#2 – Tagebuch: Ein Tag wie jeder Andere
-Wurde noch einmal überarbeitet, einige Worte gelöscht, bzw. verbessert. Danke an sunshishi für ihre hilfreiche Kritik.-
Der Tag begann wie jeder andere.
Eine Frau kam und rüttelte mich unsanft aus dem Schlaf, schüttelte mich geradezu durch, ohne ein Wort des Grußes, als wäre ich nicht einmal eines Lächelns wert. Sie knüpfte mein Kleid auf und zog mich aus. Nackt lag ich vor ihr, ungeschützt, wehrlos, bevor sie mich unsanft in ein neues Gewand zwängte.
Warum nur nahm sie nie Rücksicht auf mich? Was war es, dass sie glauben ließ, ich hätte keine Gefühle? Oder waren sie ihr bloß gleichgültig? Oh, was würde ich geben, das zu wissen.
Obwohl... manchmal würde es mir schon reichen, ihr diese Demütigung zurückzuzahlen.
Es gibt Tage, da kann ich nach dieser unangenehmen Prozedur, die eigentlich nie besonders lange dauert, vor mich hin dösen, ohne, dass meine Ruhe gestört wird. Der heutige war keiner davon...
Wie jedes Mal drückte sie mich an meinen Platz auf dem Bett zurück und ging, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen. Doch schon kurz darauf wurde eine junge Frau hereingeführt, ziemlich aufgelöst, von Zeit zu Zeit schniefend. Sie bettete ihren Kopf in meinen Schoß und wurde nach wenigen Worten in meiner Umarmung zurückgelassen. Salzige Tränen durchweichten schon bald mein Kleid und gegen meinen Willen empfand ich Mitleid mit diesem verzweifelten Wesen. Gerne hätte ich ihr Trost geschenkt... doch wie, wenn nie jemand auf mich hört? Ah, niemand nimmt mich je wirklich zur Kenntnis oder spricht gar mit mir – und dennoch hält man mein Dasein für selbstverständlich! Nicht zum ersten Mal frage ich mich, wie ich dieses Leben überhaupt aushalte.
Wie sehr wünschte ich, ich könnte diesen Ort verlassen! Doch bin ich bis zu meinem Ableben dazu verdammt, mein einsames Schicksal an diesem Ort zu verbringen. Stumm und allein mit meinen Gedanken... nein, das ist nicht ganz richtig. Schon viele Menschen habe ich gekannt, ihre Leiden und ihre Träume habe ich geteilt... und dennoch, dennoch... allein. Verlassen. Einsam.
Was dem Mädchen gefehlt hat, weiß ich nicht, doch sein Kummer war groß, so viel stand fest. Und Schmerzen hatte es, denn es warf sich die ganze Zeit unruhig hin und her und presste den Schädel in meinen Bauch, sodass ich mehrmals zusammengezuckt sein musste. Ich glaube nicht, dass die junge Frau das merkte, doch wenn, so ließ sie sich nichts anmerken. Ob sie wohl ahnte, dass ich sie in diesen Moment zur Hölle wünschte?
Nach Stunden, die mir wie Tage schienen, kam einer der Ärzte und half ihr aus dem Zimmer, während ich einmal mehr alleine zurück blieb, ohne ein Wort des Dankes dafür, dass ich das Mädchen wie so viele andere Patienten vor ihr so selbstlos in meiner Umarmung willkommen hieß. Wie immer begrüßte ich die Stille, die mich so plötzlich umfing. Eine erneute Chance, mich meinen Träumen hinzugeben. Träume von fremden Orten, Abenteuern und all den Dingen, die ich doch erst von den Menschen erfahren habe, mit denen ich stets gegen meinen Willen Kontakt hatte. Eine seltsame Ironie, nicht? Die, die Schuld an dieser ungeliebten Existenz haben, sind doch gleichsam die Urheber all der Ideen und Wünsche, die mein Leben versüßen. Soll ich ihnen dafür dankbar sein, oder sie verfluchen? Jeder neue Patient lässt letzteres zu meinem einzigen Gedanken werden... oh, wann wird diese Qual ein Ende haben? Die Menschen nehmen einfach keine Rücksicht auf ein Kissen wie mich.
Dennoch war es erstaunlich beruhigend, als das Mädchen wohlbehalten zurückgebracht wurde, geheilt, wie ich annahm. In meiner zärtlichen Umarmung fiel es in einen tiefen, erholsamen Schlaf und auf seinem friedlichen Gesicht sah ich das, was meine Gedanken so sehr zu beflügeln vermag. Einmal mehr konnte ich die unschuldigen Träume eines Menschen teilen...