In Benradors Stadtmauern
Ich betrachtete den Degen an der Wand. Kurz hatte ich überlegt ihn von seinem angestammten Platz zu nehmen, diesen Gedanken aber schnell wieder verworfen. Ich konnte eh nichts tun. Weder gegen die von Panik erfüllten Schreie draußen auf den Straßen, noch gegen das, was sie ausgelöst hatten.
Das Heer der Dämonen war vor 24 Stunden vor den Stadttoren aufgetaucht, dabei hatten die ganzen schlauen Leute aus dem Stadtrat gesagt, dass Benrador nicht auf ihrem Weg läge. Von wegen… In diesen Momanten kam es mir eher vor, als hätten die Dämonen den Focus nur auf unsere Stadt gelegt.
Man hatte im Fernsehen die Angriffe auf andere Städte gesehen, das war nichts im Vergleich zu dem, was sich gerade durch die Stadt kämpfte. Sie hinterließen nur Tod und Verwüstung. Nein, genau genommen hinterließen sie nicht mal Verwüstung, sie hinterließen nur nichts. Wo sie waren, waren keine Häuser, keine Straßen und erst recht nichts Lebendiges mehr.
„Aber wir müssen doch irgendwas tun?“, hörte ich eine verzweifelte Stimme neben mir.
Ich hatte sie beinahe vergessen - diese junge Frau mit ihren eisblauen Augen und den schwarzen Haaren.
„Und was sollen wir schon tun?“, fragte ich zurück. Wir waren nur Menschen, also nichts was sich diesen Dämonen in den Weg stellen konnte.
Sie schaute nach draußen in den sich langsam verfinsternden Himmel. „Gegen sie kämpfen. Wenn wir alle zusammen…“
Ich unterbrach sie: „Die Hälfte der Menschen in der Stadt ist geflohen und ein weiteres Viertel bestimmt schon tot.“
Bevor ich wusste wie mir geschah, verpasste sie mir eine Ohrfeige.
„Genau darum bin ich hier hingekommen. Ich dachte, ich würde hier genug Hoffnung finden, um gegen sie zu kämpfen. Und jetzt kneifst selbst du!“
Es klang wirklich wie ein Vorwurf, dabei hatte ich keine Ahnung wovon sie redete. Genau genommen hatte ich selten eine Ahnung wovon die redete. Als ich vor einem Monat einen neuen Mitbewohner suchte, stand sie plötzlich vor der Tür. Sie war hübsch und hatte die Miete in bar dabei.
„Verstehst du denn nicht?! Sie sind wegen mir hier.“
Eine merkwürdige Vorstellung: „Räumst du dir selbst nicht gerade einen sehr hohen Stellenwert ein? Was wollen Dämonen denn schon mit einem Menschen.“
„Ich bin kein Mensch“, erwiderte die schroff, gerade so als wäre das eine allgemein bekannte Tatsache.
„Und was bist du dann?“
„Ein Engel…“
Ich glaube, ich starrte sie ziemlich lange an, bis ich mein sonst so loses Mundwerk wieder fand. „Ich seh aber irgendwie keine Flügel und dein Heiligenschein…“
„Sie suchen nach mir, weil sie glauben, dass ich die Macht habe sie zu vernichten“, sprach sie unbeirrt weiter.
Sie sollte hierfür verantwortlich sein? Ihre Augen ließen keinen Widerspruch zu, allerdings meldete sich eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf, dass ich es hier mit einer Wahnsinnigen zu tun hatte.
„Dann geh da raus und vernichte sie, bevor sie noch mehr Menschen töten.“
„So einfach ist das nicht. Ich bin nach der Legende nur der Schlüssel. Dafür geboren eine Armee anzuführen, die das Herr des Bösen schlagen kann.“
„Klingt wie aus einem schlechten Fantasyfilm.“ Meine Bemerkung überhörte sie.
„Und wenn ich alle Zeichen richtig gedeutete habe, ist hier die richtige Stadt.“
Die Schreie draußen wurden lauter, was nur eines bedeuten konnte: Sie waren fast hier.
„Ruf es doch aus dem Fenster, vielleicht bleiben ein paar der Flüchtenden stehen, und rennen zurück, wo sie sicher ihr Verderben finden.“
„Wie kannst du nur so was sagen!“
Es reichte mir. Eigentlich sollten wir auch schon längst auf dem Weg aus der Stadt sein. Vielleicht etwas grob, packte ich sie am Handgelenk und zeigte in Richtung des Stadttors, wo nur noch eine schwarze Wolke über den Ruinen der Häuser hing. „Siehst du das? Das ist es was sie überall auf der Welt anrichten. Es ist nicht gerade ihre Stärke Gnade walten zu lassen. Sie kennen keinen Schmerz und keine Angst, also sag mir wie man sie besiegen kann.“
Mit einem Mal weiteten sich ihre Augen. Und ich erkannte schnell warum. Ein geflügeltes Wesen, von dessen Kopf bis Schwanz eine Reihe Dornen über den Rücken ging, kreiste über dieser Wolke.
„Wir müssen hier weg“, kam es gekeucht von ihren Lippen.
Noch bevor ich etwas sagen konnte, nahm sie meine Hand und rannte aus der Wohnung, die Treppe runter und in die Menschenmenge auf der Straße.
„Komm schon!“
Das brauchte sie mir eigentlich nicht sagen. Hinter uns erklangen die Schlachtschreie der Dämon.
Und plötzlich war das Gefühl da, dass wir es nicht schaffen würden. Es kam, bevor ich die Betonbrocken eines Hauses auf uns niederstürzen sah.
Alle schubsten und rannten, um selbst davon zu kommen und ich stand nur da.
„Nein…“
Es war ihre Stimme, die mich einen Moment die Augen öffnen ließ. Ich hatte nicht mitbekommen, wie ich zu Boden gestürzt war. Ihre Augen blickten auf mich nieder. Selbst wenn mein Verstand es nicht glauben wollte, so sah ich doch den Engel.
„Nein…“
Ihre Flügel waren riesig und weiß und blendeten, so dass ich meine Augen wieder schließen wollte, aber ihre flehende Stimme hielt mich davon ab.
„NEIN!“
Dieses grelle und doch warme Licht, war das letzte was ich sah.