ken rüttelte sie.

„Nimm dir ein Beispiel an Aya! Er geht einfach mit Aika, ohne dass sie überhaupt miteinander sprechen mussten!“ Sie riss sich los.

„Das tut er nicht aus Liebe! Er tut es, weil er eine Rechnung mit diesem Takatori zu begleichen hat! Genauso wie Aika! Nur weiß ich nicht, weshalb genau sie Rache nehmen will!“ Er hielt Dilaras Handgelenke fest.

„Der Rotschopf ist nicht aus Liebe mit ihr gegangen?“ Endlich hörte Rose auf zu schreien. „Welche Rechnung?“

Yoji blickte weiter auf die Straße als er ihr antwortete: „Seine Familie kam bei einem von Takatoris Anschlägen um. Seine Schwester liegt seit über 3 Jahren im Koma und wird wahrscheinlich nie wieder aufwachen. Er tötet jeden, den er für schuldig hält!“

„Das wusste ich nicht…“ Dilara biss sich auf die Unterlippe.

„Ich dachte, Aika wollte die Chance nutzen um ihre Familie zu rächen…“ Sie blickte zum Fenster hinaus.

„Sie hat dir das erzählt?“ Omi drehte sich um.

„Euch etwa nicht?“ Erwartungsvolle Stille erfüllte das innere des Autos.

„Entschuldigt. Ich denke, sie hat jetzt nichts mehr dagegen, dass ihr es wisst. Sie kommt aus Deutschland, wie allen hier bekannt ist. Maya und Aika waren beste Freundinnen und Nachbarn. Vor über fünf Jahren wurde ein Feuerattentat verübt, bei dem die Eltern, sowie Mayas Großmutter getötet wurden. In derselben Nacht sind Aika und ihre beste Freundin rekrutiert worden. Man hat sie in eine Art Trainingslager geschickt, in dem die beiden eure Sprache und ihre Kampfkunst erlernt haben. Aika lebte seit dem Augenblick des Anschlags nur für ihre Rache. Sie sagte, sie würde nicht eher aufgeben, bis Takatori tot sei.“

„So ist das also gewesen.“ Omi drehte sich wieder nach vorne. Auf den hellen Ledersitzen trieben die vielen Lichter, von den Häuserfronten über ihnen, ein buntes Farbenspiel. „Hoffentlich kommen wir nicht zu spät!“ Dilara krallte ihre Finger in den Stoff ihrer Hose. Ken lehnte sich zurück. „Wie ich diese Kamikaze-Aktionen hasse!“
 

Im Keller der Takatori Villa knieten Aya und Aika auf dem nackten Betonboden. Ihre Arme waren mit Handschellen an der Wand über ihren Köpfen befestigt. Takatori stand hinter ihnen, ein langes Bambusrohr lässig unter den Arm geklemmt. Sie konnten ihn nicht sehen, weil ihr Gesicht zur Wand zeigte.

„Nun, wie fühlt ihr euch jetzt, ihr Möchtegernrächer? Ich kann mit euch machen, was ich will! Wenn ich Lust dazu hätte, könnte ich euch Jahre lang hier festhalten und quälen! Aber ich werde gnädig sein. Ihr dürft schon heute Nacht sterben.“ Takatori machte eine kurze Pause, bevor er hinzufügte: „Allerdings erst, wenn ich meine gesamte Wut an euch entladen habe!“ Als Reiji den Bambusstab nach oben schwang, gab es ein surrendes Geräusch. Aika schloss die Augen.
 

Yoji hatte den Wagen in einer Straße, in einiger Entfernung zur Villa geparkt. Auf leisen Sohlen liefen die vier schwarzen Gestalten in verschiedene Richtungen davon. Ken und Dilara nahmen den direkten Weg. Yoji kam von Westen und Omi nahm unwissend fast den gleichen Weg wie Angel und Abyssinian.

Kurz vor dem Vordereingang hielt Ken seine Freundin zurück.

„Warte. Ich muss dir noch etwas sagen.“ Er zog sie hinter die Mauer, die das ganze Grundstück umschloss.

„Entschuldige bitte mein Verhalten von vorhin. Ich mache mir nur Sorgen um unsere Zukunft. Ich will dich nicht verlieren und schon gar nicht auf diese Weise!“ Beinahe hätte Dilara zu weinen begonnen. „Vergeben und vergessen. Wir sollten nicht im Streit da hinein gehen. Ich würde mir so ein Ende nie verzeihen.“ Sie küsste und umarmte ihn.

Einige Meter Luftlinie entfernt, sprang Yoji in den Garten. Trotz der kalten Luft verströmte die Hecke unter der Mauer den typischen Duft. Glücklicherweise war das gesamte Gelände relativ schlecht beleuchtet. Es war ein Garten im aufwändigen Zen-Stil, mit Laubbäumen, Kiesflächen und kleinem Teich mit Wasserfall. Nichts, was sich ein normaler Bürger leisten könnte. Seine Augen suchten die Umgebung nach einem Eingang ab. Nichts, er würde näher an das Gebäude heran müssen.

Auch Omi stand vor einem ähnlichen Problem, nur dass er seines leichter beheben konnte. Nachdem er den Türwächter mit der Armbrust aus sicherer Entfernung erledigt hatte, musste Omi nur einen Minisprengsatz am Schloss anbringen, der den Sperrbolzen vernichtete. Vorsichtig stieß er den Dienstboteneingang auf. Im gefliesten Gang war niemand zu sehen. Fast geräuschlos schob Omi sich an der Wand entlang.
 

Der Keller war so still wie eh und je, als Takatori ihn verlassen hatte. Angels Kopf lehnte an der Wand, wo ihre Stirn einen roten Flecken hinterließ. Sie hatte die Augen immer noch geschlossen, hörte nichts außer Ayas gepresstes Atmen neben sich. Ihr Körper schmerze. An ihren Armen sah man die Auswirkungen der Schläge am deutlichsten. Große, längliche, blaue Blutergüsse auf ihrer weißen Haut. Aya erging es nicht besser. Die Kleidung verbarg jedoch fast sämtliche Spuren. Endlich rang sich einer der beiden zum Sprechen durch.

„Angel? Wie kommen wir hier raus?“

„Keine Ahnung, ich will mich ehrlich gesagt gar nicht bewegen…“ Die Kettenglieder rutschten einzeln über die Verankerung in der Wand.

„Wo sind unsere Waffen?“ Aika versuchte sich mit einem Blick über die Schulter einen groben Überblick zu verschaffen.

„Da hinten neben dem Eingang! Jetzt bleibt nur noch die Frage, wie wir von den Ketten loskommen.“ Hoch über Aikas Kopf befand sich die Aufhängung ihrer Kette.

„Wir haben Glück.“ Aya richtete die Augen ebenfalls nach oben. „Seit wann bezeichnet man eine ausweglose Situation denn als Glück?“ Angels Sarkasmus schien nicht unter den Schlägen gelitten zu haben.

„Das sind gebogene Haken. Alleine ist es unmöglich, die Kette darüber zu bekommen. Aber zu zweit…“ Er stellte sich hin. Angel verstand. Mit Ayas Hilfe erreichte sie knapp die Befestigungsvorrichtung. Nach einigen Versuchen schaffte sie es, eine der Ketten zu lösen. Abyssinian war frei. Mit einigen schnellen Schritten gelangte er zu den Waffen. Ein Schuss mit Aikas Pistole genügte, um seine Partnerin zu befreien.
 

Über ihnen waren ihre Freunde allesamt in die Villa eingedrungen. Dilara hatte die Führung übernommen. Sie hastete durch die Gänge des Haupthauses. Mit einem gezielten Fußtritt warf Rose die erste Tür auf. Das Wachpersonal war zu perplex um etwas zu unternehmen. Ohne Rücksicht feuerte das Mädchen in den Raum. Auf einem Bildschirm waren die Bewegungen der Wachposten zu erkennen, die sich in dieser Etage der Villa aufhielten. Anscheinend waren sie mit Peilsendern ausgestattet worden, damit die Wächter der Wächter sie kontrollieren konnten. Ken untersuchte einen der Toten und entwendete ihm seine Waffe. Ohne ein Wort verließen die beiden das Minibüro. Der Teppichboden verschluckte fast alle Trittgeräusche. Beinahe wäre Dilaras Herz stehen geblieben, als unerwartet die Tür am Ende des Flurs aufgerissen wurde.

„Halt! Ich bin es!“ Omi war durch die Küche gekommen. An seiner Wange leuchtete ein roter Schnitt. Ken war erleichtert. „Du hast uns gehörig erschreckt. Wo ist Balinese?“ „Keine Ahnung! Wir müssen weiter! Erster Stock, los!“ Der Jüngste lief los. Dilara drehte sich nochmals prüfend um. „Wo steckt Yoji nur?“

„Hey Rose! Wir müssen!“ Ken forderte sie auf, ihm zu folgen.
 

Yoji hatte sich bereits zum zweiten Stock durchgeschlagen. Verwirrt blickte er sich um. Keine Anzeichen dafür, dass einer der vier, oder Angel und Abyssinian, hier gewesen war. „Verdammt, wo sind die alle? Ich sollte vielleicht ganz nach oben gehen. Hoffentlich sind die andern wohlauf!“ Yoji rannte auf die Anzugträger zu, die ihm entgegen kamen. Er hatte jedoch mehr mit ihnen vor, als sie nur auszuschalten.
 

Der erste Stock bestand eigentlich nur aus zwei großen Räumen. Der eine war als Lounge konzipiert. In dem sehr westlichen Stil dominierten die Farben Dunkelrot und Grasgrün. Zahlreiche weiße Orchideen lockerten die Struktur auf. An den Wänden waren Lautsprecher eingelassen und an der Front des Raumes konnte eine Leinwand für Videoübertragungen entrollt werden.

Den Weiß-Mitgliedern blieb jedoch keine Zeit, den Geschmack der Zielperson unter die Lupe zu nehmen, da sich eben in diesem Raum ein duzend Wächter verschanzt hatten. Die Couch wurde als Deckung missbraucht und der relativ schmale Eingang machte es unmöglich, den Raum unter Dauerfeuer zu betreten. Ken und Omi lehnten an den Seiten der Tür, um bei Gelegenheit zu schießen.

Dilara war derweil im Alleingang zum anderen Zimmer gelaufen. Es hatte sich als Büro herausgestellt. Da keine Menschenseele weit und breit zu sehen war, beschloss sie, nach Informationen über den Aufenthaltsort ihrer Freunde zu suchen. Der Computer auf dem Schreibtisch war ausgeschalten. Daneben lagen auf dem schwarzen Tisch einige Notizen. Termine und Telefonnummern, aber keine Anhaltspunkte, die ihr weitergeholfen hätten. „Scheiße! Wir müssen schnellstmöglich rausbekommen, wo Aika und Aya sind! Kacke! Wo bleiben denn die Jungs?!“ In ihrer Aufregung warf Rose die Vase mit den Zierblumen vom Tisch.

Ken und Omi waren bis zu diesem Zeitpunkt keinen Schritt weiter gekommen. Die Eroberung dieses Raums war unumgänglich. Sein zweiter Ausgang führte in ein separates Treppenhaus, durch das man in den Bereich gelangte, in dem Aika und Aya überwältigt worden waren. Man sparte sich auf dem Dienstbotenweg eine Menge Umwege und Angreifer.

Dilara hatte das Büro verlassen und hastete nun auf ihre Freunde zu. „Aus dem Weg! Ich erledige das!“ Im Laufen zog sie zwei kleine Kugeln aus ihrem Gürtel und stopfte sie in eines der Magazine ihrer Pistolen. Mit einem Hechtsprung kam sie für Sekundenbruchteile an der offenen Tür vorbei geflogen, wobei sie genau zwei Schüsse abgab. Sie rollte sich ab und kam hinter Omi zum Liegen. Dilara sprang auf. „Wir können jetzt rein! Beeilt euch!“ Ohne zu zögern betrat sie den Raum. Überall lagen die Anzugträger auf dem Boden, schlafend, wie sich herausstellte.

„Was hast du gemacht?“ Ken stieg über die Trümmer eines Sessels, der den Kugelhagel nicht überlebt hatte. Omi antwortete für Dilara: „Das war die von mir entwickelte Testmunition, mit dem gleichen Gas, das Rose schon bei unserem ersten Treffen verwendet hatte. Die Wirkung beträgt ungefähr ein Zehntel der Zeit von damals, wir sollten also schnell verschwinden.“ Er schnippte etwas hinter sich in den Raum. Ken hielt Dilara die Tür auf und verschwand hinter Omi als letzter im Treppenhaus. Rose drehte sich unterm Laufen um. „Was hast du da weggeworfen Bombay?“

„Ein Giftpaket. In etwa dreißig Sekunden wird sich die Versiegelung öffnen und das Zeug killt alle, die sich im Umkreis von zwanzig Metern aufhalten. Erst in einer halben Stunde werden die Werte wieder normal sein.“

Ken keuchte hinter den anderen die Stufen hinauf: „Hätten wir die nicht verschonen können?“

„Ja, war das nötig?“ Rose blieb vor der Tür im zweiten Stock stehen.

„Es war nötig. Wenn irgendwelche Informationen über uns in Umlauf gebracht werden, können wir uns nirgends mehr verstecken.“ Ken und Dilara schauten sich kurz an.

„Alles klar?“, erkundigte sich Omi. Beide nickten.

„Dann weiter! Vielleicht ist uns Yoji schon voraus.“
 

Das war er tatsächlich. Der gläserne Gang im dritten Stock führte auf eine Art Terrasse. Es war ungewöhnlich still hier. Seine Sinne waren aufs Äußerste geschärft, als Yoji sich geduckt zu einem weiteren Eingang auf der gegenüberliegenden Seite.

„Den Raum hätte ich wahrscheinlich schneller erreicht, wenn ich vor dem Glasgang abgebogen wäre. Egal. Wo sind die anderen? Das gibt es doch nicht, dass die mir so weit voraus sind! Diese blöden Wachfuzzis hatten auch keinen Schimmer, wo die Gefangenen sind. Verdammt noch mal!“ Ohne Vorwarnung zerschmetterten mehrere Kugeln das Glas der Verandatür. Reflexartig warf sich Yoji zu Boden. Innerhalb weniger Augenblicke war er von beiden Seiten umstellt. Hastig drehte sich Balinese in alle Richtungen, immer in die Läufe der Maschinenpistolen blickend.

„Keine Bewegung! Hände hoch, oder wir schießen!“, schrie ihn einer der Anzugträger an. „Ich soll die Hände nach oben nehmen?“ Yoji lächelte. „Na gut, wie ihr meint.“ Mit einem schnellen Ruck zog er die Arme nach oben.

Der worthabende Wächter blickte ihm direkt in die Augen. „Scheiße. Was war das?“ Doch er bemerkte nicht, dass sein Körper bereits auseinander fiel.
 

Aika und Aya irrten zur selben Zeit zwischen den Kellerräumen umher. Das Schloss ihres Gefängnisses zu knacken war ein leichtes gewesen. Endlich fanden sie einen Weg nach oben. In dem engen Aufgang waren sie ein leichtes Ziel für mögliche Angreifer, doch der unterste Stock schien wie ausgestorben. Nach einigen Minuten standen sie in der großen Eingangshalle. Auch hier war es zu still.

„Wo sind die alle? Das ist fast schon unheimlich!“ Aika wäre beinahe vor ihrem eigenen Spiegelbild erschrocken, als sie sich umdrehte. Aya schritt mit gezogener Katana auf eine der Türen zu. „Das ist seltsam. Was ist hier passiert?“ Vorsichtig blickte er in den vor ihm liegenden Raum.

„Erschossen. Jemand war vor kurzem hier und hat uns die Arbeit abgenommen!“ Wie zur Bestätigung hallten einige Schüsse von oben. Aika schlug den Weg zur Treppe ein: „Verdammt! Wenn mir jemand zuvorkommt, war alles umsonst! Beeil dich!“ Ohne ein weiteres Wort folgte Aya seiner Freundin.
 

Die Schüsse kamen aus Dilaras Waffe. Sie war als erste in das Tatamizimmer für Teegesellschaften gegangen. Jetzt folgten ihr auch Ken und Omi. Innerhalb weniger Augenblicke waren alle Gegner ausgeschaltet und der Raum verwüstet. Die drei machten kehrt um das Stockwerk nach oben zu verlassen. Auf dem Weg entdeckten sie einige von Yojis Opfern.

„Jemand war vor uns hier!“ Dilara zwang sich, die Leichen näher zu betrachten. „Balinese“, rief sie, „das waren eindeutig seine Drähte! Keine Klingen! Er muss hier vor uns vorbeigekommen sein!“

Ken wirkte erleichtert. „Du hast Recht! Wir sollten schnellstmöglich nach oben!“

Dilaras Team legte eine härtere Gangart ein, die mehr Risiko bedeutete, aber flotteres Vorankommen garantierte. Glücklicherweise hatte Yoji die meisten Wächter in diesem Stock bereits erledigt. Nur drei oder vier waren von ihren Posten an anderen Stellen des Hauses nach oben geeilt, um ihre Kameraden zu unterstützen und hatten damit ihr eigenes Todesurteil besiegelt. Einige Zeit später standen auch die beiden Jungs und Rose auf der Terrasse. Ohne weiter zu zögern, folgten sie den Fußspuren zur anderen Tür.

Yoji hatte derweil das Dachgeschoss erreicht. Nach den Blutspuren in dem riesigen Büro mit dem weißen Marmor war er sich sicher gewesen, wenigstens Aika und Aya hier zu finden. Nichts. Niemand war mehr hier. Scheinbar war Takatori geflohen oder hatte sich versteckt, Aber wo? Und die anderen konnten sich auch nicht so einfach in Luft aufgelöst haben. Nach einigem Hin und Her entschied sich Yoji, wieder nach unten zu gehen. Scheinbar war er vor den anderen in der Villa gewesen. Er drehte sich um und joggte in Richtung Treppe zurück.

Kaum unten in Takatoris Bonzenbüro kamen ihm endlich die vermissten Mitstreiter entgegen.

„Himmel, wo wart ihr denn?“ Yoji war sichtlich erleichtert.

„Allahallahh! Was heißt hier, wo waren wir? Wo warst du?“ Dilara gestikulierte wie immer wild.

„Wo sind die anderen zwei?“ Ken blickte seinen Kumpanen erwartungsvoll an.

„Sie sind nicht hier.“

„Was?!“ Dilaras Freude über Yojis Gesundheit wich der Sorge um ihre Freunde.
 

Aya uns Aika betraten als letzte die Veranda. Ohne Worte nahmen sie die Toten zur Kenntnis. Plötzlich erregte ein Geräusch ihre Aufmerksamkeit. Unter dem Balkon schlichen zwei Männer in Richtung Straße davon.

„Ist Takatori-san auch wirklich sicher?“

„Ja, sie werden denken, er sei bereits untergetaucht. Das kleine Teehaus im Garten wird niemanden interessieren.“ Aika hatte so angestrengt gelauscht, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie Aya neben ihr auf die steinerne Brüstung gestiegen war. Er packte den Ast des Baumes, dessen Krone ein wenig über dem Geländer hing. Bevor Angel ihn aufhalten konnte, war er gesprungen. Die hörte den dumpfen Aufprall seiner Füße auf dem feuchten Gras. Fast gleichzeitig rief einer der beiden Männer: „Was war das?“

Sie stieg ebenfalls auf die Brüstung und griff nach einem der Äste. „Wer ist da? Halt, stehen bleiben!“, drang die andere Stimme zu ihr nach oben.

Danach fielen Schüsse. Aika sprang. In rasendem Tempo fiel sie drei, vier Meter. Ihre Hände glitten über das nasse Laub. Mit mehr Glück als Können bekam Angel den nächsten Ast zu fassen, der sie etwa zwei Meter über dem Boden bremste. Völlig durchnässt hing sie noch zwei Sekunden an ihm, bis die Pendelbewegungen sich abschwächten. Als ihre Füße den Boden erreichten, ging sie in die Knie, um den Fall abzufedern. Aya streckte ihr seine Hand entgegen.

„Danke. Ich dachte, ich stürze mich zu Tode.“

„Ist ja nichts weiter passiert.“ Aika seufzte. Sie standen im Garten, in dem Teil, durch den Yoji in die Villa eingedrungen war. Von hier unten konnten sie die kaputte Scheibe im ersten Stock sehen. „Das passt alles nicht zusammen. Die Leichen im Erdgeschoss und im dritten Stock. Wer zur Hölle geistert hier herum?“ Angel wischte sich die Blätterfetzen von den nackten Armen.

„Ist das von Bedeutung?“ Aya schaute sie an.

„Nein, eigentlich nicht. Wo müssen wir lang? Die sagten etwas von Teehaus.“

„Da hinten, glaub ich.“ Aya zeigte auf eine Gruppierung großer Steine, die vor einem breiten Heckenstreifen standen. Sie eilten über die schwarzgraue Anlage. Weiter hinten ertönte in regelmäßigen Abständen der Klang des mit Brunnenwasser gefüllten Bambusrohrs, das durch das Gewicht auf einen Stein sank und den Inhalt wieder in den Teich ergoss.

Wie erwartet verbarg die Hecke ein kleines Teehaus. Mit einem Fußtritt öffnete Aya die Holztür. Das Innere schien leer zu sein. Aika schaute sich um. Die Tatamimatten auf dem Boden schlossen genau auf die Kanten der jeweils anderen. Bis auf eine.

„Abyssinian! Hilf mir bitte!“ Angel griff sich die Kante. Ihr Partner half ihr die Matte hochzuklappen. Darunter zeichneten sich die Umrisse einer Bodenklappe ab. Mit vereinten Kräften schafften sie es, diese anzuheben. Aya kletterte die Eisenleiter hinab, die sich ihnen offenbart hatte. Erst als er von unten das O.K. gab, tat Aika es ihm gleich.
 

Die vier anderen waren ebenfalls aus der Villa geflüchtet. Ratlos standen sie im Schutze der von der Straße abgewandten Seite des Hauses.

„Ich verstehe nicht, wie unsere Freunde sich einfach in Nichts auflösen können. Die müssen doch hier irgendwo sein!“ Dilaras Augen standen nicht still. Sie suchte die Umgebung nach einem Anhaltspunkt ab.

„Ich kapier auch nix mehr. Keine Waffen, keine Spuren.“ Ken kratzte sich am Kopf. „Doch, es gab Spuren“, sagte Yoji.

„Was für Spuren?“ Omi schaute ihn ungeduldig an.

„Oben, im Dachgeschoss und in diesem Saal mit dem Tisch im vierten Stock. Da lagen schon ein paar von diesen Bodyguards rum. Wir können es nicht gewesen sein, weil ich der erste war, der diesen Teil der Villa betreten habe.“ Balinese band sich die Haare neu zusammen.

„Das ist einleuchtend“, pflichtete ihm Omi bei. Langsam gingen die Weiß-Leute um das Gebäude herum.

„Was machen wir jetzt?“ Ken zog sich seine Jacke wieder an, die er bei den Kämpfen immer um die Hüfte gebunden trug.

„Ich schlage vor, wir warten in sicherem Abstand zum Haus. Am besten, wir fahren zurück nach Hause.“ Yoji schien nicht wirklich überzeugt von seinen eigenen Worten zu sein.

„Auf keinen Fall!“, protestierte Dilara. „Wir sollten nach ihnen…“

Ein dumpfer Aufprall, dann Schweigen. Ken wirbelte herum. „Rose? Wo bist du? Ist dir was passiert?“

Das Mädchen rappelte sich auf. „Shit, du blutest ja!“ Er umarmte sie.

„Nicht ich. Der!“ Dilara deutete nach unten.

„Iiih, da ist ja nicht viel übrig. “Yoji stieß den toten Körper mit dem Fuß an.

„Sie sind hier gewesen!“ Plötzlich war Rose in heller Aufregung.

„Seht mal! Das Gras da ist ganz platt gedrückt! Das ist ein gepflegter Garten und hier liegt ein Ast, und das Fenster im ersten Stock ist kaputt!“

Yoji seufzte. „Ja, weil ich da eingestiegen bin. Allerdings kann ich mich nicht erinnern, das der Ast da lag.“

„Da ist Blut!“ Ken hatte in gebückter Haltung den Boden abgesucht.

„Sieht aus, als wär es von der Waffe getropft.“ Omi lief voraus. „In diese Richtung! Vielleicht finden wir sie! Los! Sonst ist es wohlmöglich zu spät!“
 

Aika und Aya hatten den versteckten Raum entdeckt.

„Jetzt ist der Zeitpunkt unserer Rache gekommen, Ran! Ich kann keine Minute mehr warten!“ Mit diesen Worten schoss Angel das Schloss auf. Was sie dahinter erblickte, ließ sie für einen Moment innehalten. Der helle Holzboden war ohne Makel. An den Wänden waren Tücher in rot und violett aufgespannt. In der Mitte des Zimmers prangte ein rundes Emblem in Form eines Drachens auf dem Parkett. Davor knieten Takatori und zwei wuchtige Leibwächter. Ohne ein Wort standen diese auf und griffen die Attentäter mit ihren Klingen an. Selbst Aya hatte Mühe, der Kraft ihrer Schläge zu widerstehen. Takatori grinste. „Ihr beide habt doch nichts dagegen, wenn ich mich nun verabschiede?“ Dabei stand er auf. Weder Aika noch ihr Partner hatten eine Chance, sich von ihren Gegnern abzuwenden um ihn aufzuhalten.

„Vielleicht sehen wir uns im nächsten Leben! Sayonara!“ In diesem Moment konnte Aika sich wegdrehen. Wobei der Hühne das Gleichgewicht verlor und nach vorne fiel. Anstatt diesen Augenblick für den Todesstoß zu nutzen, griff Angel an ihren Gürtel und zog ein Shuriken Wurfmesser aus einer ledernen Hülle. Mit einem surrenden Geräusch flog es durch die Luft. Sie verfehlte ihr Ziel nicht. Takatori entfuhr ein Schrei, als sich die Zacken in seine Schulter bohrten. Gerade noch rechtzeitig konnte Aika den Hieb des Bodyguards blocken. Mit einem Ruck zog Reiji Takatori das Shuriken aus seinem Fleisch.

„Dumme Gaijin! Wenn du mich mit diesem Spielzeug töten willst, solltest du höher zielen!“ Er lachte abgehakt. Angel duckte sich unter einem Schlag ihres Gegenübers hinweg und ihre Konterattacke setzte seinem Leben ein Ende. Mit einem Lächeln auf dem schweißnassen Gesicht blickte sie ihn an. „Takatori, Sie sind so gut wie tot. Sie scheinen nur zu dumm zu sein, es zu bemerken!“ Aya schmetterte seine Klinge auf den zweiten Bodyguard hernieder. Ohne den Besiegten weiter zu beachten, wandte er sich Angel zu: „Willst du ihn etwa entkommen lassen?!“ Abyssinian wartete nicht auf ihre Antwort sondern stürmte auf Takatori zu, der unbeirrt seinen Weg nach draußen fortsetzen wollte. Aikas Schwert zwang ihn zum Stehenbleiben.

„Keine Sorge, er müsste schon bald etwas merken. Ich habe ihn vergiftet, mit einem der stärksten natürlichen Toxine.“ Wie vom Blitz getroffen blieb der korrupte Politiker stehen. „Was für ein Gift? Denkst du, ich könnte mir kein Heilmittel beschaffen? Ich bin Reiji Takatori!“

„Machen Sie sich keine Hoffnungen. Sie werden tot sein, noch bevor das Antiserum bereit steht!“ Aika setzte sich mitten in das Drachenemblem, legte ihre Katana auf die Beine und schaute ihren Erzfeind interessiert an. Aya blickte verwirrt von ihr zu Takatori und zurück.

Gepolter ließ alle den Blick zur Tür richten. Dilara kam in den Raum gestürmt, die drei Weiß-Jungs im Schlepptau.

„Angel! Du bist noch am Leben! Rotschopf auch! Wir dachten schon, ihr wärt getötet worden!“ Ihr Blick fiel auf den grauhaarigen Mann einige Meter vor ihr. „Ist das Reiji Takatori?“

„Ja, der bin ich! Geh zur Seite, du Gajin!“ Er machte Anstalten zu gehen. Doch seine Beine versagten den Dienst.

„Was zum Henker?“ Er klopfte sich auf die Schenkel.

„Oh, es beginnt zu wirken!“ Die jungen Männer und Dilara erkannten Aika kaum wieder. Ihr Gesicht leuchtete in allen Facetten der Genugtuung.

„Was wirkt?“ Yoji drängte sich nach vorn.

„Das Gift des australischen Inlandtaipans, einer Schlange. Takatori-san, ich werde Ihnen nun erklären, was in den nächsten 12 Minuten mit Ihrem von Falschheit und kriminellen Energien durchwirktem Körper geschehen wird. Das Gift hat sich in ihren Gefäßen ausgebreitet. Es wird ihre Nerven und Muskelzellen zerstören, danach ihre Eingeweide auflösen und erst dann werden Sie unter Qualen sterben dürfen. Im Gegensatz zu Ihnen, kann ich leider nicht versprechen, dass Sie die Chance haben, um den Tod zu betteln.“

Selbst die Weiß-Mitglieder hielten den Atem an. Angel hatte nicht vor, Takatori schnell zu erledigen, sie wollte ihn zu Tode foltern. Aya schien hin und her gerissen, von dem Gedanken sein Schwert mit Takatoris Blut zu tränken und der Möglichkeit, ihn einige Minuten Höllenqualen erleiden zu lassen.

„Ai-chan! So kenne ich dich gar nicht!“ Dilara lief zu ihrer Freundin.

„Bitte setze dich. Ich hab noch was zu sagen.“ Angel zog sie auf den Boden neben sich.

„Also, Takatori-san. Sie haben meine Mutter töten lassen. Sie haben meinen Vater ebenfalls zum Tode verurteilt. Danach wurde unser Haus in die Luft gesprengt und ihre Körper haben nichts als ein Häuflein Asche auf dieser grausamen Welt hinterlassen!“

Reiji fing an zu husten. Er fasste sich an den Hals. Aika fuhr ungerührt fort: „Ich beschuldige Sie ebenfalls des Mordes an der Familie meiner verstorbenen Freundin Maya Tenno! Ihre Rache soll sie im Jenseits bekommen.“

Erste Krämpfe schüttelten Takatoris Körper und er kniete sich auf das Pakett.

„Schweig, du dummes Gaijin Mädchen! Ich habe meine Hände niemals in Blut getaucht!“ Ohne auf seine Worte einzugehen, begann Angel abermals zu sprechen: „Durch Ihre gesetzlosen, illegalen Machenschaften, in die auch Ihre Söhne verstrickt waren, ist eine weitere Familie zu Tode gekommen und hat eine entwurzelte Tochter hinterlassen, und ein Liebender musste seine Geliebte ermorden! Sie werden wegen unzähliger Verbrechen in die Hölle kommen, aber diese hier sollen Sie selbst im Jenseits sühnen!“

Jetzt erhob Aya seine Stimme: „Ich werde den Namen Fujimiya reinwaschen! Von Ihrem Dreck! Ich werde ihn reinwaschen, mit Ihrem Blut!“

Takatori wollte loslachen, doch ein Schwall roten Lebenssaftes suchte seinen Weg aus seinem Mund.

Aika blickte auf ihre digitale Armbanduhr. „Sie haben noch knapp zwei Minuten, um bei mir um Gnade zu winseln, danach werden Sie keine Gelegenheit mehr haben.“

„Vergiss es, Gaijin Schlampe!“, spie er ihr ins Gesicht.

„Wie Sie wollen, Takatori-san.“ Mit einer raschen Handbewegung wischte sie sich das Blut von der Wange.

Die nächsten Minuten verbrachten sie schweigend, während Takatori auf dem Boden herumrutschte und vor Schmerzen stöhnte. Er übergab sich auf eine Weise, die grauenvoll mitanzusehen war. Bald verwandelten sich die gegrunzten Laute in Schreien. Dilara wandte sich ab. Soviel Grausamkeit konnte sie nicht ertragen. Auch Ken und Omi senkten die Blicke. Yoji hingegen starrte Aika an. In ihren Augen regte sich nicht das kleinste bisschen Mitleid. Ebenso wie ihrer durchbohrte Ayas eiskalter Blick die sich krümmende Gestalt von Takatori. Eine Minute verstrich, dann lag dieser zuckend auf dem Rücken. Die Augen flehend auf Angels Schwert gerichtet.

Langsam stand sie auf, zog die Katana aus der Saya und schwang es locker mit einer Hand. Aya erhob sich ebenfalls, scheinbar hielten sie die Zeit für gekommen. Angel blieb vor Takatoris Rumpf stehen und hob ihr Schwert über den Kopf. Abyssinian stand ihr gegenüber an Reijis Haupt.

„Reiji Takatori! Der Teufel soll sich vor dem Tag fürchten, an dem Aika Tadano zur Hölle fährt!“ Während Aika das schrie, durchbohrte sie sein Herz. Fast im selben Augenblick hatte Ran gerufen: „Für Aya!“ und ihm den Kopf abgeschlagen.

Es war zu Ende. Die langen Jahre des Wartens und der Hilflosigkeit hatten sich in diesem Moment in Vergessenheit aufgelöst. Alles was blieb, war Leere. Im Herzen, im Geist.

Die Existenz war nun nicht mehr gerechtfertigt. Es lebte niemand mehr, der wusste, dass es jemals eine Aika de Montal Ban gegeben hatte. Dieses Wissen war mit Pershas und Reiji Takatoris Tod ausgelöscht worden.

Oder doch nicht? Gab es ein Leben nach der Apokalypse? Lebte sie jetzt für ihre Liebe? Welchen Sinn sollte sie dem Leben zuordnen… All diese Fragen wurden von dem großen, schwarzen Loch in ihrer Brust verschluckt, das die Rache hinterlassen hatte.

Dilara machte die Augen wieder auf. „Ist es... Ist es jetzt vorbei?“, flüsterte sie.

Ken ging neben ihr in die Knie und umarmte seine Geliebte. Der Duft ihres Haares ließ ihn für einen kurzen Augenblick die Schrecken der Nacht vergessen.

Omi blickte stumm den Leichnam an. Seine Erinnerungen wollten einfach nicht wiederkommen. Vielleicht war das auch besser so. Keine Vergangenheit, aber mit etwas Glück eine Zukunft, damit konnte er leben.

Yoji dachte an Asuka. Wie viele Opfer mochte dieser Krieg gefordert haben? Wie viele mussten nun ihren Weg allein gehen? Gefangen in Trauer und Verzweiflung. Sein Blick wanderte zu Aika.

Wie angewurzelt stand sie vor Takatori, unfähig sich zu bewegen. Aya wischte ihr über die Wangen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie weinte. Plötzlich wich alle Anspannung von ihr und Angel drückte sich zitternd an die Brust ihres Geliebten. Er hielt sie fest.

Rans Gedanken kreisten um Angel und um seine geliebte Schwester Aya. Würde sie jemals aufwachen? Wie sollte er ihr je wieder in die Augen blicken können? War er ein schlechter Bruder gewesen? Wo sollte er sie jetzt hinbringen und würde Aika sie begleiten können?
 

Es dauerte noch einige Zeit, bis die Freunde die Kraft fanden, aus der Villa zu flüchten. Mit schnellen Schritten hasteten die sechs getrennt voneinander zu Yojis Wagen. Als alle sich hineingezwängt hatten, raste er los.
 

Unterwegs klingelte Yojis Handy, das er für gewöhnlich in der Ablage zwischen Fahrersitz und Beifahrer deponiert hatte.

Omi ging ran. „Hallo! Hier Birman! Verdammt, was sollte diese Aktion? Ihr wart einfach verschwunden! Kommt sofort zum Narita Flughafen!“

„Warte, Birman! Aika und Aya sind bei uns!“ Omi redete einfach dazwischen.

„Schön zu hören! Bis gleich!“ Die ehemalige Sekretärin hatte aufgelegt.
 

Als der Älteste der Weiß-Truppe seinen Wagen einige Zeit später auf den Parkplatz des Airports fuhr, schoss eine vermummte Gestalt auf sie zu. Wie sich bald herausstellte, war es Manx.

„Eigentlich wollten wir uns nicht mehr sehen, aber die Umstände zwangen mich dazu. Ihr zieht euch schnell um und seht zu, dass ihr zu euren Abflugterminals kommt! Yojis Flieger startet als erstes in dir USA! Danach folgen Omi, Ken und Dilara in den Maschinen, die fast zeitgleich in die Türkei, Spanien und zum chinesischen Festland aufbrechen. Aya wird sich auf einen Aufenthalt in Neuseeland einstellen müssen. Keine Sorge, deine Schwester wird dorthin verlegt. Als letzte fliegt Aika. Du wirst in deine Heimat zurückkehren. Eure Unterlagen befinden sich im Handgepäck. Ich wünsche euch allen das Beste! Gute Reise und viel Glück in eurem neuen Leben!“ Genauso schnell wie Manx erschienen war, verschwand sie auch wieder.

Dilara, Ken, Aya und Aika waren indessen wie von Donner gerührt. Sie würden sich trennen müssen. Jetzt, da sie sich gerade gefunden hatten.
 

Nachdem sie sich ihrer Arbeitskleidung entledigt hatten, schaute Yoji erst auf sein Ticket, dann auf die Uhr.

„Leute. Es wird leider Zeit, sich zu verabschieden. In fünfzehn Minuten ist boarding für meinen Flug….“ Seine Augen füllten sich mit Tränen.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass es vorbei ist…“ Yoji umarmte Omi.

„Ich auch nicht. Yoji, wir bleiben immer Freunde, nicht?“ Der Jüngste der sechs klammerte sich an ihn.

„Klar! Wir werden uns hoffentlich irgendwann wieder sehen!“ Auch Ken und Dilara umarmten den großen Mann mit den grünen Augen. Vor Aya machte er jedoch Halt. „Ähm, es war mir eine Ehre, an deiner Seite zu kämpfen!“ Ran streckte ihm die Hand entgegen. Yoji ergriff sie und zog ihn an sich. „Du bist eigentlich ein netter Kerl. Pass mir bloß auf Ai-chan auf!“

„Mach ich“, versicherte Aya.

„Ach und nun zu dir! Mein Schätzchen!“ Er kniff sie zärtlich in die Wange.

„Du wirst doch nicht wegen mir weinen!“ Er hatte den wässrigen Rand in ihren Augen bemerkt.

„Nein, ich hab nur was im Auge“, log sie.

„Wie du meinst! Viel Glück, Ai-chan!“ Er umarmte sie kurz und ging dann in Richtung Haupteingang. Plötzlich jedoch drehte er sich um und gab ihr noch einen Kuss. Bevor Aya ihn dafür zur Rechenschaft ziehen konnte, rannte Yoji mit Siegergrinsen und einem Peacezeichen zum Gruß über die Straße zum Eingang.

Dilara konnte ein Lachen nicht unterdrücken. „Rotschopf, du musst noch an deiner Reaktionsfähigkeit arbeiten!“

Aika wurde rot: „Entschuldige, damit hab ich nicht gerechnet.“ Doch Aya schien nicht sauer zu sein. Er wollte nicht allein weg. Sie war das einzige Lebewesen auf dieser Welt, das seine Gefühle verstand.

Zusammen gingen die verbleibenden fünf in die Abflughalle. Als sie beim Security Check durch waren, wurde gerade Omis Flug aufgerufen. Es war halb sechs Uhr morgens und die Sonne war noch einige Stunden davon entfernt, aufzugehen. Omi und Ken verabschiedeten sich mit ihrem speziellen Männergruß.

„Ich wünsch dir viel Spaß in deinem neuen Leben!“

„Ich dir auch!“ Dilara mochte Omi. Ihr war es schon bei Yoji schwer gefallen, Abschied zu nehmen.

„Omi! Ich will nicht, dass du gehst! Jetzt wo wir gerade Freunde geworden sind!“ Dcke Tränen kullerten ihr aus den blauen Augen.

„Ich wollte, wir könnten alle zusammen bleiben! Pass auf dich auf, Dilara-chan!“

„Mach ich.“ Sie ließ ihn los. Auch Aya umarmte ihn. „Du schaffst das schon. Hab eine schöne Zukunft, Omi-kun.“

„Danke, Aya. Ich werde mich bemühen.“

Kaum hatte sich Ran von ihm gelöst, fiel ihm auch schon Aika um den Hals.

„Verzeih mir bitte, Omi. Ich wünschte, ich hätte meine Worte gezügelt bei der Sache mit Maya.“

„Ich habe dir längst verziehen. Jetzt musst du es nur noch selber tun.“

„Danke. Ich hab dich lieb, Omi-kun! Und ich werde dich so vermissen!“ Aika weinte schon wieder.

„Ich dich auch!“ Er schaute ihr in die Augen. Danach ging er ein paar Schritte und drehte sich nochmals um. „Danke dafür, dass ihr mir eine Familie wart! Passt euch auf und lebt wohl!“

„Hast du ein Taschentuch, Dilara-chan?“, schniefte Aika.

„Ja, hier, bitte.“ Ihre Freundin reichte ihr eines.

„Danke. Jetzt sind wir nur noch zu viert… Ich will nicht wieder allein sein!“ Sie klammerte sich an Aya.

Eine Zeit lang saßen sie zusammen vor dem riesigen Fenster und blickten in den sich langsam aufhellenden Nachthimmel. Eine weitere Durchsage schallte aus dem Lautsprecher: „Der Flug NA302 Richtung Madrid ist nun bereit zum Boarden. Sehr geehrte Passagiere des Fluges NA302, bitte begeben Sie sich umgehend zum Terminal J15!“

Dilaras Magen verkrampfte sich. Ken stand auf. Seine Mundwinkel zitterten. Aika und Aya verließen ebenfalls ihre Plätze um sich von ihm zu verabschieden. Ken drückte Aya kurz an sich: „Tut mir Leid, dass wir uns immer gestritten haben. Ich mag dich trotzdem!“ „Ich werde unsere kleinen Reibereien sicher vermissen. Machs gut, Ken!“ Aya meinte es ernst.

„Klar, machs besser!“ Ken streckte den Daumen nach oben. „Ich werde unsere Gespräche vermissen. In den letzten Monaten hab ich dich erst richtig kennen gelernt. Ich hoffe, du kannst jetzt glücklich sein!“ Ken schaute Dilara an. „Ich werde dich noch bis zum Terminal begleiten.“ Sie hängte sich bei ihm ein. Ken hob die Hand zum Gruß.

„Macht’s gut, Leute!“

Aika und Aya winkten zurück, bis ihre Freunde in einem der Eingänge verschwanden.

„Ich bin so traurig!“ Aika lehnte sich an die Brust ihres Freundes. Er legte die Arme um sie. „Sie haben mir mehr bedeutet, als ich mir eingestehen wollte.“

Ken und Dilara standen derweil vor der Gangway. Sie waren die letzten. Die Check-in Mitarbeiterin machte den Mund auf, um Ken aufzufordern sich umgehend ins Flugzeug zu begeben, zögerte jedoch beim Anblick der weinenden Dilara.

„Dilara-chan. Meine süße kleine Dilara-chan!“ Er drückte sie an sich.

„Du kannst mich nicht einfach allein lassen! Jetzt wo wir glücklich sein könnten!“ In ihren dichten Wimpern hatten sich einige Tränen verfangen.

„Ich verspreche dir, wir werden uns wiedersehen! Ich werde immer an dich glauben und darauf hoffen, dass unsere Wege sich abermals kreuzen!“ Kens Gesicht war nun ebenfalls tränennass.

„Ich warte auf dich! Ich bete für uns! Mein Herz wird keinen anderen akzeptieren!“ Dilaras meerblaue Augen fixierten Ken.

„Ich vertraue dir. Ich liebe dich, Dilara-chan!“ Er beugte sich zu ihr.

„Ich dich auch, Askim*.“ Sie legte die Arme um seinen Hals, bevor sie sich ihren letzten Kuss gaben.
 

Ein paar Minuten später schlurfte Dilara zurück zu Aika und Aya. Ohne ein Wort legte sie den Kopf auf Angels Schulter. Ihre Freundin strich ihr über den Kopf.

„Oh, Aika! Ich bin so allein! Und in einer halben Stunde muss ich euch auch verlassen!“ Sie schluchzte.

„Wisst ihr was? Wir kaufen uns jetzt noch einen Eisbecher!“ Angel zwang sich zu einem Lächeln.

„Eis?“ Aya legte den Kopf schief. „Wir haben noch nicht mal Frühling! Ist das nicht zu kalt?“

„Keine Widerrede! Wir machen das jetzt!“ Aika zog die beiden hinter sich her zu dem Flughafencafé. Nach einigen Überredungsversuchen willigte Dilara doch ein, sich einen Joghurteisbecher spendieren zu lassen.

„Weißt du schon, was du in der Türkei machst?“ Angel lud eine Erdbeere auf ihren Löffel und flößte sie Aya ein.

„Ich bin mir nicht sicher. Wahrscheinlich leg ich mir erst mal ne Wohnung zu.“ Sie stocherte in der weißen Masse herum.

„Hört sich vernünftig an. Das Geld dazu hast du ja glücklicherweise.“

„Ja. Ein kleiner Trost.“ Wieder tropften Tränen von Dilaras Wangen in ihr Eis. Sie spürte Aikas Hand auf dem Rücken.

„Das wird schon. Hör nur nicht auf, an dich zu glauben. Irgendwie werd ich das Gefühl nicht los, dass noch mal irgendwas passieren wird.“

Aya mischte sich ein: „Wie meinst du das?“

„Ich denke“, Aika kratzte den letzten Rest aus dem Glas, „Schicksalswege sind unvorhersehbar.“

„Das sieht man“, sagte Dilara trübselig.

Wieder kam eine Durchsage, diesmal für einen Flug der Türkisch Airline, Ziel Antalya. „Nein, ich will nicht!“ Dilaras Mund wurde strohtrocken.

„Hier kannst du auch nicht bleiben. Wir werden dich begleiten. Komm, Aya!“ Angel legte ihrer Freundin den Arm um die Schulter, mit dem anderen hakte sie sich bei Ran ein.
 

Als sie am Terminal angekommen waren, umarmte Dilara erst Aya.

„Wehe, du verabschiedest dich nicht richtig von meinem Blondschopf! Ich krieg alles raus und schick dir die türkische Mafia!“ Sie versuchte, sich locker zu geben.

„Vielen Dank für deine Sorge! Ich würde ihm schon was erzählen, wenn er nur winken würde!“, grinste Aika.

„Das befürchte ich. Deswegen sag ich es ihm gleich, bevor ihr euch wieder fetzt!“ Rose zuckte mit den Schultern.

„Duuuuu! Warte! Ich werde mich bitterböse revangieren!“ Angel streckte ihr die Zuge raus.

„Allahalllaaahh! Immer diese Drohungen!“, lächelte Dilara.

„Komm her, du alte Nervensäge!“ Aika steckte sie Arme aus. „Machs gut! Viel Glück Dilara-chan!“

„Ja, du auch Ai-chan! Ich denk an dich!“ Die Mädchen gaben sich links und rechts ein Küsschen auf die Wange.

„Ich auch an dich! Gute Reise!“ Angel winkte ihrer Freundin noch nach, bis diese um die Biegung der Gangway verschwunden war.

Sie wandte sich Aya zu. „Nun sind nur noch wir beide übrig.“

Er nickte. „Gehen wir.“

Gemeinsam schlenderten sie zur Mitte der Abflughalle. Immer mehr Menschen hasteten den breiten Gang entlang. Der Zeiger der großen Uhr nicht weit von ihnen sprang auf dreiviertel sieben.

„Wenn ich zurückdenke, ist die Zeit, die ich hier verbracht habe, viel zu schnell vergangen.“ Aika schaute sich um.

„Es kommt mir wie gestern vor, als Maya und ich hier ankamen. Müde und ohne Schimmer, was uns erwarten sollte. Ich hätte nicht gedacht, alleine zurückzukehren. In meine Heimat.“

Aya nickte. „Es ist seltsam. Noch vor einem Jahr dachte ich, der Mord an meiner Familie und das Koma meiner Schwester blieben für immer ungesühnt. Jetzt ist mein größter Feind Geschichte. Mein Herz fühlt sich so leicht an. Alles, was jetzt noch zählt, ist die Gesundheit von Aya-chan, und dass meine Liebe dir gilt.“

„Ich dachte nicht, dass ich mich jemals verlieben könnte. Aber nun scheint der Platz, den die Rache bisher eingenommen hatte, frei für dieses positive Gefühl.“

Der Gong, vor der Durchsage ließ beide innehalten.

„Sehr geehrte Fluggäste! Wir bitten die Passagiere der Flugnummern LH785 und AA319 sich zu ihren Terminals zu begeben! Ihre Maschinen sind bereit.“

Aika spürte einen Kloß im Hals. Der Zeitpunkt des Abschieds war unabwendbar. Wie auf Kommando fielen sich die beiden Liebenden in die Arme. Ohne auf die anderen Menschen zu achten, die das Paar neugierig beäugten, gaben sie sich einen langen Kuss. Ein alter Japaner, der langsam vorbei schlenderte schüttelte den Kopf. „Die Jugend von heute… tststs“
 

Erst als ihre Decknamen bereits zum zweiten Mal ausgerufen worden waren, konnten sich Aika und Ran voneinander lösen. Sie mussten in entgegengesetzte Richtungen. Beide streckten die Finger, um den anderen so lange wie möglich zu spüren. Mit kullernden Tränen trennten sie sich voneinander. Nach einigen Metern drehte sich Aika noch einmal um. Sie erblickte Aya am anderen Ende der Halle, die Hand zum Gruß erhoben. Sie tat es ihm gleich. Einen Augenblick später wurde ihr die Sicht von der Masse versperrt.
 

Aika ignorierte, dass sie weinte. Sie beeilte sich, zu ihrem Terminal zu kommen. Die Mitarbeiterin dort schaute sie verärgert an.

„Ihr Ticket, bitte. Sie haben sich ja ganz schön Zeit gelassen, meine Dame.“ „Entschuldigen Sie bitte.“ Sie konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken. Die Frau in Uniform gab ihr den Boardingschein und ein Taschentuch.

„Ein schwerer Abschied. Kann ich verstehen.“

„Danke. Ja, sehr schwer.“ Aika wischte sich das Gesicht trocken. Jetzt lächelte die Frau gütig. „Das wird schon wieder. Verzeihen Sie mir bitte meine Unhöflichkeit.“

„Keine Ursache.“

„Ich wünsche Ihnen eine gute Reise.“ Die Mitarbeiterin verneigte sich kurz.

„Vielen Dank. Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen.“ Auch Aika verneigte sich und betrat mit wackeligen Knien die Gangway.
 

Als das Flugzeug auf die Startbahn rollte, blickte sie aus dem Fenster. Die Triebwerke heulten auf und die Maschine beschleunigte rasant. Innerhalb weniger Sekunden verstummte das Geräusch der Räder und das Flugzeug hob ab.

Während es eine Schleife flog, neigte sich Aikas Seite zur Erde. Sie warf einen letzten Blick auf die Megacity Tokio, die gerade von den ersten Sonnenstrahlen beleuchtet wurde.

Danach lehnte Aika sich zurück und schloss die Augen, das letzte Mal im Land der aufgehenden Sonne.
 


 


 

Es gibt ein Bleiben im Gehen.

Ein Gewinnen im Verlieren,

im Ende einen Neuanfang
 


 

Ende
 


 

_______________________________________________________________________________________
 

*Askim heißt Liebster oder Schatz.

Das Gift hab ich ein wenig spektakulärer dargestellt.
 

Lange hat mich das Skript begleitet und es war eine schwere Entscheidung es hochzuladen, weil soviel drinsteckt aus einigen Lebensjahren. Hauptsächlich hab ich für mich und meine (damals) besten Freundinnen geschrieben. Sie haben mir immer Mut gemacht weiter zu schreiben und solche Freude damit gehabt, dass ich einfach mal "Danke" sagen muss!
 

Der Epilog entstand erst 2008 als ich begonnen hab an Buch Nummer 2 zu schreiben. Leider habe ich nicht mehr soviel Zeit wie in meiner Schulzeit und deswegen geht es nur langsam voran.
 

Ich hoffe wir sehen uns bei Angel Hunter 2 wieder!
 

Vielen Dank fürs Lesen!

Eure Ai-chan



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2009-09-13T18:05:47+00:00 13.09.2009 20:05
sooo~xDD
vllt erinnerst du dich an mich~ xD war die,die einfach ma spontan deine FF in die favos gekickt hat,weil neugierig...tjaa~xD und jetzt bin ich durch,und muss sagen:eeeecht toll~ x33
förmlich fast nix dran auszusetzen,gramma un rechtschreibung bis auf kleinigkeiten echt ok und die story...gut~ xD also du hasts ja schon geschrieben gehabt,es hält sich so gaaaarnich an die originalstory.muss sagen,hätte dir den kopf gewaschen wenn das nich da gestanden hätte~xDD is doch schon recht schwer~ OOC <.< aber du hast einige gut bekannte sätze übernommen,is mir aufgefallen xD ausm manga,oder ausm anime...hach ja...~xD
also ich finds toll,bin richtig gut durchgekommen,so in 3 tagen xD weil ich immer nur abends les...reißt einen gut mit x33~
uh,und guuut das du ne fortsetzung schreibst,ich würd ja sterben bei dem ende <.< eine horrorvision,echt y.y einfach so~ aufhören...generell~ ein dramatisches ende y.y ich hab fast geflennt,wähär...~ x3 hach is die toll ^o^
*pieeeks*
weiterschreiben x33~
*knufflz*
;) man liest siich~
Von:  Evilsmile
2009-07-23T14:54:30+00:00 23.07.2009 16:54
DAs wars also schon.
Die Villa war wirklich sehr groß! öö und Takatori ist gekillt.(wahaha, auf eine sadistische Weise! Alles andere wäre viel zu nett für diesen Mistkerl geween! tja, Mission erfüllt - aber leider kommen ihre Eltern dadurch auch nicht mehr zurück.
Der Zusammenhalt hat mir gefallen. und die Charaktere haben eine gute Entwicklung durchgemacht. Mensch, die lange Abschiedszene war so traurig... Ich frage mich, was die dann in der Ferne machen. Stehen sie jetzt ganz alleine da. Und was wird aus Schwarz?

Den Spruch am Ende finde ich schön!
ich bin auch mächtig gespannt auf Teil 2! °~°
LG


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