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Kostenfaktor Mensch

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Kostenfaktor Mensch
 

„Letztlich bleibt der Mensch immer ein Kostenfaktor“, das hatte er damals zu ihm gesagt. Er war sich bis heute nicht im Klaren darüber, warum der Andere getan hatte, was er nun mal getan hatte. Ob er ihm das Gegenteil hatte beweisen oder sein Gehalt aufbessern wollen oder ob er tatsächlich so etwas wie Sympathie für ihn hegte. Ohne unterwürfig zu sein oder gar lästig zu werden, hatte er nie etwas verlangt. Ihn kritisiert, das ja, und zugleich in jeglicher Hinsicht unterstützt. Er hatte ihn nie um Geld oder andere materielle Güter, ja nicht einmal um Aufmerksamkeit oder Fürsorge gebeten. Und im Ausgleich für dieses Nichts, die alleinige Tatsache, dass er mit ihm seine Wohnung teilte, gegen ein entsprechendes Entgeld teilte oder zumindest geteilt hatte, hatte er ihm die schönsten Jahre seines Lebens geschenkt. In all der Zeit hatte es nicht eine einzige Minute gegeben, in der er einsam gewesen wäre. Allein vielleicht, aber niemals einsam. Denn er wusste, dass er, wo immer er auch hinging, auf ihn wartete. Wenn er des Abends, müde von der Arbeit in der Fabrik, heimkam, stand das Essen schon bereit, war die gemeinsame Wohnung, die er gelegentlich, wenn ihn die Wut packte, in einem unglaublichen Zustand zurückließ, sauber und ordentlich. Alles war an seinem Platz und die Räume von behaglicher Wärme erfüllt. Er nahm ihm den Mantel ab, gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange und hörte sich den Rest des Abends stillschweigend und aufmerksam an, was er vom Tage zu berichten hatte. Ließ geduldig Flüche und Beschimpfungen über alles mögliche über sich ergehen. Und dann, wenn er sich wieder einmal bis zum Äußersten hineingesteigert hatte und nun, nachdem er alles losgeworden war, grummelnd und missmutig dasaß, stand er auf, lächelte ihn voll ehrlicher Zuneigung an und sagte: „Ich bin froh, dass du unbeschadet zurückgekommen bist.“

Und das nahm ihm -wie immer- den Wind aus den Segeln. Seine Wut verpuffte, zerplatzte wie eine Seifenblase und er sah milde erstaunt und ein wenig peinlich berührt zu, wie er den Tisch abräumte. Gelegentlich half er ihm dabei. Und während er gemütlich im Wohnzimmer saß und sich, nun wieder entspannt und bester Laune, die Zeitung zu Gemüte führte, bereitete der Andere das Bad vor. Und wie immer war sein erneutes Erscheinen das Zeichen dafür, dass alles gerichtet war. Manchmal badeten sie auch gemeinsam, doch meistens nutzte der Andere die Gelegenheit, seine Sachen zu ordnen und ihm neue für den darauffolgenden Tag herauszulegen. Er kümmerte sich um den Abwasch, lüftete die Zimmer und manchmal verschwand er für ein paar Minuten, um im angrenzenden Geschäft ein paar Lebensmittel einzukaufen, die er selbst bezahlte. Er tat das nie auffällig. Nie, um zu beweisen, dass er es konnte, dass er keine Belastung war. Es geschah ganz natürlich und sie sprachen auch fast nie darüber. Und falls er es doch einmal zum Thema ihrer Unterredungen machte, dann lächelte er stets nur. Ein sanftes, geheimnisvolles Lächeln. Was ihn von einer Frau unterschied, so dachte er manchmal, waren im Grunde lediglich sein Körper und die angenehme Tatsache, dass er ihm zu Weihnachten und ähnlichen Anlässen keine Handtasche oder Abendkleider schenken musste. Und die Tatsache, dass er ihm niemals Kinder gebären würde. Ansonsten konnte und tat er alles, was man von einer Frau in der heutigen Zeit erwartete. Wirklich alles. Nach dem Bad saßen sie oft im Wohnzimmer und diskutierten über die aktuelle Themen des Tages. Politik, Wirtschaft und, auf seinen, den unausgesprochenen Wunsch des Anderen hin, auch über die Situation der Menschen in diesem Land. Er war wortgewandt und wenn sein Wissen, ob seiner Herkunft, auch nicht sehr tief war, besaß er ein gutes Einfühlungsvermögen und wusste die Lebensumstände der Menschen oft sehr viel genauer zu schildern, als dies im allgemeinen Wissenskontext der Fall war. Nur in die Art, wie er seine Fabrik leitete, ließ er sich nicht reinreden. Das hatte er ihm von Anfang an ganz deutlich gesagt und doch war es von jeher ein Streitpunkt zwischen ihnen geblieben. Doch so sehr er sich auch dagegen sträuben mochte, der sanften, unaufdringlichen Einmischung des Anderen, vermochte auch er sich auf Dauer nicht zu entziehen. Und so waren die Arbeitsbedingungen langsam, Stück für Stück, besser, menschlicher geworden. Ganz allmählich lösten die Worte des Anderen die eiserne Härte, die er stets hatte walten lassen. Irgendwann, wenn es auf elf zuging, erhob er sich und verschwand aus seinem Gesichtsfeld, nur, um wenig später, bettfein, zu ihm zurückzukehren. Immer ging der Andere voraus und immer war es ein unsagbar gutes Gefühl, sich zu ihm zu legen. Wenn es, wie jetzt, Winter und zuweilen selbst in der Wohnung bitterkalt war, schickte er ihn gelegentlich voraus, damit er das Bett für ihn anwärmte, was er widerstandslos tat. Und auch hier gab es eine klare Rollenverteilung. An schlechten oder einfach besonders kalten Tagen, konnte es schon mal auf zwei Uhr morgens zugehen, bis sie tatsächlich Ruhe und Schlaf fanden. Wenn es ihm nicht gefiel sagte er ihm das und er versuchte darauf Rücksicht zu nehmen. Und wenn der Frost die Welt mit seinen eisigen Klauen einfing, hielten sie einander in den Armen, bis sie, der Andere drei, er selbst kaum vier Stunden später, aufstanden und sich, vor Kälte zitternd und erbärmlich frierend, auf den Weg zur Arbeit machten. Feste feierten sie gemeinsam.

Als er erwachte, flutete Sonnenlicht in das kleine Schlafzimmer. Ein herrlicher Sonntagmorgen. Die Luft im Raum war bitterkalt, doch das Bett hatten ihre Körper mit wohliger Wärme erfüllt. Aus seiner sitzenden Position lehnte er sich entspannt gegen das Kissen und ließ seine Gedanken schweifen. Als der junge Mann neben ihm sich zu regen begann, wandte er den Blick. Er liebte es, diesen Übergang von tiefem, seligem Schlaf, hin zu einem leichten Dösen und schließlich vollständigem Erwachen an ihm zu beobachten. Ohne dass er es bewusst hätte beeinflussen müssen, wurde sein Blick weich. Schlaftrunken sah der Andere zu ihm auf und er konnte einfach nicht anders, als leidend zu seufzen. „Letztlich bleibt der Mensch immer ein Kostenfaktor“, sagte er und lächelte sanft, als wolle er sagen: Ich gebe mich geschlagen. „Du kostest mich jede Menge Nerven.“
 

ENDE



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Ratana
2010-11-15T07:46:37+00:00 15.11.2010 08:46
*reinroller*
So~ Jetzt hab ich die hier auch gelesen und kämpfe wieder mit dem verständnis.... Es ist etwas arg verwirrend nicht genau zu wissen wann jetzt wer gemeint ist. Ist auch das Ende aus der sicht des Fabrikleiters geschrieben? Oder von dem "Hausmann"???
Ansonsten gefällt mir die geschichte recht gut. Auch wenn ich bei dieser "rollenverteilung" am liebsten knurren würde.... Ehrlich mal, sowas is doch blöd.... Aber andererseits hat der Hausmann (ich werde ihn jetzt immer so nennen) ja bewirkt, dass die Arbeit in der Fabrik etwas besser wird. Zumindest habe ich das so aufgefasst.
Andererseits hast du das schon recht .... sagen wir mal süß umgesetzt. Man bekommt nicht das gefühl, als ob sich einer der beiden benachteiligt oder höher gestellt fühlt. Und das macht die ganze Situation schön =)

lg
Von: abgemeldet
2009-02-18T17:52:09+00:00 18.02.2009 18:52
Schön, interessant geschrieben, lesenswert!! :)
Von:  Izeberu
2009-02-17T19:00:40+00:00 17.02.2009 20:00
Ha!! Erste!! (wiedermal geschafft, yosh X3)
Ich durfe ja schon in den Genuss kommen, die Geschichte zu lesen, aber hier nochmal der offizielle Kommentar:
Hach, immer wenn ich die Geschichte lese wird mir warm ums Herz X3! Wie die Beziehung der beiden beschrieben ist~ *schwärm*
Nya, schreib noch ganz ganz viel solcher tollen Geschichten!! *__*

*knuddl*


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