Herzrasen.
In letzter Zeit ertappte sie sich oft, wie sie sich selber im Spiegel – zu lange - betrachtete.
Es war normal, oder?
Jedes Mädchen machte sich Gedanken darüber, wie es aussah und ob die Klamotten zueinander passten, ob die Schminke nicht verwischt war und die Haare saßen, wo sie hingehörten. Auch wenn es nur darum ging, eine Versammlung zu besuchen – das Aussehen war doch wichtig.
Sie ertappte sich auch oft, wie sie an James dachte.
Aber das war doch auch normal, oder?
Immerhin war er ebenfalls Schulsprecher und sie redete miteinander und übereinander. Das tat doch jeder, also war es nichts Besonderes. Und dass sie an ihn dachte, wenn sie vor dem Spiegel stand, hatte doch nichts zu bedeuten. Er verirrte sich nur im falschen Moment in ihre Gedanken, das war doch sicherlich völlig irrelevant.
In letzter Zeit wurde sie oft ertappt, als sie leicht rot um die Nase wurde.
Das war doch normal, oder?
Wenn sich jemand ein Kommentar zu ihr abgab, durfte sie doch rot werden, auch wenn es James Potter war. Es war doch ihr Recht, genauso wie rot zu werden, wenn man sie anstarrte, das war doch menschlich, genauso wie dieses Gefühl, als würde sich die Welt drehen und ihr Magen sich zusammenziehen. Es war doch komplett weit hergeholt, zu behaupten, dies geschah nur, wenn James sie anschaute.
Das hatte doch alles nichts zu bedeuten. Oder?
Lily zwirbelte eine rote Haarsträhne zwischen ihren Fingern. Vor ihr lag der halbangefertigte Zaubertrankaufsatz für Slughorn ausgebreitet, auf ihrem Schoss lag ein dickes Buch. Die Feder war noch in ihrer Hand, doch die Tinte tropfte nur auf das Blatt darunter, hinterließ große, dunkle Flecken. Doch von alledem bemerkte sie nichts mehr, denn ihr Blick war nach draußen gerichtet und schaute den Schneeflocken zu, die wie weiße Wattebausche in der Luft tanzten. Neben ihr prasselte der Kamin und ihr leises Seufzen erfüllte den sonst stillen Gemeinschaftsraum.
Sie saß den ganzen Abend an dem Aufsatz, denn der ganze Tag war mit anderen Verpflichtungen gefüllt gewesen und ihre Gedanken litten unter demselben Chaos.
„Lily.“ Sie schreckte aus ihren Gedanken und warf dabei ihr Tintenfass um. Ihr Kopf schien wie ein großer Matschball und sie realisierte erst so spät, was geschehen war, doch schon retteten andere Hände ihren Aufsatz vor der kleinen Überschwemmung und sie vor einer kleinen Katastrophe. Lily blickte auf und schaute überrascht auf James, der sie anlächelte. „Wieso bist du wach?“, fragte Lily und nahm James ihren Aufsatz aus der Hand und legte ihn in sicherer Entfernung auf den Tisch. „Das gleiche könnte ich dich fragen.“
Lily ignorierte ihn so gut es ging und die Tatsache, dass seine Stimme sich wie Musik in ihren Ohren anhörte. Das war eindeutig nur Einbildung. So erschöpft wie sie war, war das kein Wunder mehr. Als sie ihm nicht antworte und versuchte das Schlamassel so gut wie mögliche zu entfernen, setzte er sich ihr gegenüber auf das Sofa.
Der Kamin knisterte weiter – beinahe so wie die Luft zwischen ihnen.
„Was willst du noch hier?“ Sie ermahnte sich selber, nicht so schnippisch zu ihm zu sein. Natürlich war er arrogant und er spielte mit Gefühlen anderer Leute, doch sie wurde das Gefühl nicht los, er hätte sich verändert.
Immerhin hatte er aufgehört, ihr so nachzustellen. Das war ihr gleich zu Anfang aufgefallen. Es war so ein seltsames Gefühl, wenn er nur einige Meter von ihr entfernt stand und sie sehnsüchtig anschaute, anstatt sich mit Sprüchen an sie heranzumachen. Ja, vielleicht tat es ihr sogar manchmal Leid, dass sie ihn all die Jahre so schlecht behandelt hatte. Aber wie sollte sie das schon gut machen können?
Sie blickte ihn an. Sofort stieg ihr Röte ins Gesicht, als sie sah, wie er sie anschaute. Er lächelte sogar. War das seine neue Masche? „Ich kann nicht schlafen.“, antwortete er und sie nickte nur. Sie wollte nicht mehr mit ihm reden, viel zu fremd war ihr das Gefühl, dass sich da in ihr aufbaute. Das war doch nicht ungewöhnlich, immerhin war er sehr gutaussehend und sie war alleine mit ihm. Das war absolut normal.
Oder?
Sie wusste nicht, was sie ihm nun sagen sollte. Stille legte sich über die beiden und sie starrte auf ihren unvollendeten Aufsatz. Unmöglich konnte sie sich jetzt noch konzentrieren – so sehr sie versuchte den nächsten Satz weiter auszuführen, es kam nichts dabei heraus. „Brauchst du Hilfe?“ „Nein.“ Zur Betonung schüttelte sie noch den Kopf. Nein, mit dem Aufsatz brauchte sie keine Hilfe.
Und mehr hörte sie nicht von ihm. Es war wirklich sehr ungewohnt, wenn sie beide still nebeneinander saßen. Aber trotzdem… angenehm. Während sie sich langsam durch ihren Aufsatz durchkämpfte, saß er immer noch in seinem Sessel und sie spürte, wie er sie beobachtete. Das einzige Geräusch war nun das Kratzen ihrer Feder und der ruhige Atem von James.
Als sie einen verstohlenen Blick zu ihm warf, bemerkte sie, dass er eingeschlafen war. Seine schwarzen Haare hingen ihm leicht ins Gesicht und sein Gesichtsausdruck war so friedlich und beruhigend. Lily fröstelte. Das Feuer war ausgegangen und langsam kühlte sich der Gemeinschaftsraum ab. Sie packte ihre Sachen zusammen und warf James eine Decke über. Sie wollte ihn nicht wecken, schon allein, weil sie sich einfach seltsam fühlte. Konnte das noch normal sein?
Ein letzter Blick gehörte James noch, bevor sie schlafen ging. Ihre grünen Augen huschten über den schlafenden Gryffindor. Die Luft war kalt geworden. Vielleicht sollte es einfach so sein.
Ihr Magen zog sich zusammen, als sie die Treppe zum Gemeinschaftsraum herunter trat. Der Kamin prasselte wieder und noch einige Stimmen waren zu vernehmen, doch viele waren schon zum Frühstück gegangen. Doch als Lily einen umschweifenden Blick durch den Raum machte, nur um festzustellen, dass Alice nicht mehr dort war, bemerkte sie James, der mit Sirius und Remus vor dem Kamin saß. Sie flüsterten sich etwas zu, doch so sehr sie versuchte es gekonnt zu übergehen, James Blick bohrte sich in ihr Herz rein wie ein Pfeil. In ihrem Magen schlugen die Schmetterlinge Saltos.
Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, verließ sie den Raum und ging die Korridore entlang. Ihre einsamen Schritte hallten an den steinerden Wänden wider und erfüllte die langen Gänge. Sie nahm sogar einen Umweg, als sie Peeves sah, der etwas Buntes in der Hand hielt, das verdächtig nach Wasserballons ausgesehen hatte.
Kurz vor der Großen Halle blieb sie überrascht stehen. Einige Meter von ihr entfernt stand ganz in schwarz Serverus Snape. Er schaute sie mit einem wehmütigen Blick an, der ihrer füllte sich mit Abscheu. „Lily…“, sagte er, als sie sich ihm näherte, doch sie versuchte, ihn zu ignorieren. Er hielt sie am Arm fest. Mit einem Zischen riss sie sich frei. „Fass mich nicht an, Sniffelus!“ Sie wusste es. Sie wusste ganze genau, wie sehr er diesen Namen verabscheute und hasste und doch betitelte sie ihn so. Er ignorierte ihre Aussage und sprach, bevor sie durch das Tor schritt: „Es tut mir Leid.“ Lily hielt inne, schüttelte ihren Kopf und ihre roten Locken hüpften leicht, als sie ihren Kopf etwas drehte: „Spar dir deine Heuchelei.“ Sie hörte ihn ihren Namen sagen, doch ohne ein weiteres Wort trat sie in die Große Halle ein.
Ihr kam eine Welle von Lärm entgegen und sie erblickte überraschte Gesichter, als einige Sekunden nach ihr Snape die Halle betrat, doch sie ging nicht darauf ein. Selbst James war vor ihr angekommen und starrte sie an. Aber wann tat er das nicht?
Ihr fiel auf, dass sie ihn immer fand. Es war völlig irrelevant, wo sie sich befanden, James schien aus der Menge herauszustechen, er schien einfach ihre Augen wie ein Magnet anzuziehen. Aber das hatte nichts zu bedeuten, immerhin zog er jegliche Aufmerksamkeit immer auf sich. Zu ihrem Leid konnte sie dem nicht entgehen.
Nun saß sie unfreiwillig direkt neben ihm, der einzig freie Platz in der Nähe von Alice und es war ihr nicht geheuert, dass sie sich öfter streiften, als es normal war. Oder fiel ihr das nur auf, weil sie in seiner Nähe besonders empfindlich war?
Ihr Herz schlug laut und schnell, als er ihr Bein streifte. Sie biss sich schmerzvoll auf die Lippen. Der Hunger war ihr vergangen und sie nippte etwas an ihrem Kürbissaft. Wieso tat er nichts? Wieso sagte er ihr nichts? Lily warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Er aß still sein Frühstück, währen Remus ihm etwas erzähle. Wollte er sie nicht mit etwas aufziehen? Lauthals verkünden, dass sie gestern sogar mit ihm geredet hatte? Es fehlte. Sie vermisste es. Sie vermisste doch tatsächlich den alten James.
Und das nächste was sie wusste, war, dass sie mit James alleine im Korridor des Kerkers stand. Wie war sie bloß in die Situation gekommen? Sie war einfach so rein geschlittert, ohne dass sie es hätte ahnen können. Bellatrix ist auf Sirius losgegangen, als dieser seine eigene Familie beleidigt hatte und sie war zur falschen Zeit am falschen Ort. Ihr Entwaffnungszauber traf sie direkt und dann schlug sie gegen die Wand. Mehr war nicht passiert. Es ging ihr gut. Bis auf ihr rasendes Herz und das Rauschen in den Ohren. Slughorn hatte darauf bestanden, dass sie in den Krankenflügel gebracht wurde.
Und jetzt stand sie hier. James keinen Meter von ihr entfernt und schaute sie an. Was war passiert? Sie hatte ihn geohrfeigt. Seine Lippen verzogen sich zu einem wehmütigen Lächeln und ihr Herz schmerzte, als würde jemand darauf trampeln. „Ich verstehe schon.“, sagte er. „Nein.“, widersprach sie ihm wispernd. „Du verstehst gar nichts.“ Ja, sie hatte ihn geohrfeigt, nicht, weil er sie nach einer Verabredung gefragt hatte oder derartiges, sondern, weil er es nicht getan hatte. Als würde jemand auf ihrer Brust sitzen, fühlte sie sich, als würde sie keine Luft mehr bekommen. Er hatte sich wegen ihr geändert. Und sie hatte es nicht bemerkt und nun vermisste sie ihn – den James, der auf so unbekümmert Art, um ihre Aufmerksamkeit gekämpft hatte und ihr mit einem Grinsen auf dem Gesicht zugewunken hatte, als sie ihn mit angesäuerte Miene angeschaut hatte, der James, der ihr trotz alle dem das Gefühl gegeben hatte, dass sie wunderschön und begehrenswert war, einfach der James. Wie konnte das passieren? Wie konnte es passieren, dass sie plötzlich diese Gefühle hatte?
„Was ist los, Lily?“ Das war die richtige Frage. Was war bloß los mit ihr? „Es tut mir Leid, James.“ Er lachte leise. „Worüber redest du Lily? Du hast doch gar nichts getan.“ Sie nickte. Das war es. Genau. „Das ist das Problem, James! Ich hätte so vieles tun sollen.“ Jetzt erst blickte sie auf und James legte den Kopf schief. Er schaute sie fragend an und musterte sie durch seine großen haselnussbraunen Augen. „Ich verstehe nicht.“ Sie verstand es auch nicht. Aber es war so. Es sollte so sein. James Anblick verschwamm vor ihren Augen und sie wischte sich schnell mit ihrem Ärmel darüber. Es tat weh, ihn so zu sehen, wie er nun war. Sie vermisste den alten James so sehr, dass es schmerzte.
„Ich hätte so vieles tun sollen, James.“ Mit Bedacht sprach sie seinen Namen aus. So lange hatte sie es vermieden. „Ich hab dich jedesmal abserviert und ignoriert, wie niedergeschlagen du warst, ich dachte, du suchst nur Aufmerksamkeit – aber jetzt… ich vermisse James.“ Er lachte leise. „Lily. Ich bin doch hier.“ Sie schüttelte den Kopf und eine Träne bahnte sich den Weg über ihre Wange. „Nein, ich meine den James, der um mich gekämpft hat und mir gezeigt hat, was es hieß begehrt zu werden. Was ist mit ihm geworden?“ Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und wischte mit dem Daumen ihre Träne weg. Sie ließ es geschehen. Vielleicht würde sie das morgen bereuen, vielleicht würde sie sich danach endlich wieder gut fühlen – doch was sie jetzt tat, war ihr selber unerklärlich, was sie fühlte beängstigend fremd. „Er ist erwachsen geworden.“, antwortete James. Dann weinte sie und ein Schluchzen entrann ihrer Kehle. Sie schüttelte den Kopf. Ihre Locken fielen über ihre Schultern. „Er muss noch da drinnen stecken.“, sagte sie und legte ihre Hand auf seine Brust.
Sie fühlte sich selber fremd. Hatte sie diese Gefühle schon immer gehabt? Dieses herzzerreißende Gefühl, wenn sie ihn berührte?
„Nein, Evans. Da drinnen steckt das Herz, was für dich schlägt.“ Dann lachte sie und plötzlich schien der Druck auf ihrem Brustkorb verschwunden. „Du bist ein kitschiger Romantiker, Potter.“
Sein Atem streifte ihr Gesicht und sie blickte auf. Er war ihr ganz nah gekommen und ihr Herz hämmerte gegen ihre Brust. James strich ihre Haare zur Seite. Seine Lippen streiften ihre sanft, wie eine Feder, die über ihre Haut glitt. „Nur für dich, Evans.“
Lange Zeit waren alle Augen auf sie gerichtet. Lily war diese Aufmerksamkeit fremd, während James wohlig drin zu baden schien. Und doch gefiel es ihr, denn solange James glücklich war, und das konnte sie nicht weder bestreiten noch ignorieren, war selbst sie glücklich.
Nun waren sie nicht mehr der Mittelpunkt der Schule, denn jeder hatte sich an ihren Anblick gewöhnt. Lily und James. James und Lily. Nie mehr sah man sie getrennt, nie mehr erwartete man, dass dies je geschehen würde.
Lily lachte und James sah ihr mit amüsierten Augen zu. Peter wurde von Sirius liebevoll schikaniert, indem er Erbsen nach ihm warf. Sirius blickte lächelnd zu dem Pärchen, als James Lily in die Seite zwickte und sie empört aufschrie. Dann wandte er die Augen verdrehenden seinen Blick wieder ab. „Ihr hängt ja nur noch aneinander.“, beschwerte er sich, als er dem küssenden Pärchen wieder seine Aufmerksamkeit schenkte.
Lily und James lächelten. „Ist doch normal, oder?“