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Dona nobis pacem

Gib uns Frieden
von

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Daily post (Teil 1)

Trapperson John:

„Mache aus mir einen Soldaten und du machst deiner eigenen Armee einen tollpatschigen Feind.“
 

Manchmal spielt das Leben einem einen Streich.

Es bringt Dinge durcheinander und bringt einen so aus Fassung. Es zeigt einem, was das Sagen hat und es wirft einen in Situationen, die einem mit Fanfaren und Trompeten zurecht stutzen. Alles wird neu gemischt.

Und wenn ich über das Leben nachdenke mit all den Tücken und Ungerechtigkeiten, so komme ich zu dem Schluss:

Mein Leben ist wenig wert. Es kann von dem einen auf den anderen Moment erlöschen und nie mehr wiederkehren.

Es ist deprimierend. Vielleicht sollte ich auch deswegen aufhören darüber nachzudenken. Das traurige Geschehen ist weit entfernt, es geht mich nichts an.
 

Ich sollte mich auf das hier und jetzt konzentrieren. Auf die Schule und auf meine Freunde, denn über das Ende nachzudenken, bevor es eintrifft, ist erschreckend genug, ohne sich auch noch das Ende der anderen unschuldigen Menschen vorzustellen.

Und dennoch ertappe ich mich oft dabei, wie ich im Unterricht zwar zur Tafel vorschaue, aber nichts davon mitbekam, was der Lehrer sagte, weil meine Gedanken und Vorstellungen einfach nicht still sein konnten und wollten.
 

Immer dann, wenn ich verträumt vor mich hinstarrte, war ich bei meinen Eltern. Wir sitzen im Garten, die Sonne malt durch die Baumkronen Lichtmuster auf den grünen Rasen und spiegelte sich im Gartenteich. Ich höre Vögel und das leise Summen von Mrs. Banks, unserer Nachbarin, während sie ihre Hecken schneidet. Das deutliche klipp-klapp der Scheren hörte ich fast so klar wir das Atmen meiner Mutter. Ich roch ihren Apfelkuchen und fast schon konnte ich erahnen, dass bald der Postbote durch das Gartentor treten würde, um uns die Post zu überreichen.

Und dann von einer Sekunde auf die andere wurde alles grau, die Lichterflecken verschwanden und auf einmal brach ein Regenschauer über uns herein. Mir wurde kalt. Von meiner Nase rollten Wassertropfen. Meine Mum saß nicht mehr lächelnd neben mir, sondern stand am Gartentor, die Hand vor den Mund unterdrückte sie die aufkommenden Schreie. Und es waren keine Regentropfen die ihre Wange hinunterliefen. Die Augen weit aufgerissen fixierten mich. In ihnen spiegelte sich kein Regenbogenlicht mehr.

Ich sah auf meine Hände herunter. In ihnen lag ein Gewehr. Es wog schwer und erdrückend, trotzdem vermochte ich es nicht, es in den Schlamm zu werfen. Dann besah ich meine Brust. Eine Militärjacke mit dem Symbol der Armee Großbritanniens. Es schien, als sank ich zusammen. Die Schultern fielen, die Knie brachen ein. Der Schlamm hieß mich herzlich willkommen, umschlang meine Beine. Ich stütze mich mit den Händen auf, das Gewehr unter ihnen im Schlamm vergraben. Mein Blick war rastlos, er überwanderte nichts als braunen Schlamm.

Mein Kopf war leer. Ich wusste, dass ich dachte. Ich war hier. Und dennoch brachte ich keinen einzigen Gedanken zusammen.

Langsam und entsetzt wanderte mein Kopf nach oben. Ich schloss die Augen, der Regen prasselte gegen meine Haut. Dann als ich sie öffnete sah ich nur das Gesicht meiner Mutter. Alles andere war in diesen Minuten unwichtig. Nur dieser schmerzliche Ausdruck in ihren Augen war wichtig.

Mein Verstand setzte aus. Zwar wollte ich etwas sagen, jedoch öffnete und schloss sich mein Mund ohne Laut. Was war die Erklärung für das hier?

Jemand packte mich grob an der Schulter und dreht mich zur Seite.

Es ging alles so furchtbar schnell.

Da war Dad. Seine Augen funkelten zornig und enttäuscht. Es war eine Spur von blankem Hass, der sich auf meine Gesicht einbrannte.

Er holte aus.

Und ich biss die Zähne zusammen, als er mir eine Ohrfeige gab.
 

Genau an der Stelle schreckte ich jedes mal aus dem Halbschlaf auf. Trip schaute mich danach immer besorgt von der Seite an. Schnell wischte ich mir dann die Tränen aus den Augen, die sich dort gesammelt hatten.

Ich dürfte mir das nicht so zu Herzen nehmen.

Ich war jung, ich war unwichtig und ich war abgeschottet.
 

Und deshalb schloss ich auch mit mir selbst ein Abkommen:

Nicht mehr daran denken!
 

Die Nächte wurden langsam kalt und mit der neuen Situation wurden die Nächte zu wahren Albträumen. Ich war mir sicher, dass Tobias heute früh verweinte Augen hatte und Trapperson´s gesamte Taschentücher auf eben seinem Bett lagen, alle nass zusammengeknüllt. Auch ich schlief nicht sehr gut. Manchmal schreckte ich aus Träumen mit Kampfflugzeugen auf, die über den Dächern von Clywd flogen oder ich stand auf einmal senkrecht im Bett, wenn ein Britischer Offizier mich anbrüllte, warum ich meinen Kameraden habe sterben lassen.

Von Conny bekam ich nicht viel Veränderung mit. An den letzten Abenden verbrachte er die Abendstunden meist in den Kerkerräumen, um für Mathe und Latein zu büffeln. Und auch sonst bekam ich ihn nicht oft außerhalb des Unterrichts zu Gesicht.

Mit den anderen Klassen über und unter uns hatte ich sowieso nichts zu tun. Die Mädchen aus dem gleichaltrigen Jahrgang in der Justizklasse, klagten nicht über zu kurze oder unruhige Nächte. Sie mussten unbedingt zeigen wie stark sie waren. Doch ich glaube, dass sie alle in der Nacht zusammen auf einem Bett sitzen und sich Trost spendeten. Ich arbeitete mit Lilyen O´Nelli zusammen an einem Projekt in Musik. Mit ihren hellbraunen, haselnuss, lockenden Haaren, der Stupsnase und den leuchtend blauen Augen, war sie eines der hübschesten Mädchen in dem Jahrgang. Wir sprachen oft miteinander. Über Familiäres oder über unsere Interessen. Jedoch in den letzten Tagen lachte sie nicht mehr so oft über meine verdeckten Witze.

Allerdings glaub ich zu wissen, warum sie so abwesend ist. Sie hat mir mal erzählt einen älteren Bruder zu haben, er müsste inzwischen 22 Jahre alt sein. 22 Jahre war ein schönes Alter um eingezogen zu werden. Und ich bin mir sicher, dass die Armee sich nicht darum kümmerte, dass der junge Mann Familie und eine Schwester hat, die sich vor Sorge in sich selbst verkriechen.
 

Es war bereits der 9. September.

Pünktlich um fünf Uhr früh schalten die Wecklaute durch unseren Zimmertrakt.

Constantin brummelte irgendetwas unverständliches in sein Kissen über mir und strampelte wild mit den Beinen, sodass ich in meinem Bett mit wackelte.

„Conny! Vernünftige und anständige Menschen wollen ihren Morgen nicht mit einer Gehirnerschütterung beginnen!“, grummelte ich zurück und trat mit einem Fuß senkrecht nach oben gegen die Latten.

„Und manche lebende Menschen möchten nur einen einzigen Tag zum ausschlafen haben!“, meckerte Trip, der bereits auf seiner Bettkante saß und sich seine Hausschuhe unter dem Bett hervor angelte. Wir alle seufzten gleichseitig auf.

So begannen unsere Morgen eigentlich immer. Ein paar Minuten lagen Conny, Tway und ich noch in den Federn, bis uns Trip darauf aufmerksam machte, dass in drei Minuten Visite war. Also quälten wir uns aus den warmen Betten und watschelten aus unserem Zimmer. Am Ende des Traktes die Treppe runter und dann durch die Halle zum Waschraum. Bekleidet in unseren dünnen Schlafanzügen, froren uns auf dem Weg sämtliche Organe ein. Darunter auch unser vor Hunger geplagter Magen.

Im Waschraum erhielten wir dann unsere Schuluniform und Waschzeug. Danach hatten wir zehn Minuten Zeit uns fertig zumachen. Zähne putzen, waschen, anziehen, kämen und so weiter.

Tway alltäglicher Kommentar dazu war:

„Wie im Gefängnis… Genau wie im Gefängnis.“

Ich machte das schon alles monoton. Es war einstudiert. Einstudiert, wie das strahle-Lächeln für unseren Priester, wenn er uns die Zeituhr zu steckte, wenn wir die Kirche betraten.

Was ich betete wusste ich gar nicht. Meist betete ich einfach, dass der Tag schnell vorbei geht, oder dass ich den bevorstehenden Test nicht vermassle. Doch in Zeiten wie diesen, da betete ich einfach, dass alles restlos und ohne späte Nachwirkungen an mir vorüberziehen würde.
 

Der Schönste Teil an solchen morgenden war das Frühstück. Und so war es auch heute.

Hier hatte sich auch etwas verändert.

Es wurde nun die Post während des Frühstücks ausgeteilt. In der Hausordnung stand zwar, dass im Speisesaal keine schriftlichen Bücher oder Zusendungen gelesen werde dürfen, ausgenommen das von den Lehrkräften, aber durch die Ereignisse, welche Tag für Tag über uns hereinbrachen, wurde auf diese Regel nicht mehr geachtet.

Trip hatte sich die Tageszeitung bestellt und so saßen wir alle vier jeden morgen nach den Briefen gespannt am Tisch und lauschten den Nachrichten aus der Heimat.

Der Postbote, der das Internat mit Briefen und Tagesblättern belieferte, war ein armer Mann mit Holzbein. In den frühen Morgenstunden, wenn wir alle in der Kirche beteten, schleppte er die Post ins Internat.

Auch heute Morgen verteilte er die Post.
 

Constantin erhielt die Antwort auf seinen Brief den er nach zu Hause geschrieben hatte. Gierig begann er ihn auf zu reißen.

Ich bekam ebenfalls einen Brief mit dem Namen meiner Mum drauf.

Er fing so an:

„Hallo mein Schatz,

Ich bin mir sicher, bei euch sind die Nachrichten schon angekommen. Ich möchte es dir nicht verschweigen, aber wir legen es dir ans Herz, dir darüber keine Gedanken zu machen. Und sei es sei dir versichert, dass es mir und Dad gut geht. (…) Lern schön weiter deine Gesetze und Vokabeln!“

Dann folgten noch Fragen über meine Noten, Fragen über meine Lehre und Fragen über meine sonstigen schulischen Aktivitäten.

Insgesamt war es nicht sehr Aufschlussreich.

Conny mir gegenüber schnitt eine Grimasse und reichte Trip, der neben mir saß seinen Brief.

„Was interessantes?“, fragte ich nach und biss in mein Marmeladetoast. Ein Teil der Marmelade lief mir am Mundwinkel runter, bevor ich es schaffte sie mit der Zunge einzufangen. Bestimmt sah ich aus, wie ein Kleinkind.

„Ausreden!“, antwortete Conny zwischen zwei bissen Buttertoast, „Und bei dir?“

„Dasselbe.“, schmatze ich.

„Ist das nicht normal? Das tun sie doch immer!“, warf Trip ein, als er Connys Brief zur Seite legte, um sich wieder seinem Haferschleim zu widmen. Angewidert sah ich auf die grau-weiße Masse, die ich noch nie probiert hatte und wunderte mich garantiert schon zum 1000. mal, wie man so was essen konnte.

Trip war anscheinend meinem Blick gefolgt und hob nun einen vollen Löffel Schleim vor meine Nase.

„Auch mal?“

Ich verzog nur den Mund und streckte ihm die Zunge raus. Hätte ein Lehrer das gesehen, müsste ich jetzt nachsitzen.
 

Der Vormittag verlief ohne Probleme.

Zwar wurde Constantin in Englisch dabei erwischt, wie er versuchte Mary-Luise die Haare ab zu schneiden, was er auch mit drei Stunden Nachsitzen einbüsste, aber sonst war es ruhig.

Ich saß gerade in Geschichte. Vor mir lag das offene Geschichtsbuch, daneben mein Schreibblock auf dem bis jetzt stand:

„Referat über den 1. Weltkrieg“

Weiter war ich in der letzten halben Stunde nicht gekommen. Aber ich konnte nichts weiter, als diese Überschrift immer und immer wieder zu lesen. 1. Weltkrieg.

War das damals so eine Situation gewesen wie in den jetzigen Stunden? Waren damals meine Albträume real gewesen? Soldaten die durch den strömenden Regen liefen. Der Regen sich in Pfützen sammelte, in denen auch noch das Blut der getöteten schwamm? War das so im Moment?

Wie sollte ich ein Referat über dieses Thema halten, wenn ich nicht wusste, wie es damals für die Leute war? Ich konnte nicht einfach sagen, Frankreich besiegte Deutschland. Da musste man doch noch an all das Drumherum denken! Die Familien, die Söhne, Ehemänner und Väter verloren, die Kinder, die weinend in eingestürzten Häusern saßen und Jugendliche Mannen, die gerade mal ein Gewehr in der Hand halten konnten und schon an der Front zu zittern hatten!

Und von all dem stand nicht, nichts, in diesem Geschichtsbuch!

Die Welt war grausam.
 

Nach unserer letzten Stunde, es war Mathe gewesen, liefen wir über die Gartenanlage. Die Unterrichtsmaterialien unter den Arm geklemmt und aufgeregt plappernd.

Bei unserer kleinen Zimmergruppe, befanden sich auch noch Flair, Jazz und Gody. All drei waren Wissenschaftler desselben Jahrgangs.

Gody war ein sehr pflichtbewusster Schüler. Und ein überaus religiöser Mensch war er auch, ein Musterkatholik. Er betete vor dem Frühstück nicht wie wir zehn Minuten, sondern meist zwanzig oder mehr. Eigentlich wollten wir ihn ja God nennen, aber er hatte uns dran erinnert, dass in den zehn Geboten stand, dass man den Namen des Herrn nicht missbrauchen sollte. Also wandelten wir das „God“ einfach in „Gody“ um. Sein eigentlicher Name war Francis Waters. Er kam aus Edinburgh.

Jazz hieß normal Jasper Lachance. Er war mit seiner Familie von Frankreich nach England eingewandert. Vorher hatte er in Calais gelebt, einer der wichtigsten Hafenstädte Frankreichs. Von dort aus fuhren Fähren über den Ärmelkanal nach Dover über. Und in Dover lebte seine Familie immer noch. Sie hatten einige Frachtschiffe, um Seehandel zu betreiben. Jazz liebte Musik und die englische Sprache, welche er nicht vollständig beherrschte.

Flair, auf dem Papier Frank Flam getauft, war ein Chaot. Wir wunderten uns seit Anfang unserer Schuljahre, wie sein Zimmer die Inspektionen bestand. Auch wie er es schaffte seine Noten konstant zu halten war uns ein Rätseln, sah man ihn doch nie lernen oder lesen. Seine Eltern lebten getrennt, die Mutter in London, der Vater in Cornwell.
 

Bevor wir das Hauptgebäude erreicht hatten, verabschiedete sich Tobias zum Sport.

Wir gingen weiter.

Die Sonne schien heute zum ersten mal seit vier Tagen, durch die trübe Wolkenwand, weswegen wir kurzerhand beschlossen unsere Hausarbeiten draußen in den Kronfeldern zu machen. Diese waren bereits abgeerntete worden, aber sie enthielten trotzdem noch kleine Abschnitte mit kinnhohem Gestrüpp. Perfekt um sich vor Neugierigen Adlerblicken zu verstecken.

Das Mittagessen verlief schweigend. Zum einen, weil ich in meinen Gedanken über mein Referat abschweifte, zum anderen, da Conny sich nach einer hastigen, kleinen Schüssel Suppe verdrückte, um sein Nachsitzen abzuarbeiten. Und Trip lass unter der Bank ein Buch. Ich nahm nur zur Hälfte war, dass fast der gesamte Speisesaal leer war.

Nach dem ruhigen Essen, schlenderten wir wieder hinaus. Auch hier begegneten wir Niemanden. Alles war leise. Doch das war nicht weiter ungewöhnlich, die meisten Schüler zogen es vor drinnen in ihren Vorbereitungsräumen oder in den Bibliotheken zu lernen, da dort die Lehrer am wenigsten kontrollierten und vorbeischauten. Ich fand allerdings, dass diese Stille heute, eine andere war als sonst.

Gody hatte sich uns angeschlossen, also mir und Trip, während Flair und Jazz sich in die Lernräume zurückzogen, so wie die anderen auch. Daraufhin hatte Gody erwidert, dass der Herr schon wisse, wer entdeckt und wer geheiligt werden soll.

Versteh einer diesen Jungen!

Also schlugen wir unsere Bücher hinter einem kleinen Randgestrüpp auf. Ich begann mit Mathe, da war ich am schlechtesten. Trip kritzelte bereits in seinem Aufsatzheft herum. Und Gody begann vorbildlich mit Religion, zur Beruhigung und Besänftigung des Geistes, wie er immer sagt.
 

Ich bemerkte nicht, wie die Stunden verstrichen.

Die Sonne war schon längst wieder hinter den Wolkenfetzen verschwunden. Es war ein trübes Licht, welches sich über die Felder ausbreitete. Wie bei Stürmen, die Sekunden nach dem Blitz. Der Wind wurde stärker. Meine Haare wurden durcheinander gezwirbelt. Der Garten lag immer noch ruhig.

Es schien ein Gewitter aufzuziehen.

Ich sah neben mich. Dort hatte sich auf der Stell zusammen gerollt und schlief friedlich. Einen Arm unter dem Körper vergraben, den anderen über die Augen gelegt, die Beine an die Brust gezogen und den Rücken gekrümmt.

Es ist eines der friedlichsten Bilder in meinem Gedächtnis.

Gody war nicht mehr da. Seine Schulsachen lagen zwar noch fein geordnet an seinem Platz doch unser Musterkatholik war verschwunden.

Müde streckte ich mich. Meine Hausaufgaben rutschten raschelnd von meinen Knien herunter.

Dann spürte ich den ersten Regentropfen auf meiner Wange. Ganz leicht. Und ich hob meine Finger hoch zu meiner Wange, um mir erstaunt das Himmelswasser abzustreichen. Lange betrachtete ich die feine Wasser Spur auf meinen Fingern.

Wieder landeten zwei Tropfen in meinem Gesicht.

Und diesmal schaltete mein Gehirn sofort.

„Trip!“, ich rüttelte sanft an seiner Schulter, „Trip, wir müssen rein!“

Trips Lieder flackerten erst ein bisschen, bevor er die Augen aufschlug. Die bernsteinen Augen waren noch mit einem schwach glänzenden Film überzogen. Die Müdigkeit spiegelte sich darin wieder.

„Was?“

Weitere Regentropfen spürte ich auf meinen Armen. Und eilends schob ich meine und Godys Unterlagen zusammen.

„Es regnet Trip.“

Doch Trapperson blieb liegen. Er schirmte nur seine Augen mit einer Hand ab und sah hinauf in den Himmel, wo es manchmal so aussah, als würden dünne, weiße Schnüre herabfallen.

„Es war schrecklich Jamie.“, flüsterte Trapperson dem Himmel entgegen. Ich hielt inne. Ich war es gewohnt, dass Trip manchmal melodramatisch wurde, aber da war ein gewisser Ton in seiner ließ mich aufhorchen. Es war so ein schwingender Ton der Bilder mit sich brachte. Ein Ton der dir plötzlich vor Augen führte, wie Tränen liefen oder Blut floss. Dieser Ton war nicht angenehm, er hallte fürchterlich in den Gedanken nach und hatte nicht vor zu verschwinden. Und für mich war es am schrecklichsten, dass ich diesen Ton nicht ignorieren kann.

„Was war schrecklich?“, krächzte ich, schon darauf hoffend, dass Trip mir nicht antworten würde.

Die bernsteinen Augen suchten meinen Blick, fanden ihn und zwangen mich ihnen direkt in die Augen zu sehen. Ganz tief. Ich glaube, wenn ich jetzt Gody wäre, dann würde ich hinter den Augen die Seele schimmern sehen.

„Ich hab geträumt Jamie. Und ich habe die Sirenen gehört… Die Luftsirenen! Von Cardiff! Danach dunkle Schatten über den Wiesen und Straßen, Motoren Geräusche!“, erzählte Trapperson. Er erzählte es mir ganz leise und ruhig. Nur an seinen zitternden Händen konnte ich sehen, dass ihn das alles aufwühlte. Er hatte Angst.

„Jamie… Jamie was ist, wenn die Sirenen wirklich erklingen?“

Die Frage zog mich in einen Bann. Alles um mich herum wurde taub, selbst die Regentropfen, die nun kräftiger auf mich herab strömten, hörte und sah ich nicht mehr. Ich fühlte nicht mal was. Ich konnte nur immer wieder die Frage in meinem Kopf hören.

Erklingen? Die Sirenen… Was ist wenn… Sirenen wirklich erklingen? Was…
 

Ich schreckte erst wieder auf, als ein gewaltiger Schlag über mir herein brach. Und dann schwappten alle Geräusche gleichzeitig auf mich ein.

Die Wassertropfen schlugen mir ins Gesicht, so heftig, dass ich die Augen nieder schlagen musste. Das Gestrüpp um mich herum bog und raschelte hinter mir. Es klang wie das Rauschen von Wellen. Blitze zuckten über mir am Himmel entlang und Donnerwellen entluden sich ruckartig.

Und dann hörte ich noch die bittende, ängstlich, rufende Stimme von Trapperson.

„-werden uns so richtig bestrafen! James! Wir sind für unsere Schulsachen verpflichtet!“

Ich blinzelte. Und stand in langsamen, kantigen Bewegungen auf. Erst da merkte ich, dass mir die Schuluniform am Leib klebte, genauso wie die Haare mir auf der Stirn babbten.

Dann drehte ich mich zu Trapperson um, der versuchte, erfolglos, seine Schulsachen vor dem wütenden Regen zu schützen. Auch meine und Godys hatte er sich mühsam an den Körper gedrückt. Hinter Trip, ganz weit hinten, im Eingang zu dem Haus mit unseren Zimmern, stand Gody selbst und schrie uns aus vollem Hals etwas entgegen.



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