Jedes Ende hat einen Anfang
Vorsichtig nährte er sich dem großem Hund, der vor ihm stand und mit dem
Schwanz wedelte. Er hatte Angst vor großen Tieren. Auch vor diesem Hund, der
jedoch freundlich mit heraushängender Zunge, hechelnd von einer Pfote auf die
andere tapste. Er schien Hakubi zu erwarten, als wäre er sein Freund. Er
wunderte sich, dass der Hunde nicht gebissen hat oder geflohen ist, nachdem er
mit Kieselsteine beworfen wurde. Zwar hat er anfangs geknurrt, aber als Hakubi
nach einem Ast griff und diesen wie ein Schwert vor dem Hund hin und her
schwank, zog er sich winselnd zurück. Er dachte er würde aufgeben, aber nun
stand er vor ihm.
Für Hakubi war es peinlich, er was fast erwachsen und fürchtete sich vor so
einem Mischling.
“Los, fass dich”, sagte er zu sich und fuhr durch seine weiß-silbernen
Haare. So schlimm konnte es nicht sein…
Nur paar Meter trennten ihn von seinem Feind. Langsam streckte Hakubi seine Hand
aus und ging zwei Schritte und berührte seine kalte Nase mit den Fingerspitzen.
Jedoch zog er seine Hand wieder schnell zurück. Er wusste, dass Hundenasen kalt
und feucht sein sollten, aber er berührte zum ersten mal eine und merkte, dass
sie ganz anders war als in seiner Einbildung. Die Neugier trieb ihn voran um
einen weiteren Kontakt mit seiner Angst aufzunehmen. Seine langsamen Bewegungen
machten den Hund leicht unruhig, sodass ihm immer der Gedanke kam es wieder sein
zu lassen. Aber das Streben nach Neuem siegte und Hakubi konnte die Schnauze des
Hundes mit seiner Hand umfassen. Der Hund zog seine Schnauze zurück,
schnupperte an der Hand und begann diese abzulecken. Seine raue Zunge kitzelte
am Handrücken und Hakubi musste ungewollt schmunzeln. Vielleicht waren nicht
alle Tiere böse, wie er seit seinem sechsten Lebensjahr dachte.
Er war mit seiner Mutter im Zoo. Er liebte den Ort voller Tiere und wollte zu seinem
Geburtstag unbedingt dort hin. Sein Vater war dagegen. Er meinte es wäre
unverantwortlich von ihm eine Frau und ein Kind ohne männliche Begleitung in
den Zoo zu schicken und da er Tiere hasste sollte es auch so bleiben. Aber
Hakubi war ein Kind, dass so lange rumnörgelte, bis es bekam was es wollte. So
standen sie am Eingang des Zoos. Ein riesiges Tor trennte ihn vor der Tierwelt.
So lange seine Mutter Eintrittskarten kaufte, versuchte er die ersten Tiere zu
erspähen. Vergeblich. Mutter nahm ihn an die Hand, in der anderen hielt sie
die Karten und eine Mappe, für alle Fälle. Vor dem Tor fing ein dicker Mann
die zwei auf, mit Vollbart und genervter Miene.
“Die Karten, bitte”, grummelte er und hielt die offene Hand entgegen. Mutter
gab ihm die Karten, die er dann auf einer Seite anriss. Das war der letzte
Schritt, den Hakubi so stark erwartete. Seine Mutter konnte ihn kaum noch
stoppen. Zu sehr freute er sich diese vielen Arten von Tieren zu begegnen. Am
liebsten mochte er die Wölfe, die immer zum Gitter kamen als er davor stand und
versucht ihr Heulen nach zumachen. Manchmal antwortete einer mit einem kurzen
Jaulen. Das Rudel bestand hauptsächlich aus jungen Wölfen und Welpen. Im
Gehege, entfernt vom Gitter, auf dem Stein lag ein muskulöser Wolf, schwarz
wie die Nacht. Er fixierte den Jungen mit seinen hellen gelben Augen und erhob
sich. Die anderen Wölfe hörten sofort auf mit ihm zu spielen und sahen zu
ihrem Anführer. Sie traten zur Seite, sodass der schwarze Wolf problemlos auf
ihn zukommen konnte. Das Tier richtete sich vor Hakubi auf und knurrte leise.
Dieser hatte keine Angst vor ihm, für ihn waren alle Tiere Freunde. So steckte
er seine Hand durch die Gitterstäbe und streichelte dem Wolf am Kopf. Doch
dieser wich zurück und biss ihn am Handgelenk. Schreiend zog Hakubi die Hand
zurück und entfernte sich vom Wolf. Tränen liefen an seinen Wangen hinunter
und er merkte den pulsierenden Schmerz. Seine Mutter kam schon, seinen Namen
rufend, auf ihn zugerannt.
“Hakubi! …Hakubi!”
Der Wolf sah ihn immer noch mit seinem kalten Blick an und streckte eine Pfote
durch die Gitterstäbe aus.
“Hahaha, typisch Menschen. Erst steckt ihr uns hier hin und dann habt ihr
Angst wie die Hasen!”, prallte er mit seiner tiefen Stimme. Hakubi hatte
Angst. Warum redete dieses Tier zu ihm? War das überhaupt möglich?
“Komm her, Kleiner!”, flüsterte er und bückte sich leicht. Er wollte
zunächst nicht, aber er war zu neugierig. So krabbelte er zu ihm.
“Wir waren einst die Herren dieser Erde und als die Menschen intelligenter
wurden, sperrten sie uns ein, töteten uns oder zerstörten unsere Gebiete. Der
Älteste hat es mir gesagt und nun sage ich es dir: Wir werden uns rächen!
Denn… Wir Tiere sind nicht so blöd wie ihr denkt!” Mit den Worten sah der Wolf
irgendwohin zur Seite und wandte sich ab.
Hakubi blieb immer noch wie angewurzelt da und
reagierte erst, als seine Mutter ihn auf den Arm nahm. Er war mit seinen 6
Jahren ziemlich klein und so war es kein Problem ihn hoch zu heben.
“Was hat dir diese Bestie getan? Verfluchtes Tier!”, schrie seine Mutter
entsetzt und sah zu einem Zoowächter, der schon zu ihnen rannte.
Schweigend sah er zum schwarzen Wolf.
“Was bist du nur für ein tollwütiges Tier!”, sagte er Wächter und zückte
eine Waffe. Hakubi erschrak bei dem Anblick. “Das war’s. Du wirst keine
Probleme mehr bereiten! Ich werde deine Anfälle nicht mehr dulden!”
Der schwarze Wolf ging in Angriffposition und knurrte
bedrohlich. Kurz sah er zu Hakubi, der sich mit der blutverschmierten Hand
die Tränen von der Wange wischte.
“Vergiss nicht. Ihr habt vielleicht die Waffen, aber wir haben die
Intelligenz, Ausdauer und Anpassungsfähigkeit. Wir Raubtiere stehen vor euch in
der Nahrungskette!”
Man konnte ein Klicken hören, darauf das Geräusch eines zerschnittenes Windes
und einen dumpfen Knall. Der Wolf lag regungslos am Gitter mit einem roten Pfeil
im Hals. Mit großen Augen sah Hakubi zum Wolf und dann auf seine Hand.
“Mama… der Wolf… ich habe Angst was er gesagt hat…”
Seine Mutter sah ihn verwundert an.
“Was? Wölfe können doch nicht sprechen. Tiere sind nicht schlau genug, darum
sind-”
“Nein, nein! Er hat gesagt, sie werden-”
“Jetzt hör auf, du hast bestimmt nur fantasiert. Wir müssen deine Wunde
auswaschen, der Krankenwagen ist schon auf dem Weg,” sagte seine Mutter und
rannte zum Toilettenhaus, öffnete die Tür mit der rechten Schulter und stellte
ihn vor dem Waschbecken ab. Sie wusch seine Hand und nahm ein
Taschentuch, mit dem sie die Wunde abtupfte. Doch Hakubi riss sich vom
Griff seiner Mutter los und rannte zurück zum Wolfsgehege.
Der Leichnam des schwarzen Wolfes wurde schon entfernt.
Ein kleiner Wolf saß jedoch neben der Stelle, wo der Wolf lag und jaulte leise.
Er war genauso schwarz wie der große und hatte die selben Augen, doch diese
waren traurig. Hakubi klammerte sich am Gitter fest und sah schweigend zum
kleinem Wolf, der sich plötzlich umdrehte.
“Du hast meinen Vater umgebracht!”
“Ich habe ihn nicht getötet. Ich habe nichts-”
“Hast du wohl! Dafür wirst irgendwann büßen, das sag ich dir!”
Ein anderer Wolf kam an und sah kurz Hakubi an, dann den kleinen Wolf.
“Lass es sein, Shogar”, sagte dieser mit ruhiger Stimme und packte den Wolf
am Nackenfell, dann trug er diesen davon. Hakubi blieb am Gitter, bis der
Krankenwagen kam.
Davor schrie er immer: “Ich war’s nicht! Ich war’s nicht…”