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Abschied und Wiedersehen

Vom Leben und Sterben
von

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Gefühlschaos

Erstes Kapitel: Gefühlschaos
 

Nach dem Mittagessen gehe ich hinauf in mein Zimmer. Ich wollte eigentlich nichts essen, doch Kumiko hat mich angefleht; ich würde alles für sie tun. Jetzt aber… ich will endlich meine Ruhe, will meine Mum nicht hören wie sie mir ewig und drei Tage Trost zusprechen will. Sie kann mir nicht helfen, ich will sie nicht sehen, sie macht alles nur noch schlimmer. Ich wollte nicht mal Takeshi sehen, nicht mal ihn, einen meiner besten Freunde.

Leise, kaum merklich klopft es an der Türe. Ich antworte nicht, doch Kumiko öffnet trotzdem die Tür. Sie kommt zu mir aufs Bett gekrochen und lehnt sich an mich. Obwohl sie blind ist weiß sie immer wo ich bin, das ist irgendwie eine Fähigkeit von ihr, vielleicht ein sechster Sinn. Vorsichtig lege ich einen Arm um sie und sie kuschelt sich an mich. „Ryo?“ „Hm?“ „Stellst du mich diesem Katsu mal vor?“ Woher wusste sie, dass ich gerade an Katsu gedacht habe? „Natürlich werde ich ihn dir mal vorstellen, schließlich bist du meine Lieblingsschwester!“ „Ich bin deine einzige Schwester!“, gibt sie zurück und ich lache. Sie kann so unglaublich witzig sein.

Kumiko steht auf und geht zur Tür. „Ich geh dann mal wieder, du willst ja ganz sicher gleich zu Katsu! Bis bald mal!“ Ich nicke während sie kichernd aus dem Zimmer hüpft. Als sie gegangen ist stehe ich auf und ziehe mich um. Dann gehe ich hinunter in den Flur, ziehe meine Turnschuhe an und verlasse mit einem „Ich bin dann bei Katsu!“, das Haus.

Draußen zerrt der Dezemberwind an meinen Klamotten und ich wickle mich enger in meine Jacke. Verdammt ist das kalt! Und das aller beste ist, dass wir am Stadtrand wohnen und ich jetzt bis ins Stadtzentrum laufen muss. Die Straßen sind wie leergefegt und ich weiß auch voran das liegt, der Wind fegt schließlich wie dumm durch die Stadt. Ha, habt ihr mit diesem tollen Wortspiel gerechnet? Nein, ich auch nicht. Ja ich weiß, ich bin heute irgendwie schlecht drauf, aber ist das ein Wunder? Ich hab gerade meine Freundin verloren.

Eigentlich, wenn ich so darüber nachdenke… wenn Kumiko und Katsu nicht wären… ich glaube ich hätte mich schon längst die nächste Klippe runtergestürzt. Doch so… ich hab kaum geweint, mir geht es einigermaßen gut und ich werde Chika immer in bester Erinnerung behalten, immer vor mir sehen wie sie in der Tür stand und mir nachwinkte.

Ein leises Seufzen, dann sehe ich auf. Während ich so nachgegrübelt habe, haben meine Füße mich wie von selbst zum Park getragen, zu jenem Park in dem ich am Tag des Feuers mit Katsu gesessen habe. Langsam, eine nach der anderen fallen feine, weiße Schneeflocken herab und landen auf mir. Immer noch stehe ich wie festgewachsen da und frage mich warum meine Füße mich unbedingt hierher tragen mussten. In Wahrheit habe ich die Sache mit Chika nicht verkraftet, nicht mal angeschnitten, sondern eher in eine Ecke meines Unterbewusstseins verschoben, hab den Kopf frei gemacht für andere, wichtigere, jetzt näher liegende Dinge. Doch hier, hier in diesem Park in dem wir uns kennen lernten kommt alles wieder hoch.
 

Ich erinnere mich noch ganz genau daran, ich hatte auf der selben Bank gesessen, was eine Ironie, ich sitze am Anfang und am Ende auf der selben Bank, das Leben ist ein Kreis ich wusste es ja schon immer. Nun, als ich so auf dieser Bank saß, die Beine an den Körper gezogen und die Arme um die Knie geschlungen, kam dieses Mädchen auf mich zu, die langen, roten Locken wie seidig schimmernd über die Schultern fließend, in einen knielangen, weißen Mantel gewickelt. „Kann ich mich setzen?“, hatte sie gefragt und ich hatte genickt, warum auch nicht, schließlich war ich zwar schlecht drauf aber nicht bösartig gewesen. Das war vor fast genau einem Jahr gewesen.

Sie hatte sich gesetzt, sich neben mir an die Bank gelehnt und gemeint: „Wie heißt du?“ „Ryo“, hatte ich gebrummt und sie hatte genickt, gelächelt, mir eine Hand entgegengehalten und dann erklärt: „Ich bin Chika!“

Wir hatten uns lange unterhalten, ehe wir beschlossen hatten uns wieder zu sehen. So hatte es mit uns angefangen und eine knappe Woche später waren wir zusammen gewesen.
 

Wieder seufze ich und stelle verblüfft fest, dass mich meine Füße mal wieder von selbst wo hin getragen haben, das scheint ihre neue Lieblingsbeschäftigung zu sein. Dieses Mal ist es wenigstens der richtige Ort, denn nun stehe ich vor Katsus Haustür. Ich klingele und nach dem üblichen Knarren der Gegensprechanlage höre ich seine verzerrte Stimme: „Hm?“ Ich lache, das ist typisch, er meldet sich immer nur mit undefinierbaren Lauten. „Hier ist Ryo!“ „Ryo, warum kicherst du schon wieder so?“, fragt er noch argwöhnisch, als das Summen ertönt und ich die Tür aufstoße.

Schnell trappele ich hinauf ins Dachgeschoß. Dort steht Katsu schon im Türrahmen, lässig dagegen gelehnt in seinen schwarzen Jeans und dem weiten weißen T-Shirt. „Hey! Warum hast du jetzt so gelacht?“ Wieder muss ich lachen, dann antworte ich: „Weil du einfach… so typisch du bist!“

Er grinst mich an, dann winkt er mich herein und ich folge ihm in die Wohnung. Auch das ist typisch. Draußen ist es Arschkalt, hier drinnen hat es vielleicht 18 Grad und er rennt trotzdem in T-Shirt und mit nackten Füßen herum. Er hastet voraus ins Wohnzimmer, räumt seine ganzen Papiere vom kleinen Glastischchen und streicht sich nebenbei mit einer fast nervös wirkenden Geste eine rote Locke aus dem Gesicht.

Plötzlich spüre ich einen Stich in meinem Herzen, diese Geste erinnert mich so verdammt an Chika. Tränen beginnen über meine Wangen zu laufen, und als er aufblickt, mich ansieht und bemerkt, dass ich weine, kommt er auf mich zu, führt mich zum Sofa, zieht mich mit hinunter, drückt mich an sich und streicht mir sanft über den Rücken. „Nicht weinen!“, murmelt er und streicht mir immer noch über den Rücken, „Nicht weinen, wir müssen sie in guter Erinnerung behalten!“ Trotz der Tränen die immer noch aus meinen Augen quellen muss ich unwillkürlich lachen: „Du hörst dich an wie meine Schwester!“ Ein schwaches Lächeln rutscht kurz über sein Gesicht, doch so schnell wie es aufgetaucht ist, ist es auch schon wieder verschwunden.

Langsam lässt er mich los und ich bin fast etwas enttäuscht, obwohl ich nicht sagen kann warum. Es war warm in seinen Armen, aber… Chika ist noch nicht lange tot, ich sollte mich nicht neu verlieben. Verlieben? Warte, warte, warte… hab ich gerade verlieben gedacht? Warum? Ich hab mich doch nicht in Katsu verliebt! Er ist schließlich Chikas Bruder! Ja, Bruder, das bedeutet er ist ein Kerl. Er ist ein Kerl, ich bin ein Kerl… keine Liebe, wir sind nur Freunde, ganz genau. Und das was ich da gespürt hab war… eine verspätete Reaktion auf Chikas Tod, ganz genau!

Da ich jetzt wieder mit mir im Reinen bin kann ich ja jetzt weiter zuhören was Katsu mir zu sagen hat. Seine Augen sind auf mich gerichtet, wahrscheinlich hat er mich gerade etwas gefragt und ich hab wieder nicht zugehört. „Sorry, was hast du gesagt?“, will ich mit nervösem Lächeln wissen, „Ich hab… dir gerade nicht zugehört.“

Er seufzt, dann wiederholt er tonlos: „Ich hab nur gesagt, dass ich uns was zu trinken hole und dass ich wissen will was du willst.“ „Mir egal“, antworte ich leise. Er seufzt, steht auf und geht in die Küche.

Ich höre ihn arbeiten, dann kommt er wieder, zwei Teetassen in den Händen. Stumm gibt er mir eine, dann zieht er die Beine unter den Körper und sieht mich erwartungsvoll an. Ich bleibe schweigend sitzen und sehe ihn aufmerksam an, ehe er endlich fragt: „Was hast du heute gemacht?“ „Hab mich mit Kumiko unterhalten“, erwidere ich tonlos, „Sie will dich unbedingt kennen lernen.“ Sein neugieriges Lächeln verschwindet, ein besorgter Blick erscheint, als er fragt: „Freust du dich nicht? Deine Schwester sorgt sich wenigstens um dich!“ Seine Stimme ist gegen Ende immer leiser, deprimierter geworden „Hat… hat Chika…“, ich breche ab und spüre wie Tränen über meine Wangen laufen. Flink nimmt er mir die Tasse ab und stellt sie zu seiner auf den Tisch und schließt mich vorsichtig in die Arme. „Sie durfte sich nicht um mich kümmern, ihre… unsere Mutter hat sie davon abgehalten!“ „Akemi? Sie war Schuld daran, dass du im Ausland studiert hast?“ Er nickt, lässt mich jedoch nicht los.
 

Lange hält er mich fest, doch als ich fast eingeschlafen bin, klingelt es an der Tür. Erschrocken richte ich mich auf. Was war das? Was hab ich getan? Warum war ich in seinen Armen fast eingeschlafen? Bin ich noch zu retten? Haben die Aliens mein Gehirn geklaut? Gibt es die Aliens wirklich? Und warum denke ich so einen Mist?

Katsu seufzt, steht auf, lässt meine verdatterte Wenigkeit auf dem Sofa zurück und tapst auf nackten Füßen zur Tür.

Ich sitze immer noch geschockt und mit weit aufgerissenen Augen auf dem Sofa. Warum hat es sich in seinen Armen so gut, so entspannend angefühlt? Ich wäre fast eingeschlafen und das passiert mir normalerweise nicht in den Armen fremder Typen. Okay, wir sind beste Freunde aber… da sollte so was auch nicht passieren.

Kopfschüttelnd und zornig vor sich hin murmelnd kommt Katsu wieder zurück ins Wohnzimmer, ein Packet nachlässig unter den Arm gezwickt. Als er mich so erschrocken auf dem Sofa sieht lacht er und fragt belustigt: „Was ist den mit dir passiert? Du bist weiß wie eine Kalksteinwand, welchem Geist bist du begegnet?“ Ich schüttele kurz den Kopf und starre ihn weiter unablässig an. Er kichert immer noch, stellt das Paket achtlos auf den Fußboden, kommt dann herüber zum Sofa und legt vorsichtig eine Hand unter mein Kinn. Was hat er vor? Die Frage beantwortet sich von selbst als er meinen immer noch erschrocken geöffneten Mund vorsichtig zudrückt. „Willst du mir jetzt sagen was du hast?“ Immer noch stumm schüttele ich den Kopf.

Er seufzt auf, boxt mir dann gegen die Schulter und fragt: „Und, wie läufts in der Schule?“ Ich grinse gequält. Katsu weiß ganz genau, dass ich mit meiner einen Lehrerin nicht zu Recht komme. Diese Frau lässt uns arbeiten bis wir schwarz werden. Und diese ganze, schleimige, zuckersüße Art… da bekommt man glatt einen Zuckerschock!

„Hat sie euch wieder arbeiten lassen?“ „Wir haben nur so dummes Zeug gemacht! Und dann immer mit ihrer Trillerpfeife, wenn du da daneben stehst… da bekommst du Tinnitus, wirklich!“ „Armer Ryo, wirklich!“, bemitleidet er mich und fährt mir vorsichtig durchs Haar. Hilfe, warum krieg ich jetzt ne Gänsehaut? Hallo? Hirn ahoi? Ist anscheinend schon weg.

Katsu sieht mich etwas irritiert an, ich sitze nämlich schon wieder so aufrecht da als hätte ich nen Besenstiel verschluckt. „Du bist dir sicher, dass es dir gut geht, oder?“, fragt der Rotschopf und kniet plötzlich vor mir, fast zwischen meinen Schenkeln. Okay, jetzt dreh ich wirklich durch. Mir schießt das Blut in die Wangen, als er mich so süß von unten her anschaute und… Moment. Nur einen einzigen Moment Wieso in aller Welt habe ich jetzt >süß< in Zusammenhang mit meinem besten Freund gedacht? Hab ich irgendwelche… Halluzinationen oder so was? Ich sollte umgehend einen Psychiater aufsuchen.

„Ryo?“, ich sehe ihn wieder an, immer noch ganz rot im Gesicht. „Wenn… wenn Chika… also… hätte sie dich betrogen, was hättest du getan?“ Entsetzt starre ich ihn an. Was soll dies Frage jetzt? Wie kommt er darauf? „Warum?“, frage ich mit rauer Stimme. Immer noch starrt er mich unverwandt an, dann rutscht er wieder neben mich auf die Couch und erklärt leise: „Ich… hab da einen Freund… der hat eine Beziehung, hat sich jetzt aber in ne andere verliebt. Soll er es seiner Freundin sagen und sie übel verletzten oder einfach schweigen und bei beiden bleiben?“

Also dieser Trick ist wirklich uralt. Wenn der Satz schon anfängt mit >Ich hab da einen Freund… < dann kann man sofort davon ausgehen, dass der jenige über sich selbst redet. Deswegen antworte ich nur: „Also, meiner Meinung nach sollte der FREUND sich entscheiden mit wem er Schluss machen will!“

Katsu nickt und starrt nachdenklich an die gegenüberliegende Wand.

Schweigen breitet sich im Wohnzimmer aus, doch es ist irgendwie beruhigend. Wir hängen beide unseren Gedanken nach, er denkt wahrscheinlich über seinen ominösen FREUND nach, genauso wie ich. Ja, richtig gehört, ich denke über seinen Freund, oder besser über sein Problem nach. Ich wusste nicht mal, dass er EINE Freundin hat, aber ZWEI? Wer genau soll das sein? Ob ich ihn darauf ansprechen soll? Lieber nicht, wer weiß was er dann von mir denkt!

Langsam stehe ich auf und strecke mich. Katsu sieht mich an und fragt: „Du gehst? Nicht wegen mir, oder?“ „Natürlich nicht!“, widerspreche ich, „Ich hab aber den anderen zugesagt, dass wir uns mal wieder treffen. Wir haben nicht mehr viel unternommen seit… na ja, aber ist ja auch egal, ich bin dann mal weg, bye!“ Er steht auf und folgt mir zur Tür. Also ich ihn meine Schuhe geschlüpft bin und nach meiner Jacke greifen will umarmt er mich plötzlich von hinten und flüstert: „Kommst du nachher noch mal hier her? Egal wie spät es ist?“ Ich nicke schwach. Mein ganzer Körper ist angespannt, ich muss sagen… die Situation behagt mir ganz und gar nicht. Es ist nicht schlimm, dass er mich umarmt, es fühlt sich sogar überraschend gut an, aber… er überfordert mich.

Anscheinend hat er mitbekommen wie ich mich verspannt hab, erlässt mich nämlich sofort los, wird sogar etwas rot und fragt dann in normalem Ton: „Also kommst du nachher?“ Wieder nicke ich, dann nehme ich meine Jacke und verlasse fast fluchtartig die Wohnung.

Erst unten auf der Straße als meine Füße wieder ihrer neuen Lieblingsbeschäftigung nachgehen und mich wie von selbst zum >Henrys< tragen beginne ich zu grübeln. Das >Henrys< ist sozusagen unsere Stammkneipe, geführt von – stellt euch vor – Henry Thompson, wo wir uns mehr oder weniger regelmäßig treffen.

Aber jetzt zurück zu meinen Grübeleien, es geht natürlich vorrangig um Katsus Umarmung eben. Was war mit ihm los? Ich meine, so umarmt man doch nicht seinen besten Freund, oder? Aber irgendwie hat es mir gefallen, es war so warm und… er roch so gut. Halt, warte, wie komm ich jetzt bitte schön darauf? Es ist wahr, das stimmt, er hat wirklich gut gerochen, nach… Regen und frisch gemähtem Gras… nur schwach aber bei dieser Nähe doch unglaublich deutlich wahrnehmbar.

Ich seufze und stehe auch schon vor dem Henrys. Langsam gehe ich rein und sehe kaum etwas. Draußen war es so hell, doch hier drinnen sind wie immer alle Rollläden herunter gelassen und nur die bunten, müde vor sich hinblinkenden Lampen schicken zuckende Lichtstrahlen durch die verqualmte Dunkelheit. Der Vorraum mit der Theke ist so gut wie leer, nur Henry, der junge Wirt mit den fransigen, schwarzen Haaren steht hinter der Theke, den Blick fest auf seine ‚Lektüre’ – die fast ausschließlich aus Bildern mit nackten Frauen besteht – gerichtet. Als ich mich leise räuspere sieht er auf, wirft sich mit seiner gewohnten Kopfbewegung eine dunkle Strähne aus dem Gesicht und fragt dann fröhlich: „Na Ryo, dasselbe wie immer?“ Ich schüttele leicht den Kopf und murmele: „Wasser!“ und er antwortet überrascht: „Uh, wird Ryo jetzt bodenständig?“ Jetzt schüttele ich matt lächelnd den Kopf und erkläre: „Mir ist nur gerade nicht nach Bier!“ Er zuckt die Schultern, wirft mir eine Wasserflasche zu und wendet sich wieder seiner Lektüre zu als ich in den Nebenraum hinüber gehe. Hier ist es nicht weniger zugeraucht, aber wenigstens einigermaßen hell. „Hey!“, grüße ich und mir schwingt eine allseits gemurmelte Begrüßung entgegen. Hier sind anscheinend nur depressive.

Takeshi ist ja sowieso immer so drauf und rennt rum wie der leibhaftige Tod. Auch heute ist er tief in die Kissen der alten Couch versunken, in einer Hand eine Flasche, deren Inhalt ganz sicher nicht alkoholfrei ist, die andere Hand zwischen die Beine seiner sonst so bodenständigen Freundin Fuyu, die heute – anscheinend auch schon mehr als leicht angeheitert – auf seinem Schoß sitzt. „Sag mal, habt ihr hier ein Saufgelage veranstaltet oder so?“, will ich wissen und lasse meinen Blick über die anderen im Raum schweifen, die – teilweise sitzend, teilweise liegend – irgendwo rumlungern und auch schon alle halbtot wirken. Über allem liegt ein durchdringender Alkoholgeruch. „Ach was!“, winkt Takeshi ab und lässt die Hand mit der Flasche so schwunghaft durch die Gegend zischen, dass er sie fast Minami an den Kopf geknallt hätte, die glücklicherweise gerade von ihrem Hachiro zu einem Kuss hinunter gezogen worden war. Ich seufze über soviel Einfältigkeit auf einem Haufen, dann lasse ich mich an einer Wand hinunter rutschen, öffne die Wasserflasche und genehmige mir einen Schluck.

Später schaltet jemand die Musik ein und meine ganze, übelst besoffene Clique stürmt die Tanzfläche. Nur ich sitze immer noch mit meiner Wasserflasche in einer Ecke und starre düster vor mich hin. Was war in Katsus Wohnung los? Warum hat er mich umarmt? Und warum zum Henker sehne ich mich geradezu danach, dass er es wieder tut? Ich bin nicht in ihn verknallt, wie könnte ich, schließlich sind wir beide Kerle und beide ganz sicher nicht schwul. Im Gegenteil er hat ja ZWEI Freundinnen! Den Gedanken, dass es sich bei den FREUNDINNEN auch um Kerle handeln könnte schieb ich jetzt einfach mal weit von mir… aber schwul sind wir ganz sicher nicht! Warum hat er mich also umarmt?

Spät verlasse ich das Henrys, es ist schon dunkel draußen und der Vorraum mehr als überfüllt. Spätestens jetzt hat im Hinterzimmer der Alkohol Überhand genommen und überall liegen Leute und gehen… weniger delikaten Beschäftigungen nach, die besser hinter verschlossenen Türen stattfinden.

Ich mache mich dagegen auf den Weg zu Katsu. Mittlerweile hab ich auch rausgefunden warum meine Clique sich so hemmungslos besoffen hat: Sie haben einen Weg gesucht, um über Chikas Tod hinweg zu kommen. Ich suche auch noch einen, irgendwie muss ich ja über den Tod meiner Geliebten hinwegkommen, doch… ich glaube ich habe – ohne es mitzubekommen – schon einen Weg gefunden, den ich bin so gut wie darüber hinweg. Ich weiß bei Gott nicht wie ich es geschafft habe. Langsam lenken mich meine Füße in Richtung Katsus Wohnung.



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